Geballte Ladung Liebe - Katharina Wolf Sammelband

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Unerwarteter Besuch

Jan war fast immer bei mir. Ab und an ging er nach Hause, um zu duschen und die Kleidung zu wechseln. Er musste sich Urlaub genommen haben. Wie sonst hätte er jede verdammte Minute des Tages hier an meinem Bett verbringen können? Ich hätte ihn ja danach fragen können, doch zog ich momentan Schweigen einer anregenden Konversation vor.

Wenn er hier war, las er meist Zeitung. Lustige Artikel trug er mir vor oder zeigte mir Cartoons und Karikaturen. Ich reagierte nicht wirklich oft darauf. Meistens starrte ich aus dem Fenster.

Er griff oft nach meiner Hand, hielt sie einfach so in seiner. Ich verstand einfach nicht, was das sollte, warum er das tat. Manchmal schrie ich ihn deshalb an, dass er das sein lassen sollte. Ich fragte ihn nicht gerade freundlich, was er hier noch wollte, warum er mich mit seiner Anwesenheit so quälte. Warum er hier bei mir und nicht bei seiner Freundin war. Aber er ging nicht. Ganz egal, wie unfreundlich ich war oder wie oft ich ihn ignorierte oder beschimpfte.

»Ich lasse dich nicht mehr alleine«, war das Einzige, was er auf meine Wutausbrüche erwiderte.

Es war zum Verrücktwerden und zum Haareraufen. Ich konnte sein Mitleid kaum ertragen.

Einmal waren zwei Polizeibeamten bei mir im Zimmer. Ich hatte, um ehrlich zu sein, damit gerechnet und war deshalb wenig schockiert. Sie wollten ein paar Angaben von mir, die den Fahrer des Unfallwagens betrafen. Ich konnte ihnen allerdings sehr glaubwürdig versichern, dass ich ihn, genau wie die anderen beiden, vorher noch nie gesehen hatte. Mit dieser Aussage waren sie vorerst zufrieden. Was für Konsequenzen es für Mike haben würde, der sich wegen Fahrens unter Drogen- und Alkoholeinfluss strafbar gemacht hatte, war mir ziemlich egal.

Ich genoss es, wenn ich alleine sein durfte. Ohne lästige Besucher. Ohne die traurigen Blicke von Sebastian und Bianca, die mir immer ein schlechtes Gewissen machten.

Ich mochte die Ruhe und gleichzeitig hasste ich mich dafür, dass sich meine Gedanken dann nur um Jan drehten. Wenn er da war, war ich nervös und gereizt. Sobald ich alleine war, vermisste ich ihn. Aber was sollte ich dagegen tun? Er hatte nun mal diese Macht über mich und ich keine Chance, mich dieser zu entziehen.

Es klopfte an der Tür und ich wappnete mich wieder für einen dieser Besuche, die immer mehr an meinen Nerven zehrten. Die Tür öffnete sich langsam und ich betete, dass es Hiroki war. Er war der Einzige, der mich nicht schier um den Verstand brachte. Als ich aber sah, wer mein Krankenzimmer betrat, wäre mir jeder andere Mensch lieber gewesen. Sogar dieser eine Prof aus der Uni, der so unglaublich nach Schweiß gestunken hatte, oder Helene Fischer. Ja, sogar diese Schnepfe hätte ich bevorzugt.

»Raus!« Erstaunlicherweise war meine Stimme nicht laut, dafür aber umso bedrohlicher.

»Nora, bitte, ich bleibe auch nicht lange.«

»Geh einfach! Ich will dich nicht sehen!«

»Ich muss mit dir reden, bitte.«

»Was, Pablo? Was willst du mir erzählen? Was kann verdammt noch mal so wichtig sein, dass du hier herkommst?«

Er kam auf mich zugelaufen und betrachtete meine Gestalt mit leicht entsetztem Gesichtsausdruck.

»Oh Mann ey, du siehst echt schlimm aus.« Ich schnaubte und drehte meinen Kopf zur Seite. Die Schnittwunden in meinem Gesicht heilten langsam ab. Aber für ihn musste es trotzdem ein erschreckender Anblick sein. »Ist es so schmerzhaft, wie es aussieht?«

»Geht so«, gab ich leise zurück und ließ meinen Blick dann doch kurz zu ihm wandern.

»Was ist denn mit dir passiert?« Pablo brauchte nichts über meinen Zustand zu sagen. Auch er sah aus wie nach einem Kampf mit einem Pitbull.

»Das ist eine etwas längere Geschichte.« Er rieb sich verlegen über den Nacken und setzte sich auf den Stuhl, der neben meinem Bett bereitstand. »Sagen wir es mal so, ich habe mit Jans Faust Bekanntschaft gemacht.«

Ich schaute ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue an und wartete auf weitere Erklärungen. Er bevorzugte es aber, vorerst zu schweigen. Ich nutzte die Zeit, um das zu tun, was ich schon die letzten Tage getan hatte: Ich schaute aus dem Fenster.

»Ich muss mit dir reden.«

»Das erwähntest du bereits.«

»Hörst du mir auch zu?« Er klang verbittert, genau wie ich.

»Ich kann schlecht weglaufen, wie du siehst.« Mein eingegipstes Bein lugte unter der Bettdecke hervor. Pablo starrte es an und atmete dann einige Male geräuschvoll ein und aus. Er schien nach den richtigen Worten zu suchen. Ich würde ihm dabei garantiert nicht helfen.

»Ich habe einen Fehler gemacht und will mich dafür entschuldigen.« Nun musste ich ihn doch anschauen und konnte einen kritischen Blick mit angehobener Augenbraue nicht vermeiden. »Ich wusste ja nicht, dass ich eine Familie auseinanderreiße. Es war eine scheiß Idee. Aber sie meinte, dass sie eh schon fast mit ihm zusammen wäre. Dass sie besser zusammenpassen und du ihn eh nur bremsen würdest.«

Nun machte ich wirklich große Augen und hielt die Luft an. Was wollte mir Pablo gerade mitteilen?

»Pablo, wovon redest du, verdammt noch mal?«

»Es war nicht so, als ob sie direkt mit ihm zusammengekommen wäre. Er hat dir ewig hinterhergetrauert. Wirklich. Das hat meine Schwester richtig sauer gemacht. Du weißt doch, dass Fernanda meine Schwester ist?«

»Jan hatte da was erwähnt.«

»Ihr redet wieder miteinander?«

»Nicht wirklich.«

Pablo lehnte sich kurz zurück, fuhr sich mit dem Handrücken erschöpft über die Augen und kreuzte dann die Arme vor seiner Brust.

»Weißt du, ich war ziemlich in dich verschossen.« Ich schaute ihn an und war nicht sonderlich überrascht. »Na ja, ich dachte, ich hätte eine Chance bei dir. Ziemlich dumm, nicht? Und meine Schwester wollte die ganze Zeit schon was von Jan und ... ach ich weiß ja auch nicht ... es war falsch.«

Was sollte ich nun dazu sagen? Ich war sprachlos. Bedeutete das, es war ein abgekartetes Spiel? Mein Puls raste.

»Es war meine Schuld, und als ich gesehen habe, wie Jan dich anschaut, auch jetzt noch ...« Er beendete den Satz nicht und schüttelte nur den Kopf. »Wir hätten euch nicht auseinanderbringen dürfen.«

Das war wie ein Startschuss für mich. Ich sah rot, holte aus und schlug ihm mit der flachen Hand auf die rechte Wange. Er zuckte nicht zurück, presste nur die Augen schmerzhaft zusammen, als hätte er damit gerechnet. Ich holte ein weiteres Mal aus und gab ihm auch auf die andere Seite eine schallende Ohrfeige.

Das tat gut. Auch wenn meine Hand nun unangenehm pochte und brannte. In mir herrschte Chaos und doch schlussfolgerte mein Hirn eines richtig: »Jan hat dich deshalb verprügelt, oder?«

Er schwieg einige Sekunden, bevor er weitersprach.

»Bevor ich zu dir gekommen bin, habe ich es Jan gebeichtet. Ich wollte das einfach loswerden und, na ja, er hat ähnlich reagiert wie du. Nur fester und mit der Faust. Und bei zwei Hieben hat er auch noch nicht aufgehört. Aber das hatte ich wohl verdient.«

»Oh ja, das hast du! Und wenn ich könnte, würde ich dir noch mehr Schmerzen zufügen.«

Wir stierten uns einige Sekunden schweigend an. Dann seufzte Pablo und strich sich über seine geröteten Wangen, die nun noch zu seinem malträtierten Auge, der geplatzten Lippe und der geschwollenen Nase hinzugekommen waren.

»Ich geh dann mal, es tut mir wirklich leid.«

Ich nickte ihm kaum merklich zu und widmete meine Aufmerksamkeit dann wieder dem Blick aus dem Fenster. Als ich hörte, wie die Tür leise ins Schloss fiel, konnte ich ein leichtes Beben meines Kinns nicht mehr unterdrücken. Mehr ließ ich nicht zu. Ich heulte nicht. Aber an Schlaf war auch nicht mehr zu denken. Also betrachtete ich das trübe Wetter und wünschte mir, etwas würde mich von meinen genauso trüben Gedanken ablenken, oder sie am besten ganz ausschalten.

Zwei unglaublich lange und quälende Stunden später – ich hatte die Zeit genutzt, um vor mich hin zu grübeln, Pfefferminztee zu trinken, und mich bemüht, nicht verrückt zu werden – kam Jan.

Er klopfte, öffnete zaghaft die Tür und setzte sich dann ohne Begrüßung, dafür aber mit einem betrübten Gesichtsausdruck, neben mich. Wir schwiegen. Nun sah er aus dem Fenster. Die Stille war beklemmend und in keiner Weise angenehm. Mehr eine Ruhe vor dem Sturm. Ich musterte meine Bettdecke und löste einen Faden, den ich mit den Fingernägeln immer weiter herauszog. Sein Seufzen ließ mich zusammenzucken. Er kratzte sich am Hinterkopf und rieb sich mit den Händen erschöpft über die Augen. Seine Hände sahen schlimm aus. Die Knöchel waren blutig verkrustet und geschwollen. Der Anblick erschreckte mich.

»Vor vier Jahren ...«, begann er plötzlich zu sprechen und sah mich an. Ich hielt seinem Blick stand. »Da habe ich dich vernachlässigt, oder?«

Ich regte mich nicht, wagte es nicht, zu blinzeln oder zu atmen. Ich schaute ihn einfach weiter an. »Ich wollte nur so schnell wie möglich unabhängig sein. Mein eigenes Geld verdienen und endlich fest angestellt sein. Ich wollte eine Zukunft mit dir. Glaubst du mir das? Aber am Ende ... am Ende blieb mir nichts.« Er seufzte ein weiteres Mal und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Weißt du, dass sie niemanden übernommen haben?« Ich sah ihn fragend mit zusammengezogenen Augenbrauen an. »Meine Chefs von früher. Sie haben uns Azubis rackern lassen wie Packesel und am Ende haben sie keinen übernommen. Scheint eine Strategie zu sein. Sie lassen billige Azubis und kostenlose Praktikanten die ganze Arbeit machen und tauschen die dann alle paar Jahre einfach aus.«

Das hatte ich nicht gewusst. Woher auch? Nach allem, was Jan geleistet hatte, was er hatte aufgeben müssen ... Das war nicht fair.

 

»Ich arbeite jetzt in einer anderen Agentur. Kein Vergleich zu meiner letzten Arbeitsstelle. Dort habe ich zum ersten Mal gesehen, wie man tatsächlich mit Auszubildenden umgeht. Ich war wirklich dumm und naiv.«

Ja, das war er wahrscheinlich. Aber ich hatte den Versprechungen ja auch geglaubt.

Ich schaute wieder aus dem Fenster. Was sollte ich dazu sagen? Was erwartete er denn von mir?

Absolution?

»Wann darfst du aus dem Krankenhaus?« Jan schien bemüht zu sein, das Thema schnell zu wechseln. Ihm war die Situation wohl gerade genau so unangenehm wie mir.

»Morgen, denke ich.«

»Ich hol dich ab.«

Entlassung

Mein Bein war zwar noch immer eingegipst, die Schnittwunden an Brust, Hals und im Gesicht jedoch fast komplett verheilt. Und auch meine Rippen schmerzten lange nicht mehr so sehr wie direkt nach dem Unfall.

Ich durfte also nach Hause.

Meine Tasche war bereits gepackt, die Visite war auch schon da gewesen und ich saß nun auf der Bettkante und hatte mir einen Schuh angezogen. Den anderen hielt ich unschlüssig in der Hand. Zwei graue Krücken, die nun wohl für die nächsten Wochen meine Begleiter sein würden, lagen quer auf meinem Schoß. Ich wartete und hoffte bis zur letzten Sekunde, dass mich vielleicht doch Sebastian oder Hiro abholen würden. Aber leider wurden meine Gebete nicht erhört. Nach drei kurzen Klopftönen öffnete sich die Tür und Jan trat herein.

»Zieh dich dick an, draußen ist es schweinekalt«, begrüßte er mich und rieb dabei die behandschuhten Handflächen aneinander. Dann trat er näher an mich heran und gab mir einen Kuss auf die Wange. Ich zuckte nicht mehr zurück. Auf schräge Art und Weise schien ich mich während meines Krankenhausaufenthaltes an seine Nähe gewöhnt zu haben. Ich würde es noch bereuen, dessen war ich mir sicher. Seine Berührungen und zaghaften Zärtlichkeiten machten süchtig. Und ich würde in ein verdammt tiefes Loch fallen, sobald sie nicht mehr mir galten. Ich hatte Angst davor. Angst vor diesem Fall. Ich wusste, wie es sich anfühlte, und ich hatte kein Interesse an einem weiteren Höllentrip.

Auf der Fahrt nach Hause sprachen wir kein Wort. Das Schweigen war mittlerweile unser steter Begleiter. Ich betrachtete die Umgebung. Alles war grau und nass. Die Menschen trugen Schals, Handschuhe und Mützen, die sie sich tief ins Gesicht zogen. Es war das typische deutsche Dezemberwetter. Aber eigentlich konnte mir die momentane Witterung mehr als egal sein, denn ich konnte mit meinem eingegipsten Bein eh nichts tun. Okay, ins Bad oder zum Kühlschrank humpeln, das würde funktionieren. Lange Spaziergänge im Regen schieden jedoch eher aus.

Jan schloss die Haustür auf und trug meine Tasche hinein.

»Woher hast du den Schlüssel?«

»Hiro hat ihn mir gegeben. Sie sind beide nicht da. Sie sind auf einem Termin, um noch irgendwas für die Hochzeit zu besprechen. Frag mich bitte nicht, was. Ich hab den Überblick verloren.«

Wem sagte er das? Die Hochzeit war schon bald und ich hatte kein Kleid, am ganzen Körper unschöne Verletzungen und als Höhepunkt noch einen dicken Verband am Bein. Auf Highheels würde ich wohl oder übel verzichten müssen. Dieser Gedanken ließ mich unerwartet grinsen.

Mein Zimmer war wohl in meiner Abwesenheit aufgeräumt und geputzt worden. Zumindest lag keine Wäsche mehr auf dem Boden und sogar meine Schlafcouch war mit einer weiß-rosafarbenen Blümchenbettwäsche frisch bezogen. Ich räumte meine Tasche aus und zog mir etwas Bequemeres an. In einer weiten Jogginghose und Spaghettiträgertop humpelte ich mit Hilfe meiner Krücken in Richtung Küche.

Ich erstarrte noch an der Türschwelle.

Jan. Er war noch immer hier. Was hatte ich erwartet? Das zumindest nicht. Er stand mit dem Rücken zu mir und kochte. Ein verstörender Anblick. Er schien mich bemerkt zu haben, denn er schaute über seine Schulter nach hinten und lächelte mich an.

»Da bist du ja. Setz dich doch schon mal. Das Essen ist auch bald fertig.«

Ich setzte mich ohne Widerworte hin, legte den Kopf in einer resignierenden Geste auf den Tisch und sah Jan beim Kochen zu. Er bewegte sich geschmeidig, fast so, als würde er zwischen Kochplatte und Regalen hin und her tanzen. Breite Schultern, schmale Hüfte, dieser kleine, süße Hintern. Er war so schön. Ich seufzte.

Jan drehte sich mit zwei Tellern in der Hand um und kam zum Tisch gelaufen. Ich erblickte Nudeln mit Tomatensoße und konnte meine Freude darüber nicht verbergen. Darauf hatte ich nach dem lieblosen Krankenhausfraß jetzt wirklich Lust.

»Schau mal, da ist auch Post für dich gekommen.«

»Danke«, sagte ich leise und griff hungrig nach der Gabel, spießte eine Nudel auf und betrachtete mit der anderen Hand die zwei Briefumschläge. Der eine war ziemlich uninteressant und lediglich eine Info von meiner Krankenversicherung, wie mir der Absender auf dem Umschlag verriet. Darum würde ich mich später kümmern. Der andere stammte jedoch offensichtlich von der Werbeagentur, bei der ich vergangene Woche ein Vorstellungsgespräch gehabt hatte. Vergangene Woche? Verdammt, wie lange war das schon her? Das war doch schon mindestens vor drei Wochen! Ich riss den Briefumschlag auf und holte das Blatt heraus. Hochwertiges Briefpapier, das spürte man sofort.

»Sehr geehrte Frau Krüger, wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu dürfen ...«

Ich grinste und legte den Brief auf die Seite.

Wir saßen schweigend da. Nur das Klackern des Bestecks und ab und an ein Schmatzen waren zu hören.

»Du grinst so. Was war das denn für ein Brief?

»Nur eine Job-Zusage.« Ich versuchte, gelassen zu klingen, aber innerlich tanzte ich Polka vor Freude. Na ja, mit dem Gips würde ich erst mal ziemlich lange auf Tanzen verzichten müssen.

»Toll, das freut mich. Und wo?« Sein Lächeln gab mir Mut und so erzählte ich ihm von dem Vorstellungsgespräch, wie aufgeregt ich anfangs gewesen war und wie gut es dann am Ende doch lief.

»Ja, und da ich ja Grafikdesign studiert und schon einige Websites gebastelt habe ... na ja, ich glaube, der Job ist perfekt.«

»Schön. Hört sich klasse an.« Wieder lächelte er, auch wenn es nicht seine Augen berührte. In ihnen lag etwas Trauriges, das ich nicht so recht deuten konnte. Er pikste ein paar Nudeln mit der Gabel auf und verharrte dann in seiner Bewegung. »Schmeckt‘s?«, fragte er mich dann und schaute von seinem Essen auf. Ich nickte. »Schön.«

Als ich den Teller geleert hatte, lehnte ich mich zurück und schaute ihm zu, wie er die letzten Nudeln aufspießte. Er trank einen Schluck Cola und nahm dann beide Teller, um sie in die Spülmaschine zu räumen. Dann widmete er sich den schmutzigen Töpfen, die er zuerst mit einem Schwamm etwas säuberte, bevor er sie ebenfalls in die Maschine stellte. Er trocknete sich die Hände an einem Geschirrhandtuch ab und schaute sich um.

»Möchtest du vielleicht noch ein Eis? Oder lieber Pudding? Ich habe Schokopudding besorgt.« Er grinste selbstsicher und ließ sogar seien Augenbrauen verführerisch hüpfen.

Jaja ... ich hab‘s verstanden. Er wollte wohl zeigen, wie gut er mich doch kannte. Er wusste ganz genau, dass ich auf Nudeln mit Tomatensoße stehe und Schokoladenpudding vergötterte. Und jetzt? Sollte das ein Wink sein? Und in welche Richtung sollte mich dieser verdammte Zaunpfahl denn hinwinken?

»Musst du nicht so langsam zurück zu deiner Freundin?« Es reichte mir. Ich war genervt. Ich konnte den Anblick des häuslichen Jans nur schwer ertragen. Das hier war definitiv zu viel Alltag. Das passte nicht. Nicht zu unserer verqueren Situation. Jan hielt kurz in seiner Bewegung inne, bevor er die Kühlschranktür öffnete und einmal resignierend ausatmete.

»Wir haben uns getrennt«, sagte er mehr zum Inhalt des Kühlschranks als zu mir. Einfach so. Kein weiteres Wort. Ich saß da wie vom Blitz getroffen.

Jan kam mit schlurfenden Schritten wieder an den Esstisch und stellte mir eine Schüssel Schokoladenpudding vor die Nase. Er selbst hatte eine Flasche Bier in der Hand. Nervös kratzte er mit dem Daumennagel an dem grünen Etikett.

Ich für meinen Teil war bedient. Sie hatten sich getrennt. Er war wieder Single. Nach und nach verarbeitete mein Hirn die Info, was zur Folge hatte, dass mein Herz zu einem Dauerlauf ansetzte.

»Und jetzt bist du hier ...«, stellte ich kalt fest.

Schweigen.

»Sebastian hat mir angeboten, erst mal hier zu pennen. Auf der Couch. Zumindest bis sie ... na ja ... bis sie ausgezogen ist.«

Ich nickte. Es war nur natürlich, dass Sebastian seinem Bruder Hilfe und ein Dach über dem Kopf anbieten würde. Ich hatte definitiv nicht das Recht, mich zu beschweren. In dieser Konstellation war ich der Störenfried und Eindringling.

»Ich werde mir eh, sobald das erste Monatsgehalt auf meinem Konto ist, eine eigene Wohnung suchen. Dann ist das andere Zimmer auch wieder frei.«

»Mach dich nicht lächerlich. Das ist dein Zimmer. Ich bin bald wieder weg.«

Ich nickte.

Wieder Schweigen.

»Sollen wir noch etwas fernsehen?«

»Okay.«

Jan stützte mich und wir humpelten gemeinsam ins Wohnzimmer. Er half mir auf die Couch und setzte sich neben mich. Desinteressiert zappte Jan durch das TV-Programm. Ab und an blieb er auf einem Sender hängen. Fußballergebnisse, das Wetter, eine Comedyshow, irgendein Trashformat und die hundertste Wiederholung von einer Southpark-Folge. Die warme Wohnung, das weiche Sofa, die Schmerztabletten, das regelmäßige Klicken der Fernbedienung und Jans Geruch ... All das beruhigte mich ungemein und machte mich schläfrig. Langsam, aber sicher nickte ich ein und schreckte immer wieder kurz auf, weil mein Kopf zur Seite sackte.

»Hey, willst du lieber ins Bett?« Jan flüsterte und hatte einen Arm um mich gelegt. Ich rieb mir die Augen und gähnte.

»Mmmhhh«, gab ich bejahend zurück.

Jan war mir so nah. Die Wärme seines Körpers sickerte durch meine Kleidung und versenkte meine Haut. Das hier war jetzt schon so intim, dass es kaum zu ertragen war. Meine Atmung beschleunigte sich ganz automatisch. Langsam hob ich meine Lider und schaute direkt in seine warmen, braunen Augen. Sein Blick war verschleiert und es lag ein unglaublich zärtlicher Zug in ihnen. Ich seufzte, schloss die Augen und wandte meinen Kopf ab.

Zu viel! Ich musste weg. Doch da hatte ich die Rechnung ohne Jan gemacht. Er griff nach meinem Kinn und ehe ich mich versah, küsste er mich.

Schon wieder.

Aber ich konnte mich nicht dagegen wehren. Ich wollte mich nicht wehren. Es war zu gut. So zärtlich. So unglaublich vertraut und schön. Ich hatte mich so lange nach ihm gesehnt. Er war doch mein Jan.

Jan.

Langsam löste er seine Lippen von meinen.

Kleine hauchzarte Küsse folgten. Auf meinem Mundwinkel, auf meine Wange, auf die Augenlider, bevor er sich wieder meinen Lippen widmete.

»Glaubst du mir, wenn ich sage, dass ich dich nie vergessen habe?«, wisperte er. Sein Mund nur wenige Millimeter von meinem entfernt.

»Nein.« Jan schmunzelte leicht belustigt.

»Und warum glaubst du mir nicht?«

Ich hatte ziemlich viele Gründe, aber es war schwierig, meine Gedanken zu ordnen, während er seine Arme um mich geschlungen hatte und ich ihn riechen konnte. Er roch so verdammt gut. Außerdem waren seine Lippen so nah an meinem empfindlichen Ohrläppchen, was mich ziemlich irritierte.

»Vielleicht wegen dieser rassigen, wunderschönen Spanierin, die nach kurzer Zeit meinen Platz eingenommen hat?«

»Das ist nicht fair.«

Ich zuckte mit den Achseln. Fair ... was war schon fair?

»Ich bin mir sicher, dass du auch die eine oder andere Beziehung in den letzten Jahren geführt hast, oder?«

»Nein.« Ich schüttelte leicht den Kopf. Hatte ich nicht. One-Night-Stands, unbedeutende Fummeleien unter dem Einfluss von Alkohol und Drogen, das ja. Aber eine Beziehung? Wie hätte das denn funktionieren sollen? Wie hätte ich mich ernsthaft auf einen anderen Mann einlassen können? Ich spürte Jans große Hände an meinem Rücken. Sie und sein bohrender Blick bewirkten, dass ich mich winzig fühlte. Eingeschüchtert und hilflos.

»Und warum nicht?«

Ich hob mein Gesicht und sah ihn einfach nur an. Warum wohl? Natürlich wegen dir. Ich konnte im Gegensatz zu dir nicht ohne Weiteres neu anfangen, weil ich dich in all den Jahren nicht vergessen konnte! Weil mein Herz dir gehörte. Ich habe mich in dem Moment in dich verliebt, als du mich in der Bibliothek angesprochen hast. Und das wahrscheinlich für immer.

 

All das dachte ich, aber ich schwieg. Ich hatte schon zu viel von mir preisgegeben.