Geballte Ladung Liebe - Katharina Wolf Sammelband

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Erwachen

Ich schlug die Augen auf und bereute es sofort. Warum musste ich nur immer wieder aufwachen? Mit Schmerzen und Übelkeit in einem fremden Bett mit einem fremden Kerl.

Verdammt.

Ich schaute mich mit müden Augen um.

»Oh«, entwich es mir. Das war hier gar nicht mal so fremd. Langsam nahm mein Hirn wieder seine Arbeit auf und ich verstand. Ich wohnte ja bei Sebastian und Hiroki und das hier war ihr Büro. Kleine Erinnerungsfetzen drängten sich in mein verkatertes Hirn. Gestern war Sebastians Junggesellenabschied gewesen. Und ich hatte gesoffen. Okay. Das erklärte einiges. Ich drehte meinen Kopf langsam nach rechts und mir entfuhr ein entsetzter Laut.

Was zur Hölle machte Jan hier? Bei mir auf meiner Schlafcouch?

Ich strampelte meine Bettdecke hektisch von mir, sprang hinaus, stolperte und knallte ziemlich laut gegen den Kleiderschrank.

»Fuck«, entfuhr es mir. Ich hatte mir den eh schon schmerzenden Kopf gestoßen. Wie ich soeben feststellen musste, hatte ich noch recht viel Restalkohol im Blut. Ich wankte zur Zimmertür, verfing mich in der Decke, die auf dem Boden lag, und knallte mit den Knien unsanft auf Laminat.

»Verdammter Mist!« Ich hörte Jan stöhnen und hielt mir die Hände vor den Mund. Bevor er komplett aufwachen konnte, verließ ich das Zimmer fluchtartig, betrat das Badezimmer und schloss hinter mir ab.

Ich hatte keine Ahnung, was hier los war. Ich schaute an mir hinunter und registrierte Kleidung. Ich war angezogen. Wir hatten also höchstwahrscheinlich heute Nacht nicht miteinander gevögelt. Ich trug immerhin Unterwäsche und das gleiche Shirt wie gestern Abend.

Ich schlurfte in die Küche und setzte eine Kanne Kaffee auf. Am liebsten würde ich sofort die Wohnung verlassen und erst wieder betreten, wenn sie Jan-frei war. Dafür müsste ich allerdings Hose und Schuhe anziehen und die befanden sich wiederum in meinem Zimmer. Genau wie Jan.

Mist!

Ich war zittrig, voller Adrenalin und Restalkohol. Erst fiel mir eine Tasse um und dann stieß ich gegen einen Stuhl, der krachend umfiel. Außerdem fluchte ich ziemlich viel und laut. Aber dazu hatte ich auch allen Grund, denn immerhin war mein Leben ganz einfach scheiße! Und Besserung war nicht in Sicht.

Irgendwann kam Hiroki aus dem Schlafzimmer und schaute gequält in die Küche. Bei dem Lärm, den ich verursachte, war es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis jemand aufwachte und nach dem Rechten sah.

»Ich dachte, der unglaubliche Hulk wütet hier.«

»Leg dich einfach wieder hin, Hiro. Okay?«, pflaumte ich ihn an. Für Nettigkeiten hatte ich gerade keinen Nerv und für dumme Sprüche keine Geduld.

»Was ist denn los?«

»Wo ist Sebastian?«

»Im Bett, wie jeder andere normale Mensch um diese Uhrzeit.«

»Dann geh da auch wieder hin, verdammt.« Jetzt hatte ich mich auch noch am Papier der Kaffeeverpackung geschnitten. Konnte ein Mensch noch mehr Pech haben? Wahrscheinlich lag ein Fluch auf mir. Ja, das war die einzig logische Erklärung. Ich war verflucht!

Ich hörte Schritte hinter mir und als ich mich umdrehte, stand Hiro nur noch wenige Millimeter hinter mir und stierte mich an. Er sagte nichts. Für einen kurzen Augenblick hatte ich den Eindruck, als wollte er mich umarmen. Dann war dieser Moment auch schon verflogen und ich schaute an ihm vorbei. Hinter ihm erblickte ich Sebastian, der uns skeptisch musterte.

»Was geht‘n mit euch?«

»Nichts, geht alle wieder ins Bett!«, fauchte ich sie beide an.

»Nora?« Sebastian nährte sich mir und schaute mich skeptisch an. Lag es daran, dass ich hier frühmorgens ohne Hose versuchte, Kaffee zu kochen, oder an meinem Finger, der langsam die komplette Küchentheke vollblutete?

»Lasst mich doch einfach mal in Ruhe.« Ich sank erschöpft am Tresen herab und versteckte mein Gesicht in meinen Händen. Ich zitterte am ganzen Leib und war kurz vor einem Zusammenbruch. Das war zu viel. Ich musste hier weg. Raus aus dieser Wohnung, aus dieser verdammten Stadt, die mich wieder zu ihm geführt hatte. Ich würde hier zugrunde gehen. Ich hatte wirklich geglaubt, dass es gehen würde. Dass ich vielleicht sogar ein Stück weit über ihn hinweg war. Aber alles wurde nur noch schlimmer. Es gab keinen Ausweg. Ich wusste nicht mehr weiter.

Ich spürte Sebastian mehr, als dass ich ihn sah. Er kniete neben mir auf dem Küchenboden und zog mich an sich heran auf seinen Schoß. Ich wehrte mich nicht. Hatte keine Kraft mehr. Ich schmiegte mein Gesicht an seine Schulter und er streichelte mir beruhigend über den Rücken. Aber ich wurde nicht ruhiger. Ich war ein Nervenbündel, das kaum mehr Luft bekam und am ganzen Körper zitterte ...

»Was ...?« Es war nicht mehr als ein fassungsloser Ausruf.

Wir schauten alle gleichzeitig auf und sahen Jan im Türrahmen stehen.

»Was machst du denn hier?«, kam es nun von Hiro. Jan antwortete nicht, sondern schaute mich an. Besorgt, entsetzt und geschockt.

Langsam, immer noch zitternd und schluchzend, erhob ich mich und stampfte an ihm vorbei in mein Zimmer. Ich nahm die erstbeste Hose, die auf dem Boden lag, und schlüpfte hinein. Socken und Sneaker zog ich hektisch und vor allem stolpernd während des Laufens an. Im Flur griff ich nach meiner Jacke und einem Schal. Dann verließ ich die Wohnung, ohne mich noch mal umzuschauen oder mich zu verabschieden.

Ich rannte los, bog um die Ecke und sprintete immer weiter, keinem bestimmten Ziel entgegen. Die Kälte fiel mir kaum auf. Nur am Rande bemerkte ich die hauchzarte Eisschicht, die die Autos am Straßenrand umhüllte. Aber das war mir alles egal. Ich wollte einfach nur weg. Ich hielt erst an, als ich mich vor lauter Anstrengung und Schwindel fast übergeben musste.

Nach vorne gebeugt stand ich da, rang um Atem und stützte mich auf den Knien ab. Ich atmete schwer und konnte noch immer nicht das Zittern aus meinen Gliedern verbannen.

»Nora, warte!«

Nein!

Ich schaute mich panisch um und sah Jan.

»Lass mich verdammt noch mal in Ruhe. Es reicht!«, rief ich ihm entgegen. Doch er wollte einfach nicht auf mich hören.

»Dir geht es nicht gut. Lass dir doch helfen!«

»Ich brauche deine Hilfe nicht mehr.«

»Verdammt, Nora, warum hasst du mich denn so? Was hab ich dir denn getan?«

»Du hast mich alleine gelassen!«, schrie ich ihm mitten ins Gesicht und konnte die Tränen nicht zurückhalten, die nun in Strömen heiß meine kalten Wangen hinunterliefen. Plötzlich wurde mein Körper unkontrolliert von Schluchzern geschüttelt. Ich zittere, das Atmen fiel mir schwer und ich konnte mich kaum mehr auf meinen Beinen halten.

»Alleine«, flüstere ich ein weiteres Mal, mehr für mich selbst. Zum ersten Mal gab ich es zu. Zum ersten Mal ließ ich das Gefühl zu, betrogen und alleine gelassen worden zu sein. Ich hatte einen Fehler begangen, einen gewaltigen sogar, den ich mir niemals verzeihen würde. Aber er war es, der mir hoch und heilig versprochen hatte, immer für mich da zu sein. Er hatte geschworen, dass ich mich nie wieder einsam fühlen müsste. Ich war mein ganzes Leben lang alleine gewesen und hatte erst durch ihn und seine Familie zum ersten Mal so etwas wie Geborgenheit erfahren. Weihnachten zusammen verbringen, sogar mit Geschenken. Gemeinsame Abendessen mit ihm, Bianca und Sebastian. Ich war immer dabei gewesen, bei allen familiären Feiern. Und mit ein paar wenigen Worten hatte er mir auf einen Schlag alles genommen. Liebe, Familie, ein Zuhause. Nichts war geblieben, außer einer Leere, die das ausfüllte, was einst mein Leben gewesen war.

Ich war alleine!

Wieder alleine.

Immer alleine.

Ich wollte ihn nicht mehr sehen. Vor seiner Reaktion hatte ich zu viel Angst. Auf einen mitleidigen Gesichtsausdruck oder ein paar tröstende Worte konnte ich gut und gerne verzichten. Dafür war es zu spät. Es würde nichts ändern. Es würde alles nur noch schlimmer machen. Ich war schon am Ende. Mehr konnte ich nicht ertragen.

Abschalten

»Nora war dein Name, stimmt‘s? Komm ma her!«

Der Typ, der sich mir vorhin als Rob vorgestellt hatte, zog mich auf seinen Schoß. Ich wehrte mich nicht. Dafür war ich schon zu vollgedröhnt. Er reichte mir ein Glas mit bernsteinfarbener Flüssigkeit und ich nahm es dankbar entgegen. Gierig trank ich davon. Das leere Glas, in dem sich nun nur noch zwei Eiswürfel klackernd hin und her bewegten, stellte ich hinter uns auf den Tresen.

Rob schlang den Arm um meine Taille und winkte seine beiden Freunde zu uns. Ein Pärchen. Emma und Mike hießen sie, glaube ich. Sie waren die letzten Stunden nonstop auf der Tanzfläche gewesen und hatten sich zu Electro-Beats bewegt. Nun waren sie verschwitzt und Emmas Make-Up verschmiert, doch ihre Augen waren wach und zeigten die größten Pupillen, die ich je gesehen hatte. Sie wollten weitertanzen. Wir waren einfach alle viel zu gut drauf und hatten viel zu viel Energie, um still sitzen zu bleiben.

»Willste noch‘n bisschen was, Baby?«, raunte mir Rob ins Ohr und ich nickte. Mir war durchaus klar, dass er mit mir flirtete, aber nichts war umsonst und mir war es egal. Hier in diesem düsteren Club störte es niemanden, dass man sich einfach mal vor aller Augen was reinzog. Rob zauberte ein Tütchen Stoff hervor. Emma kramte einen kleinen Spiegel aus ihrer Handtasche und Rob präparierte eine schöne Linie weißes Pulver. Er reichte mir den Spiegel und ein kleines Röhrchen. Ich sog alles ohne zu zögern rein. Rob sniefte ebenfalls eine riesige Portion weg und reichte alles an Emma weiter, die sich dann auch noch etwas gönnte. Mike verzichtete kopfschüttelnd. Er hatte bereits genug, sagte er. Wir alle hatten bereits mehr als genug. Das sagte mir mein Verstand. Aber der hatte keine Priorität mehr. Ich fühlte mich wohl hier. Ich konnte mich dunkel daran erinnern, schon früher manchmal an diesem Club vorbeigelaufen zu sein. Früher hatte ich wegen der seltsamen Gestalten und der lauten Musik, die man selbst draußen hören konnte, Angst gehabt. Jetzt war das anders. Die düstere Stimmung, das Strobolicht, der Kerl hinter mir, das schöne Gefühl in meinem Kopf, meine tauben Glieder, all das war wie eine warme Decke, die mich einhüllte und alles, was mich traurig machte, einfach draußen ließ. Außerhalb der Decke. Ich hatte ein Lächeln im Gesicht und saß mit geschlossenen Augen einfach nur da. Der Flash kam und ich war glücklich.

 

Einige Minuten später – oder waren es Stunden? – verließen wir den Club und fuhren weiter. In den nächsten Club? Kneipe? Disko? Tankstelle? Es war mir egal. Doch leider ließ der Rausch langsam nach und trübe Stimmung machte sich breit. Ich brauchte dringend demnächst Nachschub, sonst wäre die Party für mich vorbei. Ich kuschelte mich in den Rücksitz und überlegte, ob ich kurz die Augen schließen sollte, aber ich bezweifelte, dass das klappen würde. Zu viel Kokain zum Schlafen, zu wenig, um ekstatisch zu sein. Mike saß vor mir, lenkte mit einer Hand und stellte das Radio alle paar Sekunden auf einen anderen Sender. Neben ihm auf dem Beifahrersitz saß Emma, die ständig an ihm herumfummelte. Wahrscheinlich würden sie gleich während der Fahrt noch vögeln. Ich grinste und musste kichern. Rob neben mir lachte mit.

»Was is so lustig?«, fragte er und legte eine Hand auf meinen Oberschenkel.

»Nichts«, gab ich zu, denn es war ja auch absolut gar nichts wirklich lustig. Eigentlich war das alles wirklich schlimm und traurig und echt bitter.

Aber es war mir egal.

Noch.

Ich drehte meinen Kopf und lehnte meine Stirn gegen die kühle Scheibe. Was genau machte ich hier eigentlich? Was war nur los mit mir? Und warum dachte ich genau jetzt darüber nach? Ich brauchte dringend noch ‚ne Line, um wenigstens noch ein paar Stunden Ruhe zu haben. Morgen würden mich die störenden Gedanken noch früh genug in den Wahnsinn treiben. Und das schlechte Gewissen. Und natürlich Jan. Nein! Da war er wieder. Kaum ließ die Dröhnung nach, war er wieder da. Ich fuhr mir resignierend mit dem Handrücken über die Augen und seufzte. Hatte ich wirklich nur diese eine Wahl? Konnte ich ihn denn nur vergessen, indem ich mir selbst so schadete?

In diesem Moment hörte ich die quietschenden Reifen eines nahenden Autos und schaute auf. Darauf folgten Schreie und einen Knall.

Dann war da nichts mehr.

Enthüllungen

Ich wachte auf und spürte sofort, dass irgendetwas nicht stimmte. Etwas piepste auf ziemlich nervige Art und Weise und mir tat alles weh. Mein Kopf pochte mit meinem linken Bein um die Wette und das Atmen fiel mir schwer. Ich konnte ein schmerzverzerrtes Stöhnen nicht unterdrücken.

»Nora? Bist du wach?«

Ich stöhnte ein weiteres Mal. Musste das sein? Er? Ich schlug die Augen auf und schaute mich verwirrt um. Ich lag in einem Krankenhaus, dessen war ich mir schnell sicher. Weiße Wände, karge Einrichtung, seltsame Geräte, gebleichtes Bettlaken und der penetrante Geruch nach Desinfektionsmittel. Eindeutig eine Klinik.

»Was zur ...?« Ich versuchte mich aufzusetzen, aber es funktionierte nicht. Ich wurde leicht panisch.

»Hey Nora, bleib ruhig. Du trägst eine Halskrause. Tu dir nicht weh.«

»Jan? Was ist los? Warum bist du hier?«

»Du hattest einen Unfall. Einen Autounfall.«

»Autounfall?«

»Ihr wart zu viert im Auto. Der Fahrer liegt ein paar Zimmer weiter mit ungefähr den gleichen Verletzungen wie du. Die anderen beiden sind nahezu unverletzt.«

Ich versuchte mich zu erinnern, mit wem ich in welchem Auto gewesen sein sollte. Aber mein Kopf tat weh und erschwerte mir das Nachdenken. Jan bemerkte wohl, dass ich Schmerzen hatte, und drückte auf einen roten Knopf neben meinem Bett.

»Wir müssen Bescheid sagen, dass du wach bist.« Ich schaute ihn überfordert an. Ich hatte Angst und Schmerzen und verstand einfach gar nichts. Ich merkte, wie sich langsam Tränen in meinen Augen sammelten. Als ich meinen Arm heben wollte, fiel mein Blick auf die Infusion und die vielen Kratzer, die sich auf meiner Haut abzeichneten. Jan beugte sich über mich und strich mir erst einige störende Haarsträhnen aus dem Gesicht und wischte mir dann mit dem Daumen die Tränen weg. Diese zärtliche Geste gepaart mit seinem besorgten Gesichtsausdruck brachte mich erst recht zum Heulen.

»Was machst du hier, Jan?« Meine Stimme zitterte.

»Ich lass dich nicht mehr alleine.«

»Du ...« Ich kam nicht dazu, meinen Satz zu beenden. Eine pummelige Krankenschwester betrat das Zimmer und begrüßte mich mit lauter, aufdringlicher und viel zu fröhlicher Stimme.

»Hallo Frau Krüger, schön, dass Sie wach sind. Haben Sie Schmerzen?« Ich nickte. »Wo genau tut es Ihnen denn weh?«

»Mein Kopf und mein Bein. Und irgendwie die Rippen.«

»Ich werde gleich den zuständigen Arzt zu Ihnen schicken. Bis dahin gebe ich Ihnen schon mal ein schwaches Schmerzmittel.«

Dankbar schluckte ich die Tablette und nahm auch das Glas Wasser, das sie mir reichte, entgegen. Mein rechter Arm funktionierte ohne Probleme, nur die linke Seite meines Körpers war malträtiert.

In dem Moment krachte die Tür auf und Sebastian kam gefolgt von Hiro ins Zimmer gestürmt.

»Oh Gott, Nora, du bist endlich wach!«

Sebastian kam zu mir gerannt und nahm mich in den Arm. Ich zog scharf die Luft ein. Sein Verlobter zwang ihn daraufhin glücklicherweise, mich aus seiner brutalen Umarmung zu entlassen, indem er ihn von mir wegzog und ihn tröstend selbst in den Arm nahm.

»Tut mir leid, ich bin nur so froh«, sagte er unter Schluchzern und wischte sich mit dem Handrücken ein paar Tränen aus den Augen. Hiro lächelte mich an und wirkte ebenfalls erleichtert.

Ich war immer noch überfordert von der Gesamtsituation.

»Aber Nora, ich bin auch sauer. Was machst du denn für einen Scheiß? Der verdammte Fahrer des Autos hatte 2,2 Promille! Warum fährst du denn mit so jemandem mit? Kanntest du ihn?« Plötzlich kamen mir wieder einige Erinnerungsfetzen in den Sinn. Mike, Emma und Rob. Ich hatte sie an dem Abend kennengelernt. Vor dem Club. Ich wusste nichts von ihnen. Nichts außer ihren Namen. Ich schüttelte den Kopf und starrte auf die Bettdecke.

»Warum seid ihr denn alle hier?«

»Einer der Typen in dem Auto hat mich angerufen. Ich war die letzte Nummer, die du von deinem Handy aus gewählt hattest.«

Ich nickte. Okay, das klang logisch.

Wieder ging die Tür auf, wodurch ich vor Schreck zusammenzuckte, während Bianca in mein Krankenzimmer kam. Auch sie atmete erleichtert auf, als sie sah, dass ich bei Bewusstsein war. Sie kam zu mir gelaufen, lehnte sich über das Bett und nahm mich in den Arm. Ich schloss die Augen und strich ihr vorsichtig mit der Hand über den Rücken, damit mir die Infusionsnadel nicht aus der Vene rutschte.

»Ich bin okay«, sagte ich mit leiser, leicht zittriger Stimme. Sie gab mir einen Kuss auf die Wange und erhob sich wieder.

»Wir haben uns solche Sorgen um dich gemacht. Zum Glück bist du wieder wach.« Doch schneller, als ich schauen konnte, wandelte sich ihr Gesichtsausdruck plötzlich von Erleichterung in Wut.

»Dieses Krankenhaus ... Da muss man sich erst als deine Mutter ausgeben, um an Infos zu kommen ...« Sie schüttelte genervt den Kopf und ging dann auf Jan und Sebastian zu.

»Könnt ihr bitte mal kurz rausgehen? Ich möchte mit Nora alleine sprechen.«

»Mama, das ist doch Quatsch. Wir sind eine Familie«, gab Sebastian störrisch zurück. Jan nickte und trat unterstützend neben seinen Bruder. Hatte ich hier eigentlich auch was zu melden? Anscheinend ja nicht. Dabei hatte ich ein mehr als ungutes Gefühl bei der Sache.

»Könnt ihr mich nicht erst mal durchatmen lassen? Ich check noch gar nicht richtig, was passiert ist.« Ich hatte wirklich Hoffnung, dass sie mich in Ruhe lassen würden. Aber da hatte ich die Rechnung ohne Bianca gemacht, die sich nun bedrohlich vor mir aufbaute.

»Nein, wir werden das jetzt besprechen, Nora! Sag uns einfach nur, wie lange. Wie lange nimmst du schon Drogen?«

Sebastian fuhr erschrocken zusammen und hielt sich an Hiro fest, der keinerlei Reaktion zeigte. Auch Jan riss die Augen verwundert auf und starrte mich an. Ich vermied jeglichen Blickkontakt und konnte mir ein leichtes Augenrollen nicht verkneifen. Jetzt würde es kommen. Das Donnerwetter, auf das ich so gerne verzichtet hätte. Sie würden es nie verstehen und Erklärungen hatten keinen Sinn. Ich wollte nicht in ihre enttäuschten Gesichter sehen. Verdammt!

»Nora?« Bianca hörte sich drohend an. »Seit wann?«

»Jetzt übertreibt mal nicht, ey. Seit drei oder vier Jahren vielleicht.«

»Wir sollen nicht übertreiben?« Sebastian Stimme überschlug sich beinahe vor Hysterie und auch Hiros Hand auf seiner Schulter war nicht in der Lage, ihn zu zügeln.

»Ich bin nicht abhängig oder so, okay? Nur ab und an. Zur Entspannung ... zum Runterkommen.«

»Mensch Nora, hast du vergessen, wie es deine Mutter zugrunde gerichtet hat? Willst du so enden wie sie?« Ich krallte meine Hände in die Bettdecke und versuchte, meine Atmung zu beruhigen. Das war definitiv ein wunder Punkt und ich hatte dem nichts entgegen zu setzen.

Jan schaute auf den Boden und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Ich hörte ein leises »Fuck« aus seiner Richtung. Sebastian schaute wie drei Tage Regenwetter und Bianca war sauer. Toll. Kann mich bitte jemand wieder zurück ins Koma versetzen?

Als der Arzt einige Minuten später das Zimmer betrat, verließen es alle anderen. Zum Glück. Ich kam mir vor wie auf der Anklagebank.

In einem kurzen Gespräch erklärte mir der Doc, was geschehen war. Ein anderes Auto war uns auf einer Kreuzung links in die Fahrerseite reingeknallt. Anscheinend waren wir über Rot gefahren. Mein Bein war gebrochen. Ein glatter Unterschenkeldurchbruch. Zudem hatte ich ein Schleudertrauma, eine Gehirnerschütterung und zahlreiche Schnittwunden von der gesprungenen Scheibe. Mike, der Fahrer des Wagens, hatte fast identische Verletzungen. Emma und Rob fehlte nichts. Immerhin wurden sie von unseren Körpern geschützt. Wir waren menschliche Airbags.

Dann musste der Arzt mich natürlich auch noch auf meinen Drogenkonsum ansprechen. Ich behauptete einfach, dass es ein einmaliger Ausrutscher war, und versprach, es nicht mehr zu tun. Der Arzt nickte skeptisch. Aber eigentlich interessierte es ihn nicht die Bohne. Das war nicht sein Job. Wahrscheinlich rechnete er insgeheim damit, mich in naher Zukunft sowieso wieder hier anzutreffen.

Danach war ich wieder alleine und atmete erst mal tief durch. Es war wirklich mehr als verwirrend, irgendwo aufzuwachen und nicht zu wissen, wie man dahin gelangt war. Aber na ja, eigentlich dürfte ich mich darüber ja nicht mehr wundern oder überrascht sein. Nach meinen Partynächten mit diversen Drogen war ich hin und wieder in fremden Betten erwacht. Trotzdem saß der Schock tief. Im einen Moment machst du Party und denkst an nichts Böses und im nächsten wachst du einbandagiert in einem Krankenbett auf.

Es vergingen einige Minuten, bevor sich die Tür ein weiteres Mal öffnete. Jan betrat das Zimmer mit einem zaghaften Lächeln, schob einen Stuhl neben mein Bett und ließ sich darauf nieder. Ohne zu zögern, nahm er meine Hand und behielt sie in seiner. Er sagte nichts und ich hatte keine Kraft, mich gegen seine Nähe zu wehren. Nach einer gefühlten Ewigkeit, in der wir beide auf meine weiße Bettdecke starrten, ergriff er das Wort.

»Ich möchte dir so gerne helfen.«

Ich schloss die Augen und verkniff mir einen bissigen Kommentar. Er streichelte meine Handinnenseite und strich mir sanft über die Fingerkuppen. Es war schön und so vertraut. Aber auch schmerzhaft. Wieder brannten Tränen in meinen Augen und ich biss mir auf die Lippe, um mein bebendes Kinn in Zaum zu halten.

Keine Schmerztablette der Welt kam gegen diese Qual an.