Unterwasserflimmern

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Mein Gehirn arbeitet auf Hochtouren. Es rattert, es sucht nach einer vergleichbaren Situation. Nach einer Lösung, um dieses Gespräch zu beenden, ohne uns etwas zu nehmen, was uns bisher zusammengehalten hat. Filmszenen spielen sich nacheinander ab. Tröstende künstliche Welt. Wie ein Film, denke ich, und dass es deshalb naheliegend wäre, den Mann zu umarmen und zu beschließen, sich befruchten zu lassen.

Ich denke an die letzte Woche, während wir über die Flugzeugtreppe nach unten steigen. Wir haben uns gehalten, mehr als sonst. Wir sind noch weiter Richtung Norden gefahren. In der Stadt waren wir nur mehr am Ende, nur mehr einen Tag. Und trotzdem, es war gut. Wir waren gut. Wir haben die Zeit draußen verbracht, wir haben jeden Tag eine Wanderung gemacht, mit jedem Endpunkt einen Erfolg gefeiert, haben kleine Dörfer besucht, sind auf giftgrüne Hügel gestiegen. Ich denke daran, was in diesem Urlaub passiert ist, was mit uns passiert ist. Ich denke an dieses Gespräch, das kein richtiges war, keines mit vielen Sätzen und Erklärungen. Ich denke an die Zukunft, an eine, die Emil näher wäre als mir.

Der Flug hat sich kurz angefühlt, ich habe nur den Anfang mitbekommen, nur das Lospreschen auf der Startbahn, wenn man die Kraft spürt, die den Körper in den Sitz drückt, und man plötzlich abhebt, einfach abhebt, als wäre es etwas Natürliches. Nach dem Start habe ich eine Schlaftablette geschluckt und meinen Kopf in das Nackenkissen gepresst.

Jetzt stehen wir in der Halle, die weitläufig wirkt, voller Menschen, die an uns vorübereilen, die schlafen oder warten. Das Gepäck wird auf das Laufband befördert. Es sieht aus, als würde es aus einem breiten Maul gespuckt, denke ich. Ich stelle mich mitten zwischen die Menschen, die mit uns von Ho-Chi-Minh-Stadt hierher geflogen sind. Emil nimmt meinen Arm und zieht daran.

„Gehen wir an den Anfang“, sagt er. „Wir sollten nicht länger warten, als wir müssen.“

Der Satz bohrt sich in mich hinein, während wir die Koffer beobachten.

Ich trete mit einem Fuß aus der Drehtür des Flughafens, bemerke, dass meine Wangen nass werden, und erinnere mich, dass ich eine Sonnenbrille trage. Gut, denke ich, und dass ich es hasse, wenn mich andere Menschen weinen sehen. Die Luft ist nicht mehr kühl, es ist, als wäre sie angeschwollen von der Sonne. Ich kann die Blüten riechen. Und auch die Menschen bewegen sich anders. Da ist nichts Starres mehr in ihren Schritten, in ihren Handgriffen. Die Welt ist aufgetaut. Ich bin froh, dass der Sommer erst noch kommt und dass er durch diese Reise länger geworden ist. Wir gehen im Freien zur Parkgarage, und doch ist alles eng.

Leo, denke ich. Und dass ich ihn vermisst habe. Ich stelle mir vor, wie er in dieser Wohnung sitzt, wie wir gemeinsam dort sitzen und miteinander sprechen. Ich höre ihn reden, sehe uns, wie wir eine Stunde diskutieren und wie er kurz darauf auf seine Knie sinkt, um seinen Kopf zwischen meinen Schenkeln zu vergraben. Ich spüre die Aufregung in meinem Magen, in meinem Darm. Am liebsten würde ich mich setzen, um zu verschnaufen. Um in meine Eingeweide zu atmen und mir zu sagen, dass alles gut ist, alles irgendwie gut wird. Ich frage mich, ob ich Leo wiedersehen werde, und versuche, mich zu erinnern, ob er mich danach gefragt hat. Mir kommt es vor, als wäre zwischen jetzt und damals so viel Zeit vergangen, dass wir uns vielleicht nicht wiedererkennen würden.

Emils Auto steht in der Garage. Ich sehe es an, denke mir, dass es sich nicht verändert hat. Es steht so, wie wir es abgestellt haben. Der Lack glänzt im Lichtstrahl, der auf den Parkplatz fällt, und ich stiere auf die Partikel, die darin schimmern. Als wäre die Zeit angehalten worden, denke ich jetzt. Als hätte es diese drei Wochen nie gegeben. Emil setzt sich auf den Fahrersitz, öffnet mir die Tür von innen, und ich rutsche neben ihn, lehne mich in die Polsterung und schließe die Augen. Süßlicher Zitronenduft steigt mir in die Nase.

Er räuspert sich: „Das nächste Mal fliegen wir nach New York. Oder Toronto. Wir gehen in gute Restaurants, wir machen Führungen in Museen, besuchen eine Theatervorstellung. Vielleicht eine Oper?“

Ich weiß, dass Emil es gut meint. Dass er daran denkt, dass es die Art von Urlauben ist, die wir von nun an planen sollten, weil wir alt genug dafür sind oder zumindest zu alt für das, was wir die letzten drei Wochen getan haben. Dass andere Pärchen genau das tun, genau das erzählen, von ihren Opernbesuchen, von teurem Essen, von Hotels, in denen die Betten hohe Matratzen haben und der Zimmerservice rund um die Uhr erreichbar ist.

„Mit Kind kann man nicht einen Monat nach Asien“, sagt er noch. Er sieht mich an, sein Ausdruck ist sanft und bestimmt gleichzeitig. Als wollte er sagen: Auch du wirst das noch verstehen.

„Wir haben kein Kind“, sage ich.

„Ja“, meint er. „Bis zum nächsten Urlaub – wer weiß.“

„Mmh“, sage ich und weiß, dass ich etwas anderes sagen sollte, dass ich Emil sagen sollte, dass ich mir nicht sicher bin, ob ich das alles will, ob ich es überhaupt wollen werde. Aber ich bringe kein Wort heraus, ich kann mich nicht dazu durchringen, das alles zu sagen, ohne mir selbst darüber im Klaren zu sein. Ich hasse diese Situation, und Emil spürt, dass ich sie hasse und dass ich ihm keine Antwort geben werde.

„Wir würden uns ein Haus bauen, vielleicht würden wir in diesem Jahr auch zuhause bleiben. Vielleicht würden wir nur einen entspannten Urlaub machen, nicht allzu weit weg, in einem kleinen Hotel mit Pool. Stell dir vor, du wärst schwanger, hättest einen runden Bauch.“

Emil wartet kurz. Er lässt mir ein paar Sekunden, um seine Sätze zu verarbeiten.

„Das Fliegen wäre anstrengend. Vielleicht wäre es besser, du würdest keinen langen Flug auf dich nehmen, keine lange Anreise. Zeit zu zweit, bevor das Baby da ist. Bevor wir in unser neues Haus ziehen. Alles neu. Keine lästigen Reparaturen, keine Mietwohnung mehr. Nur mehr wir.“

Ich lehne an der Bar und klopfe mit den Fingern im Takt. Die Musik dröhnt. Es ist Sommer, und ein Schweißfilm liegt auf meiner Haut. Draußen steht die Luft, als könnte man sie durchschneiden, und auch hier drinnen ist es stickig. Seit Emils und meinem Urlaub sind ein paar Wochen vergangen. Ich trinke weiter, Longdrinks mit Rum und Cola und Eiswürfeln, obwohl ich schon so viel getrunken habe, dass ich mich bald übergeben werde. Das weiß ich. Eigentlich gehöre ich nicht zu den Menschen, die nach dem Kotzen weitertrinken. Aber heute, denke ich, während ich zu der Musik wippe, heute würde das klappen.

Sylvie hängt an einem Mann, der aussieht, als könnte man mit ihm Sex haben. Seine Hose beult sich aus. Sein Schwanz zeichnet sich im Schritt ab. Ich sehe sie vor mir, wie sie am Schreibtisch neben mir sitzt. Manchmal gehen wir gemeinsam feiern, gehen am Wochenende in irgendwelche Clubs. Ich mag Sylvie, die Art, wie sie redet, wie sie ihre Beine und ihren Arsch bewegt. Jetzt reibt sie sich an seinem Bein beim Tanzen. Ich kann seinen Steifen erkennen. Ich stelle mir vor, wie er in mich eindringt, und schüttle den Gedanken ab.

„Du kannst dich glücklich schätzen“, sagt sie zu mir, als sie eine kurze Pause einlegt.

Ich schaue sie fragend an.

„Du musst nicht wildfremde Männer antanzen, um einen Orgasmus zu bekommen. Du gehst saufen, gehst heim, legst dich auf Emil.“

„Und dann?“, frage ich.

„Und fertig“, sagt sie.

Ich verdrehe die Augen und leere mein Glas. Ich denke darüber nach, was ihre Worte bedeuten, dass sie glaubt, dass das, was ich habe, das Ende ist. Zumindest, dass ich angekommen bin, während sie noch sucht. Mir fällt nichts ein, was ich entgegnen könnte.

Dann leere ich das nächste Glas, weil ich schon eines bestellt habe und es nicht mit auf die Tanzfläche nehmen will. Ich tanze lieber ohne Glas in den Händen. Zwischen meinen Fingern halte ich eine Zigarette und ziehe daran, ziehe den Rauch in meine Lunge und blase ihn sanft nach draußen, so dass er an meinen Lippen hängen bleibt und langgezogene Schlieren bildet.

Der Mann in der hinteren Ecke schaut mich an. Er lächelt. Ich lächle zurück. Er kommt zu mir. Das ist gut, denn mit all den Menschen und der Musik und dem Alkohol kann man nur bei geringem Abstand entscheiden, ob man sich gefällt. Er nickt mir zu, ich erkunde sein Gesicht mit den harten Zügen, und er gefällt mir.

Ich sehe mich um, überprüfe, ob Leute hier sind, die Emil und mich kennen, die uns als Paar kennen, die wissen, dass wir zusammen sind und ich das, was ich tun will, nicht tun sollte.

Wir stellen uns an die Bar. Er lädt mich ein. Er redet, und ich höre nur halb hin. Die Musik bringt unsere Körper zum Zittern. Dann berührt er meine Hand. Ich sage ihm, dass ich gehen wolle. Mit ihm. Also gehen wir.

Er nimmt mich mit in die warme Luft. Es ist spät oder früh, wie man will. Der Himmel wird langsam hell.

Er erzählt mir von sich. Er sagt, er heiße Aglan. Ich sage ihm, ich würde Anna heißen. Weil Anna ein schöner Name ist und Anna und Aglan gut zusammenpassen.

Ich will über seine Haut streichen, die weich aussieht. Er ist vielleicht so alt wie ich. Wir spazieren durch die Fast-noch-Nacht. Es tut gut, mit ihm hier entlangzugehen. Wir tragen keine Schuld, und nichts ist seltsam. Wir biegen in seine Straße, steigen seine Stufen hinauf, treten über seine Türschwelle.

Aglan streift eine Strähne hinter mein Ohr. Aglan ist zärtlich. Dann trinken wir Wodka mit Orangensaft.

„Das ist alles, was ich habe“, sagt er.

Mir egal, weil ich gerne Wodka trinke. Dann bereitet er eine Line vor. Aglan bröselt das Pulver aus der Tüte, schiebt es mit einer Karte zusammen und auseinander, bis es eine perfekte Linie ergibt. Er bietet mir eine an, und ich ziehe sie durch die Nase. Ich habe schon lange nichts mehr genommen. Früher, wenn es sich ergeben hat, auch mit Emil. Dann haben wir bis zum Morgen getanzt und uns gestreichelt. Wie eine Ewigkeit hat es sich angefühlt, und jetzt fühlt es sich an, als würde es eine Ewigkeit zurückliegen.

 

Meine Schleimhaut juckt, und ich kann das Pulver an meinem Gaumen schmecken. Es ist bitter. Ich werde wach, zappelig, ich glaube, ich bin unbesiegbar. Aglan wird dasselbe fühlen. Koks lässt keine Herzen durch die Luft fliegen. Aber ich will ihn ficken und er mich.

„Leg dich auf den Tisch“, sagt er.

Er zieht meinen Rock hoch und meine Unterhose nach unten. Er wird hart, ich spüre ihn, er zieht sich aus. Er zeigt mir seinen steifen Schwanz. Ich beuge mich vor und schaue ihn an, aber er drückt mich wieder nach unten. Sagt, dass er mich jetzt richtig hart nehme. Und ich mich nicht wehren solle. Er sagt genau das, was ich sonst gerne höre. Aber das Koks treibt mich an. Ich will entscheiden. Nur weiß ich, dass es keinen Sinn macht, wenn ich jetzt anfange, mit ihm zu kämpfen.

Er greift zwischen meine Beine, schaut sich alles genau an. Dann dringt er in mich ein. Erst jetzt spüre ich, wie groß er ist. Es tut weh, und das macht mich an.

Ich höre, wie der Tisch, auf dem ich liege, gegen die Wand knallt, wie er stöhnt, wie mein Handy vibriert. Ich schaue nach unten und sehe, dass sein Schwanz mich weit macht.

Er drückt mich wieder nach hinten. Er kommt, zieht ihn raus aus mir, streift das Kondom ab und spritzt mir auf den Bauch. Dann legt er seinen Kopf auf meine Schenkel. Ich schubse ihn weg, wische das Sperma ab und gehe.

Nach ein paar Minuten setze ich mich auf eine Parkbank. Es ist einsam. Die Stimmen der Leute, die sich vor den Bars unterhalten, dringen zu mir. Ich spüre das Handy in meiner Jackentasche, erinnere mich an das Vibrieren. Und dann hole ich es heraus und lese die Nachricht.

Sie ist von Leo. Die Wohnung, in der wir uns treffen, hat er nur angemietet. Er wohnt nicht darin. Er hat darin Sex. Mit mir, vielleicht auch mit anderen. Ich weiß das nicht so genau. Seine Ehefrau und Emil, das reicht.

Ich bin gerne bei ihm, gerne in dieser Wohnung, die ein Versteck ist. Ein Geheimnis, ein Ort, der nur existiert, wenn man ihn betritt. Er ist zehn Jahre älter als Emil und damit zwanzig älter als ich. Leo. Das klingt schön, weder jung noch alt. Ein zeitloser Name. Er könnte ein achtzigjähriger Mann sein oder ein siebenjähriger Junge, und ein bisschen ist er beides.

Kurz denke ich an Emil, während ich die Klingel drücke. Ich denke daran, wie er sich vielleicht gerade im Bett ausstreckt, seine Position ändert und spürt, dass niemand neben ihm liegt. Ich denke, dass ich mich vielleicht an seinen Rücken schmiegen würde, wäre ich da und würde seine Bewegung wahrnehmen. Und dann versuche ich, den Gedanken an Emil wegzudenken. Weil dort oben Leo ist, weil ich ihn sehen will, mit ihm reden, ihn anfassen.

Magst du mit mir frühstücken? – stand in der Nachricht. Leo verquirlt Eier in einer Pfanne, stellt Brot auf den Tisch, Honig und Frischkäse, gepressten Orangensaft, Kaffee.

Er lacht laut, als ich ihm von meiner Freundin erzähle und dem Arsch-am-Bein-Reiben. Von Aglan erzähle ich ihm nicht. Die Vorstellung würde ihm nicht gefallen. Mein Herz schlägt immer noch etwas zu schnell, ich bin ein wenig zu aufgedreht, aber nicht so, dass man es einordnen könnte. Es könnte genauso gut der Alkohol sein, der Zuckersaft, das Rauchen, die Musik. Nur meine Pupillen, denke ich, sind wahrscheinlich zu weit. Ich frage mich, ob Leo etwas auffallen könnte, und wenn, dann nur ihm, denke ich, weil er genauer hinsieht als andere. Ich frage mich, ob er bemerken könnte, dass ich gerade Sex hatte.

Ich rede über Vietnam. Dabei gibt es nur die Ich-Form. So, als wäre Emil nicht mit mir dorthin geflogen. Als hätte er mir nicht gesagt, dass er ein Kind von mir wolle.

Ich rede über den Sternenhimmel, die Milchstraße, die einen magisch anzieht. Wie gut man die Sterne sehen kann, wie eindrücklich sie leuchten, wie früh es dunkel wird und die Nacht trotzdem irgendwie immer hell wirkt. Ich rede von der Bucht, die zu einer Seite hin so einsam schien, so menschenleer, von der Farbe und der Beschaffenheit des Sandes, wie er sich angefühlt hat, als ich ihn durch meine Hände rieseln habe lassen. Ich erzähle ihm von dem Meer, das so warm war, dass man sich darin nicht abkühlen konnte. Mehr als würde man in eine Badewanne steigen oder in ein Becken voll Pisse, und Leo muss lachen. Ich beschreibe ihm die Seesterne, die in dem seichten Wasser lagen, dass sie wie Plastikanfertigungen ausgesehen hätten. Rosarot und steif und bewegungslos. Leo hört zu, er nickt, manchmal stellt er eine Frage. Auch er tut so, als würde es Emil nicht geben.

Leo hat Kinder, und er hat eine Frau, und er hat ein anderes Leben. So wie ich. Manchmal sagt er, dass er sich verändere. Manchmal auch, dass er sich trennen möchte. Irgendwie neu anfangen. Irgendwie auch nicht.

Ich denke an meinen Vater. Ich denke an die Zeit, in der ich Emil kennengelernt habe. Sicherheit, habe ich damals gedacht, das ist es, was zählt im Leben. Und jetzt sitze ich hier mit Leo. Nichts mehr ist sicher. Ich weiß nicht, was aus Emil und mir wird. Ich ficke Aglan, hocke in einer Affärenwohnung, um zu frühstücken. Ich weiß nicht, wo ich hinwill. Vielleicht in eine neue Stadt ziehen, neue Menschen kennenlernen. Dieses enge Gefühl loswerden.

Leo sieht mich an. Ich muss lachen, wenn ich in sein Gesicht schaue. Er erzählt Witze, die keine Pointe haben, aber seine Augenbrauen zucken dabei. So, dass man lachen muss. Wenn es schwierig wird, bleibt er still, er bleibt glatt und ausdruckslos. Ich mag den Sex mit ihm, ich mag den Rhythmuswechsel. Ich mag, wie anders sein Körper ist, wie ungewohnt es ist, seinen Umfang wahrzunehmen, seinen Bauch, auf den ich meinen Kopf lege. Ich mag, dass er älter ist. Weil er nicht davon redet, eine Familie zu gründen. Weil er aus der Wohnung in sein Haus geht. Weil es eine Mauer zwischen uns gibt, die man zwar überspringen, aber nicht niederreißen kann.

Leo erzählt viel. Wenn ich etwas von mir erzähle, hakt er meist ein. Vietnam war eine Ausnahme. Mir kommt das entgegen. Ich kann mich hinter den Zwischenfragen verbergen, mit denen man Menschen zum Reden bringt.

Ich glaube, er hat mich vermisst. Leo will meine Stimme hören und meinen Körper ansehen und sich wundern, dass wir beide hier sitzen. Wir sind fast nackt. In der Wohnung ist es warm. Wir sitzen am Tisch und haben unsere Rollen vertauscht.

Leo sieht mich an und sagt: „Hattet ihr oft Sex?“ Nicht wie der Ich-will-Vater-werden-Moment, aber doch unangenehm.

„Was heißt oft?“

„Na ja, ich weiß nicht, mehr als dreimal die Woche“, erklärt er.

Es klingt, als würde er etwas erfinden. Weil Definitionen in unserer Situation ungültig sind. Weil einmal dasselbe bedeuten kann wie viel.

Ich schüttle den Kopf. Es stimmt nicht ganz. Vielleicht könnte es im Durchschnitt hinkommen. Ich hatte nicht immer Lust auf Emil, aber genauso oft doch. Ich hatte Bock auf die Nähe und die Orgasmen, und im Urlaub wird der Kopf frei. Weiter fragt Leo nicht.

Er sagt mir, dass ich ihm gefehlt hätte. Ich sage ihm, dass er mir gefehlt habe. Ehrlich. Keine Durchschnittsberechnung. Ich erzähle ihm, dass ich gerne mit ihm getanzt hätte. Mit den nackten Zehen im Sand. Durch die schwarzen Wellen, die an den Strand rollen. Die unsere Fußabdrücke auslöschen, so als hätte es sie nie gegeben. Er zieht mich zu sich, auf seinen Schoß.

Aglan blitzt vor meinen Augen auf, und das schlechte Gewissen verschafft sich Raum. Leo gegenüber und Emil gegenüber, das größer ist. Ich wünsche mich zurück auf den Küchentisch mit dem Plastiküberzug, wünsche mir das Koks zurück und die Unbeschwertheit.

Sanft streicht Leo über meine Brust, dreht meinen Oberkörper zu sich, küsst mich. Ich stehe halb auf, ziehe meine Unterhose nach unten und setze mich wieder. Leo streichelt meinen Rücken, die Wirbelsäule entlang. Ich spüre, dass ich feucht werde.

Leo führt mich zum Sofa. Ich lege mich auf den Bauch. Alle Bewegungen fließen ineinander, die eine löst die nächste aus, und jede passt. Alle lassen sich ausführen, ohne darüber nachdenken zu müssen. Leo drückt meine Lippen etwas auseinander, seinen Schwanz in mich. Er stöhnt auf. Es fühlt sich gut an. Nicht wie Aglan. Nicht wie Emil. Heute bleibt er ruhig. Er stößt mich langsam, ich strecke mich ihm entgegen. Ich habe einen Orgasmus. Er merkt es, er fickt schneller, er kommt. Dann bleibt er auf mir liegen und sagt: „Ich will für immer in dir sein.“ Sekunden später schlafe ich ein.

Es ist Nachmittag, als ich aufwache. Ich strecke mich im Bett aus, und die Sonne scheint auf meinen nackten Arsch. Leo hat ein Fenster gekippt, bevor er gegangen ist, und jetzt höre ich die Leute reden, die unten vorbeispazieren. Er kann nicht immer bei mir sein. In mir schon gar nicht. Das würde das Leben verkomplizieren, stelle ich mir vor und muss grinsen.

Emil, denke ich und hole mein Handy aus der Tasche. Eine Nachricht von Sylvie. Wohin ich verschwunden und ob alles in Ordnung sei, fragt sie. Ein Anruf von Emil, vor dreißig Minuten erst, und ich weiß, dass ich zurückrufen sollte. Stattdessen schreibe ich ihm, dass ich noch ein bisschen bei Sylvie bliebe und später nach Hause käme. Dass wir den Nachmittag auf dem Sofa verbrächten, um unseren Kater auszukurieren und uns gegenseitig zu bemitleiden. Dass ich keine gute Gesellschaft wäre. Manchmal schlafe ich auswärts, übernachte bei Freundinnen. Emil fragt nicht nach. Emil ist sicher, dass ich am nächsten Tag zurückkomme und dass da nichts ist, was mich davon abhalten könnte.

Mir ist ein wenig schlecht. Rum und Cola. Aglan und Anna machen es nicht besser. Leo auch nicht. Ich stehe auf, stelle mich unter die Dusche. Das Wasser plätschert an mir herab. Ich muss mich hinsetzen. Die Duschwanne ist kühl unter meiner Haut, obwohl sich die Kabine bereits mit Dampf füllt. Ich lasse das Wasser über meinen Kopf fließen, schließe die Augen und recke mein Gesicht gegen den Strahl. So bleibe ich, zehn Minuten, vielleicht auch fünfzehn. Ich vergesse die Zeit und den Rest, streichle meinen Bauch. Jetzt ist es so weit, denke ich. Ich muss kotzen. Und: Gott sei Dank bin ich in der Dusche. Hier sieht mich keiner. Widerlich ist es trotzdem. Verdient auch.

Das Zähneputzen und der Kaugummi haben geholfen. Ich fahre mit dem Bus zu meinem Vater. Über Geraden und Kurven. Ab und zu versuche ich, sie zu zählen, eine nach der anderen oder nur die linken und nur die rechten, bis mir irgendwann übel ist. Jetzt ist mir schwindelig. Mein Vater wohnt im Wald. Das Häuschen sieht ein wenig aus wie das, das Emil am Anfang unserer Beziehung gezeichnet hat. Ein kleines Haus zwischen hochgewachsenen Bäumen.

Er sitzt auf der Terrasse, als ich komme, und liest Zeitung.

„Hallo“, sage ich.

Er winkt und gibt mir ein Zeichen, das heißt: Ich hab’s gleich, ich muss das noch fertiglesen. Ich setze mich neben ihn und schaue ihn an. Ich frage mich, ob ich aussehe wie er. Ob ich etwas von ihm habe, die Nase oder den Mund.

„Hör dir das an“, sagt er.

Dann liest er die zweite Hälfte eines Artikels vor. Ich mag, dass er mir aus der Zeitung vorliest, mit mir teilt, was er als wichtig empfindet. Und ich mag seine Stimme. Sie klingt brummig und nach natürlicher Ruhe. Sie klingt nach Farben. Braungrünblau, denke ich, und sie lullt mich ein.

„Wie geht es Emil?“, fragt er.

„Gut“, sage ich.

„Alles okay bei euch?“

„Ja“, sage ich. „Und bei dir?“

„Mir geht’s gut.“

So beginnt unser Gespräch, und eigentlich hört es auch so auf. Wir reden nicht viel. Wir sind einfach da. Als wären zwei Menschen, die sich nicht kennen, aber Sympathie füreinander empfinden, zufällig am selben Ort. Ich sitze also auf dieser Terrasse, und er liest laut aus der Zeitung vor. Manchmal auch aus einem Buch. Er liest enthusiastisch, als würde er ein Theaterstück auf die Bühne bringen. Für mich, denke ich dann.

Wir reden nicht darüber, was meine Mutter ohne ihn macht. Oder warum sie sich getrennt haben. Aber wenn er mit ihr so viel geredet hat wie mit mir, denke ich, können sie kaum gestritten haben. Man könnte meinen, ich müsste das wissen, aber ich erinnere mich kaum daran.

Ich erinnere mich nur an kurze Sequenzen und Bilder. Ich sehe den gemeinsamen Urlaub in Italien vor mir. Ich sehe, wie wir mit dem Auto dorthin fahren. Ich auf dem Rücksitz, meine Eltern vorne, Pinienbäume neben der Straße. Die Fenster sind heruntergekurbelt, der Wind bläst durch unsere Haare. Der Himmel ist so blau, ich habe mir damals gedacht, so einen blauen Himmel werde ich nie wieder sehen. Wir singen, und mein lautes Lachen füllt den Wagen. Meine Mutter sitzt am Steuer. Mein Vater hat die Straßenkarte ausgebreitet. So fahren wir, bis das Meer vor uns auftaucht. Ich sehe es zum ersten Mal. Und ich bin sicher, dass es ein Trugbild ist, vielleicht eine Fata Morgana, die in Sekunden entsteht und wieder verschwinden wird. Das Wasser hat kein Ende. Die Welt würde hineinpassen, denke ich. Den ganzen Weg, den wir von zuhause bis hierhin gefahren sind, könnten wir in dieses Meer schieben, und es wäre noch immer Platz. Ich schaue in die Ferne, den Horizont an. Den ganzen Abend lang.

 

Der Bus bringt mich zurück. Ich blicke aus dem Fenster, und die Landschaft zieht vorbei. Ich schaue auf die Felder mit dem hohen Gras, die bald von den Häusern der Vororte abgelöst werden. Mir fällt ein, wie oft ich als Kind mit meiner Mutter an diesen Häusern vorbeigefahren bin. Schon wieder Mama, denke ich, und dass ich mich bei ihr melden sollte. Diese Häuser waren das Anzeichen dafür, dass wir der Stadt nahe waren. Die ersten ohne Dächer, nur gerade Flächen, keine Spitzen oder Schindeln. Wohnblöcke, Hochhäuser. Ich beobachte die Autos. Mit Menschen, die ein Ziel haben, denke ich. Nach Hause fahren sie oder weg davon. Hunderte Kilometer vielleicht, überlege ich, vielleicht tausend, und stelle mir vor, wo sie landen werden. Ich stelle mir weit entfernte Orte vor, stelle mir vor, dass sie fahren, bis sie am Ende des Kontinents angelangt sind und nur mehr Wasser sehen.

Jetzt freue ich mich auf Emil. Ich freue mich darauf, ihn daheim zu treffen, ihn anzuschauen. Ich weiß, dass er da sein wird, dass er wahrscheinlich in seinem Lesesessel sitzt, dass er darauf wartet, dass ich auftauche und wir gemeinsam essen oder uns auf das Sofa legen. Ich mag, dass er da ist, wenn ich in die Wohnung komme. Ich will sein Gesicht sehen und mich davon überzeugen, dass er noch immer Emil ist. Dass wir noch immer wir sind, ich immer noch ich.

Von der Bushaltestelle sind es nur ein paar Minuten zu Fuß. Ich schlendere langsam die Straße entlang, die Kopfhörer in meinen Ohren, und höre Musik.

We don’t cook and we don’t fix. Summer wine is all we need. Seven glasses in a row.

Es ist noch hell draußen, es ist Sommer, aber es wird langsam dunkler, und die Leute, die in ihren Wohnungen sind, haben Licht angemacht. Ich gehe vorbei an den Fenstern und schiele hinein, in andere Leben, in Zimmer, die etwas erzählen, obwohl keines von ihnen besonders ist. Ich sehe Küchentische, Wohnzimmer, Betten und Lichterketten, Stehlampen, die die Räume warm wirken lassen. Man würde am liebsten anklopfen, um sich auf dem Bett auszustrecken, um sich nackt auszuziehen und zu spüren, wie die Luft durch die offenen Fenster nach innen dringt. Vor unserem Wohnhaus bleibe ich einen Moment stehen, sehe, dass auch bei uns Licht brennt, jedenfalls im Schlafzimmer, und muss daran denken, was ich die letzten Stunden getrieben habe. Was ich in anderen Betten und auf anderen Küchentischen getan habe, und dann gehe ich durch die Tür.

„Emil“, rufe ich.

„Hier“, ruft er zurück.

Emil sitzt auf der Couch, und ich streichle über seinen Kopf. Diesmal nimmt er meine Hand. Er zieht mich zu sich, und ich lege mich neben ihn, meinen Kopf auf seinen Oberschenkel. Wir reden über die Party, über Sylvie. Ich erzähle ihm, dass ich zu viel getrunken habe und zu viel geraucht und auch, dass ich mich übergeben habe. Emil hält mich im Arm, und ich werde müde. Beinahe fallen mir die Augen zu. Ich versuche, wach zu bleiben. Emils Finger berühren die Stelle knapp unter meiner Brust.

Dann sagt er: „Hast du darüber nachgedacht?“

„Worüber?“, frage ich.

„Dass es Zeit wird.“

Ich bleibe still. Dass es Zeit wird, denke ich und nichts weiter. Ich habe das Gefühl, keinen Satz mehr vorausüberlegen zu können.

Ich stehe auf und sage, dass ich noch brauche.

„Wie meinst du das?“, sagt er.

Und dann raffe ich mich auf.

„Ich glaube nicht, dass wir jetzt ein Kind bekommen sollten. Ich will meine Arbeit nicht aufgeben, ich will keinen Mutterschutz, keine Elternzeit. Die Redaktion, das Schreiben, die Arbeitskolleginnen. Ich würde Monate ausfallen. Mindestens.“

Ich denke daran, dass mir das Magazin gefällt, für das ich schreibe, dass mir das Recherchieren liegt. Ich denke auch, dass ich weiß, dass mich dieses Kind zurückwerfen würde. Selbst wenn ich es schon knapp nach der Geburt in eine Krippe bringen würde. Selbst wenn Emil die Hälfte der Betreuung übernehmen würde. Ich würde nicht arbeiten können, wie ich es vorher getan habe. Ich würde nicht nächtelang schreiben können, wenn es gerade nötig ist. Mein Leben hätte einen anderen Fokus.

„Und es könnte Monate dauern, bis es funktioniert“, redet er weiter. „Und du bist neun Monate schwanger. Es ist nicht so, dass das Baby übermorgen da ist, wenn wir uns dazu entschließen.“

„Genau“, antworte ich und gehe.

Jetzt liege ich auf dem Bett. Ich frage mich, was ich will. Emil hantiert in der Küche. Er bereitet Essen zu. „Mir ist schlecht“, habe ich gesagt.

„Dann isst du nichts?“, hat er gefragt.

Ich streichle meinen Bauch. Und male mir aus, wie es wäre, würde darin ein Baby wachsen. Wie riesig er werden würde, der Bauch. Ich denke darüber nach, wie ein Baby dort hineinpassen soll. Er ist doch nicht das Meer. Ich sehe die Bauchwand vor mir, wie sie sich ausdehnt, nach vorne und zur Seite. Ich sehe meine Haut vor mir und wie sie langsam dünner wird. Ich frage mich, ob meine Mutter sich gefreut hat. Über mich. Über die Schwangerschaft. Ob sie sie geplant hat. Ob mein Vater überrascht war. Ob sie sich gemeinsam entschlossen haben, ein Baby zu zeugen.

Emil ist vierzig. „Ich kann sowieso kein junger Vater mehr sein“, hat er gesagt. „Und du solltest keine alte Mutter werden. Ab fünfunddreißig ist es eine Risikoschwangerschaft.“

Zu viele Chromosomen. Emil hat es mir vorgekaut. Vorgekaut und hingespuckt. Ich wollte es nicht hören. „Außerdem bekommen wir nicht nur ein Kind.“ Als würde dadurch alles klar. „Wir wollen eine große Familie. Wir müssen jetzt damit anfangen. Das ist unser Plan.“

Ich stelle mir vor, wie es wäre, zuhause zu bleiben, das Baby zu versorgen. Jeden Tag nur das hier. Diese Familie, diese Wohnung, dieses Leben. Jeden Tag. Und an die neun Jahre denke ich, die wir zusammen sind. Wie Emil sich verändert hat, wie ich mich verändert habe. Dass wir darüber geredet hatten, noch einmal wegzuziehen, dass wir andere Städte kennenlernen wollten, andere Menschen, andere Strukturen. Ich denke daran, dass wir uns nicht einzwängen lassen wollten.

Leo sagt, das sei normal. Man sei nicht immer auf dem gleichen Level, aber man müsse sich wieder treffen. „Du und deine Frau“, habe ich gefragt, „habt ihr euch getroffen? Immer wieder?“ Er hat genickt. Und mir gesagt, dass auch das eine Art Liebe sei.

Ich bin ins Bad gegangen und habe geweint. Ich habe die kahlen Fliesen angesehen, die begonnen haben, vor mir zu tanzen. Ich habe sie angesehen, bis sie wieder ruhig und ordentlich wurden.

Emil kommt ins Bett.

„Du siehst müde aus“, sage ich.

„Du auch“, sagt er.

Es stimmt, ich bin müde. Von den Nächten und Tagen. Von den Gedanken und dem Adrenalin. Von den Männern und dem Baby, das es nicht gibt, das aber trotzdem da ist. Ich schließe die Augen, drehe mich auf die Seite. Mein Kopf ist nicht müde, er denkt weiter. Augen wieder auf. Emil beobachtet mich, und ich sehe ihn an. Ich fasse an seine Wange, berühre seinen Arm, der mir plötzlich schmal vorkommt, sein ganzer Körper ist mit einem Mal klein geworden. Als müsste man ihn schützen, ihn umarmen und in den Schlaf wiegen. Er küsst mich auf die Stirn und dreht sich um.

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