Mad about you

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Lilly

»Was willst du damit sagen, du hast mit ihm geschlafen?« Kristen schiebt eine lange blonde Strähne hinter ihr Ohr und reißt die Augen auf. »Mit Braden Bennet? Wieso? Und wann, in Gottes Namen?«

»Vor fünf Jahren.« Ich knibble mit beiden Händen das Etikett von der Weinflasche, die neben der Kerze zwischen uns steht. »Kurz bevor ... kurz bevor Jonathan und ich geheiratet haben.«

»Ach du Scheiße.« Kristen stößt geräuschvoll Luft aus. »Weiß Jonathan, dass du ihn betrogen hast? Mit ihm?«

Ich schüttle den Kopf. »Nein. Und das darf er auch nicht erfahren, sonst kann ich mir den Gang vor Gericht gleich sparen.«

»Na ja, es war vor eurer Ehe, daher zählt es wohl nicht für die Schuldfrage.« Kristen legt den Kopf schief und streckt eine Hand über den Tisch, um meine zu greifen. »Hey, mach dir keinen Kopf! Braden ist vernünftig, er kann damit ganz bestimmt umgehen. Und er ist eindeutig der beste Scheidungsanwalt, den ich dir besorgen kann. Der Rest meiner Kollegen ...« Sie hebt beide Arme und lässt sie fallen. »Du hast mit Jonathan natürlich den härtesten Gegner. Also brauchst du jemanden, der es mit ihm aufnimmt. Und ich bin mir sicher, dass Braden das schafft.«

»Ja, bestimmt.« Meine Stimme klingt verzweifelt. Langsam halte ich das abgeknibbelte Etikett in die Kerzenflamme und sehe zu, wie es nach kurzem Glühen zu schwarzem Staub zerfällt. Ein beißender Geruch dringt mir in die Nase. »Aber es ist wirklich ... seltsam.«

»Ich kann dich ja verstehen.« Kristen grinst. »Er ist scharf. Wenn er nicht so ein fieser Hund wäre, könnte ich sogar in Versuchung kommen.«

Ich muss lachen. »Bist du schon mal gegen ihn angetreten, vor Gericht, meine ich?«

Sie nickt. »Oh ja. Und ich habe kläglich verloren. Eine meiner schlimmsten Erfahrungen.« Dann beugt sie sich über den Tisch und senkt die Stimme. »Oder hast du Angst, es könnte wieder was passieren? Mit euch, meine ich?«

Erschrocken hebe ich beide Hände. »Nein, um Gottes willen! Glaub mir, ich habe fürs Erste genug von Männern. Außerdem wäre das tödlich für meine Aussichten.«

»Ja, das wäre es. Schließlich geht es um ziemlich viel Kohle.« Kristen rümpft die Nase und nippt an ihrem Rotwein. Die Weingläser in dem kleinen italienischen Restaurant sind so groß, dass man die ganze Flasche auf einmal hineinschütten könnte, ohne einen Tropfen zu verschwenden. Im Gegensatz zu Kristen schaffe ich es nicht, meines elegant am Stiel zu halten und greife stattdessen mit beiden Händen um das bauchige Glas.

»Auf wie viel klagst du?« Kristen sieht mich neugierig an. Ich zucke mit den Schultern und trinke einen Schluck Wein.

»Das weiß ich nicht. Die Hälfte seines Vermögens, schätze ich. Aber wie viel das genau ist ... keine Ahnung. Er hat sich ja in den ganzen Jahren nie in die Karten gucken lassen.«

Kristen lacht. »Das sieht ihm ähnlich, dem alten Fuchs. Braden wird das für dich rausfinden, glaub mir. Das ist seine Spezialität! Er hat schon vielen betrogenen Ehefrauen zu ihrem Recht verholfen.«

Zu ihrem Recht ... Mein Magen verkrampft sich. Ich bin selbst Juristin, wenn auch keine besonders erfolgreiche. Im Gegensatz zu Kristen, die in einer Kanzlei als Partnerin arbeitet, habe ich die Sicherheit und Bequemlichkeit einer Angestelltenposition vorgezogen. Weil mir meine Freizeit wichtig war, und weil ich glaubte, bald Mutter zu werden. Mutter von Jonathans Kindern. Wie sehr man sich doch täuschen kann.

Ich leere mein Glas in einem Zug und stelle es so heftig auf den Tisch zurück, dass er sanft wackelt. Kristen zieht eine Braue hoch, sagt aber nichts.

»Ich bin auf Jonathans Geld nicht angewiesen. Am liebsten würde ich meine Ansprüche ablehnen, wenn er dafür einer schnellen Scheidung zustimmt. Ich will endlich wieder frei sein.«

Kristen rümpft die Nase und mustert mich eindringlich. »Lilly, das wäre nicht nur dämlich von dir, sondern ... ach, mir fällt gar kein passendes Wort dafür ein. Du warst fast fünf Jahre mit ihm verheiratet. Du solltest nehmen, was du kriegen kannst. Zum Teufel, früher warst du auch nicht so rücksichtsvoll. Ich hatte dich eigentlich immer als harte Staatsanwältin gesehen, aber in den letzten Jahren hast du dich echt nicht gut entwickelt. Manchmal kommst du mir vor wie ein Teenager. Oder wie deine Mutter.«

Ich muss lachen. »Lass meine Ma aus dem Spiel«, scherze ich mit dem Weinglas drohend und lehne mich im Stuhl zurück. »Sie ist prima, so, wie sie ist.«

»Klar. Für dreckige Schuhe wäre sie perfekt. Als lebendiger Fußabtreter. Aber sonst ...« Kristen hebt die Schultern und schenkt uns Wein nach. Der letzte Tropfen, der sich aus der Flasche quält, fällt in mein Glas. »Noch eine?«

»Nein, lass mal«, winke ich ab. »Ich glaube, das reicht mir für heute. Ich möchte dringend auf meine Couch. Aber danke, dass du dir so spontan Zeit für mich genommen hast.«

»Hey.« Kristen greift nach meiner Hand und drückt sie. »Das ist doch klar. Du bist meine beste Freundin, Lilly. Seit Jahren.«

»Ich bin deine einzige Freundin«, erwidere ich und zwinkere ihr zu. »Vor lauter Ehrgeiz hast du irgendwie vergessen, dich um dein Privatleben zu kümmern. Und das bezieht sich nicht nur auf deinen fehlenden Ehemann.«

»Ich brauche keinen Mann, der mich nicht ausreden lässt, mich betrügt und im Urlaub die Restaurantrechnung mit mir teilt«, erklärt sie bitter, und ich zucke zusammen. Sofort ziehe ich meine Hand zurück.

»Meinst du das ernst?«, frage ich sauer. Gut, ich habe selbst kaum ein gutes Haar an Jonathan gelassen, seit ich weiß, dass er fremdgeht. Aber es ist ein Unterschied, ob ich so über meinen Ehemann spreche oder jemand anderes. So, wie sie es sagt, könnte man denken, er ist ein totaler Arsch. Nur wäre ich dann eine Idiotin, weil ich es so lange mit ihm ausgehalten habe. Und das bin ich nicht. Jonathan hat auch gute Seiten, obwohl er sich in den letzten zwei Jahren redlich Mühe gegeben hat, sie vor mir zu verbergen.

»Es tut mir leid, Lilly. Ich wollte dich nicht verletzen. Aber du weißt schon, was ich sagen will.« Sie trinkt einen Schluck, ohne mich anzusehen. Ihr Blick schweift durch das etwas düstere Lokal. Die meisten Gäste sind schon gegangen und der blasierte Kellner sieht aus, als ob er uns einen Magen-Darm-Virus wünscht, damit wir endlich auch verschwinden und er aufräumen kann. Hoffentlich waren die Meeresfrüchte auf den Spaghetti, die ich vorhin appetitlos gegessen habe, frisch. Mein Magen rumort, was vermutlich eher an der Aufregung von heute liegt.

»Hast du am Wochenende Zeit? Ich dachte, wir könnten am Samstag ausgehen oder so. So wie früher.« Lächelnd krame ich in meiner Handtasche nach dem Portemonnaie und winke ab, als Kristen ihres auf den Tisch legt. »Lass nur, ich hab dich eingeladen.«? Kristen schüttelt den Kopf und steckt die Brieftasche wieder ein. »Danke. Am Wochenende kann ich leider nicht, sorry. Ich fahre zu meiner Familie.«

»Nach Schottland rauf? Schon wieder?« Ich staune sie an, während ich dem Kellner winke. »Du warst ganz schön oft oben in letzter Zeit, oder?«

Sie zuckt die Achseln. »Meinem Vater geht es nicht besonders. Der Hodenkrebs ist zurück und du weißt ja, wie er ist.«

»Das tut mir leid. Bestell ihm liebe Grüße von mir, ja?«

Ohne die Rechnung auch nur anzusehen, schiebe ich dem Kellner meine Kreditkarte hin und stehe auf, um meinen Blazer anzuziehen. »Dann vielleicht nächste Woche?«

»Ja, mal sehen.« Sie wirkt auf einmal fahrig. Wahrscheinlich deprimiert sie der Gedanke an ihren Vater, was ich sehr gut verstehen kann. Im Angesicht solcher Krankheiten erscheinen mir meine eigenen Probleme immer winzig. Wie ein lästiger Pickel oder ein Juckreiz, der einen zwar quält, aber nicht lebensbedrohlich ist. Ich bin gesund, ich habe einen vernünftigen Job und sollte zufrieden sein. Was bedeutet heutzutage schon eine Scheidung? Ich bin damit in bester Gesellschaft.

Draußen empfängt uns kühle Abendluft. Fröstelnd ziehe ich die Schultern zusammen und halte Ausschau nach einem Taxi.

»Bis bald.« Kristen nimmt mich in den Arm und drückt mich an sich. »Und viel Erfolg mit Braden. Wenn er dir an die Wäsche will, hau ihm auf die Finger.« Sie grinst mich an. Ihr Lippenstift ist kaum noch zu sehen, das Essen hat ihn abgewaschen. Aber ich finde sie viel schöner ohne das Make-up. Im Gegensatz zu mir hat sie das Zeug nicht nötig. Ich hingegen fühle mich ohne völlig neutral, von meinen rötlichen Haaren abgesehen. Sogar meine Klamotten sind in den letzten Jahren farblos geworden. Als ob ich mich in Unbedeutsamkeit auflösen wollte.

Als ein schwarzes Taxi mit leuchtendem Schild sich nähert, springe ich auf die Straße und halte meinen Arm hoch. Kristen wohnt in der Nähe und geht zu Fuß, aber ich wohne neuerdings in einer kleinen Wohnung in Camden. Das gesamte Apartment ist nicht viel größer als das Wohnzimmer in Jonathans Haus in Kensington, was egal ist. Denn es ist meins, ich bin frei dort. Und die Freiheit genieße ich, seitdem ich vor vier Wochen ausgezogen bin.

Nach einer halben Stunde Fahrt sind wir angekommen. Ich bezahle mit meiner Kreditkarte, schlüpfe aus dem schwarzen Wagen und eile auf die Haustür zu. In diesem Moment vibriert mein Handy in der Handtasche, und ich schaue verdutzt nach, wer mich so spät abends noch anrufen könnte. Die Nummer ist mir nicht bekannt, also gehe ich ran.

»Hallo?«

»Lilly? Hier ist Braden.« Ich hole tief Luft. Seine Stimme löst eine Gänsehaut bei mir aus. Was will er denn um diese Uhrzeit von mir? Mit einer Hand schließe ich die Haustür auf, klemme das Handy zwischen Schulter und Kinn und schaue in den leeren Briefkasten. Dann gehe ich die Treppe hoch in den dritten Stock.

 

»Braden. Tut mir leid, es ist spät und ich bin gerade erst nach Hause gekommen.« Und nicht mehr ganz nüchtern, stelle ich innerlich kichernd fest, als ich fast über die Fußmatte stolpere. Kristens Spruch über meine Mutter schießt mir durch den Kopf, aber ich versuche, nicht dran zu denken und sperre die Tür auf.

»Sorry, ich wusste nicht, dass du noch unterwegs warst. Ich wollte mich nur erkundigen, wann du Zeit für mich hast?«

»Für dich?« Mein Herz klopft schneller. Er will sich doch wohl nicht mit mir verabreden? Himmel, die Situation ist so seltsam, da kann er mich unmöglich fragen, ob ich ...

»Wegen der Unterlagen. Ich habe sie vorhin grob durchgesehen, aber es gibt natürlich eine Menge offener Fragen. Insbesondere die Schuldfrage dürfte in eurem Fall wichtig sein, da ich annehme, dass dein Ex-Mann möglichst günstig aus der Ehe rauskommen will. Und in Anbetracht seines Vermögens ...«

Ich schnaufe und schiebe die Tür mit dem Fuß zu, während ich mich unbeholfen aus dem Blazer quäle. Dummerweise habe ich die Heizung heute Morgen voll aufgedreht und nicht abgeschaltet, bevor ich das Haus verlassen habe. Jetzt herrschen in der kleinen Wohnung Saunazustände.

»Hast du einen Vorschlag? Ich bin relativ frei diese Woche, aber nächste Woche fliege ich nach New York, da wäre es nicht so günstig. Also sollten wir es vielleicht schnell hinter uns bringen.«

»Donnerstag? Oder Freitag? Ich richte mich nach dir.« Er klingt besonnen, wie immer. Ganz bei sich. Nachdenklich lasse ich mich auf mein Ledersofa fallen und strecke die müden Beine aus. Meine blickdichte Strumpfhose reflektiert das Licht der Deckenleuchte.

»Dann ... morgen?« Meine Finger kribbeln, nachdem ich es entschlossen ausgesprochen habe. Ich nehme das Handy in die andere Hand und betrachte meine nicht manikürten Nägel. Ich mache mir nicht viel aus dem typischen Frauenkram, aber seltsamerweise finde ich meine Hände überhaupt nicht schön. Meine Finger sind lang und dünn, einigermaßen gerade, doch meine Nägel sind kurz und eckig, nicht filigran oval und schon gar nicht rund gefeilt.

Ich höre ihn mit Papier rascheln. Benutzt er etwa noch einen altmodischen Papierkalender? Grinsend warte ich auf seine Antwort und knabbere Nagelhaut von meinem Daumen.

»Morgen ist gut. Das kriege ich hin. Um acht im McQueens? Weißt du, wo das ist?«

Oh. Mein. Gott. Das macht er mit Absicht. Mein Magen schrumpft auf Erbsengröße.

»Das ist hoffentlich nicht dein Ernst?«

»Wieso, ich ... Ach, herrje.« Er lacht rau. Der Klang jagt einen Schauer über meinen Rücken. »Tut mir leid, das hatte ich ... Vergiss es. Dann woanders. Hast du eine Idee?«

»Nein«, höre ich mich selbst sagen. »Das McQueens ist prima.« Davon abgesehen, dass es mich an eine Nacht vor fünf Jahren erinnern wird. Und ich gezwungen sein werde, durch die halbe Stadt zu fahren, weil ich morgen Nachmittag bei Jonathan in Kensington bin, um meine restlichen Sachen abzuholen. Der Gedanke lässt mich aufstöhnen.

»Lass uns dort treffen. Vielleicht hilft es sogar und mir kommt das Ganze nicht mehr so schrecklich peinlich vor.«

»Es muss dir nicht peinlich sein, Lilly. Wenn überhaupt, bin ich derjenige, der sich schämen muss.« Seine Stimme klingt dunkler als vorhin. Verführerisch wie warme Schokolade, und sie fährt mir umgehend in den Bauch – und in tiefere Regionen. Mein Verstand schickt Alarmsignale an meinen Körper, aber mein Unterleib ist offenbar stärker und reagiert auf seine ganz eigene Art auf ihn. Ich sollte auflegen und die Sache beenden. Ich kann bloß nicht. Weil ich eigentlich gar nicht will? Weil das Spiel mit dem Feuer nach all den Jahren in Jonathans kalter Gegenwart so verlockend ist?

»Morgen um acht«, sage ich nur noch kurz. »Gute Nacht, Braden. Schlaf gut.«

»Gute Nacht, Schönheit«, flüstert er, dann höre ich, wie er auflegt. Mein Puls rast. Ich gehe in meine winzige Küche, hole eins von zwei alten Gläsern aus dem Schrank und schenke mir einen Whisky ein. Mit geschlossenen Augen leere ich ihn in einem Zug, dann lehne ich meinen Hinterkopf gegen den Küchenschrank und presse eine Hand auf mein pochendes Herz.

Das hier ist nicht gut. Gar nicht gut. Ich hätte heute Nachmittag direkt die Flucht ergreifen sollen, als ich noch eine Chance dazu hatte. Jetzt kann ich nicht mehr. Ich muss mich beherrschen, auf keinen Fall darf ich eine Affäre mit meinem Scheidungsanwalt anfangen. Schon gar nicht vor meiner Scheidung. Ich trinke ein zweites Glas Whisky, dann gehe ich ins Bad und putze mir auf dem Klo sitzend die Zähne. Auf einmal bin ich entsetzlich müde, aber vor meinem inneren Auge taucht immer wieder ein Lächeln auf. Ein ganz bestimmtes Lächeln.

Lilly

Meine letzte Hoffnung stirbt, als der Türsummer ertönt. Enttäuscht stopfe ich den Schlüssel in die Manteltasche zurück und drücke das Tor auf.

»Guten Tag.« Seine Begrüßung ist frostig. Er ist unrasiert und trägt keinen Anzug, was selten vorkommt. Die Tatsache, dass er nicht in der Kanzlei hockt, sollte mir Sorgen machen. In den letzten Jahren hat er sich weder an unserem Hochzeitstag noch an meinem Geburtstag frei genommen, seine Arbeit war immer wichtiger. Erinnerungen beißen mich in die Eingeweide.

»Hallo, John«, sage ich. »Ich bin nur hier, um ...«

»Ich weiß. Komm rein.« Er öffnet die Tür weiter und macht eine einladende Handbewegung, die allerdings ebenso gut mit dem international verstandenen Zeichen für Kopf ab verwechselt werden könnte, so scharf und hektisch ist sie. Es ist unfair, dass er mich so behandelt. Schließlich hat er das Ende unserer Ehe provoziert, wenn mir auch klar ist, dass daran immer zwei Menschen beteiligt sind. Die Ansicht meiner Mutter, dass ich ihm im Bett nicht genug geboten und ihn somit in das einer anderen gezwungen hätte, ist zwar lächerlich. Trotzdem weiß ich, dass ich Fehler gemacht habe in den letzten Jahren. Der größte Fehler war sicherlich, ihn geheiratet zu haben. Ich hätte es wissen müssen.

»Ich habe mir einen Anwalt genommen«, sage ich, während ich einen Karton hochnehme, den er gepackt hat. Fotos und Bücher Lilly steht darauf, das Ding ist verdammt schwer. Meine Arme werden länger, draußen wartet ein Taxi. Als ob das hier nichts weiter als ein langweiliger, stinknormaler Botendienst wäre. Ich bin aber gerade dabei, mein Leben aus diesem Haus zu radieren, das für beinahe fünf Jahre mein Zuhause war.

»Du willst es also durchziehen, ja?« Er reibt sich über das Kinn und sieht müde aus.

»Jonathan, ich kann nicht«, versuche ich auf ihn einzuwirken, obwohl ich weiß, dass es hoffnungslos ist. »Es ist besser so. Für uns beide. Wir hatten doch schon lange keine Ehe mehr.«

»Wie du meinst.« Sein Gesicht ist unbeweglich. Mit starrer Miene hält er mir die Tür auf und lässt mich den schweren Karton nach unten auf die Straße tragen. Der junge Taxifahrer stürmt mir entgegen und nimmt mir die Kiste ab, nicht ohne einen missbilligenden Blick auf meinen Noch-Ehemann zu werfen, der in der Tür stehenbleibt und uns unbeteiligt beobachtet.

»Es kommen noch zwei. Oder drei«, sage ich. »Viel ist es nicht mehr.«

»Verstehe.« Der Junge nickt. Sieht aber nicht so aus, als ob er wirklich verstünde. Wie sollte er auch? In dem Alter glaubt man noch an die Liebe. An den Seelengefährten, der irgendwo auf der Welt auf einen wartet. Dieser eine Mensch, der die perfekte Ergänzung ist und alles in einem zum Flattern bringt. Und nicht daran, dass die meisten Menschen doch denjenigen heiraten, mit dem sie zufällig um ihren dreißigsten Geburtstag herum zusammen sind. Weil sie müde sind von der jahrelangen Suche, gebrannt von zahlreichen Enttäuschungen und desillusioniert. Weil sie endlich irgendwo ankommen wollen.

Jonathan sieht mich an wie einen Eindringling, als ich an ihm vorbei in das riesige Wohnzimmer zurückgehe und den nächsten Karton hole. Kellerkram Lilly. Es gibt noch Müll oder Lilly und Badezimmerzeugs. Fast muss ich über seine Kritzeleien lachen, doch ich verspüre ebenso einen Stich im Herzen. So endet es also. Irgendwie hatte ich es mir schlimmer vorgestellt. Oder anders. Es hätte sich zumindest anders anfühlen sollen. Im Moment spüre ich gar nichts, keine Trauer, keine Wehmut. Ich bin nicht einmal mehr wütend auf ihn. Wohin ist meine Wut verschwunden? In was hat sie sich verwandelt? Ich habe keine Ahnung, aber wenn ich in mich hineinlausche, höre ich nichts. Als ob ich verstummt wäre.

Nachdem der junge Fahrer mir den letzten Karton abgenommen und im Kofferraum verstaut hat, bleibe ich unschlüssig in der offenen Tür stehen.

»Also ... dann«, sage ich und sehe Jonathan in die Augen. Sie sind verhangen, er sieht aus, als hätte er wenig geschlafen oder sogar getrunken. Dabei trinkt er selten und nur in Gesellschaft, niemals allein. Trotz der Müdigkeit ist er immer noch sehr attraktiv. Er könnte jederzeit zu einem Casting für einen James Bond-Film gehen, und ich bin mir sicher, dass er genommen würde. Seine Ausstrahlung hat mich damals schwer beeindruckt, als ich Studentin war und er mir ein Leben bieten konnte, von dem ich als Mädchen in meinem winzigen Zimmer, das ich mit meinem Bruder teilen musste, immer geträumt habe. Er war mein weißer Prinz auf dem Pferd. Und sein Pferd war ein Aston Martin von 1969, in dem ich mich zum ersten Mal verführen ließ. Hummer, Austern, Champagner, ein teures Auto, Geschenke in Schatullen von Cartier. Und schon war seine Hand unter meinem Rock, sein Mund in meiner Bluse.

Ich schüttle die Erinnerung ab und halte ihm die Hand hin. »Bis bald, Jonathan. Du siehst erschöpft aus. Vielleicht solltest du mal Urlaub machen?«

Er schnaubt durch die Nase. »Natürlich. Damit du in Ruhe einen Plan schmieden kannst, wie du an mein Geld kommst. Das hast du dir wohl so vorgestellt.«

»Du weißt, dass ich nie an deinem Geld interessiert war«, sage ich nachdrücklich. »Und ich bin es auch jetzt nicht. Du kannst es behalten. Ich will einfach nur ... weg.«

»Du hörst dich an, als ob ich ein mieses Arschloch wäre. Als hätte ich dich verprügelt, eingesperrt, sonst was. Dabei hattest du bei mir den Himmel auf Erden, und zum Dank ruinierst du meinen Ruf als Anwalt. Weißt du, was die Leute denken, wenn ich geschieden werde? Wegen angeblicher Untreue? Weißt du, dass sich die Presse darauf stürzen wird? Sie werden sich daran ergötzen, Lilian. An uns. An unserem Leid.«

»Du hast mich verletzt, Jonathan. Auch wenn das vielleicht nie deine Absicht war, aber ... ich war eine Gefangene. Und jetzt will ich frei sein. Du hörst sicher bald von meinem Anwalt. Er regelt alles für mich. Mach es gut.«

Ich drehe mich um, doch er reißt mich am Oberarm zurück. Fast falle ich rückwärts die Treppe hinunter, strauchle in der Luft und schaffe es gerade so, mein Gleichgewicht zurückzuerlangen. Weil er mich festhält. Seine Finger spannen sich wie ein Schraubstock um meinen Arm.

»Ich werde es dir nicht leicht machen, Lilian«, knurrt er. Seine grauen Augen glänzen. »Glaub nicht, dass ich es dir leicht machen werde.«

»Das weiß ich. Und es ist mir egal.« Ich schüttle seine Hand ab und gehe mit heftig pochendem Herzen die Stufen zur Straße runter. Ohne einen Blick auf das weiße viktorianische Haus zu werfen, in dem ich die letzten fünf Jahre gelebt habe, setze ich mich ins Taxi und ziehe die Tür geräuschvoll zu.

»So schnell wie möglich zurück«, sage ich, dann schließe ich die Augen und atme zum ersten Mal heute tief ein und aus. Es ist vorbei. Noch nicht ganz durchgestanden, aber es ist vorbei. Ich bin allein, ich bin frei und ich muss mich zwingen, glücklich zu sein. Weil ich Angst davor habe, einsam zu sein. Abends nach der Arbeit in eine leere Wohnung zu kommen und niemanden zu haben, mit dem ich reden kann. Ich hatte nie viele Freunde, doch die wenigen Freunde, die ich hatte, reichten mir. Bis auf Kristen ist mir keiner geblieben, alle anderen haben sich auf Jonathans Seite geschlagen. Was verständlich ist, schließlich waren sie seine Freunde, und ich habe mich durch die Ehe in ihre Leben gemogelt.

Ich bin trotzdem stolz auf mich. Weil ich es durchgezogen habe. Weil ich meine Angst endlich überwunden und ihn verlassen habe. Weil ich nicht länger ein menschlicher Fußabtreter sein wollte. Ich sollte das heute feiern. Und seltsamerweise sendet mein Körper Signale an mein Gehirn, die mir klar machen, dass er eine ganz eigene Idee für diese Feier hat.

*

»Das schwarze oder das dunkelrote Kleid? Was meinst du?«, frage ich mein Spiegelbild. Auf dem Nachttisch, den ich letzte Woche bei Ikea gekauft habe, steht ein angetrunkenes Champagnerglas. In Ermangelung einer Freundin, die ich um Rat bitten könnte, rede ich halt mit mir selbst. Was eigentlich ganz nett ist, schließlich widerspreche ich mir selten. Jetzt, so allein in einer kleinen Wohnung, fühle ich mich frei für solche Dinge. Halte in der Dusche Dankesreden für irgendwelche Preisverleihungen in eine Shampooflasche. Führe Interviews über meine Zukunftspläne, während ich ein Fertiggericht zubereite.

 

Wie stellst du dir dein Leben in zehn Jahren vor, Lilly?

Oh, ich werde beruflich erfolgreich sein, aber nicht zu sehr, weil mir meine Freizeit immer noch wichtig ist. Ich werde einen liebevollen Ehemann haben, der mich auf Händen trägt und der auch nach vielen Ehejahren die Finger nicht von mir lassen kann. Zwei oder drei reizende Kinder und eine verschmuste Katze, die mir abends die Füße wärmt. Ich werde glücklich sein. Vollständig.

Ich grinse mich im Spiegel an und zupfe an einer Haarsträhne, die aus meinem Pferdeschwanz gerutscht ist. Im Gegensatz zu Kristens sind meine Haare nicht glatt und geschmeidig wie aus einer Shampoowerbung, sondern sehr widerspenstig, weshalb ich sie aus Bequemlichkeit meistens hochstecke. Das mag daran liegen, dass ich sie nur zweimal in der Woche wasche und keine Lust dazu habe, regelmäßige Pflegepackungen und Friseurbesuche auf mich zu nehmen. Normalerweise ist es mir egal, aber ausgerechnet heute frage ich mich ständig, ob ich überhaupt noch attraktiv genug bin. Dabei habe ich nichts weiter vor, als mich mit meinem Scheidungsanwalt zu treffen. Wieso stören mich die Fältchen auf der Stirn jetzt? So sehr, dass ich vor dem Spiegel verschiedene Gesichtsausdrücke übe, um zu prüfen, bei welchem Ausdruck so wenig Falten wie möglich zu sehen sind.

»Schwarz ist seriös und stilvoll, damit machst du nichts falsch«, sagt mein Spiegelbild und nickt mir aufmunternd zu. Dann runzelt es die Stirn. »Aber dunkelrot wirkt nicht so düster und nach Trauerfeier.«

»Danke, du bist mir eine großartige Hilfe.« Seufzend stopfe ich beide Kleider in den Schrank zurück und öffne die Kiste, die Jonathan mit Müll oder Lilly beschriftet hat. Ich ziehe ein uraltes Kleid heraus. Tausend Ameisen kribbeln durch meinen Körper, als mir einfällt, wann ich es zuletzt getragen habe. Es ist das Kleid, das ich für meine Abschlussfeier an der Uni gekauft habe. Sie war an jenem Abend, drei Tage vor unserer Hochzeit. Jonathan war zu beschäftigt, um mich zur Uni zu begleiten, aber ich wollte feiern. Das Studium ist mir nicht leicht gefallen, ich habe mich ziemlich gequält und die erste Abschlussprüfung versaut. Deshalb wollte ich unbedingt diesen Tag gebührend begehen, und ich zog mit meinen Kommilitonen durch die Pubs in Hackney, wo wir nach der letzten Runde betrunken in der Bar des McQueens landeten. Und dort traf ich ihn. Braden.

Ob mir das Kleid überhaupt noch passt? Seit der Hochzeit habe ich ein paar Kilo zugenommen, die sich zum Glück auf die richtigen Stellen verteilt haben. Mein Busen ist immer noch relativ klein, aber er ist fest und prall und ich muss nicht ständig einen BH tragen, was ich besonders im Sommer zu schätzen weiß. Ohne zu zögern, öffne ich den durchgehenden Reißverschluss am Rücken und streife es über. Es passt perfekt. Besser sogar als damals. Der tiefe Ausschnitt lässt meine Brüste größer wirken, obwohl ich nur einen normalen BH trage und keinen von diesen Push-up-Dingern. Das Kleid liegt am Oberkörper eng an, der bodenlange Rock wird nach unten hin etwas weiter. Schwarze Seide mit blutroten Mohnblumen, die stellenweise mit funkelndem Strass verziert sind, schmiegt sich an meinen Körper. So sehr, dass ich selbst die Luft anhalte, als ich mich im Spiegel betrachte.

Meine Körperhaare richten sich auf, und ich weiß: Das ist es. Das Kleid, das ich tragen soll. Heute Abend. Wer weiß, wozu es gut ist.

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