Czytaj książkę: «Rien ne va plus»

Czcionka:

Katalin Sturm


Rien ne va plus

Geheime Spiele

Roman


www.Elysion-Books.com

1. Auflage: September 2020

VOLLSTÄNDIGE AUSGABE

ORIGINALAUSGABE

© 2020 BY ELYSION BOOKS GMBH, LEIPZIG

ALL RIGHTS RESERVED

UMSCHLAGGESTALTUNG: Ulrike Kleinert

FOTO: © Adobe Stock/Klein_Razoomanetu

LAYOUT &WERKSATZ: Hanspeter Ludwig

www.imaginary-world.de

ISBN (vollständiges Buch) 978-3-96000-136-2

eISBN 978-3-96000-137-9

www.Elysion-Books.com


Inhalt

Schicksalhafte Begegnung

Tagebuch Claudia

Schwere Entscheidung

Tagebuch Claudia

Erstes Treffen

Tagebuch Claudia

Der Anfang vom Ende

Tagebuch Claudia

Nachtgedanken

Tagebuch Claudia

Begehren

Tagebuch Claudia

Gefährliches Verlangen

Tagebuch Claudia

Sorgen

Tagebuch Claudia

Geschenke

Tagebuch Claudia

Entzug

Tagebuch Claudia

Drohender Abgrund

Tagebuch Claudia

Wiedersehen

Tagebuch Claudia

Bedenkzeit

Tagebuch Claudia

Sehnsucht

Tagebuch Claudia

Wiedersehen

Tagebuch Claudia

Erkenntnis

Tagebuch Claudia

Versuchung

Tagebuch Claudia

Sorgen

Tagebuch Claudia

Ausbruchversuche

Tagebuch Claudia

Hilflosigkeit

Tagebuch Claudia

Notbremse

Tagebuch Claudia

Erkenntnis

Tagebuch Claudia

Vergeblichkeit

Tagebuch Claudia

Abschied

»Ich bekenne: Das Herz klopfte mir stark, und ich war nicht kaltblütig; ich glaubte zuverlässig und sagte mir das schon lange mit aller Bestimmtheit, dass es mir nicht beschieden sein werde, aus Roulettenburg so ohne Weiteres wieder fortzukommen, dass sich da mit Sicherheit etwas zutragen werde, was für mein Lebensschicksal von tiefgehender, entscheidender Bedeutung sei.«

(Fjodr Michailowitsch Dostojewski »Der Spieler«)


Liebster Sascha,

ich hätte noch so vieles gern mit dir erlebt: Vor dem Kamin sitzen mit einem Glas Wein, ein Klavierkonzert hören, Lesen oder Schweigen. Durch buntes raschelndes Laub laufen, den Kindern beim Drachensteigen zuschauen und aus der Kälte des Herbstes in ein Café gehen, um dort heiße Schokolade oder Tee mit Rum zu trinken. Ausschlafen und dann gemütlich Frühstücken. Eine kitschige DVD ansehen und mich hinterher von dir trösten lassen. So vieles hätte ich gern noch mit dir erlebt, Liebster – ich hoffe, du hast nichts dagegen, wenn ich dich einmal, ein erstes und ein letztes Mal so nenne – doch es soll nicht sein.

Deshalb hältst du jetzt diesen Brief in deinen Händen. Ich finde es dem Anlass angemessener, auf die alte Weise und nicht auf der Tastatur diese letzten Worte an dich zu schreiben. Und ich schicke dir mein Tagebuch, denn ich weiß nicht, wem ich es sonst vermachen sollte. (Ich hoffe, du bekommst wegen dieses Päckchens keinen Ärger mit deiner Frau!)

Es bleibt mir nur, dir zu danken. Du hast mir in den letzten Monaten mehr gegeben, als je ein Mensch in meinem ganzen Erwachsenenleben zuvor. Durch dich habe ich mich noch einmal jung gefühlt. Als begehrenswerte Frau. Ganz. Bitte sei nicht traurig. Ich bin sicher, es ist das Beste so. Für mich und vor allem für dich. Behalte mich in guter Erinnerung. Wenn es da drüben so etwas wie ein Weiterleben gibt, wirst auch du bis in alle Ewigkeit einen Platz in meinem Herzen haben.

Für immer die Deine! Claudia.

Ich las den Brief, doch ich verstand nicht, was sich hinter diesen Worten verbarg. Claudia, tot? Das konnte nicht sein! Klar war mir aufgefallen, dass sie in den letzten zwei Tagen nicht auf meine Nachrichten geantwortet hatte und auch telefonisch nicht erreichbar gewesen war. Doch solche Auszeiten hatte sie sich zwischendurch immer mal gegönnt.

»Ich will nicht zu sehr von dir abhängig werden«, hatte sie als Erklärung angegeben, wenn sie wieder aus der Versenkung aufgetaucht war. Deshalb hatte ich auch diesmal keinen Verdacht geschöpft. Auch wenn mir, wie jedes Mal, wenn sie auf Tauchstation gegangen war, ihre Nachrichten gefehlt hatten. Und wie! Es war, als sei ein Band gerissen, das mich mit einer Intensität an diese Frau geknüpft hatte, die mich zunehmend beunruhigte. Denn das, was ich zuerst von dieser Verbindung erwartete, war viel weniger gewesen, als das, was ich schließlich bekommen hatte. Konnte es auch ein Zuviel geben?

Mit zitternden Händen nahm ich das schwarze Notizbuch aus dem Umschlag, das zusammen mit dem Brief in meinem Kasten gelandet war, und zog das Gummi herunter. Ich schlug es auf. Die Schrift darin war dieselbe wie auf dem weißen Papier, auf das sie ihre letzten Worte gesetzt hatte. Bei diesem Gedanken musste ich schlucken. Ich blinzelte, um den Tränenschleier zwischen den Wimpern zu entfernen. Ein Tropfen fiel auf die erste Seite und ein Buchstabe begann zu zerlaufen. Ein E. Sie musste mit Tinte geschrieben haben. Leicht nach rechts geneigt, gleichmäßig, mit schön geschwungenen Ober- und Unterlängen.

Als ich das Datum auf der ersten Seite sah, ohne ein Vorwort oder Ähnliches, war mir klar, dass sie dieses Tagebuch schon am Folgetag unseres Kennenlernens begonnen hatte. Und ein Film begann vor meinem inneren Auge abzulaufen.


Schicksalhafte Begegnung

Es war ein Bankjubiläum gewesen, zu dem ich mit drei meiner Kollegen und dem mobilen Casino nach Frankfurt gekommen war. Im Vorfeld hatte ich schon mit ihr gemailt und telefoniert, denn sie war für die Organisation der Veranstaltung verantwortlich gewesen. An diesem Abend hatten wir uns das erste Mal gegenübergestanden, noch ein paar letzte Details zur Zeitplanung und zum Ablauf des Abends besprochen. Ich hatte sie als Businessfrau wahrgenommen, in ihrem schwarzen Kostüm mit weißer Bluse darunter, der Rock eine Handbreit über dem Knie endend und die Füße in Pumps mit halbhohem Absatz. Sie war größer als ich, was nicht sehr oft vorkam, doch ihre Figur hatte ich nur beiläufig bemerkt. So, wie ich Frauen, die an meinem Tisch spielten, stets beiläufig mit einem raschen Blick wahrnahm. Hatte diese Dame etwas Besonderes an sich, eine Ausstrahlung, auffallend schöne Hände oder einen besonders lasziven Augenaufschlag? Ich war mittlerweile ein Meister im Einschätzen dessen, was sich hinter der aufgehübschten Fassade der elegant gekleideten Frauen verbarg. Einsamkeit? Leere? Sexuelle Unerfülltheit? Manchmal unterhielt ich mich in den Pausen mit meinen Kollegen über die ein oder andere Spielerin, und wir tauschten unsere Vermutungen über deren Leben aus. Welcher Gruppe war sie zuzuordnen: der der gelangweilten Ehefrauen, die das hart erarbeitete Geld ihres Mannes verspielten, um ihn für seine Abwesenheit und Kälte zu strafen? Oder der der Zockerinnen, denen es ein körperliches Kribbeln der Erregung bescherte, wenn sie die Kugel beobachteten, die im Roulettekessel unbeeinflussbar rollte? Es war eine Herausforderung für mich und ein Training meiner Menschenkenntnis. Außerdem machte es Spaß und gab den ansonsten recht gleich verlaufenden Abenden und Nächten eine gewisse Spannung.

Claudia nahm ich zunächst nur als Geschäftspartnerin wahr. Zudem sah ich, dass sie älter war als ich. Wie viele Jahre vermochte ich nicht einzuschätzen, zu oft schon hatte ich mich zuungunsten der Frauen verschätzt. Es gab jene Damen, deren Haut so runzlig und solariumgebräunt war, dass sie Jahre älter aussahen. Jene, die die Falten an ihrem Hals noch mit schwerem Gold- oder Perlenschmuck in den Blick des Betrachters rückten und jene, die das Make-Up so dick auftrugen, dass man die Befürchtung hatte, es würde bröckeln, sollte die Frau ihre Mundwinkel zu einem Lächeln verziehen. Zu all diesen Frauen gehörte Claudia nicht. Nur die Augen, die hinter einer Brille mit breitem braunem Rand wach blickten, waren geschminkt. Auf den Lippen trug sie einen Hauch Lipgloss. Ihre braunen Haare hatte sie zu einem Pagenschnitt geföhnt, dessen vordere Spitzen unter ihrem Kinn endeten.

Wie üblich bei solchen Veranstaltungen hatte es Reden gegeben und ein Buffet. Zwischendurch wurde gespielt. Wir hatten zwei Roulettetische, einen Black-Jack- und einen Pokertisch aufgebaut. Ich war Dealer an einem der Roulettetische.

Als Claudia das erste Mal neben mir stand, spürte ich schon ihre Aura. Und als sie saß, schweifte mein Blick öfter über ihre schwarzbestrumpften Beine, besonders, wenn im Eifer des Gefechts ihr Rock etwas nach oben rutschte. Sie setzte immer auf die gleiche Art: Fünf auf eine Zahl und zwanzig auf Reihen oder Carrés. Auch mal hundert auf Rot oder Schwarz, Gerade oder Ungerade. Es war nur Spielgeld für sie und die anderen. Jeder hatte am Anfang eine bestimmte Summe ausgezahlt bekommen, die er im Laufe des Abends möglichst vervielfachen sollte. Derjenige, der den höchsten Betrag erspielt hatte, war der Gewinner und erhielt einen Preis. Schon beim zweiten Einsatz kam ihre Zahl. Die 19. Sie freute sich sehr. Ein kleiner Jauchzer kam über ihre Lippen. Doch sie wartete sehr diszipliniert, bis ich allen Spielern ihre Gewinne ausgezahlt hatte und ihr zum Schluss den fünfunddreißigfachen Einsatz zuschob.

Irgendwann wollte sie einen Hunderter gewechselt haben, und als ich ihr die Jetons übergab, berührten sich unsere Hände. Ich schwöre, es gab eine elektrische Entladung. Ich sah einen Sekundenbruchteil in ihre atemberaubend grünen Augen und erblickte darin Verheißung.

Später stand sie mir gegenüber auf der anderen Seite des Tisches. Wenn sie sich über den Tisch beugte, um auf eine weiter entfernte Zahl zu setzen, wehte ein Hauch ihres Parfüms zu mir herüber. Doch darunter nahm ich schon ihren Eigengeruch wahr. Und dieser Duft ließ mich nicht kalt, wie ich an meinen körperlichen Reaktionen merkte.

Im Raum war es heiß. Zu heiß. Ich schwitzte in meinem Smoking und unter der Fliege. Deshalb war ich froh, als ich endlich eine Pause machen konnte. Als ich vom Klo zurückkam, holte ich mir einen Kaffee und stand im Foyer herum. Da war auch sie – was für ein Zufall – und kam direkt auf mich zu.

»Na, kleine Pause? Heiß da drinnen, oder?«

Wir redeten Belangloses, über den Abend und über das Roulette. Sie erzählte, dass sie eben schon wieder am anderen Tisch eine Zahl hatte, die 22. Zwei Zahlen in so kurzer Zeit, das war beachtlich. Vielleicht gehörte sie zu jenen Spielern, die intuitiv eine Verbindung zur Kugel oder den Zahlen aufbauten. Dieses Phänomen war mir schon öfter begegnet. Niemand konnte sagen, wie das zusammenhing. Diese Spieler waren in jedem Casino gefürchtet. Besonders, wenn sie, nachdem sie einen hohen Gewinn gemacht hatten, aufhören konnten und mit dem Geld aus dem Casino herausspazierten.

»Haben Sie schon öfter im Casino gespielt?«, wollte ich wissen.

»Ich war einmal vor vielen Jahren in Baden-Baden«, sagte sie. Mehr nicht. Ihre Stimme, die ich schon von unseren Telefonaten kannte, war angenehm. Nicht zu laut, nicht schrill, wie so manche Frauenstimmen, die einem körperlich wehtun können. Es schwang ein Unterton mit, der mich neugierig machte. Was war das für eine Frau? War sie verheiratet? Hatte sie Kinder? Was tat sie in ihrer Freizeit? Ihre schlanken Fingerwaren ringlos. Ganz im Gegensatz zu meinen.

Wieso interessiert dich das?, fragte ich mich später am Abend, als wir bereits mit dem Abbauen beschäftigt waren, und die Mitarbeiter der Bank die gemieteten Räumlichkeiten verlassen hatten. Denn eigentlich hätte es mich nicht interessieren dürfen, da ich selbst seit zehn Jahren verheiratet war. Und nicht nur das, sondern ich war auch Vater einer achtjährigen Tochter. Im Gegensatz zu einigen meiner Kollegen legte ich meinen Ehering auch nicht ab, wenn ich mich an den Roulettetisch setzte. Auch sie musste ihn gesehen haben, denn er ist ziemlich pompös. Gehörte sie zu den Frauen, für die verheiratete Männer tabu waren?

Meine Ehe war weder besonders gut noch schlecht. Sie war gewöhnlich. Durch meine ständigen Nachtdienste sahen wir uns meist wenig. Wenn ich irgendwann am Vormittag aufstand, war meine Frau bereits im Büro, wo sie halbtags als Controllerin arbeitete. Meine Tochter ging in die Schule und anschließend in den Hort. Oft musste ich auch am Wochenende arbeiten; das Casino hatte nur an wenigen Tagen im Jahr überhaupt geschlossen. Meine Frau war einige Jahre jünger als ich, hatte eine gute Figur und sah auch gut aus. Ich konnte mich also nicht beklagen. Natürlich war der Sex nicht mehr so wahnsinnig aufregend, und zugegebenermaßen wollte ich öfter als sie, aber ich kam auf meine Kosten.

Allerdings gab es da diese Fantasien in mir, die mich oft in meinen Träumen heimsuchten. Fantasien von Dominanz und Unterwerfung, von besonderen Spielarten, die ich noch nie mit jemandem ausprobiert hatte. Sicher war es seit Shades of grey nichts Ungewöhnliches mehr, sich zu peitschen, zu fesseln oder sonstwie zu piesacken, doch warich, als ich einmal bei meiner Frau ihre diesbezügliche Meinung hatte erforschen wollen, bei ihr nur Unverständnis und Ablehnung gestoßen.

Vielleicht war das der Grund, warum mir Claudia auch in den nächsten Tagen nicht aus dem Kopf ging.


Tagebuch Claudia

Warum geht mir dieser Mann nicht mehr aus dem Kopf? Warum beginne ich jetzt, mit fünfzig Jahren, wieder Tagebuch zu schreiben? Weil ich mich wie ein Teenager fühle? Weil ich mitten im Herbst meines Lebens den Frühling spüre?

Der gestrige Abend verlief anders als die üblichen Feiern unserer Bank. Die Idee mit den Spieltischen war wirklich gut. Alle hatten ihren Spaß. Auch ich. Dieses prickelnde Gefühl, wenn die Kugel rollt und der Croupier sein »Nichts geht mehr« in die Runde ruft, die Spannung, wenn die Kugel endlich gefallen ist und man blitzschnell realisiert, ob man gewonnen hat oder ob die Jetons mit dem Rechen eingezogen werden und auf Nimmerwiedersehen in einem der vier Behälter am Tisch verschwinden; das machte, dass ich mich lebendig fühlte. Und dann der süße Croupier. Viel zu jung, außerdem mit Ring am Finger (wobei ja manche sich so auch vor zudringlichen Frauen schützen, habe ich gehört), aber mit einem Lächeln, einem Strahlen, das mich in den Bann gezogen hat. Eigentlich wäre er sonst überhaupt nicht mein Typ. Wenn ich sein Foto in einem der Dating-Portale gesehen hätte, in denen ich mich so einmal im Jahr für ein paar Wochen herumtreibe, wenn ich denke, dass es doch wohl nicht alles gewesen sein kann, wenn ich mir Komplimente und Bestätigungen hole, die ich aufsauge wie ein trockener Schwamm – wenn ich gelesen hätte, dass er kleiner ist als ich, dann wäre er bei mir sofort durchs Raster gefallen. Vielleicht sollte ich doch mal meine Kriterien überprüfen. Vielleicht habe ich auf diese Weise tatsächlich mein Lebensglück verpasst. Welch ein Unterschied, ob man ein unbelebtes Foto sieht – auf dem er ein zwar makelloses, aber recht glattes Gesicht gehabt hätte – oder den Menschen in seiner Gesamtheit. Wie er agiert und interagiert, wie er lächelt und mit seinen Augen kommuniziert. Sicher macht er das mit allen Frauen, die an seinem Tisch spielen, ich will mir da gar nichts einbilden. Es ist sein Job, freundlich zu sein. Aber bei ihm scheint es von Herzen zu kommen. Diese Herzlichkeit, diese Zugewandtheit, die einem das Gefühl gibt, man sei die Einzige, auf die er fokussiert ist, das ist wirklich etwas Besonderes.

Wie auch immer, gestern Nacht vorm Einschlafen habe ich mich das erste Mal seit Langem wieder berührt. Und mir dabei vorgestellt, er würde es tun. Es war ein heftiges Erlebnis, das mir gezeigt hat, dass ich noch eine Frau bin. Dass auch mein Körper gern wieder mal von einer anderen Hand als meiner aufgeweckt werden möchte. Von einer Hand wie seiner, die kurze und kräftige Finger hat, Finger, die sicher zupacken können. Ich stehe nicht so auf Blümchen- und Streichelsex. Ich mag es, wenn Männer mich fest anfassen, wenn sie Sicherheit ausstrahlen und nicht von mir gesagt haben wollen, wo sie jetzt welche Knöpfe drücken müssen. Solche Schlaffis hatte ich in der Vergangenheit schon zu viele. Nichts ist so abturnend wie ein Mann, der sich als Frauenversteher begreift. Jedenfalls nicht im Bett.

Vielleicht schreibe ich ihm heute eine Mail. Einfach so. Bedanke mich für den gelungenen Abend im Rahmen meines Jobs. Mal sehen, ob er antwortet.


Schwere Entscheidung

Mein Herz begann wild zu pochen, als ich den Absender in meinem Mail-Account sah. Ihre Worte waren allgemein; man hätte ihnen auch normale Freundlichkeit unterstellen können, doch ich spürte hinter den Buchstaben genau, dass da noch etwas war. Eine Neugierde, eine Frage, eine Hoffnung vielleicht. Was sollte ich ihr antworten? Sollte ich auf der gleichen Ebene bleiben, oder sollte ich einen Haken setzen, dem sie sich nicht entziehen konnte? Ein unausgesprochenes Angebot, auf das sie eingehen, oder das sie überlesen könnte, ganz wie es ihr beliebte?

Ich grübelte an der richtigen Formulierung herum, wollte zeigen, dass ich nicht nur der ewig lächelnde Croupier war, sondern auch geistreich und eloquent sein konnte und mehr auf der Pfanne hatte, als im Kopf den Einsatz der Spieler mit den Gewinnfaktoren zu multiplizieren.

Doch warum wollte ich mich so anbiedern? Was erwartete ich von dieser Frau? Ich sah doch, wie das bei meinen Kollegen ablief. Die meisten waren zum zweiten oder dritten Mal verheiratet, manche wagten es gar nicht mehr, weil sie wussten, dass eine Ehe zum Scheitern verurteilt war bei diesem Job. Man geriet einfach zu oft in Versuchung. Wenn man nach dem Dienst noch irgendwo was trinken ging und dort auf Frauen traf, die vorher am Tisch gespielt hatten, brauchte man nicht einmal die Initiative ergreifen. Die Frauen sprachen einen von selbst an, zeigten, dass sie nicht abgeneigt waren, auch den Rest der Nacht mit einem zu verbringen. Und welcher Mann konnte schon auf Dauer zu einem solchen Angebot Nein sagen? Auch kleine Zettel mit Zimmer- oder Telefonnummern wurden da schon mal verschämt unter dem Tisch gereicht. Und manch eine wunderte sich, dass meine Smokingtaschen zugenäht waren.

Ich muss gestehen, dass ich auch schon manches Mal einer dieser Einladungen gefolgt war. Vor allem, als ich noch nicht mit Ulrike zusammen war. Oder aber auf Veranstaltungen mit dem mobilen Casino, wenn wir weiter weg eingesetzt waren und dort übernachten mussten.

Und da waren noch jene speziellen Nächte, die es leider nur ein, zwei Mal im Jahr gab. Der Inhaber einer ganz auf das erotische Vergnügen ausgerichteten Agentur, forderte uns ab und zu an. Seine Zielgruppe waren interessierte Singles und Paare, die sich in gepflegtem Ambiente miteinander amüsieren wollten. Und zu dem Ambiente gehörte eben manchmal eine Casino-Nacht. Da wurde schon mal der Croupier zum Gewinn bestimmt, und wem das Spielgeld ausging, der konnte erotische Dienstleistungen anbieten und bekam dafür unterschiedlich viele Jetons ausgezahlt. Auch in Deutschlands größtem Sexclub waren wir schon für einen Spieleabend engagiert. Interessante Einblicke konnte man da in die Szene bekommen. Ob Claudia auch auf solche Veranstaltungen gehen würde? Ob sie vielleicht sogar schon Erfahrungen im Swingen hatte?

Bei diesem Gedanken bekam ich eine Erektion. Was sollte ich ihr zurückschreiben? Sollte ich überhaupt antworten? Mich auf etwas einlassen, dessen Ausgang ich nicht abschätzen konnte?

Meine Mail wurde recht kurz, aber ich ließ durchblicken, dass ich sie gern mal privat auf eine Tasse Kaffee treffen würde. Obwohl – dann müssten wir auf jeden Fall irgendwohin gehen, wo uns nicht zufällig eine Bekannte von mir oder meiner Frau über den Weg laufen konnte. Sicher nicht hier in der Stadt. Bevor ich auf den Senden-Button drückte, schwebte mein Finger sekundenlang darüber.

Was soll’s, dachte ich schließlich, vielleicht würden wir schon beim Kaffeetrinken und Gespräch merken, dass wir doch nicht auf derselben Wellenlänge lagen. Vielleicht war alles nur ein Irrtum. Eine Ausgeburt meiner überreizten Fantasie.

So sagte ich mir, doch ich wusste im Inneren damals schon ganz genau, dass dem nicht so war. Ich ahnte, dass diese Frau einen sehr viel tieferen Einfluss auf mein Leben nehmen würde, als nur eine kleine Affäre zu sein, an die man sich Jahre später gerne erinnerte. Hätte ich damals, wenn ich mir des ganzen Ausmaßes wirklich bewusst gewesen wäre, die Reißleine gezogen? Das Bemerkenswerte daran ist, dass ich es nicht weiß.

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Ograniczenie wiekowe:
0+
Objętość:
134 str. 8 ilustracje
ISBN:
9783960001379
Wydawca:
Właściciel praw:
Bookwire
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