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Der Theatermonolog in den Schauspielen von Hans Sachs und die Literarisierung des Fastnachtspiels

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1.2 Tragödie

In Evanthius’ Abhandlung De Fabula, die bis ins 16. Jahrhundert als ein Teil von Donats De Comedia galt, gibt es bereits eine unscharfe Charakterisierung der Tragödie in Abgrenzung zur Komödie,1 die in dieser Form, wie Mitschriften von Studenten zeigen, im Heidelberger Poetikunterricht gelehrt wurde:

Der Unterschied zwischen der Tragödie und der Komödie besteht unter anderem v.a. darin, dass in der Komödie die Schicksale der Menschen unbedeutend, die Gefahren, denen sie begegnen, gering und die Ausgänge der Handlungen glücklich sind; in der Tragödie aber ist alles entgegengesetzt: da gibt es berühmte Persönlichkeiten, große Schrecken und tödliche Ausgänge. Dort beginnt es stürmisch und endet schließlich ruhig, in der Tragödie nehmen die Geschehnisse den entgegengesetzten Verlauf; außerdem gilt, dass in der Tragödie das zu meidende Leben zum Ausdruck gebracht wird, in der Komödie das erstrebenswerte, und schließlich, dass es in der Komödie stets um Fiktives geht, während die Tragödie oft bezüglich der Geschichte für glaubwürdig angesehen wird.2

Der Unterschied zwischen Komödie und Tragödie liegt demnach im unterschiedlichen Ausgang, in der Trennung zwischen Fiktivität und Wahrheit und im unterschiedlichen Stand des Dramenpersonals.

Als einer der ersten deutschen Humanisten äußerte sich Konrad Celtis 1486 in seiner Ars versificandi zur Tragödie. Darin betont er „das moralisch-didaktische, aber auch das rhetorische Element der Tragödien und […] empfiehlt jungen Dramatikern Senecas Tragödien zur Nachahmung“.3 Sein Ziel ist es dabei, neben der weitaus erfolgreicheren Komödie, die Tragödie – und das heißt vor allem die Tragödien Senecas – als Literaturgattung wieder zu etablieren, weil sie Regeln vorgeben, wie Staatsdiener zu leben haben: „sie stellen die Gesamtheit der wichtigsten Regeln für das Leben eines Fürsten dar, und zwar in Form von sehr eindrücklichen Verboten und Lastern.“4

Cora Dietls Untersuchung der neulateinischen Dramendichter Jakob Wimpheling, Joseph Grünpeck, Heinrich Bebel, Konrad Celtis, Johannes Reuchlin und Jacob Locher zeigt, wie heterogen die neulateinischen Dramen sind.5 Einerseits finden sich unter ihnen Rezitationsdramen, die dem Prosadialog ähneln, andererseits können Tragödien bspw. zu Festspielen in Herrscherlob münden. Nur Reuchlins Scaenica progymnasmata stellt eine Ausnahme dar. Seine Komödie ist

„ein dramaturgisch straff durchgearbeiteter, dem klassischen Handlungslauf folgender jambischer Fünf-Akter mit Choreinlagen und geregelten Auf- und Abtritten, der ideal auf einer Terenzbühne aufgeführt werden kann und sich an die Ständeklausel hält.“6

2 Gattungsverständnis von Hans Sachs

Als Sachs 1527 seine erste Tragedi schrieb, konnte er sich nur bedingt auf eine nachahmbare Dramenform stützen,1 kannte aber mit den Kommentierungen von Donat und Albrecht von Eyb die für die humanistischen Dramatiker wichtigsten theoretischen Ausführungen zur Komödie. Wenngleich Kontakte von Sachs zu Nürnberger Humanisten nicht nachweisbar sind,2 kann doch von einem mit ihnen gemeinsamen „Wertekanon“3 gesprochen werden. Das Bild, wie Sachs gesehen werden wollte, macht durchaus seinen Bezug auf die Antike deutlich: In einem Holzschnitt-Portrait von 1545 mit beigefügtem lateinischen Verstext steht er mit Dichtern wie Ovid und Vergil in einer Reihe; im Spruchgedicht Ein Gesprech, die neun Gab Muse oder Kunstgöttin betreffend4 von 1536 stellt er sich als von Musen begnadet dar.5 In diesem Text erscheinen dem jungen Sachs im Traum die neun griechischen Musen, die, von Apollo und Pallas beauftragt, Dichter für ihre Kunst suchen. Mit Apollo nimmt Sachs in gleicher Weise Bezug auf die antiken ‚Auftraggeber‘ für sein literarisches Schaffen wie schon Celtis 1486 in Ode ad Apollinem repertorem poetices: ut ab Italis cum lyra ad Germanos veniat und 1492 in seiner Ingolstädter Rede Oratio habita in gymnasio in Ingelstadio publice recitata.6 Der Unterschied zu Celtis liegt jedoch in der Sprache: Während dieser auf Latein dichtete, wendete Sachs, von den Musen beauftragt, sich nicht nur der „teutschen poeterey“ zu,7 sondern, wie Bernstein bemerkt, stellte er sich zugleich „selbstbewußt in eine illustre Reihe griechischer, römischer und deutscher Dichter.“8 Der Rückgriff auf antike Autoritäten ist insbesondere im Dialog zwischen dem „jüngling“ und der Muse Clio sichtbar. Diese unterbreitet jenem das Angebot, die gleiche poetische Kompetenz zu erlangen, wie sie zuvor schon griechische, lateinische und auch deutsche Dichter von den Musen zugesprochen bekommen haben:


Ich bin, ein jüngling bey zweintzig jarn,
Der poetery gantz unerfarn,
135 Hab keiner kunst mich angenommen.
Die poeten von himel kommen,
Wie von in sagt Ovidius.
Deshalb ich mich verzeihen muß
Der kunst. Gott danck euch aller ehren!
[…]
Mir wider-rufft die göttin wech
145 Und sprach: O jüngeling, ob dir
Haben ein groß mitleyden wir.
Wiltu, so wöll wir dich begaben
Mit den neun gaben, die wir haben,
Darmit wir vor begaben thetten
150 Griechisch und lateinisch poeten,
Dergleich vil teutscher im Teutschlandt.

Zusätzlich nennt Sachs Gattungen9, die er bearbeitet bzw. deren Neufassung ihm in jungen Jahren die Göttin Clio aufgetragen haben soll:


Die göttin sach mich freundtlich on
Und sprach: O jüngling, dein dienst sey,
Das dich auff teutsch poeterey
Ergebst durch-auß dein leben lang,
110 Nemblichen auff meistergesang,
Darinn man fürdert Gottes glori,
An tag bringst gut schriftlich histori,
Dergleichen auff trawrig tragedi,
Auf spil und fröliche comedi,
115 Dialogi und kampff-gesprech,
Auff wappenred mit worten sprech,
Der fürsten schilt, wappen pleßmiren,
Lobsprüch, die löblich jugent zieren,
Auch aller art höflich gedicht
120 Von krieg und heydnischer geschicht,
Dergleich auff thön und melodey,
Auff fabel, schwenck und stampaney,

Im Vergleich zu den Gattungsbezeichnungen in der Folioausgabe, deren Herausgabe Sachs von 1558 an selbst mit betreute, lassen sich keine wesentlichen Abweichungen erkennen. Darin unterscheidet er zwischen Meisterliedern, Liedern, Prosadialogen und Reimpaargedichten, denen er „tragedi, comedi, histori, kampffgesprech, gesprech, lobsprüch, klagred, comparacion, sprüch, faßnacht-spiel, fabel und schwenck“10 zurechnet. Ein Unterscheidungskriterium zwischen Fastnachtspiel und Comedi lässt sich in all diesen Aufzählungen nicht ausmachen; aber sie werden voneinander getrennt benannt. Im Vorwort seiner Folioausgabe weist Sachs dem Fastnachtspiel indes explizit die Kurtzweil zu, damit sie die „schwermütigen hertzen zu freuden ermundern“.11

 

Demnach unterteilte Sachs bereits 1536 seine Werke in gleicher Weise in Gattungen wie in den 1560er Jahren. Der Zeitpunkt, an dem er das Spruchgedicht verfasste, fällt auf das Ende der ersten Auseinandersetzung mit neulateinischen und antiken Vorlagen. Dass Sachs einen expliziten antiken Rahmen für seinen Dichtungsauftrag wählte, erscheint daher nicht zufällig. Das Differenzierungskriterium für seine Comedis und Tragedis nennt er u.a. in Prologen. Danach dient Sachs für die Comedi die Wendung von einem traurigen Anfang zu einem guten Ende und für die Tragedi von einem guten Anfang zu einem schlechten Ende als Unterscheidungsmerkmal.12 Diese Kriterien wendet er jedoch nicht immer gleichermaßen an, weshalb die Anzahl von Comedis und Tragedis zwischen Folioausgabe, Spruchbuch und Generalregister schwankt.13

Zusammengefasst ist zur Abgrenzung der Begriffe Komödie und Tragödie in der humanistischen Gelehrtenkultur festzustellen, dass nicht nur, wie bei Sachs, der positive bzw. negative Ausgang den alleinigen Unterschied ausmacht, sondern auch Gegensatzpaare wie

Moraldidaktik und scherzhaft formulierte Kritik vs. Panegyrik; Exemplarik vs. (pseudo-) historische Einmaligkeit; verborgene Wahrheit (significatio veri) vs. behauptete Wahrheit; Nähe zum Fastnachtspiel vs. Nähe zum Triumphzug oder Fronleichnamsspiel. Die Ständeklausel wird meist eingehalten; wo sie aber gebrochen wird und hochadeliges Personal eine moraldidaktische, exemplarische Lehre vermitteln soll, öffnet sich die Komödie dem höfischen Festspiel.14

Mit Blick auf die Gattungsmerkmale, wie sie die neulateinischen Dichter für Komödie und Tragödie entwickelten, relativiert sich die zunächst sehr einfach anmutende Gattungskategorisierung von Sachs. Die Gattungsmerkmale sind keineswegs eindeutig, vor allem weil die Tragödie weit hinter der Komödie in Rezeption und Dichtung zurückstand. Dass Sachs nicht die Comedi, sondern das Fastnachtspiel zur schwankhaften Gattung machte und stattdessen in Comedi und Tragedi ernste Stoffe bearbeitete, findet seine Entsprechung in der humanistischen Komödiendichtung. Die Ausnahme bilden hier jedoch Reuchlins Scaenica progymnasmata.15

3 Tragedis und Comedis der Jahre 1527–1536

Von den 13 Tragedis und Comedis, die Sachs bis 1536 dichtete, haben acht eine antike oder neulateinische Vorlage. Wie oben gezeigt, haben die neulateinischen Vorlagen keineswegs eine einheitliche Dramenform, sodass Sachs in seinen potenziellen Vorlagen aus einer Vielzahl von Dramenvarianten wählen musste. Nach neunjähriger Schaffenspause zwischen 1536 und 1545 widmete er sich mit fünf Schauspielen zunächst ausschließlich Dekameron-Novellen, bevor er drei weitere unter Verwendung neulateinischer und antiker Vorlagen erarbeitete.

Die Aussage von Stuplich, Sachs habe, „noch bevor er mit den dramatischen Arbeiten der Humanisten oder dem Schuldrama in Berührung kam“, schon „Vorstellungen von Dramaturgie“1 gehabt, ist anhand des poetologischen Aneignungsprozesses unter Verwendung der Monologtechnik zu überprüfen.

In der chronologischen Untersuchung, die nur Dramen mit Monologen beinhaltet, wird von den neulateinischen Dramen die Bearbeitung von Reuchlins Scaenica progymnasmata ausführlich untersucht. Den Bearbeitungen der Dekameron-Novellen ist ein eigenes Kapitel gewidmet, ebenso der Bearbeitung der Menaechmi von Plautus.

3.1 Nichtadaptierte Monologformen: Überbrückungsmonolog und Affektdarstellung in Lucretia1 und Virginia2

Das erste Drama ist die 1527 gedichtete Tragedi Lucretia. Darin greift Sachs einen antiken Stoff auf, der auf Titus Livius’ Ab urbe condita zurückgeht. Diesen nennt er im Prolog neben Valerius Maximus als Quelle, die eigentliche Vorlage ist indes Bernhard Schöfferlins Übersetzung von 1505.3 Schöfferlin hält sich zwar an das Handlungsgerüst, liefert an Stelle einer Übersetzung aber eine um „eingestreute Geschehenskommentare erweiterte und stilistisch vollkommen andersartige Nacherzählung“.4 Bemerkenswert ist, dass Sachs einen antiken narrativen Text als Vorlage für sein erstes Drama wählte, nicht jedoch ein antikes oder neulateinisches Drama.

Anders als spätere Schauspiele besteht die Lucretia nur aus einem Akt.5 Szenengrenzen oder Ortswechsel benennt Sachs nicht ausdrücklich, dennoch weist Stuplich anhand des Reimschemas eine Unterteilung in drei Szenen nach,6 die sich so auch in der Vorlage findet:7


1. Szene: Der Königssohn Sextus vergewaltigt Lucretia, wozu er ihr mit Ehrverlust droht.
2. Szene: Lucretia erzählt ihrem Mann, dem Vater und Freunden von der Vergewaltigung. Sie will sich, entgegen der Argumente ihrer Dialogpartner, wegen des Ehrverlustes umbringen.
3. Szene: Ehemann, Vater und Freunde trauern um Lucretia und schwören Rache.

Der erste szenische Abschnitt, der die Vergewaltigung von Lucretia enthält, weist drei Monologe auf, alle anderen keine. Fehlende Regieanweisungen zu Auf- und Abtritten lassen für die Monologe nach dem situativen Kriterium keine eindeutige Klassifizierung zu, weshalb von einer simultanen Präsentation auszugehen ist.8 Anhand der ersten Tragedi und der Virginia, die auf derselben Vorlage beruhen, kann gezeigt werden, welches Verständnis Sachs von Monologen hatte, verwendete er doch eine narrative Quelle, die nur eine kurze narrativierte Rede über Lucretias Gefühle enthält.9

Den ersten Monolog spricht Lucretia (KG XII, S. 7 vv. 25–32), nachdem Sextus sie erpresst hat:


25 Ach Gott Apollo, mir ist angst.
Soll ich leiden den bittern tod
Und zu ewiger zeit den spot,
Samb sey ich ein ehbrecherin?
Ach, wo sol ich mich kehren hin?
30 Ich wil eh thun nach deinem sagn,
Mich nachmals der unschuld beklagn,
Mir darumb setzen strenge buß.

Während Sextus sich noch auf der Bühne befindet, spricht Lucretia in Form des Monologs zu Apollo. Sachs nutzt hier eine Apostrophe, um aus dem Dialog in den Monolog überzuführen, wodurch der Monolog einen dialogischen Charakter erhält. Allerdings sind Gebete immer als Monologe anzusehen, solange Gott nicht antwortet. Bei der Apostrophe handelt es sich um

eine Technik, die sich zum Beispiel bei Aischylos und Sophokles an allen, und bei Euripides an den meisten Monologen beobachten läßt. Das Gegenüber, das hier durch die Anrede jeweils geschaffen wird, antwortet zwar nicht unmittelbar, es entstehen jedoch semantische Richtungsänderungen innerhalb des Monologs, indem der Sprecher die Reaktionen und damit den semantischen Kontext des angesprochenen Wesens imaginiert.10

Lucretia erwartet keine Antwort von Apollo, weshalb die Apostrophe den Beginn der Affektdarstellung bildet. Ihre ausweglose Situation und Verzweiflung werden in den Fragen an Apollo sichtbar. Die anschließende Reflexion thematisiert die möglichen Folgen eines verweigerten Beischlafs, denn im vorhergehenden Dialog hatte Sextus gedroht, sie des Ehebruchs mit dem Diener zu bezichtigen und als ehrlos darzustellen, sollte sie ihn zurückweisen. Die zweite Frage macht die einsame Verzweiflung Lucretias deutlich.

Während nun bei Schöfferlin (Fol. XIXr, 21f.) Lucretia selbst in der von Sextus herbeigeführten Zwangslage ohnmächtig ihrem Peiniger ausgeliefert bleibt, ohne dass dieser allein ihr Denken in Bewegung zu versetzen vermag,11 ist sie es bei Sachs, die sich ihre Situation mittels Fragen an Apollo als ein imaginiertes Gegenüber bewusst macht, und so, ohne ihre Ohnmacht zu leugnen, diese gleichwohl überwindet.

Die den Fragen nachfolgende Ansprache (vv. 30–32) ist an Sextus gerichtet und somit kein Monolog. Lucretia formuliert hier ihren Entschluss, sich Sextus zu fügen und „strenge“ Buße zu tun; der Entschluss oder die mutmaßliche Unausweichlichkeit des Schrittes zum Selbstmord scheint bereits auf.

Der direkt anschließende Monolog der Magd (KG XII, S. 8 vv. 1–4) dient dazu den Beischlaf nicht darstellen zu müssen, d.h. der Überbrückung:


Erst mich ewigklich rewen muß,
Das ich die untrew an ir thet,
Seit sie an ehren ist so stät.
Ich scheid dahin mit rew und klag.

In affektiver Darstellung macht sich die Magd Vorwürfe wegen ihres untreuen Verhaltens gegenüber ihrer Herrin. Der Monolog hilft einerseits die Darstellung der Vergewaltigung zu vermeiden, andererseits dient er dem Zeitsprung zum nächsten Morgen. Mit Verweis auf diesen tritt der Knecht im Anschluss an die Worte der Magd auf, worin eine Zeitraffung liegt.

Eine Kombination aus Apostrophe und Überbrückung liefert der dritte Monolog (KG XII, S. 8 vv. 18–21), den Lucretia spricht:


O wie hat mich verlassen Got!
O Vesta, wie hast mich verlan,
20 Das ich war Venus unterthan?
Nun verdreust mich auff erd zu lebn.

Ist die überbrückende Funktion für diesen Monolog auch zentral, zeigt sich doch, wie Sachs die Andeutung der Vorlage, in der der Erzähler die klagende Lucretia beschreibt,12 in monologische Figurenrede überträgt. Ihre Hauptfunktion besteht darin, die Zeit bis zur Ankunft des Vaters auszufüllen. Als Teil der Gesamtkonzeption wird Lucretia auch mithilfe dieses Monologs durchweg positiv dargestellt, um im Gegenzug die Herrscherfigur noch negativer erscheinen zu lassen. Mit diesem Negativbild kann Sachs zugleich im Epilog indirekt seine Vorstellung eines idealen Herrschers präsentieren.13

Sein drittes14 Schauspiel Virginia geht auf dieselbe Quelle wie Lucretia zurück. Mit 601 Versen ist die Tragedi beinahe doppelt so lang wie sein Erstlingswerk, weist aber ebenfalls keine Aktgrenzen auf. Im Gegensatz zur Lucretia finden sich ausführliche Regieanweisungen, die Auf- und Abtritte, Dialogpartner, Gesten und Gefühle benennen sowie einen Monolog ausdrücklich mit den Worten „spricht Apius zu im selb“ kennzeichnen.

Insgesamt integriert Sachs zwei Monologe (KG II, S. 4 vv. 7–16 und S. 5 vv. 9–16) in das Stück, die keine Entsprechung in der Vorlage haben. Beide weisen eine ähnliche Struktur wie die in der Lucretia auf. Durch die Apostrophe an einen Gott haben sie einen dialogischen Charakter mit Affektdarstellung (Klage). Das zeigt sich etwa in dem der Überbrückung dienendem zweiten Monolog (KG II, S. 5 vv. 9–16):

 

O Venus, du hohe göttin,
10 Wend dieser jungkfraw mut und sin
Genedigklich zu meinem willen,
Mein hart verwundtes hertz zu stillen!
Ach Cupido, zünd an ir gmüt,
Das es in gleichen flamen wüt
15 Und sich in liebe gen mir neyg!
O glück, dein angsicht mir erzeyg!

Für die ersten drei Schauspiele lässt sich damit festhalten, dass Sachs ein Grundverständnis von Monologtechnik hatte, das handlungsbezogen auf Affektdarstellung zielt und in Gestalt der Apostrophe stark dialogisch ist. Strukturell-gliedernd ist die überbrückende Funktion vorherrschend, so dass Sachs Auf- und Abtritte mit Zeitsprüngen im Handlungsgang inszenieren kann.

Wenn Stuplich zusammenfassend für die Lucretia feststellt, dass sie „noch Schwachstellen“ aufweist, „die durchdachte Konzeption […] allerdings für einen Dramatiker mit einem ausgeprägten Strukturbewußtsein“15 spricht, ist mit Blick auf die Typologie festzuhalten, dass die Fülle von verschiedenen Monologtechniken, die sich im Fastnachtspiel ab 1550 zeigen, hier noch nicht anzutreffen ist. Für die Monologe der Fastnachtspiele gilt einschränkend, dass sich auf der handlungsbezogenen Ebene keine klagenden Apostrophen, wie sie Sachs in der Lucretia und Virginia einfügt, finden lassen. Hier reduziert sich die Ansprache „Ach Gott“ auf eine einleitende Formel und es kann nicht mehr, wie etwa im Monolog des Apius, von einer dialogischen Tendenz gesprochen werden.

Wie das zweite Drama von Sachs zeigt, das ohne Monologe auskommt, waren diese in seiner ersten Schaffensphase noch kein fester Bestandteil seines ‚Strukturbewusstseins‘.