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Der Theatermonolog in den Schauspielen von Hans Sachs und die Literarisierung des Fastnachtspiels

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3.4 Auftritt-Abgangs-Monolog im Judicium Paridis und Hester

1

Einen ausführlichen Vergleich zwischen der Bearbeitung von Sachs und dem Original von Locher bietet Stuplich 1998, S. 64–69.

2

Eine neue Edition nach dem Augsburger Druck findet sich bei Dietl 2005, S. 464–491.

3

Da Sachs im Prolog von „Homerus und Virgilius, / Ovidius, Lucianus, / Auch andere mehr“ (KG VII, S. 41 vv. 18–20) spricht, kann seine Hauptvorlage nicht eindeutig benannt werden. Es ist jedoch mit Stuplich davon auszugehen, dass Sachs Lochers Spectaculum zur Vorlage nahm, weil er sich in dieser Zeit offensichtlich mit neulateinischen Dramen beschäftigte und es für ihn charakteristisch ist, im Prolog zwar antike Quellen zu nennen, die eigentliche Vorlage jedoch nicht.

4

Der erste Monolog dient wieder der Überbrückung (KG VII, S. 43 vv. 2–8), der zweite (KG VII, S. 59 vv. 4–27) dürfte eine Umsetzung der von Reuchlin adaptierten Form des Auftrittsmonologs sein. Der Überbrückungsmonolog steht im ersten Akt, der in Reihenform die aktuellen Missstände anprangert. Im selben Jahr, in dem das Judicium Paridis erscheint, schreibt Sachs zur Fastnacht am 1. Februar 1532 die Komödie Stulticia mit irem hofgesind auf der Grundlage des von Erasmus von Rotterdam stammenden und von Sebastian Franck übersetzten Moriae Encomium. Ähnlich dem ersten Akt des Judicium Paridis und dem Caron gestaltet Sachs das gesamte Schauspiel als Reihenspiel. Wählte er beim Caron eine antike narrative Vorlage, ist es in diesem Fall eine zeitgenössische, die aber dieselbe monologfreie einaktige Reihenstruktur aufweist. Ob es der Aufführungszeit geschuldet ist, dass Sachs sich der Fastnachtspielform zuwendet, bleibt unklar. Hierzu Stuplich 1998, S. 100: „Die Reihenspiele sind indes nicht als das Produkt eines noch unerfahrenen Bühnenautors anzusehen. Im Gegenteil, das Strukturmodell der Stulticia wurde von Sachs als so ausgereift angesehen, daß er die späten Reihenspiele daran angelehnt konzipiert.“

5

Iudicium Paridis 2005, S. 470 vv. 34–47:

Sic sine me lepido celebras convivia ludo

Iupiter. et celi numina cucta vocas.

Sic sine me choreas agis ad spectacular molles.

Preponisque tuas undique filiolas.

Uxor adest iuno. cuius plerumque sequuta

Iussa. quibus voluit sepe nocere tibi.

Nil ego commerui. quod me secluserit uxor

Pronuba. vel peleus atque superb thetis

(c4v) Sed ne liticie vestre sit gratia perpes.

Et sit letus hymen. et solidatus amor.

Proiicio pomum. moveat quod iurgia dura

Tu censor scripti iupiter esto mei

Tres adsunt dive. Quarum Formosa videri

Quelibet efflictim. Solaque pulchra cupit.

MERCURIUS DISCORDIAM TAXAT.

6

Stuplich 1998, S. 163.

7

Vgl. Dietl 2005, S. 244.

8

Schnorr von Carolsfeld 1874, S. 6. Das Fastnachtspiel ist nicht in der Ausgabe von Keller verzeichnet. Es wurde 1874 mit drei weiteren bis dato ungedruckten Fastnachtspielen im Archiv für Litteraturgeschichte veröffentlicht.

9

Stuplich 1998, S. 69.

10

Vgl. Stuplich 1998, S. 280ff.

11

Stuplich 1998, S. 280.

3.5 Zwischenfazit

1

Als Sachs nach dem Henno eine biblische Vorlage bearbeitet, benutzt er zwar keine Monologe, bedient sich aber einer Fünfaktstruktur und setzt Szenengrenzen mittels leerer Bühne.

2

Stuplich 1998, S. 69.

4.1.1 Dekameron-Rezeption

1

Vgl. Knape 1995, S. 56. Isenring 1962, S. 168f., listet alle Dekameron-Bearbeitungen anhand des Generalregisters in der Reihenfolge der Tageserzählungen auf. Zur Kritik an Isenring vgl. Knape 1995, S. 52f.

2

Hartmann 1912, S. 22: „Im Ganzen gehen 51 Meistergesänge, 31 Spruchgedichte, 13 Fastnachtspiele, 6 Komödien und 2 Tragödien auf die Übersetzung zurück. Hierbei hat Sachs 62 Novellen des Dec. nebst der Einkleidung der IV. Tagereise (= IV,0) benutzt.“

3

Henkel 2014, S. 191. Zu den verschiedenen Auswertungen der Zählungen vgl. auch Dallapiazza 2012 S. 91f.

4

Sehr wahrscheinlich lässt sich der Monolog auf die Vorlage zurückführen, denn dort findet sich die Aussage „Do das Calandrin vernam zů hant an im selbes czweyfeln ward“, Arigo 1860, S. 555, Z. 7f.

5

Der Beginn verdeutlicht, dass Sachs zu diesem Zeitpunkt noch dem Schema des vorreformatorischen Fastnachtspiels treu bleibt. Der Bauer Merten begrüßt das Publikum (v. 1) und verweist auf die Fastnachtszeit (v. 8). Den Zeitsprung (v. 113f.) und Ortswechsel (v. 158) inszeniert Sachs nicht mit eine leeren Bühne oder einem Monolog.

6

Vgl. Henkel 2014, S. 197, der für die Schauspiele festhält, dass sie „das narrative Konstrukt einer Novelle inhaltlich komplexer in den dramatischen Modus umsetzen können.“

7

Vgl. Könneker 1971, S. 65.

8

Kocher 2005, S. 78.

9

Kipf 2015, S. 428 weist auf den Zusammenhang zwischen dem Spruchgedicht Die neun Gab Muse oder Kunstgöttin betreffend bzw. dessen möglicher Vorlage Fulgentius’ Fabula de novem Musis und Boccaccios Genealogia deorum gentilium hin. Boccaccio hat den Stoff zu den neun Musen in seine Genealogiae integriert.

10

Knapp 1992, S. 55. Knapp 1992, S. 56, führt weiter aus, dass Boccaccio über den „hochmittelalterlichen Standpunkt in keinem wesentlichen Punkt hinausgelangt ist, […]. Neu ist im Grunde nur der Versuch, durchgehend die ‚echte‘ fabula mit der Bibel zu parallelisieren.“

11

Boccaccio 1997, S. 73. Vgl. Kocher 2005, S. 72.

12

Kocher 2005, S. 71.

13

Kocher 2005, S. 74.

14

Kocher 2005, S. 74.

15

Kocher 2005, S. 75. Während vom 1. Jahrhundert bis ins Mittelalter die narratio in Form von Vorübungen (progymnasmata) für die Abfassung narrativer Texte in der rhetorischen Schulausbildung gelehrt wurde, waren für die Humanisten mittellateinische Poetiken, wie bspw. die poetria nova Galfrids von Vinsauf, grundlegend. Sie bezogen sich jedoch weniger auf Priscians progymnasmatische Praeexercitamina als vielmehr auf Schriften von Cicero und Quintilian selbst. Vgl. Cizek 1994, S. 250.

16

Vgl. Kocher 2005, S. 139.

17

Vgl. Camargo 1992, Sp. 1040f., und Kocher 2005, S. 145.

18

Vgl. Kocher 2005, S. 124, 145.

19

Kocher 2005, S. 124.

20

Kocher 2005, S. 125.

21

Die bisherige Antwort auf die Frage, wer sich hinter dem Pseudonym ‚Arigo‘ verbirgt, konnte lediglich dahingehend beantwortet werden, dass die von Hartmann 1912, aufgestellte These, es handele sich um Heinrich Steinhöwel, widerlegt wurde; genauso wie die spätere Vermutung, es handle sich um Heinrich Schlüsselfelder. Vgl. Bertelsmeier-Kierst 1998, S. 422, und mit weiterführender Literatur zur Verfasserfrage dies. S. 122, Fn. 47, sowie dies. 2014, S. 147. In ihrer Untersuchung zur Dekameron-Rezeption in der deutschen Literatur des 15.–17. Jahrhunderts geht Luisa Rubini Messerli (2012) der These von Lorenz Böninger (2006) nach, wonach es sich um Arrigho di Federigho della Magna, einen in Florenz lebenden deutschen Einwanderer handle, der im Auftrag von Nicolaus Germanus das Dekameron übersetzte. In ihrer umfangreichen Auseinandersetzung (S. 162–357), die in Ausführungen zur Dekameron-Übersetzung eingebettet ist, bestätigt sie in großen Teilen Böningers These.

 

22

Vgl. Kocher 2005, S. 472.

23

Vgl. Kocher 2005, S. 192–200, zu den Änderungen von Petrarca, und S. 216, zu Brunis Übersetzungsverständnis, das nahe am Original bleibt. Weiterführend zu Petrarcas Griseldis-Bearbeitung Knape 1978, Worstbrock 1984, und Zanucchi 2010.

24

Vgl. Bertelsmeier-Kierst 1998, S. 419.

25

Vgl. Knape 1978, S. 67, und Kocher 2005, S. 475.

26

Bertelsmeier-Kierst 1998, S. 413.

27

Vgl. Kocher 2005, S. 474f.

28

Neben dem Dekameron bearbeitete Sachs De casibus virorum illustrium und De claris mulieribus. Vgl. Knape 1994, S. 77f., und Dallapiazza 2012, S. 111–116.

29

Vgl. Isenring 1962, S. 53. Abgesehen von der Griselda geht allen dramatischen Dekameron-Bearbeitungen der 1540er Jahre entweder ein Meisterlied oder ein Spruchgedicht voraus. Die Novelle IV, 5 dichtete er 1514 als Spruchgedicht und anschließend in zwei weiteren Gattungen: 1519 im Meisterlied, 1545 in einer Tragedi und 1548 erneut im Meisterlied. (Isenring 1962, S. 38, bemerkt zum Entstehungsdatum der Tragedi, dass Sachs zwar das Jahr 1546 am Ende der Tragedi angibt, im Generalregister jedoch 1545 steht.) Und auch jene Novelle von Guiscardo und Ghismonda, die schon Leonardo Bruni übersetzte, nutzt Sachs 1516 für ein Meisterlied und 1545 für die Tragedi vom Fürsten Concreti. Die Novelle V, 7 bearbeitete er 1545 als Comedi und schon 1540 als Spruchgedicht sowie 1549 ein weiteres Mal als Comedi; die Novelle IX, 2 fand 1544 als Fastnachtspiel und eine Woche zuvor als Spruchgedicht ihre Umsetzung; die Novelle X, 8 bearbeitete er 1546 als Comedi und 1531 als Spruchgedicht sowie 1553 ein weiteres Mal als Comedi; vgl. Isenring 1962, S. 29–43 und S. 168f.

30

Knape 1995, S. 50. Beispielhaft äußert sich Wohlrab 1924, S. 2f. Vgl. dazu sowie zum Einfluss von Boccaccio auf Sachs Knape 1995, S. 49, der meint, „dass eine Reihe seiner besten Dichtungen aus den verschiedensten Gattungen im Dekameron ihre Quelle haben, dass ferner die künstlerischen Fortschritte, soweit man bei Hans Sachs von Fortschritt oder gar Entwicklung sprechen darf, fast ausnahmslos in Dekameronbearbeitungen zuerst fassbar werden“. In Bezug auf das Fastnachtspiel äußern sich vor allem Drescher und MacMechan Ende des 19. Jahrhunderts: Drescher 1894, S. 402, konstatiert, dass sich bei dem frühesten der 13 Fastnachtspiele „der erste bedeutende Fortschritt, die Benutzung des Ortswechsels“, finden lasse, wohingegen für MacMechan 1889, S. 80, zum ersten Mal eine Handlungsverwicklung erkennbar sei. Er sieht insgesamt im Verlauf der 13 Fastnachtspiele die verschiedenen Phasen der literarischen Entwicklung eingeschrieben.

4.1.2.1 Concreti

1

Vgl. Kocher 2005, S. 203 und 269f. Mit Bruni und Niklas von Wyle liegen Übersetzungen mit großer Nähe zum Original vor, da sie eine Wort für Wort Übersetzung vornehmen. Albrecht von Eyb hingegen übersetzt dem Sinn nach.

2

Deshalb ist es auch möglich, Kochers Analyse Albrecht von Eybs Bearbeitung hinzuzuziehen. Vgl. Kocher 2005, S. 219ff.

3

Vgl. Stuplich 1998, S. 311.

4

Vgl. Stuplich 1998, S. 311.

5

Im Dekameron finden sich mehr narrativierte Reden, die Gedanken von Figuren wiedergeben, als direkte Reden.

6

Pfister 2001, S. 157.

7

Arigo 1860, S. 248–250.

8

Vgl. Stuplich 1998, S. 313.

9

Arigo 1860, S. 248: „Gwischarde das ror zů im nam wol gedacht sy im das on vrsache nit geben het von ir schied zů haus gieng das rore öffnet das er czerkloben sahe darinn er den brief fand den las vnnd bald vernam was er thůn solt frölicher ward dann man ye ward sich zůricht vnnd bereyt zů ir zekomen nach dem sy in durch ir schreiben vnderricht hette.“

10

Kocher 2005, S. 235.

11

Vgl. Kocher 2005, S. 232ff., die nachweist, wie die Rede Ghismondas dem rhetorischen Aufbauprinzip in ‚salutatio‘, ‚exordium‘, ‚narratio‘, ‚argumentatio‘ und ‚peroratio‘ folgt.

12

Stuplich 1998, S. 316.

13

Ähnlich verfährt Sachs in der Lisabetha, dort allerdings in Form von selbstständig zu Beginn und Ende eines Aktes und zur Überbrückung eingefügten Monologen. Der zweite Akt beginnt und endet jeweils mit einem Monolog Lorentzos (KG VIII, S. 370 v. 32 – S. 371 v. 6; S. 373 vv. 20–26). Damit gelingt es Sachs einerseits die Echtheit der Liebe Lorentzos mittels der aktionalen Monologe zu bestätigen, andererseits die hereinbrechende Liebe dramatisch zu vermitteln, was zu einer Verschiebung des Handlungsschwerpunktes führt. Denn Sachs fand für den zweiten Akt nahezu keine stoffliche Basis in der Vorlage. In diesem Akt entwickelt er die Ohnmacht der Figuren gegenüber der Liebe, die über sie hereinbricht. Beide Monologe vermitteln die Botschaft, dass Lorentzo ein ehrlicher Mensch und sein zukünftiger Tod nicht gerechtfertigt ist. Sie helfen, Einsicht in die Motive Lorentzos zu bekommen und legen nahe, das Verhalten der Brüder zu verurteilen. Der erste Überbrückungsmonolog (KG VIII, S. 369 vv. 4–11) zielt auf die Lehre im Epilog. Zwar verbindet er die erste mit der zweiten Szene des ersten Aktes, für die Handlung und die daraus folgende Lehre des Schauspiels bekommt er indes die Funktion, die Rezipienten auf den Kern des Stückes aufmerksam zu machen, weil die Gedanken Lisabethas den Umschwung in einen tragischen Verlauf andeuten. Obwohl ihre Gedanken dem Epilog nach zu urteilen richtig sind, kommen sie zu spät. Der Monolog dient damit der Aufwertung der Figur Lisabetha und lenkt die Schuldfrage auf ihre Brüder. Lisabetha wird, so Stuplich 1998, S. 209, „von Sachs keinesfalls als Typ der leichtsinnigen jungen Frau geschildert. Der Epilog […] klärt darüber auf, warum die Geschehnisse im Stück einen so traurigen Verlauf nehmen mußten. Das unkluge Verhalten ihrer Brüder hat Lisabetha in diese unrehte Liebesbeziehung getrieben.“ Durch den starken reflexiven Gehalt entspricht der Monolog stärker den auf dem Dekameron beruhenden Monologen als es in den bisherigen Überbrückungsmonologen und dem zweiten in der Lisabetha (KG VIII, S. 382 vv. 3–6), die Sachs weitestgehend selbstständig einfügte, der Fall war.

14

Zur Umarbeitung der kasuistischen Novelle in einen exemplarischen dramatischen Text vgl. Teil C, Kap. 1.

15

Arigo 1860, S. 254f.: „in dem sich gen dem gulden kopf keret das hercz lieplichen ansahe vnnd sprach. O du aller liebste vndd süssiste herberg aller meiner begir vnd freude verflücht sey die hertikeyt des der do vrsache ist mich diche mit den augen meiner stirn also iämerlichen zesehen Du hast verbracht den laufe deines lebens als dir von dem vnglück ist beschert gewesen. du bist czů dem ende komen dar zů eyn yegklich hercze komen můß. Du hast gelassen alle trübsale diser welt, doch von deinem todfeind eyn guldene begrebnusse enpfangen hast als du wol wirdig bist. Nit anders dir mangelt vnd gebricht domit alle dinge verbracht werden dann alleyne die zäher der augen die du bei leben am liebsten hettest, vnd domit dir die zäher solcher augen zů teyl wurden gab gott meinem vnbarmherczigen vatter in sein gemüt dich mir (S. 255) zeschicken, darumbe ich dir sy freuntlich geben vnd mitteylen will, wie wol mein synn was mit trucken augen mein leben zeenden vnd mit vnerschrockem anplicke mein sele vnnd geyst zů deinem fügen die du auf erden ob allen dingen liebe hettest, in welicher geselschaft mocht ich sicher in vnerkant gegent faren. Als mit dir vnd deiner sele die on zweifel noch hier in disem gulden kopf ist vnnd mich noch von herczen lieb hat, vnd der meinen wartendt ist von der sy auch lieb gehabt ist. […] O du mein aller liebstes hercz nun ist verbracht das ampt meiner zäher, vnnd ist nit anders vorhanden zethůn dann mit meiner sele zekomen der deinen geselschaft zethůn.“

16

Vgl. Stuplich 1998, S. 316ff.

17

Vgl. Stuplich 1998, S. 319. In der Violanta verfährt Sachs ähnlich. Inhaltliche Aussparungen finden sich dort in Berichten zusammengefasst oder in einer Szene, in der sich Knechte über das Liebesverhältnis unterhalten. Sachs umgeht mit den zusammenfassenden Kürzungen das Problem, den Beischlaf der Liebenden und die Geburt des Kindes darstellen zu müssen, womit gleichfalls ein die szenische Darstellung überfordernder häufiger Ortswechsel einhergegangen wäre. Augenscheinlich tritt dieses Strukturierungsprinzip mit dem Auftreten des Richters hervor, der im gesamten dritten und vierten Akt, die Höhepunkt und Wendung zum Guten hin beinhalten, nicht die Bühne verlässt, was bei einer gleichzeitigen Vermeidung des Ortswechsels zur Raffung der Handlung und Verständniserleichterung beiträgt.

18

Der funktionale Einsatz des Monologes zur Szenenstrukturierung ist in diesem Stück nicht zu finden.

19

In der Violanta setzt Sachs am Ende des dritten Aktes den Erzählerkommentar der Vorlage Arigo 1860, S. 354: „O was strengen herten vrteyls das was das der vater in sein eygen plůte tochter vnd tiechter thet“, in einem Monolog des Richters um (KG VIII, S. 353 vv. 23–27):

Ach Gott, das ist ein strenger mann.

Wie mag ers nur im hertzen than,

Die zwo person also zu tödten,

Sein hendt in eignem blut zu röten?

Solch strengheit wer gar nit von nöten.

Der funktionale Einsatz des Monologs verdeutlicht nicht nur, dass der Richter genau wie der Erzähler das Geschehen kommentiert, sondern auch, wie sehr Sachs die Figurenreden nutzt, um die moralische Deutung in der Handlung zu vermitteln. Die Kommentierung des Richters entspricht der zweiten Lehre des Epilogs.

 

20

Alle Dekameron-Bearbeitungen als Tragedi oder Comedi sind in fünf Akte unterteilt. Krause 1979, S. 135, spricht von einem „Handlungsaufbau nach ‚anfang, mittel und endt‘, [der] wiederum […] gleichbedeutend mit der Darstellung von Ursache, Wirkung und Folge menschlicher Verhaltensweisen [ist]. Dieser rationalistische, dem Kausalitätsprinzip unterworfene Aufbau entspricht dem Verzicht auf die Darstellung tragischen Geschehens. Somit zeichnet sich ab, daß sich Sachs zur Vermittlung seiner rationalistischen Gesellschaftslehre auch einer rational einsichtigen Dramaturgie bedient.“

4.1.2.3 Thitus unnd Gisippus

1

Nicht nur Sachs ist sich der dramatischen Qualität dieser Novelle bewusst. Das beweist einerseits eine 1538 in England (Hitchin) produzierte lateinische Variante De Titi et Gisippi firmissima amicitia, die verloren ist, und andererseits die weitaus berühmtere Version The two Gentlemen of Verona von Shakespeare. Vgl. Zysset 2008, S. 50 Fn. 86. Inwiefern das für Schüler gedichtete lateinische Drama auch auf dem Kontinent bekannt war, lässt sich nicht klären, zeigt aber, dass der für Terenz geltende moralische und rhetorische Anspruch auch für Boccaccio gegolten haben könnte.

2

Teile dieses Abschnittes sind in Freund 2016 veröffentlicht.

3

Arigo 1860, S. 627f. (Hervorhebung durch Verf.): „Tito allein in sein kamern ging von neüem der züchtigen iunckfrauen schöne bedacht, vnd ye mer er ir gestalt weis vnnd gepärd bedencken ward ye mer sy im lieben vnd er in liebe brinnen vnd enczünden ward, des er nach etlichen schwären seüfczen wol enpfand das im der stral der liebe sein hercz vnd gemüt verwunt het czů im selbs sprach. O du ellends leben auf erden o Tito Quinto Fuluio wo seczest du hin dein gemüt lieb vnd hoffnung, erkenst du nit durch die enpfangen dienste von Cremente vnd seinem haußgesind Gisipo meinem liebsten freünd des die züchtig schön iunckfraw ist das ich die im ze lieb in sölichen eren vnd reuerencz haben můß als wäre sy mein leiblich schwester wes bedarft du dich ir dann also bekümern dich vnd dein gemüt vmb iren willen in also grosse vnrů seczen sy liebzehaben wo (S. 628) last du dich die blinden liebe hin füren vnd also blenden vnd betriegen, wo ist dein grosse hoffnung lere kunst vnd weißtumb tů auf die augen deiner vernunft erkenne dich selbs. O du ellender Römer bedenck die stat der gerechtikeyt zäum deinen vnkeüschen bösen willen mässig vnd schick dein begire zů andern sachen widerste vnd überwind dich selbs die weil du czeit hast, du solt nit wöllen noch des begeren daz do vnzüchtig vnd nit erber ist darzů du dich yeczund bereytest vnd wenn dir wissend wär das es dir werden solt. du soltest es mit aller deiner macht fliehen wöltest du anders der rechten waren freündschaft nach dem der lerer Tulio spricht eyn genügen tůn, vnd als dann soliche freündschaft begern ist, darumb Tito bedenck dich recht laß dein vnmässig liebhaben, du solt das deinem freund tůn als du wöltest er dir tät. Also der gůt iung Römer nach langem seinem mit im selbs reden gedancken vnd klagen, der iunckfrawen Sofronia schöne von neüem bedencken ward, vnd alles das er wider sich vnd sein vnmässige liebe gesprochen het zeruck leget vnd sprach. Die gesecz der liebe stercker vnd mächtiger sein dann andre gesecz oder gepot, sy brechen nit allein die gepot der freündschaft, sunder die hymelischen gesecz brechen wie offt hat sich begeben das der vatter die tochter liebgehabt vnd die beschlafen hat, der brůder die schwester, die stieffmůtter den stieffsun das erschrockenlichere vnd vnerlichere ding sein. dann das ein gůte freünd seines freündes weib lieb hat, das sich über zů tausent malen bei vnsern zeiten begeben hat über daz so bin ich iung vnd die iugent ist keynem gesecz der liebe verbunden noch vndertan, darumb was der liebe gefallen ist auch das mein gefallen sein sol, dann die züchtigen werck mer den betagten personen zůgehören dann den iungen, ich mag nit mer noch anders wöllen dann was die liebe will vnd ir gefallen ist, die grosse schöne daz züchtig gepärd diser iunckfrawen wol wirdig ist von einem yegklichen lieb zehaben dann ires geleichen in keynem land ist, vnnd wie wol sy meines freünds Gisippo ist vnnd ich als der do iung ist vnd sy lieb hab, wer mag mich des straffen ob ich ir liebe trag, Nun sei im wie im wöll so will ich sy liebhaben vnnd het sy lieb wär sy wes sy wölte, hier an sündet das gelück das sy e Gisippo meinem freünd ist verlihen worden dann eynem andern, sol sy nun liebgehabt sein vmb irer schöne vnd zucht willen als dann billich ist sy lieb gehabt sey, eyns solichen Gisipo von mir wo im daz zewissen käm sol wol zemůt vnd content sein daz ich sy vor andern mannen liebhab.“

4

Arigo 1860, S. 628: „Als der gůt iung Römer nach langem seinem mit im selbs reden gedancken vnd klagen, der iunckfrawen Sofronia schöne von neüem bedencken ward, vnd alles das er wider sich vnd sein vnmässige liebe gesprochen het zeruck leget vnd sprach.“

5

Neuschäfer 1969, S. 45.

6

Vgl. Neuschäfer 1969, S. 45.

7

Arigo 1860, S. 638: „do also lang wartet das Tito mit vil andern burgern beleyt zů dem hauß ausgieng Gisippo wol sahe, aber nit war nam wer er wär noch am mynsten gedacht das er Gisipo wär“.

8

Arigo 1860, S. 638: „sunder do er sahe vnd wolt ername das er von Tito gesehen worden was, vnd Tito im nicht zůgesprochen het, sunder nach seinem beduncken in e gescheühet hette, in grossen vnmůte vnd verczagnüß fiel bedencken warde was er im czů Athena in Sofronia beweißt hete vnd yeczund in widerkerung desselben von im verschmächedt wäre trauriglichen von dann gieng“.

9

Anders verfährt Sachs in der Griseldis-Bearbeitung. Dort hätte er die Akte nach den Proben, die mit zeitlichen Einschnitten einhergehen, aufteilen können. Stattdessen nutzt er den Monolog, um die Dramenhandlung um die Proben zu strukturieren, indem er den Ehemann vor jeder Probe einen Monolog sprechen lässt. Dass die erste und zweite Probe im dritten Akt zu finden sind und damit ein großer zeitlicher Sprung in einem Akt besteht, unterscheidet die Bearbeitung nicht wesentlich von den Vorlagen. In beiden – ‚Arigo‘ und Steinhöwel – wird unmittelbar nach dem Ende der ersten Prüfung von der Geburt des zweiten Kindes berichtet, worauf ebenfalls direkt die zweite Prüfung folgt. Vgl. Laserstein 1926, S. 66, und Stuplich 1998, S. 126. Dazu Dallapiazza 2010, S. 146: „Das Handlungsangebot, das Arigo als einziger dem Text hinzufügt, wird eindeutig und unmißverständlich erst in Hans Sachsens Rezeption. Es ist das der traditionellen Ehelehre, und in dieser präzisen funktionalen Ausrichtung findet sich auch dafür Vergleichbares weder bei Petrarca noch bei Steinhöwel. Gleichwohl ist dieser Funktionstyp nur angedeutet und transformiert deswegen noch keineswegs die Erzählung in eine Ehelehre, diese wird ihr allenfalls als Sinnpotential eingeschrieben.“