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Der Theatermonolog in den Schauspielen von Hans Sachs und die Literarisierung des Fastnachtspiels

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Obwohl das Spruchgedicht nach dem Fastnachtspiel gedichtet wurde, hat Sachs bei ihm die moralische Ausdeutung fast vollständig weggelassen. Lediglich in einzelnen kurzen Passagen macht er den herrischen Charakter der Frau deutlich, ohne ihn jedoch wie im Fastnachtspiel (vv. 301–303) durch den Pfarrer als falsches Verhalten kommentieren zu lassen:


Ey, Gredt, das thu ins Hertz dich schamen,
Du schendest aller Frawen namen;
Der Man sol je sein Herr im Hauß.

Insgesamt zielen die Hinzufügungen im Spruchgedicht nicht auf eine Zuspitzung der Figurenzeichnung, sondern auf eine Zuspitzung der Situationen, in die der Bauer durch sein Ungeschick gerät. Da im Spruchgedicht die moralische Ausdeutung äußerst knapp formuliert ist, führen die Erweiterungen zur Verstärkung der komischen Handlungssequenzen.

Lassen sich mit dem Meisterlied als Stoffgrundlage die Änderungen in Fastnachtspiel und Spruchgedicht nachweisen, so zeigt das Meisterlied schließlich auch, dass Sachs einen Stoff soweit zusammenzufassen vermochte, dass die relevanten Handlungsabschnitte erhalten blieben. Die Rezeptionslenkung spielt in der Bearbeitung des Stoffes als Meisterlied keine Rolle.

Das oben beschriebene Prinzip der dreiteiligen Handlungsdarstellung in Meisterliedern übertrug Sachs in den 1540er Jahren auch auf seine Spruchgedichte, sodass deren Plot häufig auf 60 Verse aufgeteilt und nahezu identisch mit dem der Meisterlieder ist. Der Schlussfolgerung von Glier, nach der Sachs das Erzählen im Meisterlied „lernt[e]“6, ist dahingehend zuzustimmen, dass sich Sachs hier Strukturierungsprinzipien aneignete, nach denen er einen Stoff in Anfang, Mitte und Ende aufteilen konnte, ohne dabei wesentliche Abschnitte auszulassen, und dennoch die vorgegebene Strophenform wahrte. Das meistersangtypische Formbewusstsein, das sich in der Einhaltung von Regeln manifestiert, übertrug Sachs auf andere Gattungen.

Zusammenfassend ergeben sich folgende funktionelle Unterschiede für die vorgestellten Gattungen aufgrund der inhaltlichen Umstrukturierungen: Das Meisterlied vermittelt den Stoff in der komprimiertesten Form und ohne Deutung. Es zielt darauf, den Stoff gemäß den formalen Vorgaben des Tons präzise zu präsentieren. Im Fastnachtspiel erreicht Sachs durch die Hinzufügungen eine Deutung, in der vor allem das Verhalten der Bäuerin problematisch erscheint. Das Spruchgedicht verstärkt hingegen den komischen Gehalt, indem Sachs die Szenen überspitzt darstellt, jedoch nicht kommentierend und wertend eingreift.7

Erklären lassen sich die unterschiedlichen Funktionszuweisungen an die jeweiligen Gattungen mit den verschiedenen Rezipientengruppen8 und Rezeptionsformen, die sich innerhalb der sechs Jahrzehnte, in denen Sachs dichtete, gewandelt haben: vom Hörer zum Leser und vom Vortrag zum Druck. Dies spiegelt sich sowohl in der Abnahme seiner auf den Vortrag ausgerichteten Meisterlieddichtung als auch in der Zunahme der hauptsächlich zum Lesen gedichteten Spruchgedichte wider.9

Die dramatischen Dichtungen nehmen in dieser Hinsicht eine Zwischenstellung ein. Mit ihnen richtete Sachs sich im Übergang vom Hören und Sehen zum Lesen auf einen breiteren Rezipientenkreis aus. Mit Blick auf die von Sachs selbst mitgestaltete Folioausgabe fasst Ingeborg Spriewald den Umbruch der Rezeption innerhalb des 16. Jahrhunderts wie folgt zusammen. Sachs trug der Tatsache Rechnung,

daß in der Zwischenzeit ein Literaturpublikum herangewachsen war, das in seiner Mehrheit nicht mehr auf Anhören und/oder Anschauen, sondern auf Lektüre eingestellt war. Die für das 16. Jahrhundert überdurchschnittlich lange Schaffenszeit von sechs Jahrzehnten ließ den Autor Sachs die Übergänge vom Zuhören sowie audiovisuellen Aufnehmen des gedruckten Angebots bis zur lesenden Rezeption miterleben und darauf reagieren. Daher bildete gerade diese Mehrgleisigkeit der Rezeptionsformen in seiner Zeit viel stärker, als das bisher erkannt worden ist, auch den Ausgangspunkt bzw. Anlaß für die Mehrfachbearbeitung, also die nicht seltene zwei- und dreifache Umarbeitung seiner Texte.10

2.2 Mediale Vermittlungsformen

Der vor allem die erste Hälfte des literarischen Schaffens von Sachs dominierende Meistersang richtete sich an einen Rezipientenkreis, der einerseits durch das Druckverbot klein gehalten und andererseits auf eine Gemeinde von Kennern ausgerichtet war, deren Interesse auf den Stoff sowie die Einhaltung und Bewertung der Form zielte.1 Da die Meisterkunst

einem dem breiten Publikum nicht durchschaubaren Reglement unterworfen und in ihrer umfassenden Rezeption ausschließlich an die Aufführungssituation gebunden ist, [entspricht sie] nicht den zeitgenössischen Möglichkeiten literarischer Breitenwirkung.2

Innerhalb dieses geschlossenen Kreises konnte Sachs seine formgebundene Stoffvermittlung einem „kunstverständigen Publikum“3 darbieten, erproben und zur Diskussion stellen. Beim Meisterlied bedurfte es deshalb nicht zwingend beigefügten Kommentierungen und Deutungen.

Das Spruchgedicht war für den Vortrag und zur individuellen Lektüre bestimmt.4 Je mehr die individuelle Lektüre in den Vordergrund rückte, umso mehr bewirkte die doppelte Rezeptionsform neben Mehrfachbearbeitungen eines Stoffes in verschiedenen Gattungen auch Mehrfachbearbeitungen innerhalb der Gattung Spruchgedicht selbst. Dies geschah insbesondere in den Jahren 1558–1563, in denen Sachs mit der Erarbeitung der Folioausgabe begann. In der zweiten Fassung legte er oft mehr Gewicht auf „Motivation, Milieu und Kontrast“.5

Müller geht davon aus, dass wegen der Auflösung definierter Literaturgemeinschaften die nicht geübten Leser

nachdrücklich zu einer reflektierenden Distanz gegenüber den erzählten erotischen und draufgängerischen Abenteuern, den erschröcklichen und gottlosen Exempla erzogen werden [müssen], ohne freilich mit der Autorität des gedruckten Wortes zugleich die ‚vil schönen lehr‘ zu diskreditieren.6

Die Ergebnisse von Glier und Müller lassen sich auf das Kälberbrüten insofern übertragen, als Sachs die im Fastnachtspiel eingefügten Motivierungen teilweise in den Schwank übernahm, jedoch nur, um die „häuslichen Katastrophen“7 zu verstärken. Dies zeigt, dass der Kern des Schwanks die Darstellung dieser Katastrophen ist. Im Schwank werden anders als im Fastnachtspiel weniger die Handlungsmotive des Bauern in den Mittelpunkt gerückt. Dass Sachs dem Spruchgedicht keinen ‚beschluß‘ beifügte,8 könnte ein Hinweis für die ‚reflektierende Distanz‘ sein, die er dem Leser einräumt. Weil der einzelne Leser seine Lektüre wiederholen kann, braucht es im Gegensatz zur einmaligen Rezeption in einer Aufführung ein geringeres Maß an Explizitheit, sodass die rezeptionslenkenden Funktionen im Spruchgedicht zurücktreten können.

Mithin scheinen die Änderungen im Spruchgedicht ein Ausweis dafür zu sein, dass Sachs die Unter-Gattung ‚Schwank‘ hauptsächlich in den Dienst der Komik stellte, sodass sie zum gattungskonstituierenden Merkmal wurde. Es mag die Ausnahme unter den Mehrfachbearbeitungen und insbesondere innerhalb der Gattung Spruchgedicht sein, dass Sachs sowohl dem Meisterlied als auch dem Spruchgedicht eine moralische Wertung nicht ausdrücklich an- oder einfügte. Dies spricht dafür, dass neben der Stoffvermittlung die Formvermittlung vom Anfang (Meistersang) bis zum Ende der dichterischen Schaffenszeit (Spruchdichtung) eine mindestens gleichwertige Rolle spielte wie die moralische Unterweisung. Im Kälberbrüten wird die Entwicklung der Unter-Gattung ‚Schwank‘ augenscheinlich, wenn sie zur „vorwiegend unterhaltende[n] Gattung“9 wird, d.h. die moralische Generalisierung erfolgt nicht mehr explizit, sondern implizit und in vermittelter Form.

Im Vergleich zum Spruchgedicht und Meisterlied tritt im Fastnachtspiel die persuasive Ausrichtung umso mehr zutage. Im Fastnachtspiel wie auch in den Tragedis und Comedis bleibt die primäre Rezeptionsform die Aufführung, denn auch wenn mit den gedruckten dramatischen Texten eine Leserschaft angesprochen wurde, erhoffte sich Sachs dadurch weitere Aufführungen seiner Stücke, vor allem außerhalb Nürnbergs.10 Die Spezifik kausaler Motivation, die nicht nur im Fastnachtspiel das Kälberbrüten besteht, begründet sich durch einen Rezipientenkreis, der in einer Übergangsphase zwischen Hören und Lesen angekommen ist. Diese Übergangsphase nennt Epping-Jäger „Kultur der Hypoliteralität“.11 Epping-Jägers Ausführungen zu den literalen Strategien der Autoren in dieser Zeit verdeutlichen einen für die Literarisierung des Fastnachtspiels entscheidenden Aspekt. Demnach wirkt vornehmlich eine literale Strategie der Verständnissicherung,

die zwar auf durchaus weiterbestehende orale Bewußtseinsstrukturen bei den Rezipienten ausgerichtet ist, diese aber nur noch als ‚orale Färbung‘ einer sich allmählich ausbildenden literalen Rezeptionsfähigkeit berücksichtigt.12

Literale Strategien der Autoren sind u.a. die Wahl einer bestimmten Gattung und die Gestaltung des Textes nach bestimmten grammatischen und stilistischen Vorgaben, was wiederum Mittel sind, denen „die Existenz literaler Rezeptionsfähigkeit in wachsendem Maße unterstellt wird“.13 Die Verständnissicherung ist hierbei zentral, denn der Unterschied zwischen einem literalen und hypoliteralen Publikum liegt darin, dass das eigenständige Ausfüllen von Leerstellen in der Handlung bei letzterem nicht vorausgesetzt werden kann:

 

Literales Verstehen besteht geradezu […] darin, die vom Text offen gelassenen ‚Leerstellen‘ in Prozeduren des hermeneutischen Schlussfolgerns interpretativ aufzufüllen. Eben diese Voraussetzung aber gilt für die Autor-Publikum-Interaktion hypoliteraler Kulturen nicht. In dem Maße, in dem die zerdehnte Kommunikationssituation des literalen Diskurses noch keinen vertrauten Rahmen für Autor und Publikum abgibt, muß der hypoliterale Autor in die literale Produktion orale Muster kognitiver Verarbeitung einschreiben, will er seinen Lesern/Zuschauern einen Zugang zu Texten eröffnen und darüber hinaus sicherstellen, daß sie den Textsinn verstehen.14

Die Besonderheit dramatischer Texte ist, dass sie das Rezeptionsbedürfnis eines semi-oralen Publikums bedienen, d.h. zwar keiner Rezeption als Lesetexte bedürfen, aber gleichzeitig das Lesebedürfnis einer sich entwickelnden Leserschaft befriedigen.15 Mit der Dialogizität dramatischer Texte konnte sich am angemessensten der „kommunikativ-pragmatische Anwendungswert der stofflichen Vorlage im Hinblick auf die Rezeptionsfähigkeit eines weitgehend noch oralen Publikums“16 vermitteln lassen.

Über die Befunde von Epping-Jäger hinaus ist es aber nicht nur die Dialogizität, sondern vor allem die Funktionalisierung der Monologe, die dem Verständlichkeitspostulat Rechnung trägt, denn gerade mit den Monologen umgeht Sachs das Problem, Leerstellen offen zu lassen und führt die Rezipienten durch die Handlung.

Der von Epping-Jäger mit dem Begriff der Hypoliteralität erfasste Prozess lässt sich an der Funktionalisierung der Monologe im Kälberbrüten illustrieren. Sie stellen Kausalität durch motiviertes Verhalten her und dienen damit dem Verständnis der Handlungsführung und des lehrhaften Gehalts.

Die Darstellung anhand der ersten Szene, deren Inhalt sich weder im Spruchgedicht noch im Meisterlied findet, macht das deutlich: Der Expositionsmonolog der Bäuerin, der Dialog und der Abgangsmonolog des Bauern liefern mit dem Entschluss des Bauern, sich noch einmal schlafen zu legen, die Begründung, weshalb die Bäuerin zum Markt geht, der Mann den Haushalt besorgt und es zu der verhängnisvollen Verkettung unglücklicher Umstände kommt. Alle drei Abschnitte der ersten Szene vermitteln das Bild der Frau als Herrin im Haus und des faulen Ehemannes. Sachs versteht sich darauf, in der Exposition alle Leerstellen vorab zu vermeiden und gleichzeitig an die gelegten Grundpfeiler im Laufe der Handlung anzuknüpfen, um sie abschließend in einen lehrhaften Gehalt zu überführen.

Die Monologe dienen in diesem Fastnachtspiel maßgeblich der Erklärung für das Handeln. Sie sind unverzichtbar für die Vermittlung des Geschehens; zweitrangig ist die Darstellung komischer Momente. In diesem Sinne kommt dem aus der Monologkette bestehenden Mittelteil der Handlung eine erläuternde und hinführende Funktion für die abschließende Aufklärung und Belehrung zu.

Mit dieser Rezipientenorientierung geht die Profilierung eines neuen dichterischen Selbstverständnisses einher,17 das Ähnlichkeit zu frühneuzeitlichen Übersetzern wie Heinrich Steinhöwel und Albrecht von Eyb aufweist, die nicht Wort-zu-Wort, sondern Sinn-zu-Sinn übersetzten. Sachs und die frühneuzeitlichen Übersetzer konnten einen Text nicht einfach übertragen bzw. übersetzen, sondern mussten Änderungen am Stoff vornehmen, damit ihn ihre Rezipienten verstehen konnten. Sie mussten ihre Stoffe dabei für Rezipienten bearbeiten, die zwar Interesse an literalem Wissen hatten, aber noch nicht über literalisierte Rezeptionsformen verfügten.

Während die Übersetzer einen sozial begrenzten Rezipientenkreis aus Adel und Patriziern vorfanden, der mangels eigener Lateinkenntnisse sein Interesse an den wiederentdeckten heidnischen Autoren nicht durch die Lektüre von Originaltexten befriedigen konnte“,18 musste Sachs seine Stoffe auktorial bearbeiten, d.h. Texte für einen nicht-humanistischen und volkssprachlichen Rezipientenkreis dichten.19 Sachs musste darum selbst vor der Produktion seiner Texte die Rolle des exemplarischen individuellen Lesers einnehmen,20 um den Textualitätsgrad „dem Grad der Literalisiertheit des Publikums“ anzupassen,21 das seine Stücke sehen und lesen sollte.

Demnach musste der Dichter seine Texte mit Blick auf seine Rezipienten verfassen, um deren Literalisiertheit gleichsam weiterzuentwickeln. Innerhalb dieser ‚Parallelentwicklung‘ konnte der Dichter seine Rezipienten an neue Formen gewöhnen sowie diese wiederum differenzieren und spezialisieren.

Das Verständnis von Formen und vor allem ihrer Funktionalisierung zur Vermittlung eines Stoffes markiert den wesentlichen Unterschied zu den Übersetzern der Frühen Neuzeit. Um Rezipienten ohne akademische Bildung zu erreichen, genügte es nicht, einen Text einfach zu übersetzen. Es bedurfte vielmehr einer dichterischen Transferleistung in bekannte Formen.22 Der Autor war dadurch ein ‚medialer Übersetzer‘, der die zumeist nicht-versifizierten Vorlagen in Reimpaarverse übertrug. Auch die Mehrheit der dramatischen Texte hat epische Vorlagen. Es ist insbesondere die mediale Übersetzungstechnik, die Sachs’ Autorschaftsprofil schon in den Meistersingerjahren prägte. Die Bezugnahme und gleichzeitige Vermittlung der verschiedenen Gattungen zeichnet den poetologisch kompetenten Autor aus, der auch die Rezeptionskompetenz seines Publikums schult.23

Auf den Monolog im Fastnachtspiel übertragen bedeutet das, dass Sachs die seinen Rezipienten bisher unbekannte Art der Figurenrede in die Spiele einfügte und ihnen diese künstliche Form Schritt für Schritt näher brachte. Mit der Einführung des Monologs ging gleichzeitig die Erhöhung des Fiktionalitätsgrades und der Komplexität der Handlungsführung einher. Über die Jahre konnten die Monologe in ihren Funktionen vielschichtiger werden, weil sie wiedererkennbare Merkmale aufwiesen.

Für das 1551 entstandene Kälberbrüten zeigt der extensive Monologeinsatz, dass Sachs Wissen über verschiedene Monologtypen bei den Fastnachtspielrezipienten voraussetzen konnte. So konnte der Monolog zu diesem Zeitpunkt schließlich maßgeblich die Handlungsführung übernehmen und deren Verständnis erleichtern.

Schluss

Der Autor Hans Sachs hat über einen Zeitraum von 33 Jahren (1517–1550) seine Rezipienten nicht nur in die ‚neuen‘ dramatischen Gattungen Tragedi und Comedi eingeführt, sondern die handlungsbezogenen und strukturellen Funktionen monologischer Figurenrede, die er sich bei der Bearbeitung ihrer Vorlagen aneignete, auf die Gattung Fastnachtspiel übertragen und spätestens ab 1550 zu einem selbstverständlichen dramaturgischen Bestandteil gemacht.

Das Fastnachtspiel bediente mit seiner veränderten geschlossenen dramatischen Form die Bedürfnisse der Rezipienten, für die eine Übergangsphase zwischen Hören und Lesen, eine Kultur der Hypoliteralität, prägend war. Die dabei maßgeblich verfolgten literalen Strategien, d.h. sowohl die Gattungswahl als auch die Dichtungsverfahren, zielten vor allem auf die Rezeptionslenkung, mit der das Verständnis der Handlung gesichert und die reformatorische Wissensvermittlung eingebunden werden konnte. Die Funktionalisierung des Theatermonologs zeigt, dass die dramatische Form dafür besonders geeignet war, weil er die komplexen Handlungen begleiten konnte und den textlichen und darstellerischen Rückbezug zu den Rezipienten eröffnete, ohne dass der Monologisierende aus der Spielrealität austreten musste.

Die Adaptation des Formenrepertoires aus einer literarischen Tradition, im Anschluss an die Wiederentdeckung und Neubelebung von antiken Stoffen und ihren poetologischen Bezügen, fand im Fastnachtspiel eine wiederum anschlussfähige Form für dramatische Produktion und Präsentation. Sachs machte das Fastnachtspiel für nicht-gelehrte Rezipienten zu einer medialen Brücke, mit dem das stoffliche und poetologische Interesse geweckt und entfaltet werden konnte.

Diese kultur- und bildungsgeschichtliche Dimension gewinnt ihre Bedeutung in Hinblick auf zeitgenössische Rezipientenkreise, die keinen oder einen nur begrenzten Zugang zur gelehrten literarischen Bildungstradition hatten. Während Comedi und Tragedi in der theatralen Inszenierung eine Vermittlung literarischen Wissens boten, die in erster Linie an die bearbeiteten Stoffe gebunden war und sich in Abhängigkeit von den Stoffen zugleich als Einübung in die Rezeption komplexerer poetischer Techniken deuten lässt, zeigt sich die historische Relevanz der Fastnachtspiele weniger in der Übertragung von Stoffen aus der gelehrten Bildungstradition an ein bildungsferneres Publikum, sondern in der Einübung davon abgelöster, auf Stoffe einfacherer volkssprachlicher Gattungen projizierter literarischer Verfahrensweisen.

Die an die Stoffe geknüpfte Wissensvermittlung legte ihre poetologische Dimension in den literarischen Verfahrensweisen offen, die nun im volkssprachlichen Theater verbreitet wurden. Ohne Lateinkenntnisse und schriftliterarische Übung vorauszusetzen, machte das Theater als Bildungsinstitution literarische Traditionen zugänglich. Ein damit zu verbindendes Autorschaftskonzept konnte somit in eine Analogie zu dem der zeitgenössischen lateinisch-volkssprachlichen literarischen Übersetzer gestellt werden.

Die Spezifik des Autors Hans Sachs liegt darin, dass er sich an humanistische Traditionen anschloss und ihre Formen und Stoffe soweit adaptierte, dass er sie für einen neuen bzw. erweiterten Rezipientenkreis aufbereiten konnte. Mit seiner reformatorisch-humanistischen Wissensvermittlung griff er Angebote der Gelehrtenkultur auf und passte sie der Kompetenz seines Publikums an. Mit dem Bild von Sachs als „Fastnachtspieldichter“, der in der Übertragung moraltheologischen Wissens in Verbindung mit einer zunehmend elaborierten Dramentechnik die Vermittlung tugendethischer Verhaltensmuster verfolgte, wird ein Kontrast zur ursprünglichen Form und Funktion des vorreformatorischen Fastnachtspiels deutlich, der schärfer nicht sein kann – war das Fastnachtspiel doch ursprünglich eine ritualisierte Spielform, deren Stoffe und Darstellungen kollektiv verankert waren. Das Fastnachtspiel hatte sich von seiner Funktion als Teil einer sozialen zu einer rein theatralen Inszenierung gewandelt. Sachs profitierte von dieser Wandlung der dem Spiel beigegebenen Konventionen und Codes, er nutzte sie für seine dichterischen Intentionen und beeinflusste zugleich maßgeblich den Literarisierungsprozess. Seine poetologischen Kenntnisse und Erfahrungen konnte er in verschiedenen Gattungen wie Meistersang und Spruchdichtung sammeln. Besonders aber seine Auseinandersetzung mit den ‚neuen‘ bzw. wiederentdeckten dramatischen Gattungen Komödie und Tragödie führte zur literarhistorisch bedeutsamen Entwicklung von deutschsprachigen Dramen und gab einen wesentlichen Impuls für die Etablierung des Fastnachtspiels als Lustspiel.

Die von Füssel angesprochene „produktive Konkurrenzsituation“1, in die Sachs zu den neulateinischen Gelehrten geriet, kann für das Fastnachtspiel gattungspoetologisch aufgegriffen werden. Dabei ist allerdings weniger von einer Konkurrenz, als vielmehr von einer produktiven Interaktion auszugehen, da Sachs als volkssprachlicher Dichter zum einen auf die Übersetzungs- bzw. Übertragungsleistungen zurückgreifen konnte und zum anderen wesentliche Grundanliegen der humanistischen Hinwendung zum Drama gleichermaßen verfolgte. Neben Übereinstimmungen in den tugendethischen Konzeptionen als gemeinsamem ‚Wertekanon‘ ist die im produktiven Rezeptionsprozess angeeignete poetologische Kompetenz herauszustellen, mit der sich Sachs in eine humanistische Tradition stellte.

Dem Fastnachtspiel kam innerhalb der dramatischen Texte von Sachs eine Ausnahmerolle zu, weil es als bekannte ‚ältere‘ Gattung neben den ‚neuen‘ Gattungen Tragedi und Comedi bestehen musste. Es war neuen formalen Einflüssen ausgesetzt, die sich aufgrund der Durchlässigkeit der dramatischen Gattungen ergaben. Dass es innerhalb der zahlreichen Mehrfachbearbeitungen nur einen Stoff gibt, den Sachs als Fastnachtspiel und Comedi bearbeitete2, macht die Unterschiede der verarbeiteten Stoffe zum Gattungsmerkmal. Formale Kriterien haben Sachs nicht dazu bewogen, einen Stoff doppelt zu bearbeiten. Und selbst die markantesten formalen Merkmale der Tragedis und Comedis – Akteinteilung, Prolog und Epilog – setzte Sachs in seinen letzten Fastnachtspielen ein.

Werner Röckes These von der „Dialogisierung mit der antiken Komödie“, die eine „Modifikation des Fastnachtspiels erzwingt, damit aber auch sein Ende herbeiführt“3, lässt sich nicht nur für das Fastnachtspiel von Jakob Ayrer, sondern ebenso auf das Fastnachtspiel von Sachs übertragen; insbesondere im Hinblick auf den formalen Aufbau.

 

Im literarhistorischen Rahmen stellt die Aufnahme, Verwendung und Funktionalisierung des Theatermonologs ein zentrales, auf Inhalt und Struktur bezogenes dramentechnisches Gelenkstück für die Literarisierung des Fastnachtspiels dar. Entsprechend richtete sich der Fokus der Untersuchung auf die poetologiehistorische Rekonstruktion der Aneignung und die phänomenologische Beschreibung des Einsatzes der Monologtechnik durch Sachs.

Teil A hat mit der Monologtypologie, die aus der Untersuchung aller Fastnachtspiele von Sachs erarbeitet worden war, das Analyseraster geliefert. Sie hat die Monologfunktionen in eine strukturell-gliedernde und handlungsbezogene Ebene unterteilt, die sich wiederum auf Figur, Zeit und Ort aufteilen. Die Typologie stellt ein Begriffsinventar zur Verfügung, mit dem sich die Adaptation von Vorlagen beschreiben ließ. Von den 347 Monologen sind lediglich sieben in Fastnachtspielen vor 1550 zu finden.

Ausgehend von dem Vergleich des Fastnachtspiels G 57 mit seiner vorreformatorischen Vorlage konnte der von Przybilski aufgestellten These, nach der Sachs das gleiche Figurenrepertoire und die gleichen rhetorischen Mittel benutzte wie die vorreformatorischen Fastnachtspieldichter, widersprochen werden. Mehr noch wurde durch die Konzentration auf ein dramentechnisches Mittel die Untersuchung auf Tragedi und Comedi sowie deren Vorlagen ausgeweitet.

Teil B hat den grundlegenden Einfluss der Rezeption von Texten aus der humanistischen Gelehrtenkultur dargelegt und aufgezeigt, dass Sachs sein Formenrepertoire zu großen Teilen daraus bezog. Für die Dramaturgie einer schwankhaften Handlungskonstruktion, wie sie in den Fastnachtspielen zu finden ist, ließen sich exemplarisch Vorlagen herausgreifen, die zeigen, wie Sachs deren Verfahren in direkter Rezeption in Tragedi und Comedi übertrug. Die Bearbeitungen des Pluto, Henno, Dekameron und der Menaechmi lieferten das Formenrepertoire, das maßgeblich in den Fastnachtspielen wieder zu finden ist. Die Konvergenz von antiker Dramenform und volkssprachlichem Schwankstoff wurde in der Henno-Bearbeitung deutlich sichtbar. Selbst- und Fremdcharakterisierungen, Enthüllungen, Ortswechsel und Zeitsprünge setzte Sachs hierfür in direkter Anlehnung an Reuchlin ein und nutzte den Monolog auch zur Szenenstrukturierung. Das sukzessive Prinzip, das wohl seit 1545, spätestens jedoch ab 1550 die Fastnachtspiele dominierte, fand im Henno erstmals seine Umsetzung.

Die Dekameron-Bearbeitungen verdeutlichen, wie Sachs Erzählerrede in Figurenrede übertrug und wie er Affekt- und Reflexionsdarstellung einsetzte. Die Handlungsstruktur der Novellen konnte er in eine dramatische Form übertragen, weil die Novelle die Strukturierung bereits vorgab und die aus dem Henno bekannten Monologfunktionen Möglichkeiten eröffneten, mit denen er Probleme der Übertragung umgehen konnte. Auch wenn die Dekameron-Bearbeitungen als Tragedi und Comedi nicht-schwankhafte Stoffe zum Inhalt hatten, diente das Dekameron doch für 13 Fastnachtspiele als Vorlage.

Die Bearbeitung der antiken Komödie Menaechmi zeigt deutlicher als der Henno das Verhältnis von Komik und Intrige und die Funktion des Monologs, die Intrige verständlich zu vermitteln. Insbesondere das Zusammenspiel des Formenrepertoires aus Henno, Dekameron und Menaechmi macht plausibel, weshalb die Fastnachtspiele in ihrer Handlungskonstruktion komplexer werden konnten und in welcher Form Sachs sie aus schwankhaften narrativen Quellen übertragen konnte.

Neben der stofflichen Abhängigkeit ließ sich auch eine formale Abhängigkeit nachweisen, indem nachgezeichnet wurde, wie Sachs sich in Tragedi und Comedi einen Großteil der wichtigen strukturell-gliedernden und handlungsbezogenen Monologfunktionen im nachahmenden (imitatio) Rezeptionsprozess angeeignet hat. Seine poetologische Kompetenz erarbeitete er sich anhand von Vorlagen, die in der literarischen Tradition stehen, in antiker Dramenform zu dichten.

Darin, dass Sachs seine Tragedis und Comedis mit Prologen und Epilogen versah und nach ‚anfang, mittel und endt‘ strukturierte, finden sich eindeutige Anknüpfungspunkte für das Verständnis von Textstrukturierung und Didaktisierung, die Sachs zudem selbst klar benannte. Die bearbeiteten Vorlagen aus dem Aneignungsprozess der Jahre 1527–1549 legen eine poetologische Kompetenz nahe, die auf drei Verfahrensweisen basierte: 1. Didaktisierung durch Textstrukturierung, 2. Textstrukturierung zur Nachahmung der antiken Dramenform und 3. dramentechnisch verankerte Verständnissicherung zur Herausarbeitung der Intrige.

Wie Sachs seine poetologische Kompetenz für seine eigene reformatorisch geprägte Wissensvermittlung funktionalisierte, hat Teil C dieser Arbeit veranschaulicht. Alle vier untersuchten Fastnachtspiele haben eine schwankhafte Handlungskonstruktion, die sich in der szenischen Strukturierung, in der Etablierung von fiktiven Szenerien mit Ortswechseln und Zeitsprüngen und in der Figurenkonstruktion deutlich von den Fastnachtspielen vor 1550 unterscheiden, die noch fast ohne Monologe auskommen. Allen gemeinsam ist der persuasive Anspruch an Dichtung. Zwar beabsichtigten auch – unter Berufung auf Cicero – die neulateinischen Dramatiker mit ihrer Dichtung moralisch lehrhaft zu wirken, doch Sachs aktualisierte diesen Anspruch für die reformatorische Wissensvermittlung. Hierfür nutzte er das Formenrepertoire, das er sich in der produktiven Rezeption während der Tragedi- und Comedi-Dichtung angeeignet hatte.

Nicht nur die sozialethisch wirksamen Umbrüche der Reformation, sondern auch die kommunikativ wirksamen Verständnishorizonte der nicht-akademischen Rezipienten bewirkten Änderungen in der Funktionalisierung des Formenrepertoires, das seine Umsetzung in vollem Umfang erst auf einer festen Bühne fand. So verdeutlichte der erste Abschnitt in Teil D, dass die Aufführung auf einer festen Bühne ab 1550 für die komplexere Handlungsstruktur der Fastnachtspiele förderlich war. Das adaptierte Formenrepertoire konnte für die auf dem sukzessiven Prinzip beruhende Handlungsführung umgesetzt werden. Durch eine Grenze zwischen Publikum und Schauspielern wurde die unmissverständliche Vermittlung aufeinander folgender Zeitabschnitte und Ortswechsel innerhalb von fiktiven Szenerien möglich. Die szenische Strukturierung mit genau geregelten Auf- und Abgängen legt eine Aufführung auf einer festen Bühne nahe.

Der zweite Abschnitt von Teil D verfolgte den Ansatz, das Theater als Bildungsinstitution zu untersuchen. Im Zentrum standen die nicht-gelehrten Rezipienten und das Autorselbstbild. Mithilfe der ‚Kultur der Hypoliterarität‘ konnte erklärt werden, weshalb die Struktur der Fastnachtspiele, insbesondere der Monologeinsatz, auf Kausalität in der Handlungsführung ausgerichtet ist. In der Stoffvermittlung sollten Leerstellen, die für das damalige Verständnis hinderlich gewesen wären, vermieden werden. Dafür dienten insbesondere die in Teil C erarbeiteten Verfahren zur Figurenkonzeption und Vermittlung von Zeitsprüngen und Ortswechseln. Der Autor nahm die Rolle des medialen Übersetzers für ein ‚Laien‘-Publikum ein, der die Texte deshalb dem Verständnis anpasste und Stoffe in verschiedene Gattungen übertrug.

Innerhalb der 43 Jahre, in denen Sachs Fastnachtspiele dichtete, entwickelte und etablierte er für seine Rezipienten eine neue Form der komischen dramatischen Dichtung, wobei funktional stützend die Monologtechnik zum Einsatz kam. Die Wandlung des allgemeinen Verständnisses gegenüber dem Fastnachtspiel und damit die Abkehr von einer Komik der ‚verkehrten Welt‘ schufen Raum dafür, Komik im Fastnachtspiel über die Ausarbeitung von Figur, Konflikt und Intrige in einem sukzessiven Handlungsbogen auszugestalten. Eine dafür wesentliche Voraussetzung war die Etablierung einer ‚fiktiven Spielrealität‘.