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Der Theatermonolog in den Schauspielen von Hans Sachs und die Literarisierung des Fastnachtspiels

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2 Rezipient und Autor
2.1 Mehrfachbearbeitung des Stoffes das Kälberbrüten

Betrachtet man das Œuvre von Sachs, fällt nicht nur die enorme Anzahl von über 6000 Werken, sondern auch die Verwendung zeitgenössischer Gattungen, abgesehen vom Vers-und Prosaroman, auf. Sind auch keine poetologischen Traktate oder Ausführungen zu Gattungsfragen überliefert, so hat Sachs doch Stoffe jeweils als Meisterlied, Spruchgedicht und/oder Tragedi, Comedi und Fastnachtspiel während seiner gesamten Schaffenszeit bearbeitet. Geiger zählt insgesamt 211 Mehrfachbearbeitungen1 und mindestens 14 Dreifachbearbeitungen eines Stoffes als Fastnachtspiel, Meisterlied und Spruchgedicht.2

Die Mehrfachbearbeitung ist ein dichterisches Verfahren, das seine gesamte Schaffenszeit durchzieht,3 und aus dem sich gattungspoetologische Schlüsse ziehen lassen. Ihre Untersuchung lässt inhaltliche und formale Gattungsunterschiede konkret hervortreten und zeigt, welche divergierenden Funktionen die Gattungen in der Vermittlung des Stoffes einnehmen. Diesem Kapitel liegt die Annahme zugrunde, dass Sachs neben der Stoffvermittlung eine Formvermittlung im Sinn hatte. Damit geht ein Autorschaftsbild einher, das auf der Zurschaustellung von Formkunst gründet, die gleichzeitig auf einen sich neu formierenden Rezipientenkreis ausgerichtet ist.

Analysegrundlage bildet im Folgenden das Kälberbrüten. Eine direkte Vorlage ist nicht klar zu erkennen, dennoch lassen sich Varianten des Stoffs, die in der Tradition einer Fazetie Heinrich Bebels stehen, ausmachen.4 Die Abweichungen der Bearbeitungen von der Fazetie sind jedoch so groß, dass eine Vergleichsanalyse keine Aufschlüsse für das Autorschaftsbild oder poetologische Fragen mit sich bringt. Die Fazetie zeigt vor allem, dass Sachs seinem Auswahlschema treu bleibt und einen verbreiteten Schwankstoff zur Bearbeitung nimmt.

Sachs dichtete das Fastnachtspiel 1551 und das als Schwank klassifizierte Spruchgedicht5 1557. Ihrer Analyse wird die des Meisterliedes6 (1547) vorangestellt, um die inhaltlichen Veränderungen herauszuarbeiten.

2.1.1 Meisterlied

Generell erfolgte die Meisterlieddichtung für den Gesangsvortrag, den ‚Merker‘ bewerteten. Kriterien waren Verskunst und Reimreinheit, inhaltliche Qualität und Sprachrichtigkeit.1 Müller spricht deshalb von einer Kunst, die „identisch war mit Regeleinhaltung bzw. Fehlervermeidung.“2

Weil die Drucklegung verboten war, sind die 4285 Meisterlieder von Hans Sachs3 nur in Handschriften überliefert.4 Das Meisterlied das Kälberbrüten hat Sachs in drei Handschriften festgehalten und ist weitere sechs Mal als Abschrift überliefert.5 Möglicherweise stehen die Gattungen Meistersang und Spruchgedicht nah beieinander,6 weil Sachs im Spruchgedicht das Druckverbot der Meisterlieder umgehen konnte. Dafür spricht, dass 58 Spruchgedichte und Meisterlieder aus den 1540er und 1550er Jahren nahezu identisch sind und häufig am selben Tag gedichtet wurden.7

Im formalen Aufbau ist jedes Meisterlied in einem Ton abgefasst, der Melodie und Strophenform vorgibt. Grundlegendes Schema ist die dreigliedrige Kanzonenform (AAB).8 Im vorliegenden Fall handelt es sich um den Schatzton Hans Vogels, bestehend aus zwei siebenversigen Stollen im Aufgesang und einem achtversigen Abgesang.9

Weil die Einhaltung der vorgegebenen Form für den Meistersang entscheidend ist, kommt der Meisterlieddichtung eine „Ästhetik der Meßbarkeit“10 zu. „Aber das Dichten ‚nach Maß und Zahl‘ hat sich“, so Kugler, „nicht auf die Bestimmung der Versmaße beschränkt, sondern hat das gesamte poetische Gefüge, hat die Form-Inhalt-Beziehungen der Meisterlieder bis in die Details hinein geprägt.“11 Die Poetiken der Meistersinger, die ‚Schulkünste‘, geben zur Strukturierung eines Stoffes lediglich die von Sachs bereits für die dramatischen Texte aufgezeigte Einteilung in ‚anfang, mittel und end‘ vor. Neben der Anweisung, den Stoff in einer bestehenden metrischen Form wiederzugeben, ist die angemessene Strukturierung ein entscheidender Bestandteil der Meisterliedkunst. Demnach soll der Stoff in drei Teile gegliedert werden, weshalb häufig der Mittelteil den Umschwung der Handlung beinhaltet.12 Der Umgang mit dem Stoff, so Kugler weiter, ist

eine produktive Rezeption, eine eingreifende Lektüre, die sich am Lesetext abarbeitet, indem sie ihn umarbeitet. Sie unterliegt dem Zugriff einer Poetik, die in entscheidendem Maße – und das ist das eigentlich Wichtige und Bemerkenswerte – quantifizierende Mittel einsetzt, um Qualitäten kenntlich zu machen.13

Den Stoff vom Kälberbrüten verteilt Sachs in der geforderten Art auf drei Strophen:


1. Strophe: Ein Bauer möchte den Haushalt erledigen, während seine Frau in der Stadt das Geld verdient. Er verschläft, weshalb ein Kalb im Brunnen ertrinkt. Ihm kommt die Idee, aus Käse Kälber zu brüten.
2. Strophe: Der Bauer setzt sich auf den Käse und ist für seine Frau nicht mehr ansprechbar, weil er Hühnergeräusche zur Antwort gibt.
3. Strophe: Die Bäuerin holt den Pfarrer zu Hilfe, der den Bauern beschwört und von dem Korb herunter zieht. Der Bauer ist verärgert, weil seine Frau und der Pfarrer ihn vom Kälberbrüten abgehalten haben.

Die von Kugler allgemein festgestellte Zentrierung im Mittelteil der Meisterlieder findet hier ihre Bestätigung, wenn im zweiten Stollen der zweiten Strophe die ‚Wende‘ erfolgt, indem die Bäuerin ihren Mann auffindet und er auf ihre Fragen mit Tiergeräuschen antwortet. Von diesem Punkt an will die Bäuerin mit ihrem Mann in ein Gespräch kommen. Die dritte Strophe beginnt mit der Resignation der Bäuerin ob ihrer vergeblichen Versuche, so dass sie den Pfarrer holt, um ihren Mann beschwören zu lassen.

Die Figurenzeichnung ist im Meisterlied neutral angelegt, sodass Kommentierungen zum Verhalten nahezu fehlen. Lediglich der zweite Vers der ersten Strophe charakterisiert den Bauern als verwirrt: „Der seiner sin war halb zerstrewt“. Der Bauer steht im Zentrum der Handlung, während das Handeln der Figuren Ehefrau und Pfarrer nicht durch eigene Motive gelenkt ist. Der Bauer hält bis zum Schluss daran fest, Kälber brüten zu wollen, und bleibt damit auch weiterhin im ‚verwirrten‘ Zustand, den er bereits im zweiten Vers innehatte. Die Bäuerin erscheint erst in der Sequenz, in der sie aus der Stadt zurückkommt, und tritt dort als besorgte Ehefrau auf, die ihren Mann auch in dieser Situation noch als „lieben Hans“ (v. 43) anspricht. Dem Pfarrer kommt die Aufgabe zu, die Beschwörung vorzunehmen und den Bauern vom Korb zu ziehen.

Das Meisterlied endet ohne moralische Kommentierung.14 Lediglich ein abschließendes Sprichwort (vv. 65–66) weist auf die Kurzlebigkeit von guten Vorsätzen hin: „Also manch güet anschlag verget / Gleich ainer wasser plasen.“ Die Ausführungen zum Meisterlied bilden die Grundlage, um insbesondere die Erweiterungen und Wertungen identifizieren zu können, die gattungskonstituierend für Spruchgedicht und Fastnachtspiel sind.

2.1.2 Spruchgedicht

Der Name ‚Spruchgedicht‘ erklärt sich zunächst aus der Differenzierung zum Gesang, denn ‚spruch‘ weist auf den sprechenden Vortrag hin.1 Üblicherweise gilt die Spruchdichtung als eine Art ‚Sammelgattung‘, in der Sachs „jede nicht strophische und nicht sangbare poetische Gattung“2 unterbrachte. In der Folioausgabe von 1558 gibt es keine eigens benannte Gattung, die Sachs als ‚Spruchgedicht‘ ausweist, vielmehr dient das Wort hier als Oberbegriff. Sachs unterteilt, wie in der Summa all meiner gedicht, die Spruchgedichte „in ein ‚System‘ von zwölf arten, in denen sich formale und inhaltliche Kriterien zum Teil verwirrend mischen“3: „tragedi, comedi, histori, kampffgesprech, gesprech, lobsprüch, klagred, comparacion, sprüch, faßnacht-spiel, fabel und schwenck“.4 Sachs selbst unterscheidet demnach lediglich den Meistersang, die Lieder und die Prosadialoge von den Spruchgedichten.5 Bernstein definiert darum zu Recht die Gattung Spruchgedicht als „in Reimpaaren verfasste nichtdramatische Texte“,6 weil sich die Gattung Drama mit ‚comedi‘, ‚tragedi‘ und ‚faßnachtspiel‘ formal leicht aus dem System herausnehmen lässt.

Bezieht man folglich die dramatischen Texte nicht mit ein, bleiben ‚histori‘, ‚kampffgesprech‘, ‚gesprech‘, ‚lobsprüch‘, ‚klagred‘, ‚comparacion‘, ‚fabel‘ und ‚schwenk‘7 als Arten von Spruchgedichten übrig. Damit erweist sich die Eingrenzung von Bernstein im Falle der Unterscheidung dramatischer von nicht-dramatischen Texten8 als taugliche Grundlage zur Bestimmung von Spruchgedichten. Zuordnungsprobleme ergeben sich auch hinsichtlich einzelner Untergattungen. Ingeborg Glier hat den Versuch unternommen für den Schwank und damit für die das Kälberbrüten betreffende Art des Spruchgedichts, Charakteristika von Sachs als Schwankautor herauszuarbeiten. Ernüchternd stellt sie fest, dass „schwenck bei Hans Sachs ein diffuser Begriff“ ist, weil er mit diesem „ganz offensichtlich nicht nur Erzählungen, sondern auch Reden“9 bezeichnete. Erzählungen und Reden lassen sich auch in Spruchgedichten finden, die er ‚histori‘ nennt. Ein Unterschied zwischen ‚schwenck‘ und ‚histori‘ scheint dann allein auf thematischer Ebene zu bestehen, wenn ‚histori‘ die ernsthaften und ‚schwenck‘ die scherzhaften bezeichnet.10 Im Ergebnis lassen sich damit strukturelle Kriterien für die einzelnen Typen von Spruchgedichten nicht eindeutig festschreiben.

 

Das Spruchgedicht vom Kälberbrüten ist in seinem Handlungsaufbau ähnlich angelegt wie das Meisterlied, das seinerseits wie ein Handlungsgerüst für den Schwank wirkt, der durch Hinzufügungen eine im Meisterlied nicht gegebene Dynamik erlangt, die weitestgehend der Komikverstärkung dient.

Die Erweiterungen durchziehen den gesamten Schwank, treten aber besonders an Passagen hervor, die das Missgeschick des Bauern und die Figur der Bäuerin deutlicher herausarbeiten. Nachdem der Bauer das tote Kalb gefunden hat, beschließt er nicht wie im Meisterlied, sofort aus Käse Kälber zu brüten, sondern geht stattdessen wieder in das Haus. Dort findet er überkochende Suppe, verbranntes Essen und eine das Fleisch fressende Katze vor, die er verprügelt. Erst danach kommt ihm der Gedanke, dass er aus dem Käse Kälber brüten könnte, u.a. auch, weil er nicht weiß, wohin er vor seiner Frau fliehen könnte.

Die Hinzufügungen bewirken, dass der Tod des Kalbes nur der Anfang einer Kette von unglücklichen Ereignissen ist, die sich in ihrer Abfolge und Schnelligkeit zu einem komischen Moment verdichten, das in der Furcht des Bauern vor seiner Frau gipfelt (S. 289 v. 36): „Wie wirdts mir ergehn ob dem kalb!“ Wie der Bauer bereits befürchtet hat, reagiert auch die Ehefrau. In ihren Gedankenreden reflektiert sie über die Angst ihres Mannes vor körperlicher Züchtigung (S. 290 v. 38 – S. 291 v. 4):


Sie dacht: Wo ist der narr hin komen?
Hat etwan dflucht ins holtz genomen?
Wann er förcht übel mein schwer hend,
Die ich ihm offt miß ubert lend.
Oder hat sich leicht selbs ertrencket
Oder auff die dillen gehencket.

Ihr Auftritt bietet zusätzlich die Gelegenheit, die Szenerie der verwüsteten Küche und verprügelten Katze noch einmal ausführlich zu schildern. Nach der Beschwörung, die ähnlich gestaltet ist wie im Meisterlied, flucht anders als im Meisterlied die Bäuerin noch einmal über ihren Mann, woraufhin der Pfarrer die beiden trennen muss und der Erzähler abschließend mit einer kurzen moralischen Wertung, die die Einfalt des Bauern betont, verkündet (S. 292 vv. 25–29):


Nicht weiß ich, wie lang wert der fried.
Denck wol, der pawr hab bey sein tagen
Den ölgötzn all zeit müssen tragen
Und erdulden viel ungemachs
Durch sein einfalt, so spricht Hans Sachs.

Das Ende bleibt damit weitestgehend offen, weil es dem Bauern, so die Vermutung des Erzählers, wohl mit dieser Frau weiterhin schlecht ergehen werde. Dass die Bäuerin das tradierte Rollenverständnis verkehrt und als Herrin des Hauses in Erscheinung tritt, bleibt unkommentiert. Die Verkehrung zeigt sich durch die im Vergleich zum Meisterlied weitaus ausführlichere Figurendarstellung der wütenden Ehefrau, die auch nicht davor zurückschreckt, ihren Mann körperlich zu züchtigen.

Möglicherweise hat Sachs die herrische Frau nicht bewertet, um die Komik zu verstärken. Mit ihrem Verhalten bestätigt sie die unbegründete Angst des Bauern, müsste er doch eigentlich Herr im Haus sein. Genau diese Verkehrung wird im sechs Jahre früher gedichteten Fastnachtspiel (1551) herausgearbeitet und kommentiert, so dass die Frau als genauso schlecht erscheint wie der Mann.11

2.1.3 Fastnachtspiel

Als Fastnachtspiel fügt Sachs den Stoff des Kälberbrütens in sechs Szenen teils monologisch, teils dialogisch:


Sz. Vers Rede Inhalt
1 1–19 Auftrittsmonolog Die Bäuerin beklagt sich über ihren faulen Ehemann.
20–48 Dialog Sie trägt ihm Aufgaben auf, die er erledigen soll, wenn sie in der Stadt ist.
49–56 Abgangsmonolog Der Bauer will sich noch einmal hinlegen, bis der Schultheiß sich meldet.
2 7–64 Auftritt-Abgangs-Monolog Der Bauer wacht auf und merkt, dass er verschlafen hat. Er will nach dem Essen sehen, das er auf dem Herd vergessen hat.
3 65–159 Auftritt-Abgangs-Monolog Die Bäuerin bezweifelt, dass ihr Mann den Haushalt meistert, während sie in der Stadt ist.
4 81–100 Auftritt-Abgangs-Monolog Der Bauer berichtet, wie er die Katze verprügelt hat, weil sie sein Essen gefressen hat. Das Essen ist ihm verbrannt und er befürchtet Schläge von der Frau, freut sich jedoch, dass er die Kühe und Schweine in den Garten gelassen hat, und will sie jetzt wieder in den Stall bringen.
5 101–130 Auftrittsmonolog Der Bauer berichtet, dass ihm das Kalb im Brunnen ertrunken ist. Er fürchtet seine Frau und fragt sich, was er tun soll. Ihm kommt die Idee, aus Käse ein Kalb zu brüten, so wie Hühner Eier brüten.
131–142 Auftrittsmonolog Die Bäuerin beklagt die Situation, in der sie das Haus vorgefunden hat. Sie will ihren Mann belehren.
143–158 Dialog Der Bauer antwortet auf ihre Fragen mit Tiergeräuschen. Sie meint, er sei besessen, und will einen Pfarrer holen.
6 159–330 Dialog Der Pfarrer versucht, mit dem Bauern zu reden, bekommt aber auch nur Tiergeräusche zur Antwort. Der Pfarrer beschwört ihn. Als der Pfarrer den Bauern vom Käse zieht, beschwert dieser sich und erklärt die ganze Situation: Aus Angst vor seiner Frau sei er auf die Idee gekommen, aus dem Käse Kälber zu brüten. Die Bäuerin beschimpft ihren Mann. Der Pfarrer ergreift Partei für den Mann, denn die Frau müsse akzeptieren, dass ihr Mann der Herr im Haus sei. Bauer und Bäuerin wollen im Wirtshaus gemeinsam trinken und alles vergessen.

Die im Fastnachtspiel am Anfang und Ende gegenüber den anderen Bearbeitungen vorgenommenen Änderungen bewirken eine gänzlich neue Deutung des Stoffes.1 Während Meisterlied und Spruchgedicht enden, nachdem der Bauer den Pfarrer beschimpft, weil dieser ihn davon abgehalten habe, aus dem Käse Kälber zu brüten, folgen im Fastnachtspiel ca. 90 dialogische Verse. Darin ist der Bauer wieder bei klarem Verstand und erläutert seine Situation mit der Angst vor seiner Ehefrau. Die Worte des Pfarrers relativieren das sinnfreie Verhalten des Mannes, indem er es mit dem der Frau gleichsetzt, will sie doch nicht akzeptieren, dass der Mann Herr im Haus sein soll. Diese Relativierung findet ihren Abschluss in den versöhnlichen Worten der Bäuerin, nach denen sie mit ihrem Mann ins Wirtshaus gehen möchte:


Was hilfft, das ich mich thu erbossen,
Dieweil gar nichtssen hilfft an dir,
Den groͤsten schaden thu ich mir,
325 Muß doch mit dir behangen sein.
Geh gleich inß Wirtzhauß, hol vns Wein,
Woͤln das heutig marckgelt verzechen,
Zu samb sitzen, am Wein vns rechen
Und vergessen als vngemachs.
330 Gluͤck bringt als wider, spricht H. Sachs.

Der Anfang des Fastnachtspiels, vor allem der Expositionsmonolog, ist dieser Argumentation zuzuordnen. Die Bäuerin charakterisiert den Bauern grundsätzlich negativ, zeichnet indes durch ihr Schimpfen und ihren Status als ‚Herrin‘ im Haus von sich selbst ein negatives Bild. Zusätzlich dienen der Monolog und der anschließende Dialog als Exposition, die auf das kommende Geschehen vorbereiten und in der die Bäuerin ihrem Mann die Aufgaben aufträgt, die er erledigen soll. Die Fremdcharakterisierung im Monolog weckt indes die Erwartung, dass der Bauer die ihm gestellten Aufträge nicht ausführt. Schon der Dialog der ersten Szene spricht die verkehrte Ordnung an (vv. 33–43). Deren Protagonistin ist nicht nur die Bäuerin, die ihrem Mann Aufträge erteilt. Auch der Bauer ist der Meinung, er könne genauso gut wie seine Frau das Haus bewirtschaften:


Der Pawr spricht:
Ey schweyg, ich bin nit so gar arck.
Geh vnd bring viel gelts rauß vom marck,
35 So wil ich ein weil heußlich sein,
Die stuben kern vnd heitzen ein.
Das kan ich als so wol als du.
Die Pewrin spricht:
Setz auch das kraut vnd fleysch hinzu,
Und merck, baldt der Schultheis thu blasen,
40 Das du Kuͤe vnd Sew auß thust lasen,
Das es zeytlich auff die waidt kumb.
Sey auch sunst heußlich vmbadumb,
Wenn ich von Marck kumb, das wir essen.

Im Meisterlied ist diese Verkehrung der Rollen2 nicht angelegt, im Spruchgedicht hingegen schon, indem Sachs bereits am Beginn „Die weil da haim er kochen wolt“ (Meisterlied v. 5) in „Dieweil der pawer kochen solt“ (Spruchgedicht v. 6) abändert.3 Das bedeutet für die weitaus ausführlichere Exposition des Fastnachtspiels, dass Sachs hier den Konflikt zwischen Frau und Mann stärker herausarbeitet und auf den Dialog der sechsten Szene, der eine moralische Ausdeutung ist, hin zuspitzt.

 

Von der zweiten Szene bis zur sechsten finden sich im Vergleich zu Spruchgedicht und Meisterlied lediglich Hinzufügungen oder Umstellungen, die zwar den Inhalt nicht so markant verändern wie am Anfang und Ende, aber dennoch der moralischen Ausdeutung dienen.4 Dabei handelt es sich genau um die Szenen, die eine Aneinanderreihung von sechs Monologen aufweisen. Abgesehen vom ersten Monolog (vv. 49–56) dieser Kette, der das folgende Verschlafen plausibel macht, sind die nachfolgenden fünf eine Übertragung der Erzählerrede in monologische Figurenrede. Sie dienen maßgeblich der Erklärung für das Handeln und erweisen sich als unverzichtbar für die Vermittlung des Geschehens; zweitrangig ist die Darstellung komischer Momente.

Augenscheinlich ist diese Funktionalisierung in der Umsetzung der schwer inszenierbaren Handlungssequenzen, in denen das Essen verbrennt, der Bauer die Katze schlägt und das Kalb in den Brunnen fällt. In der Monologkette ist das Geschehen analeptisch vermittelt. Durch den nicht-aktionalen Charakter kommt dem monologisierenden Bauern die Rolle eines an das Publikum gerichteten Erzählers zu. Eine Gegenüberstellung des Monologs, in dem der Bauer von dem verbrannten Essen und der geschlagenen Katze berichtet, mit der Passage des Spruchgedichts verdeutlicht den narrativen Charakter:


Fastnachtspiel Spruchgedicht
O, Herr Gott, wie bin ich ein Koch! Doch ließ ers liegen, gieng zu hauß,
So ich kumb fuͤr das offenloch, Schawt in ofen; da ronn herauß
Rindt die suppen gegn mir herauß, Die suppen zu dem ofenloch
Und sitzt die Katz hinten im Hauß, Und die katz ob dem fleisch saß noch
Und hat das fleysch alles vertragen; Und fraß; der hasn lag an der seyten.
Der hab ich gleych die lendt eingschlagen. Bald aber die Katz ihn sah von weyten,
Und so ich nimb das kraudt int hendt, Sprang sie herauß und loff darvon.
So ists an der ein seitn verbrendt Bald loff ihr nach der bawerßmon
Und gar zu einem dreck versotten, In stadel, schrey: Du bleibest noch,
Das mir doch hat mein Weyb verbotten. Du must mir zalen wol das gloch
Ich fuͤrcht fuͤrwar bey meinen trewen, Und reiß ein drischel von der wend
Wenn sie heim kumb, sie werdt mich bleuen. Und schlug der katzen ein die lend,
Thet sie mit streichen wol begaben
Und sprach: Neschlein, das wil schleg
haben.
Nach dem lof er wider ins hauß,
Hub das kraut auß dem ofen rauß,
Das war stincket und angeprent.
Er schmitzt den hafen an die wendt
Und sprach: Pfuy dich, du schendlichs kraut!
Wie schmeckts so übel und so lawt!

Inhaltliche Abweichungen finden sich lediglich in den reflektierenden Passagen des Monologs, die sich auf die Ehefrau beziehen und in denen der Mann meint, Angst vor seiner Frau zu haben. Diese Einfügung und ihre Funktion lassen sich mit den mahnenden Worten des Pfarrers erklären, denen die moralische Ausdeutung des Fastnachtspiels zukommt. Im Spruchgedicht findet sich im weiteren Verlauf lediglich eine Reflexion des Bauern, die die Angst vor der eigenen Ehefrau bekundet (S. 289, vv. 36–37). Anders als im Fastnachtspiel durchzieht dieses Merkmal jedoch nicht durchgängig die Handlung und wird als Begründung für sein Verhalten in der oben zitierten Passage des Monologs eigens genannt: Weil er nicht weiß, wohin er vor seiner Frau fliehen soll, kommt ihm die Idee des Kälberbrütens.

Sachs arbeitet die kausale Motivation für das Verhalten des Bauern im Fastnachtspiel eigens heraus und lässt sie von diesem selbst in der letzten Szene erläutern (vv. 256–274). Der Bauer erklärt, wie das Kalb in den Brunnen gefallen ist und wie er aus Angst vor seiner Frau auf den Gedanken kam, wie Hühner und Gänse zu brüten:


Ein weil das Kalb in brunnen gfallen;
Als ich das fandt darinn erdruncken,
Da war ich schier vor leidt versuncken
265 Vor dir; vnd in solchem gedens
Da viel mir ein, Huͤner vnd Gens
Bruten junge auß ayren nur,
So wer es auch der keß natur,

Weil das Verhalten des Ehemannes zu dem der Ehefrau in einem kausalen Verhältnis steht, rückt die Frau in den Mittelpunkt der Kritik. Ihre Antwort, in der sie ihrem Mann erneut Schläge androht, bestätigt die Angst des Mannes. Ihr Verhalten ist vom Anfang bis zum Ende des Spiels negativ gezeichnet, weshalb im Unterschied zum Spruchgedicht die Figur der Bäuerin in ihren monologischen sowie dialogischen Redeanteilen als unfreundliche und undankbare Ehefrau erscheint.5