Za darmo

Der Theatermonolog in den Schauspielen von Hans Sachs und die Literarisierung des Fastnachtspiels

Tekst
0
Recenzje
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Der Schlussvers „Spiel, wart des Munds, so spricht Hans Sachs“ (v. 395) lässt sich danach auf zweierlei Weise verstehen. Erstens existiert, nachdem das Schriftstück versenkt wurde, kein schriftlicher Beweis mehr vom Spiel oder zweitens basiert das Spiel weniger auf gespielter Handlung als auf der Komik, die mithilfe der Monologe entsteht.

Tabellarischer Überblick:


Sz. Vers Rede und strukturell- gliedernde Funktionen handlungsbezogene Funktion
Figur Zeit und Ort
1 1–61 Dialog
62–69 Abgangsmonolog Reflexion, Enthüllung, Fremdcharakterisierung
2 70–82 Auftrittsmonolog Enthüllung, Selbstcharakterisierung
83–112 Dialog
113–115 Abgangsmonolog Affektdarstellung (Freude) Prolepse, Zeitüberbrückung
3 116–131 Auftrittsmonolog Enthüllung Analepse, Zeitsprung, Ortswechsel, Teichoskopie
132–169 Dialog
170–177 Abgangsmonolog Reflexion, Affektdarstellung
4 178–211 Auftritt-Abgangs-Monolog Affektdarstellung (Klage)
5 212–217 Auftritt-Abgangs-Monolog Enthüllung Analepse, Zeitsprung, Ortswechsel
6 218–245 Auftrittsmonolog Selbstcharakterisierung Analepse
246–249 Auftrittsmonolog Reflexion
250–255 Dialog
256–275 Überbrückungsmonolog Reflexion, Entschluss Zeitüberbrückung
276–281 Dialog
7 282–295 Auftritt-Abgangs-Monolog Reflexion, Enthüllung Zeitsprung
8 269–307 Dialog
9 308–313 Auftritt-Abgangs-Monolog Entschluss
10 314–317 Auftrittsmonolog Reflexion Zeitüberbrückung
318–395 Dialog

Teil D: Kulturhistorische Untersuchung
1 Aufführungsform und Monolog

Die Analysen der Fastnachtspiele haben gezeigt, wie Sachs das Formenrepertoire der Monologe, das poetologiehistorisch auf den Angeboten der humanistisch inspirierten Rezeption und Wiederbelebung antiker Vorbilder gründet, für eine reformatorisch geprägte Wissenvermittlung selbstständig funktionalisierte.

Nicht eindeutig geklärt werden konnte bisher, welche Einflüsse möglicherweise Gründe dafür lieferten, dass Sachs seine poetologische Kompetenz gerade um das Jahr 1550 auch in der Gattung Fastnachtspiel anwendete.

Weil in den bisherigen Analysen die unterschiedlichen Rezeptionsformen der dramatischen Texte – in Form einer individuellen Lektüre oder als Zuschauer einer Aufführung – nicht thematisiert wurden, geht das folgende Kapitel den Fragen nach, inwiefern die Entwicklung und Etablierung einer festen Bühnenform den Einsatz des Monologs im Allgemeinen und bestimmte Funktionen im Besonderen bedingt und, hieran anschließend, ob die Bühnenform die Form des Fastnachtspiels beeinflusst.

Dafür fasst der erste Abschnitt die Anfang des 20. Jahrhunderts geführte Diskussion um die Meistersingerbühne, deren Fokus jedoch auf den Tragedis und Comedis liegt, zusammen. Der zweite Abschnitt analysiert eine mögliche Interaktion von Bühnenform und Monologeinsatz bzw. -funktionalisierung anhand der fünf bereits besprochenen Fastnachtspiele.

1.1 Die Bühnenform

Zu Beginn des 20. Jahrhundert entwickelte sich ein Streit zwischen den Theaterwissenschaftlern Max Herrmann und Albert Köster über die Frage, wie eine Bühne, auf der Sachs seine Tragedis und Comedis aufführen ließ, ausgesehen haben könnte.1 Herrmann versuchte die Bühne in der Nürnberger Marthakirche zu rekonstruieren. Seit 1526 nicht mehr für den Gottesdienst genutzt, diente sie möglicherweise als Spielort für die Dramen von Sachs. Der einzige Nachweis hierfür ist ein Ratsverlass vom 5. Januar 1551:

Desgleichen sol denen, die bei sant Martha ain comedi halten wöllen, dasselbig doch auch nur am feirtag nach der predig und dieselbig kirchen darzu zu geprauchen vergönnt werden, weil sies fernt auch gepraucht haben.2

Auch wenn in diesem Erlass von der Marthakirche als Aufführungsort für eine Comedi die Rede ist, heißt dies nicht, dass es sich bei der aufführenden Spieltruppe um diejenige von Sachs handelt.3 Nachweislich ließ er seine Dramen auch im Remter (Speisesaal) des Predigerklosters aufführen.4 Diese Tatsache bezog Köster in seine Bühnenkonstruktion mit ein und entwickelte ein Modell für eine in beiden Örtlichkeiten bespielbare Bühne.

Herrmanns Konstruktion beruht insbesondere auf der Tragedi der hürnen Seufried von 1557. Die Zuschauer befinden sich hier im dreischiffigen Langhaus, während ein Teil der Bühne im Chorraum die Hinterbühne mit 12qm und der andere im Langhaus die Vorderbühne mit 24qm bilden soll.5 Durch diese Anlage bieten sich drei Auftrittsmöglichkeiten an, die Herrmann für ausreichend hält:

 

1.) von hinten durch die Mitte, wo er eine Vorhangsöffnung ansetzte, 2.) von der Südseite durch die Sakristeitür, ein Eingang, der zugleich für alle höhlenartigen Öffnungen diente, 3.) von vorne an der Südseite.6

Köster situierte die Bühne dagegen nicht im Chorraum, sondern im Langhaus und nimmt fünf Aufgänge für die Schauspieler an. Die Umsetzbarkeit von Kösters Bühnenvorschlag gilt als schwer realisierbar, da nicht nur die Zuschauer sehr wenig sehen können, sondern darüber hinaus über die Bühne steigen müssten, um in den Zuschauerraum zu gelangen, den Köster im Chorraum verortet. Michael bemerkt zur Debatte insgesamt: „Zeigte die Herrmannsche Bühne gewisse Unwahrscheinlichkeiten, so war die Köstersche gänzlich unhaltbar.“7

Im Anschluss an Herrmann und Köster gab es mehrere Versuche, ein plausibles Modell der Bühne zu entwickeln. Im Wesentlichen kam man hier über die bestehenden Entwürfe aber nicht hinaus. Holl hat beide Bühnenrekonstruktionen miteinander verglichen und deren prinzipielle Ähnlichkeit festgestellt, die als eine Art kleinster gemeinsamer Nenner als weitere Arbeitsgrundlage ausreichen. Die Ähnlichkeit der Rekonstruktionsversuche zeigt sich zunächst anhand ihrer Grundrisse:8


Demnach bestand die Spielbühne „aus einer dreiseitig geschlossenen Hinterbühne […] und einer vorgelagerten Vorderbühne“.9 Diese Bühnenform entspricht in etwa dem gängigen Bühnenbau des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit, der wie die Terenzbühne relativ breit und wenig tief angelegt war.10 Zum Ende des 15. Jahrhunderts begannen, von Rom ausgehend, Rekonstruktionsversuche der Terenzbühne, die Grundlage für das gelehrte Schuldrama war und auch in Straßburg, Köln oder Nürnberg Verbreitung fand.11

Mögen im einzelnen neue Variationen geprägt werden, wie etwa Treppen, die auf die Spielbühne seitlich hinaufführen, oder Seitenportale: der Grundriß und der Raumeindruck werden dadurch nicht wesentlich beeinträchtigt. Immer bildet die Bühne ein schmales Rechteck, dessen Breitseite dem Zuschauerraum zugekehrt ist, so daß sich ein reiner Typus der Reliefbühne ergibt. Die Rückwand ist durch eine flächenhafte Dekoration abgeschlossen, die bei allen Abwandlungen doch keinen Vorstoß in die Tiefe unternimmt.12

Gegen die Wahrscheinlichkeit der Bühnenform, wie sie sich aus den Bühnenrekonstruktionen von Herrmann und Köster und der Terenzbühne ergibt,13 führt Stuplich ins Feld, dass die Dramen von Sachs an verschiedenen Orten, sogar in verschiedenen Städten und teilweise von unterschiedlichen Gruppen zur selben Zeit gespielt wurden. Zudem gehen die dramentechnischen Variationsmöglichkeiten von Sachs über diejenigen hinaus, die in der Marthakirche erforderlich sind. Schließlich, so Stuplich, läge dem Terminus Meistersingerbühne, der einen einheitlichen Aufführungsort für den Meistersang und die dramatische Dichtung von Sachs suggiere, der Kurzschluss zwischen der Person Sachs als eines Meistersängers, Dramatikers und Regisseurs und der einheitlichen Bühne samt Aufführungsort zugrunde.14

Den Einwänden Stuplichs ist insofern zuzustimmen, als es tatsächlich mehrere Aufführungsorte gab und Sachs Meistersang und dramatische Dichtung nicht zwingend für denselben Aufführungsort dichtete bzw. ihnen ein über die Marthakirche hinausgehendes Aufführungspotential zukommt. Der Kritik am Begriff ‚Meistersingerbühne‘ ist jedoch entgegenzuhalten, dass mit dem Begriff zumindest die zeitliche Grenze um die Jahre 1550/1551 für die Veränderung in der dramatischen Dichtung und den Anstieg der Dramendichtung erklärt werden könnte. Auch wenn die Aufführung auf unterschiedlichen Bühnen erfolgte, hatte Sachs sehr wahrscheinlich eine bestimmte Bühne bei seiner Dramenkonzeption vor Augen, möglicherweise die Meistersingerbühne.

1.2 Meistersinger und Theater

Für Nürnberger Meistersinger war es üblich, die Lieder einerseits öffentlich und andererseits nicht-öffentlich vorzutragen. Dem öffentlichen ‚Hauptsingen‘, von Merkern bewertet und zunächst auf geistliche Stoffe beschränkt, ging zumindest in Nürnberg das unbewertete ‚Freisingen‘ voraus. Hier trugen Sänger weltliche Stoffe öffentlich vor, wodurch sich das ‚Freisingen‘ vom nicht-öffentlichen ‚Zechsingen‘ unterscheidet.1 Den öffentlichen Rahmen bildete die ‚Singschule‘, eine Art wettbewerbsmäßiges Singen vor Publikum.2 Örtlichkeiten für das ‚Hauptsingen‘ waren für die Nürnberger Meistersingergesellschaft Kirchen und Klöster, von welchen spätestens ab 1550 die Marthakirche als Aufführungsort zur Verfügung stand; auch hierfür ist der oben für die Dramenaufführungen zitierte Ratsverlass das maßgebliche Zeugnis. Ein nachweisbarer Zusammenhang zwischen der Meistersingergesellschaft und öffentlichen Theateraufführungen fällt in diese Zeit. Vor 1551 lassen sich den Ratsprotokollen für öffentliche Singschulen lediglich musikalische Veranstaltungen entnehmen. Sachs’ Meisterlied Das new jar vom 3. Dezember 1550, das eine Einladung zur öffentlichen Singschule und eine Übersicht über die Tätigkeiten der Meistersinger enthält,3 spricht jedoch in der dritten Strophe von einer geplanten ‚Comedi‘. Im darauffolgenden Januar 1551 genehmigte der Rat zum ersten Mal eine öffentliche Aufführung eines Dramas von Sachs. Aus einer Gegenüberstellung der Meistersingerprotokolle4 und Ratsprotokolle5 lässt sich ableiten, dass die Meistersinger an Dramenaufführungen beteiligt waren, oder, so Kooznetzoff, dass „die Nürnberger Singschule das Theaterspielen als eine offizielle Tätigkeit betrieben hat“,6 denn während der Theaterspielzeiten setzte man die Singveranstaltungen aus.7 Das lässt entweder darauf schließen, dass die Meistersingergesellschaft in dieser Zeit Dramen aufführen ließ oder ihre Mitglieder selbst Theater spielten.

Ein Zusammenhang zwischen den Aufführungen der Meistersinger und den Dramenaufführungen, wie ihn Stuplich ausschließt, könnte also bestanden haben, wenngleich nicht vollständig zu klären sein dürfte, inwiefern die Nürnberger Meistersingergesellschaft für die Aufführungen der Dramen offiziell verantwortlich war. Der starke Anstieg der Dramenproduktion könnte dabei auf die Etablierung einer festen Bühne und die damit einhergehenden neuen Möglichkeiten hinsichtlich kalkulierbarer Bühnentechnik, der Anzahl und den Interessen eines sich im Enstehen befindlichen Stammpublikums sowie des Theaters als sozialem Ort zurückzuführen sein.

1.3 Simultanbühne und sukzessive Verwandlungsbühne

Für die Tragedis und Comedis von Sachs ist eine Entwicklung der Dramentechnik von seinen ersten Dramen zu denen nach 1550 festzustellen, d.h. für jene Zeit, seit der es einen oder mehrere feste Spielorte (Marthakirche, Predigerkloster etc.) für Dramenaufführungen gab. Stuplich weist für die frühen Dramen mit neulateinischen und antiken Vorlagen Entwicklungsschritte von einer Simultanbühne zur sukzessiven Verwandlungsbühne nach.1 Eine simultane Präsentation ist in Sachs’ erstem Drama Lucretia notwendig, um einen Schauplatzwechsel ohne Abgang der Figuren zu ermöglichen.2 Auf sie griff Sachs zwar auch noch in späteren Dramen, wie etwa 1558 in der gantz passio nach dem text der viert evangelisten zurück, dennoch trat im Vergleich zur Frühphase, wie insbesondere die beiden Hester-Fassungen zeigen, an die Stelle der Simultanbühne die sukzessive Verwandlungsbühne. Maßgeblichen Einfluss für die Verwendung der sukzessiven Verwandlungsbühne, die sich durch „das Zusammenfallen von Szenen- bzw. Akteinschnitt[,] Schauplatzwechsel [und] durch das Mittel der leeren Bühne“3 auszeichnet, übte Reuchlin aus. In der Bearbeitung des Henno verwendete Sachs erstmals dieses Mittel, nach 1545 bestimmt es als formgebendes Prinzip seine Dramentechnik.4

Ein erster Hinweis auf eine feste Bühne ist eine Regieanmerkung im Schauspiel Die aufferweckung Lasari von 1551: „Sie gehen auff der pün hin unnd her.“ (KG XI, S. 247 v. 26).5 Weil Sachs in den Folgejahren den Rat gehäuft um Spielerlaubnis bat,6 ist davon auszugehen, dass die Dramen fortan auf einer öffentlichen Bühne aufgeführt wurden. Die Dramentexte legen auch nahe, dass man vor – möglicherweise sogar unter der Bühne – spielte. Den Regieanweisungen ist zu entnehmen, dass die Schauspieler von einem Podium herunter gehen mussten.7

1.4 Lese- oder Aufführungstext

Die Ansicht, Sachs habe seine Tragedis und Comedis nicht zur Aufführung, sondern lediglich als Lesetexte verfasst, stützt sich auf die von Herrmann beispielhaft zur Bühnenrekonstruktion herangezogene Tragedi der hürnen Seufried von 1557, die wahrscheinlich nie zur Aufführung kam und nach Brooks, wie die meisten anderen Stücke auch, eher Lese- denn Aufführungstext sein sollte.1 Brooks begründet seine These zunächst mit der kurzen Aufführungszeit, die von Mariä Lichtmess, dem 2. Februar, bis spätestens zum ersten Sonntag nach Ostern reichte.2 Neben dem von 1550 bis 1560 jedes Jahr als Leiter einer Schauspielgruppe benannten Sachs wirkte ab Mitte der 1560er Jahre Jörg Frölich in Nürnberg,3 der auch Stücke von Sachs aufführte. Brooks geht davon aus, dass in der jeweiligen Spielzeit von Sachs kurz zuvor geschriebene Dramen das Aufführungsrepertoire bildeten und zwei Stücke pro Spielzeit dabei auf jede Gruppe entfielen. Im Umkehrschluss hieße das, dass Sachs weitaus mehr Dramen verfasste als zur Aufführung kamen. Diese Annahme stützt sich darauf, dass es für lediglich 7 der 122 Tragedis und Comedis Erwähnungen zu Inszenierungen gibt.4 Hinsichtlich des hürnen Seufried kann sich Brooks zudem auf eine bestehende Liste aller in der Spielzeit 1558 aufgeführten Dramen berufen, die das Stück von 1557 nicht nennt.

Sicherlich hat er damit zumindest nachgewiesen, dass Herrmann mit dem hürnen Seufried eine unglückliche Wahl für die Rekonstruktion des Bühnenortes in der Marthakirche getroffen hat, zumal Sachs zu dieser Zeit allein im Predigerkloster aufgeführt haben soll. Brooks ist jedoch entgegen zu halten, dass es zu kurz gegriffen ist, wenn er von der fehlenden Aufführungspraxis auf das Nichtvorliegen eines Aufführungstextes schließt und stattdessen das Stück allein als Lesetext behandelt wissen will.

Geht man davon aus, dass Sachs eine Auswahl an Dramen anbot, von denen nur ein kleiner Teil zur Aufführung kam, darf gleichwohl nicht unberücksichtigt bleiben, dass er sie unabhängig davon, ob sie das Publikum später tatsächlich sehen konnte, ab den 1550er Jahren für eine feste Bühne konzipierte. Sachs konnte im Jahr 1557, in dem er den hürnen Seufried dichtete, schlicht noch nicht wissen, welche seiner Stücke die Gruppen in der nächsten Spielzeit tatsächlich spielen würden, und musste deshalb zum Zeitpunkt der jeweiligen Werkproduktion stets von den gegebenen oder absehbaren Aufführungsbedingungen ausgehen.

Letztlich ist es Sachs selbst,5 der im Titelvorspann zum dritten Buch der Gesamtausgabe von 1561 einerseits auf die Lesbarkeit seiner Stücke, andererseits auf die Konzeption für die Aufführung verweist:

Welch spil auch nit allein gut, nutzlich und kurtzweilig zu lesen sindt, sonder auch leichtlich aus diesem buch spilweis anzurichten, weil es so ordentlich alle person, gebärden, wort und werck, auszgeng aufs verstendigst anzeigt.6

Zusätzlich betont er den Aufführungscharakter der dramatischen Texte, wenngleich nicht alle zur Aufführung kommen konnten, „weil ich sie den meisten theil selb hab agieren unnd spielen helffen, wiewol der auch vil nie an tag kommen noch gespielt sindt worden.“7

1.5 Die Bühne des Fastnachtspiels

George F. Lussky1 und Wolfgang F. Michael, der seine Ausführungen als eine Auseinandersetzung mit Lussky konzipierte, kommen zu konträren Antworten auf die Frage, ob Sachs auch die Fastnachtspiele ab 1550 für eine feste Bühne2 gedichtet hat.3 Michael meint, dass die Inszenierung der Fastnachtspiele nach 1550 entsprechend den vorreformatorischen Stücken „in einem einfachen Innenraum ohne Bühnenpodium“4 erfolgte. Zur Begründung verweist er im Wesentlichen auf die einfache Handlungsstruktur, die keiner besonderen technischen Apparate bedurft habe und mit einfachsten Mitteln „einzig durch Gestik und Wort all das hervorzauberte, was die Handlung erforderte“. Dort aber, wo es komplizierter zugegangen sei, habe „das Spiel mit den nicht vorhandenen Attrappen, mit der Phantasie des Zuschauers, die reizvollsten Effekte“ ergeben.5

Lussky dagegen vertritt die Ansicht, dass das Jahr 1550 einen Wendepunkt in der Dramentechnik von Sachs markiert, der sich auf die Konzeption für eine feste Bühne zurückführen lasse:

 

In the first place we have no evidence that this stage was in existence before 1550. In fact all the Fastnachtspiele that were written before this time show clearly that they were not performed on a stage at all. In the second place the form of the plays of Group II was used for the first time in 1550 and the very first ones of these plays give evidence that they were intended for a stage that was equipped with a door and a window.6

Seine These basiert auf einer Unterteilung der Fastnachtspiele nach ihrer Struktur und Technik, die für den Aufführungsort entscheidend ist und mit der sich die Fastnachtspiele in drei Gruppen einordnen lassen. Die erste Gruppe beinhaltet alle 14 Fastnachtspiele, die sich zu Beginn und am Ende mit einer Rede an das Publikum wenden; die 48 Fastnachtspiele der zweiten Gruppe beginnen und enden dagegen mit einem Monolog oder Dialog und die drei Fastnachtspiele der dritten Gruppe7 beginnen wie die Tragedis und Comedis mit einem Prolog und enden mit einem Epilog.8 Die Fastnachtspiele der ersten Gruppe begrenzt Lussky auf die Jahre 1517–1551. Aufgeführt in Wirts- oder Privathäusern, ohne klare Grenzziehung zwischen Publikum und Schauspielern, unterscheiden sie sich noch einmal in jene, die keine theatrale Illusion des Aufführungsortes hervorrufen, und jene, die über eine theatrale Illusion einen anderen Raum schaffen, sodass es zu Ortswechseln und Zeitsprüngen kommen kann. Für die Spiele der zweiten Gruppe, die ab 1550 zu verzeichnen sind, stellt Lussky eine strikte Trennung einerseits zwischen Zuschauern und Schauspielern und andererseits zwischen Szenerie (setting) und Aufführungsort (place of performance) fest. Als Bühnenform nimmt er eine nicht ganz einen Meter hohe Bühne an, zu der drei Stufen hinaufführen, so dass Außenszenen vor der Bühne spielbar waren. Mögliche Bühnenelemente können ein nicht fest platziertes Fenster und eine Tür gewesen sein. Die Tür muss sich auf der Ebene des Bodens vor den Stufen befunden haben; auch ihre Position kann auf dem Boden variabel gewesen sein.9


Zusätzliche Auftrittsmöglichkeit bietet ein Vorhang. Zwölf Spiele der zweiten Gruppe legen eine Bühnenform mit Tür und Fenster nahe, weitere 21 benötigen beides nicht unbedingt, aber zwei oder mehr als zwei Auftrittsmöglichkeiten. Deshalb nimmt Lussky für sie ebenfalls an, dass sie für die entworfene Bühnenform gedichtet wurden. Die verbleibenden 15 Fastnachtspiele sind zwar nur auf eine Auftrittsmöglichkeit angewiesen, unterscheiden sich aber der Form nach von denen der ersten Gruppe. Eine Bühne ist für sie deshalb die wahrscheinlichste Aufführungsform.10

Die notwendige Tür für die Spiele der zweiten Gruppe lässt vermuten, dass sie auf derselben Bühne wie die Tragedis und Comedis aufgeführt wurden. Allerdings finden sich Indizien für eine Tür in den Tragedis und Comedis erst ab 1556, während die Fastnachtspiele sie schon ab 1550 erwähnen. Lussky nimmt deshalb eine weitere Bühne für Sachs’ Fastnachtspiele an, die schon ab 1550 eine Tür besaß.11

Wie viele Bühnenvarianten es letztendlich gab und ob ihr Aufbau an den verschiedenen Örtlichkeiten jeweils möglich war, kann hier dahingestellt bleiben. Entscheidend ist allein, ob Sachs seine Fastnachtspiele prinzipiell für eine feste Bühne gedichtet hat und wenn ja, ob sich dies auf seine Dramentechnik, insbesondere seinen Monologeinsatz auswirkte.

Dass es prinzipiell nicht ausgeschlossen war, auch vor 1550 Fastnachtspiele12 auf einer Bühne aufführen zu lassen, zeigen die Ratsverlässe, die für 1517 die Aufführung eines Fastnachtspiels auf einer ‚prucken‘ vor dem Rathaus nachweisen.13 Von mindestens zwei weiteren Spielen kann man annehmen, dass für sie ebenfalls eine Bühne auf dem Markt Verwendung fand.14 Für die Aufführungsart im Freien auf einer Bühne sprechen zusätzlich Zeugnisse aus anderen Gegenden und Orten wie Tirol, Bamberg und Burghausen, die Größe der Spiele und deren bühnentechnische Anforderungen, wie sie sich auch in den Fastnachtspielen von Folz finden, und das vom Rat verbotene Geldheischen, das er vermutlich für vier Spiele erließ, die „als öffentliche Aufführungen auf dem Markt geplant“15 waren.

Insgesamt kann man damit eine Bühnenform, wie sie Herrmann und Köster entworfen haben, deren Ähnlichkeit Holl in den oben angeführten Skizzen dargestellt hat und die von Lussky um Tür und Fenster ergänzt wurde, zum Ausgangspunkt des Aufführungsraumes der Fastnachtspiele von Sachs nehmen. Lässt man die Frage der Höhe und Ausdehnung sowie den Ort, an dem sich die Bühne befand, außer Acht, bleibt eine Bühne mit drei Auftrittsmöglichkeiten, einer Tür und einem Fenster. Dies ist eine Arbeitsgrundlage, mit der sich der Monologeinsatz im strukturellen Aufbau der Fastnachtspiele für die Aufführung auf einer festen Bühne nachzeichnen lässt.

Da Sachs in den Fastnachtspielen seine Regieanweisungen äußerst kurz hält, sodass sie keine hinreichenden Indizien bieten, bleiben als mögliche Zeugnisse einer festen Bühnenanordnung ab ca. 1550 die Verwendung einer Tür und eines Fensters.16 Michaels und Lusskys konträre Einschätzungen zum Tür- und Fenstereinsatz im Fastnachtspiel zeigen die Notwendigkeit, die Dramentechnik zu untersuchen. So können die maßgeblichen Änderungen nachvollzogen werden.

Dramentechnisch gesehen bedarf es der Etablierung einer fiktiven Szenerie, die die ad spectatores gerichteten Begrüßungen überflüssig machen, und in der Ortswechsel und Zeitsprünge inszenatorisch eingeführt und umgesetzt werden.

Damit ging die Dramaturgie einer komplexeren Handlungskonstruktion einher, die Strukturmuster nutzte, die es so vor 1550 im Fastnachtspiel selten gab. Demzufolge haben die Entwicklungen für die Bühnenanordnungen eine komplexere und in sich geschlossene Handlung erst ermöglicht.

In der Form der Fastnachtspiele um 1550 ist der Wegfall der Reden ad spectatores am augenscheinlichsten. Zwar lässt Sachs die Begrüßung der Gäste auch im Fastnachtspiel G 13 von 1539 weg; von diesem Spiel gibt es jedoch eine Fassung mit und eine ohne Begrüßung, wobei Sachs letztere in die Folioausgabe von 1560 übernommen hat.17 Naheliegend ist die Annahme, dass die Fassung mit Begrüßung die ältere von 1539 ist. Das erste Zeugnis eines Fastnachtspiels ohne Begrüßung der Gäste dürfte demnach das Spiel G 19 von 1549 Der kauffmann mit den alten weibern sein, basierend auf Schwank 522 aus Paulis Schimpf und Ernst. Im Gegensatz zu den exemplarisch vorgestellten Fastnachtspielen findet sich hier, wie auch in G 18, das bereits drei Monologe aufweist, lediglich eine randständige Markt-Szenerie, die nicht vergleichbar ist mit den Szenerien in den Fastnachtspielen aus Teil C.

Sowohl vor als auch nach den Spielen G 22 Der farendt Schuler im Paradeiß und G 23 Der jung Kauffman Nicola mit seiner Sophia finden sich vereinzelt Spielanfänge, die eine Begrüßung an das Publikum richten. Das Fastnachtspiel G 24 Fraw warheyt will niemandt herbergen weist darüberhinaus explizit auf den Spielort „Taffern“ (v. 2) hin, so dass sowohl von einer festen Bühne als auch von Privat- oder Wirtshäusern als Aufführungsorten in den Jahren um 1550 ausgegangen werden kann.