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Der Theatermonolog in den Schauspielen von Hans Sachs und die Literarisierung des Fastnachtspiels

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3 Ort und Zeit in G 51 Der Ewlenspiegel mit den blinden

Mit dem Eulenspiegel-Buch griff Sachs erneut einen im 16. Jahrhundert äußerst erfolgreichen, aber auch viel diskutierten Text auf, der als Schwanksammlung konzipiert ist. Tenberg fasst das damalige „ambivalente“ Verhältnis zum Eulenspiegel-Buch folgendermaßen zusammen:

Eulenspiegels Schwänke werden einmal verurteilt und zeitweilig verboten, dann wieder zur kurzweiligen Unterhaltung empfohlen und als therapeutisches Mittel gelobt. Wie Eulenspiegel selbst ambivalent ist, so ist auch das Urteil der Zeitgenossen über ihn nicht einheitlich.1

Ziel und Intention des Eulenspiegel-Autors ist in der Forschung umstritten.2 Die vorliegende Arbeit folgt dem Ansatz, wonach das Eulenspiegel-Buch Handlungswissen in exemplarischen Erzählungen liefert. Da die einzelnen Schwänke die Überschrift ‚Histori‘ haben, erhoben sie im Sinne der Rhetorik als historia den Anspruch, faktisch wahr und moralisch lehrhaft zu sein.3 Schon die Herennius-Rhetorik verwendete den Begriff historia als terminus technicus, der „neben fabula und argumentum eine von drei Arten der narratio, die die Darlegung von Sachverhalten zu leisten hat“,4 bezeichnet. Die drei Hauptfunktionen der historia – wahr, handlungsbezogen und narrativ zu sein – galten auch während der Reformationszeit und wurden u.a. von Melanchthon präzisiert: Demnach soll die historia Ansprüche legitimieren, deren Rechtsgültigkeit stützen und zusätzlich didaktisch und erkenntnisfördernd wirken.5

Sie müssen eben so abgefaßt werden (das ist der Punkt!), daß sie Typisches zeigen, Strukturisotopien aufweisen bzw. Wiederholbarkeit möglich erscheinen lassen sowie von zeitlosen Bedingungen ausgehen. […] Die Historiographie wird bei entsprechender Gestaltung zu einem überzeitlich gültige Handlungsmodelle liefernden Wissensfundus. Melanchthon spricht von ‚Schatz‘. Eine Historia ist ein Thesaurus exemplorum, zugleich Thesaurus argumentorum, weil sie Thesaurus politicus und Thesaurus ethicus ist.6

Handlungsmodelle bzw. Handlungswissen zu vermitteln, scheint der Kern des Eulenspiegel-Buches zu sein, an dem sich erst das exemplarische Erzählen manifestiert:

Wer viele Geschichten dieser Art kennen würde, verfügte nicht über eine systematische Theorie, aber doch über eine kumulative Topik des Handlungswissens, über einen Thesaurus analogisierungsfähiger und deshalb erkenntnisträchtiger Beispiele. Eine solche Topik liefern die Historien des Eulenspiegel-Buchs ihren Rezipienten.7

Dieser Ansatz, der als ‚Klugheit der Praxis‘ aus der Märenforschung bekannt ist, lässt sich auch für die Eulenspiegel-Historien fruchtbar machen. Lebenspraktische Klugheit bedeutet mit Bezug auf die Historien: Das Schlechte zu kennen (Eulenspiegel) und mit Vorsicht zu handeln.8 „In der Welt der Eulenspiegel-Historien, die sich als hochverlässliches Zusammenspiel von Kontingenz und menschlicher Schlechtigkeit darstellt, avanciert die Vorsicht zur wichtigsten aller Tugenden.“9

Vor diesem Hintergrund – lehrhaft und wahr zu sein sowie Handlungsmodelle zu liefern – werden die Eulenspiegel-Historien im 16. Jahrhundert rezipiert. Dass die Rezeption des Eulenspiegel-Buches trotzdem Unklarheiten hervorruft, zeigen neben der Forschungsdiskussion auch Äußerungen Martin Luthers. Seine anfänglich positive Einstellung wendet sich ins Negative: In den 1530er Jahren empfiehlt er noch die Lektüre des Schwankbuches, weil es Melancholie vertreibe,10 wohingegen er sie in den 1540er Jahren verdammt, weil sie, so Tenberg, „in keiner Verbindung zu seinen theologischen oder pädagogischen Zielen“11 stünden.

Sachs beginnt seine Beschäftigung mit den Eulenspiegel-Historien in den 30er Jahren im Meistergesang. Zwischen 1533 und 1563 greift er in 43 Meisterliedern, neun Spruchgedichten und vier Fastnachtspielen auf Eulenspiegel-Historien zurück, wobei die Fastnachtspiele und Spruchgedichte zumeist Zweitbearbeitungen sind.12 Auch die 71. Historie,13 die als Vorlage für das Fastnachtspiel G 51 von 1553 dient, hat Sachs zunächst (1547) als Meisterlied Ewlenspigel mit den 12 plinden14 bearbeitet. Ingeborg Spriewald sieht den Unterschied zu den Meisterliedfassungen darin, dass Sachs im Meisterlied „im wesentlichen den Prosatext lediglich nacherzählt“, während in den Fastnachtspiel-Bearbeitungen sein „selbständiger Bearbeitungsanteil […] ungleich größer“15 ist. Diese Feststellung trifft auch für die hier vorliegende Konstellation zu. Eine moralische Auslegung hat Sachs dem Meisterlied nicht hinzugefügt. Nachdem er den Inhalt der Historie in drei Strophen16 wiedergegeben hat, beendet er das Meisterlied ohne moralische Auslegung mit den Versen:


All drey partey wurden mit gfer
Durch diesen schalck petrogen

Neben dem Eulenspiegel-Buch hatte Sachs sehr wahrscheinlich auch eine Version der 71. Historie in Paulis17 Schimpf und Ernst zur Vorlage.18 Als erster Eulenspiegel-Bearbeiter im deutschsprachigen Raum nahm Pauli in seiner Exempelsammlung 11 Historien zur Vorlage, die er alle dem Bereich des ‚schimpfs‘ zuordnete und abgesehen von einer Bearbeitung (Nr. 605) ohne Moral beließ. Eulenspiegel tritt bei Pauli als namentlich benannte Figur in lediglich zwei Schwänken auf; im vorliegenden Fall namenlos als Ritter. Für alle Eulenspiegel-Schwänke gilt, dass sie eine ‚Glättung‘ durch Pauli erfahren, die „das skatologische, fäkalische Sprechen und Handeln Eulenspiegels, der seine Körperfunktionen ungeniert und gegen jeden anderen Mitmenschen einsetzte“,19 meiden.20

Der Inhalt des Fastnachtspiels G 51:


1. Szene: Eulenspiegel trifft drei Blinde, die Hunger leiden. Er sagt ihnen, dass einer von ihnen einen Taler bekommt, um bei einem Wirt essen und trinken zu können. Er gibt jedoch keinem das Geld. Jeder Blinde glaubt, dass ein anderer den Taler erhalten hat.
2. Szene: Der Wirt und die Wirtin machen sich Sorgen um ihr schlecht laufendes Geschäft. Der Wirt will die Blinden nicht bedienen, da sie Bettler sind. Erst als sie erzählen, dass sie Geld haben, bekommen sie Essen. Bei der Bezahlung merken sie, dass keiner den Taler hat. Der Wirt hält sie für Betrüger und sperrt sie in den Schweinestall.
3. Szene: Der Wirt und die Wirtin beraten, was sie mit den Blinden machen sollen. Sie sind der Meinung, dass die Blinden nie ihre Zeche bezahlen können. Deshalb sei es besser sie gehen zu lassen. Eulenspiegel bittet beim Wirt um Herberge. Nachdem ihm der Wirt die Geschichte von den Blinden erzählt hat, will Eulenspiegel einen Bürgen für die Blinden finden, wenn sie daraufhin freikommen.
4. Szene: Eulenspiegel geht zum Pfarrer und erzählt ihm, dass der Wirt besessen sei. Wenn er ihn beschwöre, habe die Wirtin ein Geschenk für ihn. Der Pfarrer will die Beschwörung in spätestens zwei Tagen vornehmen.
5. Szene: Eulenspiegel verkündet den Wirtsleuten, dass er den Pfarrer als Bürgen gefunden habe. Die Wirtin soll mit zum Pfarrer kommen, um sich davon zu überzeugen.
6. Szene: Eulenspiegel ist mit der Wirtin beim Pfarrer. Der Pfarrer bestätigt ihr, dem Wirt helfen zu wollen und wiederholt seine Zusage an Eulenspiegel. Der Pfarrer sucht seine Haushälterin.
7. Szene: Der Wirt zweifelt, ob der Pfarrer zahlen werde, weil er geizig sei. Seine Frau bezeugt hingegen, dass der Pfarrer helfen wolle. Eulenspiegel erreicht die Freilassung der Blinden, da der Pfarrer für deren Schulden einstehe. Eulenspiegel will nun verschwinden, obwohl er gerne sehen möchte, wie sie sich alle gegenseitig beschuldigen.
8. Szene: Der Pfarrer will sich auf den Weg machen, um den Wirt zu beschwören, als die Wirtin kommt und den Taler verlangt. Daraufhin glaubt der Pfarrer, dass sie ebenfalls von Sinnen sei. Der von ihr herbeigeholte Wirt droht den Pfarrer aufzuspießen, wenn er nicht das versprochene Geld gibt. Der Pfarrer ruft Bauern um Hilfe und lässt den tobenden Wirt an einen Trog binden. Er will ihm den Geizteufel austreiben.

Das Fastnachtspiel beinhaltet alle handlungstragenden Ereignisse beider Vorlagen. Nur die am Ende zu findende Beschwörung wird in der Historie und in Paulis Schwank zwar von Eulenspiegel geplant aber nicht weiter erzählt.21 Dass es sich abweichend von den Vorlagen um drei statt 12 Blinde handelt, ist möglicherweise auf die Inszenierbarkeit zurückzuführen.22

Das Meisterlied von Sachs Ewlenspigel mit den 12 plinden weist keine Anlehnungen an den Schwank Paulis auf, sondern stellt sich als eine versifizierte Nacherzählung der 71. Historie dar. Die Unterschiede von Meisterlied zum Fastnachtspiel sind im Wesentlichen dieselben wie die zwischen Fastnachtspiel und 71. Historie: Es sind 12 statt drei Blinde, die Wirtin taucht nur als Zeugin auf und nicht mit dem Wirt zusammen, eine Beschwörung erfolgt nicht.

 

Monologe integriert Sachs nicht in das Meisterlied. In der Eulenspiegel-Historie hingegen lassen sich drei Monologe nachweisen (Ulenspiegel 1981, S. 207):

Der saß und gedacht: ‚Verlierest du nun sie, so wirt dir dein kost nit bezalt, und behalst du sie auch, so fressen und zeren sie noch baß und so haben sie noch nüt, so bist du in zwen Schaden‘

Der Wirt gedacht: ‚O hät ich jetz einen‘

Ulenspiegel gedacht, daz es solt bei der Zeit sein, daz die Blinden solich Gelt verzeret hätten.

In der Bearbeitung Paulis findet sich eine weitere Monologandeutung (Schimpf und Ernst 1866, S. 355):

Der ritter gedacht, der sie in die not bracht het, du must ye lugen wie es den blinden gang.

Alle vier Gedankengänge hätte Sachs zu monologischen Figurenreden umarbeiten können, was er jedoch nicht macht. Dennoch fügt Sachs in seine Fastnachtspiel-Bearbeitung 11 Monologe ein. Darüberhinaus ist bemerkenswert, dass er die in der 71. Historie23 in reichhaltiger Weise auffindbaren direkten und indirekten Reden der Figuren weder übernimmt, noch eine Orientierung an diesen inhaltlichen Passagen erkennbar ist. Gleichzeitig folgt die Dramatisierung vollständig den Handlungsabschnitten der Vorlage sowie weitestgehend den räumlichen Bezugspunkten und Verlagerungen im Ablauf der Geschichte. Dass dies für die funktionale Verwendung der Monologe entscheidend ist, verdeutlicht eine an den Ortswechseln orientierte Abschnittbildung:24


1. Szene: Blinde und Eulenspiegel vor der Stadt;
2. Szene: Blinde und Wirt im Wirtshaus, Wirt sperrt Blinde in den Stall;
3. Szene: Eulenspiegel und Wirt im Wirtshaus;
4. Szene: Eulenspiegel beim Pfarrer im Kirchhof;
5. Szene: Eulenspiegel und Wirt im Wirtshaus;
6. Szene: Eulenspiegel und Wirtin beim Pfarrer im Kirchhof;
7. Szene: Eulenspiegel und Wirtsleute im Wirtshaus, Blinde entlassen, Eulenspiegel verschwindet;
8. Szene: Wirtin beim Pfarrer im Kirchhof, Wirtin und Wirt im Wirtshaus, Wirt und Pfarrer und Bauern im Kirchhof.

Der fast jede Szene bestimmende Wechsel zwischen den beiden Hauptorten bedurfte der dramatischen Umsetzung, da die Handlungslogik auf der räumlichen Trennung basiert. Nur so ist das doppelte Missverständnis inszenierbar, das den Streich Eulenspiegels ausmacht.

Alle vier Eulenspiegel-Fastnachtspiele beginnen mit einem Monolog. In drei der vier Spiele spricht Eulenspiegel den Expositionsmonolog, so auch in G 51 (vv. 1–20). Der Monolog stellt hier eine Besonderheit dar, weil er ähnlich wie die Prologsprecher der Tragedis und Comedis im äußeren Kommunikationssystem verortet ist:


Ewlenspiegel bin ich genandt,
Im gantzen Teudtschlandt wolbekandt;
Mit meiner schalckheyt vmbadumb
Bin ich gar schwindt, wo ich hin kumb,
5 Vnd wo ich sol fruͤ oder spadt
Auß eim Dorff oder einer Stadt,
Da ich kein schalckeyt hab geuͤbet,
Bin ich von Hertzen des betruͤbet,
Wie mir zu Egelßheim an gfer
10 Geschehen ist. Dort gehn daher
Drey blindt, denn wil ich verheissen eben,
Ein Thaler zu einr zerung geben,
So werden sie denn an dem endt
All drey auffhalten jre hendt;
15 Ich gieb in aber nichts darein;
Denn meinens all drey in gemein
Jeder, der ander hab das gelt;
So habens denn all drey gefelt,
Auff das ich nit gar wiederumb
20 Ohn schalckeyt von Egelßheimb kumb.

Der erste Teil dient der Selbstcharakterisierung Eulenspiegels und führt zugleich mittels der externen Analepse in die Handlung ein.25 Als charakteristisches Kennzeichen stellt Eulenspiegel selbst seine „schalckheyt“ (v. 3) heraus. Sie erscheint nicht nur in diesem Fastnachtspiel, sondern in allen Eulenspiegel-Bearbeitungen von Sachs als Hauptmerkmal der Eulenspiegel-Figur.26 Das Motiv zum schalkhaften Handeln gegenüber den Blinden stellt der Monolog nicht als Entschluss dar, sondern enthüllt es als feststehende Absicht (vv. 7–8), die als beständiges Hauptmotiv für das Handeln der Figur gilt. Dies unterstreicht die typenhafte Zeichnung der Eulenspiegel-Figur27 und lässt die kommende Handlung nicht als Einzelfall erscheinen, denn Eulenspiegel spricht von vergangenen Schalkheiten, die er begangen habe.

Der zweite Abschnitt gibt schon im Voraus den gesamten Inhalt der ersten Szene preis. Da es sich hierbei um die weniger häufig zu findende zukunftsgewisse Prolepse handelt, dient der zweite Teil nicht dem Spannungsaufbau. Das auf den Monolog folgende Gespräch zwischen Eulenspiegel und den drei Blinden ist demnach eine dramatische Ausführung des Monologs.28 Die Vorwegnahme der Handlungssequenz zu Beginn des Stückes erfolgt ähnlich einem Prolog, wie er sich in den Tragedis und Comedis üblicherweise findet. Mit der Teichoskopie werden die herannahenden, sogleich auftretenden Blinden angekündigt. Hauptsächlich unterstreicht der Monolog indes die Bosheit der Eulenspiegel-Figur.

Die Historie beginnt ohne eine Vorwegnahme der Handlung, sondern mit einer kurzen Einleitung des Erzählers, in der er beschreibt, wie Eulenspiegel nach Hannover29 kommt: „Als nun Ulenspiegel ein Land uff wandert, das ander nider, da kam er uff ein Zeit wider gen Hanouer, und da treib er vil seltzamer Abenthür.“ (Ulenspiegel 1981, S. 205) Der Erzähler stellt die Verbindung zu anderen Schwänken her, indem er den erneuten Besuch in Hannover benennt. Damit setzt er die Historie in einen übergeordneten Kontext, wie es im Fastnachtspiel mit dem Expositionsmonolog geschieht. Dass der Monolog stark narrative Züge aufweist, geht folglich auf die Umsetzung der Erzählerrede in Figurenrede zurück.

In der Historie wie im Fastnachtspiel erbarmt sich Eulenspiegel im nachfolgenden Dialog scheinbar der Blinden, gibt ihnen angeblich Geld – im Fastnachtspiel genau einen Taler – und weist sie an, damit bei einem bestimmten Wirt zu essen und zu trinken.

Die zweite Szene und der Ortswechsel sind, nach dem Abtritt aller Figuren am Ende der ersten Szene, ohne Monologe gestaltet. Am Beginn der dritten Szene findet sich der Auftrittsmonolog der Wirtin (vv. 155–159), bestehend aus einer Reflexion mit Affektdarstellung:


155 Botz leichnam angst, wo sol ich finden
Die zalung von diesen drey blinden?
Ach meiner wuͤrst vnd Schweinen braten!
Ich dacht, ich wer mit jn beraten,
So hat mich wol der Teuffel bschissen.

Die Wirtin fragt sich, woher sie das Geld der Blinden bekommen soll, nachdem sie deren Bewirtung fälschlicherweise für ein gutes Geschäft gehalten habe. Die Hauptfunktion des Monologs ist jedoch nicht die Reflexion über das zu erlangende Geld, sondern die Zeitüberbrückung. Am Ende der zweiten Szene bringt der Wirt die Blinden zum Schweinestall. Der Monolog ist zwischen den Abgang und den Wiederauftritt des Wirtes gesetzt. Damit deutet er die vergehende Zeit an und symbolisiert die Handlung im Off: Der Wirt sperrt die Blinden in der Zeit, in der die Wirtin reflektiert, in den Stall. Mittelbar drückt damit auch der Monolog die tatsächliche Festsetzung der drei Blinden aus. Die Frage, ob die Wirtsleute ihr Geld noch bekommen können, diskutieren Wirt und Wirtin im anschließenden Dialog. Der inhaltlichen Präsentation durch einen Monolog hätte es nicht mehr bedurft.

Die Figur der Wirtin, die den ersten Monolog nach Eulenspiegel spricht, erhält von Sachs eine wichtigere Rolle als in den Vorlagen; sie tritt zusammen mit dem Wirt auf, während sie in der Historie erst als Zeugin für den Bürgen ins Geschehen eintritt. Durch die Aufwertung der Wirtin bieten sich Sachs erweiterte handlungsbezogene und strukturelle Möglichkeiten; eine Technik, die Sachs auch im Fastnachtspiel G 23 angewandt hat, indem er der Figur der Magd größere Redeanteile einräumt. Im vorliegenden Fastnachtspiel arbeitet Sachs damit die Figurenperspektive der Wirtsleute aus. Ihr Dialog exponiert, anders als in der Vorlage ihre wirtschaftlich schlechte Lage und wie missmutig sie, vor allem der Wirt, hierüber sind.

Auch die vierte Szene beginnt mit einem Auftrittsmonolog (vv. 207–216), der den Pfarrer in die Handlung einführt. Im vorhergegangen Dialog wurde die Figur als möglicher Bürge benannt:


Ich weiß nit, wie ichs sol verstehn,
Die Pawrn woͤln nimbr gehn opffer gehn;
Ich bin bey jn worden vnwerdt,
210 Sie sindt hewer erger den fert;
Da luden sie mich zun rotsecken,
Hewr ließ mich keinr seiner wuͤrst schmecken,
Weiß doch nichts, das ich in hab than.
Dort geht in Pfarhoff ein frembd Man;
215 Ich wil than, sam ich mein horas bet,
Ob er ein presentz bringen thet.

Das Thema der unverschuldeten Geldnot bleibt als Selbstcharakterisierung und Anklage gegen die Bauern, die nichts mehr opfern wollen, erhalten. Der Pfarrer hofft, der Besucher im Pfarrhof bringe ihm ein Präsent. Daneben legen die Worte „Dort geht in Pfarhoff ein frembd Man“ (v. 214) das Pfarrhaus als Ort der Szenerie nahe, d.h. ein Ortswechsel hat stattgefunden. Diesen ermöglicht der Zeitsprung aufgrund der elliptischen Konstruktion im Dramenaufbau. Der Zeitsprung ist erkennbar, da es sich bei dem „frembd Man“ erwartungsgemäß um Eulenspiegel handelt, der vor dem Monolog des Pfarrers die Bühne verlassen hat, um einen Bürgen zu suchen.

 

Die Vorlage macht den Ortswechsel mit der Erzählerrede „Da gieng Ulenspiegel zu dem Pfarer“ (Ulenspiegel 1981, S. 207) kenntlich. Sachs kann durch Einarbeitung des Monologs vier Informationen komprimiert präsentieren: den Ortswechsel zum Pfarrhof, den Zeitsprung, die Einführung der Figur des Pfarrers und den Blick auf den herannahenden Eulenspiegel als Überleitung zum kommenden Dialog.

Der Monolog verdeutlicht sehr eindrücklich, welcher Umarbeitung es für einen dramatischen Text bedurfte, um die für den Handlungsfortgang notwendigen Inhalte eines einleitenden Satzes des Erzählers zu übertragen. Der Monolog dient Sachs als geeignetes Mittel, um für den Fortgang der Handlung und das Verständnis der Rezipienten relevante narrative Passagen in Figurenrede umzusetzen.

Die vierte Szene rahmt Sachs mittels Monologen ein, indem er sie mit einer Selbstrede des Pfarrers beginnen und enden lässt (vv. 239–246):


Des Wirtes straff ist jetz auch kummen,
240 Er hat die Leut sehr vbernummen,
Viel wassers gossen vnters bier,
Ein kandel offt angschrieben zwir;
Hat mir auch offt vbel gemessen;
Jetz hat jn der geitzteuffel bsessen.
245 Die kelt ist heut gar vngehewer,
Ich muß ein wenig schuͤrn das Fewer.

Im szenischen Gefüge bietet das Selbstgespräch des Pfarrers Eulenspiegel die Möglichkeit, die Szenerie vorzeitig zu verlassen und in der nächsten Szene im Gasthaus wieder aufzutauchen, d.h. es wird der Ortswechsel überbrückt und ein Zeitsprung möglich. Inhaltlich reflektiert der Pfarrer über den Geizteufel, der den Wirt besessen hat. Er ist die logische Strafe dafür, dass er oft seine Gäste betrogen hat. Neben der Funktionalisierung für Ortswechsel und Zeitsprung kann Sachs damit den inhaltlichen Aspekt des Geizes hervorheben. Figurenperspektivisch ist das Motiv eingeführt, einen Geist auszutreiben, der nicht nur wie in der Vorlage einfach böse, sondern der ‚Geizteufel‘ selbst sein soll. Dieser ‚Geizteufel‘ taucht erst im Monolog des Pfarrers, nicht aber in der Bitte Eulenspiegels auf, den Wirt von der vermeintlichen Besessenheit zu befreien. Die in der Rede des Pfarrers liegende Fremdcharakterisierung und Reflexion dienen Sachs dazu, das Thema Geiz und seine Bestrafung im Fastnachtspiel zu explizieren. Der Monolog ermöglicht es, eine Beschreibung des Wirtes zu liefern, nach der er nicht nur gegenüber den Blinden, sondern gegenüber allen Leuten geizig ist.

Auch zu Beginn der sechsten Szene tritt der Pfarrer mit einem Monolog (vv. 261–264) auf:


Ich mag gleych heudt nit mer studirn,
260 Vergebens mir schwinden mein Hirn.
Weyl die Pawrn nimr gen opffer gohn,
Wil ich jn schlechte Predig thon
Das man des sprichworts nit vergeß:
Kupffer gelt, kupffer Seelmeß.

Er enthüllt die Absicht, eine schlechte Predigt halten zu wollen, weil die Bauern entsprechend seiner Klage in vv. 207–216 ihm zu wenig von ihren Gütern abgeben. Die angekündigte schlechte Predigt kommt im weiteren Handlungsverlauf nicht vor, sie ist für das Stück nicht weiter von Relevanz. Der Monolog schließt thematisch an bereits zuvor eingefügte Passagen zum Geiz an und legt den Akzent auf den Geiz der Bauern, der nun zu dem des Wirtes hinzukommt.30 Diese Eigenschaft findet sich in keiner der Quellen. Im Fastnachtspiel ist der Pfarrer lediglich nicht bereit, sich ohne Gegenleistung der Bauern um ihr Seelenheil zu bemühen: „Kupffer gelt, kupffer seelmeß“ (vv. 263–264). Indem Sachs der Figur des Pfarrers dieses Sprichwort in den Mund legt, verallgemeinert er das Thema Geiz jedoch im Sinne einer allgemein menschlichen, nicht bloß einzelne Personen bzw. Figuren betreffende Charaktereigenschaft.

Neben diesen handlungsbezogenen Funktionen ist die strukturell-gliedernde Überbrückungsfunktion der Rede wesentlich. In erster Linie baute Sachs den Monolog ein, um zu zeigen, dass die Szenerie zum Pfarrhof wechselt. Der monologische Einschub macht es möglich, dass die Wirtin und Eulenspiegel, nachdem sie am Ende der fünften Szene die Bühne verlassen haben, nicht sofort wieder auftreten müssen.

Nachdem Eulenspiegel und die Wirtin den Pfarrer besucht haben, spricht letzterer, die sechste Szene beschließend, einen Abgangsmonolog (vv. 275–278):


275 Mein Kellerin ist in der Stadt
Lang, doch nit viel zuschaffen hat;
Ich fuͤrcht, sie thu im schalcksperg hawen,
Ich muß gehn auff die strassen schawen.

Er bekundet, seine Haushälterin suchen zu wollen, da sie, wie er vermutet, in der Stadt Ungehöriges treibe. Der Monolog ist, ähnlich wie der des Pfarrers, am Ende der vierten Szene eingefügt, um den Ortswechsel für die Wirtin und Eulenspiegel in das Gasthaus zu ermöglichen, hat die Haushälterin des Pfarrers doch mit der Handlung insgesamt nichts zu tun. Allerdings hätte auch der folgende Monolog des Wirtes diese Funktion übernehmen können.31 Strukturell-gliedernd erreicht Sachs jedoch einen Szenenaufbau nach der Struktur Monolog – Dialog – Monolog.

Zusätzlich zum Geiz greift er mit der Suche nach der ‚Kellerin‘ auf die stereotype Figurenzeichnung des Pfarrers, der eine Partnerin hat, zurück.32 Mit dem Motiv bekommt der Pfarrer zum Geiz ein weiteres Laster zugeschrieben, das ihn besonders negativ charakterisiert.33 Die stereotype Überzeichnung integriert vor dem Hintergrund der konfessionellen Auseinandersetzungen ein weiteres komisches Moment in das Fastnachtspiel.

Ausgehend von der Historie ist ein größerer Zeitsprung bis zum Wiederauftritt des Pfarrers in der achten Szene zu vermitteln. Dort vermeidet der Pfarrer nach Eulenspiegels Bitte ausdrücklich eine sofortige Beschwörung des Wirtes: „Der Pfarrer sagt ja, sunder er muß ein Tag oder zwen harren, solich Ding möchte man ubereilen.“ (Ulenspiegel 1981, S. 207) Auch im Fastnachtspiel sagt der Pfarrer, dass er „auffs lengst über zwen tag“ (v. 233) bzw. „uber ein tag oder zwen“ (v. 267) im Wirtshaus erscheinen werde, um den Wirt zu heilen. Dass der Pfarrer, ähnlich wie in der Historie, nicht sofort zum Wirt geht, um ihn schnellstmöglich von seiner Besessenheit zu heilen, ermöglicht der Monolog am Ende der sechsten Szene, in dem er bekundet, seine Haushälterin suchen zu müssen. Dadurch, dass der Pfarrer in die Stadt aufbrechen muss, ist auf der handlungslogischen Ebene plausibel, dass Eulenspiegel nie zugleich mit beiden, von ihm gegenseitig ausgespielten Kontrahenten zusammen trifft. Hier zeigt sich, dass Sachs fortwährend um größtmögliche Eindeutigkeit bzw. Sicherung des Verständnisses in den Stücken bemüht ist.

Nach dem Abgang Eulenspiegels folgt zu Beginn der siebten Szene der Auftrittsmonolog (vv. 279–284) des Wirts:


Laß schawn, ob der Pfarrer woͤl loͤsen
280 Mit eim Taler die blinden boͤsen,
Er ist ye sunst ein karger Hundt,
Wie all Pawrn von jm sagen thundt;
So er ein pfenning auß geben sol,
So schawdt er jn vor dreymal wol.

Erneut integriert Sachs unabhängig von der Vorlage das Thema Geiz. Der Wirt bezweifelt reflektierend, ob er vom Pfarrer überhaupt das Geld bekommt, weil dieser geizig sei. Dabei verstärkt die perspektivische Fremdcharakterisierung den Eindruck, dass neben dem Wirt und den Bauern auch der Pfarrer den verpönten Charakterzug trägt. Sachs nutzt dafür wieder den Monolog, der primär den am Ende der vorherigen Szene eingeleiteten und verdeckt ablaufenden Ortswechsel auffängt.