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Der Theatermonolog in den Schauspielen von Hans Sachs und die Literarisierung des Fastnachtspiels

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Weil die Handlungskonstruktion auf einer doppelten Intrige beruht, kann Sachs mit dem Auftrittsmonolog nachvollziehbar machen, an welchem Punkt der Intrige sich das Geschehen befindet. Die kommentierende Wertung gibt er vor allem in die Abgangsmonologe.

Abgesehen vom Expositionsmonolog sind es lediglich zwei Monologe, die handlungsrelevantes Wissen vermitteln, das nicht vorhergehende oder nachfolgende Dialoge zusätzlich präsentieren. Dabei handelt es sich um den Auftrittsmonolog der Magd zu Beginn der dritten Szene und den Auftrittsmonolog Nicolas zu Beginn der vierten Szene.

Die Intrige ist zum Zeitpunkt, an dem die Magd monologisiert (vv. 119–135), soweit vorangeschritten, dass Nicola Sophia das Geld geliehen und diese ihrer Magd befohlen hat, ihn nicht mehr in das Haus einzulassen:


Meinr Frawen list, den muß ich loben;
120 Sie hat gefangen auff dem kloben
Den jungen einfeltigen gauch
Und hat jn wol berupffet auch,
Sein federn jm mehr werden sol.
Mein Fraw hat mir beuolhen wol,
125 Wenn er kumb an das Hauß zu klopffen,
Sol ich abfertigen den tropffen,
Sprechen, mein Fraw sey vberfeldt,
Ob er gleich fordern wirt sein gelt
Vnd mit jm kumb fuͤr Gricht vnd Raht.
130 Weil er kein zeugn vnd Handtschrifft hat,
So wirt mein Fraw jm darfuͤr schwern;
Das schadt jr gar nichts an irn Ern.
Narren muß man mit kolben laussen.
Mich duͤnckt, der jung lap klopf schon dausen.
135 Seit irs? Mein Fraw ist nit anheimb.

Die Verse 119–124 vermitteln analeptisch, wie im Szeneneinschnitt zwischen dem Ende der zweiten und dem Beginn der dritten Szene der Betrug erfolgreich von statten gegangen ist. Der Bericht der Magd über den gelungenen Betrug verdeutlicht zusätzlich, dass Zeit vergangen ist. Im weiteren Verlauf des Monologs (ab v. 124) erläutert sie das mit Sophia vereinbarte Vorgehen, wonach Nicola mangels Zeugen und sonstigen Beweismitteln sein Geld weder von ihr zurückfordern noch vor Gericht einklagen kann. Wie für dieses Fastnachtspiel charakteristisch, erläutert der Auftrittsmonolog vorrangig den entstandenen Handlungskonflikt und die Frage, wie es Sophia möglich war, Nicola zu überlisten. Sachs nutzt den Monolog zugleich, um die Zeitspanne der Vorlage zusammengefasst darzustellen und die Erzählerrede in monologische Figurenrede zu übertragen. Im Dekameron heißt es in Bezug auf die verstrichene Zeit: „vnd nun wol nicht allein die virczehen tagen vergangen waren, sunder mer dann zů dreyen malen virczehen, das er seines geltes nit gehabt het“ (Arigo 1860, S. 538).

Der nur in diesem Monolog verankerte Hinweis, dass Nicola keinen Zeugen oder Beweis für den Geldverleih hat, ist eigentlich Wissen, über das die Magd nicht begründet verfügen kann; ebenso wie es auf die Nebenfigur des Freundes im zitierten Beispiel zutraf. Dennoch ordnet Sachs ihr dieses Wissen zu. Auch wenn die Informationsvermittlung nur im Monolog erfolgt, erhalten die Worte in gleicher Weise wie in der Rede des Freundes die Eigenschaft einer Fremdcharakterisierung Nicolas: Sie kontrastiert seine Naivität mit ihrer Unverfrorenheit. Durch diese Darstellung fügt Sachs dem Bericht über den Fehler des „Jungen“, den Geldverleih nicht abzusichern, einen belehrenden Charakter bei.25

Die Vorlage thematisiert ebenso das fehlerhafte Verhalten Nicolas. Während Sachs im Fastnachtspiel die Belehrung von ‚außen‘ mit Hilfe der Magd den Rezipienten, nicht aber Nicola vermittelt, ist es im Dekameron Nicolo selbst, der in einem selbstreflexiven Gedankengang zu der Erkenntnis kommt, dass er keinen objektiven Beweis für das Verleihen des Geldes hat und darum das öffentliche Gespött fürchten muss:

Doch nach langen peyten des pösen weybs falsche list vernomen vnd mercken vnd sein wenig synne was er gethon het bedencken ward sich des geltes gancz verwage dann weder geschrift noch geczeugen hette das er der frawen icht gelichen het, Noch vil mere vnd arger er muste sich schamen das zů klagen, do von nyemant sagen dorste dann er was etlichs vor hin gewarnet worden (Arigo 1860, S. 538).

Trotz der situationsvermittelnden Rolle der Magd hat auch ihr Monolog einen retardierenden Grundzug, da bereits aus dem vorangegangenen Dialog die Betrugsabsicht bekannt ist; daneben ist in der zweiten Szene auch bereits geschildert, wie Sophia ihrem vermeintlichen Geliebten die plötzliche Geldnot glaubhaft gemacht hat. Die im Monolog thematisierte, erfolglose Geldforderung Nicolas stellt im weiteren Verlauf der dritten Szene der Dialog zwischen Nicola und der Magd dar.

Wenn man den Sinn der Selbstrede nicht allein darin sieht, dass Sachs noch einmal den in Gang gekommenen Konflikt verdeutlichen will, so ist die handlungsbezogene Funktion wohl in erster Linie aus der Erzählstruktur der Novelle zu erklären, in der eine Abfolge von Ereignissen dominiert. Für diese Ereignisse, die das Grundgerüst auch der dramatischen Fabel bilden, ist es bedeutsam, dass der schon bald, nämlich in der vierten Szene, geplante Betrug an der Betrügerin ebenso folgenlos bleiben kann wie ihr eigener.26 Geschäfte, die letztlich nur auf gern geglaubten Vermutungen basieren, bilden den Drehpunkt der Intrigen im Handlungsbogen. Notwendigerweise muss also Sachs zur Begründung der Handlungslogik darauf Bezug nehmen, wie es dann etwa auch in der Rede der Magd geschieht. Die zeitliche und logische Ebene der Erzählstruktur ist hier sichtbar Teil der Rede.

Im Dekameron nimmt die präzise Schilderung der Geschäftsgänge einen relativ breiten Raum ein. Der kaufmännische Hintergrund der Erzählung ist auch durch die Charakterisierung des Ratgebers, den Nicolo aufsucht, sowie durch den mehrmaligen Hinweis auf die Verpflichtungen des jungen Kaufmanns seinem Auftraggeber gegenüber weitaus bedeutungsvoller ausgeführt. Sachs reduziert dies auf ein notwendiges Minimum. Er konzentriert die Handlung des Spiels auf die Komplexe ‚betrogene Betrüger‘ und ‚falsche Liebe‘. Dabei muss er sich im Klaren darüber gewesen sein, dass das Wissen über Zeugen und andere Beweismittel bei kaufmännischen Geschäften unabdingbar für das Verständnis der Intrige ist.

Der Abgangsmonolog der Magd am Ende der knapp gehaltenen dritten Szene (vv. 141–146) führt diese Akzentsetzung weiter. Mit ihm reflektiert die Magd schadenfroh über die Dummheit Nicolas und will Sophia davon berichten:


Der Lap hat einen sturm verlorn
Wie soln jm klingen seine orn,
Sein Gelt sol jn wol heimlich nagen.
Ich wils gehn meiner Frawen sagen.
145 Ich mein, sie wert des Kautzen lachen
Sie kan wol Lappn vnd Esel machen.

Der Monolog präsentiert als Fremdcharakterisierung eine Sichtweise auf die Situation Nicolas und gibt erneut keine für den fortlaufenden Handlungsgang relevanten Informationen. Zu Beginn der vierten Szene kontrastiert der Auftrittsmonolog von Nicola (vv. 147–152) die figurenspezifische Sicht der Situation aus der dritten Szene:


Ach Gott, was sol ich fahen an?
Ach, das ich nit gefolget han
Meim alten freundt, der mich thet warnen
150 Vor dieser falschen Frawen garnen.
Ich wil jm gehn mein hartsel klagen
Vnd vmb ein trewen rath jn fragen.

Reflektierend beklagt Nicola, nicht auf die warnenden Worte seines Freundes gehört zu haben, dem er nun geläutert sein Leid klagen und den er um Rat fragen will.

 

Die kontrapunktische Abfolge der Monologe von Magd und Nicola macht die Akzentsetzung für die Anlage des Fastnachtspiels überdeutlich: Dem Lob der listigen Frau und der Schmähung des dummen „Lap“ (v. 141) folgt unmittelbar Nicolas Auftritt, der seiner Verzweiflung „Ach Gott, was sol ich fahen an?“ affektgeladen Ausdruck verschafft. Der von der Magd gelobten List stellt Sachs durch Nicola die Falschheit von Sophia gegenüber.

Für diesen Monolog findet sich in der Vorlage die bereits oben zitierte narrativierte Gedankenrede Nicolos. Im Handlungsaufbau des Dekameron stellt Nicolos Zweifel die Peripetie dar. Bezeichnenderweise findet sich der Übergang zum entscheidenden Umschwung der Handlung in der Reflexion Nicolos. Seine ‚Situationsanalyse‘ ist von großer Scham über sein Handeln geprägt. Er hat sich selbst in eine katastrophale Lage gebracht, indem er sich hinters Licht hat führen lassen. Er hat nicht nur seine Gefühle ‚falsch investiert‘, sondern durch den Verlust des Geldes, das er dem Auftraggeber seiner Geschäfte schuldet, ist er auch beruflich desavouiert. Aus dieser Krise heraus fasst Nicolo den Entschluss, Rat bei einem erfahrenen und hochangesehenen Kaufmann zu suchen, dem Schatzmeister der Kaiserin von Konstantinopel, Chaningiano. Die Lösung des Problems ist damit handlungsimmanent eingeführt, weil Nicolo selbst diesen Schritt geht und sein Fehlverhalten an höchster Stelle offen legt. Damit ergibt sich der Umschwung in der Vorlage allein auf der Grundlage einer entwickelten Handlungsintention des Protagonisten.

An der Übertragung ist deutlich zu erkennen, dass Sachs mehrere Aspekte aus dem Gedankengang Nicolos in der Vorlage aufgreift. So fügt er in den Monolog der Magd das Fehlen von Zeugen und Beweismitteln ein; die Warnungen gestaltet er als Dialog zwischen Nicola und seinem Freund und intensiviert sie noch durch den Monolog Chaningianos; Nicolas Klage über seine Tat integriert Sachs als Monolog Nicolas.

Auch wenn die Monologe in der Bearbeitung wichtige Funktionen zur Darstellung der Handlung übernehmen, verankert Sachs die krisis entgegen der Vorlage nicht monologisch in einem introspektiven Gedankengang, sondern lässt sie erst in der Schilderung Nicolas im Dialog mit dem Freund in der vierten Szene in ganzer Tiefe zutage treten. Dort verortet er neben den Aspekten der Verpflichtungen des jungen Kaufmanns auch die Angst um Ehre und Besitz sowie seine Verzweiflung.

Sachs nutzt hier den Monolog nicht für die ausführliche Explikation der situationsverändernden Handlung, weshalb die vierte und fünfte Szene, in denen die Intrige geplant wird und ihren Anfang nimmt, ohne weitere Monologe auskommen können.

Sachs räumt den Nebenfiguren in gleichem Maß wie den Hauptfiguren Nicola und Sophia Handlungsspielraum ein. Gerade die Aufwertung der Magd, die in der Vorlage keine Redeanteile hat, macht deutlich, wie Sachs die Nebenfiguren funktionalisiert. Die Magd wird einerseits Sophia als Dialogpartnerin beigegeben, anderseits kommentiert sie die Handlung. Für die Übertragung der Erzählstruktur verschafft sich Sachs darüberhinaus die Möglichkeit, auch narrative Passagen und Reflexionen an eine Nebenfigur vergeben zu können. Daran ist der in allen Spielen festzustellende pragmatische Umgang mit dem Monolog als Variante der Figurenrede erkennbar: Monologe dienen nicht etwa als Heraushebungen von Gedanken oder Plänen, die nur den Hauptfiguren im Stück zufallen, sondern fungieren strukturell-gliedernd oder zur Vermittlung handlungsbezogener Informationen.

Die von Sachs präsentierte Technik kann man dabei als flexibel einsetzbare ‚Brücke‘ im methodischen Vorgehen zur Übertragung der textuellen Struktur von Vorlagen in eine dramatische Form ansehen. Das damit herausgestellte instrumentelle Verständnis für den Einsatz von Monologen schließt den Einbezug der Nebenfiguren ein, zumal unter der von Sachs gewahrten Prämisse einer Reduktion von Figurenzahl, von Situationswechseln und von Handlungssequenzen auf ein für Fastnachtspiele tragfähiges Minimum. Die Einführung und funktionale Verflechtung von Nebenfiguren auch über Monologpassagen ist so unmittelbar ein Faktor der sequenziellen Präsentation und der situativen Anforderungen.

Während im Dekameron sowohl das Verhalten von Bianchafiore (Sophia) als auch von Nicolo von den beteiligten Figuren nicht kommentiert wird und die Intrige von Nicolo gleichrangig neben der von Bianchafiore steht – und in diesem Sinne der Kasus die Formen der Intrige, List und Gegenlist verhandelt –, relativiert Sachs zumindest moralisch das durchaus falsche Verhalten von Nicola, mit Betrug auf Betrug zu reagieren. Er fügt einen Dialog zwischen Sophia und der Magd ein, wonach Sophia sich ein neues Opfer suchen will. Zusätzlich dienen die Kommentare bzw. Haltungen in den Monologen der Magd und Nicolas als Kontrastierungen und setzen Akzente, die als moralisierende Bewertung erkennbar sind. Sachs gibt wie etwa im letzten Monolog zu Beginn der neunten Szene (vv. 334–341) ‚Interpretationshilfen‘, die so nicht Teil der Novelle sind, und überlässt die Wertung nicht den Rezipienten:


Mein Fraw leicht tausendt guͤlden hin,
335 Ist noch viel kecker denn ich bin,
Meindt leicht, er sey mit lieb besessen,
Sie woͤl mit wahr vnd oͤll in fressen.
Sie wil haben das hem zumb rock.
Sie wirt ein mal stossen der Bock,
340 Wirt nit almal treffen ein Schaff,
Sonder ein, der jr vnzucht strafft.

Die Magd reflektiert im Monolog in ausgedehnter Fremdcharakterisierung über das Verhalten ihrer Herrin. Nachdem sie feststellt, wie keck Sophia handelt, kommt sie zu dem Schluss, dass der Habgier und dem Übermut ihrer Herrin irgendwann die Strafe folgen müsse. Weil selbst Sophias Vertraute ihr Verhalten als strafwürdig einschätzt, erfährt die List Nicolas durchaus eine Rechtfertigung. Daneben wird mit dem Monolog der Magd ein Zeitsprung vermittelt, der es Sophia ermöglicht, am Ende der neunten Szene mit Nicola die Bühne zu verlassen und anschließend wieder aufzutreten.

Die meisten der elf Monologe sind wie derjenige der Magd Reflexionen über das Verhalten anderer Figuren. Zieht man kontrastierend die komplexen Reflexionen und Affektdarstellungen aus den Dekameron-Bearbeitungen der Schauspiele hinzu, zeigt sich die bewertende Funktion der Monologe in dieser Dekameron-Bearbeitung umso deutlicher. Ist in Tragedi und Comedi den Figuren schon jede Ambivalenz genommen, fehlt ihnen im Fastnachtspiel jede reflexive Innensicht. Stattdessen begleiten sie den Handlungsgang, kommentieren das Verhalten der anderen Figuren und arbeiten auf die Lehren im Epilog hin. So kommt ihnen eine Fokussierungsfunktion zu, indem sie, ohne neue Inhalte zu vermitteln, erneut auf einen zukünftigen oder vorangegangenen Aspekt verweisen. Die in der Vorlage bereits gegebene straffe Handlungsführung ist dadurch mehr als einmal retardierend gebremst.

Sachs nutzt demnach die Monologe auf der handlungsbezogenen Ebene, um Sichtweisen zum Stand der Handlung und Verdichtungen des Konflikts zu vermitteln. Er führt die Rezipienten durch die Handlung, ohne dass Leerstellen bleiben, die das Verständnis erschweren könnten. Der Aussage von Knape, wonach Sachs mit der Funktionszuweisung das Gesamtgeschehen dem Erwartungshorizont des Publikums anpassen wollte, ist deshalb auch für diese Dekameron-Bearbeitung zuzustimmen.27

In der Gesamtschau scheint es so, als ob Sachs zunächst den Plot der Novelle strukturiert hat, um ihn dann durch inhaltliche ‚Anker‘ in Gestalt von Monologen zu ergänzen. Gerade die kasuistische Erzählform der Novelle könnte eine solche Vorgehensweise evoziert und ihn zur gezielten Ausarbeitung der chronologischen wie logischen Struktur der Fastnachtspiele inspiriert haben. Da in der Vorlage eine Wertung in Form einer Lehre ausbleibt und weniger offensichtlich als bei Sachs die Rezeptionslenkung zutage tritt, bleiben die beiden Intrigen beinahe unkommentiert nebeneinander stehen. Lediglich ein wertender Hinweis findet sich, nachdem Dioneo die Geschichte beendet hat und die Rahmenhandlung des achten Tages fortsetzt wird. Darin hebt die Brigata im Gespräch das Verhalten Chaningianos lobend hervor: „den weisen rate herren Peter Chaningiano sere lobten, Der dem iungen kaufman wider daz falsch weybe also treülich geratenn vnd geholffen het“ (Arigo 1860, S. 543). Sachs dürfte den Freund nicht schon aufgrund dieser Wertung in der ersten Szene in das Geschehen eintreten und ihm eine positive Rolle zukommen lassen. Zwar ist die Figur Chaningiano positiv besetzt, seine Funktion ist es jedoch, das betrügerische Verhalten der Frauen und des Mannes, der durch ‚falsche Liebe‘ verblendetet ist, zu bewerten und als Leitmotiv herauszustellen; die abschließende Lehre fasst diese Gewichtungen dann als exemplarische Deutung zusammen.

Wie in Fastnachtspiel G 16 Der schwanger Pawer von 1544 – das mit nur einem Monolog auskommt – behält Sachs ebenfalls die Handlungsabschnitte der Vorlage im Wesentlichen bei, die jedoch in allen entscheidenden Passagen im Fastnachtspiel dialogisch gefasst sind. Würde man die Monologe aus dem Spiel G 23 herausnehmen, blieben demnach nicht nur der Handlungsgang selbst, sondern auch fast alle handlungstragenden und situationsbezogenen Informationen erhalten. Eine Ausnahme stellt hier die Information über das Fehlen von Zeugen und Beweismitteln für Nicolas Gläubigerstellung dar. Selbst die Peripetie ist weitaus ausführlicher in den Dialog als den Monolog gelegt, was einen wesentlichen Unterschied zur Quelle ausmacht, die sie in narrativierter Rede als Gedankengang Nicolos präsentiert. Nicht übernommen wurden hingegen die expliziten Bewertungen des Verhaltens, die nachweislich eine rezeptionslenkende Funktion haben.

Die Dekameron-Bearbeitungen im Fastnachtspiel G 16, G 23 und als Tragedi und Comedi machen deutlich, dass Sachs die Handlungsstruktur der jeweiligen Novelle ohne große Umarbeitungen für die dramatische Bearbeitung nutzen konnte. Im Fastnachtspiel G 16 führt das zu einem ersten Ortswechsel, einem einmaligen Szeneneinschnitt sowie zu einem dreiteiligen Handlungsaufbau, der auf die Intrige konzentriert ist. Allerdings sind Handlungsstruktur und Szeneneinschnitt noch nicht aufeinander abgestimmt. Wie in G 23 nimmt Sachs in Tragedi und Comedi die Struktur der Novelle zum Ausgangspunkt, um dann durch selbstständige Hinzufügungen oder Umarbeitungen ein exemplarisches Spiel aus der kasuistischen Erzählung zu machen. Dafür übernimmt er Monologe der Vorlage, deren auffallend zweifelnde und reflexive Innensichten im Korpus der dramatischen Texte nur in den Dekameron-Bearbeitungen zu finden sind, und lässt Monologe der Vorlage weg, die die eindeutige Figurenzeichnung durchbrechen könnten. Denn anders als bei Sachs zeigen die Figuren des Dekameron eine Ambivalenz, die sich mitunter erst in den fragenden und zweifelnden Monologen zu erkennen gibt. Dass Sachs diese Art der Monologe nicht für das Fastnachtspiel adaptierte und stattdessen die Reflexion auf vorheriges Geschehen oder andere Figuren richtet, ist durch die Reduktion der kasuistischen Ambivalenz auf eine eindeutige exemplarische Sinnzuweisung begründet. Für die Dekameron-Bearbeitungen bedeutet das, dass Sachs Monologe zwar übernimmt, wenn sie sich in der Vorlage finden und der Figurenzeichnung nicht ‚schaden‘, aber nicht selbstständig derartige Innensichten in anderen dramatischen Texten anbietet. Stattdessen nutzt er von ihm selbst eingefügte Figuren wie die der Berater oder der Magd, um das Geschehen durch Ratschläge und Kommentierungen für die exemplarische Ausdeutung zu nutzen. Dass Sachs jedoch die Monologe wie im Fastnachtspiel G 23 fast nur als ‚Ankerpunkte‘ für den Handlungsgang dienen, lässt sich nicht generalisieren, insbesondere nicht, wenn man die Schauspiel-Bearbeitungen hinzuzieht, weil Sachs sie ebenfalls zur Umsetzung schwer inszenierbarer Abschnitte der Vorlage verwendet.

 

Tabellarischer Überblick:


Sz. Vers Rede und strukturell- gliedernde Funktionen handlungsbezogene Funktionen
Figur Zeit und Ort
1 1–20 Auftrittsmonolog Enthüllung, Reflexion, Entschluss Teichoskopie
21–44 Dialog
45–50 Abgangsmonolog Reflexion Prolepse
2 51–118 Dialoge
3 119–135 Auftrittsmonolog Reflexion, Enthüllung Analepse, Zeitsprung
136–140 Dialog
141–146 Abgangsmonolog Reflexion, Fremdcharakterisierung Zeitüberbrückung
4 147–152 Auftrittsmonolog Reflexion, Affektdarstellung (Klage), Enthüllung
153–192 Dialog
5 193–210 Dialog
6 211–218 Auftritt-Abgangs-Monolog Enthüllung Analepse, Zeitsprung
7 219–222 Auftrittsmonolog Reflexion Zeitsprung, Ortswechsel
223–234 Dialog
235–238 Überbrückungsmonolog Enthüllung Zeitüberbrückung
239–269 Dialog
8 270–275 Auftrittsmonolog Reflexion Zeitsprung
276–310 Dialog
311–323 Überbrückungsmonolog Reflexion, Enthüllung, Affektdarstellung (Schadenfreude) Prolepse, Zeitüberbrückung
324–333 Dialog
9 334–341 Auftrittsmonolog Reflexion, Fremdcharakterisierung Zeitsprung
342–373 Dialog
10 374–387 Rede ans Publikum Lehre