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Der Theatermonolog in den Schauspielen von Hans Sachs und die Literarisierung des Fastnachtspiels

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3.5 Zwischenfazit

In der Untersuchung der Tragedis und Comedis aus den Jahren 1527–1536 fällt die Bearbeitung von Reuchlins Henno ins Auge. Die Vorlage gilt aufgrund der Konvergenz von antiker Dramenform und volkssprachlicher Literaturtradition als Ausnahme unter den variantenreichen Dramen der Frühen Neuzeit. Die Bearbeitung von Sachs gleicht einer Übersetzung.

Drei Monologformen lassen sich nicht auf eine Vorlage zurückführen: strukturell-gliedernd handelt es sich um den Überbrückungsmonolog sowie den Auftritt-Abgangs-Monolog und handlungsbezogen um die Affektdarstellung. Erst nach der Henno-Bearbeitung gestaltet Sachs den Monolog als eigene Szene, weshalb der in die Szene einführende Monolog eine Voraussetzung für den Auftritt-Abgangs-Monolog ist.

Zwar finden sich in der Pluto-Bearbeitung erstmals komplexere Monologe, die nicht nur der Überbrückung oder Affektdarstellung dienen, etwa ein beiseite gesprochener Expositionsmonolog, aber erst mit dem Henno nimmt der Monolog jene Form und Strukturierungsfunktion an, die sich ab 1550 auch in den Fastnachtspielen nachweisen lässt. Strukturell-gliedernd verwendet Reuchlin den Monolog weniger zur Überbrückung als vielmehr zur Szenenabgrenzung. Diese Technik übernimmt Sachs und setzt sie bemerkenswerterweise selbstständig in seiner Bearbeitung ein. Dass Sachs den Monolog vorher nicht zur Szenenstrukturierung verwendet, lässt sich damit erklären, dass die Dramen nur in Akte unterteilt und Szenengrenzen, abgesehen vom Pluto und selbst dort nur ein Mal, schwer erkennbar sind.1

Handlungsbezogen sind es die Selbst- und Fremdcharakterisierung, die Sachs für die Einführung einer neuen Figur in das Handlungsgeschehen funktionalisiert. Sie erscheinen inhaltlich strukturierter und mit komplexerem Aufbau als im Pluto. Das handlungsauslösende Moment präsentiert Sachs erstmalig in der Henno-Bearbeitung in Form einer Enthüllung und bewirkt damit, dass den Rezipienten ein Informationsvorsprung zukommt, der sie die Betrugshandlung verstehen lässt. Zugleich können komische Momente entstehen.

Insgesamt zeichnen sich die Dramen bis 1536 durch unterschiedlichste Formen aus. Wie variantenreich Sachs in seinen Bearbeitungen vorging, zeigt beispielsweise die Reihenspielform mit einem antiken und neulateinischen Inhalt (Caron, Stulticia mit irem hofgesind oder der erste Akt des Judicium Paridis) im Vergleich zur Nachdichtung von Bibelstoffen in antiker Dramenform (Tobie). Abgesehen von Reuchlins Henno änderte Sachs seine Vorlage meistens ab und zeigte einen durchaus eigenständigen Dichtungsansatz. Zwar ist Stuplich zuzustimmen, wenn sie meint, „daß sich Sachs nicht an seine Vorlage bindet, sondern die Handlung nach eigenen Vorstellungen umstrukturiert und mit eigenen technischen Mitteln spielbar zu machen sucht“,2 aber sie übersieht, dass er sehr wohl aus seinen neulateinischen und antiken Vorlagen ein Formenrepertoire adaptierte, ohne das sich eine Dramentechnik, wie sie ab 1550 gegeben ist, schwer erklären lässt.

4 Tragedis und Comedis 1545–1549
4.1 Dekameron
4.1.1 Dekameron-Rezeption

Nach Beendigung seiner dramatischen Schaffenspause widmete Sachs sich einzelnen Novellen des Dekameron. Diese dramatischen Bearbeitungen spiegeln nur einen kleinen Teil der Beschäftigung mit Boccaccio wider. Vor allem das Dekameron war von Beginn seiner dichterischen Tätigkeit an eine Quelle für Sachs. Schon 1514 griff er es im Spruchgedicht und 1516 im Meisterlied auf.1 Die von Julius Hartmann erstellte und oft zitierte Auflistung2 der Dekameron-Bearbeitung hat zuletzt Nikolaus Henkel aktualisiert:

79 Meisterlieder sind es, dazu 31 Verserzählungen (Spruchgedichte), 13 Fastnachtspiele, sechs Comedi und zwei Tragedi. Früh auch, ab etwa 1515, bearbeitet Sachs zahlreiche Kapitel aus De claris mulieribus in der Übersetzung Heinrich Steinhöwels als Meisterlieder, manche sogar mehrfach, insgesamt rund 70 Lieder, dazu kommen etwa 20 Spruchgedichte und 7 Tragedi.3

Von den 13 auf Dekameron-Novellen beruhenden Fastnachtspielen hat Sachs nur G 16 Der schwanger Pawer vor 1545 verfasst, alle anderen nach 1550. Darin grenzt er erstmals im Fastnachtspiel einen Monolog im Nebentext mit „er red mit jm selb“ gegenüber anderen Formen der Figurenrede ab. Jedoch besteht der Monolog lediglich aus einem Vers (v. 128) und ist simultan präsentiert.4 Obwohl Sachs wie im Henno einen schwankhaften Stoff verarbeitet, erreicht er weder in Bezug auf den dramatischen Aufbau noch in Bezug auf die Monologe eine Form, wie sie ab ca. 1550 zu finden ist.5

Er bindet in den Dekameron-Bearbeitungen als Tragedi und Comedi die dramatische Technik in der produktiven Rezeption einer narrativen Vorlage an die Übertragung der Handlungskonstruktion und Erzählerrede in Figurenrede zurück.6 Die damit einhergehende zunehmende Abstrahierung der poetologischen Kompetenz von den konkreten Vorlagen stellt einen weiteren Schritt in Richtung der Literarisierung des Fastnachtspiels dar. In den Fastnachtspielen ab 1550 löst sich die poetologische Kompetenz von konkreten Textvorlagen.

Die Forschung räumt dem Dekameron für die Fastnachtspiele einen größeren Stellenwert ein als für die Tragedis und Comedis. In den Novellen, so Könneker, finde sich „die straffe Handlung, de[r] dramatische Konflikt, die Intrige sowie die vordergründig schwankhafte Szenerie“.7 Der folgende Abschnitt verdeutlicht, dass der Grundstein dafür indes bereits in den 1540er Jahren gelegt wurde, als Sachs das Dekameron zur Vorlage für seine Tragedis und Comedis nahm.

Hier zeigt sich besonders der Einfluss der Rhetorik, die Boccaccios Strategien zur Wissensvermittlung zugrunde liegt. Es sollen an dieser Stelle überblickshaft Boccaccios Erzählverfahren erläutert werden, zu denen er sich auch selbst theoretisch geäußert hat. Sie erklären, mit welchen Herausforderungen Sachs konfrontiert wurde, als er Boccaccios Werke als Quellen heranzog.

Unter Rhetorik als Wissenvermittlung ist zu verstehen, dass die Wirkung der Novellen vor allem von der „topische[n] Vorwegnahme der Rezipientensicht (also ihre[r] Wahrscheinlichkeit)“ abhängt, „weil nur solche Erzählungen belehren können.“8 Theoretische Ausführungen zum Verhältnis von Dichtung und Wahrscheinlichkeit liefert Boccaccio in seinen Genealogiae.9 Darin äußert er sich zunächst zur fabula, die für ihn ein Oberbegriff zumeist poetischer Texte in Versen ist. Er unterteilt sie in Anlehnung an Cicero und den Auctor ad Herennium nach dem Grad der Wahrheit bzw. Wahrscheinlichkeit in vier Arten. Dabei vermeidet er indes, wie Knapp bemerkt, „exakte Termini zu prägen“.10 Entscheidend ist hier die dritte Art, weil sie erklärt, dass unter der poetischen Hülle eine Lehre zu finden ist und die poetologischen Verfahrensweisen der Vermittlung von Wissen dienen:

Aber die dritte Art gleicht mehr einer realen Geschichte als einer Fabel. Berühmte Dichter verwendeten sie, jeder auf seine Weise. Da sind die epischen Dichter, die zwar dem Anschein nach eine geschichtliche Begebenheit behandeln […], die jedoch unter der Verhüllung etwas ganz anderes aussagen wollen, als es an der Oberfläche gezeigt wird. Dazu verwendeten die ehrenhaften Komödiendichter, wie Plautus und Terenz, diese Art des Erzählens an, nur den wörtlichen Sinn beachtend, und doch auch mit dem Ziel, mit ihrer Kunst Sitten und Redeweise unterschiedlicher Menschen zu beschreiben und dabei auch die Leser zu belehren und zu warnen. Und wenn diese Geschichten sich nicht tatsächlich begeben haben, so hätten sie geschehen können oder könnten sie es heute, da es sich um alltägliche Ereignisse handelt.11

In diesem Sinne kann auch Boccaccios Definition von Dichtung allgemein verstanden werden: Sie ist eine „Erzählung, die unter der Schale der Fiktion ein Beispiel oder eine Lehre enthält. Wenn die Hülle entfernt ist, liegt die Absicht des Erzählers offen.“12

Zwar lassen sich die in den Genealogiae getätigten theoretischen Ausführungen nicht direkt auf das Dekameron übertragen; Kocher liefert indes überzeugende Argumente, dass Boccaccio auch andere Arten von Texten nach dem „Grad ihrer ‚Wahrheit‘, ‚Wahrscheinlichkeit‘ […] und ihrer belehrenden Intention erfaßt“ haben könnte.13 Boccaccio geht von der „modalen Bestimmung oder den Aussagesituationen“14 aus, d.h. wie die progymnasmatischen Übungen zeigen auch die verschiedenen Novellen des Dekameron, wie auf unterschiedliche Art und Weise – in verschiedenen Modi – anders und neu erzählt wird. Relevant sind hierfür die Erzählperspektive, der Adressat und der Zweck, den die Dichtung erfüllen soll. „Es geht also um die Beachtung der kommunikativen Situation und topischen Vorgaben.“15

Die Wissenvermittlung geschieht im Dekameron ohne moralische Kommentierung oder Beurteilungen:

Boccaccio ist bemüht, eigene Beurteilungen aus seinem Werk herauszulassen und konstruiert deshalb eine komplexe Rahmenhandlung. Die Diskurstradition, die er mit dem Decameron begründet, zeichnet sich durch Diskurspluralität aus. Folglich kann der Novellensammlung nur schwer eine eindeutige Funktion zugeschrieben werden, weil die Regeln zu allgemein sind, um pragmatische Hilfe in einzelnen Situationen zu bieten […]. 16

Die Konstruktionsregeln für ein literarisches Prosawerk fand er in der ars dictaminis, die ursprünglich das Verfassen von Briefen und Urkunden lehrt. Im Aufbau ist die Anlehnung an Ciceros De inventione und die Rhetorica ad Herennium deutlich zu erkennen, wobei das fünfteilige Briefschema grundlegend ist.17 Insbesondere der dritte Punkt, die Darlegung der Tatsachen (narratio), ist nach Kocher für die Dichter von Interesse. Hier können sie sich an den Regeln des Briefschemas und dem kunstvollen Stil, ornatus difficilis, orientieren.18 Die daraus entstandene Kunstprosa lässt sich auch in einer der wichtigsten Vorlagen für das Dekameron entdecken, dem Novellino, einem Werk, das „ganz unter dem Moto guten Redens und Verhaltens“19 steht und dessen „dialektische Sprachschulung und rhetorisches Geschick […] die Basis für den Witz dieser Erzählung“20 sind.

 

Sachs sah sich mit einem Werk konfrontiert, dessen Autor den Rezipienten unter der poetischen ‚Hülle‘ eine Lehre ohne weitere Kommentierung vermitteln möchte. Die Wissensvermittlung basiert hier auf den rhetorischen Regularien, die den Novellen des Dekameron zugrundeliegen. So können und müssen die Modi des Erzählens variieren und sich der gegebenen kommunikativen Situation anpassen.

Als Hans Sachs über 150 Jahre später begann, das Dekameron zu rezipieren und die Stoffe in Meistersang, Spruchgedicht und dramatischen Texten zu verarbeiten, konnte er möglicherweise auf sein Wissen aus der Lateinschule zurückgreifen. Hier lernte er rhetorische Textstrukturierung kennen, die es ihm ermöglichte, die Erzählverfahren des Dekameron zu verstehen. Inwieweit er mit Hilfe der narratio-Lehre das Formulieren von Texten übte, die Unterscheidung von ordo naturalis und ordo artificialis lernte und Figurenreden nach ihrer kommunikativen bzw. autokommunikativen Funktion unterscheiden konnte, bleibt offen. Die folgenden Analysen zeigen indes, dass Sachs die Struktur der Novellen erkannte und für seine dramatischen Texte zu adaptieren verstand.

Weil Sachs die Funktionen der Erzählerrede eines narrativen Textes durch dramatische Figurenreden ersetzen musste, benötigte er Verfahrensweisen, um etwa Affekte oder Anachronien darstellen zu können. Die Analyse von Ein klegliche tragedi deß fürsten Concreti geht dem hierfür zur Verfügung stehendem Repertoire nach.

Bevor es zur vollständigen Übersetzung des Dekameron aus dem Italienischen ins Deutsche 1476/77 durch ‚Arigo‘21 kam, wurde es in Deutschland so gut wie nicht rezipiert.22 Es dominierten hier nur Übersetzungen bzw. Bearbeitungen einzelner Novellen. Diese erhielten dabei nicht nur eine exemplarische Ausrichtung, auch wurden sie in neue Textsammlungen eingebunden.

Einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die deutschsprachigen Bearbeiter hatten die lateinischen Einzelüberlieferungen Francesco Petrarcas und Leonardo Brunis. Petrarca widmete sich 1373 mit der Griseldis (X, 10) der letzten der 100 Novellen und Bruni 1438 Guiscardo und Ghismonda (IV, 1).23

Nach dem Vorbild Petrarcas übersetzte 1461 Heinrich Steinhöwel die Griseldis, um sie 1474 in die deutsche Fassung von Boccaccios De claribus mulieribus von den erlauchten Frauen einzufügen. Hier bildet sie die letzte von 100 Biographien, anstatt die Schlussnovelle des Dekameron zu sein.24 Insgesamt gesehen kann man zumindest für die Griseldis, die weitaus bekannteste Novelle des Dekameron, sagen, dass alle ihre Bearbeitungen aus dem 15. Jahrhundert, von der Gesamtübersetzung durch ‚Arigo‘ abgesehen, nicht auf dem Original Boccaccios, sondern auf der von Petrarca bearbeiteten Fassung oder mündlichen Überlieferungen beruhen.25 Das rechtfertigt die Bermerkung von Bertelsmeier-Kierst, wonach Boccaccio „in jenen Kreisen offenbar noch ganz durch den Filter des petrarkischen Frühhumanismus gesehen wurde.“26

Sachs traf auf die unterschiedlichsten Formen der Dekameron-Rezeption. Ihm lagen die Gesamtübersetzung von ‚Arigo‘ und deutsche und lateinische Einzelübersetzungen vor, denn er bearbeitete in den 1540er Jahren u.a. genau jene zwei Novellen, die Bruni und Petrarca ins Lateinische übertragen haben. Abänderungen der Gesamtübersetzungen zeigen die Grüninger-Drucke von 1509 und 1519. Sie haben einen gereimten moralisierenden Vierzeiler am Ende jeder Novelle, sodass die Interpretationsleistung in diesen Ausgaben nicht mehr wie im italienischen Original vollständig dem Rezipienten obliegt.27

Die Forschung schreibt der schon 1514 beginnenden Rezeption der Werke von Boccaccio28 eine entscheidende Rolle für die literarische Entwicklung von Sachs zu. Nicht nur die Zeit bis 1516, sondern die gesamten 1540er Jahre waren von einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Dekameron geprägt, dichtete Sachs doch von 1540–1550 neben den dramatischen Texten insgesamt 55 Meisterlieder und 33 Spruchgedichte, die auf das Dekameron zurückgehen.29

In Bezug auf die dramatischen Bearbeitungen ist sich die frühe wie auch spätere Sachs-Forschung in zwei Punkten einig:

1. Die von Boccaccio vorgegebene Plot-Struktur bleibt in den Dramen stets im Wesentlichen erhalten. 2. Dramentechnische und inhaltliche Änderungen ergeben sich aus den Bedingungen der Dramenform und aus Anpassungen an die Verstehensmöglichkeiten und Erwartungen des deutschen Publikums der Hans Sachs-Zeit.30

Die folgende Analyse der Tragedi Concreti (IV, 1) und der Comedi Thitus und Gisippus (X, 8) richtet sich insbesondere auf das Verhältnis von Monolog und Handlungsaufbau und die Übertragung der Erzählerrede in Figurenrede. Die weiteren drei Bearbeitungen – Violanta, Lisabetha und Griselda – werden hinzugezogen, um die Argumentation jeweils zu stützen.

4.1.2 Reflexion, Affektdarstellung und Intrigenhandlung
4.1.2.1 Concreti

Der Bearbeitung der Novelle IV, 1 als Ein klegliche tragedi deß fürsten Concreti von 1545 liegen neben der Gesamtübersetzung von ‚Arigo‘ möglicherweise auch Einzelübersetzungen zugrunde. Bruni legte 1438 eine lateinische Übersetzung der Novelle vor, Albrecht von Eyb 1472 im Ehebüchlein und Niklas von Wyle ca. 1464 in den Translatzen jeweils eine deutsche.1

Ihrem Inhalt nach handelt die Tragedi von den Standesgrenzen als objektiver, nicht zu überwindender Werteordnung:


1. Akt: Die Liebe des Fürsten Concretus zu seiner Tochter Gismunda ist so groß, dass er ihr gegen den Rat seiner Berater nach dem Tod ihres Mannes eine erneute Heirat verbieten will.
2. Akt: Gismunda verliebt sich in den Hofdiener Guiscardus.
3. Akt: Concretus hat das Liebespaar beim Beischlaf beobachtet und beschließt, Guiscardus töten zu lassen. Seine Tochter droht deshalb mit Selbstmord.
4. Akt: Concretus lässt Guiscardus töten.
5. Akt: Concretus schickt seiner Tocher das Herz von Guiscardus. Sie bringt sich durch einen Gifttrank um. Der Vater bereut seine Tat.

Im Gegensatz zu ‚Arigo‘ und Albrecht von Eyb, deren Übersetzungen nahezu identisch sind,2 untergliedert Sachs sein Drama in fünf Akte und 11 Szenen. In den Übersetzungen sind es dagegen sieben Abschnitte, die zudem nicht deckungsgleich mit der Akteinteilung von Sachs sind. Ein Grund hierfür könnte in den beträchtlichen Kürzungen liegen, die Sachs am Mittelteil der Novelle vornimmt.

Der erste, mit 114 Versen äußerst kurz gehaltene Akt dient der Exposition und kann im Sinne eines dramatischen Auftakts, der die Voraussetzungen für den Handlungskonflikt schafft, gesehen werden.3 Da die Vorlage keine dialogischen Reden beinhaltet, fügt Sachs dem Fürsten Concretus Berater hinzu, die ihn vor dem Vorhaben warnen. Dadurch ist es Sachs möglich, die Erzählerrede in Figurenrede umzusetzen und zur eigenen moralischen Deutung hinzuführen. Concretus muss sich aktiv über die Mahnungen und Argumente derer hinwegsetzen, die ihm vom Verbot der Wiederheirat abraten.

Kommt Sachs im ersten Akt ohne Monologe aus, finden sich im zweiten gleich drei. Zu Beginn des zweiten Aktes betritt Gismunda mit ihren Hofdamen die Bühne. Da diese nur den Stand Gismundas deutlich machen sollen,4 kann sie die Hofdamen sogleich in den Garten und damit von der Bühne schicken. Sodann folgt ein Monolog (KG II, S. 25 vv. 23–30), der ebenso am Aktbeginn hätte stehen können:


Ach wie ist mein vatter so hert,
Das er mir also jung verspert
25 Den holdselich ehlichen stand!
Wie thut mir das so weh und andt,
Wenn ich gedenck voriger tag!
Kein kurtzweil mich mehr frewen mag;
Weyl ich entberen muß der eh,
30 Ist mir gleich weder wol noch weh.

In affektiver Darstellung klagt Gismunda über das harte Urteil ihres Vaters und reflektiert auf die im ersten Akt von ihrem Vater verkündete und von ihr ohne Widerspruch angenommene Tatsache, dass sie für immer unverheiratet bleiben und bei ihrem Vater wohnen soll. Das Verhalten ihres Vaters macht ihr die gewünschte Ehe unmöglich und bringt ihr fortan keine Freude mehr im Leben.

Anders als die folgenden Monologe orientiert sich dieser im Aufbau ausdrücklich nicht an der Vorlage, auch wenn Gismunda an gleicher Stelle über die Verkündung des Vaters reflektiert. In der Vorlage fasst sie den Entschluss, sich einen Liebhaber zu suchen (Arigo 1860, S. 247): „vmb des willen ir gedacht vnd fürnam wie sy in stille geheym möchte einen bůlen vnd liebhaber gehaben“. Im Gegensatz dazu beklagt Gismunda in der Bearbeitung, dass sie sich nicht in den Stand der Ehe begeben darf.5

Durch die Umänderung verliert Gismunda jede Zweideutigkeit, die ihr im Dekameron noch anhaftet. Stattdessen lenken ihre reflexiven Äußerungen den Blick auf den Vater und verstärken sein Negativbild; gleichzeitig bestätigen sie die Hofberater, die im ersten Akt dem Fürst zur Ehe der Tochter geraten hatten.

Um die im zweiten Akt ausbrechende Liebe darstellen zu können, lässt Sachs wie in der Vorlage die Liebenden Gismunda und Guiscardus monologisieren. Gismundas Monolog (KG II, S. 26 v. 21 – S. 27 v. 14) folgt nach dem Zusammentreffen mit Guiscardus. Dieser hatte sie gebeten, mit ihm auszureiten, was sie jedoch ablehnte. Der erste Teil (S. 26 v. 21 – S. 27 v. 5) ist eine Reflexion über das Verbot, Guiscardus zu lieben, weil ihr Stand und ihre persönliche Situation eine solche Liebe nicht zulassen. Sie erkennt jedoch Guiscardus’ Tugendadel und schwankt zwischen der starken Liebe und dem fürstlich-väterlichen Verbot:


Ach wie adelich, schöner jugent,
Wie vernünfftig, höflicher tugend
Ist Guisgardus, der kemerling!
Ach wie elend verschloßner ding
25 Muß ich versitzen in den thaten,
Aller ehlichen freud gerathen!
O das wer dieser jüngling mein!
O das mag aber ye nit sein.
O ich elende aller frawen!
30 O wie ist mir mein hertz verhawen
In lieb! ach wie wil mir geschehen!
Ich will im gleich mein lieb verjehen.
Er wirt in gnaden mich auffnemen.
So er mich aber wirt beschemen,
S. 27 Wer es mir ein ewige schand.
Nun hin! ich will im mit der hand
Schreyben gar ein kleglichen brieff,
Anzeygen mein lieb hoch und tieff,
5 Dardurch er werd zu lieb geneygt,

Weil Sachs zwei Abschnitte aus der Vorlage zu einem Selbstgespräch zusammenfügt, ist hier die Rede Gismundas deutlich länger als in der Vorlage. Im Dekameron folgt auf den Entschluss, einen Liebhaber zu suchen, eine kurze Reflexion über mögliche Liebhaber am Hofe des Vaters. Sachs lässt diese Passage weg und beschränkt sich auf die Liebe zu Guiscardus. Dafür setzt er das „enczünden“ der Liebe und „loben vnd breisen“ (Arigo 1860, S. 248) der Vorlage als Affektdarstellung und Reflexion im ersten Teil des Monologes um. Mehr noch als im ersten Monolog von Gismunda ist dieser Teil stark expressiv, indem er „kaum mehr auf Sachverhalte, die dem Bewußtsein des Sprechers extern sind“,6 verweist. Es handelt sich um einen aktionalen Monolog, in dem sich Gismunda im Sprechen ihrer Liebe immer mehr bewusst wird und die Entscheidung trifft, einen Brief zu schreiben, um Guiscardus ihre Liebe zu gestehen. Der zweite Teil (S. 27 vv. 6–14) ist zusammen mit zwei weiteren Dramenabschnitten zu sehen, denn alle drei vermitteln ein Geschehen dramatisch, ohne es darzustellen. Es handelt sich um das heimliche Treffen der Liebenden aus dem Mittelteil der Novelle, das, von Concretus beobachtet, in einer Höhle stattfindet:7

 

Darinnen im auch werd anzeygt
Der heymlich eingang in mein kemnat,
Der undter der erdt sein eingang hat,
Da unser lieb an alle sorgen
10 Wol ewigklichen bleibt verborgen.
Nun auff gelück, ich wil es wagen.
Mein pein kan ich nit lenger tragen.
Den brieff ich in das rohr wil than,
Ihm das zu-stossen, wo ich kan.

Wenn Sachs im zweiten Teil die Informationen über die Höhle als geheimen Treffpunkt vorausgreifend vermittelt, kürzt er zwar die Vorlage, die wesentlichen Informationen bleiben indes erhalten. Zusammen mit dem anschließenden Monolog von Guiscardus und dem analeptischen Bericht von Concretus über den beobachteten Beischlaf (KG II, S. 29 v. 22 – S. 30 v. 1) setzt er die Erzählerrede über mehrere Etappen der Handlung in Figurenrede um. Stuplich ist der Meinung, dass die heimlichen Treffen ausgespart bleiben könnten, weil das Wichtigste in anderer Form vermittelt werde.8 In der Tat besteht ein inszenatorisches Problem, das Sachs zur Auslassung dieser Passage veranlasst haben dürfte, weil er nicht nur die Höhle, in die sich der Liebende hinabseilt, hätte darstellen müssen, sondern auch den von Concretus beobachteten Beischlaf. Seine Lösung: Vorausschau im Monolog und analeptischer Bericht von Concretus.

Wie in den letzten beiden Monologversen angekündigt und damit getreu der Vorlage, übergibt Gismunda Guiscardus das Schilfrohr und verlässt mit ihrer Begleiterin die Bühne. Guiscardus kann monologisierend (KG II, S. 27 v. 34 – S. 28 v. 28) den Akt beschließen. Damit bereitet er ausführlich den Besuch bei Gismunda vor. Erst der Bericht des Fürsten im dritten Akt vervollständigt das Wissen der Rezipienten über die Zusammenkunft. Der dreiteilige Aufbau in Reflexion über das Schilfrohr, Affektdarstellung und Entschluss, sich der Liebe zu Gismunda hinzugeben, findet sich in gleicher Anordnung, aber weniger ausführlich, als narrativierte Rede in der Vorlage.9


Das rohr hats mir umb sunst nit geben.
35 Es bedeut etwas groß darneben.
S. 28 Schaw, schaw! hierinnen steckt ein brieff;
Deß innhalt wirt sein hoch und tieff.
Er list den brieff, spricht darnach:
Ach du wunderbarliches glück,
5 Wie scheinst du mir in diesem stück,
Das meiner gneding frawen hertz
Zu mir tregt sollich lieb und schertz,
Deß ich nit het dürffen begeren!
Ach solt ich sie dann nicht geweren?
10 Ach wol mir, sol ich die umbfangen,
Nach der mein hertz ye thet verlangen,
Ir lang trug heymlich lieb und gunst!
Wiewol doch allmal dacht: umb sunst,
Weyl sie was also hochgeborn.
15 Nun so sie mich hat ausserkorn,
Will ich in lieb mich ir ergeben,
Ob es mir kosten solt mein leben.

Es folgt eine detaillierte Beschreibung, wie Guiscardus in Leder gekleidet durch den Dornbusch in die Höhle klettern will (vv. 18–20). Sie ist wiederum der Aussparung der eigentlichen Höhlenszene aus der Vorlage geschuldet.


In leder will ich mich kleyden auch,
Das ich mich durch den doren-strauch
20 Laß heint zu nacht in den eingang,
Da ich ein kuß und umbefang
Entpfach von der schönen und zarten.
O der nacht kan ich kaum erwarten.
O Venus, ein göttin der lieb,
25 Deinen gnedigen schutz uns gib,
Weyl du mich thetst so hoch begnaden,
Das ich kumb zu ir lieb geladen!
Bhüt mich und mein hertz-lieb vor schaden!

Das Hauptaugenmerk legt Sachs auf die Darstellung der Affekte und die dazugehörige Reflexion über das Liebesverhältnis sowie den Entschluss, auch auf Kosten des Lebens zum vereinbarten Treffpunkt zu gehen. Guiscardus thematisiert neben der Freude die Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Liebe. Dabei demonstriert er das von Gismunda angesprochene tugendhafte Verhalten und lässt sie positiv erscheinen, weil sich ihre nichtstandesgemäße Wahl als richtig erwiesen hat.