Mozart

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Die Parallele: sinnliche, wir möchten lieber sagen: die Sinne reizende Musik in der Praxis – mathematische oder physikalische Berechnung in der Theorie haben wir im Grunde auch bei den Griechen, bei denen die Musik überhaupt erst anfängt eine Kunst zu werden. Die Musik ist bei den Griechen nur ein Hilfsmittel der Sprache gewesen, Deklamationsmittel im höchsten Sinne als scharfe Rhythmisierung und Tonfixierung des Wortes. Daneben hat aber von früh ab die sinnliche Musik des Orients eingewirkt. Als mit Euripides das musikalische Virtuosentum im Drama mächtiger wurde, war auch für die griechische Kultur die orientalische Auffassung der Musik siegreich geworden. Ein nur auf grobe sinnliche Wirkung bedachtes Virtuosentum wurde allherrschend. Rom, vor allem das der Kaiserzeit, verschaffte sich die Mittel seiner musikalischen Unterhaltung dann ganz unverschleiert in derselben sinnlichen Weise, wie es die Despoten des Orients gewöhnt gewesen waren. Wir können zusammenfassen: für den Orient und in der Praxis auch für das klassische Altertum haben wir in der Musik die Herrschaft des Tons an sich; die Musik ist im wesentlichen körperlich sinnliche Kunst.

Der Kampf des Seelischen mit dem körperlich Sinnlichen in der Musik beginnt mit dem jungen Christentum. Das Instrumentale, das in der späteren griechischen Musik das Übergewicht errungen hatte, wird völlig verbannt. Der Gesang dient dazu, auszusprechen, was die Seele übermächtig erfüllt, und wenn schließlich Worte dazu nicht mehr ausreichen, so künden begeisterte Tonfolgen von den Jubelgefühlen der begeisterten Seele. Diese Erklärung, die der heilige Augustinus für den »Jubilus« des Chorals gibt, ist für die psychologische Einschätzung der Bedeutung der Musik in dieser Zeit viel wichtiger und richtiger als etwa der historische Nachweis, daß diese Tonanhäufungen vielleicht nur daher rühren, daß der neue einer alten Melodie untergelegte Text viel kürzer war, als die Melodie, und deshalb der ganze Rest der letzteren auf eine einzige Note zusammengehäuft wurde. Solange das junge Christentum einen Gegensatz bildete zur herrschenden Weltanschauung, so lange bedeutete es auch den Kampf des seelischen Lebens des einzelnen Individuums gegenüber der dogmatisch erstarrten Weltanschauung der Masse. Solange aber der einzelne sich im Gegensatz zu dieser Masse fühlen muß, so lange bedeutete auch bei ihm die Zugehörigkeit zur Minorität ein persönliches Bewußtsein des seelischen Lebens. Ebensolange pflegt dann die persönliche Freiheit des seelischen Empfindens betont zu werden; ebensolange erfährt diese uneinschränkbare, weil ganz innen sich vollziehende Betonung des seelischen Lebens Förderung und Anregung. Sobald aber diese Weltanschauung zur Herrschaft gelangt, sobald es damit notwendig wird, sie auf lehrhafte und mit dem Verstande faßbare Formen zu bringen, erstarrt das seelische Leben; oder genauer: auch dieses seelische Leben wird auf Formen gebracht, erhält einen bestimmten Charakter. Soweit das seelische Leben innerlich bleibt, wird es natürlich nicht diese Uniformierung erfahren; wohl aber in seiner Art sich auszudrücken. Für die ältere christliche Kirchenmusik ist bezeugt, daß bei den Versammlungen der Gläubigen plötzlich einer vortrat und, vom heiligen Geiste seines aufgeregten, hochgesteigerten Empfindens angetrieben, neue Hymnen sang. Die Musik war also in diesen Zeiten Improvisation im höchsten Sinne des Wortes. Es dauerte nicht lange, da wurde dem Volke verboten, in der Kirche zu singen; der Gesang wurde auf wenige beschränkt, die dazu bestimmt und vorgebildet waren. Die Gesänge hatten ihre genaue Ausbildung und Aufzeichnung erfahren. Der gregorianische Choral ist in gewissem Sinne die Dogmatisierung des frühchristlichen Religionsgesangs.

Es ist aus der Geschichte der Musik bekannt, wie dieser Choral überallhin verbreitet wurde, wohin die christliche Lehre gelangte. Während für Italien und auch für Griechenland Verbindungslinien vorhanden waren zwischen dem, was jetzt als Musik galt, und dem, was von der Vergangenheit her sich als Musik entwickelt hatte, wurde den nordischen Völkern, den Germanen zumal, mit dem Choral etwas gebracht, was in keinerlei Zusammenhang stand mit dem, was früher bei ihnen als Musik gegolten hatte. Sobald die Einführung dieses kirchlichen Gesangs vollzogen ist, beginnt die Neuherrschaft der Sinnlichkeit in der Musik. Das Seelische erstarrt, das Sinnliche gewinnt von neuem darüber die Übermacht. Eine höhere Sinnlichkeit als früher, die Sinnlichkeit der schönen Form. Es war die Sinnlichkeit, die die Einstimmigkeit als dünn empfand, nach volleren Klängen verlangte. So entwickelt sich in dieser zweiten Periode des musikalischen Mittelalters die kontrapunktische Polyphonie. Es ist eine Sinnlichkeit der formalen Kultur, die aufs höchste ausgebildet wurde, sich dabei genau so mit einer Wissenschaftlichkeit, mit einer gelehrten Spekulation in seltsamen Formenbildungen (Rätselkanons und dergleichen) verband, wie auf niedrigerer Stufe früher bei den asiatischen Kulturvölkern. Jedenfalls schloß diese kontrapunktische Polyphonie streng genommen die Aussprache eines individuellen seelischen Fühlens, eine eigentlich persönliche Kunst aus.

Es muß freilich hervorgehoben werden – und das wirkt als Parallelerscheinung zu Mozart am Ende des nächsten Zeitraums –, daß auch jetzt Musiker erstanden, die in der Beherrschung der kontrapunktischen Form eine so hohe Stufe erreichten, daß die Form ihnen zur natürlichen Sprache wurde, in der sie dann ihr Empfinden zu künden vermochten. Voraussetzung dafür war, daß dieses Empfinden keine eigentlich neuen Werte in die Welt trug, daß es höchstenfalls die vorhandenen in der feinsten Abklärung zeigte. Ich denke hier an Palästrina oder Orlando di Lasso. Schon daß zwei voneinander so grundverschiedene Charaktere als Gipfelpunkte in derselben formalen Kunst der gleichen Zeit stehen können, bezeugt, daß das Seelische auch auf diesem Wege wieder zur Herrschaft gelangen konnte. In noch unendlich höherem Maße hat die Verbindung und den Ausdruck eines ganz subjektiven Empfindungsgehalts in den geschlossenen Formen der Kontrapunktik erreicht Joh. Seb. Bach. Allerdings verfügte er dabei über reichere Ausdrucksmittel als die zuvor genannten; das Instrumentale war hinzugekommen. Übrigens ist es sehr lehrreich, daß erst die Neuzeit in Bachs Musik das Subjektive fühlt; seine Zeitgenossen, auf die er vielleicht gerade seiner Subjektivität wegen weniger stark wirkte als zahlreiche andere, sahen in seiner Kunst zumeist die Beherrschung der Form.

Immer wenn es einem einzelnen gelingt, über entgegenstehende Vorbedingungen Herr zu werden, wenn er erreicht, in alten Formen neues Leben auszudrücken, darf man sicher sein, daß diese Seite seines künstlerischen Vermögens erst von einer späteren Zeit erkannt wird, daß dagegen seine Zeitgenossen nur die Beherrschung des Formalen erkennen. Die spätere Zeit fühlt, daß in der Musik des betreffenden Künstlers trotz der alten Form bereits der neue Geist lebt. Wir gewinnen also zu diesen wenigen Künstlern ein Verhältnis wegen dieses geistigen Gehalts und vermögen mit Hilfe desselben das Widerstrebende in der herkömmlichen Form zu überwinden. Die Zeitgenossen hielten sich natürlich an das ihnen Bekannte in der betreffenden Kunst; das neue Geistige in derselben hat sie immer eher abgestoßen. Denn wenn sie auch das neue Geistige nicht deutlich zu erkennen und zu empfinden vermochten, spürten sie doch das Vorhandensein eines ihnen nicht völlig aufgehenden Wertes. So erklärt es sich, daß Joh. Seb. Bach wie auch Mozart bei ihren Zeitgenossen mit ihren Kompositionen nicht in derselben Weise durchzudringen vermochten wie andere, die nur tüchtige Formkünstler waren, was doch auch Bach und Mozart niemals bestritten wurde. Umgekehrt sind für uns Spätere diese alten Formen nur in der Kunst der wenigen Meister, die sie mit neuem Leben zu erfüllen vermochten, genießbar.

Bach bildet ja offenbar in der Hinsicht den höchsten Gipfel aller Zeiten, weil er ganz deutlich nicht nur die geistige, sondern auch die formale Kunst zweier völlig getrennter Zeitalter in sich vereinigt. Nicht so auffällig tritt bei Palästrina und Mozart zutage, daß zu ihrer Schaffenszeit bei unbestrittener Herrschaft alter Formen bereits der neue Geist in stärkster Lebendigkeit dastand. Und je mehr sich unsere Kunstgeschichte daran gewöhnt, immer nur aus der Entwicklungsgeschichte einer Kunst heraus die in ihr tätigen künstlerischen Persönlichkeiten erklären zu wollen, um so weniger wird es gelingen, diese tieferen Zusammenhänge zu spüren. Aber wenn wir bedenken, daß zu Palästrinas Zeit die Bewegung der Renaissance ihren Gipfel schon überstiegen hatte, daß also das Herrenrecht des Individuums gegenüber der Masse bereits in das Empfindungsleben der Zeit eingedrungen war, so kann es uns nicht überraschen, wenn nun auch bei jenen Musikern, die an den alten Formen festhielten, das persönliche seelische Leben stärker nach Aussprache verlangte; daß für sie die Form, die vorher Selbstzweck gewesen war, nur noch Mittel zum Zweck war; daß sie also mit den gleichen Mitteln Ausdrucksmusiker wurden, mit denen die vorangehenden nur formale Künstler gewesen waren. – Ähnlich liegt der Fall später bei Mozart. Bedenken wir doch, daß der »Sturm und Drang« in unserer Literatur bereits die Gemüter des deutschen Volkes aufgewühlt hatte, als er in das Alter kam, in dem das persönliche Denken und Empfinden nach Aussprache verlangte. Es ist dabei keineswegs entscheidend, ob Mozart nun die betreffenden Werke unserer großen Dichter gekannt oder gar von der Bühne her erlebt hat, obwohl es sehr wahrscheinlich ist. Aber wir müssen bedenken, daß Goethes »Götz« 1773, sein »Werther« 1774 erschienen sind, daß Schillers »Räuber« der Zeit nach mit der »Entführung aus dem Serail« zusammenfallen (1781), daß bevor »Figaros Hochzeit«, in der die Zeitgenossen den frischen Morgenwind der Revolutionsstimmung mehr spürten als wir Heutigen, auf die Bretter kam (1785), Schillers »Kabale und Liebe« in feuriger Sturmgewalt gegen denselben Weibermißbrauch des Adels gewettert hatte. Die Stimmungen, aus denen wenige Jahre später die französische Revolution herauswuchs, lebten auch schon in dem vorangehenden Geschlechte Deutschlands. Man braucht nur in Mozarts Briefen zu lesen, wieviel Erbitterung und scharf spottende Kritik gegenüber jenen sozialen Verhältnissen wetterleuchtet, die noch sein doch viel spöttischer und schärfer angelegter Vater stillschweigend als etwas Unabänderliches hinnahm.

 

Aus alledem ergibt sich, daß bei Mozart in den ihm überkommenen und aufs höchste gesteigerten Formen viel von jenen geistigen und seelischen Kämpfen lebte, die später bei Beethoven, als sie zum kunstgestaltenden Prinzip erhoben wurden, eine völlige Umwälzung der Musik nach sich zogen. Hier liegt dann der Grund, weshalb wir diese Werke Mozarts nicht nur in ihrer sinnlichen Schönheit oder in ihrer wunderbaren formalen Bildung bewundern können, sondern sie auch zu erleben vermögen, was uns bei der doch oft aufs höchste gesteigerten formalen und sinnlichen Kunst der gleichzeitig oder unmittelbar vorangehenden italienischen Oper nicht gelingt. Das letztere beruht allerdings vor allem darauf, daß hier die Selbstherrlichkeit der Form auch über das allgemein menschliche Empfinden gesiegt hatte. Diese Linie der Entwicklung haben wir noch zu verfolgen.

Die um 1600 zustande gekommene Erfindung des damals mit dem Worte »neu« charakterisierten Stils der begleiteten Einstimmigkeit hatte dem seelischen und geistigen Gehalt der Dichtung das Übergewicht über die musikalische Einkleidung gebracht. Das geschah auf dem Wege der Unterdrückung der Musik, wie die systematisch angestrebte Nüchternheit und Trockenheit der ersten Opernmusiken bezeugt, bei denen man nicht aus Unvermögen, sondern aus Überzeugung die wohlbekannten sinnlichen Wirkungen der Musik verschmähte, um dem Ausdruck des Geistigen und Seelischen, den man allein durch die Dichtung geben zu können überzeugt war, das Übergewicht zu verschaffen. Es dauerte aber nur wenige Jahre, – d. h. für uns Heutige kommen bei der historischen Betrachtung einige Jahre heraus, das will aber im Grunde bedeuten, daß man es eigentlich sofort empfand – bis man erkannte, daß auch die Musik als solche vollauf imstande sei, dieses Seelische auszudrücken. Darin liegt der ungeheure Fortschritt der Oper des genialen Claudio Monteverdi, dessen Tätigkeit 1607 einsetzt, gegenüber den um 1600 entstandenen Werken von Peri und Caccini.

Aber noch viel schneller als in der frühchristlichen Periode wurde jetzt das Seelische wieder durch die sinnliche Macht der Musik zurückgedrängt. Der letzte und innerste Grund dafür liegt ja zweifellos dann, daß das 17. und die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts die grobsinnlichste Zeit der christlichen Zeitrechnung gewesen sind, daß niemals alles Geistige so sehr eigentlich nur frivoles Spiel war, nie wieder die Entfesselung des Tierischen im Menschen so scheulos als Lebenszweck verkündet und mit den Künsten gefeiert wurde wie in dieser Periode, als das wilde, kraftprotzende Barock seine Gelüste in den spielerigen Formen des Rokoko zu verkleiden lernte. Bei dieser Gesamtstimmung der Zeit konnte sich ein starkes seelisches Leben eigentlich nur in so abgelegenen deutschen Waldwinkeln entwickeln, wie einer die Heimat unseres Joh. Seb. Bach war. Vereinzelt steht auch die Hünennatur eines Händel, der, als ihn die im Übermaß genossene Welt zu ekeln begann, noch die Frische besaß, aus den ungenützten Kräften der Heimat sich einen Jungbrunnen seines seelischen Empfindens zu schaffen. Im übrigen lagen auch in der Musik selbst die Gründe, die diese Entwicklung zur Sinnlichkeit begünstigten. Hatte man doch gerade ein ganz neues Gebiet musikalischer Betätigung entdeckt, das zur ausgiebigen Bebauung reizte.

Über der hohen Kunst der Bewegung einer Vielheit von Stimmen, die die Kontrapunktik ausgebildet hatte, war völlig übersehen worden, zu welch wunderbarer Kunstfertigkeit die besonders begnadete Einzelstimme zu steigern war. Es ist sehr bezeichnend, daß gerade der kunstvolle Einzelgesang zum beherrschenden Element für die Hauptentwicklung der Musik in der nächsten Zeit geworden ist, daß diese Einzelstimme in der sieghaften italienischen Oper unbeschränkt herrschte. Noch mehr Neuland, als die Wirkung des schönen oder auch nur kunstfertigen Gesangs, war die Ausnutzung der Instrumente. Jetzt erst beginnt die Ausbildung einer eigentlichen Instrumentalmusik, und wiederum zeigt sich auch da der doppelte Gang: einerseits die Entwicklung der Fähigkeiten eines Instruments, also instrumentale Virtuosität, andererseits das Zusammenwirken der verschiedenen Instrumentalstimmen bis zur größten Form des Orchesters. Wir wollen bedenken, daß ein wirklich großer instrumentaler Orchesterstil eigentlich erst in der Kindheit Mozarts entwickelt wurde, daß auf ihn die Leistungen der Mannheimer Kapelle fast als Offenbarungen wirkten.

Es ist nur zu leicht erklärlich, daß in einer Periode, in der man so überraschende und doch auch wirklich das gesamte künstlerische Leben bereichernde Entdeckungen machte, das Gefühl dafür verloren ging, daß diese doch nur auf dem Gebiet des Technischen in der Musik lagen; daß man dabei völlig vergaß, was um l600 so laut verkündet worden war, daß alle diese musikalische Technik nur ein Mittel zum Zweck sei, nur dazu diene, ein tiefes seelisches Leben auszudrücken. Denn, von allem anderen abgesehen, verbarg sich ja so leicht dem Blicke, wie das alles im Grunde Technik war. Diese Technik selber war noch neuartig, ihre Beherrschung erheischte nicht nur eine hohe Verstandestätigkeit, sondern verschaffte auch so starke Empfindungseindrücke, daß es leicht erklärlich ist, wenn den meisten diese Kunst nach jeder Richtung hin vollauf genügte. So verdichtete sich die ganze Bewegung zu einem Ausarbeiten der sinnlichen Fähigkeiten der Musik, und darin liegt von vornherein eine ungeheure Macht der Wirkung. Sie wurde aber noch dadurch gesteigert, daß es sich jetzt um eine hoch verfeinerte Sinnlichkeit handelte, eine Sinnlichkeit, die nicht mehr so brutal auf körperliche Wirkung ausging wie etwa die der orientalischen Musik, die aber auch nicht so einseitig Ergötzung des für formale Kultur empfänglichen Verstandes war wie die mittelalterliche Kontrapunktik, sondern die diese beiden Elemente in feinster Art verband, indem einerseits der Wohllaut des Tons, andererseits die höchste formale Vollkommenheit in der kunstfertigen Verwendung desselben angestrebt wurden. Diese Ziele waren in der Kunstentwicklung noch ganz unausgenutzt, besaßen den vollen Reiz des Neuen. Sie entsprachen auch ebenso dem gesamten geistigen Streben wie den sozialen Verhältnissen, die es mit sich brachten, daß jene Schichten der menschlichen Gesellschaft, denen die tiefsten seelischen Lebenskämpfe fernzubleiben pflegen, deren ganze Erziehung auf eine Kultur formaler Lebenskunst gerichtet ist und als höchstes Ziel leichten Lebensgenuß erkennt, die hauptsächlichen Brotgeber und Konsumenten der Musik waren. Es gehört das Zeitalter des Despotismus zu dieser Musik, ein Zeitalter auch der sehr äußerlich und schwach gewordenen Religiosität, ein Zeitalter endlich einer geistigen Versumpfung der breiten durch die langen Kriegszeiten erschöpften Volksmassen, die in einem ganz grob materialistischen Lebensgenüsse ihr Heil erblickten.

Wenn aber so der stimmliche und der instrumentale Effekt als das Musikalische erscheint, ergibt sich notwendigerweise das Verhältnis, daß der Komponist für diese beiden Faktoren schreibt, daß sein gesamtes Schaffen dadurch die Richtung erhält, daß er an die Wirkungen denkt, die Stimme und Instrumente mit seiner Musik machen können. Also die Komponisten schaffen für die Virtuosen. Wenn ich einen Gedanken aus dem einleitenden Abschnitt dieses Buches nochmals aufnehmen darf, so bedeutet das, daß die Musik hier nicht mehr aus der Idee heraus gestaltet wird, sondern aus einem Abbilde der Idee. Wenn das wahr ist, so begibt sich im gleichen Augenblick die Musik ihres tiefsten und bedeutsamsten Sonderrechtes. In solchen Zeiten ist für die Vorstellung des Komponisten das Instrument, wozu auch die Singstimme zu rechnen ist, als erstes da; die musikalische Schöpfung tritt erst hinzu. Das Instrument gebietet und verlangt etwas, worin es mit seinen Fähigkeiten glänzen kann; das Instrument ist also Selbstzweck. Es sollte aber nur Mittel zu einem Zwecke sein. Es sollte nur dazu da sein, um etwas auszudrücken, um etwas, was fern von aller irdischen Gestaltung, fern von dem sinnlich zum Bilde Gewordenen erfühlt oder erschaut wurde, zum Ausdruck zu bringen.

Hier liegt der trennende Punkt für alle Zeiten zwischen Beethoven und allem, was vor ihm liegt. Kleine Aussprüche, die zumeist als Anekdoten gebracht werden, gewähren hier tiefdringende Einblicke. Als Schuppanzigh sich bei Beethoven beschwerte, daß die und die Stelle in einem Quartett nicht auszuführen sei, entgegnete er ihm: »Glaubt er denn, daß ich an seine jämmerliche Geige denke, wenn ich komponiere?« Die Singstimmen in Beethovens Chorwerken sind ohne jede Rücksicht auf ihre Naturverhältnisse verwendet. Man erkennt aus allem ganz deutlich: für Beethoven ist die Musik etwas rein in sich Bestehendes, das gar nicht mit Instrumenten oder Stimmen oder dergleichen zusammenhängt. Man könnte sagen, daß wie der Bildhauer einen Haufen Ton vor sich hat, so Beethoven einen Haufen von Notenköpfen. Und wie der Bildhauer nun in diese Tonmasse hineingreift und mit diesem Material das Bild zusammenknetet, das vor seinem Geiste erschienen ist, so faßt Beethoven in diese Masse von Noten hinein und verwendet diese als Schriftzeichen, das festzuhalten, was er in sich klingen hört. So entsteht das Tonwerk bei Beethoven, wie es nachher ausgeführt werden kann, wie es nachher für die Welt zum Klingen werden kann, kommt erst in zweiter Reihe.

So stellt sich natürlich das Verhältnis nur für die schroffste Fassung des Grundsätzlichen dar. Denn da nun einmal ein Kunstwerk, um für die Menschheit lebendig zu werden, Gestalt bekommen muß, ist es den Möglichkeiten des Ausdrucks unterworfen; ein musikalisches Kunstwerk wird nur wirksam, wenn die Stimme oder Instrumente es dem Gehör vermitteln können. Darin liegt schließlich der Unterschied zwischen dem Künstler und dem nur phantasievollen Menschen, der mit jenem die innere Fähigkeit der Produktivität teilt, daß der Künstler das seelisch Produzierte zur Erscheinungsform zu gestalten vermag, der andere nicht. Aber wenn sich nun auch so die verschiedenen Richtungen in der Wirklichkeit viel näher stehen als in der Theorie, so offenbart sich doch die grundsätzliche Verschiedenheit schlagend genug. Es sind natürlich mehr einzelne Züge, die das offenbaren. Mozart sieht, wenn er eine Arie schreibt, den Sänger dieser Arie vor sich. Er will haben, daß diesem Sänger die Arie »so passe wie ein gut gearbeitetes Kleid«; infolgedessen ändert er an der Arie so lange, bis sie dem Sänger wirklich wie angegossen sitzt. Beethoven ändert nicht. Beethoven würde lügen, wenn er änderte. Er erlebt innerlich etwas, was er ausdrücken muß. Für dieses innere Erlebnis gibt es eine Form des Ausdrucks, die die ideale ist. Wenn er viermal ansetzt für die Leonorenouvertüre oder ebenso oft für das kleine Lied »Nur wer die Sehnsucht kennt«, so beweist das eben, daß er die endgültige Form noch nicht gefunden hat, genau so wie auf anderem Gebiete ein Böcklin denselben Vorwurf verschiedene Male gestaltete, wobei er aber ein einmal geschaffenes Bild nie kopierte, sondern mit jeder Behandlung das ursprünglich Gewollte schärfer auszudrücken strebte. Je weiter Mozart voranschreitet, desto mehr entfernt er sich von der ursprünglichen Haltung, desto mehr wird er Ausdrucksmusiker, der nicht für von außen an ihn herantretende Verhältnisse schafft, sondern aus diesen höchstens Anregungen gewinnt, in Wirklichkeit aber seinem inneren Empfinden die Mitteilungsform gibt. Es liegt an der Wunderbarkeit der Natur, an der Sonnenkindschaft Mozarts, daß er später wie früher ein so herrlicher Künstler ist, bei dem Form und Ausdruck niemals in Widerspruch stehen, trotzdem er sich von außen her leiten läßt, trotzdem er für bestimmte Verhältnisse, ja für ein ganz bestimmtes Klavier schafft und diesen Instrumenten Gelegenheit geben will, sich zu zeigen. Aber diese Wundernatur Mozarts habe ich deshalb am Eingang des Buches gesprochen, weil sie ihm die Sonderstellung einräumt, weil sie die Geltung der allgemeinen Kulturgesetze für seine Kunst gegenüber der der anderen verschiebt. Wir haben bei Mozart das einzig dastehende Beispiel, daß einem Künstler alle Formengestaltungen der Musik so natürlich geläufig, so durchaus persönliches Eigentum werden, daß er jede beliebige Form mit einem ihr entsprechenden Leben erfüllen kann und trotzdem niemals dem eigenen Innenleben deshalb Gewalt anzutun braucht.

 

In der äußeren Lebensanschauung aber, in der Art, wie sich dieses äußere Leben mit der Kunst auseinandersetzt, zeigt sich für Mozart, daß er einer anderen Zeit angehört als Beethoven, als die ganze Periode nach Beethoven. Man bedenke z. B., daß Richard Wagner nach »Tannhäuser« zunächst keines seiner Musikdramen zu hören bekam, daß er den »Tristan«, den »Nibelungenring«, die »Meistersinger« schuf, ohne den Gedanken hegen zu können, jemals eins dieser Werke lebendig auf der Bühne vor sich erscheinen zu sehen, ja sogar ohne die Hoffnung, diese Werke auch nur im orchestralen Klange als Konzertaufführung sich jemals ganz verlebendigen zu können. In dem epilogischen Bericht, den Wagner der Veröffentlichung seiner »Nibelungen«-Dichtung beigab, steht der Satz: »Wenn ich so eine stumme Partitur nach der anderen vor mich hinlegte, um sie selbst nicht wieder aufzuschlagen, kam ich wohl zuzeiten mir wie ein Nachtwandler vor, der von seinem Tun kein Bewußtsein hatte.« Er hat aber die Werke dennoch geschaffen. Aber noch mehr. Wenn Wagner sich den Opernverhältnissen seiner Zeit gefügt hätte, wenn er den Erfolg seines »Rienzi« in der Lieferung ähnlicher Werke ausgeschlachtet hätte, hätte er sich mit einem Schlage aus dem ganzen Jammer seiner Lage befreit und sich damit obendrein die Mittel verschafft, nun nach Herzenslust seinen inneren künstlerischen Neigungen folgen zu können. Wagner hat das alles nicht gekonnt. Dagegen nehme man Mozart. Von 1777 ab, nachdem er sich vom Dienste seines Erzbischofs freigemacht hatte, schreit er nach der Komposition der Oper, alles treibt ihn dazu, seine ganze Natur verlangt danach. Dennoch schreibt er keine. Er muß dazu einen Auftrag erhalten. Man muß noch bedenken, daß dieser Auftrag meistens so weit ging, daß dabei auch das Buch überreicht wurde, um ganz zu ermessen, wie grundverschieden das Verhältnis dieser beiden Künstler zur Kunst ist. Trotzdem wäre nichts lächerlicher, als nun zu behaupten, Mozarts Verhältnis zu seiner Kunst sei äußerlicher, als das Wagners. Es ist eben nur ein ganz anderes. Innerlich und äußerlich ein anderes. Wir haben das gerade in bezug auf die Oper noch kurz darzulegen.

Für Richard Wagner war das Musikdrama die notwendige Ausdrucksform. Kraft seiner dramatischen Natur sah er Abbilder der Welt, die er dieser Welt vor Augen stellen wollte. Weil er eine musikalische Natur war, bewegten sich die Konflikte und Probleme der von ihm erschauten Weltbilder im Innenleben der vorgeführten Persönlichkeiten. So vermochten diese Dichtungen nicht in Worten allein mitgeteilt zu werden, sondern bedurften zur Aussprache auch jener Kunst, die allein ohne Materialisierung seelisches Leben künden kann. Sichtbares Geschehen, Aussprache in Worten und Mitteilung durch Musik waren also die unentbehrlichen Ausdrucksmittel dieser innerlich geschauten Kunstwerke: das Musikdrama war eine notwendige Ausdrucksform geworden.

Bei Mozart dagegen hatte die Liebe zur Oper, die ihm von Kindheit an im Blute lag, den rein musikalischen Grund, daß die Oper, selbst wenn sie ein ganz unglückliches Textbuch hat, eine schier unbegrenzte Gelegenheit zu musikalischer Aussprache bietet. Die Verschiedenheit der Charaktere, die Mannigfaltigkeit der darin auftretenden Menschen nach Geschlecht und Alter, die zahlreichen Situationen äußerer und innerer Art, die verschiedensten Stimmungen finden sich selbst in einer ganz kindlichen und ungeschickten Dichtung zusammen. Wir stehen so oft vor dem Rätsel, daß Komponisten, die wir als Menschen von Geschmack und künstlerischem Gefühl ansehen müssen, Operndichtungen vertonen, deren Unlebendigkeit und Bühnenunmöglichkeit sich jedem Blicke offenbaren muß. Wir vergessen dabei, daß es nur ganz wenige Komponisten gegeben hat, die an eine Oper anders herantraten als aus dem Grunde, daß sie ihnen Gelegenheit bot, sich musikalisch auszusprechen. Was in den Jahrhunderten zuvor die Komposition des Messetextes gewesen war, das wurde danach die von Opern: eine Gelegenheit, musikalisch sein ganzes Gefühl zur Welt auszusprechen. Hier liegt auch der riesige Unterschied zwischen Mozart und Gluck, die man so oft zusammenbringt. Für Gluck war, wie für Wagner, die Oper selbst der Zweck seines Kunstgestaltens; er war Dramatiker, der sich der Musiksprache bediente zur Darstellung einer dramatischen Entwicklung. Mozart dagegen war die Form der Oper deshalb so lieb, weil sie dem Musiker die meisten Gelegenheiten darbietet. Auch echt dramatische Gelegenheiten des inneren und äußeren Erlebens, so daß also auch auf diesem Wege eine echte Musikdramatik zustande kommen kann. Mozart hat diese geschaffen, weil er urmusikalisch aus den Charakteren seiner Personen – nicht aus den Worten oder den Geschehnissen – die Anregung für die musikalische Formgebung schöpfte. (Vergleiche dazu nach dem Register die Ausführungen zu M. als Musikdramatiker.)

Aber auch die äußeren Verhältnisse unseres Musiklebens haben sich so gewandelt, daß für den Ausdruck: ein Komponist habe nach Opernaufträgen gesucht, das richtige Verständnis leicht fehlt. Wir sind es heute gewohnt, daß auch der Opernkomponist frei aus sich heraus schafft, den Antrieb zur Wahl des Stoffes, zum Schaffen überhaupt aus sich heraus gewinnt und nicht auf eine äußere Gelegenheit wartet. Das entspricht zweifellos dem Ideal. Um so weiter entfernt sind von diesem Ideal die tatsächlichen Verhältnisse auch heute. Denn auch heute noch ist die Oper in viel höherem Grade höfische oder doch gesellschaftliche Veranstaltung als sogar das Schauspiel, von allen andern Kunstformen zu schweigen. Die Aufführungsgelegenheiten für die Oper sind nicht nur dadurch weit beschränkter, weil es viel weniger Opernbühnen gibt als andere Theater, sondern auch, weil die materiellen und geistigen Vorbereitungen unendlich schwieriger sind. Noch viel verhängnisvoller aber ist die rein künstlerische Tatsache, daß es dem einzelnen Künstler fast unmöglich ist, eine Oper anders bekannt zu machen als durch die Aufführung auf der Bühne. Dem Dichter bleibt das Buch. Selbst wenn er sein Drama auf eigene Kosten veröffentlichen müßte, wäre das pekuniäre Opfer nicht sehr groß. Aber davon abgesehen: sein Buch ist da, und jeder, der lesen kann, kann wenigstens das Dichterische des Werkes aus dem Buche sich gewinnen. Ganz anders liegt es mit der Oper. Der Künstler schafft seine Oper natürlich mit Orchester. Er kann also selbst in der bei der Musik doppelt unvollkommenen Form der bloßen Augenvermittlung sein Werk nur dann einigermaßen authentisch herausbringen, wenn er die Partitur veröffentlicht. Ganz abgesehen davon, daß der Stich einer solchen Partitur eine beträchtliche Summe kostet, vermögen auch nur wenige sie zu lesen. 99 Prozent aller Musikliebhaber z. B. sind dazu nicht imstande; sie müßten also zu dem Surrogat eines Klavierauszuges greifen, und auch hier lehrt die Erfahrung, daß Klavierauszüge von Opern, die nicht zuvor durch die Aufführung bekannt geworden sind, überhaupt nicht bekannt, geschweige denn gekauft werden. Es ist kein anderer Künstler so von der Mitwirkung der öffentlichen Kunstfaktoren abhängig, wie gerade der Opernkomponist. Und da erhebt sich denn doch die Frage, ob es nicht eine geradezu wahnwitzige Verschwendung künstlerischer Kräfte bedeutet, wenn man nicht nach einem Auswege trachtet, diese Kräfte in kunstpolitischer Hinsicht fruchtbar zu machen. Eine Natur wie Wagner scheidet hier von vornherein aus; der Dichterkomponist, für den das Musikdrama als Ganzes die gebotene Form ist, kann sich freilich in der Wahl des Stoffes durch äußere Verhältnisse nicht leiten lassen; der Musiker aber, dem die Oper eine Gelegenheit ist, in besonders reicher Fülle Musik darzubieten, würde dadurch, daß ihm von Bühnen ein Textbuch zur Vertonung überreicht würde, in keine unkünstlerischere Lage versetzt werden, als sie heute vorhanden ist, wo doch auch der Komponist einen ihm dargebotenen Text übernimmt. Denn daß er sich nachher mit dem Dichter ebensogut aussprechen und zu möglichst gemeinsamer Tätigkeit vereinen könnte wie heute, beweist die frühere Zeit, als dieses Verhalten üblich war. Man braucht zum Beispiel nur in Mozarts Briefen nachzulesen, wie er sich mit dem Textdichter des »Idomeneus« bis auf einzelne Worte auseinandersetzt. Also das frühere Verhältnis, daß Opern nur im Auftrag komponiert wurden, war in weitaus den meisten Fällen nicht unkünstlerischer, als das heutige; vom Standpunkt der Kunstpolitik aus war es jedenfalls das geeignetste. Wenn ich auch einer genauen Wiedereinführung des früheren Zustandes keineswegs das Wort reden will, so meine ich doch, daß eine weitherzige und im Geiste freie Erneuerung eines derartigen Verhältnisses geboten wäre. Jedenfalls – und darauf kommt es in unserem Zusammenhange hauptsächlich an – bedeutet dieses Verhältnis für den reinen Musiker niemals jenen künstlerischen Zwang, den etwa ein Wagner und unter seinem Einfluß heute die Allgemeinheit darin zu erblicken gewohnt ist.

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