Mozart

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Die herrliche Natur Neapels, überhaupt Italiens, hat natürlich ihren Eindruck auf die Mozarts nicht verfehlt. Manche Stelle in den Briefen des Vaters belegt das. Dagegen deuten in Wolfgangs Briefen nur knappe Worte auf solche Empfindungen. Das muß erwähnt werden, weil es leicht falsch gedeutet werden könnte. Auch in den späteren Briefen Mozarts findet sich kaum ein Wort der Schilderung, und man könnte meinen, daß der Künstler keinen Blick für alles das Schöne hatte, was seinen Augen sich bot. Das wäre ein Irrtum. Für die spätere Zeit wissen wir aus zahlreichen sonstigen Zeugnissen von Mozarts Liebe zur Natur, von der Förderung, die sein Schaffen durch das Weilen in schöner Landschaft erfuhr. Aber Mozart spricht und schreibt überhaupt von seinen persönlichen Erlebnissen nur so viel, als die daheim wissen müssen. Seine liebevolle Natur denkt immer nur an andere. So zeigen auch die Brieflein aus Italien in geradezu rührender Weise, wie Wolfgang inmitten der tausend Zerstreuungen die wärmste Teilnahme auch für das kleinste Geschehen daheim bewahrt. Man darf als sicher annehmen, daß der Aufenthalt in Italien durch die klare Linienführung dieser Natur, ihre Sonnigkeit, die günstige Wirkung auf Mozarts Kunstgefühl noch vertiefte, die das schöne Salzburg schon auf das Kind geübt hatte. Der Vater ließ aber auch keine Gelegenheit vorübergehen, die Kunstschätze der verschiedenen Städte seinem Sohne zu zeigen, auch nach Vermögen Kupferstiche zu sammeln, die dann zu Hause reichen Stoff für die Unterhaltung der Winterabende abgaben. Aber, auch für das Volksleben und für die gesamten volkswirtschaftlichen Verhältnisse hatte er ein offenes Auge. In musikalischer Hinsicht genossen sie vor allem die Aufführungen der komischen Oper und der großen Oper in San Carlo, wo sie Zeuge wurden, daß Iomellis an deutscher musikalischer Arbeit bereicherte Kunst seinen Landsleuten, die ihn früher so sehr gefeiert hatten, kein Gefallen abgewinnen konnte. Wolfgang stimmte den Italienern ziemlich bei, er fand die Musik schön, »aber zu gescheut und zu altväterisch für das Theater«.

Ende Juni fuhren sie nach Rom zurück, wobei der Vater bei einem Wagenunfall recht erheblich verletzt wurde. Jetzt verlieh der Papst dem Knaben dieselbe Auszeichnung, die zwanzig Jahre zuvor Gluck zuteil geworden war, nämlich das Ordenskreuz vom goldenen Sporn, womit der Rittertitel verknüpft war. Im Gegensatz zum »Ritter« Gluck hat Wolfgang später auf diese Auszeichnung kein besonderes Gewicht gelegt. Wertvoller war ihm die Auszeichnung, die ihm danach in Bologna zuteil wurde, wo sie am 20. Juli wieder anlangten und aufs neue der reichen Gastfreundschaft des Hauses Pallavicini sich erfreuten. Nicht nur daß der Padre Martini, dessen Umgang sie jetzt reichlich genossen, ein glänzendes Zeugnis ausstellte, auch die Philharmonische Akademie nahm ihn nach vorschriftsmäßig abgehaltener Prüfung unter ihre Mitglieder als Compositore auf, und das war eine wirksame, allgemein hoch anerkannte Auszeichnung.

Nun mußten sie aber an die große Aufgabe denken, die des jungen Kavaliers in Mailand harrte. Am 18. Oktober kamen sie hier an, und es galt eine beträchtliche Arbeitsleistung, wenn die ihm überwiesene opera seria in drei Akten »Mitridate re di Ponto« (Dichtung von Cigna-Santi) rechtzeitig fertig werden sollte.

Jetzt, wo der Knabe nicht mehr als flüchtig durchreisendes Wunderkind dastand, sondern als ein ernst um die Teilnahme des Publikums sich bewerbender und eine soziale Stellung im Leben anstrebender Musiker, wiederholten sich auch in Italien die Kabalen und Intrigen der Neider. Aber der Vater wehrte sich, nach Kräften für seinen Sohn, der seinerseits sich mit großem Geschick bemühte, soweit es irgend ging, allen Wünschen der Künstler entgegenzukommen. Es hat etwas Rührendes, zu sehen, wie das hohe Verantwortungsgefühl, das Wolfgang in künstlerischen Dingen von Kind an beseelte, hier mit der Größe der Aufgabe so wächst, daß seine ganze Natur ernster wird. Seine Briefe legen davon Zeugnis ab. Der Vater verstand ihn aber ja so gut, daß er jegliches Mittel wußte, das Schwierigkeiten beseitigen, vor Überanstrengung schützen und anregend wirken konnte. So mahnt er die Freunde in Salzburg, seinem Knaben doch recht spaßhafte und lustige Briefe zu schreiben. Mozart ist auch da sein ganzes Leben lang derselbe geblieben; in seinen Briefen kehren oft die Stellen wieder, daß er um Verschonung von unangenehmen Dingen bittet, weil er komponiere und deshalb ein heiteres Gemüt brauche. Auch das ist bezeichnend für seine Kunst. Und es ist jedenfalls das höchste Zeugnis für die Spannkraft seiner Natur, daß er dann doch auch in den widerwärtigsten Verhältnissen leicht den Schwung hinauf fand in das paradiesische Gefilde eines sonnigen Empfindens.

Schließlich wurden alle Hemmnisse siegreich überwunden. Die Proben konnten noch rechtzeitig beginnen, die Sangeskräfte, wenn es auch nicht die ursprünglich vorgesehenen waren, bewährten sich als vorzüglich. Obwohl der Primo uomo erst am 1. Dezember in Mailand eingetroffen war, konnte die erste Probe mit vollem Orchester doch bereits am 17. Dezember stattfinden. Damit war das günstige Schicksal der Oper entschieden. Freudig schrieb der Vater nach Hause:

»Bevor die erste Probe mit dem kleinen Orchester gemacht wurde, hat es nicht an Leuten gefehlt, welche mit satirischer Zunge die Musik schon zum Voraus als etwas Junges und Elendes ausgeschrien und sozusagen prophezeit, da sie behaupteten, daß es unmöglich wäre, daß ein so junger Knabe, und noch dazu ein deutscher, eine italienische Oper schreiben könnte, und daß er, ob sie ihn gleich als einen großen Virtuosen erkannten, doch das zum Theater nötige chiaro ed oscuro unmöglich verstehen und einsehen könnte. Alle diese Leute sind nun von dem Abend der ersten kleinen Probe an verstummt und reden nicht eine Silbe mehr. Der Kopist ist ganz voll Vergnügen, welches in Italien eine gute Vorbedeutung ist, indem, wenn die Musik gut ausfällt, der Kopist manchmal durch Verschickung und Verkaufung der Arien mehr Geld gewinnt, als der Kapellmeister für die Komposition hat. Die Sängerinnen und Sänger sind sehr zufrieden und völlig vergnügt, absonderlich die Primadonna und Primouomo wegen des Duetts voller Freude.«

Der Erfolg der am 26. Dezember unter Mozarts Leitung stattfindenden ersten Aufführung übertraf aber dennoch alle Erwartungen. Und am 5. Januar 1771 konnte Leopold Mozart seiner Frau schreiben:

»Die Oper unseres Sohns geht mit allgemeinem Beifall fort und, wie die Italiener sagen, ist dalle stelle. Nun sind wir seit der dritten Aufführung bald im Parterre bald in den Logen Zuhörer und Zuseher, wo jedermann mit dem Sgr. Maestro zu reden und ihn in der Nähe zu sehen begierig ist. Denn der Maestro ist nur verbunden, drei Abend die Oper im Orchester zu dirigieren, wo beim zweiten Klavier der Maestro Lampugnani akkompagniert, welcher, da der Wolfgang nicht mehr spielt, nun das erste, der Maestro Melchior Chiesa aber, das zweite Klavier spielt. Wenn man mir vor ungefähr fünfzehn oder achtzehn Jahren, da Lampugnani in England und Melchior Chiesa in Italien so vieles geschrieben und ich ihre Opernarien und Sinfonien gesehen, damals gesagt hätte, diese Männer werden der Musik deines Sohnes dienen, und wenn er vom Klavier weggeht hinsitzen und seine Musik akkompagnieren müssen, so würde ich einen solchen als einen Narren ins Narrenhaus verwiesen haben. Wir sehen also, was die Allmacht Gottes mit uns Menschen macht, wenn wir seine Talente, die er uns gnädigst mitteilt, nicht vergraben.«

Kräftiger noch als die zwanzig Aufführungen vor vollbesetztem Hause, die das Werk nacheinander fand, bestätigt diesen Erfolg die Tatsache, daß mit dem Cavaliere filarmonico, wie man ihn im Volke nannte, für die übernächste Stagione eine neue Oper vereinbart wurde, für die das Honorar auf 130 Goldgulden erhöht wurde.

Nachdem sie sich in Vergnügungen mancherlei Art, unter denen ein Abstecher nach Venedig an erster Stelle stand, von der anstrengenden Tätigkeit erholt hatten, machten sie sich am 12. März auf die Heimreise und kamen am 28. März 1771 wieder in Salzburg an. Mit besonderer Freude vernehmen wir, daß auch die Salzburger Bekannten fanden, daß Wolfgang, wenn er auch reifer und an Erfahrung bereichert zurückkam, doch der kindliche, bescheidene und unschuldige Knabe geblieben war, als der er die Heimat verlassen hatte.

In Salzburg begrüßte sie gleich eine neue große Auszeichnung. Der italienische Erfolg hatte bereits auf Deutschland gewirkt. Im Auftrage der Kaiserin Maria Theresia wurde Wolfgang beauftragt, zur Vermählung des Erzherzogs Ferdinand mit der Prinzessin Maria Riccarda Beatrice, einer Prinzessin von Modena, eine theatralische »Serenata« zu komponieren. Da diese Vermählung bereits im Oktober des Jahres 1771 stattfinden sollte, konnten die Mozarts auf keinen langen Aufenthalt in der Heimat rechnen. Immerhin reichte die Zeit aus, daß sich Mozart zum erstenmal verlieben konnte. Es war natürlich eine harmlose, kindische Spielerei, wie die vielfachen geheimnisvollen Andeutungen in den Briefen an die Schwester von der nächsten Reise bezeugen.

In Salzburg hatte Mozart als Konzertmeister, um seiner amtlichen Stellung zu genügen – freilich war diese ohne Gehalt –, nur einige Kompositionen für die Kirche und eine Sinfonie geschaffen. Dann ging es am 13. August wieder nach Mailand, wo die Vermählung stattfinden sollte. Der Termin war auf den 15. Oktober festgelegt. Da das Textbuch zur Serenata erst am Anfang September in die Hände Mozarts gelangte, begreifen wir, daß Wolfgang in den Briefen nach Hause sich darüber beklagt, daß ihm die Finger vom Schreiben weh tun. Aber »ober unser ist ein Violinist,« heißt's in dem Briefe vom 24. August, »unter unser auch einer, neben unser ein Singmeister, der Lektionen gibt, in dem letzten Zimmer gegen unser ist ein Oboist, das ist lustig zum Komponieren.« Diese Bemerkung über die musikalische Nachbarschaft, die manchen wohl zur Verzweiflung gebracht haben würde, ist keineswegs ironisch gemeint; sie zeugt nur wieder dafür, daß Mozarts eigentliches Lebenselement, die Luft, in der er am leichtesten atmete, Musik war. Da das Verhältnis zu den Sängern das denkbar beste war, ging die Arbeit glatt vonstatten und wurde rechtzeitig fertig. Bei dieser Gelegenheit stand Mozart als Rivale neben Hasse, dem berühmtesten damaligen Vertreter der italienischen Oper, der die Festoper (Metastasios »Ruggiero«) komponierte, und neidlos erkannte der Greis an: »Dieser Jüngling wird uns alle vergessen machen.« Der Beifall, den Wolfgangs Serenata »Ascanio in AIba« bei der Erstaufführung am 17. fand, bestätigte Hasses Voraussage, und der Vater konnte nach Hause berichten: »Mir ist leid, die Serenata hat die Opera von Hasse so niedergeschlagen, daß ich es nicht beschreiben kann.« Zum Erfolg kam diesmal ein reiches Geschenk.

 

Es ist übrigens recht lehrreich, zu erfahren, wie es um dieses kaiserliche Wohlwollen, für das Wolfgang sich durchs ganze Leben zu Dank verpflichtet fühlte, in Wirklichkeit bestellt war. Erzherzog Ferdinand war auf den Gedanken gekommen, den jungen Komponisten in seine Dienste zu nehmen, wodurch er die höchsten Wünsche des Vaters Mozart erfüllt hätte. Auf die Anfrage bei der Kaiserin Maria Theresia gab diese ihrem Sohne in einem französischen Briefe folgenden Bescheid: »Sie bitten von mir, daß Sie den jungen Salzburger in Ihren Dienst nehmen dürfen. Ich weiß nicht als was, da ich nicht glaube, daß Sie einen Komponisten oder unnütze Leute nötig haben. Allerdings, wenn Ihnen das dennoch Vergnügen macht, will ich kein Hindernis sein. Was ich sage, ist, daß Sie sich nicht mit unnützen Leuten beschweren und niemals Titel an solche Leute, als ständen sie in Ihren Diensten. Das macht den Dienst verächtlich, wenn diese Leute dann wie Bettler in der Welt herumreisen; übrigens hat er eine große Familie.« (12. Dezember 1771. Arneth, Briefe der Kaiserin Maria Theresia an ihre Kinder und Freunde I, S. 92.) So wissen wir doch, warum der junge Mozart überall umsonst nach einem Dienste suchte. Es war eben viel leichter, dem als Künstler gefeierten Genie einige freundliche Worte ins Gesicht zu sagen, als ihm in Taten wahrhaft wohlwollend sich zu bezeigen.

Als die beiden Mozarts Mitte Dezember wieder in Salzburg ankamen, lag der Erzbischof Sigismund im Sterben († 16. Dez. 1771). Zu seinem Nachfolger wurde 1772 Hieronymus Graf von Colloredo, der bisherige Bischof von Gurk, gewählt. An den Festlichkeiten, die ihm natürlich trotz der allgemeinen Abneigung, der seine Wahl bei den Salzburgern begegnete, in großer Zahl dargeboten wurden, wirkte Wolfgang in hervorragender Weise mit durch die Komposition der Begrüßungsoper »Il sogno di Scipione«, einer allerdings für eine ganz andere Gelegenheit geschaffenen Huldigungsoper, die im Anfang Mai 1772 aufgeführt wurde. Man kann an der Musik merken, daß Mozarts die Neuernennung nicht sympathischer begrüßten als alle Mitbürger, denn sie ist wohl die äußerlichste, die Wolfgang jemals geschaffen hat. Er hat damit den Mann begrüßt, der am schwersten auf seinem Leben gelastet hat, den einzigen, den dieser liebevolle Mensch gehaßt hat. Der Groll gegen die Ernennung des in seinem ganzen Wesen unsympathischen, wenn auch klugen Mannes mochte bei den Mozarts noch schroffer sein, weil seine Wahl nur durch den freiwilligen Verzicht des Grafen Zell, Bischofs von Chiemsee, zustande gekommen war, der seinerseits zu den wohlwollendsten Gönnern des jungen Künstlers gehörte.

Einstweilen merkte aber wenigstens der Knabe noch nichts von dem Gewölk, das sich über ihm zusammenzog. Nachdem er sich von der Krankheit, die ihn im Januar befallen hatte, völlig erholt hatte, schuf er lustig darauf los: Kirchenmusik, ein halbes Dutzend Sinfonien, mehrere Quartette und Divertimenti, Arbeiten, die wahrscheinlich durch allerlei Salzburger Gelegenheiten hervorgerufen wurden. Dann begaben sie sich am 24. Oktober wiederum auf die Reise nach Mailand, um rechtzeitig für die neue Oper zur Stelle zu sein.

Leopold Mozart reiste diesmal nicht so freudig wie bisher und empfand auch nicht die gleiche Freude an den Erfolgen, die seinem Knaben wiederum reichlich zuteil wurden. Daran war weniger ein Übelbefinden schuld, das ihn häufiger quälte, als Sorge um die Zukunft seines Sohnes. Der kluge Mann sah voraus, daß unter dem neuen Brotherrn schwere Tage kommen würden, und er wollte wenigstens seinen Sohn aus der abhängigen Lage in Salzburg befreien. Sein Bestreben ging dahin, für Wolfgang eine angemessene Stellung an irgend einem Hofe zu suchen. Der Vater hat damit keinen Erfolg gehabt, trotzdem der Knabe so lebhafte Bewunderung und seine in wenigen Wochen komponierte Oper »Lucio Silla« wiederum einen großartigen Erfolg gewann. Wolfgang, der ja klein von Gestalt war, mochte doch wohl den verschiedenen Höfen zu wenig repräsentabel oder auch zu jung sein. Jedenfalls hat er ja auch später, als er freilich bei seinen Bemühungen die Hilfe des lebensklugen Vaters entbehrte, in dieser Hinsicht niemals Erfolg gehabt. Bezeichnend für den Widerwillen, den Leopold Mozart gegen die Salzburger Verhältnisse jetzt empfand – man muß das besonders hervorheben, weil er später gegenüber seinem Sohne immer der Mahner zur Geduld war – ist, daß er die Heimreise solange wie möglich hinausschob. Erst als es höchste Zeit war, um noch zum Jahrestag der Wahl des Erzbischofs in Salzburg zu sein, Anfang März, brachen sie von Mailand auf.

Wenn sich auch keine dokumentarischen Nachweise dafür finden, daß Mozart mit neuen Aufträgen für Italien bedacht worden ist, so sind ihm solche doch zweifellos zuteil geworden. Daß sie nicht zur Ausführung kamen, lag nur am Erzbischof, der von nun ab den Mozarts die größten Schwierigkeiten in den Weg legte und ihnen die Gelegenheiten, sich auswärts zu zeigen, nach Vermögen beschnitt. Wolfgang selbst ist nun nicht mehr nach Italien gekommen. Vier Jahre später, als er zum ersten Male das verhaßte Joch des salzburgischen Dienstes abgeschüttelt hatte, in München und vor allem nachher in Mannheim, als ihn die Liebe zu Aloysia Weber auf alle möglichen Mittel, zur Selbständigkeit zu kommen, denken ließ, trat ihm der Gedanke, in Italien sein Glück zu versuchen, nochmals lebhafter vor die Seele; dann noch, als er in Paris einen so unfreundlichen Boden fand. Später nicht mehr. Das ist vielleicht das beredteste Zeichen für seine innere Weiterentwicklung. Wir können in seinen Briefen verfolgen, wie ein stolzes Bewußtsein auf sein inneres Deutschtum in ihm gegenüber den Franzosen, aber auch den Italienern immer stärker wird. Seine Kunst drückt das freilich noch viel beredter aus, und es ist bezeichnend, daß in Wien seine heftigsten Gegner die Vertreter der italienischen Oper waren, zu deren verheißungsvollsten Meistern man ihn ein Jahrzehnt zuvor in Italien stolz gerechnet hatte.

5. In der Salzburger Enge

Als Enge haben Mozarts, der Vater wie der Sohn, ihr Salzburg empfunden, als sie jetzt, im Frühjahr 1773 dort anlangten. Die schlimme Vorahnung wurde zu einer viel schwereren Wirklichkeit; und wenn der Vater in seinen gereiften Jahren, mit seinem starken Willen und seinem ungemein hoch ausgebildeten Pflichtgefühl sich später, wenn auch leidend, den Verhältnissen fügte, der Sohn empfand von Tag zu Tag mehr die einst so geliebte Heimat geradezu als Gefängnis. Im Sommer 1773 hatten sie nochmals eine Reise nach Wien gemacht, über deren Absichten wir nicht genau unterrichtet sind. Wahrscheinlich war es ein Versuch Leopolds, seinen Sohn in einer anderen Stellung unterzubringen; jedenfalls ist er dann vollkommen gescheitert. Wolfgang, dessen Lebenselement ja komponieren war, schuf die verschiedenartigsten Werke, unter denen die beiden Messen in F- und D-dur aus dem Jahre 1774 besonders bedeutsam hervorragen, weil sie für eine tiefere Beurteilung des Kirchenkomponisten Mozart richtunggebend sind oder doch sein sollten.

Da winkte wieder einmal die Erlösung. Denn als solche erschien Mozarts jede Gelegenheit, aus Salzburg wegzukommen. Vom Kurfürsten Maximilian III. kam der Auftrag, zum Karneval 1775 für München eine komische Oper zu schreiben. In diesem Falle konnte natürlich der Erzbischof den zur Schöpfung der Oper notwendigen Urlaub nicht abschlagen. So reisten am 6. Dezember Vater und Sohn nach München, wo sie überall das freundlichste Entgegenkommen fanden. Wolfgang nutzte die guten musikalischen Verhältnisse, eine viel gediegenere musikalische Arbeit für » La finta giardiniera« zu schaffen, als man es sonst bei einer komischen Oper gewöhnt war. Das ganze Orchester beteuerte denn auch, wie der Vater schreibt, bald, »daß sie noch keine schönere Musik gehört, wo alle Arien schön sind«. Die Aufführung am 13. Januar 1775 bestätigte diesen Eindruck durch einen riesigen Erfolg, an dem auch der Hof sich aufs lebhafteste beteiligte. »Nach einer jeden Arie war allzeit ein erschreckliches Getös mit Klatschen.«

Unter den vielen Salzburgern, die sich jetzt überzeugen konnten, daß die Erfolge Mozarts in Italien nicht erlogen gewesen waren, befand sich auch der Erzbischof, der zwar seinen Pflichtbesuch beim bayrischen Kurfürsten so einzurichten wußte, daß er an einer Aufführung der Oper selber vorbeikam, dagegen, wie Leopold Mozart mit schadenfroher Genugtuung berichtet, nicht umhin konnte, vom ganzen Adel die Lobeserhebungen anzuhören und die ihm allerseits dargebrachten feierlichen Glückwünsche zu seinem Konzertmeister entgegenzunehmen. Die Verlegenheit, in die er dabei geriet, so daß er nur mit einem Kopfneigen und Achselzucken auf alles antwortete, hat er natürlich dem jungen Künstler nicht vergessen und sie ihn später gehörig entgelten lassen. Vielleicht auch schon in München; denn es ist doch auffällig, daß sich auch jetzt nicht nur keine Stellung für ihn fand, sondern daß dem so erfolgreichen Komponisten nicht einmal die Opera seria für das nächste Jahr übertragen wurde, wie alles erwartete. Der kluge Leopold Mozart hatte sich nicht umsonst um das »viele Gewäsche« geärgert, daß die Salzburger darüber machten, daß Wolfgang in kurfürstliche Dienste treten würde, und hat darin ganz richtig feindliche Einwirkungen gewittert. Man hat jedenfalls das bestimmte Gefühl, daß die geringen praktischen Erfolge, die die künstlerisch hoch anerkannten Taten Mozarts in München nach sich zogen, darauf beruhen, daß man hier an maßgebender Stelle doch den Salzburger Erzbischof um eines Komponisten – und gar eines Deutschen! – willen nicht vor den Kopf stoßen mochte.

Im gleichen Jahre 1775 schrieb Mozart übrigens auch für Salzburg eine Oper, den » Re pastore«, der bei dem Besuch eines österreichischen Erzherzogs am 23. April aufgeführt wurde.

Das war die letzte Gelegenheit, bedeutender öffentlich hervorzutreten. Danach verfiel das Salzburger Leben wieder dem kleinlichen Trott der abseits liegenden Residenz. Es fehlten ja allerdings nicht ganz die äußeren Veranlassungen zur Komposition für Mozart; sein Amt als Konzertmeister – er bezog übrigens jetzt 150 Gulden Jahresgehalt – brachte schon viele mit sich. Dann nahmen mehrfach Salzburger Familien seine Dienste für die musikalische Verherrlichung von Familienfesten in Anspruch. Unter diesen Serenaden, Abendmusiken, die meistens auf der Straße aufgeführt wurden, ist die zur Hochzeit des Salzburger Bürgers Späth mit der Tochter des Bürgermeisters Haffner 1776 komponierte als Haffner-Musik von Mozart auch später vielfach erwähnt worden. Auch für einzelne Adlige, für Schüler und Musikliebhaber hat Mozart mancherlei komponiert. Aber es fehlte doch jeder Anreiz, alle Gelegenheit zu Arbeiten größeren Stils, nach denen es den prächtig herangereiften Jüngling drängte. Wir haben schon erwähnt, daß er diese Aufgaben nur auswärts finden konnte, sie dort aber auch sicher nach den Erfolgen der vorangehenden Zeit gefunden haben würde, wenn man ihm überhaupt nur die Gelegenheit gegeben hätte. Der ihn daran hinderte, war einzig und allein der Erzbischof, sein Landes- und Brotherr, vor allem aber auch der Brotherr seines Vaters. Es hat sich in den zwei Jahren, die Mozart jetzt gezwungenerweise noch in Salzburg aushielt, die vorher schon hoch gestiegene Bitterkeit so scharf vermehrt, daß es von da ab dauernd unmöglich war, daß sich Mozart hier jemals wieder wohl fühlen konnte. Wenn ihn also ein Jahr, nachdem er zum erstenmal den Austritt aus dem verhaßten Dienste gewagt hatte, der Mißerfolg seiner Bemühungen um eine Lebensstellung und doch wohl vor allem die Rücksicht auf den Vater zwangen, wieder in Salzburger Dienste zu treten, so dürfen wir darin sicher die tragischste Seite des äußeren Lebensganges Mozarts sehen. Denn es ist klar, daß zum zweitenmal die Befreiung noch viel schwerer fallen mußte, als das erstemal.

 

Es muß sich demgegenüber doch die Frage erheben, ob es denn für Mozart wirklich nicht möglich war, in Salzburg zu leben und zu schaffen?

Das Wort Heimatkunst ist uns heute ein geläufiger Begriff geworden, und wenn er bezeichnenderweise aus großstädtischen Kreisen heraus zum modischen Schlagworte geprägt worden ist, so gibt es doch wohl keinen ernsten kunstverständigen Mann, der bestreiten möchte, daß kleinere Orte, vor allem wenn sie in einer so wunderbaren Natur gelegen sind wie Salzburg, für das künstlerische Schaffen eher fördernd sind denn hemmend. Man könnte behaupten, daß Mozart in seinem bisherigen Lebensgange so viel in die Welt hinausgedrungen war, sich aus den Kunstzentren der verschiedenen Länder so viele Anregungen geholt hatte, daß er jetzt in Salzburg an stiller Stätte, die gleichwohl noch keine Einsamkeit bedeutete, sich eigentlich besonders glücklich hätte entfalten müssen. Es ist auch zweifellos ganz sicher, daß die Ruhejahre in Salzburg für Mozarts künstlerische Entwicklung von Segen gewesen sind. Es war ein Glück für den unbegreiflich schnell der höchsten Künstlerschaft entgegenreifenden Menschen, bei dem es immer nur des leisesten Anstoßes von außen bedurfte, um in ihm eine gegen die schon gewöhnlich überreiche Tätigkeit noch gesteigerte Produktion anzuregen, daß er für Zeiten immer wieder an einen Ort zurückkehrte, an dem die äußere Anregung fehlte. Es war zweifellos ein Glück, wenn hier etwas gebremst wurde. Aber das ist auch das einzige, was man in künstlerischer Hinsicht bei Mozart für diesen Salzburger Aufenthalt geltend machen kann. Wir müssen auch hier bedenken, daß es sich um eine ganz andere Zeit handelt, daß die gesamten

kulturellen Vorbedingungen für das musikalische Schaffen

andere waren als heute.

Die Musik bedarf mehr denn jede andere Kunst des Reproduziertwerdens. Sie wird ja doch erst dadurch lebendig, daß sie zum Tönen gebracht wird. Der schöpferische Musiker leidet darum auch mehr als jeder andere Künstler, wenn es ihm nicht gelingt, seine Werke zu hören. Bei kleineren Musikformen vermag er sich ja selber diese Umsetzung des Geschaffenen in das wirkliche Leben des Tones zu verschaffen. Bei größeren Werken ist ihm das nicht möglich. Ohne diese Mitteilung durch die Aufführung aber kann der Musiker von der Umwelt die Rückantwort und befruchtende Rückwirkung nicht erhalten, die dem Dichter und dem bildenden Künstler durch die Genießenden auch dann zuteil wird, wenn ihm die Wirkung auf die breiteste große Öffentlichkeit versagt bleibt. Die nicht aufgeführte Oper z. B. ist ein totes Werk; das nicht aufgeführte Drama kann durch die bloße Lektüre auf weite Kreise stark und nachhaltig wirken es kann in seiner vollen Kraft erfaßt werden; sein Schöpfer kann darum auch die rückwirkende Kraft dieser Wirkung seines Kunstwerkes an sich selbst erfahren.

Die Musik nimmt also gegenüber den anderen Künsten an sich schon eine besondere Stellung ein, indem sie zur Verlebendigung der Mitteilung an die Öffentlichkeit bedarf. Wichtiger für eine richtige Beurteilung der Lage aber ist noch, daß auch innerhalb der Musik ein großer Wandel eingetreten ist, infolge dessen heute der Komponist zur Umwelt in einem anderen Verhältnis steht als früher, als eben noch zur Zeit Mozarts.

Die Grenze bildet hier Beethoven. Es ist gewiß eine merkwürdige Fügung, daß für die Musik, für die Kunst des Klanges, der nur durch das Gehör sinnlich voll erfaßt wird, die bedeutsamste innere Entwicklung dadurch hervorgerufen wurde, daß ein großer Musiker taub wurde. Das hat Richard Wagner gefühlt, als er von Beethoven sagte: »Dem erblindeten Seher, dem Teiresias, dem die Welt der Erscheinung sich verschlossen und der dafür mit den inneren Augen den Grund aller Erscheinungen gewahrt – ihm gleicht jetzt der ertäubte Musiker, der, ungestört vom Geräusche des Lebens, nun einzig noch den Harmonien seines Innern lauscht, aus seiner Tiefe nur einzig noch zu jener Welt spricht, die ihm – nichts mehr zu sagen hatte. So ist der Genius von jedem außer sich befreit, ganz bei sich und in sich. Wer Beethoven einmal mit dem Blick des Teiresias gesehen hätte, welches Wunder würde sich dem erschlossen haben: eine unter Menschen wandelnde Welt, – das An-sich der Welt als wandelnder Mensch.« Da Beethoven der Ton, die Erscheinungsform seiner Kunst versagt blieb, mußte er sich auf ihr innerstes Wesen zurückziehen. Das ist aber nicht bloß für ihn selber von entscheidender Bedeutung geworden, da er sonst sicher niemals der Innenkünstler geworden wäre, als den wir ihn verehren, sondern für unser ganzes Verhältnis zur Musik, vor allem auch für das Verhältnis des musikalischen Schöpfers zu seiner Kunst. Durch Beethoven erst haben wir erkennen gelernt, daß das sinnlich hörbare Tonspiel nur die Hülle, nur die Art der Aussprache für das eigentlich Wesentliche, das seelische Erleben des Künstlers ist.

Das ist eine viel tiefer gehende Umwälzung des ganzen musikalischen Schaffens, als man zuerst meinen möchte. Es ist beinahe eine Verschiebung des Verhältnisses zwischen Schöpfung und Mitteilung, zwischen der Musik an sich und den Wegen, sie mitzuteilen. Es beruht z. B. keineswegs bloß auf den äußeren Lebensverhältnissen und der gesamten Richtung der Zeit, wenn der schöpferische Musiker früher hinter dem ausführenden zurücktrat, wenn z. B. die italienische Oper viel mehr durch die Sänger bestimmt wurde, als durch die Komponisten. Das lag vielmehr daran, daß man zur Musik eigentlich nur das sinnliche, das körperlich sinnliche Verhältnis hatte. So muß man von einem durchaus nicht abliegenden Standpunkte aus die ganze Entwicklungsgeschichte der Musik für ein Auf und Ab, ja für einen Kampf zwischen den sinnlichen und seelischen Kräften erklären, die von Anfang an in ihr wirksam sind. Jene gehen vom Ton an sich aus, diese entstehen dadurch, daß der Ton etwas ausdrückt, was innen vorgeht.

Wenn wir in raschen Zügen das Bild dieser Entwicklung zeichnen, so geschieht es nicht aus müßiger Spekulation, sondern weil nur so die jeweils richtige Einstellung für das psychologische Verständnis der Musik der Vergangenheit zu gewinnen ist, weil nur so auch die einzelne Komponistennatur richtig eingeschätzt werden kann. Gerade Mozart gegenüber beruht auf dieser Erkenntnis nicht nur das Verständnis für seine Lebensumstände, sondern auch die Einschätzung der Lebensfähigkeit und Wirksamkeit seiner Musik für uns Heutige, ihrer Aussichten für die Zukunft. Man folge uns also getrost auf diesem Umwege, der uns zwar vom Lebensgange Mozarts etwas abführt, dafür aber manche Ausblicke in die Geschichte der kulturellen Bedeutung der Musik für die Menschheit eröffnet.

Bei den Kulturvölkern Asiens finden wir die Musik durchweg nur als sinnliches Reizmittel. Sie ist deshalb zumeist mit der körperlichen Bewegung irgendwie verbunden. Musikerin, Sängerin und Dirne waren ziemlich gleichbedeutende Begriffe. Bezeichnend ist, daß die höhere Beschäftigung mit Musik in diesem Zeitalter und bei diesen Völkern durchweg den Charakter einer Geheimwissenschaft annimmt. Es treten da merkwürdige Beziehungen zur Mathematik hervor. Das Verhältnis der Töne zueinander, der Akkorde läßt sich so leicht auf mathematische Parallelen übertragen, daß es nicht gar so absonderlich wirkt, daß Musik und Mathematik zusammengebracht werden, auch wenn sich nicht noch andere Gründe für dieses Verwandtschaftsverhältnis beibringen ließen. Aber es ist unverkennbar, daß im allerletzten Grunde die Mathematik gegenüber den anderen Wissenschaften eine ähnliche Stellung einnimmt, wie die Musik gegenüber den anderen Künsten. Auch die höhere Mathematik, dort, wo sie nicht ins Leben herabgezogen, für die Praxis dienstbar gemacht ist, gibt gewissermaßen die Idee an sich, nicht deren Abbilder. Sie ist völlig rein von Zweckbestimmungen und trägt in sich ihre volle Lebenskraft. Sie ist die einzige Wissenschaft, die in ihren höchsten Gängen nicht mit Irdischem beschwert ist, die nicht in Verbindung steht mit irgendwelchen anderen menschlichen Absichten und Zielen. Also um zusammenzufassen: die ganze Stellung der Mathematik ist eine Art Parallelerscheinung zur Musik, und es scheint mir leicht erklärlich, daß spekulative Naturen, jene vor allen, die der Musik von seiten der Form her nahekommen, hier Beziehungen entdecken. Diese Spekulationen haben sich keineswegs bloß auf den Orient oder auf das alte Ägypten beschränkt; ein Keppler hat hier recht tiefsinnige Gedankenreihen aufgestellt. Seither hat es niemals an Versuchen gefehlt, die Theorie der musikalischen Form irgendwie ins Mathematische zu übersetzen. Und die neuesten Untersuchungen über die Musik der Naturvölker haben ja wiederum ergeben, daß wenigstens die Tonverhältnisse und Tonabstände dieser Naturtonleitern sich auf merkwürdig einfache mathematische Formen zurückführen lassen. Gerade bei Mozart denken wir dieser Zusammenhänge, da er selber zu den zahlreichen Musikern gehört, die sich mit Mathematik besonders gern befaßten und mit einer gewissen Leidenschaftlichkeit ihr anhing. Es ist gerade bei der einzigartigen musikalischen Veranlagung Mozarts eine psychologisch nicht zu unterschätzende Tatsache, daß das Kind Mozart mit derselben Leidenschaftlichkeit, mit der es alles Musikalische aufnahm, auch Tische, Wände und Fußböden mit Rechnungen bedeckte, als es in die Mathematik eingeführt wurde.