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Winnetou 3

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Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

»So kommt heraus! Old Shatterhand ist kein Lügner wie Santer; wir dürfen ihm vertrauen.«

Als sie das Zelt verlassen hatten und ich mich allein in demselben befand, war es mein Erstes, eins dieser Messer unter den zugeknöpften linken Ärmelbund meines Hemdes zu schieben; dann erst beschäftigte ich mich wieder mit der Frau.

Ihr Mann war auf der Jagd; das hatte Santer benutzt, bei ihr einzudringen. Seitdem war so lange Zeit vergangen, und sie lag noch immer besinnungslos da. Das konnte nicht nur eine durch den Schreck verursachte Ohnmacht sein, sondern es war eine tiefere Betäubung. Ich griff ihr also an den Kopf und fühlte, daß der Oberschädel in der Gegend der Pfeilnaht stark geschwollen war. Als ich drückte, stieß die Frau einen schmerzlichen Seufzer aus. Ich drückte wieder und wieder, bis sie die Augen öffnete und mich ansah, erst stier und ohne Gedanken; dann aber hauchte sie meinen Namen ›Old Shatterhand‹.

»Kennst du mich?« fragte ich.

»Ja.«

»Besinne dich! Werde nicht wieder ohnmächtig, sonst bleibst du tot! Was ist geschehen?«

Meine Drohung, daß sie tot bleiben würde, war von guter Wirkung. Sie gab sich Mühe, raffte sich zusammen, richtete sich mit meiner Hilfe sitzend auf, legte die Hände auf den schmerzenden Kopf und sagte:

»Ich war allein; er kam herein und verlangte die Medizin; ich gab sie ihm nicht; da schlug er mich.«

»Wo war die Medizin? Ist sie fort?«

Sie blickte nach einer Stange empor und rief erschrocken, natürlich mit matter Stimme:

»Uff! Sie ist fort! Er hat sie genommen! Als er mich schlug, fiel ich hin; weiter weiß ich nichts.«

Erst jetzt fiel es mir ein, daß Pida gestern gesagt hatte, daß er die Papiere sehr sorgfältig in der Medizin verbergen werde. Und heut, ehe Santer fortritt, rühmte er sich, sie mit der ganzen Emballage zu besitzen. Er hatte also die Papiere samt der Medizin mitgenommen. Dem Häuptling Pida war also die Medizin gestohlen worden, ein beinahe unersetzlicher Verlust! Er mußte, um sie wieder zu erhalten, den Dieb sofort verfolgen.

»Bist du jetzt stark genug, wach zu bleiben? Oder wirst du wieder umfallen?« fragte ich.

»Ich falle nicht,« erklärte sie. »Du hast mir das Leben wiedergegeben; ich danke dir!«

Da stand ich auf und öffnete die Zeltmatte. Vater und Schwester standen nahe derselben, weiterhin die Dorfbewohner.

»Kommt herein!« forderte ich die Beiden auf. »Die Tote ist wieder lebend geworden.«

Welche Freude diese Worte hervorbrachten, brauche ich nicht zu sagen. Vater und Tochter und dann mit ihnen später auch alle Kiowas waren überzeugt, daß ich ein Wunder getan hatte. Es gab für mich keinen Grund, ihnen zu widerstreiten. Ich verordnete natürlich nichts als Umschläge und zeigte ihnen, wie diese zu machen seien.

So groß diese Freude, war dann auch die Wut über das Verschwinden der Medizin. Dies mußte natürlich Tangua gemeldet werden, welcher dem Diebe sofort eine Kriegerschar nachschickte und auch mehrere Boten aussandte, die Pida suchen sollten. Ich wurde von ›Eine Feder‹ wieder nach dem Baume des Todes geführt und dort festgebunden. Er war meines Lobes voll und strömte von Dankbarkeit über, freilich nur nach Indianerart.

»Wir werden dir nun noch viel größere Qualen am Pfahle bereiten, als wir vorher wollten,« versicherte er mir. »Noch nie soll ein Mensch so gelitten haben wie du, damit du in den ewigen Jagdgründen der größte und höchste aller Bleichgesichter werdest, welche die Erlaubnis bekommen, dort einzuziehen.«

Danke! dachte ich; laut aber sagte ich:

»Hättet ihr Santer sofort verfolgt, wie ich es verlangte, so wäre er wieder in eure Hände geraten; nun aber wird er wahrscheinlich entkommen!«

»Wir fangen ihn! Seine Spur muß deutlich zu lesen sein.«

»Ja, wenn ich hinter ihm her sein könnte!«

»Das kannst du doch!«

»Ich? Ich bin doch gefangen und gefesselt!«

»Wir lassen dich mit Pida fortreiten, wenn du versprichst, mit ihm wiederzukommen und dich martern zu lassen. Sag, ob du das tun willst!«

»Nein. Wenn ich einmal sterben soll, dann lieber so bald wie möglich; ich kann es kaum erwarten.«

»Ja, du bist ein Held; das weiß ich, und das höre ich jetzt wieder, denn nur ein Held kann solche Worte sagen. Wir alle beklagen es, daß du kein Kiowa bist!«

Er ging, und ich war rücksichtsvoll genug, ihm nicht vorher zu sagen, daß seine Klage in meinem fühllosen Herzen keinen Widerhall fand. ich hegte ja sogar die Absicht, alle diese meine Bewunderer schon in der nächsten Nacht zu verlassen, und zwar, ohne Abschied von ihnen zu nehmen!

Pida war schnell gefunden worden und kam auf schweißtriefendem Pferde in das Dorf gesprengt. Sein erster Weg war natürlich in sein Zelt, sein nächster zu seinem Vater, und dann kam er zu mir. Er sah äußerlich ruhig aus, mußte sich aber wohl große Mühe geben, seine Aufregung zu verbergen.

»Old Shatterhand hat meine Squaw, welche ich liebe, vom Tode erweckt und wieder lebendig gemacht,« sagte er, »Ich danke ihm. Er weiß Alles, was geschehen ist?«

»Ja. Wie befindet sich die Squaw?«

»Ihr Kopf schmerzt, doch das Wasser tut ihr wohl; sie wird bald wieder gesund sein. Aber meine Seele ist krank und kann nicht eher geheilt werden, als bis ich meine Medizin wieder habe.«

»Warum ließet Ihr Euch nicht warnen?«

»Old Shatterhand hat immer recht. Hätten unsere Krieger ihm wenigstens heut gehorcht, dem Diebe sogleich nachzujagen, so wäre er wohl jetzt schon wieder hier.«

»Pida wird ihn verfolgen?«

»Ja. Ich muß eilen und bin nur zu dir gekommen, um Abschied zu nehmen. Nun wird dein Tod wieder aufgeschoben, obgleich du gern schnell sterben möchtest, wie ›Eine Feder‹ sagt. Du mußt warten, bis ich wiederkomme!«

»Gern!«

Das war wirklich höchst aufrichtig gemeint; er aber nahm es nach seiner Anschauung und tröstete mich:

»Es ist nicht gut, den Tod so lange vor Augen zu haben, aber ich habe befohlen, daß dir diese Zeit so leicht wie möglich gemacht wird. Noch leichter aber würde sie dir werden, wenn du das tun wolltest, was dir vorzuschlagen ich jetzt gekommen bin.«

»Was ist es?«

»Willst du mit mir reiten?«

»Ja.«

»Uff! Das ist gut, denn da werden wir den Dieb ganz gewiß ergreifen! Ich werde dich sofort losbinden und dir deine Waffen geben.«

»Halt, noch nicht! Ich stelle meine Bedingung.«

»Ich will sie hören.«

»Daß ich nur als freier Mann mitreite.«

»Uff! Das ist nicht möglich.«

»So bleibe ich da.«

»Du bist ja frei, solange wir fort sind; dann aber kehrst du mit mir zurück und bist wieder unser Gefangener. Wir verlangen nichts von dir, als daß du uns dein Wort gibst, uns unterwegs nicht zu entfliehen.«

»Ihr nehmt mich also nur mit, weil mir keine Fährte entgehen kann? Ich danke! Ich bleibe hier. Als Spürhund läßt Old Shatterhand sich nicht gebrauchen!«

»Willst du dich nicht anders besinnen?«

»Nein.«

»Bedenke wohl! Es ist dann möglich, daß wir den Dieb meiner Medizin nicht ergreifen.«

»Mir entgeht er nicht, wenn ich ihn haben will. Ein jeder mag sich holen, was ihm gestohlen worden ist.«

Er schüttelte, ohne mich zu verstehen, enttäuscht den Kopf und beteuerte mir:

»Ich hätte dich gern mitgenommen, um dir dafür zu danken, daß du meine Squaw lebendig gemacht hast. Ich kann nicht dafür, daß du nicht willst.«

»Wenn du mir wirklich danken willst, so kannst du mir einen Wunsch erfüllen.«

»Sage ihn mir!«

»Ich habe eine Vermutung, welche sich auf die drei Bleichgesichter bezieht, die mit Santer gekommen sind. Wo befinden sie sich?«

»Jetzt noch in ihrem Zelte.«

»Frei?«

»Nein. Sie sind gefesselt. Sie waren die Freunde des Diebes meiner Medizin.«

»Aber sie sind unschuldig!«

»Das sagen sie; aber Santer ist jetzt unser Feind, und die Freunde meines Feindes sind meine Feinde. Sie werden an den Baum des Todes gebunden und mit dir sterben.«

»Und ich sage dir, daß sie von Santers Tat nicht das Geringste gewußt haben!«

»Das geht uns nichts an! Hätten sie auf dich gehört! Ich weiß, daß du sie gewarnt hast.«

»Pida, der junge, tapfere und edle Häuptling der Kiowas, mag hören, was ich ihm sage: Ich soll den Martertod sterben und habe nicht für mich gebeten; für sie aber bitte ich.«

»Uff! Wie lautet deine Bitte?«

»Gib sie frei!«

»Ich soll sie ziehen lassen, mit ihren Pferden und ihren Waffen? Wie kann ich das!«

»Gib sie frei um deiner Squaw willen, die du lieb hast, wie du mir sagtest!«

Er wendete sich von mir ab; in seinem Innern kämpfte es; dann drehte er sich mir wieder zu und sagte:

»Old Shatterhand ist nicht wie andere Bleichgesichter, nicht wie andere Menschen. Man kann ihn nicht begreifen und verstehen! Wenn er für sich gebeten hätte, so wären wir vielleicht bereit gewesen, ihm Gelegenheit zu geben, dem Tode zu entgehen; er hätte mit unsern tapfersten und stärksten Kriegern um sein Leben kämpfen dürfen. Er aber mag nichts geschenkt haben und bittet für Andere.«

»Das tue ich; ich wiederhole sogar meine Bitte!«

»Nun wohl, sie sollen frei sein, aber dann habe auch ich eine Bedingung.«

»Welche?«

»Dir selbst wird nun nichts, aber auch gar nichts geschenkt! Für die Rettung meines Weibes hast du keinen Dank zu fordern. Wir sind quitt.«

»Gut! Vollständig quitt!«

»So werde ich sie jetzt freilassen. Aber sie sollen beschämt werden. Sie haben dir nicht geglaubt und nicht auf dich gehört; sie mögen zu dir kommen, um sich zu bedanken. Howgh!«

Er wendete sich ab, und ich sah ihn in das Zelt seines Vaters gehen, der ja wissen mußte, was er mir versprochen hatte. Kurze Zeit darauf kam er wieder heraus und verschwand unter den Bäumen. Als er zurückkehrte, folgten ihm die drei Weißen auf ihren Pferden. Er wies sie zu mir, kam aber nicht selbst wieder mit.

 

Gates, Clay und Summer kamen mit wahren Armensündermienen herangeritten.

»Mr. Shatterhand,« sagte der Erstere, »wir haben gehört, was geschehen ist. Ist es denn etwas gar so Schreckliches, wenn einmal so ein alter Medizinsack abhanden kommt?«

»Diese eure Frage bestätigt nur meine bisherige Meinung, daß ihr vom wilden Westen blutwenig versteht. Die Medizin‘ zu verlieren, das ist das Schrecklichste, was einem indianischen Krieger passieren kann. Das solltet ihr doch wissen!«

»Well! Darum also war Pida so grimmig, und darum wurden wir gefesselt! Nun wird es Santer schlecht ergehen, wenn sie ihn fangen!«

»Das hat er auch verdient! Seht ihr denn nun ein, daß er euch nur hintergehen wollte?«

»Uns? Geht uns die Medizin etwas an, mit welcher er verschwunden ist?«

»Ungeheuer viel! Denn in dem Medizinbeutel befinden sich die Papiere, die er so gern haben wollte.«

»Und in welcher Beziehung stehen diese Papiere zu uns?«

»Sie enthalten eine ganz genaue Beschreibung der Stelle, an welcher die Nuggets versteckt sind.«

»Alle Teufel! Ist das wahr?«

»Gewiß!«

»Oder solltet Ihr Euch täuschen?«

»Nein. Ich habe es gelesen.«

»So kennt Ihr die Stelle auch?«

»Ja.«

»Sagt sie uns, Mr. Shatterhand, sagt sie uns! Wir reiten dem Halunken nach und nehmen ihm das Gold vor der Nase weg!«

»Dazu seid ihr erstens nicht die richtigen Kerls, und zweitens habt ihr mir bisher nicht geglaubt und braucht mir nun auch nicht zu glauben. Santer hat euch nur als Hunde engagiert, die ihm helfen sollten, die goldenen Füchse aufzuspüren; dann hätte er euch niedergeschossen. Jetzt kann er euch entbehren und hat es auch nicht nötig, euch stumm zu machen, denn er weiß, daß die Roten euch als seine Spießgesellen betrachten und behandeln werden.«

»Wetter! So hätten wir also nur Euch unser Leben zu verdanken? Pida sagte es.«

»Wird wohl so sein. Euer Schicksal war, mit mir am Marterpfahle zu sterben.«

»Und Ihr habt uns losgebeten? Euch selbst nicht auch? Sagt, was wird denn mit Euch?«

»Gemartert werde ich, weiter nichts.«

»Zu Tode?«

»Yes.«

»Das tut uns leid, herzlich leid, Sir! Könnten wir Euch nicht auf eine Weise helfen?«

»Danke, Mr. Gates! Bei mir ist jede Hilfe vergeblich. Reitet getrost fort, und wenn ihr zu Menschen kommt, so könnt ihr erzählen, daß Old Shatterhand nicht mehr lebt, sondern bei den Kiowas an dem Marterpfahle gestorben ist.«

»Eine traurige Botschaft, eine verteufelt traurige Botschaft! Ich wollte, ich könnte Besseres von Euch erzählen!«

»Das würde der Fall sein, wenn ihr mich nicht in den Mugwort-Hills belogen hättet. Wäret ihr aufrichtig gewesen, so hätten mich die Kiowas gewiß nicht gefangen genommen. Ihr seid schuld an meinem Tode, der ein grausamer, ein gräßlicher sein wird. Diesen Vorwurf mache ich euch und wünsche, daß er euch mitten aus dem Schlafe weckt. Und nun macht euch fort!«

Er wußte vor Verlegenheit nicht, was er antworten sollte. Clay und Summer, die überhaupt noch kein Wort gesagt hatten, wußten noch viel weniger, und so hielten sie es für das beste, sich von dannen zu trollen. Eigentlich bedankt hatte sich keiner von ihnen, doch leisteten sie mir dadurch Ersatz, daß sie, als sie eine kleine Strecke fort waren, sich noch einmal mit betrübten Mienen nach mir umblickten.

Sie waren noch nicht draußen am Horizonte verschwunden, so ritt auch Pida fort, doch ohne sich nach mir umzusehen, und das mit vollstem Rechte, denn wir waren ja quitt! Er glaubte, mich bei seiner Rückkehr hier noch in Fesseln zu finden, und ich war überzeugt, ihn, wenn er auf Santers Fährte blieb, entweder am Rio Pecos oder weiterhin auf der Sierra Rita wieder zu sehen. Wer würde recht behalten, er oder ich?

Als ›Dunkles Haar‹ mir zu Mittag das Essen brachte und ich mich nach dem Befinden ihrer Schwester erkundigte, hörte ich, daß die Schmerzen so nachgelassen hätten, daß sie fast keine mehr fühlte. Das gute Mädchen hatte mir so viel Fleisch gebracht, daß ich es nicht aufessen konnte, und ehe sie sich entfernte, blickte sie mich aus feuchten Augen bedauernd an. Ich sah, daß sie etwas auf dem Herzen hatte, sich aber scheute, es ohne Aufforderung zu sagen. Darum ermunterte ich sie:

»Meine junge Schwester will mir etwas mitteilen? Ich möchte es erfahren.«

»Old Shatterhand hat unrecht getan,« antwortete sie mit hör- und sichtbarem Zagen.

»Inwiefern?«

»Daß er nicht mit Pida geritten ist.«

»Ich hatte keinen Grund dazu.«

»Der große, weiße Jäger hätte wohl Grund dazu gehabt. Es ist ehrenvoll, ohne Laut am Pfahle zu sterben, doch denkt ›Dunkles Haar‹, daß ehrenvoll zu leben doch besser ist.«

»Ja, aber ich sollte doch in die Gefangenschaft zurückkehren, um hier zu sterben.«

»Das mußte Pida fordern, aber es wäre doch wohl anders geworden. Old Shatterhand hätte vielleicht Pida erlaubt, sein Freund und Bruder zu sein und die Pfeife des Friedens mit ihm zu rauchen.«

»Ja, und einen Freund und Bruder, mit dem man das Calumet geraucht hat, den läßt man nicht am Marterpfahle sterben. So denkst du doch?«

»Ja.«

»Du hast recht, aber ich habe auch recht. Du möchtest wohl gern, daß ich am Leben bliebe?«

»Ja,« gestand sie aufrichtig. »Du hast ja meiner Schwester das Leben wiedergegeben!«

»So sei nicht allzusehr besorgt um mich! Old Shatterhand weiß stets, was er tut.«

Sie sah sinnend vor sich nieder, warf einen verstohlenen Seitenblick auf die Wächter und machte eine ungeduldige Handbewegung. Ich verstand sie. Sie wünschte, von Flucht mit mir reden zu können, und durfte das nicht. Als sie dann ihr Auge wieder zu mir erhob, nickte ich ihr lächelnd zu und sagte:

»Das Auge meiner jungen Schwester ist durchsichtig und klar. Old Shatterhand kann ihr durch dasselbe bis ins Herz hinuntersehen. Er kennt ihre Gedanken.«

»Sollte er sie wirklich kennen?«

»Ja, und sie werden in Erfüllung gehen.«

»Wann?«

»Bald.«

»Es sei so, wie du sagst. ›Dunkles Haar‹ wird sich sehr darüber freuen!«

Dieses kurze Gespräch hatte ihr Herz erleichtert und ihren Mut erhöht. Während des Abendessens wagte sie schon mehr. Zu dieser Zeit brannten, wie gestern, schon die Feuer, sonst war es dunkel unter den Bäumen. Da sie mir die einzelnen Fleischstücke mit dem Messer reichte, stand sie nahe bei mir. Da trat sie mir in bezeichnender Weise auf den Fuß, um meine Aufmerksamkeit auf die nächsten Worte zu lenken und fragte:

»Old Shatterhand hat nur noch einige Bissen und wird noch nicht satt sein. Will er noch etwas anderes haben? Ich verschaffe es ihm.«

Die Wächter legten diesen Worten keine Bedeutung unter; ich aber wußte, was sie meinte. Ich sollte ihr eine Antwort geben, welche allerdings zunächst das Essen betraf, dabei aber den Gegenstand nennen, den ich brauchte, um mir die Flucht zu ermöglichen; sie wollte ihn ›mir verschaffen‹, wie sie gesagt hatte. Ich antwortete:

»Meine Schwester ist sehr gut, doch ich danke ihr. Ich bin satt und habe Alles, was ich brauche. Wie geht es der Squaw des jungen Häuptlings der Kiowas?«

»Der Schmerz verschwindet mehr und mehr, doch legt sie noch immer Wasser auf.«

»Das ist gut. Sie bedarf der Pflege. Wer ist bei ihr?«

»Ich.«

»Auch diesen Abend?«

»Ja.«

»Auch des Nachts muß jemand bei ihr sein.«

»Ich werde bis zum Morgen bleiben.«

Ihre Stimme zitterte; sie hatte mich verstanden.

»Bis zum Morgen? Dann sehen wir uns wieder.«

»Ja, dann sehen wir uns wieder!«

Sie ging. Den Wärtern war der Doppelsinn unserer Worte nicht aufgefallen.

Ich mußte nach Pidas Zelt, um dort meine Sachen zu holen. Nach unserm jetzigen Gespräch war ich überzeugt, daß ›Dunkles Haar‹ dort sein und mich erwarten werde; das freute mich, erregte aber auch sehr gerechtfertigte Bedenken in mir. Wenn ich meine Waffen und was sonst noch von mir dort war, in Gegenwart der beiden Schwestern holte, so wurden ihnen morgen früh gewiß die schwersten Vorwürfe gemacht. Um mich nicht zu verraten, waren sie gezwungen, ruhig zu bleiben, und doch erforderte ihre Pflicht, um Hilfe zu rufen. Wie war diesem Zwiespalte abzuhelfen? Nicht anders als dadurch, daß sie sich freiwillig von mir fesseln ließen. War ich dann fort, so konnten sie schreien, so viel und so sehr sie wollten, und, wenn sie gefragt wurden, sagen, daß ich plötzlich im Zelte erschienen sei und sie mit der Faust niedergeschlagen habe. Das glaubte man gewiß, denn ich war auch den Kiowas in dieser Beziehung bekannt. Ob die Schwester von ›Dunkles Haar‹ auch einverstanden sei, das machte mir keine Schmerzen. Sie hielt mich für ihren Lebensretter.

Noch einen Gedanken gab es, über den ich aber nicht so schnell hinwegkommen konnte: War mein Stutzen noch da? Nein, denn Pida kannte den Wert dieses Gewehres und hatte es also mitgenommen. Ja, denn er konnte nicht mit demselben umgehen und hätte sich gewiß die Handgriffe vor seinem Fortritte zeigen lassen. Welches war richtig, das Ja oder das Nein? Das war abzuwarten. Hatte er den Stutzen mitgenommen, so verstand es sich von selbst, daß ich eher nach diesem Gewehre als nach Santer zu trachten hatte.

Nun kam die Ablösung der beiden Wächter; ›Eine Feder‹ brachte sie. Er war ernst aber dabei freundlich mit mir und band mich selbst los, weil er glaubte, die Andern würden die bis auf die Knochen gehenden Wunden an meinen Handgelenken nicht berücksichtigen. Ich legte mich zwischen die vier Pfähle und zog dabei mit der rechten Hand, ohne daß es bemerkt wurde, das kleine Messerchen aus dem linken Ärmel heraus. Dann hielt ich den linken Arm hin, um mir die Schlinge hinter die Hand legen zu lassen. Als dies geschehen war und die Hand nun an den Pfahl gebunden werden sollte, tat ich, als ob mich der Riemen an der Wunde schmerze, und zog sie, wie man es bei Schmerzen zu machen pflegt, mit einer hastigen Bewegung an den Mund. Dabei schob ich mit der rechten Hand die Klinge zwischen das Handgelenk und den Riemen und schnitt diesen beinahe durch.

»Paß auf!« fuhr ›Eine Feder‹ den Roten an, der mich band. »Du bist an die Wunde gekommen. Old Shatterhand soll wohl später, aber nicht schon jetzt gequält werden!«

Hierauf ließ ich das Messer fallen und merkte mir die Stelle, wo es lag und wo ich es später mit der linken Hand erreichen konnte. Dann wurde mir die rechte Hand angebunden, worauf auch die Füße an die Reihe kamen. Ich erhielt auch wieder zwei Decken, grad wie gestern, eine unter den Kopf, und die andere wurde über mich ausgebreitet. Als dies geschehen war, machte ›Eine Feder‹ noch die mir höchst willkommene Bemerkung:

»Wenn sonst alle Tage, aber heut kann Old Shatterhand nicht fliehen. Mit solchen Wunden an den Gelenken zerreißt er keinen Riemen.«

Nach diesen Worten entfernte er sich, und die beiden Aufseher hockten sich zu meinen Füßen nieder.

Es gibt Menschen, welche vor so wichtigen Augenblicken kaum ihre Erregung beherrschen können; ich bin da immer ruhig gewesen, ruhiger noch als sonst. Es verging eine Stunde und noch eine; die Feuer erloschen; nur dasjenige leuchtete noch, welches vor dem Zelte des Häuptlings brannte. Es wurde kühl, und meine Wächter zogen die Knie an den Leib. Dies war aber eine unbequeme Stellung, und so legten sie sich nieder, die Köpfe mir zugekehrt. Es wurde Zeit für mich. Ein langsamer aber kräftiger Ruck, und der linke, fast zerschnittene Handriemen riß; diese Hand war frei. Ich zog sie an mich und suchte das Messer, welches ich fand. Nun wendete ich, was mir vorher unmöglich gewesen war, den Oberkörper nach der rechten Seite, schob die linke Hand unter der Decke bis zur rechten hinüber und schnitt diese los. Beide Hände frei! Ich fühlte mich schon gerettet!

Nun zu den Füßen! Aber wie? Um mit den Händen bis zu den Füßen langen zu können, mußte ich mich nicht nur aufsetzen, sondern auch ganz hinunterrücken; dann befand ich mich gleich hinter den Köpfen der beiden Indianer. Waren sie sehr wachsam? Ich bewegte mich einige Male; sie lagen still. Schliefen sie etwa?

Dem mochte sein, wie ihm wolle; besser schnell gehandelt als langsam! Ich schob die Decke von mir ab, setzte mich und rückte nach unten. Wahrhaftig, die Kerls schliefen! Zwei schnelle Schnitte, und ich war frei; zwei ebenso rasche Fausthiebe an ihre Köpfe, und die Aufseher waren betäubt. Ich band sie mit den vier zerschnittenen Riemen und schnitt von der Decke zwei Ecken, um sie ihnen als Knebel in den Mund zu schieben, daß sie nicht rufen konnten. Zu erwähnen ist, daß mein Pferd heut wieder in der Nähe lag.

Nun stand ich auf und streckte die Glieder. Wie wohl das tat! Als die Arme ihre Gelenkigkeit wieder erhalten hatten, legte ich mich wieder nieder und kroch fort, von Baum zu Baum, von Zelt zu Zelt. Nichts regte sich im Dorfe und ich kam glücklich bei dem Zelte des jungen Häuptlings an. Schon wollte ich die Türdecke leise zur Seite ziehen, da hörte ich ein Geräusch zu meiner linken Hand. Ich lauschte. Leise Schritte kamen, und wer blieb da drei Schritte vor mir stehen, ohne mich zu sehen?

 

»Dunkles Haar!« sagte ich leise.

»Old Shatterhand!« antwortete sie.

Ich stand auf und fragte:

»Du bist nicht in dem Zelte. Warum?«

»Es ist niemand drin, damit wir nicht ausgescholten werden. Meine Schwester ist krank; ich muß sie pflegen und habe sie deshalb nach dem Zelte des Vaters geholt.«

O Weiberlist!

»Aber meine Waffen sind noch da?« fragte ich.

»Ja, noch grad so wie am Tage.«

»Da habe ich sie gesehen. Aber die Gewehre?«

»Unter dem Lager von Pida. Hat Old Shatterhand sein Pferd?«

»Es wartet auf mich. Du bist so gut gegen mich gewesen; ich habe dir sehr zu danken!«

»Old Shatterhand ist gegen alle Menschen gut. Wird er vielleicht einmal wiederkommen?«

»Ich denke es; dann bringe ich Pida mit, der mein Freund und Bruder sein wird.«

»Reitest du ihm nach?«

»Ja. Ich werde ihn treffen.«

»So sag ja nichts von mir. Niemand außer der Schwester darf wissen, was ich tat.«

»Du hättest noch mehr getan; ich weiß es. Reich mir deine Hand, daß ich dir danke!«

Sie gab sie mir.

»Möge deine Flucht vollends gelingen! Ich muß fort; die Schwester sorgt um mich.«

Sie zog, ehe ich es hindern konnte, meine Hand an ihre Lippen und huschte fort. Ich stand und lauschte ihr nach. Du gutes, rotes Kind!

Dann trat ich in das Zelt und tastete zunächst nach dem Lager. Unter demselben steckten, in eine Decke gewickelt, die Gewehre. Ich nahm sie hervor und hing sie über. Messer und Revolver waren da, auch der Sattel mit den Taschen. Noch nicht fünf Minuten waren vergangen, so verließ ich das Zelt und kehrte zum Baume des Todes zurück, um mein Pferd zu satteln. Als dies geschehen war, beugte ich mich zu den Wächtern nieder; sie waren wach.

»Die Krieger der Kiowas haben kein Glück mit Old Shatterhand,« sagte ich mit unterdrückter Stimme zu ihnen. »Sie werden ihn nie an ihrem Marterpfahle sehen. Ich reite Pida nach, ihm zu helfen, Santer zu fangen, und werde ihn als Freund und Bruder behandeln. Vielleicht kehre ich mit ihm zu euch zurück. Sagt dies dem Häuptling Tangua; er soll nicht um seinen Sohn in Sorge sein, denn ich werde ihn beschützen. Die Söhne und Töchter der Kiowa sind freundlich zu mir gewesen; sagt ihnen meinen Dank und daß ich ihnen dies nie vergessen werde. Howgh!«

Ich nahm meinen Schwarzschimmel beim Zügel und führte ihn fort, denn reiten wollte ich noch nicht, um niemanden aufzuwecken. Erst als ich mich weit genug entfernt hatte, stieg ich in den Sattel, der mich nach der Ansicht der Kiowas nie wieder hatte tragen sollen, und ritt südwärts in die Prairie hinein.

Denn nach Süden führte mein Weg, obgleich ich in der nächtlichen Dunkelheit die Spuren von Santer und den ihn verfolgenden Kiowas nicht sehen konnte. Ich brauchte sie nicht zu sehen und hatte überhaupt nicht die Absicht, mich nach ihnen zu richten. Ich wußte, daß Santer nach dem Rio Pecos ritt, und das war mir genug.

Wer aber sagte mir, daß er diese Richtung nahm? Das Testament von Winnetou.

In demselben kamen, so weit ich es gelesen hatte, drei Ausdrücke in der Sprache der Apachen vor. Den einen, Indeltsche-tschil, hatte er verstanden; Tse-schosch und Deklil-to, diese beiden waren ihm fremd. Und selbst wenn er die Bedeutung dieser Worte gekannt hätte, so wußte er doch nicht, wo dieser ›Fels des Bären‹ und dieses ›dunkle Wasser‹ zu suchen waren. Sie lagen weit drüben in der Sierra Rita, wo ich nur ein einzigesmal mit Winnetou gewesen war. Wir selbst hatten dem Felsen und dem Wasser diese Namen gegeben, die also weiter niemand mehr kannte, als ich und die beiden Apachen, welche uns damals begleitet hatten; sie waren jetzt alt und kamen nicht mehr von dem Pueblo am Rio Pecos fort. Santer mußte also zu ihnen hin.

Wer aber sagte ihm, daß er zu ihnen, grad zu ihnen mußte? Jeder Apache, den er nach dem Deklil-to und dem Tse-schosch fragte. Der ganze Stamm kannte diese Namen und wußte, was wir dort erlebt hatten; dort gewesen aber waren mit uns nur diese beiden Alten. Daß Santer sich erkundigte, war gewiß, sonst konnte er den Ort nicht finden, und diese Erkundigungen konnten nur bei den Apachen eingezogen werden, von denen jeder, dem er die Namen sagte, ihn nach dem Pueblo wies.

Aber es gab unter den Apachen welche, die ihn kannten, und zwar als Winnetous Feind, als den Mörder Intschu tschunas und Nscho-tschis! Durfte er sich da nach dem Pueblo wagen?

Warum nicht? So ein Mensch, wie er war, wagt für Gold alles. Im Notfalle gab es Ausreden. Grad das gestohlene Testament konnte ihn aus argen Verlegenheiten retten, ihm als Legitimation dienen, weil auf dem oberen Umschlage das Totem Winnetous eingeschnitten war.

Mein Plan war, eher als er nach dem Pueblo der Apachen zu kommen, diese letzteren vor ihm zu warnen und ihn bei seiner Ankunft sogleich festzunehmen. Das war das beste, was ich tun konnte, zumal mein Pferd ein tüchtiger Läufer war, so daß es mir nicht schwer werden konnte, ihn auszustechen. Dieser Plan enthob mich auch der Mühe, auf Spuren zu achten und mit dem Lesen derselben viel Zeit zu verschwenden.

Leider hatte ich das Unglück, daß mein Schimmel schon am nächsten Tage zu lahmen begann, ohne daß ich die Ursache entdecken konnte. Erst am dritten Tage bemerkte ich eine Entzündung, deren Ursache ein langer, spitzer Dorn war, den ich herauszog. Das hatte aber unser Fortkommen sehr verzögert, so daß ich annehmen mußte, nicht vorausgekommen, sondern vielmehr zurückgeblieben zu sein.

Noch hatte ich den Rio Pecos nicht erreicht und befand mich auf einer sehr grasarmen Savanne, als vor mir zwei Reiter auftauchten, welche gerade auf mich zukamen. Es waren Indianer. Weil ich ein einzelner Reiter war, scheuten sie sich nicht, ihren Weg fortzusetzen. Als wir einander näher kamen, schwang der eine von ihnen sein Gewehr, rief meinen Namen und sprengte mir im Galopp entgegen. Es war Yato-Ka, ein Apachenkrieger, den ich kannte; den Andern hatte ich noch nicht gesehen. Als wir uns begrüßt hatten, fragte ich:

»Meine Brüder befinden sich auf keinem Kriegs- oder Jagdzuge, wie ich sehe. Wo wollen sie hin?«

»Hinauf nach Norden in die Gros-Ventre-Berge, um das Grab Winnetous, unsers Häuptlings, zu ehren,« antwortete Yato-Ka.

»So wißt ihr, daß er gestorben ist?«

»Wir erfuhren es vor wenigen Tagen; da erhob sich ein großes Klagegeschrei auf allen Höhen und in allen Tälern.«

»Wissen meine Brüder, daß ich bei seinem Tode anwesend gewesen bin?«

»Ja. Old Shatterhand wird es uns erzählen und unser Anführer sein, wenn wir den Tod des berühmtesten Häuptlings der Apachen rächen.«

»Darüber sprechen wir später. Ihr Beide seid doch nicht allein aufgebrochen, um so weit nach Norden zu reiten?«

»Nein, sondern wir gehen als Kundschafter voraus, weil die Hunde der Comanchen die Beile des Krieges ausgegraben haben. Die Andern kommen eine große Strecke hinter uns her.«

»Wie viele Krieger?«

»Fünfmal zehn.«

»Wer führt sie an?«

»Til-Lata, der dazu erwählt worden ist.«

»Ich kenne ihn. Er ist der Beste, der sich dazu eignet. Habt ihr fremde Reiter gesehen?«

»Einen.«

»Wann?«

»Gestern. Es war ein Bleichgesicht, welches nach dem Tse-schosch fragte. Wir haben es nach dem Pueblo zu dem alten Inta gewiesen.«

»Uff! Diesen Mann suche ich. Er ist der Mörder von Intschu tschuna; ich will ihn fangen.«

»Uff, uff!« riefen die Beiden, ganz starr vor Schreck. »Der Mörder! Und wir wußten es nicht! Wir haben ihn nicht aufgehalten!«

»Das tut nichts. Genug, daß ihr ihn gesehen habt. Ihr könnt euern Ritt nicht fortsetzen, sondern müßt umkehren. Ich führe euch später nach den Gros-Ventre-Bergen. Kommt!«

Ich ritt weiter.

»Ja, wir kehren um,« stimmte Yato-Ka bei. »Wir müssen den Mörder haben!«

Nach einigen Stunden erreichten wir den Rio Pecos, überschritten ihn und setzten den Weg am andern Ufer desselben fort. Dabei erzählte ich den beiden Apachen von meinem Zusammentreffen mit Santer am Nugget-tsil und den weiteren Erlebnissen im Dorfe der Kiowas.

»So ist also Pida, der junge Häuptling, dem entflohenen Mörder nachgeritten?« fragte Yato-Ka.

»Ja.«

»Allein?«

»Er folgte der Kriegerschar, welche sein Vater schon vorher abgesandt hatte, und wird sie rasch eingeholt haben.«