Weihnacht!

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»Gute Nacht, lieber Urgroßvater! Willst du dich wirklich schon schlafen legen?«

»Ja, denn es ist für die Gesundheit stets besser, der Nachtwächter zu sein, der die Nachtwacht in der Vormitternacht gewacht gehabt hat, als der Nachtwächter, der die Nachtwache in der Nachmitternacht gewacht gehabt hat. Auch das kannst du dir merken!«

»Ich wollte dich nur fragen, ob ich unsers Geldes wegen die Thür verriegeln soll?«

»Thue es, oder thue es nicht; das ist ganz egal, da wir nicht wissen, ob sich hier im Zimmer oder außerhalb desselben die gefürchteten diebischen Gelüste regen werden.«

»Hast du Zündhölzer bei dir?«

»Ja, ein ganzes Päckchen und das Fläschchen dazu.«

»So lege sie dir zu Hand! Ich werde zwar zuschließen, aber man weiß nicht, ob es fest genug ist. Schläfst du rechts oder links?«

»Auf beiden Seiten, denn ich pflege mich öfters umzudrehen.«

»Ich meine, in welchem Bette du schlafen willst!«

»Jedenfalls nicht in dem, in welches du dich legen wirst.«

»Schrecklicher Mensch! Ich nehme das hier rechts.«

»Wo grad die schönsten Würste darüber hängen? Nein, mein Sohn, das nehme ich. Leg du dich in das andere; da ist der Himmel leer!«

»Höre, Sappho, ich glaube, daß du mich vor dem Diebstahle gewarnt hast, nur um ihn selbst zu begehen!«

»Das beweist, daß du mit Muhammed, der auch einen falschen Glauben gepredigt hat, auf der gleichen Stufe stehst. Nun aber laß mich ruhen! Nochmals Gutenacht!«

»Gute Nacht, edler Meergreis; Schlaf wohl!«

Ich löschte das Licht aus, setzte es auf meinen Stuhl und legte mich nieder. Als ich grad am Einschlafen war, hörte ich Carpios Stimme:

»Höre, ob sie es wohl abgeben wird?«

»Was?«

»Nun, mein Empfehlungsschreiben.«

»Ach so! Ja, wo lebt denn dein Verwandter?«

»Das weiß ich nicht.«

»Was ist er?«

»Das weiß ich nicht.«

»Wie heißt er?«

»Das weiß ich nicht.«

»Höre, lieber Freund, wenn dein Verwandter etwa nur in deiner Phantasie zu suchen ist, so war es eine Schlechtigkeit von dir, dieser armen Frau weiszumachen, daß – –«

»Schweig!« unterbrach er mich. »So ein Halunke bin ich natürlich nicht. Mein Verwandter existirt wirklich, aber nur für solche Leute, für welche ich ihn existiren lassen will.«

»Also für mich nicht?«

»Nein.«

»Für andere Mitschüler, wie ich erfahren habe, auch nicht?« »Nein.«

»Danke!«

»Bitte! Fühlst du dich etwa beleidigt?«

»Natürlich! Das nennt sich Busenfreund!«

»Hm! Sappho, ich will dir etwas sagen: Ich habe einen guten Grund, gewisse Menschen nicht über diesen meinen Verwandten aufzuklären.«

»Wer sind diese gewissen Leute?«

»Alle Personen männlichen Geschlechtes, welche ungefähr in meinem Alter stehen.«

»Warum grad dieses?«

»Das ist natürlich tiefstes Geheimnis, worüber ich ein ewiges Schweigen bewahren werde; dir aber will ich es enthüllen. Ich hoffe, daß du das für einen unanfechtbaren Beweis meiner Freundschaft halten wirst!«

»Selbstverständlich! Also – –?«

»Kein Masculinum meines Alters erfährt etwas über meinen Verwandten, weil – – weil – – hm, weil – – –«

»Nun – – weil – – –? Heraus damit!«

»Weil – – weil – – na, ich will es dir also sagen: Weil der Kerl dann hinüberfahren und sich für mich ausgeben könnte, um mich zu beerben.«

»Alle Donner! Carpio, bist du verrückt?«

»Nein. Grad dieses mein Verhalten muß dir beweisen, daß ich im Gegenteile ganz bei Sinnen, sogar ganz bei Scharfsinn bin.«

»Das bist ganz du! Bei dir wird eben alles zum Roman! Wer das thäte, was du sagtest, der wär ein Halunke!«

»Halunken giebt's genug!«

»Er müßte falsche Papiere haben!«

»Falsche Papiere giebt's genug!«

»Und ein ungeheurer Lügner sein!«

»Lügner giebt's genug!«

»Er müßte auch dich und eure Verhältnisse kennen!«

»Solche Kenner giebt's genug! Du siehst, daß du mich mit deinen Gegengründen nicht zu schlagen vermagst. Nein, nein, eine solche Erbschaft laß ich mir nicht wegschnappen! Du mußt nämlich wissen, daß mein Verwandter in einer Gegend wohnt, die ein wahres Eldorado ist!«

Aha! Das war ja der erste Blitz! Ich war überzeugt, daß er nun nicht eher einschlafen könne, als bis er auch die beiden andern Blitze losgelassen hatte.

»Hast du es gehört?« fragte er.

»Ja.«

»Ein wahres Eldorado ist es.«

»Falsch!«

»Falsch? Wieso?«

»Es muß heißen: ein wahres Dorado. El ist der Artikel.«

»Was geht mich der Artikel an, wenn nur die Sache richtig ist! Du weißt doch, was Eldorado bedeutet?«

»Ja.«

»Ein Land voll lauter Gold und Edelsteinen. Da kannst du dir denken, daß mein Verwandter Millionär ist!«

Millionär – – zweiter Blitz!

Da ich nicht antwortete, fragte er nach einer Weile:

»Schläfst du schon?«

»Nein, aber ich möchte schlafen!«

»So warte nur noch einen Augenblick! Ich muß dir nämlich sagen, daß mein Verwandter keine Verwandten hat.«

»Nicht? Wenn er dein Verwandter ist, hat er doch welche!«

»Wen denn?«

»Dich und deine Familie.«

»Ach so – – richtig! Wir sind aber auch seine einzigen Verwandten. Weißt du, was daraus folgt?«

»Nun, was?«

»Daß wir uns als seine Universalerben zu betrachten haben. Hast du das verstanden?«

Universalerben – – dritter Blitz. Jetzt waren alle drei heraus, und nun ließ er mich wahrscheinlich schlafen.

»Das habe ich verstanden,« antwortete ich. »Aber etwas anderes kann ich nicht verstehen.«

»Was?«

»Daß du mich als deinen einzigen wahren Freund betrachtest und doch gegen mich dasselbe Schweigen bewahrst wie gegen alle andern männlichen Personen deines Alters.«

»Das thue ich nur dir zuliebe.«

»Wieso?«

»Du bist ein braver, ehrlicher Kerl, und grad darum möchte ich dich vor Versuchungen bewahren.«

»Unsinn!«

»Höre, das ist kein Unsinn! Wenn in einem Eldorado ein Millionär wohnt, dessen Universalerbe man werden kann, so ist das eine so ungeheure Versuchung, daß selbst der treueste Busenfreund in Gefahr steht, ihr zu erliegen. Du bist mir lieber als alle andern Menschen, die ich kenne; aber grad diese Liebe ist der Grund, daß ich dich auch vor der kleinsten Versuchung bewahren will!«

»So bewahre mich also, und sei still. Gutenacht!«

»Schlaf wohl!«

Es verging wieder eine Weile; da fragte er:

»Bist du noch wach?«

»Nein; ich schlafe!«

»So muß ich dir doch noch eins sagen, nur noch eins. Es ist mir nämlich eben jetzt eingefallen daß – –«

»Du hast dir jetzt gar nichts mehr einfallen zu lassen!« unterbrach ich ihn. »Ich will schlafen!«

»Aber es ist ganz kurz!«

»Kurz oder nicht; das ist ganz egal! Wenn du mich nicht in Ruhe lässest, so lange ich mir einen Schinken von da oben herunter und werfe ihn dir an den Kopf!«

»Thue das, lieber Sappho! Ich hänge ihn gewiß nicht unangeschnitten wieder hinauf, denn ich habe Hunger, riesigen Hunger. Er ist gekommen wie ein gewappneter Mann und geht wie ein brüllender Löwe in meinem Bette um!«

»Ach, wenn du brüllende Löwen im Bette hast, so bin ich ja gerettet!«

»Gerettet? Wie meinst du das?«

»Da hast du so mit diesen Bestien zu thun, daß du dich nun wohl nicht mehr mit mir beschäftigen wirst.«

»Na, wenn dich ihr Gebrüll nicht aufweckt, so magst du ruhig schlafen. Ich werde dich nicht mehr molestieren!«

Er hielt Wort; ich schlief ein, wurde aber nach ungefähr einer halben Stunde wieder aufgeweckt, denn ich hörte ihn ängstlich rufen:

»Sappho, Sappho, wach auf! Wach auf, und nimm mich herunter! Schnell, schnell!«

Die Stimme kam nicht von seinem Bette, sondern aus einer andern Gegend her; es klang wie von oben herab.

»Wo bist du denn?« fragte ich.

»Ich hänge hier oben!«

»Wo denn?«

»An der Wurst. Mach nur Licht! So lange kann ich mich schon noch halten. Der Stuhl ist umgestürzt.«

Er hing an einer Wurst! Ich sagte lachend:

»Aber, Mensch, wenn man das Leben auch noch so überdrüssig hat, braucht man sich doch nicht grad an eine Wurst zu hängen!«

»Mach keine dummen Witze, sondern beeile dich, sonst reißt die Schnur; obgleich sie vierfach ist!«

»Was?« fragte ich. »Die Wurst hängt gar an einer vierfachen Schnur?«

»Die Wurst nicht, sondern ich!«

»Ist sie noch oben?«

»Ja, beide sind wir noch da! Hilf mir herunter!«

Jetzt brannte das Licht, und ich konnte die Situation überblicken. Er hing wirklich an einer Wurst, oder vielmehr nicht an, sondern neben derselben. Unter ihm lag das ausgebreitete Deckbette und auf diesem der umgefallene Stuhl.

Es muß bemerkt werden, daß das Zimmer höher als gewöhnliche Bauernstuben war und daß die meisten der eingeschraubten Haken die Stärke von Lampenhaken hatten. An einem dieser starken Haken hing die dicke Magenwurst, auf welche Carpio es abgesehen gehabt hatte; er trug zu gleicher Zeit die vierfach zusammengelegte Schnur, welche Carpio in beiden Händen hielt, während er das andere Ende sich unter der Achselhöhle durchgezogen hatte. Er hing an ihr höher, als der umgefallene Stuhl gewesen war, was ich zunächst nicht begreifen konnte. Er war übrigens kein schlechter Turner, sonst hätte er es nicht so lange, bis ich ihm zu Hilfe kam, aushalten können.

Ich nahm Kniebeuge und ließ ihn auf meiner Schulter Halt fassen, von wo er dann auf das Bett heruntersprang. Die mit herabgezogene Schnur in den Händen, warf er einen bedauernden Blick nach oben und sagte in wehmütigem Tone:

 

»Sie war die größte und verlockendste von allen; nun stehe ich wieder hier unten, und sie, sie hängt noch oben!«

»Dieb! Wurstspitzbube! Schinkenräuber! Ich habe dich gewarnt. Du konntest Hals und Beine brechen!« fuhr ich ihn sehr ernst an, obgleich ich, wie ich zu meiner Schande gestehe, innerlich lachen mußte.

»Was geht es mich an, ob mein Hals und meine Beine ganz bleiben oder nicht, da ich die traurige Gewißheit habe, daß ich diese Nacht nicht überleben werde!«

»So groß ist dein Hunger?«

»Schauderhaft! Du hast mir grad das Bett geraubt, worüber der Himmel das Aussehen einer vollgestopften Räucherkammer hatte, während über dem meinigen alles leer ist. Auf dein Bett konnte ich nicht treten, weil dich das aufgeweckt hätte; darum suchte ich mir da vorn, ehe du das Licht auslöschtest, diejenige Wurst aus, welche in Beziehung auf ihre Größe und Wohlgestalt meinem heimlichen Zwecke zu entsprechen schien. Um jedes, auch das leiseste Geräusch zu dämpfen, legte ich meine Zudecke unter, auf welche ich den Stuhl stellte. Aber das reichte, wie ich bald bemerkte, leider nicht aus, denn ich durfte die Wurst nicht abschneiden, sondern ich mußte sie empor- weil aus dem Haken heben. Eine Unterlage auf den Stuhl konnte ich im Dunkeln nicht finden, und so – – –«

»Hättest du doch ein paar Käsekuchen von dort untergelegt!« fiel ich ihm in die Rede.

»Schweig, gefühlloser Mongolenhäuptling!« antwortete er. »Durch diesen hochverräterischen Vorschlag, den ich mir übrigens merken werde, verrätst du, daß du von tungusischen oder ostjakischen Urahnen abstammst! Also – – ich konnte nicht hoch genug steigen; darum nahm ich mir vor, mich hoch genug zu ziehen. Du weißt doch, daß ich stets eine Anzahl Reiseschnuren bei mir führe?«

»Reiseschnuren! Dieser Ausdruck ist gut, sehr gut!«

»Wieso? Spottest du?«

»Nein. Ich denke dabei an ungarische, russische und andere Pferdediebe, welche auf ihre Reisen Halfter mitzunehmen pflegen, in denen dann, ehe man die Hand umdrehe, fremde Pferde zu stecken pflegen. Also wie war es mit deinen Reiseschnuren, die eigentlich heimliche oder verkappte Wurstschnuren zu sein scheinen?«

»Ich legte sie, damit sie mich halten könnten, vierfach zusammen, band mir das Ende unter der Achsel fest, weil man da am wenigsten empfindlich ist, wie z.B. das Turnen an den Schwingen beweist. Dann stieg ich wieder auf den Stuhl und warf die vierfache Schnur so in die Höhe, daß sie sich in den Haken fing.«

»Ein Kunststück ohne Licht!«

»Es gelang freilich nur nach wiederholtem Versuche. Ich hing also an der Achsel, und die Schnuren liefen oben über den Haken. Indem ich sie um die eine Hand wickelte und mit der andern weiter- und höhergriff, konnte ich mich emporziehen und dann die Wurst aus dem Haken heben. Ich zog und zog; es ging, denn ich half unten dadurch nach, daß ich den Fuß auf die Querleiste der Stuhllehne setzte. Dabei aber stieß ich den Stuhl um; die Nachhilfe fehlte nun, und ich kam nicht weiter; ich mußte dich um Hilfe rufen.«

»Das war nicht notwendig.«

»O doch!«

»Nein. Du brauchtest doch nur die Schnur fahren zu lassen und herunterzuspringen!«

»Kann man eine fest um die Hand gewickelte Schnur, an welcher man hängt, so leicht fahren lassen? Übrigens konnte ich nicht sehen, wo der Stuhl lag; ich konnte mir, auf ihn fallend, Schaden thun. Nein, ich mußte dich rufen. Schau meine Hand! Sieh diese blauen Streifen! Wärst du nicht gleich erwacht, so hätte die Schnur das Fleisch bis auf den Knochen durchschnitten!«

Er hatte recht; ich zog es aber vor, ihm ohne Bedauern zu sagen:

»Das hast du verdient! Ein Pferdedieb wird in Amerika am Halse, ein Wurstdieb in Böhmen aber an der Achsel und den Händen aufgehängt! Und, Mensch, sag, wie hast du dir das denn eigentlich gedacht? Der Wirt oder seine Frau hätte morgen früh doch gleich mit dem ersten Blicke gesehen, daß grad ihre schönste Wurst den Weg aller Würste – –«

»Nichts hätten sie gesehen, gar nichts!« fiel er schnell ein.

»Du wolltest ein Stück abschneiden?«

»Nein.«

»Sie ganz aufessen?«

»Nein, obgleich mein Hunger so groß ist, daß ich mich anheischig mache, zwei oder auch drei solche Magenwürste verschwinden zu lassen.«

»Nicht abschneiden, aber auch nicht ganz verzehren? Ein drittes ist doch gar nicht möglich!«

»Für ein so harmloses und wohlgenährtes Wickelkind, wie du bist, freilich nicht. Aber der hungrige Löwe, welcher vorhin in meinem Bette brüllte, macht erfinderisch. Ich hatte mir das ganz schön ausgedacht. Sieh die Wurst an! Sie ist nach allen Seiten mit einer Schnur umwickelt, jedenfalls deshalb, daß sie beim Kochen im Wurstkessel nicht zerplatzen sollte. Meinst du nicht auch?«

»Meinetwegen! Ich halte dieses Problem nicht für hoch und würdig genug, in einer so wichtigen Stunde, wie die jetzige ist, meine Gedanken zu beschäftigen. Lassen wir die Schnur also drumgewickelt! Übrigens sind wir jetzt in Österreich, da heißt es nicht Schnur, sondern Spagat.«

»Schön, also Spagat! Ich wollte diesen Spagat vorsichtig heruntermachen und dann einen Triangel in die Wursthaut schneiden, vorsichtig, unendlich vorsichtig natürlich. Diese Hautdreiecke hätte ich geöffnet und dann aus dem Innern der Wurst soviel herausgeholt, wie nötig war, den Löwen zu füttern, der meinen Magen jetzt als Raubtierkäfig benutzt. Wenn er dann satt war, wollte ich – – hm!«

»Was wolltest du? Heraus damit!«

»Lieber Mongole, du siehst doch ein, daß die Wursthaut wieder gefüllt werden mußte?«

»Natürlich mußte sie das! Aber womit? Ich bin neugierig, was du dazu nehmen wolltest.«

»Ja, diese Frage war freilich schlimmer als die orientalische. Dir durfte ich mich nicht anvertrauen; etwas Eßbares, was ich erreichen konnte, gab es nicht als nur die Kuchen dort. Hätte ich ein Stück abgeschnitten und in die Wurst gestopft, so wäre die Lücke bemerkt worden. Nicht?«

»Ja. Die Kuchen sind leider alle ganz; es ist keiner von ihnen angeschnitten.«

»Das ist ja die Sache, die mir Schmerzen macht!« sagte er grimmig; dann fügte er in vertraulichem Tone hinzu: »Weißt du, Sappho, wer sich über die Kuchen machen will, der muß gleich einen ganzen essen; das wird nicht so leicht entdeckt, als wenn man ein Stück herausschneidet!«

»Du, Carpio, du hast doch nicht etwa in dieser Beziehung Gedanken, die mir schrecklich wären?!«

»Fällt mir gar nicht ein! Ich bin ein Ehrenmann; das weißt du doch!«

»Ja, ein Ehrenmann, welcher Triangel in die Würste schneidet! Also womit wolltest du sie füllen?«

»Mit – – mit – – ich habe nämlich bemerkt, daß mein Kopfkissen ein Loch hat. Am Inlet scheint eine Naht aufgegangen zu sein, denn die Federn kommen unten aus dem Überzug heraus. Ahnst du es nun, Sappho?«

»Carpio, Mensch, Wurst- und Federdieb! Welch ein Gedanke! Du hast die Wurst mit Bettfedern ausstopfen wollen?«

»Ja, mit Bettfedern,« antwortete er, ich weiß nicht mehr, ob kleinlaut oder triumphierend.

»Welch verderbte, lasterhafte Welt! Ich sage dir, daß dieser dein Gedanke von einer Bosheit ist, die mich geradezu schaudern läßt! Ich sehe im Geiste den guten Franzl mit seiner Frau am Tische sitzen und die Magenwurst anschneiden. Da quellen Federn heraus! Welche Gesichter! Welch ein Aufwand an Geist und Scharfsinn, um dem Wunder, daß ein Schwein keine Borsten, sondern Federn hat, auf die Spur zu kommen!«

»Sie hätten die Lösung des Rätsels, nämlich das hineingeschnittene Triangel bald gefunden, aber wohl schwerlich die Schuld auf uns geworfen.«

»Auf uns! Das ist es ja, was mich so sehr empört, nämlich, daß ich, der Unschuldige, bei der Entdeckung auch in die Gefahr käme, als Dieb betrachtet zu werden!«

»Beruhige dich, hochverehrter Busenfreund! Dein sittlicher und strafrechtlicher Widerwille ist nur deshalb so groß, weil du keinen Hunger hast! Also ich hätte die Federn in die Wurst gestopft, die Haut an den Triangelschnitten etwas übereinander gelegt und dann die Schnur wieder darumgewickelt. Hing sie dann oben an ihrem heimatlichen Haken, so wäre beim hellsten Tageslichte nicht zu sehen gewesen, daß ich bei nachtschlafender Zeit allhier die Fütterung meines Löwen vorgenommen habe. Leider ist nichts daraus geworden, und es bleibt ihm nichts anderes übrig, als weiterzuhungern!«

»Es ist schon drei Uhr nachts; du wirst es bis zum Kaffee aushalten müssen und wohl auch können. Hättest du es Franzl noch vor dem Schlafengehen gesagt, so lägst du jetzt als gesättigter und zufriedener Bürger in den Armen des Schlafes der Gerechten. So aber wirst du unter den Geißelhieben der Furien nicht einschlafen können bis zum Grauen des Morgens, welche Bezeichnung heute doppelt richtig ist, weil es ihm vor dir graut!«

»Ich wollte, diese Hiebe bekämst du! Ich verzichte auf deine Furien, denn ich habe an meinem Hunger genug. Komm, wollen uns wieder niederlegen!«

»Ja, stecke deine berühmten Reiseschnuren ein; laß den Stuhl auf seinen eigenen Füßen stehen, und leg das Bett dahin, wohin es gehört. Und das sage ich dir noch: Wenn du mich wieder wecken solltest, um dich vom Haken herunterzuholen, so lasse ich dich hängen und gehe an meinem Wanderstabe ohne deine hungrige Begleitung weiter!«

Ich blies das Licht wieder aus und kehrte zu Morpheus zurück, dem mich der Busenfreund so rücksichtslos entrissen hatte. Als ich erwachte, war es zehn Uhr vormittags. Carpio lag mit offenen Augen im Bette; er stöhnte leise vor sich hin und war vor Hunger bleich wie Konzeptpapier.

»Aber, Carpio, was liegst du noch?« fragte ich erstaunt. »Du scheinst schon längst wach zu sein? Warum bist du bei deinem Hunger nicht aufgestanden und hinuntergegangen, um zu essen?«

Er holte tief, tief Atem und seufzte:

»Ich – – ich – – habe keinen Appetit!«

Diese ganz und gar unerwartete Antwort veranlaßte mich, sofort aufzuspringen, um sämtliche Räuchersachen einer gründlichen Ocular-Inspektion zu unterwerfen. Ich fand nichts, was meinen Verdacht bestätigte.

»Du denkst wohl, ich bin noch einmal aufgestanden und habe mich mit den Sachen da oben beschäftigt?« fragte er mich in müdem Tone. »Ist mir nicht eingefallen! Ich sage dir, Sappho, der Geruch dieser Würste und Schinken ist mir jetzt zuwider!«

»Wirklich?« fragte ich erstaunt.

»Ja. Auf Ehrenwort, ich könnte keinen einzigen Bissen davon essen!«

»Das begreife ich nicht.«

»Weil du meine Konstitution nicht kennst. Weißt du denn nicht, daß es Menschen giebt, welche, wenn sie den Hunger einmal übergangen haben, dann für lange Zeit nicht imstande sind, auch nur die geringste Kleinigkeit zu genießen? Sie sind ganz satt, wie vollgestopft.«

»Mit Bettfedern?«

»Mach keinen dummen Witz! Zu diesen Vollgestopften gehöre ich auch. Daß ich heute nacht den Hunger übergehen mußte, wird mir gar nicht gut bekommen; glaube mir, ich bin innerlich wie zugeleimt! Wer weiß, welche lange Zeit vergehen wird, bis ich etwas essen kann. Mein Leib ist ganz hart; ich kann kaum Atem holen!«

»Das sind aber doch Symptome des strikten Gegenteiles vom Hunger!«

»Das verstehst du nicht. Es sind die Symptome eines sehr stark übergangenen Hungers!«

»Aber ich habe doch schon ziemlich oft gehungert, doch davon nie einen solchen Leib und Atembeschwerden gehabt wie du!«

»Das kommt davon, daß deine Konstitution eine ganz andere Struktur hat als die meinige. Mein Hunger ist ein Löwe, der deinige ein Rhinoceros, also zwei Tiere, welche zu ganz verschiedenen Klassen gehören. Ich habe jetzt – –«

Er wurde unterbrochen, denn Franzl klopfte an die Thür und forderte uns auf, nun endlich doch hinunterzukommen, sonst werde der Kaffee so dick wie Pflaumenmus.

»Ich bliebe am liebsten liegen,« seufzte mein Busenfreund. »Es liegt mir wie Blei in den Gliedern. Komm, zieh mich in die Höhe!«

Ich that das. Er sah wirklich ganz elend aus. Seine Wangen waren jetzt aschfahl und eingefallen; die Augen hatten einen stieren, wie abwesenden Blick.

»Du, Carpio, wollen doch zu einem Arzt gehen,« schlug ich vor. »Das kann unmöglich vom übergangenen Hunger sein; das sieht vielmehr ganz so aus, als ob eine Krankheit im Anzuge sei!«

»Unsinn!« lächelte er matt. »Den Anzug zieh ich selber an; da lasse ich keine Krankheit hinein.«

»Na, wenn du noch imstande bist, solche lebensgefährliche Witze loszulassen, dann darf man ja alle Hoffnung haben, daß du noch nicht ganz tot bist!«

 

»Es wird schon wieder werden; ich kenne mich. Hilf mir nur, ich kann mich nicht gut bücken!«

Ich war schnell mit mir fertig; bei ihm aber ging es außerordentlich langsam; es war, als ob er sich gar nicht mehr drehen und wenden könne. So schwerfällig und apathisch wie heute hatte ich ihn noch nie gesehen. Auch die Treppe hinunter ging es so langsam mit ihm, als ob ihm die Kniegelenke eingefroren seien.

Unser Franzl saß mit der Wirtin im Gastzimmer beim zweiten Frühstücke. Sie blühte wie eine Rose und begrüßte uns mit einer Freundlichkeit, welche bewies, daß ihr die uns bewiesene Gastfreundschaft aus dem Herzen kam. Von Abreise durften wir gar nicht sprechen. Wir erfuhren, daß Franzl per Schlitten nach Maria Kulm müsse, und beide hielten es für ganz selbstverständlich, daß wir mitzufahren hätten. Es fiel uns auch gar nicht ein, eine Einwendung dagegen zu machen. Was gern gegeben wird, nimmt man gern an, und wir freuten uns, den berühmten Wallfahrtsort kennen zu lernen.

Mein kranker Busenfreund war leider nicht imstande, dieser Freude einen so lebhaften Ausdruck zu geben wie ich. Er trank nur einen einzigen Schluck Kaffee und nahm keinen Bissen zu sich. Franzl beobachtete ihn unter wiederholtem Kopfschütteln; er wollte nicht glauben, daß ein übergangener Heißhunger den Appetit mit solcher Gründlichkeit verderben könne.

Natürlich erkundigte ich mich nach den drei Fremden von gestern abend.

»Undankbare Gesellschaft!« antwortete die Wirtin kurz.

Auf mein Warum erklärte Franzl:

»Die sind schon fort, ehe wir aufgestanden waren; der Knecht hat sie hinauslassen müssen.«

»Also doch, wie ich dachte! Ich habe es Ihnen gestern vorausgesagt, als die Frau nicht mit Gutenacht, sondern mit Lebewohl grüßte.«

»Warten Sie nur; die Hauptsache kommt erst noch: Als meine Frau in der Stube, wo sie übernachteten, nachsah, lagen die geschenkten Kleidungsstücke, der Kuchen, die Wurst und sogar meine fünf Gulden auf dem Tisch. Sie haben das alles nicht mitnehmen wollen.«

»Fünf Gulden? Nicht sechs?«

»Nur meine fünf; den Ihrigen haben sie behalten. Was sagen Sie zu so einer Undankbarkeit und Schlechtigkeit?!«

Ich war damals noch sehr jung und durfte von Menschenkenntnis nicht sprechen; aber dennoch kam mir der Gedanke, daß ich an Stelle der Frau wahrscheinlich nicht anders gehandelt hätte als sie. Es war Stolz, ob Bettelstolz oder – –? Ich hütete mich natürlich, meine Meinung zu äußern, mußte aber während des ganzen Tages an die armen Menschen denken und an die tiefe Wirkung, welche das Gedicht auf den Greis hervorgebracht hatte. Am liebsten wäre ich ihnen nachgegangen, um ihnen zu sagen, wie sehr sie mir durch die Zurücklassung der Geschenke imponiert hatten. Bei ihrer traurigen Lage war diese Verzichtung ein Opfer, dessen Größe unsere Gastfreunde leider nicht begriffen.

Wir saßen bis Mittag mit Franzl allein zusammen, weil seine Frau das Essen zu bereiten und auch sonst in der Wirtschaft zu thun hatte. Einmal rief sie ihn in die Küche. Wir hörten sie draußen laut und herzlich lachen, und als er dann wiederkam, kniff er das eine Auge zusammen, was ihm einen außerordentlich gutmütig pfiffigen Ausdruck verlieh, und fragte mich:

»Heut giebt's Kartoffelklöße, so groß wie mein Kopf; das stopft! Essen Sie mit?«

»Natürlich, denn die sind mein Leibessen!« antwortete ich.

»Und Sie?«

Er richtete diese Frage offenbar mit größerer Spannung an Carpio, welcher sich schüttelte und dann antwortete:

»Sappho mag nur nicht von Leibessen reden, denn er hat lauter Leibessen; alles, was gegessen werden kann, ist sein Leibessen! Aber ich, mit meinem zarten Magen! Klöße! Brrr! Das schüttelt mich förmlich!«

»Ja ja, Klöße!« nickte jetzt der Franzl mit komischem Ernste vor sich hin. »Aber könnten Sie Quark mit Kartoffeln essen?«

»Quark? Keine Spur! Keine Messerspitze! Ich müßte hinaus, müßte ausreißen!«

»Schaun Sie an! Aber früher konnten Sie Quark essen?«

Ich wußte nicht, warum er so fragte, und antwortete schnell an Carpios Stelle:

»Gleich mit Löffeln hätte er ihn gegessen! Noch vorgestern haben wir welchen gehabt!«

»Schau, schau! Da muß ein übergangener Hunger freilich eine schlimme Sache sein. Ich habe das noch nicht erlebt und mag's auch gar nicht kennen lernen.«

Ich fühlte es wohl heraus, daß diese Worte irgend eine besondere Bedeutung hatten, fand aber keine Zeit, nach ihr zu forschen, weil er gleich von etwas anderem zu sprechen anfing.

Die Klöße mundeten mir vortrefflich; Carpio aber setzte sich gleich gar nicht mit an den Tisch. Er erklärte, seinen Heißhunger nur durch die allerstrengste Diät wieder herstellen zu können: Similia similibus curantur, Ähnliches mit Ähnlichem, Gleiches mit Gleichem, Hunger mit Hunger!

Gleich nach Tische begann die Schlittenfahrt, welche mir große Freude machte. Ich wußte, daß es auch für Carpio kein größeres Vergnügen geben konnte als so eine Schlittenpartie, und bedauerte es herzlich, daß sein Unwohlsein ihn hinderte, dieses Vergnügen so vollauf wie ich zu genießen. Franzl aber, der doch sonst so menschenfreundliche Mann, schien das Leiden seines Gastes mehr ironisch als tragisch zu nehmen, was den Busenfreund so verstimmte, daß er zuletzt kein Wort mehr sprach und nur kurz erklärte, daß er sich nach der Heimkehr sofort schlafen legen werde.

Das ging aber doch nicht so schnell, wie er gedacht hatte, obgleich wir so spät ankamen, daß schon alle Gäste fortgegangen waren. Die Wirtin sagte uns nämlich, daß sie unter dem Kopfkissen des Bettes, in welchem die fremde Frau geschlafen hatte, etwas Wichtiges gefunden habe, und gab es ihrem Manne. Wir sahen sogleich, daß es das Couvert mit den Schiffskarten war. Dieser Verlust konnte unschwer erklärt werden: Sie hatte dem Wirte den Paß vorzeigen müssen und ihn dann wieder in ihr Tuch gewickelt. Später war uns von ihr das Couvert gezeigt worden, welches sie dann jedenfalls nicht so sorgfältig wie vorher den Paß eingeschlagen hatte. Beim Schlafengehen war sie so vorsichtig gewesen, das Tuch mit den beiden wichtigen Gegenständen unter ihr Kopfkissen zu legen. Dabei oder während ihrer Bewegungen im Schlafe oder vielleicht auch erst früh beim Wegnehmen des Tuches war das Couvert herausgerutscht und unter dem Kissen liegen geblieben.

Jetzt wußte der Wirt nicht, was er mit dem Fundgegenstande anfangen sollte, während ich sofort im stillen entschlossen war, ihn der Eigentümerin zuzustellen.

»Ich werde das Couvert morgen früh der Polizei übergeben,« meinte er.

»Nein, das werden Sie nicht,« sagte ich.

»Warum nicht?«

»Weil es so blutarmen Leuten, welche von der Mildthätigkeit anderer leben müssen, jedenfalls sehr unangenehm ist, wenn sie mit der Polizei auch nur in Berührung kommen müssen. Man würde sie nach allem ausfragen, und das Ergebnis könnte sein, daß sie als Landstreicher eingesperrt und dann per Schub nach ihrer Heimat transportiert würden, wohin sie, wie wir wissen, nicht wieder wollen.«

»Sie sind wohl auch weiter nichts als Landstreicher!«

»Nein, sie sind brave, unglückliche Menschen, deren Not man nicht noch vergrößern darf.«

»Aber was soll ich sonst thun? Das Couvert mit der Post nach Graslitz schicken, denn dorthin wollten sie?«

»Das geht auch nicht an, denn Sie kennen ihre dortige Adresse nicht, und die Karten dürfen nicht allen möglichen Zufällen oder gar der Gefahr ausgesetzt werden, verloren zu gehen.«

»Aber nach Graslitz müssen sie doch!«

»Allerdings. Ich schlage vor, sie sicheren Leuten anzuvertrauen, welche nach diesem Orte gehen und Frau Wagner dort aufsuchen werden.«

»Das würde allerdings das Klügste und Sicherste sein; aber ich weiß keinen Menschen, der grad jetzt die Absicht hat, nach Graslitz zu gehen. Und warten, bis irgend jemand zufällig auf diesen Gedanken kommt, dazu giebt es keine Zeit, denn diese Angelegenheit ist eilig.«

»Wenn Sie nicht, so kenne ich zwei Personen, welche bereit sind, diesen Botengang zu übernehmen.«

»Sie? Wer ist das?«

»Ich und Carpio.«

»Sie selbst? Sie wollen nach Graslitz? Ich denke, Ihr Weg führt Sie nach Karlsbad und weiterhin?«

»Wir haben eigentlich gar keine festgestellte Tour. Wir wandern, um zu wandern, ohne eigentliches Ziel. Das einzige, was wir dabei zu beachten haben, ist, daß bei uns der Unterricht am siebenten Januar wieder beginnt; da müssen wir daheim sein. Ob wir nach Karlsbad oder nach Graslitz gehen, ist gleichgültig.«