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Satan und Ischariot II

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Drittes Kapitel: Ein Millionaer

Ehe ich weiter erzähle, muß ich auf ein früheres Ereignis zurückgreifen. Ich kehrte vor längerer Zeit von einer Reise nach Südamerika zurück, landete nach glücklicher Seefahrt in Bremerhaven und stieg in dem weitbekannten »Löhrs Hotel« ab, um dort meine mitgebrachten Effekten für den Bahntransport umzupacken.

Beim Diner saß ein junger, vielleicht sechsundzwanzigjähriger Herr mir gegenüber, welcher sich mit keinem Worte an dem allgemeinen Gespräch beteiligte und dafür mir eine zwar stille, aber desto anhaltendere Aufmerksamkeit zu widmen schien. Er sah mich wiederholt prüfend an und senkte in den Zwischenpausen den Blick auf seinen Teller. Er dachte nach, schien aber mit mir oder über mich nicht ins reine zu kommen. Mir war es ganz so, als ob ich ihn schon einmal gesehen hätte, doch konnte das nur sehr vorübergehend gewesen sein, da ich mich seiner nicht deutlich zu erinnern vermochte. Endlich, beim Dessert, sah ich sein Auge hell werden; er nahm eine zufriedene Miene an und schien nun zu wissen, wohin in seiner Erinnerung ich gehörte. Dadurch wurde aber die Aufmerksamkeit, welche er mir schenkte, keines- keineswegs vermindert. Sein Blick blieb an mir und an jeder Bewegung, welche ich machte, hängen.

Nach der Tafel setzte ich mich allein an einen kleinen Fenstertisch, um dort den Kaffee zu mir zu nehmen. Er spazierte im Speisesaale auf und ab. Ich merkte ihm an, daß er gern mit mir sprechen wollte und mit sich zu Rate ging, wie er das anzufangen habe. Endlich drehte er sich entschlossen um, kam auf mich zu und sagte unter einer Verbeugung, welche weniger gewandt als gut gemeint war:

»Verzeihung, mein Herr! Haben wir uns nicht schon einmal gesehen?«

»Wohl möglich,« antwortete ich, indem ich aufstand, um seine Verbeugung zu erwidern. »Vielleicht erinnern Sie sich besser als ich des Ortes, an welchem das geschehen ist.«

»Drüben in den Vereinigten Staaten. Ich glaube, es ist auf dem Wege von Hamilton nach Belmont in Nevada gewesen. Sind diese Städte Ihnen bekannt?«

»Allerdings. Wann soll das gewesen sein?«

»Vor ungefähr vier Jahren. Wir waren eine Gesellschaft von Goldgräbern, befanden uns auf der Flucht vor einer Horde von Navajos und hatten uns dabei so gründlich verirrt, daß wir uns in dem Gebirge nicht mehr zurechtfinden konnten und sehr wahrscheinlich zu Grunde gegangen wären, wenn wir nicht ganz zufälliger- und für uns so glücklicherweise Winnetou getroffen hätten.«

»Ah, Winnetou!«

»So kennen Sie diesen berühmten Häuptling der Apatschen?«

»Ein wenig.«

»Ein wenig nur? Wenn Sie der Herr sind, für den ich Sie halte, müssen Sie ihn viel besser als nur ein wenig kennen. Er war damals nach dem Mariposa-See unterwegs, wo er mit einem Freunde oder vielmehr mit seinem besten Freunde zusammentreffen wollte, und erlaubte uns, mit ihm zu gehen, da wir jetzt entschlossen waren, uns über die Sierra Nevada nach Kalifornien zu wenden. Wir erreichten den See glücklich und trafen dort andere Weiße, denen wir uns nun anschließen konnten. Am letzten Tage vor unserm Weiterritte kam der Freund Winnetous. Beide wollten hinauf nach den Big Trees, um dort zu jagen, und verließen uns schon vor Anbruch des nächsten Morgens. So kam es, daß Sie nur einige kurze Stunden mit uns am Lagerfeuer saßen und sich mein Gesicht nicht genau gemerkt haben.«

»Ich?« fragte ich, indem ich mich erstaunt stellte.

»Nun ja, Sie! Oder sind Sie nicht der Freund Winnetous gewesen? Sie trugen damals allerdings einen ganz andern Anzug als heute. Das ist auch der Grund, weshalb ich mich vorhin nicht so schnell erinnern konnte. Jetzt aber möchte ich behaupten, daß Sie der Bekannte des Apatschen sind.«

»Wie hieß denn der Mann, für den Sie mich halten?«

»Old Shatterhand. Habe ich mich geirrt, so verzeihen Sie die Störung!«

»Sie stören mich nicht; ich erlaube mir im Gegenteile die Frage, ob Sie nach Tisch Kaffee trinken?«

»Ich stand im Begriff, mir eine Tasse zu bestellen.«

»So bitte ich, ihn hier bei mir zu sich zu nehmen. Setzen Sie sich!«

Er folgte der Aufforderung, bekam den Kaffee, nahm einen Schluck und meinte dann:

»Es ist sehr freundlich von Ihnen, mich zu sich hier einzuladen; weniger freundlich aber ist es, mich in Ungewißheit zu lassen.«

»Na, dann will ich Ihr Gemüt beruhigen, indem ich Ihnen sage, daß Sie sich nicht geirrt haben.«

»Ah! So sind Sie also doch Old Shatterhand?«

»Ich bin‘s. Aber schreien Sie doch nicht so! Es wird die Herren, welche sich hier befinden, weniger interessieren, wer ich bin und wie ich da drüben im Westen genannt werde.«

»Es war die Freude, welche mich so laut machte. Sie können sich doch denken, daß ich ganz entzückt darüber bin, hier hüben mit einem so – —«

»Still!« unterbrach ich ihn. »Hier hüben in dem Meere von Civilisierten bin ich ein Tropfen, welcher verschwindet. Da lesen Sie meinen eigentlichen Namen!«

Wir wechselten unsere Karten. Auf der seinigen stand »Konrad Werner«. Als ich diesen Namen las, bemerkte ich, daß er mich dabei anblickte, als ob er erwarte, daß ich denselben kennen oder gar mich überrascht zeigen werde. Da aber diese Erwartung sich nicht erfüllte, fragte er:

»Haben Sie den Namen vielleicht schon einmal gehört?«

»Wahrscheinlich schon vielemale, denn der Werners giebt‘s in Deutschland wohl nicht wenige.«

»Ich meine drüben, drüben!«

»Hm! Nicht daß ich wüßte. Es ist aber anzunehmen, daß ich ihn damals aus Ihrem Munde gehört habe.«

»Natürlich habe ich Ihnen gesagt, wie ich heiße, denn wir alle nannten unsere Namen. Aber ich meine es anders. Der Name Werner, Konrad Werner, wird jetzt drüben viel genannt. Wollen Sie nicht die Güte haben, einmal an Oil-Swamp zu denken!«

»Oil-Swamp? Hm! Es ist mir allerdings so, als ob ich den Namen, und zwar in besonderer Beziehung, gehört hätte. Ist‘s ein Ort oder ein Sumpf?«

»Es war ein Sumpf, ist aber jetzt ein Ort, ein vielgenannter Ort. Ich weiß, daß Sie den Westen kennen wie nur wenige, und bin daher einigermaßen erstaunt, daß der Name Ihnen unbekannt ist.«

»Das hat seine guten Gründe. Seit wann spricht man denn von ihm?«

»Seit fast zwei Jahren.«

»Gerade solange bin ich in Südamerika gewesen, und zwar in Gegenden, wohin Frau Fama gar nicht oder nur sehr spät zu kommen pflegt. Halten Sie mich also wenigstens nicht ganz und gar für einen Tungusen oder Kalmücken!«

»O nein! Es freut mich desto mehr, Ihnen heute hier sagen zu können, was aus dem hilflosen Menschen, der ich damals war, geworden ist, denken Sie, ein Oelprinz!«

»Sie sind des Teufels! Ein Oelprinz? Dann muß ich Ihnen herzlich gratulieren!«

»Danke! Ja, ein Oelprinz bin ich jetzt. Daß ich ein solches Glück finden würde, dachte ich freilich nicht, als wir mit Ihnen und Winnetou beisammen waren. Eigentlich habe ich es dem Apatschen zu verdanken, denn er war es, der uns die Idee eingab, uns aus Nevada fortzumachen und nach Kalifornien zu gehen. Dieser gute Rat hat mich zum Millionär gemacht.«

»Wenn Sie das wirklich sind, so bitte ich Sie, nicht bös darüber zu sein!«

»Nein, nein!« lachte er. »Wenn Sie wüßten, wer und was ich früher gewesen bin, so würden Sie auch wissen, wie überflüssig diese Ihre Bitte ist.«

»Nun, was waren Sie denn?«

»Ein Luftikus, ein Taugenichts!«

»Das sieht man Ihnen freilich nicht an!«

»Weil ich jetzt keiner mehr bin. Ich wurde im Armenhause geboren, war also ein Armenhäusler und befand mich auf dem richtigen Wege, ein Zuchthäusler zu werden.«

»Was Sie sagen! Wenn das so ist, so haben Sie jedenfalls mit diesen Erinnerungen gebrochen und es ist besser, darüber zu schweigen.«

»Es würde mir auch gar nicht einfallen, einem andern etwas darüber zu sagen, aber da Sie derjenige sind, der Sie eben sind, so will mir gern das Herz aufgehen. Sie sind ein Deutscher. Vielleicht ist Ihnen die Gegend bekannt, aus welcher ich stamme.«

Er nannte ein kleines erzgebirgisches Städtchen.

»Kenne ich ganz gut,« antwortete ich. »Bin früher einigemal dagewesen. «

»So werden Sie auch die armen Verhältnisse kennen, welche dort herrschen, oder doch geherrscht haben. Jetzt ist‘s vielleicht anders und besser geworden; damals aber that der Staat weniger, als er jetzt thut, und die Gemeinden waren auf sich selbst angewiesen. Denken Sie sich eine blutarme Bürgerschaft und dazu ein Armenhaus mit noch viel ärmeren Insassen! Diese waren wahrhaftig meist nur auf das angewiesen, was sie sich auf den umliegenden Dörfern erbettelten. Einige ungekochte Kartoffeln, einige Schnitte trockenes Brot, ein Stückchen harter Käse, das war es, was sie von den Bettelgängen heimbrachten. Klug waren die, welche sich davon ein Mahl bereiteten. Meine Mutter aber war leider nicht so klug.«

»Ihre Mutter? Die lebte auch im Armenhause?«

»Ja. Ich sagte Ihnen ja, daß ich in demselben geboren sei. Als ich nur ein paar Wochen zählte, trug sie mich auch schon auf den Dörfern herum; später schleppte sie mich neben sich her. Das erweckte Mitleid, denn ich ging, ebenso wie sie, in Lumpen und wurde von ihr fürs Betteln förmlich angelernt und einstudiert. Besonders streng sah sie darauf, daß ich, wenn wir ein Haus betraten oder auf der Straße jemand begegneten, vor Kälte oder Hunger wimmerte. Um dies zu können, brauchte ich mich freilich nicht zu verstellen, denn für einen tüchtigen und fortwährenden Hunger war stets gesorgt. Sie aß nämlich fast gar nicht und gab mir so wenig wie möglich. Was sie von mitleidigen Menschen bekam, wurde verkauft. Es gab Leute, welche gern bereit waren, für das eingebettelte Brot einige Pfennige zu geben. Von diesem Gelde kaufte sie sich Branntwein, der ihr über alles ging und auch über ihr Kind.«

»Das sind ja schreckliche Verhältnisse! Ich meine, wir schweigen lieber darüber. Nicht?«

»Nein! Wenn ich Ihnen solche Dinge von meiner Mutter erzähle, so dürfen Sie mich dennoch nicht für einen schlechten Menschen halten. Es geschieht nur, um den Gegensatz zwischen jetzt und damals deutlicher zu machen. Meine Mutter galt als rettungslos verloren, und ich wurde auf ihrem bergab führenden Wege fortgeschleppt, bis ich von Gemeinde wegen gezwungen wurde, bei einem Schuhmacher in die Lehre zu treten. Der Mann war nur ein Flickschuster, denn ein besserer Meister wollte mich nicht zu sich nehmen. Da bekam ich wenig zu essen und dazu der bessern Verdauung halber den Knieriem über den Rücken gezogen. Sie können sich denken, daß mir das nicht behagte; ich entfloh zu verschiedenenmalen, strich bettelnd umher, wurde aber immer wieder eingefangen und zurückgebracht. Das jedesmalige

 

Willkommen können Sie sich auch denken! So vergingen zwei Jahre; ich lernte nichts und wurde immer nichtsnutziger. Eines schönen Weihnachtsabends bescherte der Meister seiner Familie. Er war ein armer Teufel und konnte nur wenig geben; aber jedes Kind bekam doch eine Kleinigkeit; das Allerwenigste wurde mir beschert, nämlich nichts. Als ich das nicht gelten lassen wollte, ging die Bescherung freilich los, und zwar mit dem Knieriem. Der Mann schlug mich so, wie er mich noch nie geschlagen hatte, und dann mußte ich mich mit blutrünstigem Rücken hinauf auf den kalten Dachboden legen, wo meine Schlafstatt war – ein Bündchen Stroh, welches nur noch Häckerling genannt werden konnte; eine Decke gab es auch nicht!«

»Und jetzt Oelprinz? Das ist freilich ein Unterschied!«

»Ein gewaltiger. Aber es liegen auch viele Leidensjahre dazwischen! Als ich da oben lag, der Hunger an mir nagte und die Kälte mich schüttelte, nahm ich mir vor, wieder auszureißen, und zwar soweit, daß man mich gar nicht wiederfinden könne. Ich schlich mich also leise hinab, zum Hause hinaus, um die Stadt herum und stampfte dann im tiefen Schnee und bei schrecklichem Gestöber dem Ziele, welches ich mir in den Kopf gesetzt hatte, entgegen.«

»Welches war das?«

»Natürlich Amerika!«

»Welche Tollheit!«

»Ja, es war toll; aber was verstand ich denn davon? Ich glaubte, man brauche, um nach Amerika zu kommen, nur so fort und fort zu laufen. Ich hatte gehört, daß man dort reich werden könne, und reich, steinreich wollte ich werden. Dann wollte ich heimkehren und den Meister blamieren, schrecklich blamieren. Ich wußte, daß er nur altes Schuhwerk zusammenflicken konnte, und wollte mir dann aber ein Paar funkelnagelneue Stiefel bei ihm bestellen; das sollte meine Rache sein. Die verdorbenen Stiefel wollte ich ihm mitsamt dem Gelde an den Kopf werfen und dann stolz nach Amerika zurückkehren.«

»Nun, das können Sie jetzt thun!«

»Ja, ich werde es thun; ich werde mich rächen, aber in anderer Weise. Wenn der arme Mann noch lebt, werde ich ihm unter die Arme greifen. Er soll für jeden Hieb, den ich von ihm erhalten habe – und Sie können sich darauf verlassen, daß es nicht wenige sind eine Mark oder meinetwegen einen ganzen Thaler erhalten.«

»Das laß ich mir gefallen, und ich wünsche herzlich, daß er noch lebt. Ihre Geschichte beginnt, mich zu interessieren; der Anfang aber wollte mich abstoßen.«

»Die nächste Fortsetzung wird nicht viel besser klingen. Eine alte Leinenjacke, leinene Hosen, eine noch ältere Mütze und ein paar Holzpantoffel, das war mein Anzug, in welchem ich mich bis in die Magdeburger Gegend gebettelt habe.«

»Lieber Himmel! Es ist doch fast unmöglich, daß Sie auf dem weiten Wege nicht ein einzigesmal von der Polizei gesehen und aufgegriffen worden sind!«

»O, ich war schlau; man sollte mich nicht erwischen. Wenn ich Gefahr witterte, ließ ich mich nicht sehen und hungerte lieber.«

»Fanden Sie denn immer Leute, die Ihnen zu essen gaben, ohne Sie festzuhalten?«

»Ja. Ich ging immer in die ärmlichsten Häuser; oft auch nahmen sich Handwerksburschen meiner an, die mich zwar auslachten, mich aber nicht verrieten und mir gute Lehren und ein Stück Brot gaben. Aber ich konnte dieses Leben, diese Wanderung doch nicht aushalten; es ging mir von Tag zu Tag schlimmer, bis ich hinter Magdeburg auf offener Straße liegen blieb; ich konnte vor Hunger und Entkräftung nicht weiter und kroch in eine Schneewehe, um da zu sterben; denn daß mich da der Tod des Erfrierens erwartete, das wußte ich. Ich schlief auch sofort ein. Ich erwachte, als unter mir schwere Räder im Schnee knarrten; über mir erblickte ich eine Wagenblahe, und ich lag in tiefem, warmem Stroh, mit zwei Pferdedecken überbreitet. Nach einiger Zeit schaute ein dickes, kälterotes Gesicht vorn herein, sah, daß ich die Augen offen hatte, und fragte:

»Du lebst wieder, Junge? Wo kommst du her?«

»Aus Sachsen.«

»Wo willst du hin?«

»Nach Amerika.«

»Famos! Was sagt denn dein Vater dazu?«

»Nichts. Ich habe keinen mehr.«

»Und deine Mutter?«

»Auch nichts. Die ist alle Tage betrunken.«

»Was bist du denn eigentlich?«

»Schusterlehrjunge.«

»Und wie ist dein Vorname?«

»Konrad.«

Gut! Merke dir, was ich dir jetzt sage! Dort neben dir hängt ein Kober mit Brot und Käse; davon kannst du essen, soviel du willst. Dann kriechst du tiefer ins Stroh und kommst nicht eher heraus, als bis ich dich heraushole!«

Nach diesen Worten verschwand das Gesicht wieder. Das mit dem Kober ließ ich mir nicht zweimal sagen. Er enthielt ein halbes Brot und einen großen, ganzen

Käse; ich habe ihn leer gemacht. Dann kroch ich unter die Decken und tief ins Stroh hinein und schlief wieder ein. Als ich geweckt wurde, war es Nacht. Der Mann, welcher am Tage mit mir gesprochen hatte, steckte bei mir im Wagen, welcher vor einem Dorfe mitten auf der Straße hielt.

»Kerl, du hast aber einen Hunger gehabt!« sagte er. »Und einen Schlaf dazu! Hast du denn nicht gemerkt, daß wir ein paarmal gehalten haben?«

»Nein.«

»Also nach Amerika willst du! Da hast du bei mir die beste Gelegenheit, denn ich fahre hinüber. Willst du mit?«

»Ja.«

»Aber du bist ohne Erlaubnis fort, bist den Deinen durchgebrannt. Wahrscheinlich hast du keinen Paß, keine Legitimation?«

»Ich habe nichts, als was ich auf dem Leibe trage.«

»Höre, das ist auch nicht viel! Aber du thust mir leid. Ich habe dich aus dem Schnee herausgepuddelt und bin bereit, für dich zu sorgen, wenn du mir zweierlei versprichst. Erstens mußt du mir gehorchen, und zweitens darfst du keinem Menschen erzählen, wer du bist, woher du kommst und wohin du willst.«

»Das werde ich gern thun.«

»Gut! So bleibst du bei mir, bis wir nach Amerika kommen. Du nennst mich Vetter. Dein Großvater war der Bruder von meinem Vater, und du bist aus Halberstadt. Ich habe dich zu mir genommen, weil deine andern Verwandten alle gestorben sind, und du bist nun schon ein Vierteljahr bei mir. Willst du immer nur so und nichts andres sagen?«

»Ja,« sagte ich in meiner Bedrängnis.

»So wirst du es gut bei mir haben. Also abgemacht! Wir sind, während du schliefst, durch eine Stadt gekommen; da habe ich bei einem Trödler Stiefel und einen Anzug für dich gekauft. Zieh ihn an!«

Er zog die Wagenblahe ein Stück auf, sodaß ich sehen und den Anzug mit meinen Fetzen vertauschen konnte. Dann mußte ich mich mit ihm in die Schoßkehle setzen, und wir fuhren nach dem Dorfe, wo er am Gasthofe hielt, um da zu übernachten.«

»Der menschenfreundliche Retter war wohl ein Fuhrmann, der das Fuhrwesen als Gewerbe betrieb?« unterbrach ich seine Erzählung.

»Ja. Es war ein sogenannter Harzer Landfuhrmann.«

»Ah, die kenne ich. Die Leute zogen mit ihren schweren Lastwagen früher von Land zu Land, nahmen überall Gelegenheitsfrachten auf und kehrten oft erst nach mehreren Jahren in ihre Heimat zurück. Ihre Pferde hatten sie mit sonderbaren Kummeten und Dachsfellen ausgeputzt. Sie waren ehrliche Leute, denen man ein ganzes Vermögen getrost anvertrauen konnte. Der Ihrige aber scheint nicht ehrlich gewesen zu sein, wenigstens mit Ihnen nicht, weil er behauptete, daß er auch nach Amerika wolle, was doch keinesfalls die Wahrheit war. Höchst wahrscheinlich hat er Sie nur ausnützen wollen.«

»Das ist richtig. Zunächst aber schenkte ich ihm mein volles Vertrauen und gewann ihn sogar lieb. Er rief mich Konrad, und ich nannte ihn Vetter. Ich fütterte und putzte die Pferde, schlief bei ihnen im Stalle und nahm ihm auch sonst nach Kräften die Arbeit ab. Dafür erhielt ich mein Essen und zuweilen ein altes, abgetragenes Kleidungsstück, weiter nichts. Als nach und nach Monate vergingen, ohne daß wir nach Amerika kamen, merkte ich freilich, daß er mich belogen hatte; aber das ungebundene Leben gefiel mir, und so blieb ich bei ihm, bis er einmal eine Gelegenheitsfuhre nach Otterndorf bekam. Der Ort liegt in der Nähe der See; die Lust nach Amerika erwachte plötzlich von neuem und mit aller Gewalt, und die Folge war, daß ich ihm davonlief nach Bremerhaven.«

»Ohne Geld?«

»Er dachte freilich, ich hätte keins, und das hatte ihn sicher gemacht. Aber ich hatte in der Zeit von anderthalb Jahren, die ich bei ihm war, manches Frachtstück ein- und wieder ausgeladen und zuweilen doch ein Trinkgeld bekommen. Diese kleinen Beträge verheimlichte ich ihm und hob sie heilig auf. So kam es, daß ich jetzt soviel hatte, daß ich, ohne betteln zu müssen, von Otterndorf nach Bremerhaven wandern konnte. Zu einem längern Aufenthalt dort hätte es freilich nicht gereicht. Darum fragte ich sofort nach einer Matrosenkneipe. Ich war während der Zeit klüger geworden und hatte verschiedenemale gehört, daß man in solchen Kneipen Gelegenheit bekommen könne, umsonst nach Amerika zu fahren. In der Kneipe, nach welcher ich gewiesen wurde, saßen viele Matrosen. Einer von ihnen machte sich über mich her und fragte mich aus. Ich sagte ihm soviel, wie ich für nötig hielt, und er erklärte mir, daß er mir helfen wolle. Er ließ mir Essen bringen. Dazu tranken wir Nordhäuser, Rum, Arak, Cognak, Punsch, bis ich den Verstand verlor. Als ich ihn wieder bekam, lag ich in einem engen Loche, kaum größer wie ein Hundestall, und es war finster um mich her. Ueber mir knarrte es; unter mir rauschte Wasser; dazwischen hörte ich eine befehlende Stimme erschallen. Ich tastete um mich, konnte aber keinen Ausgang finden und mußte also liegen bleiben.

Es war mir herzlich schlecht zu Mute; mein Kopf brummte wie eine Baßgeige, und meine Glieder waren wie zerschlagen. Nach langer Zeit hörte ich Schritte; ein Riegel wurde zurückgeschoben; dann sah ich vor mir einen Menschen in Matrosentracht, welcher ein Licht in der Hand hatte. Es war der Matrose, mit welchem ich gestern beisammen gewesen war. Er ließ ein rohes Lachen hören und sagte:

»Heraus mit dir, Landratte! Der Kapitän will dich sehen. Aber rede manierlich mit ihm, und widersprich ihm nicht; er ist kein Guter.«

»Ich kroch mühsam aus dem Loche; es war, wie ich später erfuhr, das Arrestlokal für widerspenstige Matrosen. Ich folgte dem »guten Freunde« zwei sehr schmale und sehr steile Treppen hinauf und sah mich dann auf dem Verdecke eines Schiffes, welches unter vollen Segeln ging. Ringsum war nichts als Wasser zu sehen. Ich wurde nach hinten geführt, wo der Kapitän auf mich wartete. Er hatte sehr weite Hosen an, ein goldbetreßtes Käppi auf dem Kopfe und einen gewaltigen Schnurr- und Knebelbart. Er nahm mich bei den Armen, drehte mich einigemale um und um, befühlte meine Muskeln und Knochen, grinste mich dann an, wie eine Katze die Maus, die sie verschlingen will, und fragte:

»Woher bist du?«

»Ich sagte ihm bei dieser und weiteren Fragen ohne Zaudern die Wahrheit, denn bei dem Gesichte, welches der Mann machte, getraute sich kein falsches Wort über meine Lippen.«

»Scheinst ein sauberes Früchtchen zu sein; werden dich aber kurieren. Habe die Absicht, dich als Schiffsjunge mitzunehmen. Dort steht der Maat, dem du zu gehorchen hast. Bei jedem Widerspruch setzt es Prügel. Marsch, fort mit dir!«

»Der Maat, an den er mich wies, war ein Kerl, der noch grimmiger aussah als sein Kapitän. Er nahm mich am Arme, zog mich nach vorn, gab mir einen Topf mit Teer in die Hand und zeigte auf ein Tau, welches außen am Schiff niedergelassen werden sollte. Man mutete mir, der die See noch nie gesehen hatte, zu, da draußen zu hängen und die Außenplanken mit Teer zu bestreichen. Ich weigerte mich, wurde auf ein Brett geschnallt und so lange geprügelt, bis ich nicht mehr schreien konnte. Es ging mir so traurig wie noch nie im Leben, und das ist doch viel gesagt. Wir segelten nach Westindien. Die Fracht wurde aus- und neue eingeladen; ich aber durfte nicht ans Land, durfte auch mit keinem, der von dorther an Bord kam, verkehren. Von da ging es nach Boston, dann nach Marseille, von dort aus zunächst nach Southampton und dann wieder hinüber nach Amerika, diesmal nach New-York.«

»Liebster Herr, warum ließen Sie sich das alles gefallen?«

 

»Weil ich nicht totgeschlagen sein wollte.«

»Pah! Sie haben die Sache nicht verstanden. Auf See allerdings waren Sie dem Kapitän widerstandslos überliefert; in jedem Hafen aber mußten Sie Gelegenheit finden, freizukommen.«

»Auch wenn ich an Bord festgehalten wurde?«

»Auch dann. Es kommen verschiedene Beamte an Deck. Sie brauchten sich nur an einen derselben zu wenden, um Hilfe zu erhalten.«

»Das wagte ich nicht, weil ich ein Ausreißer war. Aber in New-York kam ich doch frei. Der Kapitän hatte sich den Haß zweier Matrosen zugezogen, welche klüger waren als ich; die gingen des Nachts heimlich mit der Jolle durch und nahmen mich mit. Die Flucht gelang, und ich betrat als freier Mann Amerika. Zunächst lief ich soweit wie möglich fort, damit mein Kapitän oder einer seiner Häscher mich ja nicht zu sehen bekomme. Am Morgen war Feiertag, an welchem nicht gearbeitet wurde. Ich fand einen Neubau, in welchen ich mich schlich, um ungestört einen langen Schlaf zu thun, denn diesen brauchte ich noch nötiger als Essen und Trinken. Als ich aufwachte und völlig munter wurde, war es schon wieder Abend. Ich hatte Hunger, blieb aber dennoch liegen, einmal, weil ich dem Kapitän auch jetzt noch nicht traute, und zum andernmal, weil mir der Gedanke gekommen war, ob ich auf dem Neubaue nicht vielleicht Arbeit finden könnte.«

»Das war brav gedacht. Nur Arbeit konnte Sie retten.«

»Ja, das sah ich gar wohl ein. Die Schule, welche ich durchgemacht hatte, war fürchterlich gewesen und hatte mich mürbe gemacht. Ich wartete also bis zum nächsten Morgen. Da kamen die Maurer und Zimmerleute. Ich sprach mehrere an; sie verstanden aber nicht deutsch, bis ich endlich doch den richtigen traf, einen Preußen aus der Gegend von Königsberg. Er hatte sich auch Amerika voller goldener Berge geträumt und war hier nun unter die – Ziegelträger gegangen. Durch seine Fürbitte brachte er es soweit, daß ich dieselbe Arbeit bekam. Sie war nicht leicht, aber es ging. Ich lebte außerordentlich sparsam und hatte mir gegen den Winter hin über hundert Dollars zurückgelegt, mit denen ich nach Philadelphia ging, um mein ursprüngliches Handwerk zu treiben.«

»Sie sagten aber doch, daß Sie nichts gelernt hätten!«

»Nach unsern Begriffen allerdings. Aber ich hatte inzwischen erfahren, was Arbeitsteilung ist. Ich trat in Philadelphia in eine Fabrik, in welcher jeder Arbeiter stets nur eine und dieselbe Arbeit zu machen hat. Dazu braucht man kein gelernter Schuhmacher zu sein. Ich habe ein ganzes Jahr lang immerfort nur Spitzen angesteppt. Dann besaß ich dreihundert Dollars, mit denen ich nach Chicago ging, um in eine gleiche Fabrik einzutreten. Dort blieb ich freilich nicht lange. Ich wollte etwas lernen, was aber bei dieser Arbeitsteilung nicht möglich war. Ich traf einen Irländer, welcher auch ein kleines Sümmchen besaß. Er kannte das Land besser als ich und machte mir den Vorschlag, als Pedlar[2], mit ihm nach dem Westen zu gehen; bei diesem Geschäft sei viel Geld zu verdienen. Ich stimmte bei. Wir gingen über den Missisippi, legten unser Geld zusammen, kauften Waren ein und zogen damit den Missouri hinauf. Nach zwei Monaten hatten wir ausverkauft und unser Geld verdoppelt. Wir unternahmen noch vier solche Reisen, bis mein Compagnon plötzlich mit seinem und meinem Gelde verschwunden war.«

»Aha! Nun konnten Sie wieder Stiefelspitzen ansteppen!«

Ich griff zu andern Dingen, zum nächsten, was sich mir bot, arbeitete fleißig, brachte es aber zu keinen Ersparnissen mehr. Aus Verzweiflung darüber ging ich unter die Goldsucher.«

»Um nichts zu finden!«

»So ist es. Wir trieben uns hungernd in den Gebirgen umher; es war kein einziger Westmann unter uns. Darum ging es uns bitter schlecht. Schließlich wurden wir gar von Navajos überfallen. Wir entkamen ihnen zwar, doch hätten sie uns gewiß wieder eingeholt, wenn wir nicht auf Winnetou getroffen wären, der uns sicher nach dem Mariposasee geleitete, wo wir auch Sie zu sehen bekamen.«

»Hätten Sie mir damals Ihre Erlebnisse so erzählt wie heute, so wäre ich mit einem guten Rat und wohl auch mit der That zur Hand gewesen.«

»Es hat nicht sein sollen. Mein immerwährendes Unglück hatte mich verschüchtert. Wie konnte ich, der nichts, gar nichts war, einen Old Shatterhand belästigen! Und diese Schüchternheit war gut, denn es fragt sich sehr, ob ich durch einen Rat von Ihnen zum Millionär geworden wäre.«

»Dieser Meinung bin ich freilich auch. Ich bin sogar der festen Ueberzeugung, daß ich es selbst niemals soweit bringen werde. Doch weiter! Was thaten Sie in Kalifornien?«

»Das Handwerk hatte mich zu nichts geführt und der Handel zu noch weniger; so versuchte ich es denn nun einmal mit dem Ackerbau. Ich wurde Knecht auf einer Estancia. Der Besitzer gewann mich bald lieb; ich hatte Lust zur Sache und bekam schnell höhern Lohn. Einmal verleitete mich der Teufel zum Spielen. Ich riskierte einen halben Jahreslohn und gewann, war aber besonnen genug, um aufzuhören. In zwei Jahren hatte ich fünfhundert Dollars zusammen. Um diese Zeit schickte mich der Herr nach Jone-City, um Einkäufe für ihn zu machen, und ich nahm mein Geld mit, um es an diesem Platze sicher anzulegen. Da traf ich auf einen Yankee, der mir ein Stück Land droben am obern Federnflusse anbot. Er schwor hundert Eide, daß es das vortrefflichste Land in ganz Kalifornien sei. Der Hafer stach mich. Ich war jetzt Knecht und konnte selbst Besitzer werden. Die Kameraden des Yankee redeten mir auch zu, und ich kaufte das Land.«

»Wie teuer?«

»Vierhundert Dollars, bar bezahlt.«

»War der Yankee wirklicher Besitzer, oder konnte sein Recht bestritten werden? Sie wissen, welcher Schwindel mit solchen Käufen getrieben wird. Ich weiß, daß Ländereien ver- und gekauft worden sind, die gar nicht existierten.«

»Das war bei mir nicht der Fall. Ehe ich den Kauf abschloß, ließ ich alles von der Behörde prüfen. Das Land existierte wirklich; es gehörte dem Yankee, und er konnte es verkaufen.«

»Warum aber verkaufte er es? Wenn er es so lobte, hätte er es doch besser selbst behalten sollen!«

»Dafür hatte er einen Grund. Er liebte das abenteuernde Leben und konnte es auf der festen Scholle nicht aushalten.«

»Hm! Einen Haken hat es doch wohl gehabt!«

»Allerdings. Denn kaum war der Handel abgeschlossen und ich hatte das Geld bezahlt, so wurde ich von ihm und seinen Gesellen ausgelacht. Sie sagten mir aufrichtig, daß ich einen Sumpf, einen völlig unbrauchbaren Sumpf gekauft habe.«

»Einen Sumpf, also einen Swamp? Ah, jetzt kommen wir also auf Ihren Oil-Swamp!«

»Allerdings. Als ich nach meiner Heimkehr meinem Herrn von dem Handel mitteilte, war er zornig über mich. Er verlor mich ungern und riet mir, mich um den Sumpf gar nicht zu bekümmern, sondern bei ihm zu bleiben, und die vierhundert Dollars als verloren zu betrachten. Er meinte, damit erspare ich die letzten hundert Dollars, welche ich auf die Reise verwenden müsse, und werde das verlorene Geld bei ihm bald wieder zusammengespart haben. Ich ließ mich aber nicht halten.

Hatte ich Land gekauft, so wollte ich es wenigstens auch sehen; mochte das letzte Geld dabei zu Ende gehen. Ich brach also auf und bekam bald Reisegefährten. Ein Deutscher nämlich, Namens Ackermann, welcher in San Francisco wohlhabend geworden war, hatte da oben, ganz in der Nähe meiner sumpfigen Besitzung, Holzland angekauft und war hinaufgezogen, um eine Schneidemühle anzulegen. Das Werk war in seinen bescheidenen Anfängen schon im Gange und sollte später einen großartigen Umfang erhalten. Sein Sohn war aus geschäftlichen Rücksichten in San Francisco geblieben, hatte diese Geschäfte erledigt und reiste nun dem Vater nach. Wir trafen uns, weil wir denselben Weg zu nehmen hatten. Er war schon einmal, allerdings nur kurze Zeit, oben gewesen, ließ sich meine Karte und den Plan zeigen, schüttelte den Kopf und sagte:

»Ich sehe, daß Sie unser nächster Nachbar sind, und kann Ihnen keine Hoffnungen machen. Sie haben allerdings einen Sumpf gekauft. Es ist freilich für diesen Preis ein riesiges Stück Land, aber es taugt zu nichts, zu gar nichts geradezu.«

2Hausierer.