Orangen und Datteln

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Behluwan-Bei, der Räuberwürger

Die Spiegelung!« –

Durch die brennende Einöde schleicht langsam »die Dschellaba (Pilgerkarawane). Sie ist bereits seit Monaten unterwegs und durch die von allen Seiten sich anschließenden Zuströme sehr stark und zahlreich geworden. Reiche Uëlad Arab aus dem Belad es Sudan reiten neben armen Fußwanderern, welche sich auf die Mildthätigkeit der Gläubigen verlassen müssen und nichts besitzen als einen einzigen Mariatheresienthaler, um die Ueberfahrt über das Rote Meer bezahlen zu können. Jünglinge, welche kaum das Knabenalter überschritten haben, wandern neben ausgetrockneten Greisen, die vor dem Tode noch die heilige Kaaba sehen wollen. Gelbe Beduinen, braune Tuareg, dunkle Tebu und wollhaarige Tekrur, wie die schwarzen Mekkapilger genannt werden, murmeln in melancholischen Tönen ihre frommen Gebete oder ermuntern sich durch den lauten Zuruf des moslemitischen ›La illaha il'Allah u Mohammed rassul Allah, es ist kein Gott außer Gott, und Mohammed ist Gottes Prophet!‹

Der Himmel glüht fast wie kochendes Erz, und die Erde brennt wie flüssiges Eisen. Der Smum hat die Wasserschläuche ausgetrocknet, und bis zur nächsten Uah ist es noch weit. Ein einsamer Bir (Brunnen) kann keine Hilfe bringen, da sein weniges brackiges Wasser kaum hinreicht, die Zungen der Menschen und die Lefzen der Kamele zu kühlen. Die erst geschlossene Karawane hat sich längst in einzelne Frik (Abteilungen) aufgelöst, welche sich mühsam hintereinander herschleppen. Brot, Mehl und Bela (trockene Datteln) sind genugsam vorhanden, aber für einen Schluck Wassers oder eine Schale Merissa (kühlender Trank aus Dokhnkorn) würden die Verschmachtenden Monate ihres Lebens hingeben. Der Dürstende greift wieder und immer wieder zur leeren Zemzemiëh, hält sie an die verlangenden Lippen und setzt sie wieder ab mit einem klagenden ›bom bosch, ganz leer!‹

Die Gebete werden leiser, die Zurufe seltener, und die am Gaumen klebende Zunge liegt wie Blei im Munde. Sie vermag kaum das Surat yesin, das sechsunddreißigste Kapitel des Koran, zu seufzen, welches der Moslem ›Quelb el Kuran‹, das Herz des Koran, nennt und in der Not des Todes betet.

Da ertönt ein lauter Freudenschrei.

Ueber dem dichtumflorten Horizonte heben sich die scharfen Umrisse der ersehnten Oase empor. Auf schlanken Säulen bauen sich die stattlichen Wipfel der Dattelpalmen übereinander, und ihre leichten Fiederkronen wehen in dem frisch sich erhebenden Wüstenwinde. Zwischen grünen Hainen schimmert es wie das Wellengekräusel eines lieblichen Sees, und die Luft scheint sich von der Ausdünstung des Wassers zu feuchten. Die Palmenkronen spiegeln sich in der glitzernden Wasserfläche, und Kamele waten in der Flut, ihren langen Hals herniederstreckend, um das belebende Naß zu schlürfen.

»Hamdulillah, Preis sei Gott! Das ist die Uah; der Herr hat uns errettet; ihm sei Lob und Dank!«

Die jubelnden wollen ihre Tiere in eine schnellere Bewegung setzen; diese aber lassen sich nicht täuschen; ihr scharfer Geruch hätte es ihnen ja schon längst gesagt, wenn wirkliches Wasser vorhanden wäre.

»Hauehn aaleïhu ia Allah, hilf ihnen, o Gott!« bittet der erfahrene Führer der Karawane. »Sie haben vor Durst und Hitze den Verstand verloren und halten die Fata Morgana, die gefährliche Spiegelung, für Wirklichkeit.«

Seine Worte rufen doppelte Niedergeschlagenheit unter den Getäuschten hervor; mutloser und langsamer schiebt sich der immer mehr ermüdende Zug weiter und geht vielleicht dem grauenvollen Schicksale entgegen, wie das vom Sonnenbrande verzehrte Wasser eines Wadi in der starren Wüste zu verrinnen. Die Dschellaba hält dann ihren Einzug in einem Mekka, welches erbaut ist hoch über den Sternen und nicht im Sande des Belad Moslemin (Arabiens). – –

Die Spiegelung ist seltener, als man anzunehmen pflegt; ich hatte sie erst zweimal geschaut und auch mich, wenigstens beim ersten Male, von ihr täuschen lassen. Heute sollte ich die Erfahrung machen, daß sie unter Umständen dem Menschen freundlich und nützlich sein kann.

Nach der Weisung des Khabir hatte ich unsere östliche Richtung beibehalten. Unsere Schatten wurden länger und länger, bis sie unsere doppelte Länge übertrafen. Da stieg über dem vor uns liegenden Horizonte ein seltsames Phantom empor:

Die Sonnenstrahlen oscillierten wie ein mehrere Fuß hohes, aus mikroskopischen, glühenden Flimmern bestehendes Meer über dem Boden; trotz der Nähe des Abends war die Hitze beinahe unerträglich, und die abgemattete Kaffilah drohte in dem heißen, immer tiefer werdenden Sande zu versinken. Wir nahten uns dem Kampfgebiete zwischen Ghud und Serir, zwischen Dünen und Felsen, und hatten bald leere, nackte Steinfläche, bald gefährliche, nachgiebige Sandablagerungen unter den Füßen unserer dampfenden Thiere. Da wuchs langsam und allmählich ein mächtiges Gebirge aus den hohen Lüften vor uns hernieder; die Umrisse der gigantischen Bergesriesen verschwammen in der zitternden Atmosphäre, aber an ihrem Fuße sahen wir deutlich mächtige Seen flimmern, in die sich mehrere Ströme ergossen; die Ufer derselben waren kahl und öde und zeigten nicht die mindeste Spur eines Pflanzenwuchses.

»Maschallah, tausend Schwerebrett,« meinte der Staffelsteiner, »is dos aane wunderliche Geschicht'! Das Gebirg hat sich auf den Kopf gestellt und schaut mit der Spitz' nach unten. Wenn's so fortgeht, so läuft halt der große Hassan bald mit den Beinen in der Luft.«

Jetzt richtete sich in verkehrter Stellung eine riesige Figur empor und neben ihr eine zweite. Trotz der auseinander fließenden Umrisse erkannten wir ein an dem Boden liegendes Kamel, neben welchem ein Araber stand. Es war klar, daß die Originale dieses Bildes sich in Wirklichkeit hinter den vor uns liegenden Dünen befanden. Der Araber konnte nichts anderes sein, als ein Posten, der von dem Hedjahn-Bei vorgeschoben worden war, um das Nahen der Kaffilah zu beobachten. Die Fata morgana hatte uns die Gum verraten, während die Spiegelung unser Bild dem Posten nicht zutragen konnte, da wir vor der Sonne hielten.

Es war ein eigener, gespenstischer Anblick, dieser verkehrt in den Lüften schwebende und in gigantischen Dimensionen gezeichnete Wächter der Raubkarawane.

»Rrree, halt!« gebot ich. »Die Gum ist vor uns. Steigt ab, ihr Männer, und schlagt das Lager auf!«

Während dieser Beschäftigung sank die Sonne immer weiter niederwärts, und das Phantom stieg, in gleichem Verhältnisse, seine Formen ausdehnend, am Horizonte empor. Es war, als befänden wir uns vor einer meilenweiten Camera obscura, deren Linse von Augenblick zu Augenblick an Dicke und Vergrößerungsfähigkeit zunahm.

Da wurde hinter dem Luftbilde des Arabers eine neue Gestalt sichtbar, die seitwärts von ihm aus dem Boden wuchs. Wir konnten jede ihrer Bewegungen beobachten. Sie erhob die Arme und richtete einen langen, schmalen Gegenstand nach dem Kopfe des Postens – ein einziger Augenblick – ein eigentümliches Schwanken und Schwingen des ganzen Gemäldes – der Araber stürzte nieder.

»Allah kehrim, Gott ist gnädig und barmherzig!« rief Hassan. »Ich preise den Propheten, daß dieses Bild nicht von meinem Leibe stammt, denn dort hat ein Mann den andern totgeschossen!«

Er hatte recht, und wäre die Entfernung nicht zu groß gewesen, so hätten wir den Schuß jedenfalls gehört.

Wer war der Thäter? Seine vergrößerte Figur bog sich zu dem Gefallenen nieder, dann richtete er den langen Gegenstand, welcher nichts anderes als ein Schießgewehr sein konnte, auch auf das Kamel – ein zweites Schwingen und Schwanken der Spiegelung – das Tier zuckte in seinen mächtigen Formen empor und sank dann wieder zusammen.

Eine blitzschnelle Ahnung stieg in mir auf.

»Seht ihr ihn, ihr Männer?« rief ich. »Das ist Behluwan-Bei, der Räuberwürger. Er hat den Wächter der Gum in das Reich des Todes geschickt. Bleibt hier zurück! Auf, Abu billa Beni, auf, Korndörfer; wir müssen hin zu ihm!«

Einige Augenblicke später saßen wir auf unsern Kamelen und jagten der Richtung des Bildes zu.

Je weiter wir vorwärts kamen, desto mehr sanken die Linien desselben zusammen. Die Figur dessen, den ich für Emmery Bothwell hielt, war schon kurz nach dem zweiten Schusse verschwunden. Wegen des tiefen Sandes und weil wir zahlreiche Dünen zu umreiten hatten, kamen wir trotz unserer Eile nur langsam von der Stelle; doch wich die Spiegelung endlich, und folglich mußten wir uns in dem Gesichtskreis des Ortes befinden, an welchem die That geschehen war.

Wir hatten lange zu suchen, ehe wir die Stelle fanden, und nun zeigte es sich, daß meine Vermutung allerdings das Richtige getroffen hatte. Im Sande lag ein Tuareg, von der Seite einen Zoll hoch über der Nasenwurzel in die Stirne geschossen, und auch das Kamel hatte die gleiche tödliche Wunde. Der Kragen des Burnus und eine Ecke der Satteldecke zeigten die Buchstaben A. L., eine Anweisung auf die sicher treffende Kugel aus der Büchse meines ›Englishman‹, der sich den Ehrennamen Behluwan-Bei erworben hatte.

Wir hatten über eine halbe Stunde gebraucht, um diesen Ort zu erreichen, und seit derselben Zeit hatte ihn Emmery verlassen. Konnte ich ihm nachreiten? Ein kurzes Einhalten seiner Spur zeigte mir, daß er sich mit großer Schlauheit diejenigen Stellen des Bodens ausgewählt hatte, wo der Felsen keine Fährte annahm oder der hohe Sand sich sofort wieder über derselben schloß. Ich hätte also Mühe gehabt, ihn zu erreichen, und, da in kurzer Zeit die Nacht hereinbrach, den Rückweg zur Kaffilah ganz sicher verloren. Zudem mußte ich annehmen, daß er in der Nähe der Gum bleiben und ich ihn also bei der Berührung mit derselben ohne Zweifel treffen würde. Ich gab es also auf, ihm zu folgen.

Jetzt mußte sich mir nun eine zweite Erwägung aufdrängen.

Der getötete Posten hatte nämlich nur einige Schlucke Wassers bei sich, ein sicheres Zeichen, daß entweder eine baldige Rückkehr erwartet wurde oder er in kurzem abgelöst werden sollte. Sein Tod wurde also auf jeden Fall bemerkt. Ohne Zweifel gab es auch noch andere Posten in der Nähe, die der Hedjahn-Bei persönlich inspizierte. Konnte ich also diese Stelle ohne weitere Vorsichtsmaßregeln verlassen? Und welches war die beste Vorkehrung, die ich treffen konnte? Sollte ich die Tier- und Menschenleiche mit Sand verschütten oder zurückbleiben? Im letzteren Falle konnte ich leicht einen glücklichen Fang thun, aber auch trotz aller Furchtlosigkeit in eine Gefahr geraten, aus welcher es bei allem Mute kein Entrinnen gab.

 

Ich entschloß mich für das erstere.

Der Sand war leicht beweglich, und schon nach wenigen Minuten bedeckte eine Düne den Tuareg und sein Kamel. Dann suchten wir, so wenig Fährte als möglich zurücklassend, die Kaffilah auf. Wir wurden mit der Frage empfangen, ob wir den Behluwan-Bei gesehen hätten.

»Die Kamelstute des Räuberwürgers ist so schnell wie der Vogel der Lüfte,« antwortete ich. »Er war bereits wieder verschwunden. Doch kenne ich die Gedanken meines Bruders! Er weicht nicht von der Gum, bis sie getötet ist. Ihr werdet bald sein Angesicht sehen und seine Stimme hören.«

Die Sonne sank, und doppelte Glut strömte nun die erhitzte Erde aus. Wir hatten die Kamele angepflockt und das mehr als einfache Nachtmahl beendet; der Schlaf aber floh unsere Augen. Die Sterne stiegen am Himmel empor, und Mitternacht nahte heran. Emmery hatte mir mit der Tötung des Tuareg einen Strich durch die Rechnung gemacht. Hätte dieser die Kaffilah bemerkt, so wäre der Hedjahn-Bei von ihm benachrichtigt worden und wohl längst schon in die Nähe gekommen. Jetzt aber wollte der Ruf der Hyäne nicht erschallen. Sollte ich es wagen, den Räuber aufzusuchen und die Kaffilah ohne Anführer zu lassen?

Ich gab Josef und dem Tebu, welchem ich vertrauen konnte, die nötigen Verhaltungsbefehle und schritt in die stille, lautlose Nacht hinaus.

Es war so sternenhell, daß ich bei der klaren Wüstenluft die Umgebung deutlich erkennen konnte, und trotz der täuschenden Aehnlichkeit der Dünen die Nähe der Stelle erreichte, an welcher der Tuareg von Emmery getötet worden war. Jetzt war doppelte Vorsicht nötig. Ich legte mich nach Indianerart auf den Boden und kroch geräuschlos weiter.

Grad auf demselben Punkte, an welchem der Tote gewacht hatte, standen zwei Männer in einer bewegungslosen, lauschenden Stellung. Ich schob mich bis hart an sie heran und richtete mich dann in die Höhe. Sie erschraken und sprangen, die Waffen ergreifend, zurück.

»Rrree, halt! Wer bist du?« fragte der eine, das Gewehr auf mich anschlagend.

»Wo ist der Hedjahn-Bei?« lautete meine Gegenfrage.

»Kennst du ihn? Bist du einer der Seinen?«

Ich zog die Anaïa hervor.

»Sieh hier sein Zeichen! Wo ist er?«

Beide Männer ergriffen die Anaïa, um sie in Augenschein zu nehmen.

»Du hast die Murdschan (Koralle) und gehörst zu uns,« entschied der vorige Sprecher. »Kennst du die Kaffilah, auf welche wir warten?«

»Ich kenne sie, denn ich bin mit ihr gekommen.«

»Wo ist der Khabir, warum kommt er nicht? Warum hält er nicht an dem Orte, den ihm der Hedjahn-Bei geboten hat?«

»Dein Atem ist lang, und deiner Fragen sind sehr viele. Führe mich zu dem Bei, so wird er meine Antwort vernehmen!«

»Dein Fuß darf nicht zur Gum treten, ehe er es erlaubt hat. Ich werde ihn rufen und ihm deinen Namen nennen.«

»Allah gab auch mir einen Mund; der Bei wird meinen Namen von meinen eigenen Lippen hören.«

»Dein Mund ist wie der Bir billa ma, der Brunnen, der kein Wasser hat, und deine Zunge liebt nicht den Tropfen der Rede. Aber er wird fließen, denn ich gehe, um den Bei zu holen.«

Er ging, und ich blieb bei dem andern zurück, der mit keinem Worte versuchte, eine Unterhaltung anzuknüpfen. Es herrschte ringsum eine lautlose Stille, so daß man im leisen Hauche der Nachtluft das Klingen des wandernden Sandes deutlich vernehmen konnte. Da aber drang ein anderer Ton an mein Ohr, ein Ton, der mich überrascht aufhorchen ließ.

Es war ein Schuß gefallen, allerdings in weiter Ferne, aber der Schall war doch so vernehmlich, daß ich mich nicht täuschen konnte. Er war aus der meiner Kaffilah entgegengesetzten Richtung erklungen. Auch die Wache fuhr in eine wo möglich noch aufmerksamere Haltung empor.

»Hast du vernommen die Stimme des Todes in der Wüste?« fragte ich.

»Die Nacht schweigt gegen das Auge, aber sie spricht zu dem Ohre. Ich habe diese Stimme gehört.«

»Kennst du sie?«

»Du bist ein Freund des Bei und kennst sie nicht? Sage deiner Seele, daß sie das Surat yesin bete; es ist das Quelb el Kuran, das Herz des heiligen Buches, und errettet den Gläubigen vom Tode.«

»Wer will ihm den Tod bringen?«

»Kennst du nicht Behluwan-Bei, den Würger der Gum? Sein Gewehr ist es, welches gesprochen hat.«

»Wie soll ich ihn kennen, da ich aus weiter Ferne komme!«

»So bitte Allah, daß er dich vor ihm behüte, sonst wird deine Seele ein Raub des Todes und dein Leib eine Speise der Tiere. EI Thibb, der Wüstenwolf, wird dein Blut trinken, und el Büdj, der Bartgeier, deine Augen fressen; el Tabäa, die Hyäne, wird dein Fleisch kosten, und Abu Ssuf, der Fuchs, dein Herz verschlingen. Der Behluwan-Bei ist der Vater des Verderbens, und in seinen Spuren wandelt der Tod.«

»Ich fürchte ihn nicht. Wenn der Tod in seinen Spuren wandelt, so wird er ihn ereilen.«

»Der Behluwan-Bei stirbt nicht; sein Leib ist nicht von Fleisch gemacht, und keine Kugel, keine Lanze kann ihn töten. Er steht bei dir, und du siehst ihn nicht; er reitet an deiner Seite, und du hörst ihn nicht; er kommt zu dir, wenn du nicht an ihn denkest, und er ist verschwunden, ehe du daran denkst, ihn zu halten. Er ist kein Mensch; er ist der Oberste der Djinns, dem kein Sterblicher widerstehen kann, und seine Büchse hat der Scheitan gefertigt, der in der Hölle wohnt. Sie sendet ihre Kugel über die ganze Sahara hinweg, und sie trifft dich, selbst wenn du dich in das Innere der Erde verbirgst. Hat dir die Wüste noch keinen Toten gezeigt, die Wunde grad über der Nase mitten in der Stirn?«

»Ich sah mehrere.«

»Sie sind von seiner Hand gefallen. Er ist allwissend; er kennt alle Männer der Gum und tötet nie einen andern.«

Hätte er gewußt, daß sich diese Allwissenheit auf das verhängnisvolle Zeichen A. L. stützte, so wäre seine abenteuerliche Meinung über den braven Emmery bald eine andere geworden.

»Was hat ihm die Gum gethan?«

»Ich weiß es nicht, und niemand vermag, es dir zu sagen. Frage ihn selbst.«

»Das werde ich thun, sobald ich ihn treffe.«

»Verbiete deiner Zunge diese Worte! Weißt du nicht, daß die Geister kommen, wenn man sie ruft? Horch! Er naht. Hast du ihn gehört?«

Ein zweiter Schuß war gefallen, und zwar in größerer Nähe. Jetzt war es mir gewiß, daß Emmery Bothwell der Schütze sei. Ein geübtes Ohr vermag recht gut den Knall eines Gewehres von dem eines andern zu unterscheiden, und ich hatte den Ton dieser untrüglichen Kentuckybüchse zu oft gehört, um ihn nicht sofort zu erkennen. Es war klar, daß der ›Englishman‹ in seiner gewöhnlichen kalten Verwegenheit die Gum umschlich, um ein Ziel für seine Kugel zu finden, und die zwei, welche er getroffen hatte, gehörten jedenfalls zu den Posten, welche von dem Hedjahn-Bei ausgestellt worden waren. Behielt er die Richtung, welche er eingeschlagen zu haben schien, bei, so mußte er auch den Ort berühren, an welchem wir uns befanden, und in diesem Falle hatte ich mich ebenso vor ihm in acht zu nehmen, wie der Araber, für dessen Gefährten er mich halten mußte.

Da nahten Schritte. Zwei weiße Burnusse tauchten zwischen den Dünen auf; der Posten kehrte mit noch einem Araber zurück, der sofort auf mich zutrat und mich betrachtete, so gut es die Dunkelheit gestattete.

»Sallam leilet, die Nacht sei dir glücklich,« grüßte er. »Du begehrst den Hedjahn-Bei?«

»Ja. Bist du es?«

»Nein. Der Bei wird die Gum nicht verlassen, bis der Würger fort ist, der sie umschleicht. Welche Botschaft hast du an ihn?«

Der Anführer der Räuber fürchtete also den Behluwan-Bei und blieb unter dem Vorwande, die Seinen zu beschützen, in ihrem Schutze zurück. Es wäre mir erwünscht gewesen, mit ihm schon jetzt zusammenzutreffen; da ich aber nun Emmery in der Nähe wußte, so zog ich es vor, mich zunächst mit diesem zu vereinen.

»Ich habe nur mit ihm und nicht mit dir zu sprechen. Warum versteckt er sich? Hat ihm die Angst vor dem Würger die Füße gelähmt?«

»Fessele deine Zunge! Der Hedjahn-Bei kennt weder Angst noch Furcht; er gebietet über alle Schilugh und Amazigh (freie Männer) der Wüste, und ich bin der Mudir (Oberst) dieser Gum. Zeige mir die Anaïa!«

»Hier ist sie!« antwortete ich, zurücktretend und die Büchse auf ihn anschlagend. »Bist du der Mudir dieser Gum, so gehe ihr voran in die Tschehenna!«

Ich wollte abdrücken, doch die drei Männer standen vor Ueberraschung so perplex und wehrlos vor mir, daß ich die Büchse wieder absetzte.

»Bist du von Sinnen, Mann?« fragte der Anführer nach einer Pause im Tone der höchsten Verwunderung. »Du hast die Anaïa und drohst mir mit dem Tode! Soll dir meine Kugel das Herz zerreißen?«

»Hätte dich die meine nicht vorher getroffen, Räuber? Lähmte dir der Schreck nicht die Glieder, daß du dich nicht regen konntest? Wisse, ehe du deine Flinte erhebst, seid ihr alle drei Kinder des Todes. Der Bei fürchtet den Würger; so vernimm, daß ich der Bruder des Behluwan-Bei bin, der die Gum vernichten wird bis auf den letzten Mann.«

Er starrte mich an, als halte er mich wirklich für einen Wahnsinnigen.

»Allah akbar, Gott ist groß; er kann Verstand geben und nehmen, wie es ihm gefällt. Doch der Prophet befiehlt, die Irrsinnigen zu schonen. Komm, und folge uns!«

»Unsere Wege sind verschieden; der meine geht nach EI Kasr, der eure aber in den Tod.«

»Dein Geist ist dunkel wie die Nacht, die keine Sterne hat. Was willst du auf EI Kasr?«

»Mein Geist ist hell wie der Tag, der alles offenbart. Ich bin kein Moslem, sondern ein Christ und komme nach EI Kasr, um den Franken zu befreien, den ihr gefangen haltet.«

»Du bist ein Giaur und hast die Anaïa? Stirb, Verräter!«

Er erhob das Gewehr; da aber krachte schon meine Büchse; er stürzte zusammen. Der zweite Schuß traf den einen Posten, und den andern streckte eine Revolverkugel zu Boden, noch ehe beide von ihren Waffen hatten Gebrauch machen können. Ich hatte mein Gewissen befriedigt und sie nicht getötet, bevor sie wußten, daß ich ihr Feind sei.

Kaum waren die drei Schüsse verhallt, so ertönte unweit meines Standortes eine laute Stimme:

»Hallo – i – oh!«

Es war der Waldruf, welchen ich mit Emmery zu wechseln gewohnt gewesen war, wenn wir getrennt durch den Forst oder die Prairie marschierten. Wie ich die seine, so hatte er auch meine Büchse erkannt und durch den darauf folgenden Revolverschuß die vollendete Gewißheit erhalten, daß er sich nicht irre.

»Hallo – i – oh!« antwortete ich ihm unbekümmert um den Hedjahn-Bei und seine Gum.

Der Ruf wurde, während wir auf einander zuschritten, noch einmal wiederholt, und dann standen wir, die wir uns in den Vereinigten Staaten das Wort gegeben hatten, uns in Afrika wiederzusehen, leibhaftig vor einander im Innern der Sahara.

Er nahm mich bei den Schultern, blickte mir in das Angesicht und drückte mich dann in langer, stummer Umarmung an sich.

»Welcome in the Sahar!« grüßte er endlich; dann war dem Herzen genug gethan.

Keine einzige Frage über Vergangenes wurde ausgesprochen; die Gegenwart nahm uns vollständig in Anspruch.

»Laden!« bemerkte er in seiner kurzen Weise.

Wirklich war ich in der Freude so unvorsichtig gewesen, diese Maßregel, was mir noch niemals passiert war, außer acht zu lassen. Ich holte natürlich sofort das Versäumte nach.

»Drei Schüsse – drei Räuber?« fragte er.

»Ja.«

»Ich nur zwei. Wo hältst du?«

»Mit einer Kaffilah zehn Schüsse von hier.«

»Wie stark?«

»Siebzehn ohne mich.«

»Feige Araber?«

»Ja, und zwei Diener, auf die ich mich verlassen kann, ein Tebu und ein Deutscher.«

»Der Khabir gehört zum Hedjahn-Bei?«

»Ja. Er und der Schech el Djemali sind tot.«

»Durch dich?«

»Durch mich. Weißt du, wo Rénald sich befindet?«

»Nein.«

 

»Warum bestelltest du mich dann nach dem Bab-el-Ghud?«

»Weil in dessen Nähe die Räuber ihre Niederlage haben müssen. Jede Gum kehrt dorthin zurück.«

»Ich kenne den Schlupfwinkel; es ist ein Kasr, und dort werden wir Rénald treffen.«

Der kaltblütige Engländer stieß doch einen Ruf der Ueberraschung aus.

»Das weißt du, und ich nicht, trotzdem du erst kommst und ich schon längst hier streife!«

»Ich entlockte es dem Khabir, welcher mir vertraute, weil ich die Anaïa des Bei besitze.«

»Du hast sein Zeichen? Wer gab es dir?«

»Er selbst. Ich schoß einen Löwen, unter dem er lag.«

»Du hast einen Löwen erlegt? Mensch, dein Glück ist ungeheuer!«

Jetzt kam sein Blut in Wallung.

»Einen Löwen und ein schwarzes Pantherpaar. Du wirst die Felle sehen.«

»Pshaw! Sie sind doch nicht mein! Und den Bei hast du beim Löwen getroffen? Wo?«

»An den Auresbergen.«

»Das ist nicht möglich. Er ist im Ghud!«

»Es sind zwei Brüder.«

»Ah!« rief er erstaunt. »Und wo ist jetzt der andere?«

»Tot.«

Ich erzählte ihm in Kürze das Wissensnötige.

»Kerl, du hast wirklich ein ganz unmenschliches Glück!« räsonnierte er, als ich zu Ende war. »Vorwärts, ich muß mir meinen dritten holen, und das weitere werden wir dann sehen!«

»Wie stark ist die Gum?«

»Heut früh dreiundvierzig; jetzt fünf davon ausgelöscht, bleiben achtunddreißig.«

»Wo ist deine Begleitung?«

»Ganz in der Nähe. Ich umkreise die Gum und stoße dann zu ihr. Jeder Posten, auf den ich treffe, stirbt.«

»Warum nur die Posten? Wenn du willst, bekommen wir heut die ganze Gum.«

»Well, so werde ich wollen!«

»Komm!«

Ich schritt noch eine kurze Strecke vorwärts und blieb dann stehen. Befand sich eine Wache in der Nähe, so stand zu erwarten, daß sie auf das verabredete Zeichen antworten werde. Ich hielt die Hände an den Mund und ließ das tiefe ›Ommu ommu‹ der Hyäne erschallen.

Ich hatte mich nicht geirrt, denn gar nicht weit vor uns ertönte der gleiche Ruf.

»Bleib hier!« bedeutete ich Emmery und ging dann weiter. Ein Araber kam mir langsam entgegen.

»Wo ist der Hedjahn-Bei?« fragte ich ihn.

»Du bist der Khabir?« entgegnete er.

»Ja,« antwortete ich.

»Hüte dich vor dem Behluwan-Bei! Hast du nicht seine Schüsse gehört?« fragte er.

»Ich habe sie gehört und ihn gesehen; er mordete drei Männer von der Gum, bei denen ich stand. Sag es dem Bei. Ich muß ihn sprechen.«

»Warum läßt du die Kaffilah an einem falschen Orte halten?« forschte er jetzt.

»Kann ich sie dahin führen, wo der Behluwan-Bei ist?«

»Du hast Recht. Warte hier!«

Er ging und kehrte nach kurzer Zeit zurück. Ich hatte das erwartet. Er begann:

»Sage mir den Weg zur Kaffilah. Wenn sich der Würger nicht mehr hören läßt, wird die Gum kommen.«

Ich deutete mit der Hand die Richtung an und sagte:

»Dort halten wir, zwanzigmal so weit als deine Flinte trägt.«

»Wie viel Männer zählt die Kaffilah?«

»Siebzehn, von Durst und Anstrengung ermattet.«

»Du hast mit dem Mudir gesprochen?«

»Ja. Die Kugel des Würgers tötete ihn mit den beiden andern an meiner Seite.«

»So sage Allah Preis und Dank, daß du entkommen bist. Kehre zurück und wache, damit du es hörst, wenn wir kommen!«

Dieser Posten mußte ein neues Mitglied der Bande sein, da er den Khabir nicht kannte. Ich ging zu Emery zurück und folgte ihm seitwärts zwischen die Dünen. Dort hielten seine Mehara, von seinem Diener und dem Führer bewacht. Ich führte sie zur Kaffilah, wo man die Schüsse gehört hatte und deshalb in Sorge um mich gewesen war.

»Hamdulillah, Gott sei Dank, Sihdi, daß du kommst!« meinte der große Hassan. »Ich hörte fünf Schüsse und glaubte, der Hedjahn-Bei habe dich fünffach getötet.«

»Sihdi Emir, der Behluwan-Bei!« rief der Tebu, als er den Engländer erblickte.

Sämtliche Männer der Kaffilah schauten bei diesem Rufe mit ehrfurchtsvoller Scheu auf die hohe Gestalt des ›Englishman‹.

»Ja, ihr Leute, dieser Sihdi ist der Behluwan-Bei, dessen Kugel die Gum beinahe aufgefressen hat. Sie wird kommen, uns zu überfallen; macht euch bereit, sie zu empfangen!« befahl ich.

Diese Nachricht brachte eine bedeutende Aufregung hervor. Die bis an die Zähne bewaffneten Araber gebärdeten sich wie Schafe, die den Wolf erwarten, und nur durch die possierliche Vermittelung des Kompaß gelang es mir, ihnen etwas Mut und Selbstvertrauen einzuflößen. Niemand zeigte sich über ihr Verhalten so entrüstet, wie Hassan.

»Allah akbar, Gott ist groß; er giebt dem Mutigen ein Herz und dem Helden eine Faust,« donnerte er sie an. »Ihr aber seid wie die Flöhe, die vor jedem Finger davonspringen. Habe ich euch nicht gesagt, daß ich Hassan el Kebihr heiße und Djezzar-Bei, der Menschenwürger, bin? Nun wohlan, warum fürchtet ihr euch denn? Fürchtet euch doch vor mir, aber nicht vor den Räubern, deren Fleisch ich essen und deren Blut ich trinken werde wie Merissa und Wasser, mit Zibib gewürzt.«

»Halt' den Mund!« warnte ihn der Staffelsteiner. »Du selbst bist der richtige Zibib, und die Gum wird dich verschlingen und nix von dir übrig lassen, als dein großes Maul, das zehntausend Männer nit hinunterbringen. Wenn das Geschieß losgeht, werd' ich wohl sehen, wo du steckst!«

»Schweig!« brauste ihn der Geschmähte an. »Ich bin ein Kubaschi en Nurab, du aber bist nur Jussef Ko-er-darb, und deine Väter haben denselben Namen wie du. Weißt du, was ein Hadschi, ein Mekkapilger, ist? Ich war zweimal in Mekka, der Stadt des Propheten, einmal in Medina, der ruhmbedeckten, und habe zu Dschidda gebetet, wo Eva, die Mutter der Menschheit, begraben liegt, fünfhundert Fuß lang und zwölf Fuß breit. Was aber hast du gethan, und an welchem gottgefälligen Orte bist du gewesen? Du bist ein Franke, der Schweinefleisch ißt und in das Land der Gläubigen muß, wenn er das Land seines Propheten sehen will. Du hättest klüger gethan, wenn du in Kah-el-brunn geblieben wärest; drum klappe deinen Mund zu, und schweig still.«

»Maschallah, tausend Schwerebrett, is doos aan Aerger für den Kerl, daß er nit auch Rauchfleisch und Schwartenwurst essen darf, wie ich! Dafür aber trinkt er Ma-el-Zat, zu Deutsch Kröten- und Eidechsensaft, und thut dick wie aan Hyppopotamus. In Mekka und Medina war ich nit, dos is wahr, aber wenn du deshalb etwa denkst, daß du besser bist, als aan Christ aus Kaltenbrunn, so lange ich dir aane ins Gesicht, daß es noch dreimal länger und breiter wird, als deine fünfhundertige Menschenmutter in Dschidda!«

Der tapfere Kubaschi zog es jetzt vor, zu schweigen.

Ein kurzer Meinungsaustausch zwischen Emery und mir brachte uns zu dem Entschlusse, die Räuber zwischen zwei Feuer zu nehmen. Wir trennten uns daher. Die Anwesenheit des Behluwan-Bei mußte die Männer der Kaffilah ermutigen; aus diesem Grunde blieb er bei ihnen, während ich mit seinen Begleitern, dem Tebu und dem Staffelsteiner, also mit mir fünf Mann stark, mich hinaus zwischen die Dünen zog, um dort die Gum zu erwarten und im Rücken anzugreifen.

Unsere Schüsse mußten den Hedjahn-Bei außerordentlich eingeschüchtert haben, denn es dauerte sehr lange, bis wir das erste Geräusch der anrückenden Räuber vernahmen.

Zwei von ihnen schlichen sich rekognoszierend voraus; die andern folgten in einiger Entfernung. Sie huschten an uns vorüber, ohne uns zu bemerken, trotzdem wir uns nun hart hinter ihnen hielten. Die beiden Vorausgehenden umschritten das Lager der Kaffilah. Es herrschte dort eine solche Ruhe und Bewegungslosigkeit, daß alles im tiefsten Schlafe zu liegen schien. Die Räuber traten zusammen, um die Befehle ihres Anführers zu vernehmen. Jetzt war es jedenfalls die beste Zeit, loszubrechen. Ihre zusammengedrängte Masse bot selbst einem schlechten Schützen ein sicheres Ziel, und wenn wir sie einmal in das Lager kommen ließen, so war der Sieg, an dem ich allerdings auch dann nicht zweifelte, für uns mit größeren Opfern verbunden. Emery mußte ganz dieselbe Ansicht hegen, denn kaum hatte ich den Gedanken ausgedacht, so erklang zwischen den Zelten seine befehlende Stimme: