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Im Reiche des silbernen Löwen II

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Wir hatten nämlich die Wiesenmulde hinter uns; der Wald begann wieder. Ich sah Madana seitwärts in denselben einbiegen; sie blieb vorher stehen und gab mir durch einen eigenartigen Wink zu erkennen, daß wir uns jetzt dem Verstecke ihrer Leute näherten. Ehe wir dieses erreichten, mußte ich mit dem Hauptmann fertig sein; das gebot mir die Vorsicht. Die Scene, welche uns erwartete, mußte ihn zur Erkenntnis bringen, daß wir keine Dawuhdijehs waren, und so war es geraten, ihn schon jetzt unschädlich zu machen. Darum antwortete ich:

»Räuber? Mit diesem Worte meinst du uns?«

»Ja,« lachte er, ohne verlegen zu sein.

»Weißt du, wie ein kurdischer Krieger darauf antwortet?«

»Er schweigt, denn es ist wahr!«

»Ja, er sagt allerdings nichts; aber er thut etwas.«

»Was?«

»Das!«

Bei diesem Worte holte ich aus und gab ihm einen Fausthieb ins Genick, daß er mit dem Oberkörper vorn niederknickte und mit den Füßen aus den Bügeln fuhr. Dann faßte ich ihn hinten, riß ihn aus dem Sattel und warf ihn neben sein Pferd, wo er vor Schreck und in halber Betäubung liegen blieb.

»Recht so, Effendi!« jubelte Halef, indem er aus dem Sattel sprang. »Da lernt er die Faust eines Räubers, eines Dawuhdijehkurden kennen! Was soll jetzt mit ihm geschehen?«

»Nimm ihm die Waffen; gieb ihm einen Knebel in den Mund, daß er nicht schreien kann, und binde ihm dann die Hände zusammen und an meinem Steigbügel fest! Beim geringsten Widerstand, den er zu leisten wagt, schieße ich ihn nieder!«

Ich zog den Revolver und richtete ihn auf den Offizier, der von Halef angefaßt und vom Boden in die Höhe gezogen wurde, ohne sich zu wehren. Als er meine Waffe sah, stammelte er!

»Ein Kurde – — – und ein Revolver – — – Maschallah[248]

»Wer so frech ist, von einem freien Krieger Gefälligkeiten im Tone eines Vorgesetzten zu fordern und ihn anstatt des Dankes dafür noch einen Räuber zu nennen, der kann sehr leicht noch andere, viel größere Wunder erfahren!« antwortete ich. »Hatte der Pascha keinen klügeren, vorsichtigeren Mann hierher zu senden? Wir sind keine Räuber, und es wird dir nichts geschehen, doch nur unter der Bedingung, daß du alles thust, was ich verlange. jetzt vorwärts!«

Der wahrhaft mutige Mann ist bescheiden, der Poltron aber im Grunde feig; das zeigte sich auch hier. Dieser Mann hatte sich ohne eine Miene der Gegenwehr knebeln und an meinen Bügel binden lassen und lief nun ganz schön nebenher. Sein Pferd ritt der Kurde, welcher das seinige an Ingdscha abgetreten hatte.

Wir bogen, indem wir Madana folgten, in ein von dicht stehenden Nadelbäumen überschattetes Felsengewirr ein, welches ganz unzugänglich zu sein schien, aber uns doch bald guten Raum zum hindurchkommen bot. Hier war wohl noch nie ein Mensch geritten! Dann ging es so steil hinab, daß wir die Pferde wieder führen mußten, wobei sie zuweilen auf die Hinterbeine zu schlitten kamen, worauf wir einen Grund erreichten, wo früher ein kleiner See, ein Weiher, gelegen hatte, der aber ausgetrocknet war, wahrscheinlich weil sein Zufluß einen andern Weg gefunden hatte. Da blieb Ingdscha halten, deutete mit der Hand vorwärts und sagte:

»Dort hinter dem Gesträuch sind unsere Leute. Hörst du sie? Madana hat ihnen gesagt, wen wir getroffen haben.«

Ich hörte laute, frohe Stimmen; Zweige knackten, und der erste, der erschien, war der lange, riesenhafte Räis selbst, der Vater Ingdschas, der mich damals so feindlich behandelt hatte und dann von dem Ruh ‚i Kulian zu einer andern Gesinnung bekehrt worden war. Sein Gesicht strahlte, als er mir beide Hände mit den Worten entgegenstreckte:

»Effendi, es ist wahr? Du kommst, du! Sollen wir das wirklich glauben? Können wir es glauben? Und dein Hadschi Halef ist auch dabei? Kommt, kommt schnell, damit euch alle sehen! Sie zweifeln sonst daran, daß ihr es seid!«

»Natürlich sind wir es, und natürlich bin ich auch dabei!« meinte Halef. »Wo hat man denn diesen Effendi je einmal gesehen, ohne daß ich dabei gewesen wäre, ohne den er nicht leben und nichts Gescheites machen kann! ja, kommt, damit auch die andern die Wonne unsers Anblicks genießen!«

Es würde hier zu weit führen, die Scene des Wiedersehens zu beschreiben und die hin und her schwirrenden Fragen und Antworten ausführlich zu bringen. Ich mußte mir große Mühe geben, diese braven Leute vor unvorsichtigen Äußerungen zu bewahren, weil der Hauptmann doch nicht erfahren durfte, wer sie und wer Halef und ich waren. Als sie sich endlich beruhigt hatten und wir beisammen saßen, erzählte uns der Räis von dem Verschwinden Marah Durimehs und dem vergeblichen Bemühen, sie aus dem Turme zu befreien. Es war nicht mehr, als was wir schon von Madana gehört hatten. Der Offizier war an einen Baum gebunden worden, so weit von uns, daß er nicht verstehen konnte, was der Räis sagte. Als dieser seinen Bericht beendet hatte, fuhr er, zu mir gewendet, fort:

»Und nun hat Madana uns gesagt, daß du uns helfen willst. Ist das wahr, Effendi?«

»Ja,« antwortete ich.

»Wir hatten dich zum Vorbilde genommen; wir wollten ganz nach deiner Weise listig handeln; aber was nützt die Klugheit, wenn – — wenn – — – wenn – — —«

»Wenn man sie nicht besitzt,« fiel Halef lachend ein.

Anstatt dies übel zu nehmen, stimmte der Räis bei:

»Ja, beinahe, das wollte ich auch sagen! Wir stecken schon so lange Zeit hier, ohne daß uns ein Plan kommen will.«

»Und kaum ist mein Sihdi hier erschienen, so ist bei ihm der Plan schon fertig! Ich sehe es ihm an. Immer, wenn er das eine Auge kleiner macht, hat er einen listigen Talab[249] im Kopfe sitzen. Habe ich recht, Effendi?«

Ich nickte.

»Seht ihr es? Er zog das eine Auge zusammen, folglich weiß er, was er machen will. Und der Gedanke, den er hat, ist jedenfalls ein fröhlicher. Ich kenne sein Gesicht!«

»Hat Halef es wirklich erraten?« fragte der Räis.

»Ja,« antwortete ich; »aber daß ich meine Gedanken durch meine Augenmuskeln verrate, das habe ich selbst noch nicht gewußt. Ich werde in Zukunft besser auf mich achten.«

»So erlaube, daß ich mich verwundere, Effendi! Wir haben ohne Aufhören nachgedacht, um einen ausführbaren Plan ausfindig zu machen, doch vergeblich. Und du hast einen Entschluß, nachdem du erst einige Minuten bei uns bist!«

»Ich hatte ihn schon, als ich kam. Das ist nicht etwa ein Zeichen von größerer Klugheit, sondern der Zufall war mir günstig. Halef, erinnerst du dich der Fragen, welche ich dort dem Hauptmanne vorgelegt habe?«

»Ja, Sihdi.«

»So weißt du, daß er nicht nur bei den Dawuhdijehs vollständig unbekannt ist, sondern daß ihn auch der Mülasim im Kulluk noch nicht kennt. Er hat Legitimationen bei sich, denen der Mülasim gehorchen muß. Ist es da nicht selbstverständlich, daß ich an seiner Stelle nach dem Turme gehe?«

»Du – — – an seiner Stelle – — – als Hauptmann – — —? Effendi, das ist freilich ein Gedanke von solcher Größe und von solcher unendlichen Erhabenheit, als ob er nicht in deinem, sondern in meinem Kopfe entstanden wäre!«

»Ich danke dir für diese großartige Anerkennung, mein lieber Halef! Ein größeres Lob konntest du ja gar nicht aussprechen. Ich bin unendlich stolz darauf!«

»Das glaube ich, denn ich weiß, daß es für dich das erhabenste der Gefühle ist, mein Wohlgefallen zu besitzen. Aber meinst du nicht, daß es besser wäre, wenn ich an deiner Stelle ein türkischer Hauptmann würde?«

»Nein.«

»Warum nicht? Hältst du mich für zu dumm dazu?«

»Dumm? Du weißt, daß ich in dir stets den Inbegriff aller Klugheit sehe; aber siehe die Gestalt des Hauptmannes an! Würde dir sein Anzug passen?«

»Ja Allah! Da hast du freilich recht! Wer an seiner Stelle nach dem Kulluk will, der muß in das Innere dieses Anzuges wandern, und die Länge und Breite, welche er besitzt, würde mir höchst unbehaglich sein!«

»So siehst du also, daß ich diese Rolle selbst übernehmen muß. Dazu gehört, daß ich den Kulluk vorher erst einmal sehe. Wie weit liegt er von hier?«

»Nur eine Viertelstunde,« antwortete der Räis. »Ich bin bereit, ihn dir zu zeigen. Dieses Versteck hier konnte gar nicht günstiger so in der Nähe liegen. Madana hat es entdeckt. Die Dawuhdijehs scheinen keine Ahnung von dem Vorhandensein dieses Platzes zu haben.«

»Ja, führe mich! Die andern bleiben da; wir gehen allein.«

Halef wollte partout mit; ich wies ihn aber zurück, weil ich ihn dabei nicht brauchte. je weniger er wußte, desto weniger konnte er auf den Gedanken eines selbständigen oder gar eigenmächtigen Verhaltens kommen. Ich mußte dafür besorgt sein, daß er mir hier nichts verderben konnte.

Wir hatten vielleicht zweihundert Schritte weit in dem ausgetrockneten Wasserbecken zu gehen, bis wir an den früheren Ausfluß desselben kamen. Dieser bildete eine enge, sich mehrfach biegende, vom Wasser in den Felsen gefressene Spalte, welche mit Farnen und holzigem Gestrüpp so verwachsen war, daß man draußen leicht vorübergehen konnte, ohne zu ahnen, was für ein Platz hinter diesem scheinbar undurchdringlichen Dickicht lag. Als wir uns hindurchgewunden hatten, ging es eine kurze Schlucht hinab ins Thal, auf dessen anderer Wand ich dann den Kulluk liegen sah. Es war ein großer, aus starken, mit schmalen Schießlöchern versehenen Mauern aufgeführter Kubus, an den ein hoher, runder Turm mit teilweise eingestürzter Zinne stieß. Das war freilich nicht gleich auf den ersten Blick so deutlich zu sehen, weil dies durch den sich dicht emporziehenden Wald verhindert wurde. Wir schlichen uns weiter bis fast an die Stelle, wo der hinaufführende Weg begann. Von einem Weg in unserem Sinne war freilich keine Rede; man sah nur, daß in neuerer Zeit hier gegangen und geritten worden war.

 

Das alte Mauerwerk lag so still und scheinbar unbelebt da oben, daß ich es für unbewohnt gehalten hätte, wenn mir nicht das Gegenteil berichtet worden wäre. Es war kein Mensch, kein Tier, kein lebendes Wesen ringsum zu sehen, und weiter hinauf durften wir nicht, wenn wir uns nicht der Gefahr aussetzen wollten, entdeckt zu werden. Wir kehrten also so vorsichtig, wie wir gekommen waren, nach unserem Verstecke zurück, wo sich Halef natürlich gleich sehr angelegentlich erkundigte, was ich gesehen und beschlossen hätte. Ich hielt es nicht für geraten, ihm jetzt schon etwas mitzuteilen. Es genügte vollständig, wenn er einstweilen wußte, daß ich als türkischer Hauptmann nach dem Kulluk wollte. Das übrige erfuhr er am besten erst dann, wenn es vorüber war. Wollte er doch auch so schon sich der Sache in einer Weise annehmen, die ich zurückweisen mußte. Er schlug mir nämlich vor:

»Sihdi, da der Schneider des Hauptmannes den Anzug nicht für die sanften Verhältnisse meiner rücksichtsvollen Persönlichkeit gefertigt, sondern ihm eine so unbescheidene Ausdehnung gegeben hat, daß ich es mir streng verbitten muß, mit ihm in Berührung zu kommen, so magst also du selbst in die fremden Hosenbeine und dir nicht gehörigen Ärmel fahren; aber ich werde wenigstens die Vorbereitung dazu jetzt treffen.«

»Welche Vorbereitung?«

»Ich werde zu ihm hingehen und ihm sagen, daß er das Innere seiner Uniform augenblicklich zu verlassen habe. Dann bringe ich sie dir her, damit du sie anziehen kannst.«

»Warum soll denn nicht ich hin zu ihm gehen?«

»Weil dir die große Gabe der Rede versagt ist, welche dazu gehört, ihm die ungeheure Notwendigkeit dieser Anordnung begreiflich zu machen.«

»Lieber Halef, sei doch so gut, und warte mit deinen großen Thaten, bis ich dich auffordere, sie zu thun! Du kennst ja die Art und Weise gar nicht, in welcher das, was du thun willst, zu geschehen hat!«

»Ist denn diese Art und Weise hierzu eine ganz besondere?«

»Ja. Und wenn sie das auch nicht wäre, so versteht es sich doch ganz von selbst, daß ich in dieser Angelegenheit, die meine eigene ist, keinen Vormund brauche!«

»Vormund! O Effendi, wie verkennst du doch die opferwillige Liebe, mit welcher ich bestrebt bin, dir alle Unannehmlichkeiten des Lebens tragen zu helfen!«

»Sei still! Den Herrn und Gebieter willst du spielen; weiter hat es keinen Zweck. Ich erkenne ja deine vorzüglichen Eigenschaften bereitwilligst an und werde dir das jetzt beweisen, indem ich dir ein hochwichtiges Amt anvertraue.«

»Ein hochwichtiges?« fragte er, indem seine bereits düster gewordene Miene sich sofort wieder aufhellte. »Ja, vertraue es mir an; du kannst überzeugt sein, daß es ganz unmöglich ist, es in bessere Hände zu legen!«

»Das weiß ich ja, und darum übergebe ich es dir und keinem andern. Ich traue dir nämlich zu, ein vorzüglicher Baumeister zu sein, lieber Halef.«

»Ein – — – Baumeister?« fragte er, indem sich in seinem Gesichte eine Überraschung aussprach, die mir heimlich Spaß machte.

»Ja, ein Baumeister,« nickte ich wichtig.

»Soll etwa hier etwas gebaut werden?«

»Ja.«

»Was?«

»Ein Gefängnis.«

»Wirklich? Ein Gefängnis? Für wen?«

»Für den Hauptmann, für den Mülasim und seine Soldaten und für die Dawuhdijehs, die sich im Kulluk befinden.«

»Das wären ja zusammen gegen fünfzig Personen!«

»Allerdings. Du siehst, welch eine Menge von Steinen es hier giebt, große und kleine. Es wird genügen, wenn sie recht fest und passend aufeinandergelegt werden; auf Mörtel müssen wir verzichten. Das Gefängnis muß fünfzig Personen fassen und bis morgen vormittag, womöglich aber schon heut abend fertig sein. Die Männer hier werden dir alle helfen. Den Plan zu diesem Gebäude mußt du selbst entwerfen; ich habe leider keine Zeit dazu.«

Da fiel er schnell ein:

»Und wenn du Zeit hättest, Sihdi, so würde ich es nicht dulden, daß du mir ins Handwerk pfuschest. Ich sage dir, daß du meine Begabung für die Kunst des Gefängnisbauens ganz richtig erkannt hast. Ich werde ein Gebäude errichten, über dessen Vortrefflichkeit du staunen wirst. Soll es auch geheizt werden?«

»Ja.«

»Das erhöht zwar die Schwierigkeit bedeutend, doch sollst du mit mir zufrieden sein. Ich werde einen Feuerherd errichten und eine Esse darüber bauen. Aus was aber soll das Dach dieses großen Gefängnispalastes bestehen?«

»Das zu bestimmen, überlasse ich dir, denn du bist der Baumeister, dem ich keine Vorschriften zu machen habe.«

»Da hast du recht, sehr recht, Sihdi. Ich werde mir von keinem Menschen in diese hochwichtige Angelegenheit sprechen lassen, sondern nur die Vorzüge meines eigenen Geistes in Bewegung setzen. Hast du sonst noch einen Wunsch?«

»Nur den einen, daß alles so leise wie möglich vor sich gehen möge. Die Bewohner des Kulluk, welcher ganz in der Nähe liegt, dürfen nicht das geringste Geräusch hören!«

»Das ist ja selbstverständlich. Wir werden so leise machen, daß wir selbst nichts davon hören. Verlaß dich nur ganz auf mich! Du wirst wohl inzwischen abwesend sein?«

»Ja, denn ich reite nach dem Turme, denke aber, daß du mich nicht brauchen wirst. Du ersiehst hieraus, lieber Halef, was für ein großes Vertrauen ich in dich setze!«

»Das kannst du auch; jawohl das kannst du auch! Du ahnst gar nicht, was für bedeutende und erhabene Ideen diese Aufgabe schon jetzt in meinem Kopfe geboren hat! Ich muß mich mit ihnen beschäftigen, muß sie in Ordnung bringen. Erlaube also, daß ich die Einsamkeit aufsuche, denn nur in der Abgeschiedenheit von der gewöhnlichen Weltbevölkerung können die erhabenen Werke der Kunst und Meisterschaft entstehen!«

Er ging fort und wandelte dann rastlos unter fernen Bäumen hin und her, vollständig ahnungslos, daß ich ihn nur, um ihn unschädlich zu machen, in einen Architekten verwandelt hätten. Es sollte sich gar nicht um den Turm bekümmern können. Nun ich mich seiner erledigt hatte, konnte ich zu dem Hauptmanne gehen,

»Ich verlange, losgemacht zu werden!« zürnte mich dieser an. »Ihr werdet es bereuen, euch an mir vergriffen zu haben!«

»Sei bescheiden!« warnte ich ihn. »Mit Drohungen hast du bei uns keinen Erfolg! Denkst du denn, wir durchschauen dich nicht? Du bist gar nicht der, für den du dich ausgiebst. Ein Offizier, welcher von dem Pascha zu den Dawuhdijehs gesandt wird, ist nicht so dumm, sie ins Gesicht hinein Räuber zu nennen.«

»Ich kein Offizier? Was fällt dir ein? Greif in die Tasche meiner linken Brust, so wirst du den schriftlichen Befehl des Kaimakam mit meinem Namen und meiner Charge finden!«

Ich that natürlich, was er wollte, denn das hatte ich eben auch gewollt. Der Befehl war offen; ich konnte ihn lesen, ohne ihn aufbrechen zu müssen. Er hätte für mein Vorhaben gar nicht besser abgefaßt sein können. Weiter wollte ich mit dem Manne nun persönlich nichts mehr zu thun haben; ich sagte dem Räis, was ich wollte. Der Offizier wurde seitwärts geschafft, wo er sich entkleiden mußte; dann hatte er sich mit seinem Mantel zu begnügen. Er machte einen Heidenlärm, um den ich mich aber nicht kümmerte. Seinem Namen nach war er ein Arnaute; ich brauchte also in Rücksicht auf sein offizierliches Ehrgefühl nicht allzu zart mit ihm zu verfahren. Die Arnauten, besonders die nach dem Irak versetzten, sind stets rohe, gewaltthätige Menschen, und daß er zu dieser Kategorie gehörte, hatte er ja bewiesen!

Als ich dann in seinem Anzuge steckte, erklärte mir der Räis, daß kein Mensch, dem ich unbekannt sei, an eine Verkleidung denken werde. Halef rief mir von weitem zu:

»Sihdi, es wird dich jedermann für den halten, für den er dich halten soll. Mehr kann ich dir nicht sagen, denn ich habe keine Zeit dazu. Habe also die Güte, und entschuldige mich! Das Gefängnis geht mir mit seinen Mauern, dem Dach und auch der hohen Feueresse im Kopfe herum!«

Da ich die Waffen des Arnauten tragen mußte, übergab ich die meinigen dem Räis zur sorgfältigen Aufbewahrung; nur einen Revolver steckte ich in die Tasche. Nach Verhaltungsmaßregeln befragt, erklärte ich, daß ich keine besonderen für nötig halte. Es durfte bis zu meiner Rückkehr niemand das Versteck verlassen, und jedes laute, hinausdringende Geräusch war zu vermeiden; weiter hatte ich für jetzt keinen Wunsch. Als ich dann das Pferd des Arnauten am Zügel nahm, um mich mit ihm zu entfernen, traten Ingdscha und Madana mit der wohlgemeinten Bitte zu mir, mich ja in keine zu große Gefahr zu begeben; zu ihrer Beruhigung versprach ich ihnen das, obgleich es natürlich nicht in meiner Macht lag, den Besuch des Turmes für mich weniger gefährlich zu machen, als er überhaupt war.

Ich mußte die steilen Hänge hinan, welche wir heruntergekommen waren; dann führte ich den Gaul nach rechts in die kurze Schlucht hinab, durch welche ich mit dem Räis nach dem Thale des Kulluk geschlichen war. Ich will aufrichtig gestehen, daß es mir nicht ganz unbedenklich zu Mute war, als ich den Turm nun vor mir ragen sah. Hinauf würde ich ja ganz gut kommen; wie aber wieder herab? Vielleicht gar nicht! Mein Vorhaben war ja viel, viel gefährlicher, als ich mir hatte merken lassen! Doch stand wenigstens das bei mir fest, daß ich lieber alles wagen als mich als Gefangenen da oben festhalten lassen würde.

Allzugroß schien die Wachsamkeit der Dawuhdijehs nicht zu sein, denn ich kam fast ganz hinauf, ohne einen von ihnen zu sehen. Zuletzt ging es unter einigen Rieseneichen hin, und als ich diese hinter mir hatte, lag das Thor in kurzer Entfernung vor mir. Zur Seite desselben lagen fünf Kurden, welche bei meinem Anblicke aufsprangen. Sie betrachteten mich kurz; dann kamen mir vier einige Schritte entgegen; der fünfte verschwand im Innern, jedenfalls um mein Erscheinen drin zu melden. In diesem Augenblicke war alle etwa in mir vorhanden gewesene Bangigkeit verschwunden. Die Furcht vor der Gefahr pflegt ja meist größer als die Gefahr selbst zu sein.

»Ihr seid Kurden des Stammes Dawuhdijeh?« fragte ich in kurzer Weise, indem ich vom Pferde sprang und einem von ihnen den Zügel hinwarf.

»Ja, Aga,« antwortete er.

»Ihr habt einen besonderen Anführer?«

»Ja, Rebat ist es.«

»Das stimmt. Wo befindet er sich?«

»Drin in der Wachtstube.«

»Und der Mülasim?«

»Er hält den Kef[250] bei sich. Dürfen wir ihn stören?«

»Ich werde das selbst thun. Führt mich zu ihm!«

Da kam ein baumlanger, dürrer, mit allen möglichen Waffen behangener Kerl herausgeeilt, stellte sich dicht vor mich hin und sagte in respektvollem Tone:

»Gegrüßt seist du, o Jüzbaschi[251]! Ich bin Rebat, dem die Krieger hier zu gehorchen haben.«

»Das weiß ich schon. Dir ist doch bekannt, wo sich Ismael Beg, euer Scheik, jetzt befindet?«

»Ja. Er wartet auf – — auf – — —«

Er zögerte, weiterzusprechen. Wahrscheinlich war er sich im unklaren, ob er mir die betreffenden Mitteilungen machen dürfe oder nicht. Darum ergänzte ich seine Rede:

»Er wartet auf die dreihundert Hamawands, meinst du. Da hat er sich freilich verrechnet; eure Kundschafter hätten besser aufpassen sollen. Ich habe euch eine wichtige Nachricht zu bringen; sie ist sehr eilig; aber ich kann sie nicht eher aussprechen, als bis ich mich überzeugt habe, daß hier alles in Ordnung ist. Führe mich zum Mülasim!«

»Sofort, o Jüzbaschi. Erlaube, daß ich vorangehe!«

Wir kamen durch das Thor in das Innere des kubischen Mauerwerkes. Es bildete einen viereckigen Hof, welcher ringsum in etwas über Manneshöhe mit sehr defekten Dächern versehen war. Rechts und links standen die Pferde. Zu beiden Seiten des Thores und auch gegenüber zu Seiten des Turmeinganges hockten die Kurden in allen möglichen Stellungen. Sie standen auf, als sie mich kommen sahen. Diese Achtung, weiche sie meiner Uniform erwiesen, war ganz geeignet, beruhigend auf mich zu wirken; ich durfte hoffen, daß man mir gehorchen werde.

 

Rebat stieg einige Stufen zur in den Turm führenden Thüre hinauf; ich folgte ihm. Rechts gab es zunächst eine Treppe mit sehr zerfallenen Stufen, weiter hinten einen Eingang, welcher mit einer alten Decke verhangen war. Die vordere Hälfte der linken Seite wurde von dem Lehmboden gebildet, auf welchem einige lange Baststricke lagen; wozu sie dienten, das erfuhr ich nachher. Dann gähnte ein großes, tiefes, viereckiges Loch, über welchem ein widerlicher Duft von Moder und Fäulnis schwebte. Der Kurde deutete nach dem Vorhange, wobei er sagte:

»Dort ist der Mülasim. Soll ich mit zu ihm gehen?«

»Nein. Warte draußen im Hofe, bis wir hinauskommen. Ich bin gesandt, ihn abzulösen; er wird euch das dann sagen. Die Paschas von Kerkuk und von Suleimania sind zornig darüber, daß ihr den Mund der alten Hexe nicht zu öffnen versteht. Das muß nun anders werden! Habt ihr denn kein Geschick, mit einem alten Weibe umzugehen?«

Der lange Mensch knickte unter diesen Worten verlegen zusammen und brachte stotternd die Entschuldigung hervor:

»Bedenke, o Jüzbaschi, daß sie eben eine Zauberin ist! Sie kann sich für jede Beleidigung fürchterlich rächen.«

»Unsinn!«

»Ja, das kann sie! Wir wissen es. Glaube es mir! Wir sehen es ja an den Leuten, welche kommen, um ihr ihre Anliegen auszusprechen. Es geht da alles in Erfüllung, was die Alte sagt. Zwar darf der Pascha davon nichts – — —«

Er hielt erschrocken inne und senkte den Kopf noch tiefer als vorher; da war es für mich nicht schwer, zu erraten, weshalb er mitten in der Rede innegehalten hatte. Ich benützte das sofort, indem ich im strengsten Tone sagte:

»Was höre ich da! Es kommen Leute, welche zu der Frau gelassen werden?«

»Ja, Herr. Wir baten den Mülasim, und er hat es uns erlaubt. Wir hoffen, daß auch du uns diese Erlaubnis nicht verweigerst, denn du wirst dafür ebenso wie er einen Teil der Geschenke erhalten, welche wir bekommen.«

Da ertönte eine scheltende Stimme von hinter der Windung der Treppe herab:

»Wer spricht so laut da unten? Wißt ihr nicht, daß jetzt für mich die Zeit der Ruhe ist?«

»Das ist der Mülasim,« erklärte mir der Kurde leise. »Er befindet sich also nicht dort in seiner Stube, sondern oben auf der Treppe, wo er bessere Luft hat, wie er sagt.«

»Warte draußen auf mich! Ich gehe zu ihm hinauf.«

Er entfernte sich, und ich stieg langsam die Stufen empor. Der Mülasim schien nur gehört zu haben, daß überhaupt gesprochen wurde. Verstanden hatte er wahrscheinlich nichts, weil sonst sein Verhalten ein anderes gewesen wäre. Nichts hätte mir für meinen Plan besser passen können, als das, was ich von dem langen Kurden erfahren hatte. Die Wunderthätigkeit Marah Durimehs bestand nur in der Phantasie der Kurden, welche die betreffenden Märchen erzählten, um Geschenke einzuheimsen. Mein Selbstvertrauen war ganz bedeutend gewachsen.

Ich hatte nur erst wenige Stufen erstiegen, so hörte ich oben zornig sagen:

»Wer wagt es da, heraufzukommen? Ihr wißt doch, daß ich jetzt meine Ruhe haben will!«

Ich ging natürlich trotzdem weiter. Als ich dann die Krümmung der Wendeltreppe passiert hatte, sah ich den Mülasim mit den Händen unter dem Kopfe lang ausgestreckt auf dem tief schmutzigen Boden liegen. Er hob den Kopf empor, um zornig loszudonnern; das sah ich ihm an; als er aber mich anstatt eines Dawuhdijeh erblickte, sprang er erschrocken auf und blieb lang stehen, ohne ein Wort zu sagen. Solche Augen, so ein Gesicht und solch einen Schnurrbart konnte nur ein Arnaute haben. Er war nicht mehr jung, hatte also jedenfalls von der Muskete auf gedient und wurde nun zu ähnlichen Zwecken, wie der gegenwärtige einer war, verwendet, die mit dem Frontdienste und der Ambition nichts zu thun haben.

»Du mußt schon erlauben, daß ich dich in deiner Ruhe störe,« sagte ich. »Die Störung wird keine kurze sein, sondern eine längere, als du denkst!«

Nun stand ich vor ihm und betrachtete ihn genau. Wie ich ihn abschätzte, stand zu erwarten, daß ich kein schweres Spiel mit ihm haben würde.

»Verzeihung!« stieß er hervor. »Ich – — ich dachte, daß –daß es ein Kurde sei!«

»Da hast du dich geirrt. Hier, sieh, wer ich bin!«

Ich zog das Papier aus der Tasche und gab es ihm. Er hatte sehr lange zu studieren, ehe er mit dem Lesen fertig wurde. Dann ließ er die Hand mit den Zeilen fallen und sagte:

»Ich soll fort von hier? Du kommst an meine Stelle? Das ist mir recht und lieb! Ich will lieber unter Geistern als in der Nähe einer solchen Frau sein, vor der man sich wie vor den Gerippen des Todes fürchten muß!«

»Dein Mut scheint beispiellos zu sein!« bemerkte ich.

»Das sagst du jetzt, in einigen Tagen aber nicht mehr! Ich habe meine Pflicht gethan und sie ausforschen wollen; aber sie hat das Aussehen einer Leiche und ist stumm wie ein Grab. Auch du wirst nichts von ihr erfahren!«

Wie gern hätte ich gewußt, worauf sich dieses Ausforschen bezog; aber eine Bemerkung oder Frage meinerseits hätte mich sehr leicht in die Gefahr gebracht, meine vollständige Unkenntnis zu verraten, darum schwieg ich lieber und zog es vor, den Inquirenten zu spielen:

»Du hast fremde Leute mit ihr sprechen lassen?«

Er schwieg.

»Und Geschenke dafür angenommen?«

Er sagte auch jetzt noch nichts.

»Sprich! Du hörst, daß ich dich frage!«

»Ja, ich habe es gethan,« gestand er. »Du wirst es auch thun, wenn auch nicht gleich in den ersten Tagen. Die fürchterliche Langeweile wird dich packen, so wie sie mir die Seele dehnte, und dann wirst du auch froh sein, wenn einmal eine Unterbrechung kommt. Ich bin unendlich glücklich, aus dieser Einsamkeit und von diesem Umgang mit der wandelnden Leiche erlöst zu sein! Wirst du mich anzeigen?«

»Nein, ich lasse keinen Kameraden bestrafen.«

»Ich danke dir! Wann darf ich fort?«

»Wann du willst.«

»Nun, dann sobald wie möglich!«

»Vorher aber mußt du mir den Posten übergeben, so, wie du ihn übernommen hast.«

»Das werde ich sofort und sehr gern thun. Übernommen habe ich nur die Frau. Die Hamawandikurden, welche der Scheik schickte, gehen uns eigentlich nichts an; ich werde aber auch sie dir zeigen.«

»Wie verhalten sie sich?«

»Stolz und still. Es fällt ihnen nicht ein, die Forderung des Scheikes zu erfüllen und, nur weil sie ohne sein Wissen sein Gebiet betreten haben und in seine Hände geraten sind, ihm ihre Freiheit mit zweihundert Gewehren zu bezahlen. Sie würden sich dadurch teilweise entwaffnen und also den Dawuhdijehs gegenüber schwächen. Sie sind überzeugt, daß ihre Leute kommen, um sie herauszuholen. Ich bedauere sie des Loches wegen, in dem sie mitten im Kote und Unrate so lange stecken müssen.«

»Du weißt natürlich auch, wer sie sind?«

»So gut wie du. Der Scheik konnte mir es doch nicht verheimlichen. Daß Jamir unter einem falschen Namen hierhergekommen ist, war eine unverzeihliche Unvorsichtigkeit von ihm. Ein so berühmter Anführer muß stets und überall gewärtig sein, erkannt zu werden. Das mußte er sich sagen!«

»Du tadelst ihn und hast ihn doch selbst auch auf dem Gewissen!«

»Ich?«

»Ja.«

»Inwiefern?«

»Hättet ihr nicht das Gerücht ausgestreut, daß die Alte Wunder thue, so wären nicht so viele Leute und wäre auch er nicht gekommen!«

»Das haben die Dawuhdijehs auf ihre eigene Rechnung gethan; ich habe es ihnen nicht geheißen.«

»Aber geduldet hast du es?«

»Weil der Anteil an den Geschenken, den ich bekam, die einzige Einnahme war, die ich hier hatte. Du weißt ja selbst, wie es mit unserm Solde steht. Wir bekommen ihn so selten. Und da man denn doch leben muß, ist man gezwungen, sich auf irgend eine andere Weise eine Einnahme zu sichern.«

»Die Frau hat aber, wie ich vermute, doch nicht gewußt, daß sie für eine Krankenheilerin und Wunderthäterin gehalten wird?«

»Nein. Davon erfuhr sie nichts.«

»Wie hat sie da mit den Leuten verkehren können, ohne es zu erfahren?«

»Wir ließen sie in dem Glauben, daß diese Leute wünschten, sie solle für sie beten. Sie durfte zu ihnen an das Thor, doch nicht mit ihnen sprechen. Da legte sie ihnen die Hände auf und betete. Das war alles, was geschah. Ist es dir recht, daß ich sie dir jetzt zeige?«

»Ja. Kennst du ihren wirklichen Namen?«

»Nein. Es ist mir verboten, nach ihm zu fragen. Du?«

»Ja, ich kenne ihn.«

»So bist du tiefer eingeweiht als ich; du bist aber auch nicht vom Kaimakam, sondern vom Pascha selbst gesandt. Darf ich ihn von dir erfahren?«

»Nein. Da du ihn nicht weißt, darf ich ihn dir nicht sagen.«

»So komm. Sie ist hier oben.«

Jetzt hatte ich den Wunsch, daß Marah Durimeh mich nicht erkennen oder, falls es doch geschehen sollte, dies durch nichts verraten möge. Er führte mich noch eine Treppe höher. Da gab es eine aus Bohlen zusammengesetzte, starke Thür, die durch zwei Querbalken festgehalten wurde. Er entfernte diese letzteren und öffnete. Es gab einen ziemlich großen, sehr schmutzigen Raum, welcher durch zwei schmale Schießscharten Luft und Licht bekam. Da saß sie auf einer alten, zerfetzten Decke an der Wand. Sie hatte die Hände gefaltet und schien gebetet zu haben.

Ja, es war Marah Durimeh! Sie war wie damals eingehüllt in einen weiten dunkeln Mantel, aus welchem mir ihr hageres Gesicht wie dasjenige eines Totenkopfes entgegengrinste. Auch heut hingen ihr die dicken, schneeweißen Haarzöpfe bis fast auf die Erde herab, als sie sich bei unserm Anblicke langsam aufgerichtet hatte.

248Wunder Gottes!
249Fuchs.
250MIttagsschlummer.
251Hauptmann.