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Im Reiche des silbernen Löwen II

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Madana heißt auf deutsch »Petersilie«. Wie die Alte zu diesem würzigen Namen gekommen war, weiß ich nicht; aber als sie jetzt ganz nahe vor mir stand, duftete sie nicht nur nach Petersilie, sondern es entströmte ihr eine Atmosphäre, welche aus den Gerüchen von Knoblauch, faulen Fischen, toten Ratten, Seifenwasser und verbranntem Hering zusammengesetzt zu sein schien. Gekleidet war diese schöne Bewohnerin des Zabthales in einen kurzen Rock, den man bei uns wohl kaum als Scheuerlappen hätte benutzen mögen; der Rand desselben reichte bis nur wenig über die Knie herab und ließ ein Paar gespenstige Gehwerkzeuge sehen, deren Anblick zu der Vermutung führte, daß sie bereits seit langen Jahren nicht mehr gewaschen worden seien .......... In meiner Nähe erblickte ich neben einem gefüllten Wassernapfe einen großen Scherben, der früher wohl einmal zu einem Kruge gehört hatte, jetzt aber als Schüssel benützt wurde und eine Masse enthielt, welche halb aus Tischlerleim und halb aus Regenwürmern oder Blutegeln zu bestehen schien ............ Später, als ich mit der Alten allein war, wurde ich von ihr gefragt:

»Willst du essen?«

»Nein,« antwortete ich voller Grauen.

»Trinken?«

»Nein.«

Da kam die duftende Petersilie herbeigekrochen, ließ sich in der Nähe meiner armen Nase häuslich nieder und nahm dann den von mir verschmähten Scherben auf ihren Schoß. Ich sah, daß sie mit allen fünf Fingern der rechten Hand in das geheimnisvolle Amalgam langte und dann den zahnlosen Mund wie eine schwarzlederne Reisetasche auseinanderklappte – — ich schloß die Augen. Eine Zeitlang hörte ich ein mächtiges Geknatsch; sodann vernahm ich jenes sanfte, zärtliche Streichen, welches entsteht, wenn die Zunge als Wischtuch gebraucht wird, und endlich erklang ein langes, zufriedenes Grunzen, welches ganz hörbar aus einer wonnetrunkenen Menschenseele kam. O Petersilie, du Würze des Lebens, warum duftest du nicht draußen im Freien! ........

Man denke ja nicht, daß die Seele dieser alten Kurdin ihrem Äußeren geglichen habe! Madana war ganz im Gegenteile ein herzensbraves gutes Menschenkind. Sie erleichterte mir meine Lage nach Kräften, und als ich dann wieder frei war, hatte sie mich so liebgewonnen, daß sie beim Scheiden mit den Worten von mir Abschied nahm:

»Leb wohl, Herr! Der Ruh ‚i Kulian hat gezeigt, daß du sein Liebling bist, und auch ich versichere dir, daß ich deine Freundin bin!«

Seit jener Zeit war eine Reihe von Jahren vergangen. Ich war nicht wieder in jene Gegend gekommen und hatte ein Wiedersehen zwar gewünscht, es aber nicht für möglich gehalten. Und nun stand sie da vor mir in all ihrer Pracht und Herrlichkeit, die liebe, die holde, die süße Petersilie, zwar älter aussehend als damals, sonst aber genau noch so wie zu jener Zeit, in welcher ich sie vor mir sah, den leeren Krugscherben in der Hand, den sie ausgeleckt hatte! Das Gewand, welches sie jetzt trug, war zwar ausreichender als ihr damaliges, aber sehr viel reinlicher und besser nicht.

Kaum war ihr Auge auf mich gefallen, so kam sie mit langen Riesenschritten auf mich zu, ergriff meine beiden Hände, zog sie an ihr Herz und rief in jubelndem Tone:

»Du bist es wirklich, Herr; ich sehe es! Welch eine Wonne! Welch eine Seligkeit! Seit du Abschied von uns nahmst, ist kein Tag vergangen, an welchem wir nicht an dich dachten. Wir haben von dir gesprochen allezeit, haben alles, was du thatest, und jedes deiner Worte uns tausendmal wiederholt. Wir haben gehört, daß du wieder in der Dschesireh gewesen bist und auch wieder in unserm Kurdistan, doch aber nicht in der Gegend, wo wir wohnen, die wir dich lieben und verehren. Wir hatten für dieses Leben darauf verzichtet, dich jemals wiederzusehen, und nun hat Gott es doch gefügt, daß unsern Augen die Wonne deines Anblickes wird! O Effendi, es ist mir unmöglich, dir zu sagen, wie groß das Glück ist, welches uns dein Kommen bringt! Ingdscha, warum stehst du noch dort? Wie oft hast du still an ihn gedacht und laut von ihm gesprochen! Und nun er da ist, stehst du von fern und scheinst ihn nicht zu kennen!«

Ingdscha! Ja, sie war es, die schöne Tochter Nedschir Bey‘s, des Räis von Schohrd, der damals mein Freund wurde, nachdem er vorher mein Feind gewesen war. Man sah es ihr nicht an, daß Jahre vergangen waren, seit wir uns nicht gesehen hatten. Sie stand neben Halef ganz in derselben schüchternen Haltung, wie ich sie bei unserm ersten Zusammentreffen gesehen hatte, auch mit derselben Röte der Befangenheit auf ihren weichen, bräunlichen Wangen. Auch sie trug ein ganz ärmliches Gewand, wohl mit eine Ursache ihrer augenblicklichen Verlegenheit, aber trotzdem hätte ihr auch einer, der sie nicht kannte, angesehen, daß sie nicht gewohnt sei, sich in dieser Weise zu kleiden. Sie, die schöne, wohlhabende Chaldäerin, mußte einen ganz besonderen Grund haben, eine solche Tracht anzulegen. Sie blieb, ohne auf die Worte der Alten zu achten, stehen, als ob sie keinen Fuß bewegen könne. Ich ging zu ihr hin, nahm ihre Hände in die meinigen und sagte:

»Sei mir gegrüßt, du liebe Freundin aus vergangener, schöner Zeit! Auch ich habe eurer gedacht und bin so froh, daß ich euch wiedersehe. Warum sprichst du nicht? Freust du dich denn nicht auch?«

Da vertiefte sich die Röte ihrer Wangen; sie senkte, vergeblich nach Worten suchend, die Augen und begann dann, still vor sich hin zu weinen. Ich war tief gerührt; der Hadschi auch. Nur konnte er seine Rührung nicht so wie ich beherrschen; er mußte ihr in seiner Weise Luft machen und sprach also:

»Warum habt ihr euch doch umgedreht! Dieser Effendi mit dem ganz vergeblich langen Verstande hätte nicht eher erfahren, wer ihr seid, als bis er es erraten hätte, und wenn er gezwungen gewesen wäre, mit euch zehntausend Jahre lang hier in Gedanken stehen zu bleiben! Nun aber ist das ganze, schöne Geheimnis verraten, und ihr habt mich um das Glück gebracht, etwas zu wissen, was er trotz all seiner unnützen Einsicht nicht begreifen konnte! Nun lacht Madana, während Ingdscha weint! Folglich muß nun auch einer von uns beiden weinen, und der andere lacht. Aber warum soll ein Quell der Thränen fließen, während wir doch nichts als Freude fühlen? Ich sehe nicht ein, warum – — – Sihdi, drehe dich um!«

»Warum?« fragte ich, obgleich ich wohl sah, daß er sich vergeblich bemühte, die Thränen, welche in sein Auge traten, zurückzuhalten.

»Ich sage: Drehe dich um!« schrie er mich an. »Du brauchst nicht zu wissen, daß Hadschi Halef Omar, der oberste Scheik der Haddedihn, eine Freundin nicht weinen sehen kann, ohne sofort mitzuthun! Also hinum mit dir, sonst reite ich fort, und du bekommst mich nie wieder vor die Augen!«

Ich drehte mich also um und sah nun, daß die Hamawands von der Thalwand herunterkamen. Sie hatten nicht länger warten wollen, weil sie neugierig waren, die Gründe unsers ihnen unbegreiflichen Verhaltens kennen zu lernen.

»Siehst du, daß ich recht gehabt habe?« sagte Adsy, indem er auf die Körbe deutete. »Ich sagte wohl, daß Galläpfel drin sein würden!«

»Und ich hatte auch recht,« antwortete ich. »Diese Frauen sind keine Galläpfelsammlerinnen.«

»Ihr scheint sie zu kennen?«

»Ja; sie sind Freundinnen von uns, die zwischen den Bergen des obern Zab ihre Heimat haben.«

»Warum kommen sie von da oben herunter?«

Da nahm, ehe ich antworten konnte, Madana das Wort:

»Das ist es ja, was ich euch vor allen Dingen sagen muß! Wie freue, freue, freue ich mich, daß wir euch getroffen haben! Nicht nur, weil wir euch lieben, sondern auch weil es ist, als hätte euch Gott geschickt, uns zu helfen! Ihr wundert euch gewiß darüber, daß wir uns so weit von unsern Wohnungen entfernt haben, und daß ihr uns als Sammlerinnen seht, was wir doch gar nicht sind!«

»Es muß ein sehr wichtiger Grund sein, der euch, besonders Ingdscha, dazu bewogen hat!« sagte ich.

»Ja, ein sehr wichtiger Grund,« nickte sie. »Wie werdet ihr erschrecken, wenn ich ihn euch sage!«

»Wir erschrecken nicht, denn wir kennen ihn schon.«

»Schon? Wo kommt ihr her?«

»Aus Persien herab.«

»So ist es unmöglich, daß ihr ihn kennt!«

»Und ich sage dir dennoch, er ist uns nicht nur bekannt, sondern wir wollen sogar zu der, um deretwillen ihr als Kundschafterinnen hier seid.«

»Als Kundschafterinnen?« fragte sie erstaunt. »Du errätst also, weshalb wir uns als Sammlerinnen der Galläpfel hier in dieser Gegend befinden! Ja, du sagst sogar, daß ihr zu jemand wollt! Wen meinst du damit?«

»Marah Durimeh.«

»Mein Gott! Es ist wahr, daß du es weißt!«

»Ich weiß sogar, wo sie sich befindet!«

»Das wissen wir nun auch. O, Effendi, was ist es für ein Glück, daß wir grad mit dir darüber reden können. Und wie wird der Räis sich freuen, wenn er erfährt, daß du dich hier befindest!«

»Welcher Räis?«

»Doch der von Schohrd, der Vater meiner Ingdscha!«

»Er ist auch in dieser Gegend?«

»Ja. Ich muß dir sagen, weshalb; doch erlaube, daß ich mich setze! Die Freude des Wiedersehens ist mir in die Beine geschlagen; ich kann nicht mehr stehen.«

»Ich fühle, daß deine Freude sehr groß gewesen ist,« nickte Halef, »denn sie ist nicht bloß in deine, sondern auch mit in meine Beine gefahren. Erlaube, daß ich mich an deine Seite setze!«

Als sie nun nebeneinander saßen, fuhr sie fort:

»Ihr wißt, daß Marah Durimeh keine bleibende Stätte hat. Sie ist bald hier und bald dort und erscheint immer da, wo man ihrer Hilfe bedarf. Man sagt, daß sie ein Liebling des Ruh ‚i Kulian und seine besondere Botin sei.«

Madana wußte nämlich nicht, daß Mara Durimeh selbst der »Geist der Höhle« war. Sie sprach weiter:

»Da man nie weiß, wann sie kommt, wann sie geht und wo sie sich zu einer gewissen Zeit befindet, so ist es uns schwer, ja fast unmöglich, für ihr Wohl und ihre Sicherheit bedacht zu sein. Sie kann sogar einmal an einem einsamen Orte hilflos sterben, ohne daß es dann ein Mensch erfährt. Überall, wo man sie kennt, da liebt und verehrt man sie auch; sie kann da ohne Sorge, wie im Auge Gottes, wandeln. Aber wo man sie noch nicht kennt, kann ihr sehr leicht ein Unglück widerfahren. Darum baten wir sie, es uns stets vorher mitzuteilen, wenn sie die Absicht habe, einen Weg zu gehen, über dessen Sicherheit sie nicht beruhigt sei. Sie hat das in den letzten Jahren stets gethan, doch ohne daß es einmal nötig wurde, um sie beängstigt zu sein. Im späten Herbst des vergangenen Jahres war sie zum letztenmal bei uns in Schohrd. Als sie uns verließ, sagte sie, daß wir uns nicht um sie zu sorgen brauchten, da sie nur zu Bekannten gehe und schon nach einigen Tagen wiederkomme. Aber die Tage vergingen, ohne daß sie zurückkehrte; es vergingen Wochen und sogar Monate, ohne daß wir sie wiedersahen. Da wurde es uns angst um sie. Du weißt, Effendi, was diese Frau uns allen ist, und wirst dich also nicht wundern, wenn ich dir sage, daß alle Ortschaften sich erhoben, um nach ihr zu suchen. Wir haben das ganze Land bis zu den Dschudibergen hinauf durchsucht und während des ganzen Winters überall nach ihr geforscht, ohne aber eine Spur von ihr zu finden. Sie war vollständig verschwunden und wir beweinten sie als eine unterwegs an unbekannter Stelle hilflos Verstorbene. Da kam ein Handelsmann aus Khormadu hinauf zu uns, welcher von einer alten Frau erzählte, die in der Gegend von Suleimania in einem Kulluk wohne und große Wunder thue. Er hatte sie nicht gesehen, aber viel von ihr gehört, und was er uns über sie sagte, ließ uns vermuten, daß diese Frau unsere Marah Durimeh sei. Wir schickten natürlich sofort Boten nach Suleimania, von denen wir nach ihrer Rückkehr erfuhren, daß die Frau gefangen gehalten und von Dawuhdijehkurden streng bewacht werde, aber höchst wahrscheinlich unsere Freundin sei. Wer zu ihr wolle, müsse den Scheik der Dawuhdijehs um Erlaubnis bitten, der dafür ein Geschenk je nach dem Vermögen des Betreffenden verlange. Unsere Boten hatten nicht zu ihm gehen können, sondern sich sehr vor ihm und seinen Leuten hüten müssen, weil zwischen uns und diesem Kurdenstamme Feindschaft liegt.«

 

Als sie jetzt eine Pause machte, erkundigte ich mich:

»Habt ihr erfahren, weshalb diese Frau in jenem Kulluk festgehalten wird?«

»Nein. Es scheint das ein Geheimnis zu sein, welches nur wenige Personen kennen.«

»Ich vermute, daß ihr sofort entschlossen waret, Hilfe zu leisten.«

»Ja, das waren wir alle. Die Gebieter unserer Gegenden traten zu einer Beratung zusammen. Ein Kriegszug war ausgeschlossen, weil es sich um den in Suleimania regierenden Beamten des Padischah handelte. Es wurde beschlossen, zur List zu greifen. Man sprach von dir, wie du Amad el Ghandur aus dem Gefängnis in Amadijah geholt hast, und fragte, wie du es wohl anfangen würdest, für Marah Durimeh einen Ausgang aus dem Kulluk zu finden. Es wurde bestimmt, daß eine kleine Schar erfahrener Krieger ausgesandt werden solle, die Befreiung zu versuchen. Klein mußte sie sein, um sich leicht verbergen zu können. Als Kundschafter sollten nicht Männer, sondern einige Frauen dienen, weil diese selten Verdacht erwecken und meist ganz unbeachtet bleiben. Als ein Anführer gewählt werden sollte, bot sich der Räis von Schohrd freiwillig an. Es sollte das eine Buße für frühere Zeiten sein, wo er, wie du ja weißt, auf falschem Wege wandelte und damals auch dein Feind gewesen ist. Er wurde angenommen. Als das Ingdscha, seine Tochter, hörte, welche stets der Liebling Marah Durimehs gewesen ist, forderte sie von ihrem Vater, daß er sie als Kundschafterin mitnehme; sie könne keiner andern den Vorzug lassen, zur Befreiung ihrer geliebten, ehrwürdigen Beschützerin mitwirken zu dürfen. Als er nach einigem Zögern seine Erlaubnis dazu gab, konnte ich es nicht über das Herz bringen, Ingdscha ohne mich in solche Gefahren gehen zu lassen. Ich bat sie also, sie begleiten zu dürfen, und sie erfüllte meinen Wunsch.«

»Hatte denn dein Mann nichts dagegen einzuwenden?«

»Nein; er ist ja selber mit dabei. Du hast ihn damals nicht in der Weise kennen gelernt, daß du dich über ihn freuen konntest; jetzt aber wirst du mit ihm zufrieden sein. Seit jenem Abende, an welchem du unsere Gebieter hinauf zum Ruh ‚i Kulian führtest, herrscht Eintracht unter denjenigen, welche sich wegen der Verschiedenheit der Abstammung und des Glaubens vorher bekämpften. Es ist seitdem kein Streit wieder vorgekommen.«

»Wieviel Personen seid ihr hier?«

»Zehn Männer, den Räis selbst mitgezählt, und zwei Frauen, nämlich Ingdscha und ich. Es wurde das für genug befunden, da wir ganz nach deinem Beispiele handeln und nicht Gewalt, sondern womöglich nur List anwenden wollten.«

»Habt ihr Erfolg gehabt?«

»Bis jetzt noch nicht. Den Kulluk haben wir gefunden. Wir wissen auch, daß es wirklich Marah Durimeh ist, die dort wohnt; aber weil wir uns nicht zeigen dürfen, haben wir uns bis jetzt vergeblich bemüht, hineinzukommen oder ihr wenigstens ein Zeichen von uns zu geben.«

»Ich weiß aber, daß andere zu ihr dürfen!«

»Ja, wir haben das auch beobachtet. Es kommen Personen, welche mit ihr zu sprechen begehren; diese dürfen aber nicht hinein, sondern nur bis an das Thor, wo sie mit ihr sprechen dürfen und dann wieder gehen müssen, ohne den Turm betreten zu haben. Als wir bei einer solchen Gelegenheit uns in der Nähe versteckt hatten, sahen wir sie und wissen nun also, daß sie es wirklich ist.«

»Also darf kein Mensch hinein zu ihr?«

»Niemand. Wir haben nur einen einzigen Fall beobachtet, daß Leute hineindurften, und die sind nicht wieder herausgekommen. Man scheint sie festgehalten zu haben.«

»Wißt ihr, wer das war?«

»Wir kannten sie nicht, doch sahen wir, daß es Kurden waren. Sie hatten einen kleinen Knaben bei sich.«

Da fiel Adsy schnell ein:

»Sie sind es; sie sind es! Das war Schevin mit Khudyr und unsern Leuten! Weißt du vielleicht, warum sie nicht wieder herausgedurft haben?«

»Nein. Wie können wir das wissen, da wir uns verbergen müssen und also uns nicht erkundigen dürfen. Wahrscheinlich würden die Dawuhdijehs es auch niemandem sagen.«

Nun sprach Adsy eine Menge von Fragen aus, welche zwar von der Größe seiner Besorgnis, nicht aber von der hier so nötigen Umsicht zeugten, so daß ich ihn bat:

»Erlaube, daß ich mit Madana spreche! Du fragst mit deinem Herzen, aber nicht mit dem Verstande. Wie viel Dawuhdijehs sind es wohl, die den Turm bewachen?«

»Erst waren es wohl zwanzig,« antwortete die Alte. »Jetzt aber, seit diese Fremden auch drin stecken, sind es wohl doppelt so viel.«

»Befinden sich diese Wächter im Innern des Turmes?«

»Ja; doch stehen zwei stets vor dem Thore.«

»Bei Tag und auch bei Nacht?«

»Am Tage sind es diese zwei, doch sobald es dunkel geworden ist, wird vor dem Eingange ein Feuer angebrannt, an welchem sechs oder oft auch acht Männer sitzen.«

»Haben diese Leute einen bestimmten Anführer?«

»Ja. Das ist kein Kurde, sondern ein türkischer Mülasim[243], welcher fünf Soldaten bei sich hat.«

»Ah! Marah Durimeh ist also wirklich die Gefangene des sogenannten Paschas von Suleimania, und den Dawuhdijehs ist die Mitbewachung anvertraut; sie haben diesem Mülasim Gehorsam zu leisten. Wo liegt der Kulluk?«

»Man kann ihn von hier aus in einer Stunde erreichen.«

Eine Stunde nur? Ich wendete mich zu Adsy:

»Da hörst du, wie wenig du dich auf eure Kundschafter verlassen kannst. Und acht Personen sind das gewesen! Wenn wir jetzt nicht Ingdscha und Madana getroffen hätten, wären wir vollständig in die Irre geritten und hätten froh sein müssen, wenn wir nicht erwischt worden wären! Ist der Weg nach dem Kulluk auch zu Pferde zu machen?«

»Ja,« antwortete Madana. »Ihr wollt hin?«

»Natürlich! Es fällt uns nicht ein, diese Gegend eher zu verlassen, als bis wir Marah Durimeh herausgeholt haben!«

»Und unsere Leute mit, Effendi!« bat Adsy. »Du hast gehört, daß sie auch im Turme stecken. Wie aber wirst du es anfangen, ihnen die Freiheit zu verschaffen?«

»Das kann ich doch jetzt noch nicht wissen. Ich muß den Kulluk und seine Umgebung kennen lernen, auch die Sicherheitsmaßregeln, welche der Mülasim getroffen hat. Auch ist es nötig, vorher mit dem Räis von Schohrd zu sprechen, um seine Ansichten zu hören. Erst dann, wenn ich alles, was überhaupt zu erfahren ist, erfahren habe, kann ich mir ein Bild über die ganze Lage machen und einen bestimmten Plan fassen, eher aber nicht. Du fragst mich also zu früh.«

»So sag mir wenigstens, ob du die Ausführung für möglich hältst!«

»Sie muß möglich sein, weil ich sie wirklich machen werde. Ich habe ja gesagt, daß ich nicht eher von hier fortgehen werde!«

»Ich danke dir! Du hast mir mit diesen Worten das Herz leicht gemacht. Freilich schwer wird die Ausführung sein!«

»Was das betrifft, so schau hier meinen Hadschi Halef Omar an! Sein Gesicht strahlt ja förmlich von Zuversicht!«

»Strahlt es wirklich?« fragte Halef lachend. »Ich sage euch, seit ich weiß, daß es sich wieder einmal um eine That handelt, zu welcher Mut und List gehört, ist ein ungeheures Wohlbefinden in mein Herz gezogen. Vor diesem Mülasim und seinen fünf Asaker[244] und vor den vierzig Dawuhdijehs fürchten wir uns nicht. Der größte Turm der Welt war doch der Turm zu Babel, den man jetzt Birs Nimrud nennt. Wir sind vor kurzer Zeit in die finstern Eingeweide dieses Turmes gekrochen, um mit den Drachen des Mordes und der Schmuggelei zu kämpfen. Wir haben über diese Ungeheuer gesiegt und sind als ruhmgekrönte Helden wieder an das Licht des Tages gestiegen. Haben wir uns vor diesem Turm zu Babel nicht gefürchtet, wie sollten wir uns davor eurem kleinen Kulluk ängstigen? Er ist ein so lächerlich kleiner Kerl, daß wir nur mit einer einzigen Hand hineinzugreifen brauchen, um alle herauszuholen, welche man drin vor uns verbergen will.«

Es war eine Lust, den kleinen Kerl in dieser Weise sprechen zu hören, besonders da seine Zuhörer Orientalen waren und sich als solche nicht an seiner Ausdrucksweise stießen. Auch mir schien die Ausführung unsers Vorhabens nicht mit großen Schwierigkeiten verknüpft zu sein, zumal es sich um einen türkischen Offizier handelte, dem ich mit meinen Legitimationen leicht imponieren konnte. Was die gefangenen Hamawandikurden betrifft, so galt es, zu erfahren, ob es zwischen ihnen und den Dawuhdijehs vielleicht einen Zusammenstoß gegeben hatte, welcher einen blutigen Konflikt zur Folge haben mußte, was unser Vorhaben unbedingt erschweren mußte. Ich fragte darum Madana:

»Waren die Leute bewaffnet, welche mit dem Knaben in den Turm gebracht wurden?«

»Nein,« antwortete sie.

»Kamen sie zu Pferde?«

»Nein; aber die Dawuhdijehs, welche sie begleiteten.«

»Sie wurden also als Gefangene behandelt?«

»Ja. jeder von ihnen hing an einem der Pferde.«

»War jemand von ihnen verwundet?«

»Davon haben wir nichts gesehen.«

»Wie verhielten sie sich? Leisteten sie Widerstand?«

»Nein. Sie ließen sich ohne Sträuben hineinschaffen. Einer von ihnen, welcher den Knaben trug, schien kein gewöhnlicher Krieger zu sein; das hörten wir aus den Worten, die er sprach.«

»Was sagte er?«

»Als er vom Pferde losgebunden worden war und durch das Thor gehen sollte, rief er drohend aus: Wir kamen in Frieden und haben euch darum unsere Waffen abgegeben. Haltet uns ja nicht zu lange fest, sonst könnte Jamir kommen und uns mit bluttriefenden Waffen von euch fordern.« Diese Worte habe ich selbst ganz deutlich verstanden.«

»Das beruhigt mich, denn wir können daraus ersehen, daß nichts geschehen ist, wodurch die Thar[245] herausgefordert würde. Wo befindet sich der Räis mit seinen Leuten?«

»In der Nähe des Kulluk. Wir haben dort für uns und unsere Pferde ein prächtiges Versteck gefunden, welches man nur schwer entdecken kann.«

»Und wie kommt es, daß ihr beide euch jetzt so weit von dort entfernt habt?«

 

»Wir wollten die Kundschafter beobachten, welche vor einiger Zeit hier vorübergeritten sind.«

»Kundschafter? Woher wißt ihr denn, daß diese Leute Späher waren?«

»Wir haben die Dawuhdijehs gestern belauscht. Sie stehen unter der Anführung ihres Scheikes Ismael Beg da unten am Wasser, in einer weiten Krümmung des Thales, wo sie den Angriff der Hamawandikurden erwarten.«

»Das habt ihr erlauscht?«

»Ja, Ingdscha und ich. Sie hatten entdeckt, daß Hamawandi-Späher hier gewesen waren, und nun auch Spione zu den Hamawands geschickt. Diese erfuhren, daß die Hamawands dreihundert Mann stark kommen würden. Als sie diese Nachricht brachten, rief Ismael Beg seine Dawuhdijehs zusammen, um die Feinde da unten zu empfangen, und beschloß, heut wieder Boten auszusenden, die ihm das Nahen der dreihundert Hamawands sofort melden sollen. Wir beobachteten heut früh diese Boten, weil wir gern erfahren wollten, nach welcher Richtung sie sich wenden würden.«

»Warum wollt ihr das wissen?«

»Um zu erfahren, wo die Hamawands zu suchen sind. Wir wollten sie warnen, denn weil es uns bisher noch nicht geglückt ist, Marah Durimeh zu befreien, glaubten wir, daß diese Kurden uns aus Dankbarkeit dazu behilflich sein würden. Nun wir aber dich gefunden haben, brauchen wir diese Hilfe nicht.«

»Und doch wird euch auch dieser Wunsch erfüllt, denn die Krieger, welche ihr hier bei mir seht, gehören zum Stamme der Hamawands. Ich traf sie gestern Abend. Sie erzählten mir von ihren gefangenen Genossen. Sie erzählten auch von der alten Frau, welche im Kulluk bewacht werde. Ich vermutete sogleich, daß diese Frau unsere Marah Durimeh sei, und so schlossen wir uns diesen Hamawands an, um nach dem Kulluk zu reiten. So kommt es, daß wir euch hier unterwegs getroffen haben.«

»Das hat Gott geschickt, Effendi, und nun du bei uns bist, sind wir überzeugt, daß Marah Durimeh den Turm sehr bald verlassen wird. Wie sehr, wie unaussprechlich werden sich unsere Krieger freuen, wenn sie dich und Hadschi Halef Omar sehen! Sie werden fast gar nicht glauben können, daß ihr es wirklich seid! Sollen wir euch jetzt zu ihnen führen?«

»Ja; ich bitte euch darum. Hoffentlich ist die Gegend, durch welche wir kommen werden, sicher?«

»Es steht nicht zu erwarten, daß wir einem Dawuhdijeh begegnen werden.«

»Dennoch wollen wir vorsichtig sein. Kennt Ingdscha den Weg ebenso wie du?«

»Ja.«

»So mag sie bei uns bleiben, um uns zu führen; du aber gehst allein voran, um uns zu warnen, falls du jemanden sehen solltest.«

»Das wird das beste sein, Effendi. So werden wir es machen.«

Sie schüttete die Körbe aus, setzte sie ineinander, nahm sie auf den Rücken und machte sich zunächst flußabwärts auf den Weg. Einer der Hamawands stieg ab und bot Ingdscha sein Pferd an. Sie ging auf dieses höfliche Anerbieten ein, und dann folgten wir der lieben Petersilie.

Der Weg bot nur für zwei Pferde nebeneinander Platz. Ich richtete es so ein, daß Ingdscha sich an meiner Seite befand. Sie hatte sich bis jetzt vollständig schweigsam verhalten; jetzt zog ich sie in ein Gespräch, welches aber leider nicht so lebhaften Fortgang nahm, wie ich es wünschte. Sie verhielt sich sehr einsilbig; es schien ihr lieber zu sein, wenn sie ganz still bleiben könne, und so hatte ich nichts dagegen, daß, als sie einmal wegen einer schmalen Terrainstelle zurückblieb und nicht gleich wieder vorrückte, Halef sich an ihre Stelle setzte. Der liebe Kleine platzte fast vor Begierde, mir die Freude seines Herzens über diese unerwartete Begegnung auszuschütten. Er that es in einer solchen Weise, daß er fast ganz allein die Kosten der Unterhaltung trug, eine Genugthuung für ihn, die ich ihm gönnte.

Inzwischen hatte Ingdscha uns aufgefordert, abzusteigen, weil sie uns über einen Berg zu leiten habe, jenseits dessen wir dann wieder guten Weg finden würden. Wir mußten also die Pferde führen. Es ging stellenweise so steil hinan, daß wir und die Tiere sehr oft ins Rutschen kamen, doch als wir die Höhe erreicht hatten, wurde es besser, denn sie senkte sich jenseits nur allmählich nieder, und dann gab es eine wasserlose, breite Mulde, in welcher wir Platz hatten und galoppieren konnten, weil es da nur Gras und weder Baum noch Buschwerk gab. So kam es, daß wir Madana, die zu Fuß ging, jetzt wieder erreichten und nun, um sie den nötigen Vorsprung erreichen zu lassen, wieder langsam reiten mußten.

Sie hatte sich noch gar nicht weit von uns entfernt, so blieb sie stehen und winkte uns sehr lebhaft, zurückzubleiben, doch war es da schon zu spät, denn einesteils befanden wir uns ihr und auch dem Grunde ihrer Warnung schon zu nahe, und andernteils gab es hier keinen Gegenstand, hinter den wir uns hätten verstecken können. Wir sahen auch gleich die Ursache, wegen der sie uns gewinkt hatte: Es war ein einzelner Reiter, weicher, wie suchend, von seitwärts her geritten kam und froh zu sein schien, jemandem zu begegnen. Er lenkte sein Pferd auf sie zu. Da er uns nun einmal gesehen hatte und sie ihm vielleicht eine Antwort geben konnte, welche nicht zu unsern Absichten paßte, setzten wir unsere Pferde wieder in Galopp und kamen infolgedessen zu gleicher Zeit mit ihm bei ihr an. Es war ein Offizier mit den Hauptmannsabzeichen. Er wendete sich nun nicht an sie, die Frau, sondern an uns Männer, mit der militärisch kurzen Frage:

»Gehört ihr zum Stamme der Dawuhdijehs?«

»Ja,« antwortete der stets schnell fertige Halef, was mir aber in diesem Falle lieb war, da ich auf diese Weise die Unwahrheit nicht selbst zu sagen brauchte.

»Ihr kennt doch euern Scheik Ismael Beg?«

»Natürlich!« nickte der Hadschi dreist.

»Ich suchte ihn an seinem Lagerplatz, der ist aber leer; wo steckt der Mann?«

»Er steht mit unsern Kriegern da hinten am Flusse, um auf die Hamawands zu warten, die uns überfallen wollen.«

»Wieder einmal? Diese Hunde geben niemals Ruhe! Ich wollte mich von ihm nach dem Kulluk führen lassen, in welchem die alte Bagidscha[246] steckt. Ich komme wegen ihr aus Kerkuk. Der dortige Pascha sendet mich, den Mülasim abzulösen, der nichts aus ihr herausgebracht hat.«

Dieser Mann war sehr unvorsichtig offenherzig! Bis jetzt hatte Halef sich ganz richtig verhalten; nun aber mußte ich die Sache in die Hand nehmen, wenn kein Fehler gemacht werden sollte. Darum fragte ich den Offizier:

»Warst du denn beim Kaimakam in Suleimania, dem der Mülasim verantwortlich ist?«

Der Hauptmann betrachtete mich mit einem forschenden Blicke, ob ich wohl der Mann sei, ihm eine solche Frage vorlegen zu dürfen. Das Resultat schien befriedigend ausgefallen zu sein, denn er antwortete:

»Natürlich war ich dort. Ich habe ihm des Paschas Vollmacht vorgelegt und darauf seine Unterschrift bekommen, die ich dem Mülasim vorzuzeigen habe.«

»Ist das notwendig? Kennt dich der Mülasim denn nicht?«

»Nein.«

»Aber von unsern Kriegern werden dich doch wohl einige kennen.«

»Das glaube ich nicht, denn ich bin noch nie bei euch gewesen.«

»So sollst du den Mülasim ablösen?«

»Ja.«

»Er soll also fort?«

»Ja.«

»Wann?«

»Heut gleich, oder morgen, wie es ihm beliebt; er hat nichts mehr zu sagen. Er hat kein Geschick, das Geheimnis aus diesem Weibe herauszubringen. Der Kaimakam hat mir euern Lagerplatz beschrieben; ich fand ihn leer. Dann suchte ich den Turm, bin aber, wie es scheint, ganz irr geritten. Ihr wißt doch wohl, wo er liegt?«

»Ja.«

»So führt mich hin!«

Das klang so befehlshaberisch, daß ich antwortete:

»Du scheinst zu meinen, daß wir Zeit dazu haben?«

»Zeit oder nicht! Ihr führt mich hin und zwar den geradesten Weg! Ich bin ein Offizier des Pascha. Verstanden?«

»Tahht el Amr![247] Wir gehorchen. Deine Gnade mag die Güte haben, hier an meiner Seite zu reiten!«

Ich winkte Madana. Sie schritt mit ihren langen Beinen weit aus, und wir folgten ihr. Der Hauptmann schien ein sehr stolzer, auf sich eingebildeter Mensch zu sein; er sprach kein Wort mit mir. Das war mir aber lieb, wie ich hier wohl gar nicht erst zu versichern braucht. Er hätte mich durch Fragen in die größte Verlegenheit bringen können. Zu wünschen war nur, daß uns niemand begegnete, denn es war ein Plan in mir entstanden, der durch das Zusammentreffen mit einem Dawuhdijeh unausführbar werden müßte, und das wäre jammerschade gewesen!

Nachdem wir längere Zeit schweigend neben einander hergeritten waren, schien der Hauptmann es doch für geraten zu halten, ein Wort zu sagen. Er fragte mich:

»Bist du ein gewöhnlicher Kurde?«

»Nein,« antwortete ich.

»Das habe ich dir angesehen, obgleich sich aber doch keiner von euch ganz verleugnen kann. Räuber bleibt Räuber!«

Das war wieder höchst unvorsichtig von ihm. Er fühlte sich in seiner Uniform wahrscheinlich unantastbar. Wie aber hätte ihm ein Kurde an meiner Stelle wohl geantwortet? Auch ich zog aus diesen seinen beleidigenden Worten die Veranlassung, ihm nun so zu kommen, wie ich nach meinem Plane mußte und wie er wohl schwerlich erwartete.

243Lieutenant.
244Soldaten.
245Blutrache.
246Hexe.
247»Zu Befehl!«