Za darmo

Im Reiche des silbernen Löwen II

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»Ja, denn wir haben Zeichen mit ihnen verabredet.«

»Wohin von hier aus würdet ihr sechs morgen geritten sein, wenn ihr uns nicht getroffen hättet?«

»Das wollten wir heut abend hier beraten.«

»So beratet es jetzt! Ich bin neugierig, was ihr da beschließen werdet.«

»Willst du uns nicht helfen?«

»Ich will wissen, was ihr thun würdet, wenn wir nicht dabei wären. Vielleicht sage ich euch dann das, was ich denke. Wir wollen euch in eurer Beratung nicht stören und uns also für kurze Zeit entfernen. Komm, Halef!«

Wir standen auf und spazierten langsam am Wasser hin. Als wir uns bis außerhalb Hörweite der Hamawands entfernt hatten, sagte der kleine Hadschi:

»Gut, daß du diesen Vorwand vorschobst, um für einige Zeit von ihnen wegzukommen! Da können wir sprechen, ohne daß sie hören, was wir sagen. Du warst zornig, als ich den Namen nennen wollte?«

»Zornig nicht.«

»Aber ich sollte schweigen?«

»Ja. Wunderst du dich darüber?«

»Ich glaubte, es sei gleichgültig, ob sie wissen oder nicht, daß wir diese alte Frau so gut kennen.«

»Bei einem Zusammentreffen mit solchen Leuten kann das, was man thut oder spricht, nie gleichgültig sein. Du siehst hier wieder einmal, daß du nicht bedachtsam genug bist. Warum schwieg denn ich? Warum habe ich den Namen nicht sofort genannt?«

»Ich glaubte, du errietest gar nicht, wer diese Frau eigentlich ist!«

»So wenig kennst du mich? Ich pflege solche Sachen doch gewöhnlich eher zu erraten als du. Das könntest du doch nun bald wissen! Übrigens ist es nicht so über allem Zweifel erhaben, wie du denkst, daß sie es ist. Es ist möglich, daß wir uns irren.«

»Wie? Es wären noch Zweifel möglich?«

»Ja.«

»Daß es Marah Durimeh ist?«

»Ja.«

»Sihdi, wenn sie es nicht ist, darfst du mich für einen so dummen Knaben halten, wie es keinen dümmeren geben kann. Ich täusche mich nicht!«

»Ich glaube auch, daß wir uns nicht irren; aber es giebt noch mehr alte Frauen hier in Kurdistan.«

»Hundertjährige?«

»Wahrscheinlich.«

»Die Christinnen sind?«

»Ja.«

»Und aus der Gegend von Hakkiari stammen?«

»Ja.«

»Es ist möglich, ja; aber es liegt die unerschütterliche Gewißheit in mir, daß dieser Kurde kein anderes Weib gemeint hat, als unsere Marah Durimeh.«

»Grad so liegt es auch in mir, doch schwören können wir nicht darauf. Und wenn sie es ist, so haben wir doch nicht nötig, so vorschnell zu sagen, daß wir sie kennen. Wir wissen ja gar nicht, wie sich diese Angelegenheit entwickeln wird. Sie scheint gefangen zu sein. Man hält sie für eine Zauberin. Aber wie denkt man sonst von ihr? Freundlich oder feindlich? Besonders da sie Christin ist! Wir müssen sie herausholen. Dürfen wir das den Hamawands sagen? Oder würden sie das den Dawuhdijehs verraten, um dafür ihre Leute loszubekommen? Du hörst, daß es hier verschiedenes zu überlegen giebt, und daß wir nicht so, wie du wolltest, vor lauter Freude mit beiden Beinen zugleich hineinspringen dürfen! Nur vorsichtig sein, Halef! Denke an Hanneh!«

»Sihdi, an die denke ich zu aller Zeit; sie kommt mir keinen Augenblick aus dem Sinne, denn sie ist der holdeste Inbegriff aller Seligkeit und Wonne, die es im Morgenlande und auch im Abendlande giebt!«

»Behalte sie getrost nur für das Morgenland, denn das Abendland hat sogar die Holdseligkeit meiner Dschanneh noch nicht begreifen können!«

»Gut, du sollst deinen Willen haben! Nun sag aber auch, wie wir es anfangen werden, um in den Turm zu Marah Durimeh zu kommen!«

»Das kann ich doch jetzt noch nicht wissen!«

»Nicht? Ich habe geglaubt, daß dir die berühmte Länge deines Verstandes zu jeder Zeit zur Verfügung stehe!«

»Wenn ich Gedanken brauche, werden sie sich einstellen; jetzt sind sie noch nicht nötig.«

»Ich dächte, doch!«

»Nein! Erst müssen wir die betreffenden Umstände kennen lernen.«

»Wenn du mit den Umständen soviel Umstände machst, werden sie sich dir bald als Übelstände zeigen!«

»Hältst du diesen Witz vielleicht für einen guten? Wir können jetzt noch nichts bestimmen, weil wir noch fast gar nichts wissen. Vor allen Dingen müssen wir den Kulluk kennen lernen. Bevor wir ihn gesehen haben, ist es nicht möglich, einen Plan zu entwerfen. Überlaß dies mir, und sorge dich nicht! Komm!«

Der Anführer der Hamawands hatte uns gerufen. Als wir hinkamen, teilte er uns mit:

»Wir sind mit unserer Beratung fertig, Effendi, und werden euch mitteilen, was wir beschlossen haben.«

»Nun?«

»Wir werden morgen früh doch nicht gleich fortreiten, sondern hier bleiben, bis unsere Krieger kommen.«

»Warum?«

»Weil sie euch sehen sollen. Ich will, daß sie sich mit ihren eigenen Augen überzeugen, was für seltene und berühmte Männer wir hier getroffen haben und zu unsern Freunden zählen dürfen. Ich muß dabei sein, wenn sie sich darüber freuen, und will nicht haben, daß ich diesen Anblick versäume.«

»Ich bin damit einverstanden, daß wir warten, bis sie kommen; doch nicht aus persönlichen, sondern aus Klugheitsgründen. Eine so große Menge von Kriegern so nahe hinter euch kann alles verderben.«

»Wieso?«

»Erkennst du denn nicht ganz von selbst, was ich meine?«

»Nein. Ich glaubte bisher, damit, daß ich diese dreihundert Leute mitnahm, sehr vorsichtig und vernünftig gehandelt zu haben, und nun höre ich, daß du aus Gründen der Klugheit dagegen sprichst!«

»Ich thue das mit vollem Rechte. Sag mir doch, warum ihr nicht sofort mit diesen dreihundert Mann aufgebrochen seid, sondern erst Kundschafter schicktet!«

»Weil wir doch unbedingt erst wissen mußten, wie es mit unsern Freunden steht, die nicht zurückkehren.«

»Nun, wißt ihr das denn jetzt?«

»Nein. Wir haben weiter nichts erfahren können, als daß sie von den Dawuhdijehs zurückgehalten werden.«

»Also, obgleich eure Kundschafter das nicht erreichten, was sie erreichen sollten, habt ihr das gethan, was ihr nicht eher thun wolltet und auch wirklich nicht eher thun durftet, als bis die Aufgabe der Späher gelöst worden war! Du giebst zu, daß es falsch gewesen wäre, mit dreihundert Mann auszurücken, ohne die Verhältnisse vorher erst zu erkunden, und jetzt seid ihr ausgerückt, obwohl sie nicht erkundet worden sind. Ist damit der Fehler eingestanden oder nicht?«

»Effendi, du verstehst die Fragen so zu setzen, daß man grad so antworten muß, wie du es wünschest!«

»Gut; diese Worte enthalten das von mir gewünschte Eingeständnis! Das, was die Kundschafter versäumt haben, muß unbedingt nachgeholt werden. Ihr seid sechs Personen, vollständig genug, dies zu thun. Ich meine sogar, daß es zwecks solcher Späherschaften stets besser ist, so wenig wie möglich Personen dazu zu nehmen, die aber allerdings auch möglichst erfahren, vorsichtig und listig sein müssen. Sechs Personen würden mir schon zu viel sein. Anstatt dies einzusehen, schleppt ihr gar noch dreihundert Männer hinter euch her. Ich sage dir, ihr gleicht da Kundschaftern auf einem Flusse, welche zwar so klug gewesen sind, den kleinsten und schnellsten Kahn für sich auszuwählen, aber ein großes, schweres, unbewegliches Floß angehängt haben, welches sie nun mühsam hinter sich herschleppen. Ihr müßt so ungebunden, so leicht, so unabhängig wie möglich sein, um euch, sobald es nötig ist, nach jeder Richtung wenden zu können und hängt doch an diesen dreihundert Mann wie flüchtig sein sollende Pferde fest, welche vor einen schwerbeladenen Ochsenwagen gespannt worden sind!«

»So meinst du, daß wir diese Krieger zurücklassen und uns zunächst auch nur als Späher betrachten sollen?«

»Ja, das meine ich.«

»Aber wohin sollen wir uns da wenden? Wir wissen ja nicht, wo Schevin versteckt gehalten wird!«

»Durch diese Unwissenheit wird der Fehler nur vergrößert, der in der Mitnahme so vieler Krieger liegt. Erfahrt ihr das, was ihr nicht wißt und doch wissen müßt, etwa durch die Begleitung dieser Leute?«

»Nein.«

»Es scheint, ihr habt nicht richtig nachgedacht. Ich an eurer Stelle wüßte, wohin ich mich zu wenden hätte.«

»Ich bitte dich, es uns zu sagen!«

»Sehr einfach, nach dem Kulluk, in welchem die alte Sahira steckt.«

»Dorthin? Warum?«

»Aus keinem andern Grunde, als grad eben weil diese Frau sich dort befindet. Ich habe keine Ahung, warum der sogenannte Pascha« von Suleimania sie dort festhalten läßt; aber daß er sie nach diesem Wartturme hat schaffen lassen, ist mir ein Beweis dafür, daß dieser Ort der in der ganzen Umgegend geeignetste dazu ist. Das wissen natürlich auch die Dawuhdijehs, denen ja die Bewachung dieser Gefangenen anvertraut worden ist, und so liegt der Gedanke, daß sie auch Schevin dorthin gebracht haben, doch sehr nahe, denn erstens giebt es keinen besser passenden Ort dazu, und zweitens ist die nötige Bewachung schon vorhanden.«

»Effendi, dieser Gedanke ist gut, sehr gut. Ich wundere mich jetzt darüber, daß wir nicht auf ihn gekommen sind, da er doch eigentlich der allernächste war.«

»So siehst du also ein, daß ich recht hatte, als ich sagte, ihr hättet nicht richtig nachgedacht. Ihr seid in eurer Wut über die Dawuhdijehs sofort mit dreihundert Kriegern losgeplatzt, ohne nur zu wissen, weshalb sie Schevin festgehalten haben, und ohne euch zu sagen, daß man Gewalt erst dann anwendet, wenn man eingesehen hat, daß weder Güte noch List zum Ziele führen. Ich an eurer Stelle würde die dreihundert Mann hier zurücklassen und zunächst nach dem Kulluk reiten, um nachzusehen, wie es dort steht. Das ist doch wenigstens ein fester Anhaltepunkt, und selbst wenn sich Schevin mit seinen Begleitern nicht dort befinden sollte, sind dort jedenfalls Winke zu erhalten, die nach dem Orte deuten, an welchem er zu suchen ist.«

»Das leuchtet mir auch ein. Effendi, ich sehe, daß wir euch zu unserm Vorteile hier getroffen haben. Sag noch einmal, ob du bei uns bleiben und uns begleiten willst; ich bitte dich darum!«

 

»Was ich gesagt habe, gilt. Ich bleibe.«

»Ich danke dir. Wenn ihr bei uns seid, wird alles gut gehen; ich bin überzeugt davon. Darum werde ich nichts thun, ohne daß ich euch vorher frage.«

»Daran thust du wohl. Ich will dir aufrichtig gestehen, daß ich euch für noch viel unvorsichtiger halte, als ich euch bis jetzt gesagt habe.«

»Da bin ich überzeugt, daß diese deine Annahme grundlos ist. Wir sind keine unerfahrenen Hirten, sondern geübte Krieger, und wenn ich den Fehler begangen habe, es für richtig zu halten, gleich mit einem so großen Trupp aufzubrechen, so ist das eben eine Ansicht gewesen, deren Unbrauchbarkeit von dir zwar behauptet, aber doch noch nicht bewiesen worden ist. Es kann sich noch immer herausstellen, daß dieser mein Gedanke richtig war!«

Der mißmutige Ton, in welchem er diese Worte vorbrachte, bewies mir, daß er mir die meinigen übelgenommen hatte. Wäre ich nicht Kara Ben Nemsi gewesen, so hätte ich wahrscheinlich eine scharfe Zurechtweisung erfahren. Diese sechs Männer waren hervorragende Krieger ihres Stammes und besaßen also jedenfalls ein sehr ausgeprägtes Ehrgefühl, welches ich nicht geradezu beleidigen durfte; aber als mir der Anführer sagte, daß er uns immer vorher fragen werde, hatten zwei von ihnen sich in einer Weise geräuspert, welche ihr Mißfallen andeuten Sollte, und so kam es mir nun darauf an, ihnen zu zeigen, daß sie gar wohl Grund hatten, sich um unsere Ansichten zu bekümmern. Darum fuhr ich jetzt, um seine Einrede ganz unbeirrt, fort:

»Ich kann das, was ich jetzt erwähnen will, nicht behaupten, sondern ich vermute es nur; trotzdem aber ist es nötig, dich darüber zu fragen. Du sagtest, daß eure Kundschafter Erkundigungen eingezogen haben?«

»Ja; natürlich thaten sie das.«

»Bei wem?«

»Bei Dawuhdijehkurden, denn bei andern hätten sie doch nichts erfahren können.«

»Wenn man sich nach jemandem erkundigt, ist man gezwungen, seinen Namen zu nennen, ihn zu beschreiben, irgend eine bestimmte Angabe über ihn zu machen?«

»Ja.«

»Das haben eure Kundschafter also auch gethan?«

»Selbstverständlich!«

»Es wäre mir sehr lieb, wenn du mir sagen könntest, wann, wo, bei wem und in welcher Weise sie ihre Erkundigungen eingezogen haben.«

»Sie haben sich zerstreut und einen Ort bestimmt, an welchem sie sich wieder treffen wollten; dann hat jeder von ihnen einen Dawuhdijeh, den er traf, ausgefragt.«

»Und was haben diese Dawuhdijehs gethan?«

»Wie meinst du das?«

»Meinst du, daß sie nur Auskunft gegeben haben?«

»Was sonst?«

»Zunächst ist es sehr fraglich, ob sie die Wahrheit gesagt haben; ich wenigstens würde mich von keinem Fremden ausfragen lassen. Sodann haben diese Dawuhdijehs nicht etwa nur geantwortet, sondern jedenfalls sich dabei ihre heimlichen Gedanken erlaubt. Sie haben ferner zu andern Dawuhdijehs unbedingt von diesen Erkundigungen fremder Männer gesprochen, und auf diese Weise ist es bekannt geworden, daß – — – sag, wieviel Kundschafter sind es gewesen?«

»Acht.«

»O wehe! So viele?! Also auf diese Weise ist es bekannt geworden, daß acht Fremde sich an verschiedenen Stellen und bei verschiedenen Dawuhdijehs nach ganz denselben Personen erkundigt haben. Das hat natürlich Aufsehen erregen, Verdacht erwecken müssen, und darum bin ich vollständig überzeugt, daß die Dawuhdijehs erraten haben, wer diese Fremden waren. Sie müßten sehr dumme Menschen sein, wenn sie das weitere nicht vermutet hätten, und so kannst du fast mit Sicherheit darauf rechnen, daß sie auf den Empfang deiner dreihundert Krieger vorbereitet sind!«

»Effendi, ist das wirklich deine Meinung?« fragte er schnell und im Tone der Besorgnis.

»Ja, das ist sie!«

»Da wären wir ja schon unterwegs nicht sicher!«

»Das mußtest du dir schon längst sagen, scheinst aber gar nicht daran gedacht zu haben. Ich an deiner Stelle würde meine Gedanken sogar noch viel weiter schweifen lassen.«

»Wohin?«

»Nach euren Lagerplätzen.«

»I‘Allah! Warum dorthin?«

»Höre mich an! Ich setze den Fall, ich sei der Scheik der Dawuhdijehs. Wir standen mit den Hamawandikurden in Blutrache, welche kürzlich ausgeglichen wurde. Da kamen mehrere Hamawands mit einem Knaben, den sie mit – — —«

»Da muß ich dich unterbrechen,« fiel er ein. »Adsy und seine Begleiter haben verleugnet, daß sie zum Stamme der Hamawandikurden gehören!«

»Grad das ist ja das Schlimme! Durch diese Lüge haben sie mein Mißtrauen erweckt, und ich halte sie darum zurück. Sehr wahrscheinlich ist es dann zu Scenen gekommen, welche mich beleidigten, meine Rache herausforderten. Da kamen nach und nach acht einzelne Männer meines Stammes, von denen ich erfuhr, daß acht Fremde sich an verschiedenen Stellen nach diesen lügnerischen Hamawands erkundigt haben. Ich denke natürlich sofort, daß sie auch Hamawands gewesen sind. Ferner sag ich mir, daß diese Kundschafter daheim melden werden, daß ich die Ihrigen feindlich behandelt habe und festhalte. Ich weiß auch, daß die Hamawands nun beschließen werden, diesen Leuten zu Hilfe zu kommen. Was werde ich nun wohl thun?«

Der Kurde war zunächst still; als ich dann meine Frage wiederholte, antwortete er:

»Du willst mir Sorge machen, Effendi!«

»Ich will dir deine Angelegenheit in dem Lichte zeigen, in welchem du sie sehen mußt; weiter will ich nichts.«

»Du meinst also, die Dawuhdijehs sind überzeugt, daß wir kommen?«

»Ja.«

»Und daß sie sich vorbereitet haben?«

»Ja. Ich stamme zwar aus dem Abendlande, aber ich kenne die hiesige Gegend und die hiesigen Völker wenigstens ebenso gut, wie du sie kennst. Glaube mir, daß ein Fremder oft mehr und schärfer als ein Einheimischer sieht! Indem ich mich in die Lage der Dawuhdijehs versetze, was du auch hättest thun sollen, aber unterlassen hast, weiß ich, was und wie sie denken und thun werden. Wenn sie sich nicht auf euren Angriff vorbereitet hätten, wären sie wert, daß jeder von ihnen die Bastonnade bekäme! Ich halte sie aber für klug genug.«

»Und ich glaubte, sie vollständig überrumpeln zu können!«

»Da hast du sie unterschätzt. Ja, ich will es nicht als ganz und gar unmöglich hinstellen, daß sie unvorbereitet sind, aber dieser einen Möglichkeit stehen neunundneunzig Gewißheiten gegenüber. Ich möchte wetten, daß du morgen mit allen deinen Kriegern ins Verderben reiten würdest, wenn du hier nicht Veranlassung gefunden hättest, jetzt alle mögliche Vorsicht in Anwendung zu bringen.«

»So denkst du, daß wir umkehren sollen?«

»Nein.«

»Aber es ist doch deine Ansicht, daß sie uns erwarten, daß wir also auf sie treffen, wenn wir weiterreiten!«

»Ich habe doch gesagt, daß deine Krieger hier zurückbleiben sollen.«

»Und wir sechs? Was thun wir?«

»Ihr reitet mit uns nach dem Kulluk.«

»Das ist doch noch viel gefährlicher! Sechs Mann oder dreihundert Mann, das giebt einen Unterschied!«

»Allerdings; aber dieser Unterschied fällt zu unsern Gunsten aus. Sechs Personen, oder mit uns beiden acht, können leichter und unbemerkt hindurchkommen als dreihundert. Das mußt du dir auch sagen.«

»Du meinst also einen heimlichen Ritt?«

»Ja, einen überaus vorsichtigen Kundschafterritt. Der Haupttrupp bleibt hier zurück, um uns Hilfe zu bringen, wenn wir welche brauchen. Das ist das allein Richtige.«

»Ja, das ist das Richtige!« stimmte Halef bei. »Wenn ihr thut, was mein Effendi sagt, kann euch nichts geschehen. Wir wissen ganz genau, wie man so etwas anzufangen hat. Wir haben solche Ritte schon oft gethan, und da wir gesehen haben, daß eure Pferde gut sind, braucht ihr keine Sorge zu haben. Wir beide sind fest entschlossen, nach dem Turm zu reiten. Wenn ihr Angst bekommen habt, könnt ihr ja umkehren; wir werden uns keine Mühe geben, euch festzuhalten.«

Da rief der Kurde rasch:

»Was denkst du von uns! Wir fürchten uns nicht!«

»Es schien aber fast so!« meinte der Hadschi gleichmütig.

»Ich bitte dich, dies nicht noch einmal zu sagen! Es giebt keinen Hamawandi, der sich fürchtet, und Schevin und den Knaben können wir unmöglich im Stiche lassen.«

»Also reitet ihr mit?«

»Ja.«

»So muß ich euch eine Mitteilung machen.«

»Welche?«

»Habt ihr gute Ohren?«

»Ja,« antwortete Adsy, ohne daß er wußte, worauf Halef mit seiner Frage zielte.

»Wir auch. Unsere Ohren sind nicht nur gut, sondern sogar sehr feinfühlend, ganz außerordentlich empfindlich. Es giebt gewisse Geräusche, welche wir nicht vertragen können, zum Beispiel ein gewisses Räuspern. Ich hoffe sehr, daß du weißt, was ich meine!«

»Ich weiß es nicht.«

»Nicht? Muß ich es dir wirklich sagen?«

»Wenn es wichtig ist, ja.«

»Es ist sehr wichtig, überaus wichtig. Vorhin, als du sagtest, daß du nichts thun werdest, ohne uns zu fragen, da gab es so ein Hüsteln und Räuspern da bei den beiden, die hier neben mir sitzen. Solche Geräusche pflegen uns tief in die Ohren bis in die Hände hinunter zu klingen, und dann pflegen wir mit den Händen gewöhnlich etwas zu thun, was dem Betreffenden das Räuspern abgewöhnt. Also, wenn wir mit euch reiten sollen, so räuspert nicht zu oft; ihr könntet euch sonst verschiedene Verdrießlichkeiten zuziehen! Nun hast du mich wohl verstanden? Oder soll ich es vielleicht noch einmal sagen?«

»Nein; es genügt dies eine Mal,« antwortete Adsy verlegen. »Du schiebst diesem Geräusche eine Bedeutung unter, die es gar nicht hatte.«

»Möglich! Aber am liebsten ist es mir, wenn ich gar nicht zu schieben brauche. Ich habe alle Geräusche der Welt studiert und kenne die Bedeutung jedes einzelnen. Seid also in Zukunft vorsichtiger, denn wenn dann ich anfange, Geräusche zu machen, so sind es solche, über deren Bedeutung gar kein Irrtum möglich ist!« —

Die Stimmung wurde durch dieses kleine, von dem sehr ehrliebenden Hadschi herbeigeführte Intermezzo eine andere, und es kostete mich einige Mühe, sie wieder auf den vorherigen Stand zu bringen. Dann, als die gute Laune sich wieder bei ihm eingestellt hatte, war er so gnädig, die Unterhaltung in seine Hand zu nehmen; das heißt natürlich nichts anderes, als daß er die Schleußen seines Mundes öffnete und von unsern großen Thaten zu erzählen begann. Es gab in Beziehung auf unsern Ritt nach dem Kulluk nichts Wichtiges mehr zu sagen, und die Kurden waren ganz begierig darauf, das, was sie über uns gehört hatten, aus meinem oder seinem Munde bestätigt zu finden. Der meinige verhielt sich natürlich still; als desto beredter erwies sich der seinige, zumal ich ihn ruhig gewähren ließ und keine Veranlassung nahm, ihn zu unterbrechen.

Das, was er erzählte, hatte ich nicht nur selbst mit ihm erlebt, sondern es auch viele Male von ihm erzählen hören; es konnte mich also nicht in der Weise interessieren, daß ich ihm eine so gespannte Aufmerksamkeit wie die Kurden schenkte. Ich sah also, wie ich es stets that, noch einmal nach unsern Pferden und wickelte mich dann in meinen Haïk, um mich zur Ruhe zu legen. Einschlafen konnte ich freilich noch nicht, denn die von seiten der Zuhörer mit Ausrufen der Bewunderung gespickte Rede des Hadschi klang mir wie das ununterbrochene Geräusch einer in der Nähe niederfallende Kaskade in die Ohren, und dazu hielt mich auch der Gedanke an unser morgiges Vorhaben wach.

Besonders beschäftigte mich es Sahira, die alte Zauberin, von welcher gesprochen worden war. Wer meinen Band »Durchs wilde Kurdistan« gelesen hat, der weiß, daß ich in der kleinen Festung Amadijah Gelegenheit hatte, einem kurdischen Mädchen Hilfe gegen die Vergiftung durch Tollkirschen zu bringen. Bei dieser Patientin traf ich eine über hundert Jahre alte Ahne von ihr, Namens Marah Durimeh, welche früher Meleka[236] gewesen war und mir infolge dieser glücklichen Kur eine Dankbarkeit widmete, deren ungeahnte Wichtigkeit für mich ich dann später zu meinem größten Vorteile erkennen sollte[237]. Mein damaliges Zusammentreffen mit dem Ruh ‚i Kulian, dem segenspendenden »Geist der Höhle«, war nicht nur ein für unsere damalige Reise wichtiges Erlebnis, sondern hat auch für mein inneres Leben Folgen gehabt, die mir bis auf den heutigen Tag unschätzbar geblieben sind. Ich bitte, dieses Kapitel nachzuschlagen und noch einmal zu lesen, damit das, was ich jetzt zu berichten habe, den notwendigen Zusammenhang gewinne! Zugleich will ich bei dieser Gelegenheit bemerken, daß ich über mein viertes und letztes Zusammentreffen mit Marah Durimeh ein besonderes Buch schreiben werde, weil diese Begegnung von einem so tiefen und nachhaltigen Einflusse auf die Richtung und den Inhalt meines Seelenlebens gewesen ist, daß ich herzlich wünsche, meinen lieben Lesern von diesen aus dem irdischen Leben in die Ewigkeit hinüberreifenden Früchten anbieten zu dürfen.

 

Also an diese alte, mir so teuer gewordene Abkömmlingin von Königen mußte ich jetzt denken. Nie vorher im Leben und auch nicht nachher habe ich eine Person gefunden, welche mir so ehrwürdig, beinahe möchte ich sagen, so heilig erschienen wäre wie diese mit ihrem Geiste schon mehr im jenseits als im Diesseits weilende Greisin. Nur ihre wohlthätige Menschenliebe, ihre segenspendende Barmherzigkeit gehörte noch der Erde an, sonst aber zählte sie zu denen, welche hinübergegangen sind nach den »Wohnungen in meines Vaters Hause«, von denen Christus spricht. Ich hatte damals für dieses Leben von ihr Abschied genommen, doch lebte sie so ethisch rein, so geistig klar und hoch, wie ich sie kennen gelernt hatte, in meinem Herzen fort. Und nun schien es, als ob ich sie gegen alles Erwarten jetzt wiedersehen sollte! Aber war sie es denn wirklich, war es keine andere? Adsy hatte von einer uralten Frau gesprochen, deren Jahre man gar nicht zählen könne. Das stimmte. Auch seine übrigen Bemerkungen konnten sich eher auf sie als auf eine andere, uns noch unbekannte greise Frau beziehen, obgleich das Wort es Sahira, die Zauberin, nicht auf Marah Durimeh paßte. Doch war diese Bezeichnung wohl nur die Folge des niedrigen Standpunktes, von welchem aus sie von den Kurden betrachtet und beurteilt wurde. Ihnen kam das ganze Wesen und Thun der Alten fremd und unbegreiflich vor, und was dem Naturmenschen unbegreiflich erscheint, das pflegt er am liebsten mit dem Begriffe der Zauberei zu erledigen. Es war ja, wie ich schon zu Halef gesagt hatte, möglich, daß wir diese Zauberin noch nie gesehen hatten, aber es lag nicht nur eine Ahnung, sondern wie eine Überzeugung in mir, daß uns diese Begegnung mit unserm »Geist der Höhle« zusammenführen werde. Bei diesem Gedanken stiegen die damaligen Erlebnisse wieder in mir auf, jene Kämpfe bei den Teufelsanbetern und bei den muhammedanischen und christlichen Anwohnern des Zabflusses, besonders mein Aufstieg nach der geheimnisvollen Höhle des Ruh ‚i Kulian und mein mehrmaliges Gespräch mit diesem Geiste. Es fielen mir die Worte des Melek ein: »Sie wird dich morgen nach der Zeit des Mittages in meinem Hause besuchen, denn sie hat dich lieb, als ob du ihr Sohn oder ihr Enkel seist.« Und dann, als sie am andern Tage mit mir in ungestörter, weihevoller Einsamkeit oben am Berge saß, erklang es aus ihrem Munde:

»Herr, blicke auf, dahin zwischen Süd und Ost! Diese Sonne bringt Frühling und Herbst, bringt Sommer und Winter; ihre Jahre sind mehr als hundertmal über mein Haupt gegangen. Siehe dieses Haupt an! Es hat nicht mehr das Grau des Alters, sondern das Weiß des Todes. Ich sagte dir bereits in Amadijah, daß ich nicht mehr lebe, und ich habe die Wahrheit gesprochen; ich bin ein – — Geist, der Ruh ‚i Kulian.«

Sie hielt inne. Ihre Stimme klang dumpf und hohl, wie wirklich aus dem Grabe heraus; aber sie vibrierte doch wie unter der Regung eines lebendigen Herzens, und die Augen, welche auf das Gestirn des Tages gerichtet waren, zeigten einen feuchten Glanz tiefer, seelischer Rührung.

»Ich habe viel gehört und viel gesehen,« fuhr sie fort. »Ich sah den Hohen fallen und den Niedern emporsteigen; ich sah den Bösen triumphieren und den Guten zu Schanden werden; ich hörte den Glücklichen weinen und den Unglücklichen jubeln. Die Gebeine des Mutigen zitterten vor Angst, und der Zaghafte fühlte den Mut des Löwen in seinen Adern. Ich weinte und lachte mit; ich stieg und sank mit – — dann kam die Zeit, in der ich denken lernte. Da fand ich, daß ein großer Gott das All regiert und daß ein liebender Vater alle bei der Hand hält, den Reichen und den Armen, den jubelnden und den Weinenden. Aber viele sind abgefallen von ihm; sie lachen über ihn. Und noch andere nennen sich zwar seine Kinder, aber sie sind dennoch die Kinder dessen, der in der Dschehennah, in der Hölle, wohnt. Darum geht ein großes, ein gewaltiges Leid hin über die Erde und über die Menschen, die sich nicht von Gott strafen lassen wollen. Und doch kann keine zweite Sündflut kommen, denn Gott würde keinen Noah finden, welcher der Vater eines besseren, eines wohlgefälligeren Geschlechtes werden könnte.«

Sie machte eine neue Pause. Ihre Worte, der Ton ihrer Stimme, dieses tote und doch so sprechende Auge, ihre langsamen, müden und doch so bezeichnenden Gesten machten einen tiefen Eindruck auf mich. Ich begann, die geistige Herrschaft zu begreifen, welche diese Frau auf die intellektuell armen Bewohner der Gegend, in welcher sie lebte, ausübte. Sie fuhr fort:

»Meine Seele zitterte, und mein Herz wollte brechen; das arme Volk erbarmte mich. Ich war reich, sehr reich an irdischen Gütern, und in meinem Herzen lebte der Gott, den sie verworfen hatten. Mein Leben starb, aber dieser Gott starb nicht; er berief mich, seine Dienerin zu sein. Und nun wandere ich von Ort zu Ort, mit dem Stab des Glaubens in der Hand, um zu reden und zu predigen von dem Allmächtigen und Allgütigen, dem Allweisen und Allbarmherzigen, nicht mit Worten, die man verlachen würde, sondern mit Thaten, die segnend auf jene fallen, welche der Gnade des Vaters bedürftig sind. Die alte Marah Durimeh und der Ruh ‚i Kulian sind dir ein Rätsel gewesen; sind sie es dir auch jetzt noch, mein Sohn? Oder beginnst du, mich zu begreifen?«

Ja, ich begann damals, sie zu verstehen, und je länger ich an sie dachte, desto mehr wurde mir ihr Wesen und ihr Wollen klar. Sie war eine in menschlicher Gestalt wirkende Hand Gottes, welche sich in überquellender, erbarmender Liebe ausstreckt, die Irrenden zurechtzuweisen und die Abgefallenen zurückzuführen zum Heile, welches allen Menschen und nicht etwa nur wenigen Auserwählten beschieden ist. Indem sie nicht mehr der Erde angehörte, gehörte sie in ihrer reichen Liebe der ganzen Menschheit an!

So lag ich da, ganz in mich versunken, und sah ihre Gestalt so deutlich vor meinem geistigen Auge stehen, als ob sie in Wirklichkeit anwesend wäre. Die Stimme des erzählenden Hadschi klang nur wie ein fernes Murmeln an mein äußeres Ohr; das innere war ihr verschlossen. Ich hörte Marah Durimeh noch damals zum Abschiede sagen: »Mein Sohn, wenn du dieses Thal verlassen hast, so wird mein Auge dich nie wiedersehen, aber der Ruh ‚i Kulian wird für dich beten und dich segnen, bis diese seine Augen, welche du jetzt offen siehst, sich für hier geschlossen haben!« Indem ich in meinem Innern diese Worte hörte, breitete sie die Hände segnend über mich aus; ein wonniges Gefühl des Glückes, des Friedens zog in mir ein; ich schloß die Augen zum Schlafe und wurde unendlichen, lichten Fernen entgegengetragen, die nur der Traum, nicht aber das wachende Auge kennt.

»Sihdi, wach auf; erhebe dich! Es ist längst hell, und die Hamawandikrieger werden bald kommen!«

Als ich auf diesen Ruf des kleinen Hadschi erwachte, sah ich, daß ich der einzige war, der noch gelegen hatte. Der Morgen war fast schon eine Stunde alt, und so sprang ich auf, mich meiner Langschläfrigkeit beinahe schämend.

Halef saß mit den Kurden beim Frühmahle; sie aßen dünne Brotfladen, welche in der Weise zubereitet werden, daß man die breitgearbeiteten Teigstücke an die Wände des primitiven Backofens klebt, von denen sie von selbst herunterfallen, sobald sie ausgebacken sind. Ich wurde, als ich mich im Bache gewaschen hatte, eingeladen, an diesem lukullischen Frühstücke teilzunehmen.

Wir hatten es eben beendet, als wir die erwarteten Krieger in der Krümmung des Seitenthales erscheinen sahen. Sie stutzten bei unserm Anblicke, denn sie hatten nicht erwartet, die sechs Stammesgenossen noch hier zu finden, zumal in Gesellschaft zweier fremder Männer, aus deren Kleidung schon zu schließen war, daß sie keine Kurden seien.

Ich übergehe die Scene der Begrüßung, welche nun folgte. Unsere Namen waren diesen Leuten allen bekannt; das sahen und das hörten wir. Sie brachten uns eine Achtung entgegen, von welcher Halef sich sehr wohlthuend berührt fühlte; er nahm einen passenden Augenblick wahr, mir unbemerkt von ihnen zuzuflüstern:

»Effendi, merkst du auch, was für einen Respekt diese Hamawands vor uns haben? Richte dich gerade auf, und thu so stolz wie möglich! Wir müssen ihnen zeigen, was für eine Ehre es für sie ist, mit so hochberühmten Kriegern zusammenzutreffen, wie wir beide sind!«

236Königin.
237Siehe: Karl May, »Durchs wilde Kurdistan«, Kapitel VII.