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Im Reiche des silbernen Löwen II

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»Deine Erklärung mag die Wahrheit enthalten, und richtig ist es unbedingt, daß dieses Gift verderblich wirkt. Der Knabe Khudyr hatte sich mit dem Kriegsmesser, von dem ich sprach und welches er ohne Wissen seines Vaters und seiner Mutter in die Hand genommen hatte, nur ein wenig geritzt, und doch traten sehr bald fürchterliche Krämpfe ein, die ihn umbringen wollten. Sie wiederholten sich häufig, und stets, wenn sie kamen, war er dem Tode nahe. Sein Anblick dabei war kaum zu ertragen. Welche Angst und Sorge da auf den Herzen der Seinen lastete, kann ich nicht beschreiben!«

»Habt ihr kein Gegenmittel angewendet?«

»Man sagt doch, daß es kein Mittel gebe! Dennoch holten wir aus der Nähe und auch aus der Ferne alle Hukama[229] und arzneikundige Leute zusammen, doch niemand konnte helfen. Eine Frau gab es aber wohl, welche das richtige Gegenmittel wußte, doch war es mit großer Gefahr verknüpft, zu ihr zu kommen.«

»War der Weg zu ihr zu beschwerlich?«

»Nein; aber sie befand und befindet sich jetzt noch bei den Dawuhdijeh-Kurden, mit denen wir, als die Verwundung geschah, noch in Blutfehde standen; also durfte sich niemand von uns zu ihnen wagen. Wir gaben uns des Knaben wegen sogleich alle Mühe, diese Fehde beizulegen. Die Gegner machten es uns zwar sehr schwer, aber wir kamen doch endlich zum Ziele und konnten dann daran denken, die Frau aufzusuchen, um das Mittel von ihr zu holen.«

»Seid ihr denn überzeugt, daß sie das richtige Mittel wirklich kennt und besitzt?«

»Ja, denn sie kann jede Krankheit heilen, also auch so eine vergiftete Wunde.«

»Hm! Möglich ist es, aber wundern sollte es mich doch! Besser wäre es gewesen, du hättest mich eher getroffen!«

»Dich?« fragte er aufhorchend.

»Ja.«

»Weißt du denn dieses Mittel auch?«

»Ob mein Mittel dasselbe ist, welches diese Frau kennt, das kann ich nicht sagen; aber daß mein Mittel hilft, das darf ich getrost behaupten.«

»Maschallah! Ist es ein Geheimnis, oder darfst du es mir mitteilen?«

»Ich mache kein Geheimnis daraus. Es besteht aus dem Safte von Dabahh und Sukutan, äußerlich angewendet, wozu man sehr heißes Wasser trinkt, in welchem wilder Kurat gekocht worden ist.«

»Und das hilft, Effendi, das hilft?«

»Ja, sicher!«

»Hätten wir das gewußt! Aber vielleicht ist es auch jetzt noch Zeit! Es ist ja möglich, daß die Alte ein Mittel hat, welches nicht hilft. In diesem Falle bin ich überzeugt, daß Allah dich zu uns gesendet hat, das Leben unsers – — unsers – — unsers Khudyr zu retten!«

Der Kurde hatte jedenfalls eine andere Bezeichnung für den Knaben auf den Lippen gehabt, sie aber zurückbehalten und durch den Namen ersetzt. Auch fiel mir auf, daß er von ihm mit einer Liebe, einer so innigen Besorgnis sprach, wie sie ein männlicher Verwandter, ein Oheim, wenigstens im halbwilden Kurdistan und Fremden gegenüber nicht zu zeigen pflegt.

»Mein Mittel ist nicht so ohne weiteres anzuwenden, wie du zu denken scheinst,« bemerkte ich. »Man muß den Patienten kennen und die Wunde untersuchen, die vielleicht jetzt schon nicht mehr offen ist. Sodann sind die beiden Pflanzensäfte nur in einer besonderen Mischung zu geben, weil Dabahh weniger Schärfe als Sukutan besitzt, und auch vom Kurat ist nur eine gewisse Menge, nicht zu viel und nicht zu wenig, zu nehmen.«

»So müßtest du wohl dabei sein, wenn man diese Pflanzen in Anwendung bringt?«

»Es ist wünschenswert, wenn auch nicht unbedingt nötig.«

»So bitte ich dich, Effendi, deine Güte über uns leuchten zu lassen, indem du bei uns bleibst!«

»Das ist ein sehr kühner Wunsch!« antwortete ich in aller Aufrichtigkeit.

»Ja, das weiß ich wohl. Du bist ein so berühmter Mann, daß ein großer Mut dazu gehört, dir – — —«

»Das meine ich nicht,« unterbrach ich ihn. »Das Wort Kühnheit hatte sich nicht auf meine Person zu beziehen, sondern darauf, daß du mich aufforderst, bei dir zu bleiben, obwohl weder du weißt, ob ich Zeit und Lust dazu besitze, noch ich von dir erfahren habe, welche Wege du jetzt reitest und was auf diesen Wegen alles vor dir liegt. Nimm also deinen Wunsch einstweilen wieder zurück, und erzähle uns von dem Knaben weiter!«

»Gut, das werde ich thun; aber ich sage dir, daß ich meine Bitte doch wieder aussprechen werde! Als die Blutrache endlich beseitigt worden war, machte sich der – — – machte sich Schevin mit dem Knaben auf, um ihn zu der alten Frau zu bringen.«

Er hatte wieder gestockt, wahrscheinlich abermals einen andern Namen nennen wollen. Mich interessierte dies sehr, doch sagte ich kein Wort dazu, sondern ließ ihn ungestört in seiner Rede fortfahren.

»Er nahm einige tüchtige Krieger mit, um unterwegs und auch dann bei den Dawudijehs nicht ohne allen Schutz zu sein. Wir wußten, wie lange die Hinreise und auch die Rückkehr dauern würde und wann er also ungefähr wiederkommen müsse. Diese Zeit verging und dann noch fast eine Woche, ohne daß er kam. Da wurden wir natürlich bange und schickten einige Kundschafter aus, um zu erfahren, warum er so lange bliebe. Als sie heimkehrten, meldeten sie uns, daß er nicht kommen könne, weil er mit dem Knaben und seinen Begleitern festgehalten werde.«

»Warum hält man ihn zurück?«

»Das wissen wir nicht.«

»Haben die Kundschafter gar nichts über diesen Punkt erfahren können?«

»Gar nichts!«

»Sonderbar, höchst sonderbar!«

»Was?«

»Ihr alle, die ihr doch beteiligt seid, wißt nichts davon, und ich, der Fremde, ahne den Grund!«

»Du? Ahnst ihn? ja, man erzählt freilich von deinem Scharfsinne, daß ihm nichts entgehen könne, aber daß du hier das Richtige triffst, das ist doch gar nicht zu denken! Das würde fast ein Wunder sein.«

»Ein Wunder? Gar nicht! Man hat gar nichts weiter nötig zu thun, als richtig nachzudenken. Wer folgerichtig zu denken und einen Punkt aus dem andern zu entwickeln versteht, vor dessen Auge liegt schnell manches klar, was andere nur verspätet oder wohl auch gar nicht zu erfahren vermögen.«

»Dürfen wir erfahren, Effendi, was du vermutest?«

»Ja, obgleich du damit von mir verlangst, daß ich gegen dich aufrichtiger sein soll, als du in deinen Mitteilungen gegen mich gewesen bist.«

»Du aufrichtiger? Wieso?«

»Das wirst du gleich hören. Beantworte mir nur meine jetzige Frage der Wahrheit gemäß! Heißt der, den du deinen Bruder nennst, also der Vater des Knaben, wirklich Schevin?«

»Warum giebst du mir diese Frage?« erwiderte er ausweichend.

»Weil sie hier von größter Wichtigkeit ist. Das Kurmandschiwort Schevin heißt Schäfer, Hirte. Wenn ich erraten soll, ob ein kurdischer Krieger, der gar der Sohn des Häuptlings oder wenigstens ein Verwandter desselben sein soll, wirklich so heiße oder sich diesen friedlichen Namen nur beigelegt habe, um seinen eigentlichen, richtigen und sehr kriegerischen zu verbergen, so entscheide ich mich nicht für den ersteren, sondern unbedingt für den letzteren Fall. Dein sogenannter Bruder heißt nicht Schevin, sondern hat einen andern Namen.«

Wenn es hell gewesen wäre, hätte ich auf dem Gesicht des Kurden jedenfalls den Ausdruck der Überraschung bemerkt; da es nun aber hier unter den Bäumen ganz dunkel war, sah ich nichts, doch ließ eine längere Pause, welche jetzt eintrat, vermuten, daß meine Worte den beabsichtigten Eindruck hervorgebracht hatten. Dann klang seine Stimme im Tone eines plötzlichen, schnellen Entschlusses:

»Gut, nimm einmal an, du habest recht! Was folgt in Beziehung auf die Dawuhdijehs daraus?«

»Ich nehme zunächst an, daß euer Stamm mit dem ihrigen häufig zusammengetroffen ist?«

»Das ist richtig.«

»Wenigstens die hervorragendsten von euren Kriegern sind ihnen bekannt?«

»Ja.«

»Schevin ist ein solcher Krieger?«

»Ja.«

»Sie wissen, wie er eigentlich heißt?«

»Ja.«

»So denke also: Sie kennen ihn, sie wissen seinen wirklichen Namen; jetzt kommt er plötzlich anders zu ihnen, als sie ihn bisher gesehen haben, und giebt sich einen andern, einen falschen Namen! Was werden sie da denken? Was werden sie da wohl thun?«

Da antwortete der Kurde rasch und im Tone der Besorgnis:

»Effendi, mit deinen Worten geht die Befürchtung in Erfüllung, die ich seit einigen Tagen hegte! Ich will dir gestehen, daß er allerdings anders heißt, daß er sich einen falschen Namen gegeben hat.«

»Aber warum denn das?«

»Um leichter durchzukommen, um weniger Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.«

»Er mußte sich aber doch sagen, daß er grad das Gegenteil erreichen werde!«

»Grad das hat er sich nicht gesagt. Er glaubte, wenn er unerkannt bliebe, werde man sich weniger um ihn kümmern, als wenn man wisse, wer er sei.«

»Aber man mußte ihn doch erkennen, weil er eine bekannte Persönlichkeit ist, und dann war es doch gar nicht anders zu erwarten, als daß man der Verheimlichung seines wirklichen Namens schlechte Absichten unterschob. Das siehst du wohl ein!«

»Ja, ich sehe es ein. Und leider ist mir dieser Gedanke erst nachträglich gekommen, als es schon zu spät war, eine Änderung zu treffen, denn Schevin war schon fort. Glücklicherweise ist es nicht ganz so schlimm, wie du denkst. Da er wirklich keine bösen Absichten hat, kann man ihn wohl mißtrauisch, aber doch nicht feindlich behandeln.«

»Ob er solche schlimme Absichten wirklich hat, das ist Nebensache. Bei Leuten, wie die Dawuhdijehs sind, genügt es vollständig, daß er sie zu haben scheint. Nach diesem Schein wird er behandelt, nicht nach der Wirklichkeit.«

»Das klingt schon schlimmer, als ich meinte; aber es giebt auch hierbei noch einen erleichternden Gedanken: Die alte Frau ist nicht direkt bei den Dawuhdijehs zu finden, sondern sie ist ihnen nur zur Bewachung anvertraut worden. Sie wird von den Türken festgehalten und einige Dawuhdijehs sind stets bei ihr, um aufzupassen, daß sie den Ort, an dem sie sich befindet, nicht verlassen kann. Wer sie aufsucht, hat also nicht nötig, den eigentlichen Sitz des Dawuhdijeh-Stammes aufzusuchen.«

 

»Diese alte Frau erweckt mein höchstes Interesse, doch werde ich dich erst später nach ihr fragen. jetzt muß ich mich zunächst mit dem Widerspruche beschäftigen, welchen ich in deinen Worten und deinem Verhalten entdecke.«

»Welchen Widerspruch meinst du, Effendi.«

»Du suchst alle möglichen Trostes- und Beruhigungsgründe hervor und hast mir doch schon gesagt, daß Schevin in die Hände der Dawuhdijehs gefallen sei und von ihnen nicht wieder fortgelassen werde. ja, du scheinst dich sogar schon zu seiner Befreiung unterwegs zu befinden. Wie stimmt das zusammen? Sage es mir!«

»Du wirst das gleich begreifen, wenn ich dir mitteile, daß man Schevin zwar zurückhält, ihm aber nichts zu thun wagt, weil man ihm die Absichten, welche man vermutet, nicht nachweisen kann. Sobald aber ein einziger unserer Hamawand sich das geringste gegen irgend einen Dawuhdijeh zu schulden kommen ließe, was zu jeder Stunde sehr leicht geschehen kann, so würde man die Rache sofort gegen Schevin richten, und das ist es, was mich um ihn, der mein älterer Bruder ist, in so große Sorge versetzt. Daß dann auch der Knabe sich in der größten Gefahr befände, daran darf ich überhaupt gar nicht denken!«

Auch jetzt war bei diesen letzten Worten der Ton seiner Stimme ein so tief klagender, wie ich es von einem kurdischen Oheim gar nicht erwarten konnte.

»Haben eure Kundschafter denn mit Schevin sprechen können?« erkundigte ich mich.

»Was denkst du? Das ist ja gar nicht möglich!«

»Warum nicht?«

»Ein Kundschafter darf sich doch nur ganz heimlich nähern und sich nur höchst vorsichtig erkundigen. Wie kann er da bis ganz zu der Person vordringen, nach welcher er zu forschen hat, die man aber verborgen hält?«

»Was das betrifft, so bin ich schon sehr oft Kundschafter gewesen und weiß, was man erreichen kann. Haben diese Leute ihn denn nicht wenigstens gesehen?«

»Nein.«

»Aber sich nach ihm erkundigt?«

»Ja.«

»Haben sie erfahren, wo man ihn versteckt hält?«

»Nicht genau, denn was sie mir darüber sagen konnten, klingt bald so und bald anders. Über allen Zweifel sicher ist es nur, daß man ihn nicht wieder fortgelassen hat und auch nicht fortlassen will.«

»So ist er erkannt worden?«

»Wahrscheinlich. Wir sind also dreihundert Mann stark aufgebrochen, um ihn zu holen.«

»Was sagst du?« fragte ich ihn erstaunt. »Dreihundert Mann? Das ist ja nach den Verhältnissen dieses Landes und dieser Gegend ein ganzes Heer!«

»Das ist es! Es gilt seine Befreiung, zu welcher keine Zahl zu groß sein kann!«

»So ist er unbedingt ein sehr hervorragender Mann eures Stammes, und da du sein Bruder bist, so gehörst auch du nicht zu den gewöhnlichen Kriegern?«

»Nein. Auch die fünf Männer, welche hier bei uns sitzen, sind auserlesene Leute. Wir sind unserm Heere vorangeritten als Führer und scharfe Augen«, denen die andern in sicherer Entfernung zu folgen haben.«

Es trat eine Pause ein, während welcher ich nichts sagte, weil mir diese Angelegenheit zu denken gab. Darum fragte Adsy nach einer Weile:

»Du schweigst. Du bist ein abendländischer Krieger und denkst also nicht so wie wir über das, was hier geschieht. Hat vielleicht etwas von dem, was ich gesagt oder gethan habe, deine Zustimmung nicht?«

»Ich bin mit den dreihundert Hamawands nicht einverstanden. Verzeih, daß ich dies sage!«

»Aus welchem Grunde bist du dagegen?«

»Kaum habt ihr die Blutrache zum Schweigen gebracht, so unternehmt ihr einen Zug, durch welchen der Haß und die Rache sehr leicht zu noch viel höher lodernden Flammen entfacht werden können als vorher. Das ist es, was ich auszusetzen habe.«

»Es ist das jetzt noch kein Kriegszug, kann aber einer werden. Wenn die Dawuhdijehs unsere Forderung erfüllen, Schevin und seine Begleiter herauszugeben, ziehen wir friedlich wieder heim.«

»Wißt ihr, warum sie ihn zurückgehalten haben? Kann er nicht etwas unternommen haben, womit er ihnen Grund zu diesem ihrem Verhalten gegeben hat?«

»Das werden wir erfahren. Wir sind zum Frieden, aber auch zum Kampf bereit. In beiden Fällen würden wir es als eine von Allah gesandte Hilfe betrachten, wenn Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar sich bei uns befänden.«

»In beiden Fällen?«

»Ja.«

»Wieso?«

»Wenn ihr euer Wort in die Wagschale des Friedens legt, wird es mehr gehört, als wenn wir alle sprächen. Und wenn es trotzdem zum Kampfe käme, so würden deine Zaubergewehre, von denen wir schon so oft und so viel gehört haben, allein hinreichen, uns zum Siege zu verhelfen. Ich bitte dich also sehr, Effendi, an diesem unserm Zuge teilzunehmen!«

Aha! Sehr klug! Da ich aber doch nicht so grad heraus sagen konnte, was ich über diese naive Zumutung dachte, antwortete ich in ablehnender Weise:

»Die Erfüllung deines Wunsches würde uns ein Vergnügen bereiten, welches für uns gewiß stets eine schöne Erinnerung wäre; aber leider haben wir keine Zeit dazu.«

»Keine Zeit – — —?!« warf mir Adsy im Tone des größten Erstaunens entgegen, denn der Orientale hat ja immer Zeit; er besitzt nicht das mindeste Verständnis für den Wert, den jede einzelne Lebensstunde für den Menschen haben soll und auch wirklich hat.

»Ja, keine Zeit!« wiederholte ich. »Wir sind schon bei den Bachtijaren länger geblieben, als wir wollten – — —«

»Was ihr für diese thatet, könnt ihr auch für uns thun!« fiel er ein.

»Wir werden von Freunden in Bagdad erwartet – —«

»Sie mögen warten!«

»Auch haben wir vor, von Bagdad nach Basra nicht zu reiten, sondern mit dem Schiff zu fahren – — —«

»Es mag warten!«

»Das wartet nicht, sondern fährt pünktlich ab.«

»So fährt später ein anderes! Kein Mensch stirbt eher, als Allah will, und ihr kommt keinen Augenblick früher oder später nach Basra, als es euch im Buche des Lebens vorgeschrieben ist!«

»Du denkst nicht daran, daß ich kein Moslem, sondern ein Christ bin. Ich habe also in Beziehung auf das Kismet eine ganz andere Meinung als du.«

»Ich halte unsern Glauben für besser als den deinigen, obgleich ich diesen nicht kenne; aber kluge Leute scheint ihr doch zu sein, denn die alte Frau, welche die Wunde unsers Knaben heilen soll, ist auch eine Gläubige des Propheten aus Nasirah[230]

»Eine Christin? Etwa aus dieser Gegend?«

»Das weiß ich nicht, aber man sagt, sie sei hier fremd. Sie soll so alt sein, daß man ihre Jahre gar nicht zählen kann. Ihr Antlitz ist das Angesicht des Todes, und die Zöpfe ihres langen, weißen Haares scheinen aus der Zeit zu stammen, in welcher Muhammed, der Prophet Allahs, noch auf Erden wandelte.«

Kaum hatte er diese Worte gesagt, so rief Halef mit vor Überraschung lauter Stimme:

»Sihdi, Sihdi, hast du es gehört? Hamdulillah, wir sehen sie wieder, sie, die wir längst im Lande des Todes wähnten! Diese alte Frau ist nämlich – — —«

»Still!« unterbrach ich ihn, ehe er den Namen aussprechen konnte.

»Still? Warum soll ich still sein, warum soll ich schweigen, wenn die Freude mir im Herzen wohnt? Du verstehst mich nicht; du weißt nicht, wen ich meine. Wenn es gilt, etwas zu erraten, so reicht die Länge deines Verstandes gewöhnlich weiter als die Breite des meinigen; dieses Mal aber scheint meine Breite viel, viel eher zugegriffen zu haben als deine Länge. Ich weiß, welche alte Frau gemeint ist; ich weiß es ganz genau, du aber hast es nicht erraten, und – — —«

»Ich bitte dich,« fiel ich ihm in die Rede, »die ganze berühmte Breite deines Verstandes festzuhalten, damit er dir ja nicht verloren gehe! Habe ich dich jemals mitten in dem, was du sagen wolltest, unterbrochen, ohne einen Grund dazu zu haben?«

»Nein,« antwortete er, sichtbar frappiert.

»Und jetzt glaubst du, in einem Wettrennen zwischen deiner Breite und meiner Länge mich überholt zu haben? Lieber Halef, erlaube, daß ich dich an deine Hanneh erinnere! Oder nicht?«

Jetzt verstand er mich. Er sah ein, daß es den Hamawands gegenüber wahrscheinlich geraten war, uns im Betreff der vermutlichen Bekanntschaft schweigsam zu verhalten und antwortete also:

»Ja, Sihdi, erinnere mich immerhin an sie, welche nicht nur die duftigste der Rosen, sondern auch die klügste Besitzerin der bedachtsamsten Frauenlippen ist. Sie ist jedenfalls tausendmal schöner und jünger als diese alte Christin, deren Antlitz als das Angesicht des Todes beschrieben wird!«

Der Kurde, welcher nicht wußte, was mit unserm kurzen Redewechsel gemeint gewesen war, ergriff diese Gelegenheit, beschreibend fortzufahren:

»Ja, sie soll das Aussehen einer aus dem Grabe zurückgeholten Leiche haben. Vielleicht hat sie sich auch wirklich schon im Grabe befunden und ihre Seele ist während dieser Zeit bei den Geistern der Abgeschiedenen gewesen und dann wieder in den Körper zurückgekehrt, denn sie weiß von jenem Leben zu sprechen, als ob sie es kennen gelernt hätte, und kann Dinge sehen und hören, welche andern Sterblichen streng verschlossen sind.«

»Das klingt ja außerordentlich!« warf ich im ungläubigen Tone ein, um ihn dadurch zu weiteren Mitteilungen, die ich wünschte, aufzustacheln.

»Es klingt nicht nur so, sondern es ist auch wirklich so, Effendi!« beteuerte er.

»Daß sie überirdische Dinge hört und sieht?«

»Ja. Oder hältst du Mogizat[231] für unmöglich?«

»Gott thut täglich Wunder!«

»Allah, nicht allein, sondern sie werden auch von Menschen verrichtet. Muhammed, der Prophet aller Propheten, war doch auch Mensch und hat viele, viele Wunder gethan. Und von euerm Isa Ben Marryam[232] erzählt man sich dasselbe; er soll auch viele Wunder gethan haben, obgleich sie nicht an die großen, herrlichen und erhabenen unsers Muhammed reichen.«

»Du irrst. Zwar wollen wir uns nicht über religiöse Dinge und Personen streiten, aber Christus hat gesagt: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden!« Und daß er diese Macht wirklich besaß, hat er durch seine Wunder bewiesen —«

»So glaubst du, daß er höher stehe als Muhammed?«

»Ja,«

»So müßte auch El Kuds[233], die heilige Stadt der Christen, höher stehen als Mekka, die wir verehren!«

»Wollen wir uns wegen des Ranges zweier Städte bekämpfen?«

»Nein; aber El Kuds hat nur den einen Vorzug, daß dort das Gericht des jüngsten Tages abgehalten wird; sonst aber steht Mekka unendlich höher, weil sich dort, wie du weißt, die heilige Kaaba befindet.«

Ich lasse mich nicht gern in unnütze religiöse Gespräche ein, denn es fehlt zu den da aufgestellten Behauptungen meist die Zeit, die dazu gehörigen Beweise zu bringen; selten aber versäume ich eine Gelegenheit, wie die jetzige war, ein Streiflicht auf den eigentümlichen Umstand zu werfen, daß es in der Lehre und in den Traditionen des Islam Stellen giebt, durch welche das Christentum höher gestellt wird als der Muhammedanismus. Es gewährt mir dann immer ein heimliches Vergnügen, bemerken zu können, wie stutzig es den Moslem macht, so etwas anhören zu müssen, ohne daß er zu widersprechen vermag. So sagte ich auch jetzt:

»Was den Ort betrifft, an welchem das jüngste Gericht abgehalten wird, so giebt es bei den Muhamme danern zwei verschiedene Annahmen, die sich widersprechen. Nach der einen wird Christus an diesem Tage vom Himmel auf die Moschee der Ommajaden zu Damaskus niedersteigen, um von da aus einem jeden Lebenden und Toten sein Urteil zu sprechen. Also Christus wird das thun, nicht Muhammed; das sagt eure eigene Religion. Wer steht da höher?«

 

»Effendi, hierauf kann ich nicht sogleich antworten, das muß ich mir erst überlegen.«

»Gut, denke darüber nach! Und nach der andern Anschauung wird das jüngste Gericht in Jerusalem stattfinden. Wenn einst die Posaunen dieses Tages ertönen, werden die Seelen aller Menschen dort im Thale Josophat versammelt werden, Muhammed mitten unter ihnen; ein Säulenschaft, welcher aus der Mauer ragt, zeigt schon heut die Stelle an, wo er stehen wird. Hoch über ihm und den versammelten Geistern aber wird Christus auf dem Ölberge thronen, so daß er alle überblickt und ihm keiner entgehen kann, wenn er die Schafe von den Böcken scheidet. Da wird es der Brücke es Ssireht, von welcher eure Lehre an anderer Stelle spricht, nicht bedürfen, sondern es wird ein dünnes Seil über das Thal gespannt, über welches sämtliche Seelen schreiten müssen. Dabei werden die Gläubigen, die Frommen, an beiden Händen von ihren Schutzengeln gehalten und geleitet werden, so daß sie glücklich hinüberkommen; die Ungläubigen aber, die Gottlosen, werden keine lichten Führer haben und also hinab in die Finsternis und schauerliche Tiefe stürzen. Also auch hier thront Christus über Muhammed. Das sagt ihr selbst!«

»Du scheinst nicht nur eure, sondern auch unsere Lehre ganz genau zu kennen, Effendi; ich aber muß auch hierauf schweigen. Doch wirst du mir gewiß das zugeben, daß unsere Kaaba zu Mekka das größte Heiligtum der Erde ist?!«

»Nein, auch das gebe ich nicht zu.«

»Weil du ein Christ bist. Wenn du ein Moslem wärest, würdest du mir recht geben!«

»Um dir das Gegenteil zu beweisen, will ich jetzt einmal nicht als Christ, sondern als Moslem sprechen. Du kennst doch wohl die Gesetze der Höflichkeit, nach denen Menschen miteinander verkehren?«

»Ja.«

»Wenn von zwei Männern der eine höher steht als der andere und ein Besuch zwischen ihnen nötig ist, welcher hat da zu kommen?«

»Der, welcher niedriger steht.«

»Also derjenige, welcher besucht wird, ist der höhere? Antworte der Wahrheit gemäß!«

»Ja, er ist der vornehmere, der höhere.«

»So will ich dir noch folgendes sagen: Das Heiligtum der Muhammedaner in Jerusalem heißt Haram esch Scherif, und eure Lehrer sagen, daß am jüngsten Tage die Kaaba von Mekka nach Jerusalem kommen werde, um den Haram esch Scherif zu besuchen und mit ihm dem jüngsten Gerichte beizuwohnen. Hörst du wohl?«

»Ist das wahr, Effendi?«

»Ja. Erkundige dich, so wirst du erfahren, daß es so ist, wie ich sage!«

»Die heilige Kaaba besucht den Haram esch Scherif! Das wußte ich noch nicht.«

»Wer ist da der höhere, die Kaaba oder der Haram esch Scherif?«

»Der letztere!«

»Welcher Ort ist der höhere, Mekka, die Stadt des Islam, oder Jerusalem, die Stadt der Christen?«

»Jerusalem!«

»Wirst du nun auch jetzt noch behaupten, daß die Wunder Christi nicht an die Wunder Muhammeds reichen?«

»Effendi, ich kann mich nicht mit dir messen, denn ich habe die Worte nicht, welche dir zur Verfügung stehen!«

»Dir fehlen nicht die Worte, sondern die Beweise. Ihr gebt die Wunder Christi ohne alle Widerrede zu; wir aber kennen nicht ein einziges Wunder, welches Muhammed gethan hat. Muhammeds Wunder werden nur von der Überlieferung erzählt! Christi Wunder aber werden von Muhammed bestätigt und sind im heiligen Buche verzeichnet, aus welchem Muhammed geschöpft hat. So sag mir nun einmal, wessen Wunder werden wohl glaubhaft sein?«

»Schweig, Effendi, ich bitte dich! Hast du vielleicht die Absicht, mir meinen Glauben zu rauben? Ich wollte doch nicht von den Wundern Muhammeds und von den Wundern Isa Ben Marryams sprechen, sondern von denen, welche man sich von der alten Frau erzählt!«

»Erzählt! Aber wahr sind sie nicht!«

»Sie sind wahr! Ich habe unheilbare Kranke gesehen, von denen sie durch das Gebet und das darauf folgende Auflegen ihrer Hände die Krankheit genommen hat. Sie kennt die Gedanken eines jeden Menschen; der zornigste Mann wird vor ihr zum stillen Lamm, und sogar die Tiere sind ihr unterthan!«

»Wie heißt diese Frau?«

»Ihren Namen kenne ich nicht; ich habe ihn noch nie gehört. Man nennt sie nur es Sahira[234]

»Kennst du ihre Heimat?«

»Nein. Doch meint man, sie müsse aus der Gegend von Hakkiari oder auch Rowandiz sein, weil sie zuweilen Namen von Orten nennt, die es dort giebt. Etwas Sicheres wird wohl nur der Pascha von Suleimania wissen.«

»Der? Du nennst ihn Pascha? Wenn er das erführe, würde er sich sehr darüber freuen, daß er zu einem solchen Rang erhoben worden ist. Warum meinst du, daß er die Heimat der Frau kennt?«

»Weil er es ist, der sie gezwungen hat, in dem Kulluk[235] zu wohnen, den sie nicht verlassen darf.«

»Er hat sie nicht bei sich in Suleimania?«

»Nein. So nahe will er sie nicht haben, denn er fürchtet sich vor ihr. Er hat sie in die Berge schaffen lassen, wo hoch oben das dicke Gemäuer des Kulluk steht, welcher vor langer, langer Zeit zur Bewachung der Grenze gebaut worden ist. Dort steckt sie unter der Aufsicht der Dawuhdijehs, welche aufpassen müssen, daß sie sich nicht entfernt.«

»Also eine Gefangene?«

»Ja.«

»Und doch sagst du, daß sie Kranke heile und noch sonstige Wunder thue?«

»Das habe ich gesagt, und es ist wahr.«

»So scheint es doch, als ob man sie nicht allzu streng bewache?«

»Man läßt keinen Menschen zu ihr in den Turm. Wenn jemand mit ihr sprechen will, darf sie bis an die Thür kommen, wofür man den Dawuhdijehs ein Geschenk zu geben hat.«

»So ist zu schließen, daß sie eigentlich niemanden zu ihr lassen sollen, dies aber des Bakschisch wegen nicht so scharf nehmen, wie der Pascha es befohlen hat. Sonderbar ist es, daß er sie nicht durch Soldaten, sondern durch die Dawudijehs bewachen läßt!«

»Den Grund kenne ich nicht.«

»Wie lange steckt sie wohl schon in dem Kulluk?«

»Das weiß ich nicht; es ist aber schon lange her, seit ich zum erstenmal von ihr hörte.«

»Welche Sprache spricht sie?«

»Man kann arabisch, türkisch, kurdisch und auch persisch mit ihr reden.«

»Kennst du die Gegend, in welcher der Turm liegt?«

»Ja.«

»Aber so genau, daß du mir als Führer dorthin dienen könntest?«

»Ja. Wir sind schon einigemal dort gewesen, früher, als der Kulluk leer stand und es Sahira noch nicht hinter seinen starken Mauern steckte.«

»Das ist mir lieb, denn ich kenne ihn noch nicht.«

»Willst du hin?« fragte er schnell.

»Ja.«

»Ich denke, du hast keine Zeit!«

»Ich habe allerdings so wenig Zeit, daß ich mich durch gewöhnliche Gründe nicht abhalten lassen würde, direkt und ohne alles Säumen nach Bagdad zu reiten; aber um eine Frau zu sehen, welche Wunder thut, kann man schon ein solches Opfer bringen.«

»So werdet ihr also bei uns bleiben?«

»Ja.«

»Hamdulillah! Wenn dies der Fall ist, können wir sicher sein, daß wir Schevin mit dem Knaben und auch ihre Begleiter zurückbringen werden! Effendi, ich danke dir! Du konntest mir keine größere Freude bereiten! Nun mögen die Dawuhdijehs vorhaben, was sie wollen, wir brauchen keine Sorge zu haben. Selbst wenn es zwischen ihnen und uns zum Kampfe käme, würde dieser für uns ein siegreiches Ende nehmen!«

»Was das betrifft, so will ich nicht zögern, dir ein notwendiges Wort zu sagen. Du hast, wie du uns vorhin mitteiltest, viel von uns gehört; da wirst du wahrscheinlich auch erfahren haben, daß wir zwar furchtlose Männer sind, aber den Frieden lieben und darum so viel wie möglich jeden Streit, jede Feindseligkeit zu umgehen suchen. Genau so werden wir uns auch jetzt verhalten.«

»Aber wenn die Dawuhdijehs nun weniger friedlich gesinnt sind und uns zum Kampfe zwingen!«

»So bleibt uns vorher noch immer die List, durch welche man ohne Opfer an Blut und Leben oft mehr erreicht als durch sofortiges Dreinschlagen mit den Waffen. Wir haben diese Erfahrung sehr oft gemacht.«

»Wir sind ja auch gar nicht darauf versessen, das mit Gewalt zu erzwingen, was wir ohne sie erreichen können. Ich habe die dreihundert Krieger aber mitgenommen, um für alle Fälle gerüstet zu sein.«

»So bin ich mit dir einverstanden, und wir können uns also über die notwendigen Maßregeln, welche zu treffen sind, besprechen.«

»Welche Maßregeln meinst du da?«

»Ich meine, daß wir doch wissen müssen, wohin wir uns zu wenden haben, um die Gesuchten zu finden.«

»Ja, wo sie stecken, das wissen wir nicht. Ich habe dir schon gesagt, daß die Aussagen und Vermutungen unserer Kundschafter in Beziehung auf diesen Punkt nicht miteinander übereinstimmen.«

»Hm! Da ist es ja grad so gut, als hättet ihr gar keine Späher ausgeschickt! ich meine, daß solche Leute gar nicht eher zurückkehren dürfen, als bis sie wissen, woran sie sind; so habe wenigstens ich es stets gehalten. Soviel ich weiß, giebt es nomadische Dawudijehs und auch solche, welche zwischen Bazian und Kafri seßhaft sind. Um welche handelt es sich?«

»Um alle, denn die Seßhaften schließen sich stets den andern an, wenn es ein gewinnbringendes Unternehmen gilt; der Unterschied zwischen beiden ist nicht groß.«

»Wo sind die nomadisierenden jetzt zu suchen?«

»Links oberhalb Suleimania.«

»Und wo liegt der Kulluk, in welchem die wunderbare Sahira festgehalten wird?«

»Grad östlich und ungefähr einen Tagesritt von hier.«

»Wie weit sind deine dreihundert Mann hinter dir?«

»Sie kommen morgen früh eine Stunde nach dem Beginn des Tages hier an.«

»Wann wolltet ihr diese Stelle hier verlassen?«

»Sofort wenn es Tag geworden ist.«

»Also noch ehe eure Krieger hier eintreffen?«

»Ja.«

»Würden diese denn wissen, wohin sie sich hinter euch her zu wenden haben?«

229Plural von Hekim = Arzt.
230Nazareth.
231Plural von Mogiza = Wunder.
232Jesus, Mariens Sohn.
233Jerusalem.
234Die Zauberin.
235Wachturm.