Za darmo

Durch das Land der Skipetaren

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»Auch wenn sie sich versteckt haben?«

»Auch dann. Finde ich einen Ort, der sich zu einem Ueberfall eignet, so werde ich schon nach Spuren suchen, und finden werde ich sie ganz gewiß. Was dann geschieht, das weiß ich freilich jetzt noch nicht.«

»Aber wir müssen doch wissen, was geschehen soll!«

»Natürlich. Ihr reitet ganz einfach in gemächlichem Schritt immer auf der Straße von hier bis Radowitsch. Nach zwei Stunden geht es über den Fluß, und dann nach höchstens drei Stunden seid ihr dort. Hat sich unterwegs nichts ereignet und ist euch auch nichts aufgefallen, so kehrt ihr im ersten Gasthof ein, welcher zu eurer Rechten liegt. Da können drei Fälle eintreten. Entweder bin ich noch da – —«

»So ist‘s ja gut, Sihdi.«

»Oder ich bin wieder fort – —«

»So hast du uns Botschaft zurückgelassen.«

»Oder ich bin noch gar nicht da; dann wartet ihr bis ich komme.«

»Und wenn du aber nicht kommst?«

»Ich komme gewiß!«

»Du bist ein Mensch und kannst dich irren. Es kann dir etwas zustoßen, infolgedessen du unserer Hilfe bedarfst.«

»So reitest du zurück, du allein, am nächsten Tag, aber nicht vor dem Mittag und nicht auf dem Rappen. Dieser bleibt im Khan bei Omar und Osko zurück. Ihn will ich keiner Gefahr aussetzen. Auf diesem Rückweg wirst du schon Zeichen von mir finden. Das ist es, was wir vorher besprechen mußten. Etwas weiteres läßt sich heute nicht sagen. Und nun wollen wir unser Gespräch beenden. Wir bedürfen der Ruhe und wollen versuchen, ob der Schlaf uns erquicken mag.«

»Bei mir kehrt der Schlaf nicht ein; das Kugelkunststück und der Rappe lassen mir keine Ruhe. Gut Nacht, Sihdi!«

»Gute Nacht!«

Ich glaubte es dem lieben Kerl sehr gern, daß er sich in einer bedeutenden Aufregung befand. Es gab drei Geschöpfe, welchen sein Herz gehörte. Daß ich da voran stand, das wußte ich. Dann kam Hanneh, die »Zierde der Frauen und Mädchen«, und hernach Rih, der Rappe. Daß er diesen reiten sollte, das war ein über alle Maßen außerordentliches Ereignis. Ich war überzeugt, daß er nicht schlafen würde.

Und so geschah es auch. Ich selbst war ziemlich aufgeregt und fand keine wirkliche Ruhe. Wenn die gute Nebatja nicht auf den Berg gegangen wäre, um ihre Marienkreuzdistel zu holen, so hätte sie das Gespräch nicht belauschen und mich auch nicht warnen können. In diesem Fall hätte mir morgen der sichere Tod bevorgestanden. Wie nichtig ist doch der Wille des Menschen gegen Gottes Ratschluß! Wenn ich der kühnste, stärkste, klügste und umsichtigste Mensch wäre, ohne Nebatja war ich verloren.

Solche Gedanken pflegen die Türe zu öffnen, durch welche man in die Vergangenheit blickt. Wohl dem Menschen, welcher dann erkennt, daß er zwar selbst bestimmend auf sein Schicksal einzuwirken vermag, daß aber doch eine mächtigere Hand ihn immer hält und leitet, selbst dann, wenn er diese Hand von sich zu stoßen vermeint! So lag ich, abwechselnd sinnend und halb träumend, bis ich endlich doch in Schlummer fiel.

Zweites Kapitel: Die beiden Aladschy

Als ich aus dem Schlafe erwachte und den Laden aufstieß, drang das helle Tageslicht zu mir herein. Meine Uhr sagte mir, daß ich dritthalb Stunden geschlafen hatte. Halef war schon aufgestanden. Ich fand ihn unten in dem Stalle; er putzte an dem Rappen herum, und zwar mit einem solchen Eifer, daß er meinen Eintritt gar nicht bemerkte. Als er mich dann doch erblickte, fragte er:

»Du auch schon auf? Im Hause schläft noch alles. Aber es ist gut, daß du schon munter bist, denn du hast sehr notwendige Besorgungen vor.«

»So? Was denn?« erkundigte ich mich, obgleich ich sehr wohl wußte, was er meinte.

»Du mußt in die Apotheke gehen.«

»Das hat noch Zeit.«

»Nein, Sihdi. Es dauert sehr lange, bis man solche Kugeln fertig bringt.«

»Woher weiß denn du das?«

»Ich bin nicht so dumm, daß ich es mir nicht denken könnte, Sihdi.«

»Nun, recht magst du haben, zumal ich mir auch noch die Blätter zu kochen habe; aber ich weiß ja nicht, wo die Apotheke ist, und in der ganzen Stadt wird noch niemand auf den Beinen sein, um mir das Haus zu zeigen.«

»So ein Spuren- und Fährtensucher wird doch wohl auch eine Apotheke finden können?«

»Ich will es versuchen.«

Hierauf öffnete ich das Tor und trat hinaus auf den freien Platz. Ich sagte mir, daß die Apotheke nicht in irgend einem Gassenwinkel, sondern möglichst leicht zu erreichen und in der Mitte des Ortes liegen möge, und da befand ich mich ja.

Indem ich von Haus zu Haus blickte, bemerkte ich ein sehr altes, baufälliges Ding, das wohl ein Haus sein sollte. Nur noch an zwei wahrscheinlich auch bereits lockeren Nägeln hing ein langes Brett windschief herab, dessen Inschrift glücklicherweise noch deutlich zu lesen war.

»Hadsch Omrak Doktor hakemi we bazar bahari.«

So stand mit weißer Schrift auf grünem Grund zu lesen. Auf deutsch: »Der Mekkapilger Omrak, Doktor der Medizin und Verkaufsladen von Arzneiwaren.« Dieser Hadschi war also ein Arzt, welcher entweder den Doktortitel wirklich besaß oder sich ihn anmaßte.

Die Türe war verschlossen, aber ein kräftiger Stoß mit der Hand hätte mir sofort Eingang verschafft. Eine Klingel war nicht zu sehen, doch hingen an den beiden Enden eines Strickes zwei Holzdeckel grad so hoch, daß sie von einem erwachsenen Menschen erreicht werden konnten. In der Ahnung, daß dies die Hausglocke vorstellen solle, ergriff ich die Deckel und schlug sie zusammen. Das gab allerdings ein Geräusch, welches ganz geeignet war, einen Schlafenden zu wecken.

Ich mußte längere Zeit das Cymbal schlagen, bevor ich Erhörung fand. Ueber mir wurde ein Laden geöffnet, stückweise, denn die Bretter hingen nicht mehr zusammen; dann kam folgendes zum Vorschein: eine elfenbeingelbe Glatze, eine aus lauter Querrunzeln bestehende Stirn, zwei kleine, schläfrig blinzelnde Augen, eine Nase, welche der Schnauze einer großen, braunen tönernen Kaffeekanne glich, wie man sie bei uns auf den Dörfern sieht, ein breiter, lippenloser Mund, ein gebogenes Kinn, welches gar nicht breiter als die Nase war, und endlich ertönte es zwischen den Lippen hervor:

»Kim dir – wer ist da?«

»Bir chasta – — ein Patient,« antwortete ich.

»Ne asl chastalyk – welche Krankheit?«

»Mibim kyran – ich habe den Magen gebrochen,« erklärte ich frisch von der Leber weg.

»Schimdi, tez – gleich, sogleich!« schrie der Herr »Doktor« mit einer Stimme, der ich entnahm, daß ihm ein solcher Hauptfall noch gar nicht vorgekommen sei.

Der Kopf fuhr in allerhöchster Eile zurück; mir aber, der ich so verwegen war, noch in die Höhe zu blicken, fielen die Bestandteile des Ladens ins Gesicht. Ich war so geistesgegenwärtig, erst dann zur Seite zu springen, als die Bretter bereits auf der Erde lagen.

Nach kaum einer Minute hörte ich hinter der Türe einen Lärm, als ob ein Erdbeben im Anzug sei. Einige Katzen kreischten, ein Hund heulte, Gefäße wurden umgerissen, eine unaussprechlich wundersame Frauenstimme schrie dazwischen; dann flog etwas, was wohl der Arzt selbst war, gegen die Türe, denn sie ging auf, und der gelehrte Herr lud mich mit einer tiefen, tiefen Verbeugung ein, gütigst näher zu treten.

Aber was für eine Gestalt sah ich da vor mir! Dieser »Doktor und Arzneiladen« hätte, in ein heimatliches Rübenfeld gestellt, allen Hänflingen, Stieglitzen, Zeisigen und Spatzen einen so heillosen Schreck eingejagt, daß sie sicher sofort nach Marokko geflogen wären, um niemals in ihrem Leben wiederzukommen.

Sein Gesicht sah jetzt, in der Nähe betrachtet, noch viel vorweltlicher aus als vorher. Es war so voll von Falten und Runzeln, daß es auch nicht eine einzige, noch so kleine glatte Stelle darin gab. Sein Morgenkleid war ein hemdähnliches Ding, welches zwar von der Schulter bis auf die Knöchel reichte, aber die Blöße doch nur halb bedeckte, da es fast nur aus Löchern und ellenlangen Rissen bestand. An dem einen Fuße hatte er einen abgeschlurften rotledernen Pantoffel und an dem anderen einen Reisestiefel aus schwarzem Filz. Doch war auch dieser Filz so luftbedürftig geworden, daß er den Zehen einen ungehinderten Ausblick in alle Gegenden des türkischen Reiches gestattete. Seine Glatze hatte er mit einer alten Nachthaube für Frauen bedeckt, deren hinterer Teil nach vorn, der vordere Teil aber nach hinten zu liegen gekommen war, jedenfalls eine Folge der Eile, mit welcher er meinem gebrochenen Magen hatte Rettung bringen wollen.

»Herr, komm näher!« sagte er. »Tritt herein in die armselige Gesundheitsfabrik deines geringen Dieners!«

Er beugte den Kopf fast bis zur Erde und bewegte sich dabei storchartig rückwärts, bis hinter ihm ein schriller Weheruf erscholl:

»O jazik – o wehe! Kojun, basar sen nassyrlarmüz üzeri – Schaf, du trittst mir ja auf meine Hühneraugen!«

Er fuhr erschrocken empor und zur Seite. Da bekam ich das zarte Wesen zu sehen, welches diese sanften Worte gelispelt hatte.

Dasselbe schien aus einem Gesicht, einem uralten Teppich und zwei nackten, schrecklich schmutzigen Füßen zu bestehen. Dennoch waren diese Füße unendlich anziehender als das Gesicht. Der Besitzer der »Gesundheitsfabrik« war ein wahrer Apollo gegen sein Weibchen. Am liebsten widme ich der Schönheit ihres Antlitzes ein ohnmächtiges Schweigen.

Sie trat vor und verbeugte sich ebenso tief, wie vorhin ihr Gemahl.

»Chosch geldiniz Sultanum – willkommen hoher Herr!« begrüßte sie mich. »Wir sind entzückt, die Morgenröte deines Angesichtes zu schauen. Was wünschest du von uns? Der Wasserfall unsers Gehorsams wird sich über dich ergießen.«

»Sen güzel tscha ilahessi bunum hejranli tschaghlaganün – und du bist die schöne Nymphe dieses entzückenden Wasserfalles!« antwortete ich höflich, indem ich auch ihr eine respektvolle Verneigung machte.

Da klappte sie einige Male die untere Kinnlade gegen die obere, nickte ihrem Gemahl zu, erhob mahnend die rechte Hand, stieß ihm den Zeigefinger gegen die Stirn und sagte:

 

»Bak, ad komar beni güzel – schau, er nennt mich schön! Dati tschok daha eji katschan seninki – sein Geschmack ist viel besser als der deinige.«

Und sich im huldvollsten Tone an mich wendend, fuhr sie fort, ihrer Stimme einen möglichst lieblichen Klang erteilend:

»Dein Mund weiß angenehm zu sprechen, und dein Auge erkennt die Vorzüge deiner Mitmenschen. Das konnte ich freilich von dir erwarten.«

»Wie? Kennst du mich?«

»Sehr gut. Du hast mit Nohuda, meiner Busenfreundin, und mit Nebatja, die uns Pflanzen bringt, unten am Gesundheitsbrunnen gesprochen, und sie haben uns von dir erzählt. Sodann haben wir dich beim Bascha gesehen. Die Welt ist deines Lobes voll, und mein Herz duftet dir seine Lobgesänge entgegen. Wir weinen bittere Tränen, daß dich die Krankheit zu uns führt. Aber wir haben alle iki bin bir iladschlar[1] studiert und werden dich von deinem Leiden erlösen. Es ist noch kein Mensch von uns gegangen, ohne Hilfe und Rettung zu finden. Darum darfst du dich mir getrost anvertrauen.«

Das klang ja sehr verheißungsvoll. Sie sah ganz so aus, als ob sie diese zehntausend und eine Arznei nicht nur studiert, sondern auch hinuntergeschluckt habe und jetzt noch an der Wirkung derselben laboriere. Diesen beiden Leuten hätte ich mich im Krankheitsfall anvertrauen mögen! Darum sagte ich:

»Verzeihe, o Günesch esch schifa[2], daß ich dich nicht bemühe. Ich bin selbst ein Hekim Baschi, ein Oberarzt meines Landes, und ich kenne meinen Körper. Er bedarf ganz anderer Mittel als der Leib eines hiesigen Menschen. Ich bin nur gekommen, um mir die Mittel zu holen, deren ich zur Heilung bedarf.«

»Jazyk, adschynadschak – das ist schade, jammerschade!« rief sie aus. »Wir hätten den Riß deines Magens untersucht und genau gemessen. Wir besitzen ein Midemelhemi[3], welches wir dir auf die Ecke eines Turbantuches gestrichen hätten. Hättest du es aufgelegt, so wäre das Loch in wenigen Stunden zugeheilt.«

»Vielleicht ist euer Pflaster grad auch das meinige, denn dieses wirkt ganz ebenso rasch. Doch erlaube, daß ich es mir selbst bereite.«

»Dein Wille ist auch der unserige. Komm also herein in die Kammer der Wundersalben und suche dir das aus, was dein Herz begehrt.«

Sie öffnete eine Seitentür und trat vor mir ein. Ich folgte ihr, und hinter mir stelzte auch der glückliche Besitzer dieser Apotheke und dieser »Nymphe des Wasserfalles« herein.

Was ich sah, erfüllte mich mit jener eigenartigen Seelenstimmung, welche man vulgär mit dem Wort »gruseln« zu bezeichnen pflegt.

Ich befand mich in einem Raum, welcher sich wohl eher zu einem Gänsestall als zu einer Apotheke geeignet hätte. Ich stieß mit dem Kopf oben an. Der Fußboden war die liebe Mutter Erde, und die Wände bestanden aus Bretterschwarten, von denen die Rinde nicht abgelöst worden war. An Nägeln hingen ganze Reihen kleiner Leinwandsäckchen, eines neben dem andern. Vom Mittelpunkt der Decke baumelte eine Schnur herab, an welcher eine riesige Klistierspritze angebunden war. Auf einem Brett lagen mehrere wunderlich gestaltete Scheren, alte Schröpfköpfe, Barbierbecken und Zahnzangen mit zolldicken Backen. Auf dem Boden stand allerlei ganzes und zerbrochenes Geschirr, und rundum herrschte ein Geruch, der geradezu unbeschreiblich zu nennen war.

»So!« sagte sie. »Das ist unsere Patientenküche. Jetzt sage uns, aus welchen Mitteln du deine Magensalbe zusammensetzest.«

Der Apotheker drängte sich vor mich hin und sah mir mit höchster Spannung in das Gesicht. Er freute sich sichtlich darauf, mir mein Rezept abzulauschen.

»Habt ihr Sadar in einem dieser Säckchen?« fragte ich.

»Sadar ist da,« antwortete die Holde, sich gegen die Wand richtend.

»Sadar?« bemerkte ihr Mann. »Ilm Lotos komar – die Wissenschaft nennt es Lotos.«

Dieser wirkliche Doktor und Hekim wollte mir zeigen, daß er den lateinischen Namen der Pflanze inne habe. Da derselbe aber leider veraltet war, entgegnete ich:

»Tanam ilm celtis australis komar – die wirkliche Wissenschaft nennt es Celtis australis.«

Er tat den Mund sehr weit auf, sah mich erstaunt an und fragte:

»Gibt es denn zwei verschiedene Wissenschaften?«

»O, mehr als hundert.«

»Allah! Ich kenne nur diese eine. Wie viel willst du von dem Sadar, Herr?«

»Eine große Handvoll.«

»Schön! Ich werde es dir in eine Düte tun. Herr! was willst du noch?«

Unten auf dem Fußboden lag ein Papier. Ich hätte fünfhundert Piaster gewettet, daß dasselbe von der Straße aufgelesen worden war. Sie hob es auf, drehte es zusammen, fuhr mit der Zunge über die Kante, damit es kleben sollte, und tat mir eine Handvoll der Celtis australis hinein. Da ich das Mittel äußerlich anwenden wollte, so erhob ich keinen Einspruch gegen dieses familiäre Gebaren der Apothekerin

»Hast du Alkali?« fragte ich.

Sie blickte mich verwundert an, obgleich das Wort ein bekanntes arabisches war. Er aber zog den Mund zu einem sehr selbstbewußten Lächeln in die Breite und erkundigte sich:

»Von welchem willst du?«

»Das ist mir gleich.«

»Herr, ich habe erfahren, daß deine Heimat im Westen liegt. Ich besitze ein sehr gutes Alkali von dort her, und wenn du es willst, kannst du es haben.«

»Wie nennst du es?«

»Schawell suju.«

»Zeige es mir!«

Er brachte wirklich, wie ich vermutete, ein Fläschchen zum Vorschein, auf welchem zu lesen war: »Eau de Javelle, fabrique de Charles Gautier, Paris.«

»Wie kommst du zu diesem Alkali?« fragte ich ihn.

»Ich kaufte mehrere Fläschchen von einem Kommis voyageur, welcher bei mir war. Er kam aus der Hauptstadt von Fransa, die Praga heißt.«

»Du irrst. Prag ist die Hauptstadt von Böhmen, während die Hauptstadt von Fransa Paris heißt.«

»Effendi, das weißt du alles?«

Da fiel seine Gemahlin schnell ein:

»Sus – schweige! Das habe ich längst gewußt. Du bist ein Dummkopf, aber kein Arzt und Apotheker! Herr, was willst du noch?«

»Hast du Quecksilber?«

»Ja. Wir brauchen es zum Füllen des Barometers und Thermometers, die wir verfertigen.«

»Wie? Ihr macht sie selbst?«

»Ja. Traust du es uns nicht zu?«

»O, sehr gern! Wer so viele Arzneien studiert hat, der kann alles!«

»Nicht wahr? Ja, du bist ein vernünftiger und hochgebildeter Mann. Jetzt haben wir Vorrat aus Saloniki bekommen. Wenn wir einmal kein Quecksilber haben, tun wir Ziegenmilch in die Röhren; die sieht auch weiß aus und zeigt das Wetter genauer an als das Quecksilber.«

»Sprichst du im Ernst?«

»Gewiß. Hast du das noch nicht gewußt?«

»Nein, meine Verehrte.«

»So hast du nun den Beweis, daß wir hier klüger sind, als ihr in den westlichen Ländern. Die Ziegen wissen ganz genau, was für Wetter wird. Wenn es regnen will, rennen sie stracks nach dem Stalle. Also muß die Milch ein gutes Mittel in die Röhren sein.«

»Du bist eine kluge Frau. Das habe ich dir freilich auf der Stelle angesehen.«

»Wie viel willst du von dem Quecksilber, Herr?«

»Ungefähr 500 Gramm. Hast du so viel?«

»Noch mehr.«

»So warte noch. Ich muß erst sehen, ob ihr noch einen Stoff habt, den ich dazu brauche.«

»Welchen meinst du?«

»Kül kurschuni[4]. Das ist freilich ein seltenes Metall. Solltest du es haben?«

»Kül kurschuni haben wir nicht, aber Kül kalaji[5], welches wir brauchen, um eine schöne, weiße Schminke daraus zu bereiten.«

»Auch das geht an. Hast du ein Vikiey davon, so gib es mir und zwei Vikiey Quecksilber dazu.«

»Soll ich es dir auch gleich hier in die Düte gießen?«

»O nein! Das Quecksilber würde uns sofort entwischen.«

»Ach freilich! Es ist wie die Liebe der Männer, die auch sofort verschwindet, wenn – wenn – —«

»Wenn man sie in eine solche Düte schüttet?«

»Ja, aber die Düte ist das Herz. Es vermag eure Liebe nicht festzuhalten. O, die Liebe, die Liebe! Die hat schon manches arme Weib unglücklich gemacht.«

Sie warf einen wütenden Blick auf ihren Mann, riß ihm die Haube vom Kopf, schwang sie auf ihr eigenes Haupt und zürnte:

»Mensch, wie kannst du dich mit einer Zienet müenneslükün[6] schmücken! Willst du die Seele deines Weibes entweihen?«

Er bedeckte seine Glatze schnell mit beiden Händen und schrie:

»Weib, du versündigst dich an der heiligen Würde des Mannes! Weißt du nicht, daß es uns verboten ist, das Haupt unseres Körpers zu entblößen!«

Aber die geistreiche Frau wußte sich zu helfen. Sie antwortete:

»Bunda, jokary kaldyr haß kutuju – da, setze die Mehlschachtel auf!«

Zu gleicher Zeit griff sie nach einer runden Pappschachtel, in welcher sich noch ein Rest feines Mehl befand, und stülpte ihm dieselbe, ohne auf das Mehl zu achten, verkehrt auf das »Haupt seines Körpers«. Sein Angesicht war sofort bepudert; er wagte aber nicht, ein Wort zu sagen, und behielt diese Kotillonmütze ruhig auf dem kahlen Wohnsitz seiner Gelehrsamkeit. Als strenger Moslem, der sein Haupt nicht entblößen darf, war er ganz glücklich, daß es wieder bedeckt war. Welchen Eindruck aber diese Bedeckung auf mich machte, das schien ihm sehr gleichgültig zu sein.

Er kniete auf den Boden nieder und wirrte in den alten Gefäßen herum.

»Was suchst du denn?« fragte ihn seine schönere Hälfte.

»Eine Flasche, um dem Effendi das Quecksilber hinein zu tun; hier ist eine.«

Er erhob sich und reichte seiner Frau die Flasche. Dieselbe war so groß, daß sie wohl seinen ganzen Quecksilbervorrat gefaßt hätte, und vielleicht auch noch mehr. Die Frau hielt sie gegen das Licht, schaute nach dem Inhalt und sagte:

»Da ist ja noch alter Firnis drinnen!«

»Was schadet es?«

»Sehr viel. Nimm Wasser und wasche sie aus!«

Er entfernte sich sehr gehorsam mit der Flasche.

Nach einer Weile, während welcher ich mich mit der gelehrten Frau unterhalten hatte, kehrte er zurück, hochrot im Gesicht vor Anstrengung, und sagte im Ton der Verzweiflung:

»Ich bringe sie nicht rein; versuche du es selbst.«

»Du bist ein Tolpatsch!« sagte sie. »Ihr Männer habt zu nichts Geschick.«

Sie entfernte sich mit der Bouteille. Ich ließ es geschehen, ohne ein Wort zu sagen. Er erzählte mir im Vertrauen einige Beispiele seines großen Eheglückes, bis sie zurückkehrte, noch viel röter, als er vorhin war.

»Effendi,« klagte sie, »die Flasche ist verzaubert. Der Firnis geht nicht heraus.«

»Das habe ich gewußt.«

»Wie? – Wirklich?«

»Ja. Er ist nicht mit Wasser, sondern nur mit Terpentinöl zu entfernen. Der Firnis nimmt kein Wasser an.«

»Das konntest du uns doch sagen!«

»O nein; das hätte euch ja beleidigt.«

»Warum denn?«

»Ein Apotheker muß das wissen; überhaupt weiß das auch einer der nicht grad Chemie studiert hat. Hätte ich euch darauf aufmerksam gemacht, so wäre dies eine Unhöflichkeit gewesen, denn es hätte so geklungen, als ob ich nicht glaubte, daß ihr zweitausend und ein Arzneimittel studiert habt.«

 

»Da hast du recht. Du bist ein höflicher und sehr rücksichtsvoller Mann. Dafür sollst du nun auch den Firnis umsonst bekommen. Ich schütte dir das Quecksilber darauf. Wo hast du die Wage, Mann?«

»Sie ist im Hof. Ich habe gestern das Kaninchen damit gewogen, welches wir heute essen wollen.«

»Hole sie herein!«

O weh! Eine Apothekerwage, auf welcher man ein geschlachtetes Kaninchen wiegen kann! Als er sie brachte, sah ich, daß er sich den Wagebalken wohl selbst aus Holz zurechtgeschnitzt hatte. Die Zunge war ein Stück Draht, welches sich zwischen den beiden Zinken einer Speisegabel bewegte. Die Schalen bestanden aus einer runden Holzschachtel und ihrem Deckel. Doch war das wunderliche Instrument ganz leidlich ins Gleichgewicht gebracht worden.

Mit dieser Wage wurde mir nun das Verlangte abgewogen, und ich war sehr zufrieden mit dem Preis, den mir die Frau Apothekerin stellte, zumal das Wismut in sehr gut ausgebildeten Rhomboëdern kristallisiert war.

Nachdem ich mir auch Blei gekauft hatte, verließ ich den sonderbaren Laden und erhielt die besten Wünsche für mein Wohlergehen mit auf den Weg.

Von da begab ich mich zu der guten Nebatja, die auch schon wach war und mich mit großer Freude empfing.

Sie zeigte mir ihren Distelkönig, den ich nun beim Tageslicht genau betrachtete. Sie wollte mir ihn schenken, aber ich nahm ihn nicht an. Natürlich bedankte ich mich wegen ihrer Warnung und erklärte ihr, wie wichtig mir dieselbe sein werde. Als ich ihr sagte, daß sie durch dieselbe wohl meine Lebensretterin sei, zeigte sie sich ganz entzückt darüber.

Das brave Weib hatte mir die herzlichste Teilnahme abgerungen. Schon gestern war mir der Gedanke gekommen, wie leicht ich ihr die Zukunft minder schwer machen könne, und jetzt führte ich diesen Gedanken aus.

Ich besaß das Geld, welches bei Manach el Barscha, Barud el Amasat und dem Gefängniswärter gefunden worden war. Eigentlich sollte ich dasselbe abgeben. Aber an wen? An die saubere Behörde von Ostromdscha? Pah! An die Oberbehörde? Persönlich hätte ich dies nicht tun können, denn dazu war keine Zeit vorhanden. Und einen Boten senden? Der Mann hätte sich wohl in das Fäustchen gelacht. Uebrigens waren die drei, denen wir es abgenommen hatten, entflohen. Ihnen das Geld wieder zu geben, dieser Gedanke wäre Wahnsinn gewesen. Ich konnte jedenfalls gar nichts Besseres tun, als es armen, bedürftigen Leuten schenken. Und zu denen gehörte die Nebatja an erster Stelle.

Freilich durfte ich ihr nicht sagen, woher ich es hatte; sie hätte sich vielleicht geängstigt. Die ganze Summe wollte ich ihr freilich nicht geben; ich konnte sicher sein, noch genug ebenso Bedürftige zu finden, und ich wußte, daß der für sie bestimmte Anteil völlig ausreichen würde, um sie vor Not zu bewahren.

Sie war ganz starr vor freudigem Staunen, als ich ihr unter vier Augen das Geld gab. Sie wollte gar nicht glauben, daß eine solche Summe, welche für sie ein Reichtum war, ihr gehören könne. Die Tränen rollten ihr über die Wangen herab. Ganz besonders entzückt war sie davon, daß sie nun einen wirklichen Arzt für ihren Knaben haben könne. Ich mußte mich ihren Worten und Händedrücken mit Gewalt entziehen.

Halef hatte mich unterdessen mit Ungeduld erwartet. Er stand unter dem Tor und rief mir von weitem entgegen:

»Endlich, endlich, Sihdi! Wir haben‘s so eilig, und doch bleibst du so lange fort! Wie steht es denn mit dem Kunststück?«

»Sehr gut. – Ist der Wirt schon wach?«

»Alle sind bereits munter.«

»So will ich an den Herd. Ich muß kochen und schmelzen.«

»Ich werde dabei sein, und du wirst mir alles erklären, damit ich es nachmachen kann.«

»Nein, mein Lieber, mit dem Nachmachen ist es nichts. Es gehören einige Kenntnisse dazu, welche du nicht besitzest, und selbst derjenige, welcher dieselben hat, kann durch eine kleine Unachtsamkeit einen Fehler begehen, welcher ihm oder einem andern das Leben kostet. Darum werde ich niemals jemandem alle vier Ingredienzien nennen oder ihm die Art und Weise der Mischung verraten. Osko mag mir seine Kugelform mitbringen; sie hat das Kaliber der hiesigen Gewehrläufe.«

Unsere Vorbereitungen nahmen nicht mehr als eine halbe Stunde in Anspruch. Die Sadarblätter wurden in verdünntem Eau de Javelle gekocht, und die Lauge ward durch ein altes Leintuch gegossen. Das vorhandene Metall gab acht Kugeln, welche reinen Bleikugeln täuschend ähnlich waren. Außerdem wurden mehrere Bleikugeln gegossen und mit der Messerspitze leicht gezeichnet. Dann ging ich mit Oskos Gewehr hinter das Haus, wobei mich niemand begleiten durfte. Ich lud eine der Quecksilberkugeln in den Lauf, hielt die Mündung, nur anderthalb Fuß entfernt, gegen ein Brett und drückte ab. Der Schuß krachte wie ein gewöhnlicher, aber das Brett war vollständig unversehrt. Am Boden zeigte sich nicht das kleinste Teilchen der zerstiebten Kugel.

Diese Probe war notwendig gewesen, denn nun wußte ich, daß kein Unglück geschehen könne. Einen Verrat hatte ich nicht zu befürchten, da nur Halef, Osko und Omar eingeweiht waren, und diese drei hatten mir ihre Verschwiegenheit zur Genüge bewiesen.

Das war alles noch zur rechten Zeit geschehen, denn als ich zurückkehrte, kam soeben der Kasi-Mufti mit dem Naib und dem Ajak Naib. Sie hatten noch Andere dabei. Als der Erstere mich bemerkte, ging er auf mich zu, zog mich zur Seite und sagte:

»Effendi, ahnst du, weshalb ich komme?«

»Du willst mir melden, wie es mit dem Kodscha Bascha steht.«

»Nein, o nein! Ich möchte dich fragen, ob du deinen kleinen Hadschi um die Erlaubnis gefragt hast, daß ihm jemand eine Kugel durch den Kopf schießen darf.«

»Liegt dir das denn gar so sehr am Herzen?«

»Ja, denn es ist entsetzlich wunderbar. Hat er heute schon seine Kuranblätter gegessen?«

»Frage ihn selbst!«

»Ich will ihn lieber nicht fragen, er könnte es übelnehmen.

Weißt du, sein Messer! Und mit der Peitsche ist er auch so flink und freigebig!«

»Ja, er ist ein wackerer kleiner Kerl.«

»Also sage: hast du ihn gefragt?«

»Ja, noch ehe wir schlafen gingen.«

»Und was hat er geantwortet?«

»Hm! Er schien nicht übel Lust zu haben.«

»Das wäre prächtig, herrlich! Wann kann die Geschichte beginnen?«

»Nur Geduld! Das geht nicht so schnell, wie du es wünschest. Mein Beschützer hat seine Eigenheiten. Uebrigens habe ich dir gestern noch nicht alles gesagt. Wir alle – nämlich meine drei Begleiter und ich – haben die gleiche Eigenschaft. Wir brauchen uns vor keiner Kugel zu fürchten.«

»Was? – Auch du?«

»Wie ich dir sage.«

»So speisest auch du Kuranblätter?«

»Frage nicht zu viel! Solche Geheimnisse verrät man selbstverständlich nicht gern.«

»So könnten wir also ganz nach unserm Belieben auf euch schießen?«

»Ja, wenn euch nämlich euer Leben zum Ueberdruß geworden ist.«

»Wieso? Ich verspüre noch gar nichts von einem solchen Ueberdruß.«

»Dann nimm dich in acht, und schieße ja nicht etwa auf irgend einen von uns, ohne vorher um Erlaubnis gefragt zu haben.«

»Warum denn nicht, Effendi?«

»Wenn wir die Genehmigung dazu erteilen, so kann man es ohne Schaden tun. Wer es aber hinterrücks verübt, dessen Kugel fliegt auf ihn zurück, und zwar genau auf diejenige Stelle seines Körpers, auf welche er bei dem unsrigen gezielt hat.«

»Also wenn ich auf den Kopf deines Hadschi oder auf den deinigen ziele, so fliegt mir die Kugel in meinen eigenen Kopf?«

»Ganz sicher. Willst du es einmal probieren?«

»Nein, Effendi, ich danke! Aber warum habt ihr es denn grad so eingerichtet und nicht anders?«

»Das kann dir dein Scharfsinn sehr leicht sagen: nämlich um etwaiger Feinde willen. Um diese zu bestrafen ist es nicht genug, daß ihre Kugeln uns nicht schaden, sondern sie müssen sich selbst genau so treffen, wie sie uns treffen wollten. Das ist das alte Gesetz der gerechten und genauen Wiedervergeltung.«

»Ewwet, göz itschün göz, disch itschün disch – ja, Auge um Auge, Zahn um Zahn. Da mag ich nicht euer Feind sein. Wann reitet ihr wieder fort von hier?«

»Du freust dich wohl auf unsere Entfernung?«

»Nein; ich wollte lieber, ihr bliebet immer da. Aber eine große Umwälzung hast du uns gebracht.«

»Jedoch zum Guten!«

»Ja, und dafür sind wir dir dankbar, obgleich man lieber alles lassen soll, wie Allah es gemacht hat.«

»Hat Allah es gewollt, daß der Mübarek euch betrog, und daß der Kodscha Bascha eure Gefangenen befreite?«

»Das wohl nicht.«

»Wie geht es dem Kodscha Bascha?«

»Er steckt fest.«

»Hoffentlich wirst du nichts unternehmen, was geeignet wäre, ihn der gerechten Strafe zu entziehen.«

»Was denkst du von mir! Ich bin ein getreuer Diener des Padischah und tue stets meine Pflicht. Dafür aber könntest du mir nun auch den Gefallen erweisen und dem Hadschi ein gutes Wort geben.«

»Nun, ich will ihn erinnern.«

»Und erlaubst du, daß ich noch einige Leute hole?«

»Ich habe nichts dagegen.«

»Ich bin bald wieder da. Ich muß es dem guten Toma sagen, der es so gern sehen möchte.«

»Wer ist dieser Toma?«

»Er ist einer, welcher Aufträge besorgt, und macht den Boten zwischen hier und Radowitsch.«

»Ein braver Mann?«

»Recht brav. Als du dich gestern entfernt hattest, lobte er dich gar sehr. Ich erzählte ihm, daß dein Hadschi Kuranblätter verspeist und infolgedessen kugelfest ist. Er wollte das so gern auch sehen; er freut sich über euch und ist euer Freund. Darf ich ihn holen?«

»Bringe ihn!«

Er ging eiligen Schrittes davon.

Diese Leute waren so durchsichtig! Mir kam der Verdacht, daß dieser brave Botenmann Toma vielleicht von den beiden Aladschy beauftragt sei, uns zu beobachten und ihnen dann Meldung zu machen.

Bald bemerkten wir die Wirkung der Bemühungen des Kasi-Mufti. Es kam eine Menge von Menschen herbei, deren bewundernden Blicken wir uns dadurch entzogen, daß wir uns in die Stube setzten; aber der »Staatsanwalt« suchte uns dort auf.

Er hatte einen krummbeinigen Menschen bei sich, den er mir mit den Worten vorstellte:

»Sieh, Effendi, das ist der Bote, von dem ich dir erzählt habe.«

Ich faßte den Mann fest ins Auge und fragte ihn:

»Also du gehst zwischen hier und Radowitsch hin und her?«

1Alle zehntausend und eine Arznei.
2Sonne der Heilung.
3Magenpflaster.
4Aschblei = Wismut.
5Aschzinn, auch Wismut.
6Zierde der Weiblichkeit.