Der schwarze Mustang

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„Diese Ansicht macht Eurer Menschenliebe alle Ehre, aber ich könnte Euch mit vielen Beispielen beweisen, dass Ihr im Irrtum seid.“

„Und ich mit noch mehreren, dass ich Recht habe. Ist jemals ein Mensch treuer gewesen, als Winnetou zu Old Shatterhand ist?“

„Winnetou ist eine Ausnahme. Kennt Ihr ihn?“

„Gesehen habe ich ihn noch nicht.“

„Oder Old Shatterhand?“

„Auch noch nicht; aber alle ihre Taten kenne ich.“

„So habt Ihr auch von Tangua, dem Häuptling der Kiowas[6] gehört?“

„Ja.“

„Welch ein Verräter war dieser Schurke! Er warf sich damals, als Old Shatterhand noch Surveyor war, zu seinem Beschützer auf und hat ihm doch fort und fort nach dem Leben getrachtet. Er hätte ihn sicher ausgelöscht, wenn dieser Weiße nicht klüger und stärker als er gewesen wäre. Wo findet Ihr da die Treue, von der Ihr sprecht? Und dass die Spuren von Roten nur im Kriege Gefahr bedeuten – haben die Sioux Ogellallah nicht mitten im Frieden wiederholt Eisenbahnzüge überfallen? Haben sie nicht mitten im Frieden Männer getötet oder Weiber geraubt? Sie sind dafür bestraft worden, nicht von großen Jäger- und Militärhaufen, sondern von zwei einzelnen Menschen, von Winnetou und Old Shatterhand. Befände sich einer von ihnen hier, so würden mir allerdings die Indianerspuren wenig Angst bereiten.“

„Pshaw! Ihr übertreibt, Sir! Diese beiden Männer haben sehr viel Glück gehabt; das ist alles. Es gibt noch ebensolche und auch noch bessere, als sie sind.“

„Wo?“

Der Mestize sah ihm mit stolz herausforderndem Blick ins Gesicht und antwortete: „Fragt nicht, sondern seht Euch um!“

„Meint Ihr etwa Euch, Euch selbst?“

„Und wenn?“

Der Engineer wollte ihm eine zurechtweisende Antwort geben, wurde dieser aber enthoben, denn Kas kam mit zwei Schritten seiner langen Beine herbei, pflanzte sich hoch vor dem Mestizen auf und sagte: „Ihr seid der größte Schafskopf, den es geben kann, mein Sohn!“

Der Mischling sprang im Nu auf und riss sein Messer aus dem Gürtel; aber noch schneller hatte Kas seinen Revolver gespannt, hielt ihm diesen entgegen und warnte: „Keine Übereilung, my boy! Es soll Menschen geben, die eine Kugel durch ihren Dummkopf nicht vertragen können, und ich habe allen Grund anzunehmen, dass Ihr so einer seid.“

Der auf ihn gerichtete Lauf des Revolvers verbot dem Mestizen, sein Messer zu gebrauchen. Hierüber wütend, zischte er dem Langen zu: „Was habe ich mit Euch zu schaffen? Wer hat Euch erlaubt, Euch in unser Gespräch zu mischen?“

„Ich selbst, mein Junge, ich selbst. Und wenn ich mir etwas erlaube, so möchte ich den sehen, der es nicht leiden will!“

„Ihr seid ein Grobian, Sir!“

„Well, diese Antwort lass’ ich mir gefallen, denn ich sehe, dass Ihr Geschmack an mir findet. Sorgt nur dafür, dass ich auch welchen an Euch finde, sonst ergeht es Euch wie damals bei Timpes Erben!“

„Timpes Erben? Wer seid Ihr denn eigentlich, Sir?“

„Ich bin einer, der auf Winnetou und Old Shatterhand nichts kommen lässt; mehr braucht Ihr nicht zu wissen. Lebt wohl, my boy, und steckt Euer Stecheisen wieder in den Gürtel, damit Ihr Euch damit nicht etwa einen Schaden tut!“

Kas kehrte nach seinem Tisch zurück, wo er sich behaglich wieder niederließ. Der Mestize folgte seinen Bewegungen mit sprühenden Augen, seine Sehnen spannten sich, dem Beleidiger nachzuspringen, doch brachte er es nicht fertig. Es gab in der Haltung des langen, dünnen Mannes etwas, das ihm den Fuß bannte. Er steckte das Messer ein, setzte sich wieder nieder und murmelte, um sich vor seinen Tischgenossen zu entschuldigen, vor sich hin: „Der Kerl ist offenbar ein Narr und gar nicht im Stande, einen vernünftigen Menschen zu beleidigen. Lassen wir ihn schwatzen!“

„Schwatzen?“, antwortete der Engineer. „Der Mann scheint im Gegenteil Haare auf den Zähnen zu haben. Dass er für Old Shatterhand und Winnetou gesprochen hat, freut mich von ihm, denn die Taten und Erlebnisse dieser beiden Helden des Westens bilden mein Leib- und Lieblingsthema. Will doch einmal sehen, ob er sie auch wirklich kennt.“

Und sich an den andern Tisch wendend, fragte er: „Ihr bezeichnet euch als Westmänner, Sir. Seid Ihr jemals Winnetou oder Old Shatterhand begegnet?“

Die kleinen Mausaugen von Kas funkelten vor Vergnügen, als er antwortete: „Und ob! Bin zwei Wochen mit ihnen geritten.“

„Wetter! Wollt Ihr nicht herkommen und uns davon erzählen?“

„Nein.“

„Nicht? Warum denn nicht?“

„Weil ich kein Geschick zum Erzählen habe, Sir. Es ist mit dem Erzählen eine ganz eigene Sache; das muss angeboren sein. Ich habe es schon oft versucht, aber ich bringe es nicht fertig. Ich fange in der Regel in der Mitte oder hinten an und höre stets vorn auf. Ich kann Euch nur kurz sagen, dass wir damals eine Gesellschaft von acht Weißen waren und in die Gefangenschaft der Upsarokas gerieten, die uns für den Marterpfahl bestimmten. Das hatten Old Shatterhand und Winnetou erfahren. Sie suchten unsere Fährte, folgten ihr, beschlichen die Upsarokas und holten uns in der Nacht heraus, ganz allein, ohne alle Beihilfe, ein Meisterstück, wie es Euer Halfbreed[7] sicher nicht fertigbringt, das dort bei Euch sitzt und vorhin das Maul so voll genommen hat.“

Der Mestize wollte wieder aufbrausen, doch kam ihm der Engineer mit der schnellen Frage zuvor: „Wisst Ihr nicht, wo sich die beiden jetzt befinden, Sir?“

„Habe keine Ahnung. Es wurde einmal davon gesprochen, dass Old Shatterhand hinüber in eins der altmodischen Länder sei, Ägypten oder Persien heißt es wohl, aber bald wiederkommen werde.“

„Möchte sie doch gar zu gern einmal sehen. Und besonders auch ihre Waffen! Sind die wirklich so vorzüglich, wie man erzählt?“

„Will es meinen, Sir! Aus Winnetous Silberbüchse ist noch nie ein Fehlschuss gegangen; sie hat in ihrer Art nicht Ihresgleichen. Der Bärentöter Old Shatterhands ist wie ein furchtbares Ungetüm, das auf ungemein weite Entfernung trifft. Und nun erst sein Henrystutzen! Bedenkt, Sir: fünfundzwanzig Schüsse in einer halben Minute! Ich bin Büchsenmacher gewesen und verstehe, was das heißen will. Henry hat, glaube ich, nur zehn solcher Stutzen gefertigt; aber wer hat sie und wo sind sie? Keiner von ihnen ist bekannt als nur der Old Shatterhands. Welche Summen würde wohl ein Kenner dafür zahlen! – Aber, Sir, wenn Ihr uns einen Gefallen tun wollt, so sagt uns, wo wir unsere Pferde unterbringen können. Ich möchte sie gern sicher unter Dach und Fach haben, weil Ihr vorhin von Indianerspuren gesprochen habt.“

„Erscheinen Euch diese Spuren auch bedenklich?“

„Natürlich! Das kluge Halfbreed dort mag denken, was es will, ich weiß, woran ich bin.“

„So biete ich Euch den Werkzeugschuppen an, der ein gutes, festes Schloss besitzt; der Verwalter hier wird Euch führen und auch für Futter und Wasser sorgen.“

Der Genannte erhob sich bereitwillig von seinem Platz und Kas und Has folgten ihm hinaus zu ihren Pferden.

Die weißen Bahnarbeiter hatten der Unterhaltung ihre ganze Aufmerksamkeit geschenkt; das Gespräch war ihnen ebenso fesselnd gewesen wie ihrem Vorgesetzten. Dieser benutzte die Abwesenheit der beiden Jäger dazu, dem Mestizen sein Gebaren zu verweisen, was der Genannte mit scheinbarer Ruhe hinnahm, während er innerlich wütend war. Darüber verging einige Zeit, bis sich draußen wieder die Schritte von Pferden hören ließen.

„Was ist denn das?“, fragte der Engineer verwundert.

„Sie bringen die Pferde zurück, und es ist doch Platz genug für sie im Schuppen.“

Er blickte nach dem Eingang und sah zwei ganz andere Männer eintreten. Es waren ein Weißer und ein Indianer.

Der erste war von nicht sehr hoher und nicht sehr breiter Gestalt. Ein dunkelblonder Vollbart umrahmte sein sonnverbranntes Gesicht. Er trug ausgefranste Leggins und ein ebenso an den Nähten ausgefranstes Jagdhemd, lange Stiefel, die bis über die Knie heraufgezogen waren, und einen breitkrempigen Filzhut, in dessen Schnur sich rundum die Ohrenspitzen des fürchterlichen grauen Bären zeigten. In dem breiten, aus einzelnen Riemen verfertigten Gürtel steckten zwei Revolver und ein Bowiemesser; er schien rundum mit Patronen gefüllt zu sein und an ihm hingen mehrere Lederbeutel, die wahrscheinlich die einem Westmann nötigen kleineren Gegenstände bargen. Von der linken Schulter nach der rechten Hüfte lag ein zusammengeschlungener, aus mehrfachen Riemen geflochtener Lasso und um den Hals hing an einer Seidenschnur eine mit Kolibribälgen verzierte Friedenspfeife, in deren künstlerisch geschnittenen Kopf indianische Zeichen eingegraben waren. Ein breiter Riemen hielt auf dem Rücken dieses Mannes ein ungewöhnlich langes und schweres Doppelgewehr fest, während in der rechten Hand ein leichteres, einläufiges ruhte.

Der Indianer war genauso gekleidet wie der Weiße, nur dass er anstatt der hohen Stiefel leichte Mokassins trug, die mit Stachelschweinsborsten verziert waren. Auch eine Kopfbedeckung hatte er nicht, sondern sein langes, dichtes, blauschwarzes Haar war in einen hohen, helmartigen Schopf geordnet und mit einer Klapperschlangenhaut durchflochten. Um den Hals trug er den Medizinbeutel, eine höchst wertvolle Friedenspfeife und eine dreifache Kette von Grizzlykrallen, ein glänzender Beweis seiner Tapferkeit und seines Mutes, denn kein Indianer darf Siegeszeichen führen, die er sich nicht selbst erworben hat. Der Lasso fehlte ebenso wenig wie der Gürtel mit den Revolvern, dem Bowiemesser und den Lederbeuteln, und in der Rechten hielt der Indsman eine doppelläufige Büchse, deren Holzteile eng mit glänzenden silbernen Nägeln beschlagen waren. Der Ausdruck seines ernsten, männlich schönen Gesichts war fast römisch zu nennen; trotz des tiefdunklen Samts seiner Augen glänzte in ihnen ein ruhiges, wohltuendes Feuer; die Backenknochen standen kaum merklich vor und die Farbe seiner Haut war ein mattes Hellbraun mit einem leisen Bronzehauch.

 

Diese beiden Ankömmlinge waren keine Riesen von Gestalt, sie kamen ruhig und bescheiden herein und doch wirkte ihr Erscheinen geradezu außerordentlich. Das tolle Geschwätz der Chinesen verstummte im Nu; die weißen Arbeiter im kleinen Room standen unwillkürlich von ihren Sitzen auf; der Engineer, sein Aufseher und der Mischling taten dasselbe; der Shopman versuchte sogar eine Verbeugung fertigzubringen, die leider sehr eckig ausfiel.

Die beiden schienen das Aufsehen, das sie erregten, gar nicht zu bemerken; der Indsman grüßte nur mit einem leichten, aber keineswegs stolzen Neigen seines Kopfes und der Weiße sagte in freundlichem Ton: „Good evening, Mesch’schurs! Bleibt sitzen, wir wünschen nicht zu stören.“ Und sich dann an den Wirt wendend, fuhr er fort: „Kann man bei Euch ein gutes Mittel gegen den Hunger und den Durst bekommen, Sir?“

„Readily, with pleasure, Sir!“, antwortete dieser. „Es steht alles zu euren Diensten, was ich habe. Nehmt da am warmen Feuer Platz, Mesch’schurs! Es sitzen zwar schon zwei Westmänner da, die einmal hinausgegangen sind, aber wenn euch dies stört, so werden sie Platz machen.“

„Das wollen wir keineswegs. Sie waren eher da als wir und haben also ein größeres Recht. Wenn sie zurückkehren, werden wir sie fragen, ob sie uns bei sich haben wollen. Macht uns zunächst ein warmes Ingwerbier, dann werden wir sehen, was Ihr zu essen habt.“

Sie sahen an den zurückgelassenen Gewehren, wo Kas und Has gesessen hatten, und nahmen an der anderen Seite des Tisches Platz.

„Prächtige Kerls!“, flüsterte der Engineer seinen beiden Nachbarn zu. „Der Rote blickt wie ein König drein und der Weiße nicht weniger.“

„Und das Gewehr des Indsman!“, antwortete ebenso leise der Aufseher. „Die vielen silbernen Nägel daran! Ob das...“

„Zounds! Silberbüchse! Winnetou! Seht das schwere Doppelgewehr des Weißen! Ob das der berühmte Bärentöter ist? Und das kleine, leichte Gewehr! Vielleicht gar der Henrystutzen? Sollte...“

Da hörte man draußen vor dem Eingang die Stimme Kasimirs: „All devils! Was sind das für Pferde hier? Wer ist angekommen?“

„Weiß es nicht“, antwortete die Stimme des Verwalters, der mit den beiden Vettern von dem Schuppen zurückgekehrt war.

„Zwei Rapphengste mit roten Nüstern und dem Vollblutswirbel in der Mähne! Die kenne ich, und auch die Reiter, denen sie gehören. Indianisch aufgeschirrt! Es stimmt! Welch eine Freude! Genauso wie bei Timpes Erben! Kommt schnell herein; ihr werdet die zwei berühmtesten Männer des Westens sehen!“

Er kam in langen Schritten in das Innere des Gebäudes. Has und der Verwalter folgten ihm. Sein Gesicht glänzte vor freudiger Aufregung. Als er den Apatschenhäuptling und dessen weißen Freund und Blutsbruder erblickte, schoss er förmlich auf sie zu, streckte ihnen bewillkommnend beide Hände entgegen und rief: „Ja, sie sind’s; ich habe mich nicht geirrt! Winnetou und Old Shatterhand! Was für eine Freude das ist, was für eine große Freude! Gebt mir eure Hände her, Mesch’schurs, dass ich sie euch drücken kann!“

Old Shatterhand hielt ihm seine Rechte hin und antwortete mit einem freundlichen Lächeln: „Freut mich sehr, Euch zu sehen, Mister Timpe. Hier ist meine Hand. Wenn Ihr sie drücken wollt, so tut es ganz nach Belieben.“

Kas ergriff sie, schüttelte sie aus Leibeskräften und rief dabei entzückt: „Mister Timpe, Mister Timpe nennt Ihr mich? Ihr kennt mich also noch? Ihr habt mich nicht vergessen, Sir?“

„Man vergisst nicht so leicht einen Mann, mit dem man solche Dinge erlebt hat, wie wir beide damals mit Euch und Euern Gefährten.“

„Ja, ja, das war eine ungemein dicke Tinte, in der wir steckten. Wir sollten ausgelöscht werden; Ihr habt uns aber herausgeholt. Das werde ich Euch nie vergessen, darauf könnt Ihr Euch verlassen. Wir haben noch vorhin erst von diesem Abenteuer gesprochen. Wird auch Winnetou, der große Häuptling der Apatschen, mir erlauben, ihn zu begrüßen?“

Der Gefragte gab ihm die Hand und sagte in seinem ernsten und dabei doch so milden Ton: „Winnetou heißt seinen weißen Bruder willkommen und bittet ihn, sich mit hierher zu ihm zu setzen.“

Da stand der Engineer auf, verbeugte sich sehr höflich und sagte: „Verzeiht die Freiheit, die ich mir nehme, Gentlemen! Ihr dürft nicht hier sitzen, sondern ich lade euch ein, mit hinüber an unseren Tisch zu kommen, der nur für Beamte und hervorragende Personen reserviert ist.“

„Beamte und hervorragende Personen?“, antwortete nun Old Shatterhand. „Wir sind weder Beamte noch bilden wir uns ein, über andere emporzuragen. Wir sagen Euch Dank für die Einladung, bitten aber, hier bleiben zu dürfen.“

„Ganz wie Ihr wollt, Sir. Wir hätten nur so gern die Ehre gehabt, mit so berühmten Westmännern einen guten ‚Drink‘ tun und uns mit ihnen unterhalten zu dürfen.“

„Der Unterhaltung werden wir uns nicht entziehen. Ich vermute, dass Ihr Beamter dieser Bahnstrecke seid?“

„Ich heiße Leveret und bin der Engineer; hier seht Ihr meinen Aufseher und meinen Verwalter und dort sitzt der Scout, den wir angestellt haben, für unsere Sicherheit zu sorgen.“

Er zeigte bei diesen Worten mit der Hand auf die Personen, die er nannte. Old Shatterhand warf einen sehr kurzen, ganz unauffälligen, aber dabei doch scharf forschenden Blick auf den Mischling und fragte dann: „Ein Scout für eure Sicherheit? Wie heißt der Mann?“

„Yato Inda[8]. Er hat einen indianischen Namen, weil er von einer roten Mutter stammt.“

Der weiße Jäger musterte den Mestizen mit einem längeren, schärferen Blick und wandte sich dann mit einem so leisen „Hm!“, dass nur der Apatsche es hörte, ab. Was er dachte, war seinem Gesicht nicht anzusehen. Der Häuptling aber schien Grund zu haben, nicht ebenso zu schweigen; er wandte sich an den Scout: „Mein Bruder mag mir erlauben, ihn anzureden! Jedermann muss hier vorsichtig sein, und wenn zur Sicherheit dieses Camps ein Scout notwendig ist, so muss es Feinde geben, die das Lager bedrohen. Wer sind diese Leute?“

Der Mestize antwortete höflich, aber immerhin etwas kühl: „Es scheint, dass den Komantschen nicht zu trauen ist.“

Winnetou machte mit dem Kopf eine horchende Bewegung, als wolle er jedes Wort des Sprechenden besonders abschätzen. Auch nach erhaltener Antwort wartete er noch mehrere Sekunden, wie in sich hineinlauschend; dann fuhr er fort: „Hat mein Bruder einen Grund zu diesem Verdacht?“

„Einen wirklichen Grund nicht, nur eine Vermutung.“

„Mein Bruder heißt Yato Inda. Yato heißt ‚gut‘ und ist der Navajosprache entnommen, Inda heißt ‚Mann‘ und gehört der Apatschensprache an. Die Navajos sind auch Apatschen und so vermute ich, dass die rote Mutter meines halbfarbigen Bruders eine Apatschin gewesen ist.“

Dem Mischling war diese Frage sichtlich unangenehm; er versuchte, um die Antwort herumzukommen, indem er in abweisendem Ton erwiderte: „Wie kommt es, dass der große Winnetou sich um eine unbekannte Indianer-Squaw bekümmert?“

„Weil sie deine Mutter ist“, erklang es fest und scharf aus dem Mund des Häuptlings. „Und weil ich, wenn ich mich hier befinde, wissen will, was für ein Mann für die Sicherheit dieses Ortes zu sorgen hat. Welchem Stamm gehörte deine Mutter an?“

Bei diesem Ton und bei dem großen Auge, mit dem Winnetou ihn anleuchtete, konnte der Scout nicht schweigen. Er antwortete: „Dem Stamm der Pinal-Apatschen.“

„Und von ihr hast du das Reden gelernt?“

„Natürlich, ja.“

„Ich kenne alle Sprachen und Dialekte der Apatschen. Sie sprechen viele Laute mit Zunge und Kehle zugleich aus, zu denen du nur die Zunge nimmst, genau so, wie die Komantschen es machen.“

Da fuhr der Mestize auf: „Willst du damit etwa sagen, dass ich der Sohn einer Komantschin sei?“

„Und wenn ich dies behaupte?“

„Eine Behauptung ist noch kein Beweis. Und wenn meine Mutter eine Komantschin gewesen wäre, so folgt daraus noch lange nicht, dass ich es mit den Komantschen halte.“

„Allerdings nicht; aber kennst du Tokvi Kava, den ‚Schwarzen Mustang‘, welcher der grimmigste Häuptling der Komantschen ist?“

„Ich habe von ihm gehört.“

„Er hatte eine Tochter, welche die Squaw eines Bleichgesichts wurde; sie starben beide und hinterließen einen halbblütigen Knaben, der von dem ‚Schwarzen Mustang‘ zu größter Feindschaft gegen die Weißen erzogen wurde. Dieser Knabe wurde einst von einem Gespielen mit dem Messer in das rechte Ohr geschnitten. Wie kommt es, dass du wie ein Komantsche sprichst und einen Schlitz in demselben Ohr hast?“

Da sprang der Scout in die Höhe und rief zornig aus: „Diesen Schnitt verdanke ich gerade der Feindschaft der Komantschen; ich habe ihn im Handgemenge mit ihnen bekommen. Wenn du daran zweifelst, fordere ich dich auf, mit mir zu kämpfen.“

„Pshaw!“

Nur dieses eine Wort sagte Winnetou in unbeschreiblich nachlässigem Ton; dann wendete er sich ab und griff zu dem Ingwerbier, das der Wirt soeben brachte.

Wie gewöhnlich auf so unliebsame Szenen folgte eine tiefe Stille, ehe an den beiden Tischen das Gespräch wieder aufgenommen wurde. Nachher erkundigte sich der Engineer, ob Old Shatterhand und Winnetou die Absicht hätten, im Camp zu übernachten; als er eine bejahende Antwort erhielt, bot er ihnen seine Wohnung an und unterstützte seine Gastlichkeit mit dem Hinweis: „Den beiden vor euch gekommenen Gentlemen hat der Shopman ihr Lager bei sich angewiesen; da gibt es keine Plätze mehr. In der Nässe draußen werdet ihr doch nicht schlafen. Und hier im Schuppen, bei den schnarchenden, unreinlichen Chinamännern? Keineswegs! Wir haben uns Chinesen aus dem Westen verschreiben müssen, weil wir keine weißen Arbeiter finden konnten und weil sie billiger und auch leichter in Zucht zu halten sind als das Gesindel, auf das wir sonst angewiesen gewesen wären. Sagt, Sir, ob Ihr meine Einladung annehmen wollt!“

Old Shatterhand warf einen fragenden Blick auf Winnetou, sah, dass dieser leise bejahend den Kopf neigte, und antwortete: „Ja, wir nehmen sie an, vorausgesetzt, dass auch unsere Pferde eine sichere Unterkunft finden können.“

„Die finden sie. Wir haben die Pferde der beiden andern Gentlemen auch schon in Verwahrung genommen. Wollt ihr meine Wohnung vielleicht einmal ansehen?“

„Ja, zeigt sie uns! Es ist immer gut, den Ort, wo man die Nacht zubringt, vorher zu kennen.“

Winnetou und Old Shatterhand nahmen ihre Waffen und folgten dem Engineer nach einem nicht sehr entfernt liegenden, niedrigen Gebäude, dessen Wände aus Stein gemauert waren, weil es später die Wohnung der Brückenwache bilden sollte. Der Beamte öffnete und brannte ein Licht an. Es gab da einen Herd, einen Tisch, einige Stühle und außer verschiedenen Geräten und Geschirr eine breite Lagerstätte, auf der es an Platz nicht fehlte. Die beiden Gäste drückten ihre Zufriedenheit aus und wollten gehen, um nun auch ihre Pferde unterzubringen.

Da meinte der Engineer: „Wollt ihr nicht eure Sachen gleich hier lassen, warum die Decken und Gewehre unnötigerweise herumtragen?“

Es war kein Grund vorhanden, ihm Unrecht zu geben. Die Mauern waren stark und die Fenster so klein, dass kein Mensch einsteigen konnte; die aus starkem Holz hergestellte Tür hatte ein gutes Schloss und die genannten Gegenstände schienen also hier ganz sicher aufbewahrt zu sein; so wurden sie hier gelassen und dann brachte man die Pferde nach dem Schuppen, wo schon diejenigen der beiden Timpes standen. Sie erhielten Wasser und Futter und dann kehrte man nach dem Shop zurück.

Unterwegs erklärte er, dass sie auch in Beziehung auf das Nachtessen seine Gäste sein möchten, und fügte dann hinzu:

„Ich werde also heute Abend mit euch und nicht mit meinen Leuten speisen, zumal euch einer von ihnen, nämlich der Scout, nicht gefallen zu haben scheint. Sagt einmal, Mister Winnetou, habt Ihr Grund, ihm zu misstrauen?“

„Winnetou tut und sagt niemals etwas ohne Grund“, antwortete der Häuptling.

„Aber er ist stets treu und zuverlässig gewesen!“

„Winnetou glaubt nicht an diese Treue. Mein Bruder wird wohl erfahren, wie lange sie währt. Der Bursche nennt sich Yato Inda, den ‚Guten Mann‘, sein wirklicher Name aber wird wohl lauten Ik Senanda, was in der Sprache der Komantschen so viel wie ‚Böse Schlange‘ heißt.“

„Gibt es einen Komantschen dieses Namens?“

 

„Der Mischling, von dem Winnetou vorhin sprach, heißt so, nämlich der Enkel des ‚Schwarzen Mustangs‘.“

„Mister Winnetou, Euern Scharfsinn und Euer Urteil in allen Ehren, aber diesmal müsst Ihr Euch irren! Der Scout hat mir so viele Beweise von Treue gegeben, dass ich ihm vertrauen muss.“

„Mein weißer Bruder kann tun, was ihm beliebt; aber wenn Old Shatterhand und Winnetou nachher so sprechen, dass der Scout es hört, so wird alles, was sie sagen, nur zum Schein sein. Howgh!“

Als sie wieder im Shop angekommen waren, bestellte der Engineer bei dem Wirt ein gutes Abendessen für fünf Personen, denn er betrachtete die beiden Timpes nun auch als seine Gäste und setzte sich zu ihnen an den Tisch. Hier fragte Old Shatterhand den langen, blonden Kas, was ihn jetzt in diese Gegend geführt habe und wohin er von hier aus wolle. Der Genannte erzählte in kurzen Worten seine Erbschaftsgeschichte und auf welch sonderbare Weise er heute mit einem Vetter und Miterben zusammengetroffen war.

„Nun müssen wir nach Santa Fe“, fuhr er fort, „können aber leider nicht den nächsten Weg einschlagen.“

„Warum nicht?“

„Der Komantschen wegen. Wir wenden uns von hier aus östlich und biegen dann nach Süden um.“

„Hm! Vielleicht können wir zusammen reiten. Wir wollen ebenfalls nach Santa Fe, wenn auch nicht einer Erbschaft wegen.“

Da schlug Kas die Hände zusammen, dass es nur so knallte, und rief vor Entzücken überlaut: „Das ist ein Glück! Has, hörst du es? Wir dürfen mit Old Shatterhand und Winnetou reiten! Nun schere ich mich den Kuckuck um das ganze Komantschengesindel. Wir brauchen keinen Umweg zu machen, sondern reiten mitten hindurch.“

„Schreit doch nicht so!“, lächelte Old Shatterhand. „Zu solchem Jubel habt Ihr keinen Grund. Es kann auch uns nicht einfallen, mitten durch das Gebiet der Komantschen zu reiten, sondern wir waren, wie Ihr, entschlossen, nach Osten auszubiegen.“

„Ganz wie Ihr wollt. Wann meint Ihr, dass wir von hier aufbrechen, Sir?“

„Morgen, sobald wir ausgeschlafen haben. Da erreichen wir am Abend den Alder-Spring[9], wo wir bis früh lagern werden.“

Er legte auf diesen Namen einen besonderen Ton, denn er beobachtete während dieses Gesprächs den halbblütigen Scout heimlich und sah gar wohl, mit welcher Aufmerksamkeit dieser herüberhorchte, obwohl er sich den Anschein zu geben suchte, als nehme er nicht den geringsten Anteil. Er war übrigens nicht der Einzige, der ein so großes und heimliches Interesse für die beiden berühmten Freunde hegte.

Nämlich ganz nahe an der Bretterwand, die den großen, nur von Chinesen besetzten Raum von dem kleinen trennte, saßen schon vor Eintritt der beiden Timpes zwei ‚Söhne des Himmels‘[10] rauchend und trinkend beieinander. Sie mochten eine Art Vorarbeiter darstellen oder im Besitz einer sonstigen kleinen Würde sein, weil keiner ihrer Landsleute sich zu ihnen setzte. Sie konnten alles, was nebenan gesprochen wurde, hören und verstanden es auch, denn sie befanden sich schon seit mehreren Jahren in den Vereinigten Staaten und waren in San Francisco mit der englischen Sprache vertraut geworden.

Auf die Ankunft von Has und Kas hatten sie nicht mehr geachtet als alle andern auch; als aber drin im kleinen Raum von den Gewehren Old Shatterhands und Winnetous gesprochen wurde und von ihrem Wert, horchten sie schärfer hin. Dann kamen so ganz unerwartet diese beiden Männer und die Chinesen blickten erst mit Neugier und dann mit Verlangen durch die Bretterlücken nach ihnen, und es schien, als ob sie ihre Augen gar nicht von den kostbaren Gewehren der beiden wenden könnten. Als später der Engineer mit seinen Gästen zurückkehrte und die Letzteren ihre Gewehre nicht mehr bei sich hatten, schien es mit der bisherigen Ruhe der Chinesen aus zu sein. Ihre dünnen Augenbrauen gingen auf und nieder; ihre Lippen zuckten, ihre Finger bewegten sich krampfhaft, sie rutschten auf ihren Sitzen hin und her; sie hatten beide das gleiche Gefühl und den gleichen Gedanken, doch wollte keiner zuerst sprechen.

Endlich konnte sich der eine nicht länger beherrschen; er fragte leise: „Hast du alles gehört?“

„Ja“, antwortete der andere.

„Und gesehen?“

„Und gesehen!“

„Auch die Gewehre?“

„Auch!“

„Wie kostbar sie sind!“

„Ja.“

„Wenn wir sie hätten! Wie müssen wir arbeiten, wie müssen wir uns plagen und uns schinden, damit unsere Gebeine in der Heimat bei den Ahnen begraben werden können!“

Es trat eine Pause ein, sie überlegten. Nach einer Weile tat der eine einen langen Zug aus seiner Pfeife und fragte, während er listig mit den schiefen Augen blinzelte:

„Ahnst du, wo die Gewehre liegen?“

„Ich weiß es“, lautete die Antwort.

„Nun wo?“

„Im Hause des Engineers. Wenn wir sie hätten, könnten wir sie vergraben und niemand wüsste, wer sie geholt hat.“

„Und später könnten wir sie in Frisco[11] verkaufen. Wir bekämen viel, sehr viel Geld dafür; dann wären wir reiche Herren und könnten nach dem Reich der Mitte zurückkehren und alle Tage Schwalbennester essen.“

„Ja, das könnten wir wirklich, wenn wir nur wollten!“

Nach einer abermaligen Pause, während der sie in den gegenseitigen Mienen und Blicken zu lesen suchten, wurde das Gespräch fortgesetzt: „Das Haus des Engineers ist steinern und niemand kann durch die Fenster!“

„Und die Tür ist stark und hat ein sehr festes, eisernes Schloss!“

„Aber das Dach! Weißt du nicht, dass es aus Shingles[12] gemacht ist?“

„Ich weiß es. Wenn man eine Leiter hat, kann man eine Öffnung machen und einsteigen.“

„Leitern gibt es genug!“

„Ja; aber wo würde man die Gewehre vergraben? In der Erde? Da verderben sie.“

„Man müsste sie gut einwickeln. Im Lagerschuppen liegen mehr als genug Bastmatten umher.“

Sie hatten bisher im Flüsterton miteinander gesprochen; jetzt rückten sie noch näher zusammen und die Art und Weise, wie sie weitersprachen, konnte nur noch als ein fast unhörbares Zuraunen bezeichnet werden. Darauf verließen sie den Schuppen, der eine mehrere Minuten später als der andere.

Eben als dieser Letztere verschwunden war, trat ein neuer Ankömmling ein. Es war ein Indianer, dessen Anzug aus einem blauen Kalikohemd, ledernen Leggins und ebensolchen Mokassins bestand. Bewaffnet war er nur mit einem Messer, das im Gürtel steckte. Das Haar hing ihm lang und voll auf den Rücken hinab und am Hals trug er an einem Riemen einen großen Medizinbeutel.

Er blieb im Eingang stehen, um sein Auge an das plötzliche Licht zu gewöhnen, warf einen Blick durch die große Abteilung und ging dann langsamen Schrittes in die kleinere.

Ein Roter war hier natürlich keine seltene Erscheinung und so wurde dieser Indsman von den Chinesen kaum beachtet. Auch in dem kleinen Raum, wo die Weißen saßen, hatte sein Erscheinen keine andere Wirkung, als dass man ihn mit einem kurzen Blick überflog und dann nicht mehr beachtete. Er ging in der demütigen Haltung eines Menschen, der sich nur geduldet weiß, zwischen den Tischen hindurch und kauerte sich in der Nähe des Herdes nieder.

Als der Scout diesen Indianer kommen sah, ging ein schnelles Zucken über sein Gesicht, so blitzschnell, dass es von keinem der Anwesenden bemerkt wurde. Die beiden gaben sich den Anschein, als seien sie füreinander gar nicht vorhanden; aber hie und da flog doch unter den gesenkten Wimpern hervor ein Blick herüber oder hinüber, und diese Blicke schienen gegenseitig verstanden zu werden. Dann stand der Scout von seinem Tisch auf und schritt dem Ausgang zu, langsam und nachlässig schlendernd, wie jemand, der bei dem, was er tut, ganz ohne Absicht und Gedanken ist.

Aber es gab zwei, denen gerade diese große und so zur Schau getragene Absichtslosigkeit auffällig vorkam: Winnetou und Old Shatterhand. Sofort richteten sie ihre Augen scheinbar von der Tür weg, aber nur scheinbar, denn wer das wohlgeübte Auge eines Westmanns kennt, der weiß, dass es im Stande ist, auch von der Seite her so viele Strahlen aufzunehmen, um genau zu sehen, was da geschieht, wohin es nicht zu blicken scheint.