Za darmo

Der Schut

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Und mich an die Fuhrleute wendend, fügte ich hinzu:

»Wir gehören zu der Familie, deren Sachen ihr fahrt. Ihr verlaßt diesen Khan nicht eher, als bis wir zurückgekehrt sind. Ich lasse unser Packpferd draußen stehen; führt es in den Stall, und gebt ihm Futter und Wasser!«

Die beiden Kerle erhoben sich schweigend, um diesem Befehl nachzukommen. Ich ging mit Halef wieder hinaus und stieg in den Sattel.

»Wir reiten zurück. Es ist eine Teufelei los. Man will Galingrés Familie in eine Felsenspalte stürzen,« meldete ich.

Galingré schrie erschrocken auf; ich hörte es kaum, denn mein Pferd befand sich bereits im Galopp und fiel im nächsten Augenblick in Karriere. Die Andern brausten hinter mir drein.

Ranko trieb seinen Goldfuchs an meine Seite und fragte:

»Ist der Schut dabei?«

»Ja.«

»Allah sei Dank! So haben wir ihn!«

Weiter wurde kein Wort gesprochen. Wir erreichten die Stelle, an welcher ich die Wagenspur untersucht hatte, und lenkten in dieselbe ein. Die Pferde schienen zu merken, daß man die größte Schnelligkeit von ihnen fordere. Wir brauchten sie gar nicht anzutreiben. Die beiden Schecken der Aladschy flogen nur so hin – sie machten ihrer Berühmtheit alle Ehre. Auch die andern Rosse taten ihre Schuldigkeit wie spielend. Nach meinem Rih aber war doch der Goldfuchs das beste Tier; das bemerkte ich jetzt.

»Sihdi,« rief Omar hinter mir, »sage mir nur das Eine, ob ich Hamd el Amasat zu sehen bekomme!«

»Ja, er ist da!«

»So möge sich die Hölle öffnen, denn ich werde ihr eine Speise geben!«

Jetzt brausten wir durch die erwähnte Buschreihe hindurch. Ein freier, weiter Blick öffnete sich uns. Weit, weit vor uns, fast ganz am Horizont sah ich einen weißen Punkt, nicht größer als eine Muschelschale. Das mußte der Wagen sein – die weiße Plahe leuchtete.

»Schneller, schneller!« rief ich. »Wir müssen ihnen möglichst nahe kommen, bevor sie uns bemerken.«

Ich hatte meinen Rappen bisher weder mit den Sporen noch anderswie angetrieben. Jetzt rief ich ihm nur das altgewohnte »Kawahm« zu, und da war es, als ob er bisher nur Schritt gelaufen sei. Er flog.

»Maschallah! Welch ein Pferd!« rief Ranko.

Er war der Einzige, dem es gelang, an meiner Seite zu bleiben, aber er mußte die Peitsche gebrauchen. Ich saß so ruhig im Sattel wie auf einem Stuhl; ich hätte dabei schreiben können, so gleichmäßig schoß Rih dahin.

Der weiße Punkt wurde größer. Ich zog mein Fernrohr aus und blickte hindurch. Der Wagen bewegte sich vorwärts. Drei Reiter begleiteten ihn. Gott sei Dank! Wir kamen nicht zu spät. Wollte der Schut sein Vorhaben ausführen, so mußte er den Wagen halten lassen. Daß dieser sich noch in Bewegung befand, war ein Beweis, daß den Leuten noch nichts geschehen war. Die drei Reiter waren jedenfalls der Perser, Hamd el Amasat und der Schwiegersohn Galingrés. Die beiden Frauen saßen im Wagen.

Schon war es mir möglich, den englischen Rappen des Schut mit bloßem Auge zu erkennen. Da aber drehte er sich um und sah uns kommen. Wir waren wohl noch eine Viertelwegstunde von ihnen entfernt. Ich sah, daß er sein Pferd anhielt. Hamd el Amasat tat dasselbe. Einige Sekunden lang blickten sie nach uns her; dann aber galoppierten sie, den Wagen im Stich lassend, von dannen, aber nicht miteinander in einer und derselben Richtung. Sie wollten uns teilen. Der Schut ritt gradaus; der Andere jagte nach links hin von dannen. Ich hatte befürchtet, daß sie bei unserm Anblick aus Wut den Schwiegersohn und die Frauen erschießen würden. Daß sie es nicht taten, war ein großes Glück.

Indem ich jetzt zurückblickte, sah ich die Andern weit hinter mir; aber meine Stimme konnte sie doch erreichen. Nach links hinüber deutend, rief ich ihnen zu:

»Nehmt den da drüben! Es ist Hamd el Amasat. Den Schut nehmen wir Beide!«

»Schneller, schneller, Ranko!« forderte ich dann den Skipetaren auf.

Er gab seinem Goldfuchs die Sporen und schlug mit der Peitsche auf ihn ein. Dies und wohl noch mehr der Ehrgeiz des Pferdes trieb dasselbe zur Anstrengung aller seiner Kräfte; er schoß meinem Hengst voraus. Dieser hatte es aber kaum gesehen, so tat er, nicht von mir angetrieben, einige Sätze und überholte den Fuchs. Rih duldete kein Pferd vor sich.

Jetzt erreichten wir den Wagen. Der Schwiegersohn hielt bei demselben; er wußte nicht, woran er war. Er konnte sich nicht erklären, weshalb er von seinen beiden Begleitern so plötzlich verlassen worden war.

»Das waren Mörder!« rief ich ihm zu, indem wir an ihm vorüberschossen.

Was diese Worte für einen Eindruck auf ihn machten, konnte ich nicht sehen, denn kaum hatte ich sie ausgesprochen, so waren wir schon weit über ihn hinaus. Mich abermals umdrehend, sah ich, daß die Gefährten mich verstanden hatten und Hamd el Amasat folgten, die beiden Schecken allen voraus.

Nur Galingré hatte die ursprüngliche Richtung beibehalten, was ihm freilich nicht zu verübeln war. Ihm lag vor allen Dingen daran, sich zu überzeugen, wie sich die Glieder seiner Familie befanden. Uebrigens brauchten wir ihn gar nicht.

Bis jetzt hatte der Schut seinen Vorsprung beibehalten; wir waren ihm nicht näher gekommen, obgleich Ranko seinen Goldfuchs fortwährend antrieb.

»Effendi, wir bekommen ihn nicht!« rief er mir zu. »Sein Engländer ist uns überlegen.«

»Oho! Paß einmal auf! Du kennst meinen Schwarzen noch nicht.«

Ich erhob mich in den Bügeln. Weiter tat ich nichts, denn das »Geheimnis« in Anwendung zu bringen, dazu gab es noch keine Veranlassung. Aber diese einzige Bewegung genügte. Rih merkte, daß ich ihm die Last erleichtern wollte. Das beleidigte sein Selbstgefühl, und er griff noch weiter, viel weiter aus.

Es war, als ob der Boden hinter uns nur so verschwände. Wer da kein sehr guter Reiter war, dem konnte schwindelig werden. Der Hengst schoß nicht etwa in bemerkbaren Absätzen oder Intervallen vorwärts; nein, man fühlte gar nicht, daß er die Beine bewegte. Sein Leib beschrieb eine schnurgrade Linie, die kaum einen halben Zoll breit auf und nieder schwankte. Und doch war dies noch nicht das Höchste, was er leisten konnte.

Ranko blieb weit hinter mir zurück, und ich sah, daß ich jeden Augenblick dem Schut näher kam. Erst war er über einen halben Kilometer vor mir gewesen; jetzt war es nur noch die Hälfte davon, dann zweihundert Meter – hundertfünfzig – hundert Meter. Er sah sich nach mir um und stieß einen Schrei des Schreckens aus. Er begann, sein Pferd mit Kolbenstößen anzufeuern. Es tat alles, was es leisten konnte, das brave Tier. Den Kopf wagrecht vorstreckend, schoß es in sichtbaren Sprüngen weiter. Der Schaum troff ihm vom Maul, und die Haut begann, schweißig zu glänzen. Das war kein gutes Zeichen für den Schut. Sein Rappe war dem meinen bei weitem nicht gewachsen. Bei Rih war keine Spur von Schaum oder Schweiß zu bemerken. Ich hätte noch eine Viertelstunde in dieser Weise mit ihm jagen können, ohne daß er zu schwitzen oder zu schäumen begonnen hätte. Aber freilich war ich gewöhnt, auf sein Wohlbefinden noch mehr zu sehen, als auf das meinige.

Jetzt ging ich mit mir zu Rate, was ich tun sollte. Schießen? Das war das Schnellste und Sicherste. Mein Bärentöter trug ja weit über den Schut hinaus, und bei dem ruhigen Gang meines Pferdes hatte ich ein so sicheres Zielen, daß es mir ein Leichtes gewesen wäre, den Perser aus dem Sattel zu holen. Aber ich wollte ihn nicht töten. Oder sollte ich seinem Pferd eine Kugel geben? Dann mußte er aus dem Sattel fliegen und war mir verfallen. Das schöne, brave Tier tat mir leid. Nein es gab ja ein sehr gutes Mittel, ihn mir zu holen, ohne ihn oder sein Pferd zu töten. Ich hatte ja den Lasso bei mir. Ich wand denselben los.

Eben als ich damit beschäftigt war, hörte ich ihn einen schrillen Schrei ausstoßen. Er nahm sein Pferd hoch, und es tat einen weiten Satz. Es hatte eine jener Spalten überwunden, von denen mir der Führer erzählt hatte. Einige Sekunden später schoß mein Rih über dieselbe weg. Sie war höchstens vier Ellen breit.

Jetzt sah der Schut wieder nach mir um. Ich war ihm wieder näher gekommen. Da legte er, nach mir zurück gewendet, die Flinte auf mich an. Hatte er wirklich gelernt, wie die Beduinen, im Sattel nach rückwärts zu schießen? Ich durfte seinen Schuß nicht abwarten. Im Nu waren die Hähne meines Bärentöters gespannt und die beiden Schüsse krachten schnell nacheinander los. Ich hatte das Gewehr nicht etwa angelegt, um nach dem Schut zu zielen; nein, ich wollte nur sein Pferd erschrecken und erreichte meine Absicht ausgezeichnet, denn der Engländer fuhr zusammen, tat einen Seitensprung und schoß dann in unregelmäßigen Sätzen wieder vorwärts. Der Schut hatte sich im Abdrücken befunden. Sein Schuß ging los, traf mich aber nicht.

Nun warf ich den Riemen der Büchse über die Schulter und wickelte mir den Lasso um den Ellbogen und Vorderarm, um laufende Schlingen zu erhalten. Ich hatte mich zu beeilen, denn vorn tauchte ein dunkler Waldstreifen auf. Gelang es dem Schut, diesen zu erreichen, so war er gerettet.

Er hatte Mühe gehabt, sich im Sattel zu erhalten, als sein Pferd zur Seite sprang, und war nun bestrebt, festen Sitz zu bekommen. Jetzt galt es. Ich mußte das »Geheimnis« anwenden. Darum legte ich meinem Rappen die Hand zwischen die Ohren und rief seinen Namen »Rih!« Einen Augenblick lang war es, als ob der Hengst starr in der Luft hängen bleibe; dann ließ er ein lautes Wiehern hören und . – nun, es ist eben nicht zu beschreiben, welche rapide Schnelligkeit ein solches Pferd bei Anwendung des Geheimnisses entwickelt. Ein Anderer als ich, der ich mein Tier gewöhnt war, hätte die Augen schließen müssen, um nicht aus dem Sattel zu taumeln.

Sechzig Meter hatte ich den Schut vor mir gehabt; es wurden fünfzig, vierzig, dreißig, jetzt zwanzig Meter. Er hörte den Hufschlag meines Pferdes so nahe hinter sich, drehte sich um und schrie entsetzt:

»Allah seni dschehenneme hükm etsin ej köpek – Allah verdamme dich in die Hölle, du Hund!«

 

Er zog sein Pistol und feuerte es auf mich ab, doch ohne zu treffen. Dann schlug er den Schaft desselben dem Pferd auf den Kopf, daß es mit Anstrengung seiner letzten Kräfte wie rasend dahinflog. Vergeblich! Ich war fünfzehn Meter hinter ihm, nun nur noch zehn, jetzt sechs.

»Paß auf, Schut, jetzt hole ich dich!« rief ich ihm zu. »Kein Mensch und kein Teufel kann dich retten!«

Er antwortete mit einem überlauten Schrei, der fast ein Gebrüll zu nennen war. Ich glaubte, dies habe er vor Wut getan, und schwang die Schlingen des Lasso um den Kopf. Aber da sah ich, daß er sein Pferd zur Seite reißen wollte. Es gelang ihm nicht. Das Tier befand sich einmal im Schuß und war durch die Schläge auf den Kopf wie toll geworden. Ein zweiter Schrei, wie ihn ein Mensch nur in der höchsten Not, im größten Entsetzen auszustoßen vermag! Was war das? Das war nicht Wut, sondern Todesangst!

Ich nahm mein Pferd ein wenig seitwärts, um neben dem Schut, welcher grad vor mir war, hinweg sehen zu können. Gott im Himmel! Ein langer, langer und breiter dunkler Streifen zog sich quer über unsere Richtung, nicht mehr als dreißig Meter von uns entfernt – ein Spalt, ein entsetzlicher, breiter Spalt, dessen jenseitige Kante wohl zwei Ellen höher war als die diesseitige!

Vielleicht wäre es mir gelungen, mein Pferd noch abzulenken, aber bei der unsagbaren Schnelligkeit, mit welcher es dahinflog, war das Gelingen doch zweifelhaft. Grad drauf los! Das war die beste Chance.

Ich ließ die Arme mit dem Lasso sinken, nahm den Kopf des Rappen hoch, legte ihm die linke Hand abermals zwischen die Ohren und schrie, nein, ich brüllte:

»Rih, Rihti, Rihti et taijib, natt, natt, natt – Rih, mein Rih, mein guter Rih, springen, springen, springen!«

Ich war überzeugt, daß das Pferd diese in der Sprache seines Heimatlandes gesprochenen Worte verstand. Wenigstens wußte es, daß »natt« springen bedeute; es war darauf abgerichtet. Es öffnete das Maul, ließ einen tiefen, grunzenden Ton hören, von dem ich wußte, daß er ein Ausdruck der Begeisterung sei, knirschte in den Stahl des Gebisses und flog in weiten, sehnenkräftigen Bögen an dem Schut vorüber und auf die Spalte zu.

Der Schut und ich, wir hatten keine Zeit, auf einander zu achten. Jeder hatte mit sich und seinem Pferd zu tun. Aber er brüllte mir, als ich an ihm vorbeischoß, einen Fluch zu. Nun war der Spalt da. Straff die Zügel, legte ich mich weit nach vorn nieder.

»Rih, hallak, 'ali, 'ali – Rih, jetzt, hoch, hoch!« rief ich.

Mein Auge war in starrer Angst nach der gegenüberliegenden Felsenkante gerichtet. Wie breit der Spalt war, das sah ich nicht; ich fixierte nur den gegenüberliegenden Punkt, welchen ich erreichen wollte, und der über einen Meter höher lag, als derjenige, an welchem ich mich hüben befand.

Das brave, unvergleichliche Tier setzte an und schoß hoch empor. Einen halben Augenblick lang befand ich mich über der grauenhaften Tiefe. Ich ließ die Zügel schießen und warf mich nach hinten, so gefährlich und unsinnig dies auch erscheinen mag. Ich mußte das tun, um das Vorderteil des Pferdes zu entlasten und nicht abgeworfen zu werden. Hätte ich mich nicht nach hinten geworfen, so wäre ich verloren gewesen; denn trotz der Unvergleichlichkeit des Rappen und trotz der Kraft, mit welcher er sich über den Abgrund schnellte, gelang der Sprung nicht vollständig. Rih faßte nur mit den Vorderhufen das Gestein.

»'ali, 'ali!« schrie ich abermals und warf mich nach vorn, dem Pferde den Lasso, welchen ich noch in der einen Hand hielt, nach hinten unter den Bauch und zwischen die Beine schlagend. Dadurch wurde die Hinterhand entlastet. Rih hatte noch nie einen Schlag von mir erhalten. Als er den Lassohieb an dem empfindlichsten Teil seines Körpers fühlte, warf er die Hinterhufe hoch an den Bauch herauf, krümmte sich zusammen, daß der Sattelgurt zerplatzte, und . – faßte nun auch hinten Fuß. Ein gewaltiger Sprung – ich stürzte mit dem Sattel herab, und das Pferd schoß noch eine Strecke vorwärts, um dann stehen zu bleiben.

Das alles hatte natürlich nur eine, nur zwei Sekunden gedauert. Ich raffte mich auf und blickte zurück. Da setzte eben der Rappe des Schut an. Er erreichte die diesseitige Kante nicht einmal. Ein Schrei, ein bluterstarrender Schrei, und Roß und Reiter stürzten in die Tiefe.

Mein ganzer Körper war wie Eis. Ich trat an den Spalt heran. Himmel! Er war wenigstens fünf Meter breit! So schätzte ich ihn, doch ist es bekanntlich nicht leicht, die Breite eines Wassers oder eines tiefen Risses genau abzuschätzen. Man irrt da sehr leicht. Und seine Tiefe war so bedeutend, daß ich den Grund gar nicht sehen konnte. Es lag eine dichte, schwarze Finsternis da unten.

Das war ein gerechtes Gericht! Er hatte genau denselben Tod gefunden, welchen er Andern bereiten wollte. Denn tot war er – er und sein Pferd. Es war gar keine Möglichkeit, daß beide lebendig in dieser Tiefe angekommen sein konnten. Dennoch lauschte ich einige Zeit und rief auch hinab; aber es war keine Antwort, kein Laut zu hören.

Nun ging ich zu Rih. Er war umgekehrt und dorthin gelaufen, wo der Sattel lag. Ich legte ihm die Arme um den Hals und drückte sein Köpfchen an mich. Er rieb das Maul an meiner Schulter und leckte mir dann die Hand und die Wange. Es war, als ob er sehr genau wisse, daß wir einander das Leben gerettet hatten.

Nun bekümmerte ich mich um meine Genossen. Ranko kam auf seinem Goldfuchs herbei gejagt. Er sah die Spalte nicht, und ich rief und winkte ihm zu, langsam zu reiten.

Zur rechten Hand von mir, der ich mich jetzt nach der Gegend, aus welcher ich gekommen war, umgedreht hatte, jagten die Andern noch immer hinter Hamd el Amasat her. Er befolgte, indem er nicht eine und dieselbe Richtung einhielt, eine Taktik, welche den Zweck hatte, die größere Schnelligkeit ihrer Pferde auszugleichen. Sie ließen sich täuschen und folgten ihm im Zickzack. Nur Einer war klüger als die Andern, nämlich der listige Hadschi. Er hatte die Taktik des Gegners begriffen und war bemüht, derselben zu begegnen.

Hamd el Amasat war nämlich erst nach Osten geritten, wo er den dort liegenden Wald zu erreichen trachtete. Da er aber bald bemerkte, daß sein Pferd es mit denen seiner Gegner nicht aufzunehmen vermöge, so schlug er Zickzacklinien ein, auf denen sie ihm folgten: Allen voran Omar, welchem es darum zu tun war, den Mörder seines Vaters zuerst zu erwischen. Halef aber dachte nicht daran, sich irre leiten zu lassen. Er ritt immer scharf ostwärts und hielt dann sein Pferd an, um den Gegner zu erwarten.

Dieser bemerkte es. Er sah, daß er da nicht hindurch kommen könne, und wendete sich nun südwärts in derselben Richtung, welche der Schut vorher eingeschlagen hatte. Dabei benutzte er sehr schlau und geschickt die wenigen einzelnen Büsche, welche es da gab, als Deckung. Das war der einzige Vorteil, welchen er vor seinen Verfolgern voraus hatte. Aber auf diese Weise mußte er den gefährlichen Spalt erreichen, den er allerdings noch nicht gesehen hatte. Er stand jedenfalls eine bedeutende Angst aus, was ihm sehr zu gönnen war. Was ihn eigentlich erwartete, das wußte er freilich nicht. Bis jetzt glaubte er nur, er werde wegen seines Verhaltens gegen Galingré und dessen Familie verfolgt.

Da, wo der Wagen bei unserm Vorüberkommen gehalten hatte, stand er noch; Galingré und sein Schwiegersohn waren bei demselben. Ranko war jetzt an den Spalt gekommen, blickte schaudernd hinab und rief:

»Der ist tot, zerschmettert, Effendi! Allah, wie war es dir möglich, da hinüber zu kommen!«

»Davon später! Bleibe da, wo du jetzt bist, damit Hamd el Amasat nicht hier vorüber kann. Ich werde ihm entgegen reiten.«

»Du kannst ja nicht. Dein Gurt ist geplatzt.«

»Ich habe einen Bedel kolani (* Notgurt, Ersatzgurt.) in der Satteltasche. In zwei Minuten ist der Schaden geheilt.«

»Aber du kannst nicht herüber zu Hamd el Amasat!«

»Vielleicht finde ich eine schmalere Stelle des Risses, und wenn nicht, so wird meine Kugel hinübergehen.«

So ein Notgurt ist sehr praktisch; er besteht aus einem kurzen Gurtstück, dessen Enden mit je einer sehr fest greifenden Schnalle versehen sind. Man schnallt ihn über die zerrissene Stelle des Sattelgurtes, und dieser ist dann so brauchbar wie vorher.

In kurzer Zeit hatte ich wieder gesattelt und stieg auf, um am diesseitigen Rand der Spalte ostwärts zu reiten, während Ranko an der andern Seite halten blieb. Er ließ hier im Westen Hamd el Amasat nicht durch. Im Osten glänzte Halefs Kettenpanzer. Von Norden her wurde der Feind von den Andern gejagt, und nun befand ich mich im Süden, um ihn zu empfangen. Er war eingeschlossen. Uebrigens hätte ihm auch schon die Spalte das Entkommen nach Süden verwehrt.

Eben jetzt sah ich, daß er anhielt und sein Gewehr auf Omar richtete. Dieser trieb sein Pferd zu einem Seitensprung an und wurde infolgedessen nicht getroffen. Dann aber jagte er auf Hamd el Amasat zu, die Flinte hoch erhoben, um ihn niederzuschlagen. Er wollte ihn lebendig haben, ihn nur betäuben. Hamd el Amasat floh nicht; er blieb halten. Aber als sein Gegner nahe genug war, zog er schnell sein Pistol und feuerte es auf ihn ab. Das Pferd bäumte und überschlug sich. Hamd el Amasat jagte weiter, der Spalte zu.

Als er sie erblickte, stutzte er und wendete sich nach Westen, wo ich hielt. Ich ritt ihm entgegen und gelangte an eine Stelle, an welcher die Spalte nur drei Meter breit war. Das war zu überwinden, zumal mein Ufer höher lag, als das anderseitige. Ich trieb mein Pferd eine Strecke zurück, um genügenden Anlauf zu haben.

Jetzt kam er. Er sah, daß ich keine Waffe in der Hand hatte und daß der Riß sich zwischen ihm und mir befand. Freilich – er hätte es nicht wagen dürfen, ihn zu überspringen.

»Komm herüber!« höhnte er. »Dir gebe ich mich gefangen!«

»Sogleich!« antwortete ich.

Ein Zuruf an Rih – er flog auf den Riß zu und in einem weiten, eleganten Sprung hinüber. Hamd el Amasat schrie vor Entsetzen auf und jagte fort, auf Ranko zu, ich hinter ihm her.

Jetzt war der Lasso gut. Ich legte die Schlinge und warf, riß mein Pferd herum – ein Ruck, und Hamd el Amasat flog aus dem Sattel. Im nächsten Augenblick stand ich bei ihm.

Der Wurf war gut gelungen. Die Schlinge hatte sich ihm fest um die Arme gelegt, so daß er dieselben nicht bewegen konnte. Ich kniete nieder und legte ihm den Riemen noch mehrere Male um den Leib.

Der Sturz vom Pferde hatte ihn halb betäubt. Er starrte mich mit großen Augen an, sagte aber nichts. Da kam Omar gejagt und sprang aus dem Sattel.

»Wie?« rief ich ihm erfreut zu. »Ich sah dich stürzen und dachte, du seist getroffen!«

»Der Kerl hat schlecht geschossen,« antwortete er. »Die Kugel hat mir den Zügel zerrissen; darum kam mein Pferd zu Fall. Endlich, endlich haben wir ihn! Und nun soll . – «

»Still!« bat ich. »Ueberlaß es zunächst mir, mit ihm zu sprechen.«

»Gut! Aber er gehört mir!«

Ich antwortete ihm nicht, denn jetzt kam Ranko; bald darauf stellten sich auch die Andern ein, Halef als der letzte, welcher zu weit entfernt gewesen war.

Zunächst wurde natürlich der Tod des Schut besprochen und mein Sprung über den Riß. Die Gefährten suchten die betreffende Stelle auf und konnten sich nicht genug wundern, daß es mir gelungen war, hinüber zu kommen. Rih erntete Lorbeeren und wurde von allen liebkost, wobei er freudig wieherte.

Des Schut wurde nur mit kurzen Worten erwähnt. Es war das beste, uns nicht weiter mit ihm zu beschäftigen. Was Hamd el Amasat betraf, so bat ich, ihm jetzt noch nicht zu sagen, wer wir seien. Er sollte erst nach unserer Ankunft im Newera-Khan gerichtet werden. Er war wieder bei voller Besinnung und wurde auf sein Pferd gebunden. Osko und Halef nahmen ihn zwischen sich, um ihn nach dem Khan zu bringen. Omar bot sich dazu an; aber ich sagte ihm aufrichtig, daß ich ihm nicht ganz traue. Wenn er den Gefangenen begleitete, so stand zu befürchten, daß er, ohne unsere Einwilligung, seine Rache sättigen würde.

Während diese Drei in schräger Richtung direkt nach dem Khan ritten, kehrten wir Andern nach dem Wagen zurück. Dieser hatte zu entfernt gestanden, als daß Galingré und die Seinen den Verlauf unserer Hetzjagd genau hätten verfolgen können. Die beiden Frauen und der Schwiegersohn hatten nicht geahnt, mit welch einem gefährlichen Individuum sie es zu tun hatten. Mit dem größten Vertrauen waren sie allen seinen Anweisungen gefolgt, von denen sie natürlich überzeugt gewesen waren, daß sie von Galingré selbst ausgegangen seien. Sie glaubten, daß der letztere sich bereits in Uskub befinde und seinen Untergebenen Hamd el Amasat mit vollständiger Vollmacht ausgestattet habe. Als dieser vorhin so plötzlich die Flucht ergriff, hatten sie nicht gewußt, was sie über dieses Verhalten denken sollten. Erst dann, als Galingré zu ihrem freudigen Schreck bei ihnen erschienen war, hatten sie erfahren, in welcher Gefahr sie sich befunden hatten; denn er hatte ihnen natürlich alles erzählt, wenn auch nicht so ausführlich, wie dies später geschehen konnte.

 

Wir wurden den Damen vorgestellt. Sie waren aus dem Wagen gestiegen, um uns zu empfangen. Es sollte an ein Erzählen gehen, ich aber bat, dies für später aufzuheben. Nur wollte ich wissen, ob der Wirt des Newera-Khan im Einverständnis mit dem Schut gestanden habe.

»Gewiß!« antwortete der Schwiegersohn. »Die drei sprachen heimlich zusammen, und dann riet der Wirt uns sehr angelegentlich, jetzt gleich aufzubrechen und die beiden andern Wagen nachkommen zu lassen.«

»War denn für euch ein Grund vorhanden, nicht zu warten, bis die andern Wagen auch mitfahren konnten?«

»Nun, meine Frau fühlte sich unwohl. Die Fahrt hierher hatte sie angegriffen, und eine Besserung war auch dann nicht zu erwarten, wenn wir in dem schmutzigen Khan eine Ruhepause von einem Tag gemacht hätten. Da sagte derjenige, welchen ihr den Schut nennt, daß er auf dem nächsten Dorf eine verheiratete Schwester habe, welche unsere Frauen sehr gern willkommen heißen würde. Er stellte uns das so vorteilhaft vor, daß wir endlich geneigt wurden, seinem Rat zu folgen und uns von ihm zu dieser Schwester bringen zu lassen. Die andern Wagen mit den Effekten konnten gemächlich nachkommen, da wir einen ganzen Tag dort verweilen wollten.«

»Ah so! Er wollte euch töten und sich dann auch des Gepäckes bemächtigen. Aber wie konntet ihr so unvorsichtig sein, ihm auch dann noch zu folgen, als er so auffälligerweise von dem Weg ablenkte?«

»Uns war dies gar nicht auffällig, denn er sagte, daß wir in dieser Richtung viel eher ankommen würden. Ueber diese Ebene zu fahren, sei überhaupt viel bequemer, als die Benutzung des Fahrweges, welcher sich im allerschlechtesten Zustand befinde.«

»Nun, er hätte euch an die erste Spalte kommen lassen, wo der Wagen nicht weiter konnte. Dort wäret ihr erschossen, ausgeraubt und in den tiefen Riß geworfen worden.«

»Mein Gott, wer hätte das gedacht!« rief die ältere Dame. »Wir schenkten Amasat unser ganzes Vertrauen, und auch dieser Schut gab sich ganz so, daß wir ihn für den besten und gefälligsten Menschen halten mußten. Welch eine Gnade Gottes, daß ihr gekommen seid, grad noch im letzten Augenblick, um uns zu retten!«

»Ja, wir haben diesen Männern viel, sehr viel zu verdanken!« stimmte ihr Mann bei. »Sie haben uns alle vom Tod gerettet und mich aus einer entsetzlichen Gefangenschaft befreit. Einen bedeutenden Teil meines Vermögens habe ich bereits zurückerhalten, und was ihr bei euch führt, unsere ganze übrige Habe, dürfen wir erst jetzt wieder als unser betrachten. Worte sind kein Dank, und da sich das Leben nicht bezahlen läßt, so müssen wir für immer ihre Schuldner bleiben.«

So sagte er jetzt. Dann aber, als wir den Wagen umgedreht hatten und den langsam schreitenden Zugochsen ebenso langsam folgten, gesellte er sich zu mir, drängte mich von den Andern ab und sagte so, daß es von sonst niemand gehört werden konnte:

»Herr, ich habe erst jetzt gesehen, wie groß die Gefahr war, in welcher sich meine Familie befand. Sie haben viel, sehr viel an mir getan. Zunächst haben Sie mir die langersehnte Nachricht von meinem verschollenen Neffen gebracht. Dann befreiten Sie mich aus dem Schacht und gaben mir das mir abgenommene Geld zurück, eine Summe, deren Höhe Sie gar nicht kennen, weil Sie wegtraten, als ich nachzählte, um zu sehen, ob noch alles vorhanden sei. Dann haben Sie die übrigen drei Personen jetzt von einem grausamen Tod erlöst. Und von dem Eigentum, welches mir dadurch erhalten wurde, muß ich doch auch sprechen. Meine Frau hat alle Beträge bei sich, welche flüssig gemacht werden konnten, eine große Unvorsichtigkeit, ja, und zugleich ein unverzeihlicher Geschäftsfehler. Aber Hamd el Amasat hatte gesagt, es sei mein Befehl, daß in dieser Weise verfahren werden solle. Das alles haben wir Ihnen zu danken. Soll ich eine so erdrückende Last der Verpflichtung auf mir ruhen lassen und sie durch das ganze Leben tragen? Ich hoffe, daß Sie das nicht wollen. Ich hoffe sogar, daß Sie mir erlauben werden, in irgend einer Weise für Ihr Glück zu wirken. Haben Sie Familie?«

»Eltern und Geschwister.«

»Sind dieselben reich?«

»Nein, sehr arm. Ich arbeite für sie und hoffe, daß ihre Verhältnisse sich nach und nach besser gestalten.«

»So bedürfen Sie natürlich des Geldes!«

»Allerdings. Aber das verdiene ich mir durch meinen Beruf. Ich schreibe über meine Reisen und erhalte dafür leidliche Honorare, mit deren Hilfe ich die Meinen unterstütze.«

»So muß ich Sie dringend ersuchen, meinen Teil zu dieser Unterstützung beitragen zu dürfen.«

»Ich danke! Sie meinen es herzlich gut; aber ich darf mir nicht das Glück verkümmern, welches in dem Bewußtsein liegt, die Erfüllung meiner Pflichten nur mir allein zu verdanken zu haben. Ich treibe nicht Menschenrettung gegen Honorar. Und was die Hauptsache ist: Sie haben mir gar nichts zu verdanken. Nennen Sie es Glück, Zufall, Schickung oder Gottes Wille, daß wir Sie getroffen haben; ich aber bin es nicht, der diese Ereignisse dirigiert hat. Wir sahen Sie in Not; es lag in unsrer Macht, Sie aus derselben zu befreien, und so haben wir es getan. Die Freude und die Genugtuung, welche wir darüber empfinden, daß es uns gelungen ist, die Werkzeuge eines höheren Willens zu sein, ist uns eine mehr als reichliche Belohnung, wenn hier überhaupt noch etwas gesprochen werden darf, worauf das Wort Belohnung Anwendung finden kann.«

»Aber, Monsieur, ich bin reich, sehr reich, reicher noch, als Sie zu denken scheinen!«

»Das freut mich, denn ich gönne meinem Nebenmenschen von Herzen gern alles, was er hat. Wenn Sie reich sind, so können Sie viel Gutes tun. Ihr Gläubiger bin nicht ich, sondern Gott ist es. Das Kapital können Sie ihm nie zurückerstatten, aber zahlen Sie ihm die Zinsen dadurch aus, daß Sie seinen weniger begüterten Kindern ein Wohltäter sind, welcher stets ein offenes Herz und eine offene Hand für sie hat.«

»Das werde ich, ja, das werde ich!« sagte er tief gerührt.

»Aber Sie sind doch auch weniger begütert als ich!«

»Es gibt der Güter verschiedene und auch viele Arten des Reichtums. Ich habe weder Gold noch Silber, aber ich bin dennoch ebenso reich wie Sie und möchte wohl schwerlich mit Ihnen tauschen.«

»Herr, das ist ein stolzes Wort, welches mich zum Schweigen zwingt, wenigstens was Ihre Person betrifft. Aber wenn ich das, was Sie anzunehmen sich weigern, Ihren Gefährten gebe, so werden Sie mir doch diese Freude nicht verderben. Nein, das dürfen Sie nicht tun!«

»Was das betrifft, so sind diese Leute vollständig ihre eigenen Herren. Ich habe ihnen nichts zu befehlen; sie können tun und lassen, was ihnen beliebt.«

»Das freut mich. Sie werden ihnen also nicht abraten, mir zu erlauben, dankbar zu sein?«

»Nein. Ich weiß, daß die Zurückweisung eines dankbaren Herzens dasselbe beleidigt und mit einer schweren Last bedrückt. Handeln Sie also ganz nach Belieben! Ich bin überzeugt, daß Sie dabei die richtige Art und Weise finden werden; denn grad meine Gefährten haben Eigenheiten, unter denen ein ausgebildetes Ehrgefühl nicht die letzte und geringste ist.«

»So bitte ich herzlich, mir zu sagen, wie ich an jedem einzelnen am besten meine Schuld abzutragen vermag. Der Engländer . – «

»Kommt hier gar nicht in Betracht,« fiel ich ein. »Er ist Lord und mehrfacher Millionär. Ein aufrichtig gemeinter Händedruck ist ihm lieber als die kostbarste Gabe. Uebrigens ist er nicht Ihr Gläubiger. Er selbst wurde ja gerettet!«

»So will ich Osko nennen?«