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Der Schut

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Jedenfalls ist er mit seinen Skipetaren glücklich in das Tal des Köhlers gekommen. Wie es dann demselben und seiner Rotte ergangen ist, das weiß ich nicht und . – — mag es auch nicht wissen. Blut um Blut, Leben um Leben! —

Kurze Zeit später brachen auch wir auf. Die Sonne hatte den größten Teil ihres Nachmittagbogens zurückgelegt, als wir Rugova verließen. Seine Bewohner blickten uns nach; wir aber sahen nicht nach ihnen zurück, denn wir hatten durchaus nicht unsere Herzen zurückgelassen. Aber als wir im sausenden Galopp über die ebene Brache dahinflogen, schaute ich noch einmal nach der Felsenhöhe zurück, auf welcher der Karaul gestanden hatte. Er war nicht mehr da. Vielleicht erzählt man noch in später Zeit von ihm, von dem Schacht und von den fremden Männern, wegen deren der ehrwürdige Turm verschwinden mußte.

Wir waren sieben Reiter und besaßen Pferde, wie sie in der weiten, weiten Umgegend wohl nicht gleich abermals zusammengebracht werden konnten, und darum erschien es mir gar nicht als zweifelhaft, daß wir den Schut einholen würden. Von Rugova bis zum Wald hätte ein Fußgänger sicher drei gute Viertelstunden gebraucht. Wir erreichten ihn bereits nach fünf Minuten.

Das eigentliche Gebirge lag hinter uns. Im Südwesten ragten die Höhen des Fandigebirges empor. Wir hatten nur die nördlichen Ausläufer desselben zu überwinden, und zwar eine Hochebene, welche sich zwischen Rugova und Pacha bis an den Drin und dessen Nebenfluß Joska erstreckte und dort die senkrechten, stellenweise über tausend Fuß hohen Ufer dieser beiden Wasserläufe bildete.

Sobald wir unter den Bäumen angelangt waren, ging es steil an, wohl drei Viertelstunden lang. Als wir uns dann aber oben auf der Ebene befanden, hörte der Wald auf, und es gab eine weite Planfläche, auf welcher duftige Gräser und staudenartige Gewächse wuchsen. Hier in den hohen Pflanzen war die Fährte des Schut so deutlich zu sehen, daß sie wie eine dunkle Linie vor uns hinlief. Wir ließen die Pferde wieder ausgreifen. Es war ihnen eine Lust, über die Fläche dahinzufliegen.

Durch den Wald herauf hatten wir einzeln reiten müssen. Jetzt erlaubte es das Terrain, daß sich einer zum Andern gesellte. Neben mir ritt Halef. Sein Brauner war ein prächtiges Tier und hielt ohne Anstrengung Schritt mit meinem Rih. Ich blickte zurück und gab Galingré einen Wink, herbeizukommen. Wir nahmen ihn in die Mitte.

»Hast du mir etwas zu sagen, Effendi?« fragte er mich türkisch, weil Halef dabei war, welcher nicht französisch verstand.

»Ja, ich möchte gern wissen, wie es diesem sogenannten Hamd en Nassr gelungen ist, sich in dein Geschäft einzuschleichen.«

»Er wurde mir von Stambul aus dringend empfohlen und hat sich auch stets sehr brauchbar und treu erwiesen.«

»Aus Berechnung natürlich. Ist dein Geschäft wirklich verkauft?«

»Ja, und ein neues ward in Uskub dafür angekauft. Dieses ist aber noch nicht bezahlt. Meine Frau wird das Geld und die Wechsel bei sich haben.«

»Welch eine Unvorsichtigkeit von einer Frau, ein solches Vermögen von Skutari nach Uskub schleppen zu wollen!«

»Du darfst nicht vergessen, daß dies gegen meinen Willen und nur auf Veranstaltung Hamd en Nassrs geschieht!«

»Das ist richtig. Darf ich vielleicht erfahren, aus welcher Stadt Frankreichs du eigentlich stammst?«

»Aus Marseille. Die regen Beziehungen, in denen mein Haus zu der Levante stand, veranlaßten mich später, nach der Türkei zu gehen. Wir hatten eine Filiale in Algier, welche mein Bruder eines drohenden Verlustes wegen persönlich besuchen mußte. Er war der Chef des Marseiller Hauses. Die Ausgleichung der Differenz war nur unter Mitwirkung seines Sohnes möglich, und er ließ denselben nachkommen. Nach einiger Zeit erhielt ich die Schreckensnachricht, daß mein Bruder in Blidah ermordet worden sei.«

»Von wem?«

»Des Mordes verdächtig war ein armenischer Händler, welcher aber vergeblich verfolgt wurde. Paul, so hieß mein Neffe, brach selbst auf, um diesen Menschen aufzusuchen, ist aber nie zurückgekehrt.«

»Was wurde aus dem Geschäft in Marseille?«

»Mein Bruder hatte damals eine verheiratete Tochter, wie jetzt ich; auf deren Mann ging das Geschäft über.«

»Und du hast nie wieder von deinem Neffen Paul und von dem Mörder deines Bruders gehört?«

»Nein. Wir haben Briefe über Briefe geschrieben, der Schwiegersohn meines Bruders ist selbst nach Algerien, nach Blidah gereist, aber alle Mühen sind vergeblich gewesen.«

»Was würdest du tun, wenn du den Mörder träfest und er dich nun um eine Stelle in deinem Comptoir bäte?«

»So würde er eine Stelle bekommen, aber in der Hölle. Doch, warum fragst du mich so eigentümlich?«

»Weil ich dir etwas zeigen will.«

Ich nahm meine Brieftasche heraus und zog jene drei Zeitungspapiere hervor, welche ich damals mit Halef an der Leiche in der Sahara gefunden hatte, und reichte sie ihm hin.

»Zeitungsblätter, sehr alte?« sagte er. »Woher hast du sie?«

»Es ist je ein Blatt der »Vigie algérienne«, des »L'Independant« und der »Mahouna«. Das erstere Blatt erscheint in Algier, das zweite in Konstantine und das dritte in Guelma. Lies nur die Artikel, welche ich angestrichen habe.«

Diese Blätter enthielten, wie bereits früher (* Siehe Bd. I "Durch die Wüste", S. 12.) erwähnt, den fast gleichlautenden Bericht über die Ermordung des französischen Kaufmannes Galingré in Blidah. Er las sie durch, und sein Angesicht wurde bleich.

»Effendi,« rief er aus, indem er die Hände mit den Blättern auf den Sattel sinken ließ, »woher hast du diese Zeitungen?«

»Sage mir vorher, ob dein Neffe Paul unverheiratet war.«

»Er war erst vor kurzer Zeit verheiratet, und die junge Frau hat sich über sein Verschwinden zu Tode gegrämt.«

»Wie war ihr Mädchenname? Fing er mit den beiden Buchstaben E¨ P¨ an?«

»Ja, Herr, ja. Sie hieß Emilie Pouillet. Aber woher kennst du die Anfangsbuchstaben ihres Namens?«

»Sie ist gewiß nicht so alt gewesen, wie es nach der Jahreszahl erscheint, welche sich hier im Innern dieses Ringes befindet.«

Ich zog den Ring, welchen ich damals an der Hand des Toten gefunden hatte, von meinem kleinen Finger, an welchem ich ihn von jenem Tage an bisher getragen hatte, und reichte ihm denselben hin. Er sah die ein gegrabene Schrift »E¨P¨ 15¨ juillet 1830« und sagte fast atemlos:

»Der Trauring meines Neffen Paul, meines verschwundenen Neffen! Ich weiß es ganz genau.«

»Aber wie stimmt das mit der Jahreszahl 1830?«

»Dieser Ring ist der Trauring der Mutter seiner Braut gewesen, deren Mädchenname Emilie Palangeur war. Da die Buchstaben stimmten, hat die Tochter sich des Ringes ihrer verstorbenen Mutter bedient, aus Pietät natürlich, nicht aus Sparsamkeit. Aber, Effendi, sage mir um aller Welt willen, wie dieser Ring in deine Hände kommt!«

»Auf die einfachste Weise: ich habe ihn gefunden, und zwar in der Wüste Sahara, unter schaurigen Umständen. Dein Bruder wurde von dem armenischen Händler ermordet. Paul, dein Neffe, entdeckte die Spur des Missetäters und folgte ihm in die Wüste. Er traf mit ihm zusammen und wurde von ihm getötet und ausgeraubt. Kurze Zeit später kam ich zur betreffenden Stelle und fand die Leiche. An der Hand derselben steckte dieser Ring, den ich zu mir nahm, und unweit davon lagen diese Zeitungsblätter. Den Ring hatte der Mörder nicht gesehen, sonst hätte er ihn an sich genommen; das Papier aber hatte er als wertlos weggeworfen.«

»Mein Gott, mein Gott! Endlich erhalte ich Klarheit, aber welche! Bist du denn dem Mörder nicht nachgefolgt?«

»Ja, und ich traf ihn auf dem Schott, wo wir über die grausige, entsetzliche Salzhaut des Sees ritten. Da erschoß er auch unsern Führer, den Vater Omars, der jetzt mit uns reitet, um seinen Vater an dem Mörder zu rächen. Und dann trafen wir ihn noch einmal; es gelang ihm aber, uns zu entkommen, was ihm jetzt nicht wieder gelingen wird.«

»Jetzt, jetzt? Ist er denn hier?«

»Natürlich! Es ist jener Hamd en Nassr, eigentlich Hamd el Amasat.«

»O Himmel! Ist das möglich? Hamd el Amasat ist der Mörder meines Bruders und dessen Sohnes?«

»Ja. Halef war dabei und hat alles gesehen. Er mag es dir erzählen.«

Darauf hatte der Hadschi gewartet. Er erzählte gar so gern. Darum drängte ich mein Pferd vorwärts zu Ranko und ließ die beiden allein. Bald hörte ich Halefs laute, pathetische Stimme erschallen.

Mittlerweile waren wir immer im Galopp über die Hochebene hinweg gefegt und gelangten zwischen bewaldete Höhen, wo wir wieder langsamer reiten mußten. Als ich mich umschaute, sah ich Halef, Galingré und Omar beisammen, welche das unheilvolle Thema weiter besprachen. Ich hielt mich voran, denn ich hatte keine Lust, an ihren Racheplänen teilzunehmen.

Es begann zu dämmern, als der Wald sich wieder abwärts senkte, und es war dunkel, als wir in das steile Tal der Joska ritten und die Lichter von Pacha vor uns sahen.

Das erste Haus war kein Haus. Es wäre sogar eine Ueberschwenglichkeit gewesen, es eine Hütte zu nennen. Aus dem offenen Loch, welches ein Fenster bedeuten sollte, leuchtete die Flamme des Herdes. Ich ritt hin und rief hinein. Auf diesen Ruf erschien etwas Rundes, Dickes vor dem Loch. Ich hätte es am liebsten für einen Werg – oder Heubündel gehalten, wenn nicht aus der Mitte dieses Gewirres eine menschliche Stimme erklungen wäre:

»Wer ist draußen?«

Das vermeintliche Werg oder Heu war die reizende Haarfrisur des Sprechenden.

»Ich bin ein Fremder und möchte dir eine Frage vorlegen,« antwortete ich. »Wenn du dir fünf Piaster verdienen willst, so komm einmal heraus!«

»Fü – fü – fünf Piaster!« schrie der Mann, ganz entzückt über diese außerordentliche Summe. »Ich komme gleich, gleich! Warte! Laufe mir ja nicht fort!«

Dann erschien er unter der Türe – ein kleiner, dünner, säbelbeiniger Kretin mit einem ungeheuren Kopf.

»Du bist nicht allein?« fragte er. »Ihr werdet mir doch nichts tun! Ich bin ein armer, ein blutarmer Mann, der Hirte des Dorfes.«

 

»Habe keine Sorge! Wenn du uns gute Auskunft gibst, sollst du sogar zehn Piaster bekommen.«

»Zeh – Zeh – Zeh – zehn Piaster!« rief er erstaunt. »O Himmel! Zehn Piaster gibt mir der Wirt für das ganze Jahr, und auch noch Schläge dazu.«

»Wofür?«

»Daß ich ihm seine Schafe weide.«

»Er ist also wohl kein guter und auch kein freigebiger Mann?«

»Nein, gar nicht. Er greift viel lieber zur Peitsche als zum Beutel, und wenn er mir Essen gibt, erhalte ich nur das, was Andere nicht wollen.«

Ich fragte nach dem Wirt, weil ich mir denken konnte, daß der Schut bei ihm eingekehrt sei. Der Hirte war keineswegs ein junger Mensch, aber er schien mir geistesschwach oder wenigstens kindisch zu sein. Vielleicht war eben deshalb bei ihm mehr zu erfahren, als bei einem Andern.

»Du weidest wohl die Schafe des ganzen Dorfes?« erkundigte ich mich weiter.

»Ja, und jeder gibt mir für einen Tag das Essen, mir und meiner Schwester, die drin am Feuer sitzt.«

»So seid ihr stets hier im Dorf und kommt nirgends hin?«

»O, ich komme schon fort, oft weit, wenn ich die Schafe forttreiben muß, welche verkauft worden sind. Vor einiger Zeit war ich in Rugova und sogar nach Gori bin ich gekommen.«

Nach Gori mußten wir reiten. Das war mir also interessant.

»In Rugova?« fragte ich. »Bei wem denn?«

»Im Kara-Nirwan-Khan.«

»Kennst du den Wirt desselben?«

»O, den kennt jeder! Ich habe ihn sogar heute gesehen, und meine Schwester auch, die drin am Feuer sitzt.«

»Ah, so war er hier in Pacha?«

»Ja; er wollte noch weiter. Er ließ sich vom Wirt Waffen geben, weil er keine bei sich hatte.«

»Woher weißt du das?«

»Ich habe es ja gesehen.«

»Aber was er mit dem Wirt gesprochen hat, das hast du nicht gehört.«

»Oho! Alles habe ich gehört, alles! Grad weil ich es nicht hören sollte, habe ich gelauscht. Ich bin nämlich klug, sehr klug, und meine Schwester auch, die drin am Feuer sitzt.«

»Darf ich sie einmal sehen?«

»Nein.«

»Warum denn nicht?«

»Weil sie sich vor Fremden fürchtet. Sie reißt vor ihnen aus.«

»Vor mir braucht sie nicht auszureißen. Wenn ich sie einmal sehen darf, gebe ich dir fünfzehn Piaster.«

»Fünf . – zehn . – Pi . – aster!« wiederholte er. »Ich werde sie gleich rufen und – — «

»Nein, nicht rufen! Ich komme hinein.«

Dieser eigentümliche Kerl wußte vielleicht grad das, was ich von ihm erfahren wollte. Ich sprang schnell, um ihm keine Zeit zu lassen, sich anders zu besinnen, aus dem Sattel und schob ihn zur Türe hinein. Dann folgte ich nach.

Welch ein Loch hatte ich betreten! Die Hütte war nur aus Lehm und Stroh errichtet, und aus Stroh bestand auch das halbe Dach. Die andere Hälfte desselben bestand – aus dem Himmel, welcher von oben frei hereinblickte. Das Dachstroh war verfault und hing in feuchten Fetzen herab. Zwei Steine bildeten den Herd, auf welchem das Feuer brannte. Ueber demselben stand auf einem dritten Stein ein großer Tontopf, von welchem aber die obere Hälfte fehlte. Das Wasser kochte, und aus demselben sahen zwei nackte Beine hervor, Beine von einem Tier. Ein Mädchen stand dabei und rührte mit dem Stiel einer zerbrochenen Peitsche in dem Topf herum. Zwei Lagerstätten, wieder aus verfaultem Stroh, bildeten das einzige Hausgerät.

Und die Insassen erst! Der Hirte war wirklich eine Art Kretin. Sein dürrer Leib steckte in einer Hose, von welcher ein Bein ganz und das andere halb fehlte. Um den Unterleib hatte er ein Tuch gebunden. Der Oberleib war unbedeckt, das heißt, wenn man den Schmutz, welcher eine dicke Kruste bildete, nicht mit zur Kleidung rechnet. Sein übergroßer Kopf hatte ein wunderbar kleines Erbsennäschen, einen meilenbreiten Mund, blaue Wangen und ein Paar ganz unbeschreibliche Aeuglein. Die Krone, welche dieses Haupt schmückte, bestand aus einer Haarwildnis, welche jeder Beschreibung spottete.

Ihm ganz ähnlich sah sein Schwesterlein aus, deren Kleidung ebenso unzureichend war wie die seinige. Der einzige Unterschied zwischen ihm und ihr bestand darin, daß sie einen sehr mißlungenen Versuch gemacht hatte, ihre Haarsträhnen in einen Zopf zusammenzuwürgen.

Als sie mich erblickte, schrie sie laut auf, warf den Peitschenstiel fort, eilte nach dem einen Lager und kroch so tief unter das faule Stroh desselben hinein, daß nur noch die kohlschwarzen Füße aus demselben hervorsahen.

Das Herz tat mir wehe. Das waren nun auch Menschen!

»Reiß doch nicht aus, Jaschka!« sagte ihr Bruder. »Dieser Herr gibt uns fünfzehn Piaster.«

»Es ist nicht wahr!« antwortete sie unter dem Stroh hervor.

»Freilich ist's wahr.«

»Laß dir sie nur geben, aber gleich!«

»Ja, Herr, gib mir sie!« sagte er zu mir.

»Wenn Jaschka hervorkommt, so gebe ich euch sogar zwanzig.«

»Zwa – zwa – zwanzig! Jaschka, komm heraus!«

»Er mag sie nur erst geben! Ich glaub' es nicht. Bis zwanzig kann gar keiner zählen; er auch nicht!«

Ich griff in die Tasche und gab ihm die genannte Summe in die Hand. Er tat einen Freudensprung, stieß einen Ruf des Entzückens aus, packte seine Schwester und zog sie bis zu mir hin. Dort gab er ihr das Geld in die Hände. Sie sah es an, sprang auf, ergriff meine Hand, küßte dieselbe und . – suchte dann ihren Peitschenstiel, um mit demselben wieder im Topf herumzurühren.

»Was kocht ihr denn da?« fragte ich.

Hätte nicht die Hälfte des Daches gefehlt, so wäre es in der Hütte nicht auszuhalten gewesen, zumal der Inhalt des Topfes einen Gestank verbreitete, welcher zum Entsetzen war.

»Aw (* Wildbret.),« antwortete er, indem er wie ein Gourmand mit der Zunge schnalzte.

»Aw? – Was für ein Tier?«

»Kipr (* Igel.), ein Kipr ist's, den ich vorgestern gefangen habe.«

»Und den esset ihr?«

»Freilich! Kipr ist ja die größte Nazika (** Delikatesse.), die es nur geben kann. Sieh dir ihn einmal an! Wenn du ein Stück haben willst, so sollst du es gern bekommen, denn du hast uns so unmenschlich viel Geld gegeben. Ja, ich gebe es dir sehr gern, und meine Schwester auch, die da am Feuer steht.«

Ich ergriff das »Wildbret« beim Bein und zog es empor. Hurrrr! Die lieben Leute hatten dem Tier zwar die Stachelhaut abgezogen, es aber nicht aufgebrochen und ausgenommen. Es kochte also samt dem ganzen Leibesinhalt!

Ich ging hinaus zum Packpferd und holte Brot und Fleisch herein, welches ich dem Hirten gab.

»Das soll unser sein?« schrie er verwundert, und nun gab es einen unendlichen Jubel. Als dieser sich gelegt hatte, mußte Jaschka die zwanzig Piaster in der Ecke vergraben, und ihr Bruder sagte:

»Wir heben uns alles Geld auf, das wir verdienen. Wenn wir einmal reich sind, kaufe ich mir ein Lamm und eine Ziege. Das gibt Wolle und auch Milch. Nun aber kannst du wieder von dem Wirt des Kara-Nirwan-Khan sprechen, Herr. Ich werde dir alles sagen. Du bist so gut, wie noch kein Mensch gegen mich gewesen ist, und auch gegen meine Schwester, die da am Feuer steht.«

»So hast du diesen Mann also kommen sehen?«

»Ja, er ritt das schwarze Pferd, welches er von dem Pascha von Köprili gekauft hat, weil er es vorher krank gemacht hatte. Er ritt mitten in meine Herde hinein und hat mir zwei Schafe, welche dem Wirt gehörten, tot geritten. Darum ließ ich meine Schwester, die da am Feuer steht, bei der Herde und rannte zum Wirt, um ihm das zu sagen. Als ich hinkam, hielt der Mann aus Rugova vor dem Hause und gab mir vom Pferd herab einen Schlag an den Kopf. Er sagte, ich solle mich schnell davon machen und nicht anhören, was hier gesprochen werde. Mein Wirt stand bei ihm. Aber weil er mich geschlagen und zwei Schafe zu Schanden gemacht hatte, ging ich in die Stube und stellte mich an das Fenster, um alles zu hören, was ich nicht hören sollte.«

»Nun, was sprachen sie?«

»Kara Nirwan fragte, ob vielleicht Leute mit Wagen vorüber gekommen seien.«

»War das geschehen?«

»Nein. Sodann sagte er, daß Reiter kommen würden, einer auf einem schwarzen arabischen Hengst. Dieser werde nach ihm fragen; der Wirt solle sagen, daß Kara Nirwan nach Dibri geritten sei, nicht aber auf der Straße nach Gori hin.«

»Er ist aber wohl nach Gori hin?«

»Freilich; ich habe es gesehen. Ich habe ganz genau aufgepaßt.«

»Wie weit ist es bis Gori?«

»Wenn man ein gutes Pferd hat, muß man wohl an die zwölf Stunden reiten. Aber Kara Nirwan will nicht ganz bis Gori, sondern nur bis zum Khan, welcher Newera-Khan heißt.«

Newera ist serbisch und bedeutet »Verräter«.

»Warum führt der Khan diesen Namen?«

»Weil er an dem Felsen liegt, der so heißt.«

»Und warum heißt derselbe so?«

»Ich weiß es nicht.«

»Was will der Mann aus Rugova dort?«

»Er will auf die Leute warten, welche mit dem Wagen kommen.«

»Welche Orte liegen zwischen hier und diesem Newera-Khan?«

»Zwei Dörfer, dann kommt der Khan. Man muß von jetzt an bis zum Morgengrauen reiten, bevor man hinkommt, denn es ist wohl an die acht Pferdestunden weit.«

»Liegt er einsam, oder ist ein Ort dabei?«

»Einsam. Ich bin dort gewesen.«

»An welcher Seite der Straße?«

»Rechts.«

»Kennst du den Wirt?«

»Ja, er ist zuweilen hier und heißt Dragojlo. Niemand kann ihn leiden. Man sagt, er habe sein Vermögen zusammengestohlen.«

»Hast du noch mehr gehört?«

»Nein, denn der Wirt kam in die Stube, um seine Waffen zu holen: eine Flinte, eine Pistole und auch ein Messer. Der Mann aus Rugova hatte die seinigen nicht bei sich. Dann ritt er schnell fort.«

»Wie lange ist das her?«

»Ja, Herr, das kann ich dir nicht sagen, denn ich habe kein Kojun saaty (* Taschenuhr.) wie der Padischah. Aber ich denke, daß über zwei Stunden vergangen sein werden.«

»So sage mir nun nur noch, ob die Straße nach Gori leicht zu finden ist.«

»Ja, sie kommt jenseits der Joska, über welche ihr reiten müßt, von Spassa her und geht dann links weiter. Ich werde euch hinführen bis über das Dorf hinaus.«

»Schön, tue das! Aber es ist Nacht. Kann man da diese Straße nicht leicht verlieren?«

»Das ist wohl möglich, wenn man sie nicht kennt. Aber bis zum ersten Dorf kann man gar nicht irren, und wenn ihr da den Tschoban (** Hirt.) weckt und ihm fünf Piaster gebt, führt er euch sehr gern so weit, bis ihr nicht mehr irren könnt.«

»So weiß ich alles. Ich bin mit dir zufrieden. Wieviel kostet denn hier ein Schaf?«

»Zwanzig Piaster ein einjähriges.«

»Und eine Ziege?«

»Die ist viel, viel teurer. Die kostet wohl, wenn sie bereits Milch gibt, über dreißig Piaster.«

»Könntest du denn solche Tiere ernähren?«

»Ja; es gibt hier Land des Großherrn, auf welchem alle Leute weiden dürfen.«

»Nun, so sollst du mehr als ein Schaf und eine Ziege haben. Siehe diese Silberstücke! Sie geben zusammen zweihundert Piaster. Davon kannst du dir wenigstens vier Schafe und vier Ziegen kaufen, wenn du dir das Geld nicht von schlechten Menschen nehmen lässest.«

»Nehmen lassen? Da sollte mir einer kommen! Ich würde zum Papaz (*** Pope.) gehen, der mir helfen würde. Aber du machst nur Scherz. Da wären wir doch steinreiche Leute, ich und meine Schwester, die da am Feuer steht.«

»So habt ihr einen Papaz hier?«

»Ja, und einen sehr guten, der mir oft zu essen gibt. Ich bin ein Christ.«

Er sagte dies mit wirklichem Stolz. Ich zog mein Notizbuch heraus, riß ein Blatt los und schrieb einige Zeilen darauf, die ich ihm mit der Bemerkung gab:

»Wenn jemand sagen sollte, daß du die zweihundertundzwanzig Piaster nicht ehrlich erworben habest; wenn man dir also das Geld nehmen will, so gibst du dem Papaz diesen Zettel. Er enthält die Bescheinigung und meine Unterschrift, daß ich es dir geschenkt habe.«

Bevor ich schrieb, hatte ich ihm das Geld in die Hände gegeben. Er stand ganz steif da, die Hände weit von sich gestreckt, mich ungläubig anstarrend. Ich legte den Zettel auf das Geld, wendete mich um, ging hinaus und stieg aufs Pferd. Da kam er nachgesprungen und schrie jubelnd:

»Soll das wirklich mein sein?«

»Ja, gewiß!«

»Mein und meiner Schwester, die drin am Feuer steht?«

»Natürlich! Aber Schrei' nicht so! Du hast uns versprochen, uns nach der Straße zu bringen, und wir haben keine Zeit zu warten.«

»Gleich, gleich, ich komme ja schon, ich komme!«

Er hielt das Geld und den Zettel noch immer in den Händen. Er trug es hinein zu der »Lieblichsten der Töchter«, um mit Halef zu reden, die »Dort am Feuer stand«, und kehrte dann zurück. Er wollte seinem Entzücken durch viele Worte Luft machen; aber ich verbot es ihm, und so schritt er denn schnell vor uns her. Wir hatten mit einer kleinen Gabe zwei Menschen glücklich gemacht.

 

Nachdem wir an zwei oder drei kleinen Gebäuden vorübergekommen waren, ging es auf einer hölzernen Bockbrücke über die Joska. Dann kam das eigentliche Dorf. Es begegneten uns einige dunkle Gestalten, welche erstaunt stehen blieben; angesprochen wurden wir nicht. So kamen wir an das Ende des Dorfes, wo wir die Straße erreichten und uns von unserm Beschützer verabschiedeten. Als wir ein Stück fort waren, so daß ich es ihm nicht verbieten konnte, rief er uns noch nach:

»Bin defa schükr weririz, ben we kyz kardaschim, odada ateschda durmak olan – wir danken euch tausendmal, ich und meine Schwester, welche drin am Feuer steht!«

Jetzt hatten wir finstere Nacht vor uns. Ich kannte die andern Pferde noch nicht genau, aber auf Rih konnte ich mich verlassen. Er wich sicher nicht von dem Weg ab, wenn ich ihm die Zügel ließ. Darum setzte ich mich an die Spitze unseres Trupps, legte die Zügel auf den Sattelknopf und ließ meinen Schwarzen laufen.

Es ging bergan, dann eben fort und dann wieder bergab, immer wieder durch Gebüsch oder Wald. Hätte der Schut hier auf uns gelauert, so hätte er einige von uns aus dem Sattel schießen können. Ich dachte daran und strengte Augen und Ohren an, glücklicherweise ohne Grund.

Nach mehr als zwei Stunden erreichten wir das erste Dorf. Es war doch jedenfalls besser, einen Führer zu haben. Ranko hatte zwar behauptet, die Gegend zu kennen, aber, wie ich vermutete, mehr aus dem Grund, überhaupt mitreiten zu dürfen. Ueberdies war es so finster, und der Mond ging erst später auf. Wenn wir uns verirrten, konnte der Schut seinen Zweck erreichen, bevor wir den rechten Weg fanden. Ich fragte also einen uns begegnenden Menschen, ob wir einen Führer haben könnten, gegen gute Bezahlung natürlich. An den Schäfer wollte ich mich nicht wenden. Der Mann bot sich uns selbst an. Er sagte, daß er uns für zehn Piaster bis zum Newera-Khan führen werde, falls wir so lange Zeit hätten, zu warten, bis er sein Pferd geholt habe. Wir sagten zu, und es währte nur einige Minuten, bis er sich wieder bei uns einstellte.

Freilich mußten wir vorsichtig sein, denn wir kannten den Menschen nicht. Er konnte von dem Schut beauftragt sein, den Dorfweg auf und ab zu patrouillieren, um uns zu erwarten und falsch zu führen. Darum nahmen wir ihn in die Mitte, und ich versprach ihm zwanzig Piaster, wenn er ehrlich sei, und eine Kugel in den Kopf, falls er uns täusche.

Wieder durch Wald und Gebüsch reitend, gelangten wir nach fast drei Stunden in das zweite Dorf. Erst hinter demselben gab es Feld, dann wieder Wald. Zuweilen hörten wir zur linken Hand Wasser rauschen. Das war ein Nebenfluß des vereinigten Drin. Den Namen habe ich vergessen.

Nun kam der Mond herauf, und wir konnten ziemlich gut sehen. Wir befanden uns in einer wilden Gebirgslandschaft. Felsenwände und Zacken überall, drohende Baumriesen, feuchte Luft und hohles Rauschen der Wipfel, deren Schatten der Mond uns in den phantastischsten Gestalten über den Weg warf.

Und was war das für ein Weg! Da sollten Wagen fahren können! Unsere Pferde stolperten jeden Augenblick über große Steine oder traten in jähe Löcher hinein. So ging es weiter und immer weiter, bis es kälter wurde und der Morgenwind sich aus seinem Bette erhob. Wir erfuhren von dem Führer, daß wir uns mitten in den Kerubibergen, einer sehr berüchtigten Gegend, befanden. In einer Stunde sollte der Newera-Khan zu erreichen sein.

Auf meine Frage, warum die dortige Gegend den Namen Newera, Verräter, trage, erhielt ich die Auskunft, daß sich in dem ebenen Gestein oft sehr lange und sehr tiefe Risse zeigen. Ein Reiter dürfe dort sein Pferd ja nicht in Galopp fallen lassen, weil das Tier nicht schnell genug anzuhalten vermöge, wenn sich plötzlich vor seinen Hufen ein solcher Spalt öffne. Viele Menschen seien dadurch um das Leben gekommen. Ueberdies gehe die Sage, daß es in jener Gegend Leute gebe, welche ihre Opfer in solche Schlünde zu stürzen pflegen. Das war keine beruhigende Mitteilung.

Nach einer halben Stunde begann der Morgen zu grauen. Ich überlegte mir, daß unser Führer uns in Newera-Khan vielleicht nur hinderlich sein könne, und bot ihm dreißig Piaster anstatt der versprochenen zwanzig, falls er gleich umkehre. Er war einverstanden und ritt schnell davon, als er das Geld empfangen hatte. Es mochte ihm in unserer Gesellschaft nicht allzu wohl gewesen sein. Wir hatten fast gar nicht gesprochen und ihn mit sehr merklichem Mißtrauen behandelt.

Plötzlich hörte der Wald auf. Weit, weithin Ebene, welche nur aus hartem Felsen zu bestehen schien, der mit schlüpfrigem Moos bekleidet war. Ein Baum war gar nicht, ein Busch oder Strauch nur selten zu sehen. In der Ferne lag ein dunkler Punkt. Durch das Fernrohr erkannte ich ihn als einen Gebäude-Komplex. Das war jedenfalls der gesuchte Khan.

Unser Weg erschien als dunkle Linie, die durch das Grün des Felsenmooses gezogen war. Dann gelangten wir an eine Stelle, wo eine Spur nach links abzweigte. Ich stieg ab und untersuchte sie. Es war da ein von mehreren Reitern begleiteter Wagen gefahren. Die Flechten, welche von den Hufen und Rädern niedergedrückt worden, lagen noch fest am Boden. Sie hatten noch nicht Zeit gefunden, sich wieder aufzurichten. Der Wagen konnte erst vor wenigen Minuten da gefahren sein. Aber zu sehen war er nicht, denn grad die Richtung, die er eingeschlagen hatte, wurde uns durch eine dünne Reihe von Büschen verdeckt.

Es stieg eine Angst in mir auf, von der ich mir aber nichts merken ließ. Ich sprang in den Sattel und jagte dem Khan zu, gefolgt von meinen Begleitern, welche sich mein Benehmen nicht erklären konnten. Als wir bei demselben anlangten, sahen wir, daß er aus mehreren Gebäuden bestand, deren Aussehen keineswegs einladend war. Vor der Türe des Wohnhauses standen zwei schwere, beladene und mit Plahen überdeckte Ochsenwagen. Ein dritter Wagen hatte auch dagestanden, war aber jetzt fort.

»Halef geht mit herein,« sagte ich. »Die Andern bleiben da. Seht nach, ob eure Sattelgurten fest angezogen sind. Vielleicht gibt es einen Gewaltritt.«

»Sollten das die Wagen sein, mit denen meine Frau fährt?« fragte Galingré höchst besorgt.

Ich antwortete ihm nicht und trat mit Halef durch die offene Türe. Da dieselbe nicht verriegelt war, mußten die Bewohner bereits wach sein. In der Stube saßen zwei kräftige Kerle an einem Tisch beim Schnaps. An einem andern Tisch befand sich eine ganze Familie vor einer vollen Suppenschüssel. Die Familie bestand aus einem langen, starken Mann, zwei Burschen, einer Frau und vermutlich einer Magd. Der Mann stand aufrecht, als wir eintraten; es schien, als sei er vor Schreck vom Sitz aufgefahren, als er uns draußen gesehen hatte. Ich wendete mich in barschem Ton an ihn:

»Dieses Haus ist der Newera-Khan?«

»Ja,« antwortete er.

»Wem gehören die beiden Wagen, welche draußen stehen?«

»Leuten aus Skutari.«

»Wie heißen sie?«

»Ich habe es mir nicht gemerkt. Es ist ein fremder Name.«

»Ist Hamd en Nassr bei ihnen?«

Ich sah es ihm an, daß er mit Nein antworten wollte, aber ich warf ihm einen Blick zu, vor welchem er erschrak. Darum ließ er ein zögerndes Ja hören.

»Wo ist er jetzt?«

»Fort.«

»Wohin?«

»Nach Pacha und weiter.«

»Allein?«

»Nein. Die Fremden sind mit ihm gefahren.«

»Wie viele waren es?«

»Ein Mann, eine alte und eine junge Frau und der Fuhrmann.«

»Wie lange sind sie fort?«

»Noch keine Viertelstunde. Dort sitzen die Fuhrleute für die beiden übrigen Wagen, welche nachfolgen sollen.«

Er deutete auf die beiden ersterwähnten Männer.

»Hattest du noch andere Gäste?«

»Nein.«

»Keinen aus Rugova?«

»Nein.«

»Du lügst, Mann! Kara Nirwan ist dagewesen und mit Hamd en Nassr und dem Wagen fortgeritten. Er ist erst in der Nacht angekommen!«

Ich sah, welche Angst er empfand. Er war wohl mit dem Schut einverstanden und antwortete verlegen:

»Ich kenne keinen Kara Nirwan. Ein Reiter kam allerdings vor zwei Stunden, aber nicht aus Rugova, sondern aus der entgegengesetzten Gegend, nämlich aus Alessio. Er hatte es sehr eilig, und da die Fremden denselben Weg nahmen, wie er, so schloß er sich ihnen an.«

»Richtig! Er hatte es so eilig und ist doch mit einem Ochsen wagen geritten! Da kommt er freilich schnell vorwärts. Dieser Wagen ist aber nicht nach Pacha gefahren; wir kommen von dort und hätten ihm begegnen müssen. Ich kenne dich; ich weiß auch, was hier vorgehen soll. Wir werden wiederkommen und weiter mit dir sprechen. Nimm dich in acht! Wir werden dafür sorgen, daß diese Leute nicht in einer Spalte der Newerafelsen verunglücken.«