Za darmo

Der Schut

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Das war ja eine außerordentlich eilige Bekehrung! Konnte ich an dieselbe glauben? Unmöglich! Zumal mir das Gesicht, welches die Frau während ihrer Worte machte, gar nicht gefallen wollte. Sie nickte den beiden Alten beruhigend zu und blinzelte dabei mit den Augen.

»Wo befindet sich das Jazlyk?« fragte ich.

»Drüben im Hof. Du wirst es an der Inschrift über der Türe erkennen.«

»Und natürlich sind die Sachen und das Geld dort nicht nur aufgehoben, sondern verborgen?«

»Ja. Solche Beute legt man doch nicht in den Geldkasten.«

»Beschreibe mir das Versteck.«

»Du wirst den Sandyk (* Kassa, Geldschrank.) an der Wand hängen sehen. Nimm ihn herab, so befindet sich hinter demselben ein Loch in der Mauer, in welchem du alle Gegenstände sehen wirst, welche dem Engländer und dem Kaufmann genommen worden sind.«

»Wenn du mich täuschen solltest, so würdest du deine Lage nur verschlimmern. Uebrigens weiß ich, daß sich vierundzwanzig Männer hier befinden, welche uns unschädlich machen sollen.«

Sie erbleichte. Mutter und Tante ließen Ausrufe des Schreckens hören. Die Wirtin warf ihnen einen zornigen Blick zu und sagte:

»Herr, man hat dich belogen!«

»Nein. Niemand hat es mir gesagt, also kann ich nicht belogen worden sein. Ich habe es selbst beobachtet.«

»So hast du dich geirrt.«

»Nein, ich weiß ganz genau, daß sie sich hier befinden.«

»Und doch ist dies nicht der Fall. Ja, ich will eingestehen, daß ungefähr so viele Männer bereit waren, euch entgegen zu gehen, aber nicht hier, sondern draußen am Karaul.«

»Befinden sie sich noch dort?«

»Ja. Sie dachten, ihr würdet erst dorthin gehen, bevor ihr hier in den Khan kämet.«

»Sind sie zu Pferde?«

»Nein. Was könnten ihnen die Pferde im Kampfe gegen euch nützen?«

»Gut. Und wo sind eure Knechte?«

»Eben bei diesen Leuten. Wir haben zwölf Knechte, weil wir so viele zu den Pferden haben müssen, welche bei uns stets zum Verkauf stehen.«

»Und die andern zwölf?«

»Sind Leute von hier.«

»Welche deinem Mann als dem Schut untertänig sind?«

»Ja.«

Sie sagte diese Antworten schnell, ohne sich zu besinnen und im Ton und mit der Miene größter Aufrichtigkeit. Aber ich konnte und durfte ihr nicht trauen. Ich sah wohl ein, daß es vergeblich gewesen wäre, noch weiteres aus ihr zu erforschen. Ich mußte ja annehmen, daß sie mir auch bis jetzt nicht die Wahrheit gesagt habe. Darum erhob ich mich von der Kiste und sagte:

»Aus deiner Aufrichtigkeit ersehe ich, daß ich dich den Richtern zur Milde empfehlen kann. Ich gehe jetzt hinab. Ihr werdet diesen Raum nicht verlassen. Finde ich die Verhältnisse nicht so, wie du mir gesagt hast, so dürft ihr auf Gnade keinen Anspruch machen.«

»O Herr, ich bin überzeugt, du findest sie so, daß ihr mir die Strafe vielleicht gar erlassen werdet.«

Das klang so ehrlich und treuherzig! Diese Frau konnte sich außerordentlich verstellen. Vielleicht war sie mir an Schlauheit überlegen.

Als ich hinabkam, standen die Andern noch im Flur. Der Schut warf einen besorgt forschenden Blick auf mich, ohne jedoch aus meinem Gesicht etwas lesen zu können. Ich sagte, daß wir uns hinüber nach dem Hof begeben wollten.

Draußen saßen die Skipetaren noch auf ihren Pferden. Man hatte sich nicht feindselig gegen sie verhalten. Als wir bei dem Hoftore anlangten und an dasselbe klopften, wurde wieder nicht geöffnet. Ich gebot dem Schut, aufmachen zu lassen; aber er weigerte sich abermals. Da fiel mir das Stichwort ein, welches ich von dem Fährmann in Ostromdscha gehört hatte. Ich klopfte abermals und rief:

»Atschyniz, bir Syrdasch – öffnet, ein Vertrauter!«

»Bir azdan – sogleich!« antwortete es hinter dem Tor. Der Innenriegel wurde weggeschoben und das Tor geöffnet. Ein Knecht stand da, welcher uns, als er uns erblickte, erschrocken anstarrte.

»Budala – Dummkopf!« raunte ihm der Schut zornig zu.

Wir drangen ein, mit uns aber auch ein großer Teil des Volkes. Ich gebot den Leuten, draußen zu bleiben; vergeblich. Sie drängten herein, so breit das Tor war. Das konnte uns gefährlich werden; darum gab ich den sechs Skipetaren einen Wink, welche nun ihre Pferde zwischen die Leute hineintrieben und die bereits im Hof Befindlichen von den noch draußen Stehenden abschlossen.

Laute Rufe des Unmutes erschallten von draußen und von innen; wir verriegelten aber das Tor, und dann sagte ich den Leuten, daß sie hier, wo sie sich befanden, stehen zu bleiben hätten. Damit es ihnen nicht einfiele, das Tor zu öffnen, mußten die Skipetaren an demselben bleiben. Wir Andern gingen weiter. Die Seiten des Hofes bestanden aus einem langen, niedrigen Gebäude, welches die ganze vordere Linie des Quadrates einnahm; dann aus einem eben solchen Gebäude als zweite Linie; die dritte und vierte Linie wurde aus hohen Mauern gebildet. Von der dritten Linie, uns gegenüber, gingen sechs Bauwerke – lang, schmal und niedrig – parallel zueinander wie die Zähne eines Kammes aus. Es schienen Stallungen zu sein. Sie standen mit den Giebeln nach uns zu, während sie die andern Giebelseiten an die Mauer lehnten.

An einem dieser Giebel las ich das Wort »Jazlyk«, und über demselben stand ein türkisches Dal. Was dieser Buchstabe zu bedeuten habe, wußte ich nicht. Jazlyk war Kontor. In demselben sollte sich der erwähnte Kassenschrank befinden.

Zunächst schickte ich Halef, Omar und Osko aus, das Innere all dieser Gebäude zu untersuchen. Ich blieb bei den »Vätern des Ortes« und bei dem Schut zurück; denn diesen durfte ich nicht aus den Augen lassen.

Nach einer halben Stunde kehrten die Gefährten zurück, und Halef meldete:

»Sihdi, es ist alles sicher, kein einziger Mensch ist vorhanden.«

»Was befindet sich in den Häusern?«

»Häuser sind keine da. Diese beiden Gebäude« – er deutete dabei auf die erste und zweite Seite des Hofvierecks – »sind Vorratsräume, welche nur nach dem Hof hin offen sind. Die sechs niedrigen Bauwerke, uns gegenüber, sind Stallungen, worin viele Pferde stehen.«

»Und niemand ist dort? – Kein einziger Knecht?«

»Keiner.«

»Sind alle diese Ställe gleich gebaut?«

»Nein. Derjenige, über welchem das Wort Jazlyk steht, hat vorn, nach uns zu, ein Stübchen, in welchem ein Tisch und einige Stühle sind. Auf dem Tisch lagen allerhand Schreibereien.«

»Gut, so wollen wir uns zunächst dieses Stübchen einmal ansehen. Der Perser geht mit mir, und der Lord und Monsieur Galingré begleiten uns.«

»Ich nicht?« fragte Halef.

»Nein. Du mußt hier bleiben, um an meiner Stelle zu kommandieren. Dulde vor allen Dingen nicht, daß das Tor geöffnet werde, und verlaß diese Stelle unter keinem Umstand. Ihr steht hier mit dem Rücken gegen das Vorratsgebäude und habt prächtige Deckung, wobei ihr den ganzen Hof übersehen könnt. Kommt ihr während meiner Abwesenheit in irgend eine Gefahr, so gebraucht ihr eure Waffen. Ich bin sehr bald wieder da.«

Wir drei – Galingré, Lindsay und ich – führten den Schut nach dem erwähnten Stall. Die Türe desselben befand sich in der Mitte des Gebäudes. Als wir eintraten, sah ich zwei Reihen von Pferden. Im hintern Giebel befand sich eine Türe, und vorn führte auch eine nach dem sogenannten Kontor. Eine Decke gab es nicht; das Dach war aus Stroh hergestellt. Es gab also hier im Stall kein Plätzchen, welches einem Feind als Versteck hätte dienen können. Der Schut war waffenlos und an den Händen gebunden. Wir brauchten also wohl keine Sorge zu haben.

Trotzdem, und um keine Vorsichtsmaßregel zu versäumen, ging ich nach der hintern Türe, welche von innen verriegelt war. Ich öffnete sie und blickte hinaus. Da gab es hinter der Mauer, an welche die sechs Ställe im rechten Winkel stießen, noch eine zweite Außenmauer. Zwischen beiden zog sich ein schmaler Raum hin, welcher als Düngerstelle benutzt wurde. Da ich auch da niemanden erblickte, fühlte ich mich vollständig beruhigt, zumal ich ja die Türe von innen verriegeln konnte. Dies tat ich und kehrte zu den dreien zurück.

Jetzt traten wir in das Kontor. Es wurde nur von einer sehr kleinen Fensteröffnung erhellt. Dem Eingang gegenüber sah ich ein Schränkchen hängen – etwas über eine Elle breit und gegen zwei Ellen hoch. Da auch hier sich kein Mensch außer uns befand, so war jede Besorgnis wohl überflüssig. Dennoch war das gelbe Gesicht des Schut um einen Ton bleicher geworden. Sein Blick irrte ruhelos hin und her. Er mußte sich in einem Zustand der größten Aufregung befinden.

Ich schob ihn an die Wand, unseligerweise so, daß er nach der Türe sehen konnte, während wir derselben die Rücken zukehrten, und sagte:

»So bleibst du stehen und beantwortest mir meine Fragen! Wo pflegst du das Geld aufzuheben, welches du geraubt hast?«

Er ließ ein höhnisches Lachen hören und antwortete: »Das möchtest du wohl gern wissen?«

»Allerdings.«

»Wirst es aber doch nicht erfahren!«

»Vielleicht weiß ich es bereits.«

»Dann müßte es dir der Scheïtan verraten haben!«

»Wenn der Teufel es war, so hatte er wenigstens eine Gestalt, welche nicht zum Erschrecken war. Er sah deiner Frau sehr ähnlich.«

»Was?« fuhr er auf. »Sollte sie es dir gesagt haben?«

»Ja, wenigstens gab der Teufel sich für deine Frau aus, als ich ihn oben auf dem Boden traf. Sie sagte mir, das geraubte Gut befinde sich da hinter dem Schrank.«

»Diese alberne, ver – — «

Er hielt inne; seine Augen leuchteten, neben mir hinwegblickend, und er schrie:

»Weg mit den Messern! Tötet die Hunde nicht! Ich will sie lebendig haben.«

Zugleich versetzte er mir einen Fußtritt an den Unterleib, welcher mich taumeln machte, und ich wurde, bevor ich mich umdrehen konnte, von hinten gepackt. Es waren vier oder sechs Arme, die mich umschlangen.

Zum Glück hing mir der Stutzen am Riemen von der Schulter herab. Sie hatten das Gewehr mit umschlungen und vermochten also nicht, mir den rechten Arm so fest wie den linken an den Leib zu drücken.

 

Jetzt galt es. Ein Glück, daß die Angreifer die Waffen nicht gebrauchen sollten! Der Lord schrie auf, Galingré ebenfalls. Auch sie waren ergriffen worden.

Ich gab mir einen Schwung, um mit dem Gesicht gegen meine Bedränger zu kommen; es gelang. Da standen in der kleinen Stube wohl zwölf bis vierzehn Menschen, genug um uns zu erdrücken. Und draußen im Stall standen ihrer noch mehrere. Hier wäre Schonung nur unser eigenes Verderben gewesen. Ich wollte die drei, welche mich gefaßt hielten, abschütteln; es wäre mir wohl auch gelungen, wenn ich Spielraum dazu gehabt hätte.

Einige von den Bedrängern rissen den Schut durch das Gedränge hinaus, um ihn dort von seinen Fesseln zu befreien. Da griff ich mit der rechten Hand in den Gürtel und zog den Revolver. Ich konnte aber den Arm nicht emporheben und hielt die Waffe gegen die Leiber der Feinde. Drei Schüsse, und ich war frei. Was ich nun tat, kann ich nicht bis ins Einzelne beschreiben, denn es ist mir unmöglich, mich darauf zu besinnen. Mit den drei noch übrigen Schüssen machte ich dem Lord und Galingré Luft, gab mir aber Mühe, die Betreffenden nicht zu töten, sondern nur kampfunfähig zu machen.

Sobald der Lord sich frei fühlte, stieß er ein Brüllen aus wie ein Löwe, der sich auf seine Beute stürzt. Er erfaßte einen schweren Hammer, welcher auf dem Tisch lag, und warf sich mit demselben, ohne daran zu denken, daß er Waffen bei sich trug, auf die Feinde. Galingré entriß einem der Verwundeten das Messer und stürzte vorwärts. Ich hatte den Revolver wieder eingesteckt und den Stutzen in die Hand genommen. Schießen wollte ich nicht; zum Gebrauch des Kolbens war derselbe zu schwach – ich hätte ihn leicht zerbrechen können; darum führte ich meine Stöße gegen die Feinde mit dem Lauf aus.

Das ging alles so schnell, daß vom Erscheinen dieser Menschen bis jetzt nicht eine einzige Minute vergangen war. Sie waren überzeugt gewesen, uns zu überrumpeln und augenblicklich unschädlich machen zu können. Daß es ganz anders kam, und zwar so außerordentlich schnell, das verblüffte sie. Es war, als ob sie gar keine Hände und Waffen zur Gegenwehr hätten. Einer drängte den Andern hinaus. Alle kehrten uns den Rücken zu. Es hatte sie geradezu ein panischer Schreck erfaßt.

»Dur, dur, kalyn – akyn – sokyn – halt, halt, bleibt stehen: schießt, stecht!« ertönte draußen die zornige Stimme des Schut.

Vorhin hatte er verboten, die Waffen zu gebrauchen. Jetzt kam sein Befehl zu spät. Wir hatten die Kerls vor uns auf der Flucht und durften ihnen nicht Zeit lassen, sich festzusetzen oder umzuwenden.

Der Engländer schrie bei jedem Hieb mit seinem Hammer:

»Schlagt sie tot! Haut sie nieder! Well!«

»Hajde, sa-usch, dyschary – fort, weiter, hinaus!« schrieen die Kerls, von denen Einer den Andern vorwärts drängte. »Kurtulyniz, geldirler, geldirler – rettet euch; sie kommen, sie kommen!«

Es war beinahe zum Lachen. Diese fürchterlichen Leute des Schut, wenn auch mit ihm nur noch neunzehn an der Zahl, rissen vor uns Dreien aus. Alles schrie, die Pferde wurden scheu, wieherten und schlugen aus; es waren Augenblicke der größten Verwirrung.

Ich aber dachte nur an einen, an den Schut. Sollte er mir abermals entkommen? Die Mauer war so hoch, daß er sie nicht ersteigen konnte. Er mußte zwischen den Stallgebäuden in den Hof zurück, um durch das Tor zu entfliehen. Das war der einzige Weg, wie ich dachte, und dort hielten ja nicht nur die berittenen Skipetaren strenge Wache, sondern auch Halef stand in der Nähe. Der Hadschi schoß ihn jedenfalls lieber nieder, als daß er ihn durch das Tor ließ.

Aber ebenso standen dort, innerhalb und außerhalb des Tores, die Leute von Rugova. Nahmen diese sich des Persers an, so bekamen wir einen harten Stand.

Diese Gedanken flogen mir durch den Kopf, indem ich mit dem Lauf des Gewehres auf die Fliehenden einstieß. Ich bin überzeugt, daß jeder dieser Stöße noch nach Monaten zu fühlen war. Da schlug von der linken Seite her ein Pferd aus. Der hochgeschleuderte Huf traf zwar nicht voll auf, aber er strich mir doch so kräftig an der Schulter vorüber, daß ich niederstürzte.

Ich raffte mich auf und wollte weiter, da aber ertönte hinter mir die helle Stimme des Hadschi:

»Sihdi, was ist los, was gibt es? Ich hörte die Schüsse deines Revolvers und dann das Schreien. Sag, was es gegeben hat!«

Eben waren die Fliehenden durch die Hintertüre verschwunden, Lindsay und Galingré mit ihnen. Halef sah sie nicht mehr, sondern mich allein.

»Wir wurden überfallen,« antwortete ich hastig. »Der Schut ist wieder frei. Ich treibe ihn dir in die Hände. Suche dir hier schleunigst das beste Pferd aus und reite ihn nieder, wenn ich ihn dir zujage. Schnell, schnell! Ich darf mich nicht aufhalten, sonst kommt der Kampf zum Stehen, und das könnte sehr schlimm für uns werden.«

Ich lief fort, durch die hintere Türe hinaus und auf die lang zwischen den beiden Mauern sich hinziehende Düngerstelle. Ich hatte richtig vermutet. Die Fliehenden machten Miene, sich zur Wehr zu setzen.

»Immer drauf, Sir!« rief ich dem Lord englisch zu. »Wir dürfen sie nicht zum Stehen kommen lassen.«

Da erhob er seine Stimme und seine beiden Arme und sprang mitten unter die Feinde hinein. Dann kam ich dazu. Galingré hielt sich wie ein Held. Sie wandten sich wieder um und eilten davon, wir hinter ihnen her, am nächsten Stall vorüber, welcher Nr¨ 5 hatte, dann an Nr¨ 6 vorbei – der Schut und die vordersten waren nicht zu sehen gewesen.

Als wir um die Ecke des sechsten Stalles bogen und nun an die zweite Seite des Hofvierecks kamen, an welchem das zweite Vorratshaus stand, sah ich hart am Giebel desselben eine offene Pforte. Sie war nicht zwanzig Schritte von uns entfernt, und die Fliehenden rannten auf dieselbe zu.

Sollte der Schut bereits da hinaus sein? Dann war guter Rat teuer. Ich tat einige Sprünge, welche mich mitten in die Flüchtigen hineinbrachten, stieß sie auseinander, schnellte auf die Pforte zu und durch dieselbe hinaus. Ja, es war so! Da links rannten sie über das Feld, und rechts jagte der Schut auf einem Pferd von dannen. Das Pferd war ein Rappe. Trotz des Zornes, welcher mich erfüllte, und trotz der Aufregung, in welcher ich mich befand, hing mein Auge bewundernd an dem Tier – breite, feste Sehnen, hohe, schlanke Gliedmaßen, stark ausgebildete Hinterhand, tiefe Brust, dünner Leib, langer, wagerecht getragener Hals, sehr kleiner Kopf – alle Wetter, das war ein englisches Vollblut! Wie kam ein solches Tier hierher nach Rugova!

Ich war voll Bewunderung über die Eleganz und Schnelligkeit, mit welcher es dahinflog. Ich dachte kaum an den Reiter – an den Reiter, ah! Er durfte nicht fort. Ich riß den Stutzen an die Wange, um scharf zu zielen. Würde ich ihn noch treffen? Er war für die Kugel des Stutzens bereits zu weit.

Da blitzte etwas vor meinen Augen empor. Es war ein Messer, mit welchem einer der an mir vorübereilenden Feinde ausholte, um mich niederzustechen. Ich hatte nur noch Zeit, zur Seite zu springen; er aber erhielt an Stelle des Schut meine Kugel, und zwar in die rechte Schulter.

»Zurück auf den Hof!« rief ich dem Engländer zu. Er und Galingré sprangen mir, ohne auf die Feinde noch zu achten, nach, zur Pforte wieder hinein, zwischen dem Vorratshause und dem sechsten Stalle hindurch nach dem Hof. Dort hielt Halef auf ungesatteltem Pferde.

»Der Schut entflieht, auf einem Rappen, nach dem Dorfe zu,« antwortete ich atemlos. »Eile ihm nach, daß er nicht etwa am Konak absteigt und unsern Rih stiehlt. Suche zu erfahren, welche Richtung er von Rugova aus eingeschlagen hat! Jedenfalls reitet er gegen Skutari hin, um Hamd el Amasat zu erreichen und der Frau Galingré ihr Geld abzunehmen, denn hier darf er sich nicht mehr sehen lassen.«

»Allah ist groß, und ihr seid dumm gewesen!« meinte der Kleine. »Wie weit soll ich dem Halunken folgen?«

»Nur so weit, bis du genau weißt, welchen Weg er eingeschlagen hat. Dann kehrst du um. Das übrige ist dann meine Sache. Laß dich aber nicht zu Uebereilungen verleiten!«

Er drängte sein Pferd zur Seite und jagte auf das Tor zu und schrie schon von weitem:

»Macht auf!«

Ranko sah an meinem Winken, daß auch ich dasselbe verlangte, und riß den Riegel zurück und das Tor auf. Im nächsten Augenblick brauste der Hadschi hinaus – nicht mitten unter die draußen stehenden Leute hinein, wie ich geglaubt hatte; denn sie standen nicht mehr da.

Ich war ihm nach gesprungen. Als ich am Tor ankam, sah ich, daß die Leute nach dem Dorfe rannten. Sie hatten den Schut hinter der Mauer hervorkommen sehen; sie wußten also, daß er frei sei, und eilten hinter ihm her. Ich selbst konnte ihn nicht mehr sehen, da ihn die Buschreihen verdeckten, welche die Felder abgrenzten. Aber Halef verschwand auch schon hinter diesen Sträuchern.

»Effendi,« fragte Osko, »Ist der Schut entkommen?«

»Ja! Aber wir erwischen ihn wieder. Kommt herein! Wir dürfen uns nicht lange hier aufhalten. Das, was wir noch zu tun haben, muß schnell geschehen.«

Die »Väter des Dorfes« waren nicht mitgelaufen. Ich erzählte ihnen den Vorfall, und sie sagten nichts dazu. Es schien ihnen sehr lieb zu sein, daß der Schut entkommen war. Selbst der ehrwürdige Alte atmete wie erleichtert auf und fragte:

»Herr, was wirst du nun tun?«

»Den Schut fangen,« antwortete ich.

»Und dabei stehst du so ruhig? Wer einen Andern fangen will, der muß doch eilen!«

»Ich eile bereits, nur nicht in der Weise, in welcher du es meinst.«

»Er muß dir doch entkommen, da sein Vorsprung schon ein so großer ist.«

»Habe keine Sorge! Ich hole ihn noch ein.«

»Und dann bringst du ihn hierher zurück?«

»Nein. Dazu habe ich keine Zeit.«

»Aber du mußt doch als Ankläger oder Zeuge gegen ihn auftreten!«

»Dazu sind Andere da. Das kann ich überhaupt euch überlassen. Ihr wißt, daß der Perser der Schut ist. Er hat es in eurer Gegenwart eingestanden. Nun ist es an euch, ihn bei seiner Rückkehr zu bestrafen. Und wenn ihr es nicht tut, wird Stojko es an eurer Stelle tun.«

»Ja, das werde ich ganz gewiß,« sagte der Genannte. »Sobald er sich hier wieder sehen läßt, gehört er mir.«

»So lange warte ich nicht,« sagte sein Neffe. »Der Effendi will ihn fangen, und wir begleiten ihn.«

»Darüber sprechen wir noch,« antwortete ich. »Jetzt folgt mir einmal nach dem Jazlyk.«

Wir begaben uns dahin. Dort ließ ich den Schrank von dem eisernen Haken nehmen, an welchem derselbe hing. Wirklich, hinter demselben war eine Vertiefung in der Mauer, welche nicht ganz die Größe des Schrankes hatte. Dort fand sich alles vor, was dem Engländer und Galingré abgenommen worden; aber auch weiter gar nichts. Frühere Raubfrüchte hatten bereits einen andern Ort erhalten. Ich war mit diesem Ergebnis auch zufrieden. Der Lord schmunzelte vergnügt, als er sogar seinen Hut erblickte, und Galingré jubelte, als er sein Geld wieder in den Händen hielt.

Dann machten wir einen Rundgang durch die sechs Ställe. Da waren Pferde von allen Sorten und Farben und Preisen. Die besten Pferde aber standen in dem Stall, welcher an das Kontor stieß. Einen prächtigen Braunen hatte ich gesehen, als ich mit dem Schut eingetreten war. Halef hatte ganz denselben Geschmack wie ich, denn er hatte sich diesen Braunen trotz der großen Eile, in welcher dies geschehen mußte, ausgesucht. Ein fast ebenso wertvolles Pferd suchte ich für Galingré und auch eins für den Engländer aus. Es galt, uns möglichst gut beritten zu machen. Für die gemietete Dienerschaft des Lords war nicht zu sorgen, da dieselbe das Weite gesucht hatte.

Dann zog sich Stojko auch mehrere ausgezeichnete Tiere in den Hof. Der Kiaja wollte das freilich nicht dulden, aber der Skipetar fuhr ihn an:

»Schweig! Können alle diese Pferde mir den Tod meines Sohnes ungeschehen machen? Ich weiß sehr wohl, daß ihr euch in das Eigentum des Schut teilen werdet, wenn er nicht zurückkehrt. Und da sollen wenigstens auch diejenigen etwas erhalten, welche durch ihn geschädigt worden sind. Uebrigens seid ihr imstande, ihn, wenn er zurückkehren sollte und wir nicht mehr da sind, grad so aufzunehmen, als ob gar nichts vorgefallen sei. Ich kenne euch, werde aber dafür sorgen, daß es ihm nicht so wohl werden kann.«

Die andern Gegner waren ebenso verschwunden, wie der Schut. Sogar die im Kontor Verwundeten waren fort. Und jetzt wußte ich's: der Buchstabe Dal bedeutete 4. —

Der Geldschrank sollte verschlossen bleiben, bis von Prisrendi ein Beamter angekommen sei. Ein Bote war freilich noch nicht dahin abgesandt worden. Ich gebot dem Kiaja, dies schleunigst zu tun und überhaupt dafür zu sorgen, daß die Verwaltung des Kara-Nirwan-Khans in treue Hände käme. Dann stiegen wir zu Pferd und ritten nach Rugova zurück, ohne uns darum zu kümmern, ob die »Väter des Ortes« uns folgten oder nicht.

 

Im Konak wartete Halef bereits auf uns mit der Meldung, daß er noch zur rechten Zeit gekommen sei, um die Wegnahme Rihs durch den Schut zu verhindern. »Er war mir weit voran,« erzählte der Hadschi, »da er einen bedeutenden Vorsprung hatte, und ich konnte in dem abschüssigen und holperigen Hohlweg mein Pferd nicht recht zwischen die Hände nehmen, da ich kein richtiges Zügelwerk, sondern nur die Halfter hatte. Ich wußte also nicht, wo er war, ritt aber, als ich hier anlangte, in den Hof. Und siehe, da hielt er, und die Knechte waren eben damit beschäftigt, ihm den Rappen aus dem Stall zu ziehen.«

»Wie kamen sie dazu, das zu tun?«

»Er hatte zu ihnen gesagt, seine Unschuld habe sich herausgestellt und er sei beauftragt, dir dein Pferd zu holen. Die Leute von Rugova haben einen so heillosen Respekt vor ihm, daß man es nicht wagt, ihm zu widersprechen.«

»War er denn bewaffnet? So viel ich weiß, hat er bei seiner Befreiung keine Zeit gehabt, sich mit Waffen zu versehen.«

»Ich habe nichts dergleichen bemerkt. Natürlich erhob ich Einspruch und gebot, Rih sofort wieder in den Stall zurückzubringen.«

»Und dann?«

»Nun, dann machte er sich schleunigst davon.«

»Wohin?«

»Hier über die Brücke hinüber. Aber er ritt nicht den gebahnten Weg, welcher immer dem Ufer des Flusses folgt, sondern querfeldein, nach dem Wald drüben im Westen. Es ging immer im Galopp, und ich folgte ihm, bis er zwischen den Bäumen verschwunden war.«

Nachdem ich dem Hadschi zu seiner tiefsten Zerknirschung erklärt hatte, daß er nebst Osko und Omar versäumt hätte, hinter die Ställe zu sehen, wo die Leute des Schut versteckt waren, versammelten wir uns in der Wirtsstube, und ich hob an:

»Die Zeit drängt. Der Schut ist entflohen und wir müssen ihn wieder haben. Er hat hier alles verlassen müssen, um einstweilen nur sich zu retten. In diesem Augenblick ist er ein armer Mann, er hat kein Geld. Um solches zu bekommen, reitet er Hamd el Amasat entgegen, welcher die Familie Galingré bringt. Diesen Leuten soll alles, was sie bei sich führen, abgenommen werden. Wenn das gelingt, so hat der Schut wieder Geld und kann später, wenn wir von hier fort sind, möglicherweise hierher zurückkehren und alles leugnen. Ich und meine Gefährten sind dann nicht mehr da, und die übrigen Zeugen kann er auf irgend eine Weise unschädlich machen. Ich halte es unter den hiesigen Verhältnissen gar nicht für unmöglich, daß es ihm gelingt, seine Unschuld glaubhaft zu machen.«

»Um Gottes willen!« rief Galingré. »Meine Frau, meine Tochter und mein Schwiegersohn befinden sich in größter Gefahr. Herr, säumen Sie nicht. Wir müssen sogleich aufbrechen, sogleich!«

»Haben Sie Geduld!« mahnte ich. »Wir dürfen uns nicht überstürzen. Vor allem müssen wir wissen, wohin der Weg führt, welchen er eingeschlagen hat.«

»Das kann ich dir sagen,« antwortete Ranko, der Neffe Stojkos. »Ich weiß, welche Absicht er hat. Die Verwandten dieses Herrn kommen von Skutari. Die Straße von dorther geht über Skala, Gori, Pacha, Spassa und endlich Rugova. Von Pacha aus wendet sie sich nordwärts nach Spassa und von dort aus wieder nach Südost gen Rugova. Sie bildet also einen bedeutenden Winkel, welcher einen großen Umweg bedingt. Der Schut weiß das. Er reitet gar nicht nach Spassa, sondern direkt westwärts nach Pacha. Der Weg dorthin ist zwar nicht befahren und ist sehr schlecht, aber man vermeidet, wenn man ihn benutzt, den ungeheuren Bogen und kommt anstatt in sieben Stunden in der halben Zeit in Pacha an. Er hat die Absicht, uns sehr weit voranzukommen.«

»Sollte er annehmen, daß wir ihm folgen? Jedenfalls. Nun, wir können ja denselben Weg einschlagen. Hoffentlich finden wir hier einen Mann, welcher das Amt des Führers übernehmen kann.«

»Wir brauchen keinen Führer. Ich selbst kenne diesen Weg sehr genau. Vor allen Dingen gilt es, den Schut zu bekommen. Wir reiten alle mit dir. Dann kehren wir hierher zurück und werden mit dem Köhler und seinen Genossen Abrechnung halten.«

»Ich muß dir davon abraten, denn ihr werdet mit Sehnsucht bei der Höhle erwartet. Wenn ihr zu kommen zögert, so ist es möglich, daß die Mörder, an welchen du den Tod deines Vetters rächen willst, aus ihrem Gewahrsam entkommen.«

»Erkläre mir das!«

Ich war jetzt gezwungen, abermals unsere Erlebnisse zu erzählen. Ich machte alsdann die Skipetaren darauf aufmerksam, daß der Dolmetscher und die beiden Steinbrucharbeiter doch nicht so zuverlässig seien, daß man ihnen die Bewachung der Höhle auf längere Zeit anvertrauen könne. Und da gaben sie mir recht.

»Das ist richtig, Herr,« sagte Stojko. »Nicht der Schut ist der Mörder meines Sohnes, sondern die Köhler sind es. Den Schut überlasse ich dir; die Andern aber nehme ich auf mich. Ich werde, obgleich ich noch schwach bin, schleunigst aufbrechen. Ich kenne den Weg, und übrigens sind wir Skipetaren und können uns auf unsere Augen und unsere Pferde verlassen.«

»Nun denn, so vergiß ja nicht, daß das Vermögen des Köhlers, das heißt der Ertrag seiner Räubereien und Mordtaten, sich unter dem Herd seines Schwagers, des Kohlenhändlers, befindet.«

»Ich werde hinreiten und es holen. Wem soll ich's geben?«

»Es gehört den Verwandten derjenigen, denen er es abgenommen hat. Kannst du diese Leute nicht ausfindig machen, so verteile es unter die Armen und Bedürftigen deines Stammes. Keinesfalls aber laß es in die Hände des Gerichtes kommen; da würden es weder die Berechtigten, noch die Armen erhalten.«

»Es soll genau so geschehen, wie du es sagst, und diejenigen, welche es erhalten, sollen eure Namen erfahren, denn ihr seid es, denen sie es zu verdanken haben. Nun aber wollen wir uns zum Aufbruch anschicken.«

Da nahm Ranko nochmals das Wort:

»Ich bleibe dabei, daß ich noch nicht nach der Höhle reite. Mein Oheim und meine fünf Begleiter werden den Tod meines Vetters Ljubinko rächen. Aber der Schut hat meinen Oheim über zwei Wochen lang eingesperrt und wollte ihn töten. Auch das erfordert Rache. Es genügt mir nicht, daß der Effendi diesen Menschen verfolgt; ich selbst muß dabei sein und darum werde ich mit ihm reiten. Versucht es nicht, mich davon abzubringen. Ich bleibe dabei. Uebrigens könnt ihr euch meiner als Führer bedienen, denn ich kenne die Gegend, durch welche wir reiten müssen.«

»Ich will nicht gegen deinen Entschluß sprechen,« sagte sein Oheim. »Du hast recht, und ich weiß, daß du von einem Entschluß nie zurücktrittst. Aber ihr braucht gute Pferde. Ich werde dir meinen Goldfuchs geben; Ersatz für ihn ist ja vorhanden. Also das ist abgemacht, und ich werde aufbrechen. Aber was wirst du mit dem Schut machen, wenn du ihn ergreifst?« fragte er mich.

»Das kann ich jetzt unmöglich sagen. Es kommt auf die Verhältnisse an, unter denen ich mit ihm zusammentreffe. Gelingt es mir, seiner ohne Blutvergießen habhaft zu werden, so werde ich ihn Ranko übergeben, welcher ihn hierher schaffen mag. Was dann mit ihm geschieht, das ist eure Sache.«

Es handelte sich nun noch um die Pferde. Ich hatte meinen unvergleichlichen Rih. Osko und Omar ritten die Schecken der Aladschy; Ranko bekam den Goldfuchs; für Halef, den Engländer und Galingré wurden die drei besten vom Kara-Nirwan-Khan mitgebrachten Pferde ausgesucht. Die anderen Tiere, auch dasjenige, welches Halef bisher geritten hatte, erhielten die Skipetaren mit Ausnahme eines einzigen, welches mit einem Packsattel uns begleiten sollte, um die Speise – und Futtervorräte zu tragen, welche wir mitnehmen mußten, da wir wohl keine Zeit fanden, die Tiere weiden zu lassen.

Diese Vorräte kauften wir von dem Wirt, welchem es sehr leid tat, daß wir sein Haus so bald wieder verließen. Er zeigte sich höchst dankbar gesinnt dafür, daß wir ihn von einem so übermächtigen Konkurrenten befreit hatten.

Der Abschied von Stojko und den Seinen war ein äußerst herzlicher. Er rief uns noch seine Segenswünsche zu, als er über die Brücke hinüber war und dann links nach der Richtung einlenkte, aus welcher wir gekommen waren.