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Der blaurote Methusalem

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Keiner von ihnen hatte bisher gesehen, in welcher Weise das Petroleum gewonnen und zubereitet wird. Van Berken führte sie überall hin und erklärte ihnen alles. Es war genau, als ob sie sich an einem großen Petroleumorte Amerikas befänden, und sie vermochten sehr bald, sich ein Bild von der Bedeutung zu machen, welche Onkel Daniel für diese Gegend und auch die ganze Provinz hatte.

Am befriedigtsten zeigte sich der Mijnheer. Er war ganz entzückt über das großartige Werk. Er lauschte mit größter Aufmerksamkeit, als van Berken herrechnete, was dasselbe dem Besitzer einbringe. Er betrachtete alles mit doppelter Aufmerksamkeit, sprach mit sich allein, scheinbar das kunterbunteste Zeug, war von manchen Stellen gar nicht wegzubringen und erklärte endlich in entschlossenem Tone:

»Ho-tsing-ting is goed, is zeer goed. Ik word het olie koopen – Ho-tsing-ting ist gut, ist sehr gut. Ich werde das Oel kaufen!«

»Das ist doch Ihr Ernst nicht!« meinte der Ingenieur.

»Niet? Zegt gij eenmal, uw broeder spreekt ook nederlandsch?«

»Ja.«

»En hij komt in waarheid naar Ho-tsing-ting?«

»Gewiß. Er wird schon in nächster Woche in Kanton eintreffen, wo ich ihn abholen werde.«

»Zoo blijf ik hier en koop al het olie. Ik heb vervolgens twee menschen hier, met welken ik nederlandsch spreken kan – so bleibe ich hier und kaufe das ganze Oel. Ich habe nachher zwei Menschen hier, mit welchen ich niederländisch reden kann.«

»So würden Sie uns als Ingenieure behalten?«

»Ja, op mijne eer, dewijl ik niets weet van den olie – ja, auf meine Ehre, weil ich von dem Oele nichts verstehe.«

»Nun, Sie könnten sich auch ganz auf uns verlassen.«

Er sagte das, indem er aus Höflichkeit auf den Gedanken des Dicken einging, glaubte aber nicht, daß es demselben wirklich ernst damit sei. Dann führte er sie in seine Privatwohnung, welche aus dem Parterre eines netten Häuschens bestand, dessen hübsches Obergeschoß auch schon für seinen Bruder eingerichtet war.

Es waren einige Stunden vergangen, ehe sie wieder nach dem Hauptgebäude zurückkehrten. Der Abend dämmerte bereits stark, und durch die Fenster, welche hier aus Glas bestanden, strahlte das Licht der Lampen. Vor dem Hause war es still und ruhig, aber unten in den Arbeiterwohnungen und vor denselben schien ein reges Leben zu herrschen. Das hatte seinen guten Grund und auch einen ebenso guten Zweck.

Liang-ssi hatte einigen der Werkmeister erzählt, daß er den fremden Mandarinen sein Leben zu verdanken habe. Er war eine sehr beliebte Persönlichkeit. Darum hatten diese Werkmeister die Kunde schnell weiter verbreitet, und nun war die ganze, große Arbeiterkolonie mit gewissen Vorbereitungen beschäftigt, welche darauf hinzielten, den Fremdlingen zu zeigen, daß man sie ehre.

So etwas kann in China unmöglich ohne Feuerwerk geschehen. Der Chinese ist ein geborener Pyrotechniker. Alles, alles muß er befeuerwerken, und die Regierung legt ihm dabei nicht das geringste Hindernis in den Weg. Während es in andern Staaten aus wohlbegründeter Ursache der obrigkeitlichen Genehmigung bedarf, ein Feuerwerk abzubrennen, sieht man in China täglich alt und jung sich damit belustigen, ohne daß jemand etwas dagegen hat. Man tritt aus seiner Hausthür und wird von brennenden Fröschen umhüpft. Man biegt um eine Ecke, und eine funkensprühende Schlange züngelt einem entgegen. Man erblickt zur Zeit des Neumonds ganz erstaunt den Vollmond am Himmel und bemerkt erst nach einigen Minuten, daß es ein künstlicher, täuschend nachgemachter ist. Bevor die Straßenthore zugesperrt werden, sieht man überall Feuerwerkskörper hüpfen, springen, schießen, fliegen und schwirren, und das in ganz engen Gassen, deren Häuser aus dem ausgedorrtesten Holzwerke bestehen. Wollte die Regierung ein Verbot dagegen erlassen, so wäre mit fast mathematischer Gewißheit eine allgemeine Empörung zu erwarten.

Es verstand sich ganz von selbst, daß auch die Arbeiter von Ho-tsing-ting solche Feuerwerker waren. Sie rüsteten sich, nach eingebrochener Dunkelheit zu Ehren der fremden Gäste ihre Künste sehen zu lassen.

Der Methusalem hatte sich noch nicht lange in seinem Zimmer befunden, so erschien der Onkel in eigener Person, um ihn zur Tafel zu holen. Seine Kameraden wurden ebenso benachrichtigt und folgten nach dem großen, auch im Erdgeschoß liegenden Speisesaale. Die Wände desselben waren ganz chinesisch; aber die beiden langen Tafeln, welche in der Mitte standen, hatten die doppelte Höhe chinesischer Tische und waren ganz auf europäische Art und Weise gedeckt. Es gab Messer, Gabeln und Löffel, aber keine Speisestäbchen. Zwischen dem feinen chinesischen Porzellangeschirr standen gold- und silberhalsige Weinflaschen, bei deren Anblick der Dicke den Gottfried am Arme zupfte, indem er ihm zuraunte:

»Ziet gij deze fleschen? Dat is wijn – sehen Sie diese Flaschen? Das ist Wein!«

»Und ob! Ich glaube, dat es sojar Schamplanscher ist. Na, ich werde mir da nicht werfen lassen!«

»Ik ook niet, waarachtig niet – ich auch nicht, wahrhaftig nicht!«

An der einen Seite stand ein Pianino. Van Berken erklärte dem Methusalem, daß er es von Onkel Daniel als Weihnachtsgeschenk erhalten habe, doch unter der Bedingung, daß es hier stehen müsse. Der Onkel war großer Musikfreund, konnte aber nicht spielen. Es bereitete ihm die größte Freude, wenn der Ingenieur die Saiten erklingen ließ.

Der T‘eu war mit seinen Leuten schon da. Sie saßen bereits an der Tafel, an welcher der Methusalem den Ehrenplatz bekam.

Die Gerichte waren meist auf europäische Weise zubereitet. In dieser Beziehung befragt, erklärte der Onkel, daß er sich einen französischen Koch aus Hongkong habe kommen lassen.

Die Erzeugnisse dieses Künstlers erhielten von keinem so feurigen Beifall wie von dem Mijnheer. Bei jedem neuen Gange wurde sein rotes Gesicht um einen Ton dunkler. Er fand nicht Worte genug, all die bekannten und unbekannten Gerichte nach Gebühr zu loben, und als gar der erste Champagnerpfropfen gegen die Decke flog, da hätte er am liebsten alle Welt vor Seligkeit umarmen mögen. Da er nicht als Engländer, sondern als Holländer vorgestellt worden war, so konnte er sich getrost seiner Muttersprache bedienen, was zur Folge hatte, daß der Onkel ihm zuweilen einige Worte in deutscher Sprache zuwarf.

Dieser letztere stand, als man sich endlich beim Nachtische befand, auf, trat an das Instrument, öffnete es und bat seinen Ingenieur, ein Stück vorzutragen. Dieser kam der Aufforderung gern nach. Er spielte einen leichten Tanz, das beste, was er konnte, und doch erregte er das Staunen aller anwesenden Chinesen.

Draußen vor den Fenstern, welche wegen der im Zimmer herrschenden Hitze geöffnet worden waren, versammelten sich die Feuerwerkslustigen. Sie wagten kaum zu atmen. Als aber dann der Methusalem sich unaufgefordert an das Instrument setzte und die Finger kühn über die Tasten fliegen ließ, da war die Bewunderung doppelt groß. Er war ein sehr guter Pianist und ließ hier hören, daß er etwas gelernt hatte. Als sein letzter Ton verklungen war, erbrausten draußen die Zurufe der Hörer, dann aber begann ein Krachen und Zischen, ein Schwirren und Schmettern, daß man sich die Ohren hätte zuhalten mögen. Das Feuerwerk begann.

Die Gäste traten vor das Haus. Was sie sahen, übertraf die Erwartungen, welche sie geglaubt hatten, hegen zu dürfen, da sie keine gelernten oder vielmehr studierten Feuerwerker vor sich hatten.

Die Chinesen begannen mit ganz gewöhnlichen Dingen, mit Fröschen, Kanonenschlägen, Feuerrädern und Leuchtkugeln. Dann gingen sie zu schwierigeren Sachen über. Die Kugeln bildeten Worte und Bilder. Eine große Leuchtkugel stieg empor, ihr nach eine zweite. Beide platzten. Aus der ersten schoß eine lange, feurige Schlange, aus der andern ein glühender Drache, welcher ihr in immer engeren Spirallinien folgte, bis beider Köpfe auch platzten, um hundert und aber hundert kleine Schlangen und Drachen erscheinen zu lassen. Eine kugelrunde Papierlaterne, in welcher ein Lichtchen zu brennen schien, stieg langsam empor. Hoch oben stand sie still, aus ihr stiegen ein Mond, der sie langsam umkreiste, dann Sterne, welche sich in weiteren Kreisen um sie bewegten. Sie bekam Zacken und Strahlen und entwickelte sich zur hellleuchtenden Sonne, bei deren Glanze man die feinste Druckschrift hätte lesen können.

So wie die Arbeiter vorher das Klavierspiel des Methusalem bewundert hatten, so staunte er jetzt ihre pyrotechnischen Leistungen an, welche erst nach Verlauf einer vollen Stunde endeten.

Die Zuschauer kehrten in das Zimmer zurück, wo der Onkel abermals die Pfropfen springen ließ. Degenfeld wurde ersucht, nochmals zu spielen. Er gab Richard einen Wink, und dieser setzte sich an das Instrument. Er war sehr musikalisch veranlagt und konnte sich hören lassen, da er einen ausgezeichneten Musiklehrer hatte. Während er spielte, raunte der Gottfried Turnerstick zu:

»Wo alle lieben, soll da Jottfried janz alleine hassen? Ich werde auch wat zum besten jeben.«

»Sie?« lächelte der Kapitän. »Doch nicht etwa auf Ihrer Oboe?«

»Auf wat denn sonst? Etwa auf dem Wurstkessel? Ich habe doch kein andres Instrument!«

»Na, das würde eine schöne Geschichte werden.«

»So! Sie trauen mich nichts zu?«

»Nein.«

»Haben Sie mir schon mal jehört?«

»Leider ja!«

»Ja, wenn ich nur so zum Spaße hineinjefiebt habe. Aberst heut‘ sollen Sie mir zum erstenmal richtig hören, und dann werde ich Ihnen den Mund zuschieben, denn Sie werden ihn vor Erstaunen ohne diese Hilfe nicht wieder zubringen. Passen Sie auf!«

Er ging heimlich fort, um sein Fagott zu holen und kehrte gerade zurück, als Richard geendet hatte. Er trat zu ihm und fragte leise:

»Wollen wir mal, Junge?«

»Ja,« nickte der Gefragte. »Aber ja nichts Dummes!«

»Nein, sondern ‚Wenn die Schwalben heimwärts ziehn‘, weißt‘s schon! Fang mal an!«

 

Der Methusalem erhob sich, als er sah, was vorgehen sollte, von seinem Platze. Gottfried sah es und gab ihm einen beruhigenden Wink. Da setzte der Student sich wieder nieder, denn nun wußte er, daß der Wichsier keine Dummheit machen werde.

Gottfried ließ sich nur ganz selten mit einem ernsten Stücke hören, wenn er es aber that, so mußte man ihn bewundern. Er war in seiner Art ein Virtuos auf dem Instrumente, welchem scheinbar kein richtiger Ton zu entlocken war. Der beste Fagotter hatte auf Gottfrieds Fagott nicht die leichteste Melodie fertig gebracht; dieser letztere aber kannte alle guten und schlechten Eigenschaften seines Instruments. Er allein wußte, wo die herrlichsten Töne in demselben zu suchen und wie sie herauszubringen seien. Er hatte sein Fagott studiert wie ein Reiter sein häßliches Pferd, welches keinem gehorcht, aber zum trefflichsten Rosse wird, sobald sein Herr sich in den Sattel geschwungen hat.

Richard hatte oft mit ihm gespielt. Er kannte alle seine Lieblingsstücke, zu deren besten das genannte gehörte. Er begann die Einleitung; dann fiel Gottfried ein. Er blies die Melodie des bekannten, innigen, aber anspruchslosen Liedes in einfacher Weise bis zu Ende. Dann ließ er eine leichte Variation folgen; es kam eine schwierigere, und dann perlten die Töne in Sechzehntel- und Zweiunddreißigstelnoten so zart und lieblich, so rein und eigenartig voll hervor, daß selbst der anspruchsvollste Kenner hätte zugeben müssen, daß er weder diesem Gottfried noch seiner alten Fagottoboe so etwas zugetraut habe. Es war wirklich eine außerordentliche Leistung, und zwar auf einem Instrumente, welchem man die Bedeutung eines Soloinstruments sonst abzusprechen pflegt.

Die Zuhörer saßen lautlos da. Der Onkel Daniel fühlte sich tief ergriffen. Eine echt deutsche Melodie, in dieser Weise vorgetragen, mußte auf ihn, der sich so nach seiner Heimat sehnte, einen mehr als gewöhnlichen Eindruck machen. Er mußte sich Mühe geben, nicht zu weinen, und rief, als der Gottfried geendet hatte und sein Fagott neben das Pianino lehnte:

»Herrlich, herrlich! Ich danke Ihnen außerordentlich, Herr Jones! Das ist eine deutsche Melodie. Sie können auch solche spielen?«

Er hatte englisch gesprochen.

»Yes,« antwortete der Gottfried.

»Und die haben Sie in England gelernt?«

»Yes. «

»Spielt und singt man denn dort auch deutsche Lieder?«

»Yes.«

»Bitte, würden Sie noch eins blasen?«

»Yes.«

Dieses »Yes« war das einzige englische Wort, von welchem er genau wußte, daß er es richtig ausspreche. Der Methusalem befreite ihn aus seiner Verlegenheit, indem er Richard bat, einige deutsche Lieder zu spielen.

Der Gymnasiast folgte dieser Aufforderung, hütete sich aber sehr, diese Lieder zu singen. Der Onkel durfte ja noch nicht wissen, daß seine Gäste des Deutschen mächtig seien.

Dennoch machten die Melodien auf den Hauswirt den Eindruck, daß er ganz schwermütig wurde. Er bemerkte, daß er dadurch die vorherige heitere Stimmung seiner Gäste schädige und entschuldigte sich:

»Ich bitte um Verzeihung! Der Deutsche bleibt eben ein Melancholikus, wohin er nur kommen mag. Ich liebe mein Vaterland und bin doch durch die Verhältnisse abgehalten, es jemals wiederzusehen. Das stimmt mich, So oft ich daran denke, trübe. Lassen Sie also lieber nun etwas recht Munteres, Lustiges hören.«

»Ja,« stimmte der Methusalem bei, »Mister Jones, blasen Sie doch einmal das famose Dings, welches, glaube ich, ‚Auf dem Bauernhofe‘ überschrieben ist!«

Gottfried verstand das Englische weit besser, als er es sprach. Er wußte, was der Blaurote meinte.

» Yes, « sagte er, indem er wieder zu seinem Instrument griff. Und leise flüsterte er Richard zu:

»Mach deine Sache jut und falle mich nicht so oft aus die Taktmäßigkeit wie jewöhnlich! Wenn dat Ding jut jespielt wird, sollst du sehen, wie sich diese Chinesigen vor Lachen die Bäuche halten. Also los!«

Richard spielte die sehr ernste, ja würdig gehaltene Einleitung. Dann setzte der Gottfried sein Fagott an, im nächsten Augenblicke wieder ab – ein Hahn hatte gekräht. Das hatte so täuschend geklungen, daß die Chinesen in alle Ecken schauten, um den Hahn zu sehen, und auch der Dicke sagte:

»Een haan! Ik zie hem niet – ein Hahn! Ich sehe ihn nicht! «

Gottfried hatte das Mundstück wieder zwischen den Lippen – eine ganze Schar von Gänsen schnatterte; Enten quakten und Tauben girrten. Nun erst sahen und hörten die mit der Kunst des Wichsiers Unbekannten, daß diese Stimmen aus seinem Instrumente kamen. Ein Ochse brummte, ein Pferd wieherte; dann meckerten einige Ziegen. Das war so vortrefflich nachgeahmt, daß die Hörer meinten, die Tiere vor sich zu sehen. Eine Katze pfauchte, und ein Hund knurrte darauf. Die Katze miaute laut, und der Hund kläffte hinterdrein. Die Katze schrie förmlich auf, und der Hund bellte und heulte aus Leibeskräften. Das gab einen ganz entsetzlichen Lärm, welcher aber so genau nach dem Takte ging, daß jeder Ton mit der Begleitung harmonierte. Diese Stimmen und andre wiederholten sich in der verschiedensten Weise und Reihenfolge, bis sie endlich so rasch hintereinander und scheinbar durcheinander erschallten, daß die Zuhörer sich wirklich die Ohren zuhielten und aus Leibeskräften lachten.

»So,« sagte Gottfried, indem er sein Instrument hinlehnte, »dat hast du jut jemacht, Richard. Du bist nicht ein einziges Mal aus das Konzept jekommen, und ich denke, dat wir Ehre einjelegt haben. Nun komm! Wir sind keine Freunde von diejenigte Arbeitsteilung, dat wir nur blasen, wenn die übrigen trinken.«

Durch dieses letzte Musikstück war die muntere Laune neu angeregt worden und sie hielt vor, bis niemand, selbst der Dicke nicht, mehr trinken wollte. Der T‘eu wünschte, schlafen zu gehen, und so wurde die Tafel aufgehoben.

»Ik eet und drink ook niets meer,« sagte der Dicke; »maar slapen kan ik ook nook niet. Ik moet met gij spreken, Mijnheer Stein – ich esse und trinke auch nichts mehr; aber schlafen kann ich auch noch nicht. Ich muß mit Ihnen sprechen, Herr Stein.«

»Worüber?« fragte der Onkel.

»Dat word ik gli zeggen. Gaan wij in uw vertrek – das werde ich Ihnen sagen. Gehen wir in Ihr Zimmer!«

»Gern, wenn Sie es wünschen. Doch bitte, hier zu warten, bis ich die andern Herren begleitet habe!«

Da fiel dem Dicken ein, daß ja gesungen werden solle. Er hatte versprochen, mitzusingen. Darum meinte er jetzt:

»Ik kan het ook morgen zeggen. Ik wil met slapen gaan – ich kann es auch morgen sagen. Ich will mit schlafen gehen.«

So schloß er sich also den andern an, welche der Onkel in ihre Zimmer brachte. Mit dem Methusalem in der Stube desselben angekommen, bemerkte der Wirt:

»Das war ein höchst genußreicher Abend, für welchen ich Ihnen nicht genug Dank sagen kann. Solche Stunden habe ich hier noch nicht erlebt.«

»Haben Sie wirklich ganz darauf verzichtet, die Heimat wieder zu sehen?«

»Ja. Einen Käufer finde ich nicht. Und soll ich meine Schöpfung und meine Arbeiter verlassen?«

»Besitzen Sie nicht Verwandte, welche Sie zu sich rufen können? Die Anwesenheit derselben würde Ihnen doch wenigstens einigermaßen die Heimat ersetzen.«

»Gewiß. Ich habe Verwandte und hegte auch schon denselben Gedanken wie Sie. Ich habe geschrieben.«

»Und werden sie kommen?«

»Das weiß ich nicht, da ich keine Antwort erhalten habe. Vielleicht sind sie verschollen.«

»Nun, in Deutschland ist das doch nicht so leicht.«

»Warum nicht? Ich hatte einen Bruder, welcher Lehrer war. Er ist wohl tot. Seine Witwe hat mit den Kindern nicht von der armen Pension zu leben vermocht. Nun sind sie auseinander gegangen, eins dahin und das andre dorthin, und keins ist mehr aufzufinden. Ich werde dafür bestraft, daß ich ihnen so lange Jahre keine Nachricht von mir zugehen ließ.«

»Nun, man darf die Hoffnung nie ganz aufgeben.«

»Das wohl; aber ich werde morgen, oder vielmehr heut, denn es ist schon nach Mitternacht, und um ein Uhr bin ich geboren, sechsundsechzig Jahre. Da hat man nicht mehr viel Zeit zum Hoffen und Warten übrig. Ihre Gegenwart macht mir den Geburtstag diesmal zum wirklichen Freudentag. Wir werden ihn feiern, denn ich habe Zeit dazu. Meine Leute arbeiten nicht, und ich werde Essen und Trinken unter sie verteilen lassen. Schlafen Sie jetzt wohl und ein frohes Wiedersehen nach dem Erwachen!«

Er ging.

»Noch vor dem Erwachen, ja, noch vor dem Einschlafen,« lachte der Methusalem leise hinter ihm her.

Er wartete noch eine Viertelstunde, bis im Hause alles ruhig war; dann wollte er zu Richard und Gottfried gehen. Aber da wurde seine Thür leise geöffnet; der letztere steckte den Kopf herein und fragte:

»Sie warten auf uns? Dürfen wir eintreten, jeehrter Freund und Ständchenjenosse?«

»Ja, komm herein! Wo sind denn die andern?«

»Sie folgen mich hinterdrein. Da sehen Sie dat janze Corps der Rache.«

Er schob Richard, Turnerstick und den Dicken herein. Draußen aber standen noch Liang-ssi, dessen Bruder, van Berken und auch der Bettlerkönig.

»Gut!« meinte Degenfeld. »So sind wir nun alle beisammen. Ist der Herr in seiner Schlafstube?«

»Ja. Liang-ssi hat eine Leiter an dat Fenster jelegt und den Spion jemacht. Soeben hat sich der Onkel zur Ruhe jelegt, die wir ihm aber nicht lassen werden.«

»So kommt! aber leise!«

»Ik ook?« fragte der Mijnheer.

»Ja. Wir müssen alle beisammen sein.«

»Und ik zal ook met zingen?«

»Nein. Sie schweigen.«

»Waarom?«

»Weil Sie nicht singen können.«

»O, ik kan zingen, ik kan zeer goed zingen!«

»Das ist möglich. Da wir aber noch keinen Beweis davon haben und es uns auch an der Zeit fehlt, uns diesen Beweis geben zu lassen, so ersuche ich Sie, nicht mitzusingen. Bitte, kommen Sie jetzt!«

Die vorher auf dem Korridor brennende Lampe war ausgelöscht worden. Die Herren hatten aber ihre Lichter mitgebracht; also gab es Beleuchtung genug. Sie schlichen sich bis zur Thür, hinter welcher das Wohnzimmer des Onkels lag. Degenfeld klinkte leise; sie ging auf. Die drei, der Methusalem, Gottfried und Richard, traten ein. Links von ihnen führte die Thür in das Schlafkabinett des Onkels. Sie war nur angelehnt; der Schein der Lichter fiel durch die Spalte hinaus. Er sah es und fragte auf chinesisch »Wer ist da draußen?«

Anstatt der Antwort erklang der Bierbaß des Methusalem: »Was ist des Deutschen Vaterland?« Gottfried und Richard fielen kräftig ein. Aber schon nach den ersten zehn oder zwölf Takten lauschten sie selbst erstaunt auf. Sie sangen nicht allein. Zu ihren drei Stimmen hatte sich ein wundervoller Tenor gesellt, ein Tenor, so glockenhell, so rund und trotz aller Zartheit so mächtig, daß sie sich umdrehten.

Da stand hinter ihnen der Dicke und sang mit ihnen:

»Ist‘s wo am Rhein die Rebe blüht,

Ist‘s wo am Belt die Möwe zieht?«

Ja, er konnte singen, der Mijnheer, und wie! Er hatte eine Stimme, und was für eine! Der Methusalem nickte ihm aufmunternd zu, und so ließ er diese Stimme nun nicht mehr schüchtern, sondern in ihrer vollen Stärke erschallen. Das gab einen prachtvollen Zusammenklang.

Als das Lied zu Ende war, stand der Onkel unter der Thür. Sein Gesicht war ein einziges großes Fragezeichen. Seine faltigen Wangen hatten sich gerötet, und seine Augen leuchteten vor Erregung. Mit fast zitternder Stimme rief er:

»Sie singen dieses prächtige Lied! Sie singen deutsch! Sie verstehen also auch deutsch! Warum haben Sie mir das nicht früher gesagt?«

»Um Ihnen zu überraschen,« antwortete der Gottfried voreilig. »Wir bringen Ihnen dieses Ständchen zum Jeburtstage und dazu die Erfüllung Ihres Lieblingswunsches. Sehen Sie sich diesen wohljeratenen Jüngling an, diesen – — – o weh! Hat ihm schon! Da ist es mit meine schöne Rede aus!«

Richard hatte sich nicht länger halten können. Noch während der Gottfried sprach, war er mit den Worten: »Onkel, lieber Onkel, ich bin dein Neffe!« auf Stein zugeeilt und hatte seine Arme um ihn geschlungen. Der Onkel stand starr vor freudigem Schreck. Die Arme hingen ihm schlaff herab.

»Mein Neffe – — Du – du bist mein Neffe?« stammelte er.

»Hinaus!« flüsterte Degenfeld den andern zu, indem er sie zurückdrängte. »Hier sind wir von jetzt an überflüssig.«

Er schob die Thür hinter sich zu. Drin erklangen die Stimmen des Oheims und des Neffen, schluchzend und jubelnd zugleich. Auf dem Korridor sagte der Gottfried:

»Wohin jehen wir einstweilen?«

»EinstweiIen?« antwortet der Blaurote. »Von einem EinstweiIen ist natürlich keine Rede. Wir gehen schlafen.«

»Dat wäre höchst incoulant!«

»Warum?«

»Weil der Onkel uns bald suchen wird, um uns zu danken.«

»Du willst einen Dank haben für deinen zweiten Bänkelsängertenor? Schäme dich!«

 

»Na, so war‘s nicht jemeint. Aberst er wird noch mit uns reden wollen. Wir werden ihm erzählen sollen!«

»Dazu ist morgen besser Zeit als jetzt. Uebrigens kann und wird Richard ihm alles erzählen. Lassen wir die beiden allein!«

Er ging nach seiner Schlafstube und legte sich nieder. Die andern mußten wohl oder übel seinem Beispiele folgen. Noch war er nicht eingeschlafen, so klopfte man an seine Thür. Auf seine Frage antwortete Richards Stimme.

»Onkel Methusalem, du sollst zu Onkel Daniel kommen.«

»Wozu?«

»Wir wollen hinunter in den Speisesaal, du sollst erzählen.«

»Wo sind die andern?«

»Die soll ich auch mitbringen, bin aber erst zu dir gegangen.«

»So laß sie liegen, und entschuldige auch mich. Ihr habt ein Recht, ungestört zu sein, und du kannst ja auch erzählen. Morgen ist ein langer Tag, ein Geburtstag, den wir feiern sollen. Da muß ich ausgeschlafen haben. Gute Nacht!«

Mit diesem Bescheide mußte Richard sich entfernen. Der Methusalem aber schlief mit dem Bewußtsein ein, seine Aufgabe mit der jetzigen Stunde ganz und voll gelöst zu haben.

Am Morgen wurde er durch ein abermaliges Klopfen geweckt. Er sah an die Uhr. Die Sonne schien schon hell, aber es war erst sieben.

»Wer klopft denn?« fragte er ärgerlich.

»Ich,« antwortete der Gottfried.

»Warum?«

»Erheben Sie sich aus die Eiderjänse! Es ist höchst wahrscheinlich ein Malheur passiert, wenn es nicht bloß eine Dummheit ist, die er bejangen hat.«

»Wer?«

»Der Mijnheer.«

»Was ist mit ihm?«

»Dat ist‘s eben, wat wir nicht wissen. Er ist verschwunden.«

»Unsinn!«

»Möglich, dat es nur ein Unsinn ist! Aberst er ist wirklich fort.«

»Wann denn?«

»Dat weiß nicht mal Buddha.«

»Warte, ich komme!«

Er kleidete sich schnell an und trat hinaus. Da stand der Gottfried mit Richard und Turnerstick.

»Endlich!« meinte der erstere. »Sollte man es denken, dat so ein Dicker solche dumme Streiche machen könnte!«

»Er hat doch mit dem Kapitän in einem Zimmer geschlafen, denke ich. Dem muß er doch etwas gesagt haben!«

»Ist ihm nicht eingefallen,« antwortete Turnerstick. »Er schnarchte wie ein Walroß, so daß ich stundenlang nicht einschlafen konnte. Endlich fand ich ein wenig Ruhe. Als ich dann erwachte, war er fort.«

»Er wird spazieren gegangen sein.«

»Der? So ein Langschläfer? Das ist ihm nicht eingefallen!«

»Wo sind denn seine Sachen?«

»Die hat er mit, die Gewehre, den Ranzen, den Schirm, kurz, alles! Und das ist es eben, was mich so besorgt macht.«

»Pah! Wie können Sie denken, daß der Mijnheer uns durchgeht. Von seinen Sachen trennt er sich überhaupt nie. Daß er sie mitgenommen hat, ist kein Beweis dafür, daß er hat verschwinden wollen.«

»Aber daß er vor uns aufgestanden ist!«

»Das ist freilich höchst ungewöhnlich von ihm. Ist Onkel Daniel schon auf?«

»Jedenfalls,« antwortete Richard. »Wir haben bis Tagesanbruch in seiner Stube gesessen. Dann schickte er mich schlafen. Er selbst, sagte er, werde aber wohl nicht schlafen können.«

»Wollen fragen und suchen.«

Sie erkundigten sich bei der Dienerschaft nach dem Dicken. Niemand hatte ihn gesehen. Nun verließen sie das Haus, um nach ihm zu suchen. Das war aber sehr überflüssig, denn kaum hatten sie die Thür hinter sich, so sahen sie ihn kommen, den Schirm geöffnet, die beiden Flinten und den über dieselben gehängten Tornister auf dem Rücken. Neben ihm schritt Onkel Daniel, mit welchem er sich in einem sehr eifrigen Gespräch zu befinden schien. Als beide die Wartenden erblickten, kamen sie schnelleren Schrittes herbei. Onkel Daniel rief schon von weitem:

»Guten Morgen, Herr Degenfeld! Guten Morgen, meine Herren! Schon munter? Das freut mich, denn um so eher kann ich Ihnen da sagen, was ich heute früh nicht sagen konnte, weil Sie sich mir entzogen, nämlich, wie außerordentlichen Dank ich Ihnen schulde. Wer hätte das denken und ahnen können! Wer – —«

»Bitte!« unterbrach ihn der Methusalem. »Es gibt wirklich keinen Grund zu so besonderer Dankbarkeit. Wir haben Ihnen den Neffen gebracht und genießen dafür Ihre Gastfreundschaft. Wir sind quitt!«

»Das ist nicht wahr. Das kann ich nicht zugeben. Ihre Anwesenheit hat meinem Leben eine ganz neue, glückliche Richtung gegeben, besonders seit ich jetzt mit diesem Herrn gesprochen habe.«

»Mit Herrn van Aardappelenbosch? Ja, den suchen wir eben. Sagen Sie uns doch einmal, was Sie heute gemacht haben, Mijnheer!«

»Heden – heut?« fragte der Dicke.

»Ja, heute früh.«

»Daar ben ik opgestaan – da bin ich aufgestanden.«

»Schön! Und dann?«

»Daar ben ik voortgegaan – da bin ich fortgegangen.«

»So! Warum?«

»Waarom? Dewijl ik al het olie koopen wil – warum? Weil ich das ganze Oel kaufen will.«

»Darum sind Sie so zeitig aufgestanden?«

»Ja, darum,« erklärte der Onkel Daniel. »Mijnheer van Aardappelenbosch hat vielleicht sonst die Eigenschaft, gut und lange zu schlafen, heute aber hat ihm ein sehr lebhafter Wunsch, welchen er hegt, keine Ruhe gelassen. Ich konnte vor Freude nicht schlafen. Als es hell war, wollte ich einen Spaziergang unternehmen und traf auf der Treppe den Mijnheer, dem ich sehr willkommen war, denn nun fand er Gelegenheit, mir das zu sagen, was er mir vorher nicht sagen konnte, weil er gern mitsingen wollte.«

»Wohl, daß er das ganze Oel kaufen will?«

»Ja, das ganze Oel!«

»Al het olie, al het huis en al het land – das ganze Oel, das ganze Haus und das ganze Land!« nickte der Dicke sehr ernsthaft.

»Aber das ist doch nicht Ihr wirklicher, ernster Wille, Mijnheer?« fragte Degenfeld.

»Ik wil het, en ik maak het – ich will es und ich mache es!«

»Ich habe es bisher für Scherz gehalten!«

»O nein, es ist sein völliger Ernst,« sagte der Onkel. »Ich habe ihm sogar schon den Preis genannt. Er will Rücksprache mit dem Ingenieur nehmen und sich in den Büchern orientieren. «

»Das nenne ich Entschlossenheit! Sie sind ein kühner Mann, Mijnheer!«

»Ja, ik ben dapper. Ik ben zwak en ziek, en ik wil dik en gezond worden. De lucht is hier zeer goed – ja, ich bin tapfer. Ich bin schwach und siech, und ich will dick und gesund werden. Die Luft ist hier sehr gut.«

»Nun, mir kann das sehr recht sein,« meinte Stein. »Ich habe es für unmöglich gehalten, einen Käufer zu finden. Jetzt, da sich Mijnheer van Aardappelenbosch bereit erklärt, das Etablissement käuflich zu übernehmen, wird mir das Herz leicht. Meine Arbeiter bekommen einen guten Herrn, und ich kann in die Heimat zurückkehren. Werden wir einig, so sorge ich, soviel es mir möglich ist, dafür, daß er dieselben Erleichterungen findet, welche ich gefunden habe. Ich werde ihn dem Schutz des T‘eu empfehlen, und von den Hoei-hoei bin ich überzeugt, daß sie meinem Nachfolger dasselbe Wohlwollen schenken wie mir. Wegen der Sprache braucht ihm nicht bange zu sein, da der Ingenieur ja die seinige spricht, und so viel Chinesisch, wie man braucht, um sich den Arbeitern verständlich zu machen, ist bald gelernt. Doch, solche Arrangements lassen sich nicht an einem Tage und auch nicht in einer Woche treffen. Wir haben ja Zeit und je länger Sie bei mir bleiben, desto lieber ist es mir. Jetzt wollen wir zum Frühstück, und dann sollen Sie mir von Ihrer Heimat und Ihrer Reise erzählen!«

Sie kehrten in das Haus zurück. Der Dicke ging langsam hinterdrein und sagte für sich:

»En ik maak het dook. Ik koop al het olie en al het Ho-tsing-ting – und ich mache es doch. Ich kaufe das ganze Oel und das ganze Ho-tsing-ting!«

Dabei blieb er, heute und auch die kommenden Tage. Er ließ dem Onkel Daniel keine Ruhe. Dieser mußte ihn in seine Bücher einweihen und ihm alles zeigen und erklären. Der Dicke besichtigte und prüfte jeden Gegenstand und entwickelte dabei eine Beweglichkeit und Ausdauer, welche zu bewundern war. Bald erfreute er sich einer großen Beliebtheit bei den Arbeitern. Er konnte zwar nicht mit ihnen sprechen, aber er kannte den chinesischen Gruß, und sein Tsching-tsching klang einem jeden, der ihm begegnete, schon von weitem entgegen. Dabei nickte er so freundlich mit dem Kopfe und lächelte jeden so herzlich an, daß sie geradezu gezwungen waren, ihn lieb zu gewinnen.