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Der blaurote Methusalem

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»Sehr gut!« lachte Gottfried. »Da haben Sie mir jewaltig ablaufen lassen, und ik jestehe, dat ik es wohl verdient habe. Aberst es war nicht so jemeint, und es fuhr mich nur so heraus, weil Sie dick sind und der Kaffer auch. Darum nichts für unjut, oller Schwede! Ich bleibe doch Ihr bester Freund, den Sie haben, und wir können uns also janz jut von- und miteinander fürs Jeld sehen lassen. Nicht?«

»Neen! Ik wil weten, wat ik in Ho-tsing-ting zijn zal – nein! Ich will wissen, was ich in Ho-tsing-ting sein soll.«

»Wat Sie für eine Rolle spielen sollen? Essen Sie und trinken Sie! Dat wird wohl das beste sein.«

»Ja, dat is goed; dat laat ik geern gelden. Gij zijt mijn vriend, en ik heb zij zeer liev – ja, das ist gut; das lasse ich gern gelten. Sie sind mein Freund, und ich habe Sie sehr lieb.«

Bei diesen Worten, welche der gute Mensch nicht etwa ironisch, sondern in vollem Ernste aussprach, reichte er dem Gottfried seine Hand hinüber, welche derselbe herzhaft drückte.

»So ist‘s recht,« sagte der Methusalem. »Freunde dürfen scherzhafte Worte nicht auf die Goldwage legen. Aber, Gottfried, hüte deine Zunge besser! Wer sich zu schnell gehen läßt, der muß sich darauf gefaßt machen, einmal derb angehalten zu werden. Du wirst mir, wie schon oft gesagt, zuweilen zu üppig.«

»Davon ist mich nichts bewußt, und wat ich dem Mijnheer sagte, dat war nur eine kleine und sehr jerechte Rache.«

»Wofür?«

»Für seine Dampfsäge.«

»Ah! Hat er heute nacht geschnarcht?«

»Jeschnarcht! Wat dat für ein jelinder und nachsichtiger Ausdruck ist! Jesägt hat er! Baumstämme hat er auseinander jerissen und zu Brettern verschnitten, Baumstämme so stark und lang wie ein Leuchtturm, dat die Latten und Schalen nur so abjeflogen sind!«

»Neen,« protestierte der Dicke. »Dat kan ik niet. Daarvan wet ik niets – nein. Das kann ich nicht. Davon weiß ich nichts.«

»Ja, weil Sie schlafen wie ein Faß, welches sich auch dann noch nicht regt, wenn es jeschüttelt wird. Ik habe alles versucht, Ihnen sojar die Nase zujehalten; aberst auch dat half nichts, denn da schnarchten Sie dann mit dem Munde. Wie Sie dat fertig bringen, dat erklärt mich kein Strumpfwirker und kein Schlosser, wat doch sehr jeräuschvolle Handwerke sind. Mir bekommen Sie nie wieder als sanften Ruhejenossen! Wenn ich Ihnen wejen nächtliche Ruhestörung anzeige, bekommen Sie drei Jahre Bruchsaler Einzelhaft und müssen auch noch die Kosten tragen. Ich war voller Jift und Jalle, und da ist mich, ohne dat er erst viel um Erlaubnis jefragt hat, der dicke Kaffer entfahren. Er muß selbst im allerschlimmsten Falle, so wie die Anjelejenheiten stehen, bei jedem jerecht denkenden Richter Milderungsjründe finden. Jehen wir also darüber schleunigst zur Tagesordnung über! Wir hatten von Onkel Daniel jesprochen und von dem Plane, ihm uns als englische Studenten anzubieten. Bei welche Jelejenheit aber soll er dann die Wahrheit erfahren?«

»Bei der ersten passenden. Vorher läßt sich das nicht sagen,« meinte Degenfeld.

»O doch! Der Mensch muß sich seine juten Jelejenheiten immer selbst machen können.«

»Nun, so versuche es, und mache eine!«

»Schön! Ich setze also den Fall, er sei zur Ruhe jegangen und schläft, ohne dat ihm die Sägemühle des Mijnheer um seinen jerechten Schlummer übervorteilt. Er wird träumen, und von wat? Als juter Deutscher natürlich von seine jeeinigte Heimat. Und während da Preußen und Sachsen, Bayern, Württemberg und Baden, Lippe-Detmold und Vaduz samt den Hansestädten an seinem Jeiste vorüberziehen, stimmen wir unter dem Fenster seines trauten Kämmerleins ein deutsches Ständchen an, ein Terzett, wie wir es ja oft daheim jesungen haben, wenn wir zufälligerweise einmal nicht alle drei zugleich an Heiserkeit litten. Wat sagen Sie zu diese schneidige Idee?«

»Sie ist nicht schlecht.«

»Nicht wahr?«

»Nein, sie ist vielmehr sehr gut,« stimmte Richard bei. »Wir wählen eins von unsren prächtigen Liedern aus, welche Mutter stets so gern hörte.«

»Aber welches? « fragte der Methusalem, welcher sich schon im voraus darauf freute, seinen gewaltigen Bierbaß wieder einmal hören lassen zu können.

»Natürlich eins, welches zu die Situation paßt,« antwortete der Gottfried. »Da die musikalische Widmung an eine nachtschlafende Person jerichtet ist, so schlage ich vor, dat Ruhe bringende Lied:

»Schlaf, Kindchen, schlaf!

Dein Vater kauft ein Schaf« zu singen. Und wenn er darüber aufjewacht ist, so bringen wir als zweiten Jang, wat ihm sofort wieder einlummern muß, vielleicht dat liebliche:

»Ein Schäfermädchen weidete Zwei Lämmer an der Hand, Auf einer Flur, wo fetter Klee Und Jänseblümchen stand.«

Und wenn er dann wieder bei Morpheusens ruht, so – — – «

»Schweig!« lachte der Methusalem. »Es muß etwas Kräftiges sein, denn zu etwas anderm paßt meine Kehle nicht. Ein kerniges, echt deutsches Lied, so wie Arndt sie gedichtet hat.«

»Da gibt‘s ja gleich eins, welches paßt,« meinte Richard. »Es ist von Arndt und muß jeden Deutschen, welcher es in der Fremde hört, erfreuen, zumal, wenn man ihn damit, daß man ein Deutscher ist, überraschen will. Ich meine nämlich: ‚Was ist des Deutschen Vaterland?‘«

»Ja, das ist‘s, das wird gesungen. Das ist etwas für meinen Baß. ‚Was ist des Deutschen Vaterland?‘«

Diese letzten Worte sprach er nicht, sondern er sang sie nach der allbekannten Melodie, und zwar mit so dröhnender Stimme, daß die Pferde stutzten und die Reiter sich erschrocken nach ihm umwandten. Er lachte erfreut über diese Wirkung seines Stimmorgans und fuhr fort.

»Wir können alle Verse auswendig, und umwerfen werden wir auch nicht, da wir drei das Lied unzählige Male dreistimmig gesungen haben, du die Melodie, Richard, der Gottfried das Zwischengesäusel und ich die Grund- und Orgeltöne.«

»En ik?« fragte der Mijnheer. »Ik wil ook met zingen!«

»Sie?« fragte der Gottfried. »Können Sie denn singen?«

»O, zeer goed, zeer fraai. Ik kan zingen en flueten als eene meerle of nachtegal – o, sehr gut, sehr schön. Ich kann singen und pfeifen wie eine Amsel oder Nachtigall.«

»Aber nicht deutsch!«

»Ook duitsch.«

»Wo haben Sie das jelernt?«

»In Keulen. Ik was daar metlid van de Lyra – in Köln. Ich war da Mitglied der Lyra.«

»Also eines Gesangvereins?«

»Ja. Wij hebben daar saturtag ‚s avonds gezongen – ja. Wir haben da Samstag abends gesungen.«

»So! Aberst dat Lied, welches wir meinen, dat kennen Sie wohl nicht?«

»Wat is des duitschers vaderland? O, dat kan ik ongemeen fraai zingen – o, das kann ich ungemein schön singen.«

»Und wat haben Sie für eine Stimme?«

»Eene zeer gunstige een bijzondere – eine sehr günstige und vorzügliche.«

»Ich meine, ob Sie Baß, Tenor oder Bariton singen?«

»Ik zing zeer hoog; ik heb ten minste Diskant en ook nook hooger – ich singe sehr hoch; ich habe mindestens Diskant und auch noch höher.«

»Wat! Diskant und noch höher? Dann singen Sie wohl Pikkoloflöte?«

»Ja wel; ik zing ook de fluite; ik zing veel beter als de leeuwerik en de kwaktel – ja wohl; ich singe auch die Flöte; ich singe viel besser als die Lerche und die Wachtel.«

»So sind Sie ein wahres Unikum, und ich bin neugierig, Sie zu hören.«

»Zal ik straks thans eenmal zingen? Ik ontgin zoofoort – soll ich gleich jetzt singen? Ich fange sofort an!«

»Ja, singen Sie etwas Schönes!«

»Zoo word ik zingen eene duitsche zangwijze, namelijk: morgenrood, morgenrood. Niet? – so werde ich singen eine deutsche Melodie, nämlich: Morgenrot, Morgenrot. Nicht?«

»Ja. Fangen Sie an; dann leuchtet‘s mich janz jewiß zum frühen Tod.«

Der Dicke hustete einige Male sehr nachdrücklich, um seine Kehle zu reinigen; dann fuhr er sich mit dem Finger hinter die Halsbinde, um sich zu überzeugen, daß dort nichts vorhanden sei, woran die Töne hängen bleiben könnten. Dann machte er die Augen zu und rief: »Voorgezien, voorgezien – vorgesehen, vorgesehen!« als ob für die Zuhörer eine Gefahr nahe sei, und öffnete den Mund, um sein musikalisches Exempel zu statuieren. Da aber bat ihn der Methusalem:

»Jetzt nicht, jetzt nicht, Mijnheer! Wir wollen lieber warten bis zum Abend.«

Er befürchtete, daß der Dicke sich lächerlich machen werde. Dieser machte den Mund wieder zu und die Augen auf und meinte in gleichmütigem Tone:

»Ik heb niets daartegen. Ik kan ook ‚s avonds zingen. Het klinkt insgelijks goed – ich habe nichts dagegen. Ich kann auch des Abends singen. Es klingt ebenfalls gut.«

Von diesem Erfolge befriedigt, lenkte der Methusalem sein Pferd wieder an die Seite des Bettlerkönigs, wo es zwar weniger zu lachen, aber mehr zu lernen gab.

Der Trupp hatte die Bergkette längst hinter sich und befand sich auf einem weiten unabsehbaren Gefilde, aus dessen Grün die Häuser zahlreicher Dörfer hervorblickten. Wald gab es gar nicht, aber in der Nähe der Ortschaften Fruchtbäume genug. Die Felder wurden durch nutzbare Bambushecken voneinander getrennt.

Die gut gepflegte Straße führte an der Seite des erwähnten Nebenflüßchens hin, bis sie dasselbe in östlicher Richtung verließ, um sich nach dem Gebiete des Dschangflusses zu wenden, an dessen nördlichem Quellarme Ho-tsing-ting lag.

Kurz vor Mittag wurde Rast gemacht, doch nur um die Pferde zu tränken. Dann ging es wieder weiter. Man merkte mehr und mehr, welchem Orte man sich näherte. Karren mit Kohlen oder Petroleumgefäßen begegneten den Reisenden. Einzelne Arbeiter mit geschwärzten Gesichtern kamen vorüber, und in der Luft machte sich jener nicht sehr angenehme Duft bemerkbar, welcher in der Nähe von Petroleumwerken unausbleiblich ist.

»Dat riekt goed,« sagte der Mijnheer; »dat heb ik gaarn; dat is zeer gezond voor de borst en de long – das riecht gut; das habe ich gern; das ist gesund für die Brust und die Lunge.«

Er hatte sich einmal in diese Gegend verliebt, und nun gefiel ihm alles, was dieselbe bot.

 

»Ja,« nickte der Gottfried zustimmend. »Der Petroleumgeruch soll ein ausgezeichnetes Mittel gegen die Verzehrung sein. Wäre ich kränklich und von schwacher Leibesgestalt, so würde ich hier in China bleiben.«

»Ja, gewisselijk! Ik ben zwak, en ik blijf daarom hier.«

»Daran thun Sie sehr recht, denn bei dieser gesunden Luft braucht man weder Thee noch Wörterbuch. Sie werden sich hier sehr schnell erholen.«

Man ritt jetzt durch ein Dorf, den letzten Ort vor Ho-tsing- ting. Am Einkehrhause stieg soeben ein Reiter auf sein Pferd. Er war ein junger Mann von vielleicht dreißig Jahren und vollständig chinesisch gekleidet; doch trug er keinen Zopf.

»Holla, Monsieur van Berken, treffen wir Sie hier? Reiten Sie heim?« rief ihm Liang-ssi in deutscher Sprache zu.

Der Mann hatte sich nicht umgeblickt und also die Reiter nicht gesehen. Jetzt wendete er ihnen das Gesicht zu. Als sein Auge auf Liang-ssi und den Bettlerkönig fiel, leuchteten seine intelligenten Züge freudig auf; er lenkte sein Pferd zu ihnen hin, reichte dem ersteren die Hand, verbeugte sich vor dem letzteren und sagte, doch in chinesischer Sprache:

»Das ist eine Ueberraschung! Endlich, endlich kehren Sie zurück, lieber Liang-ssi! Wir glaubten, es sei Ihnen ein Unglück begegnet, da Sie so viel länger fortblieben, als vereinbart war. «

»Da haben Sie sich auch nicht getäuscht.«

»Wirklich? Was ist geschehen?«

»Ich geriet unter die Piraten.«

»Alle Wetter! Das müssen Sie erzählen. Wie haben Sie sich wieder losgemacht?«

»Mir wäre das unmöglich gewesen. Ich habe meine Befreiung diesen fremden Herren zu verdanken, welche Herrn Stein kennen lernen wollen, vier Englishmen und ein Holländer, Mijnheer von Aardappelenbosch, welcher außerordentlich erfreut war, als er von mir erfuhr, daß er in Ihnen hier einen Herrn aus Belgien sehen werde.«

»Wie? Sie sind ein Niederländer, Mijnheer?« fragte der Ingenieur erstaunt, indem er sich der deutschen Sprache bediente, da er wußte, daß Liang-ssi derselben mächtig war.

»Ja, ik ben een Nederlander,« antwortete der Dicke. »En gij, wat zijt gij?«

»Ich bin ein Belgier, aus Louvain gebürtig.«

»Louvain, dat is Löwen! Zijt gij de machinist, de mechaniker von Mijnheer Stein?«

»Ja, ich bin der Maschinist, der Mechaniker dieses Herrn.«

»Dat is goed! Dat is zeer fraai! Spreekt gij ook hollandsch – das ist gut! Das ist sehr schön! Sprechen Sie auch holländisch?«

»Ja.«

»Zo moeten wij hollandsch spreeken!«

»Sehr gern! Aber die andern Herren würden uns nicht verstehen. Warten wir also, bis wir allein sind! Ich freue mich sehr, mich wieder einmal dieser Sprache bedienen zu können.«

»Ik ook. Wij zullen zeer goed spreeken. Hoe is dat eten in Ho-tsing-ting – ich auch. Wir werden sehr gut sprechen. Wie ist das Essen in Ho-tsing-ting?«

»Das Essen?« antwortete der Belgier, einigermaßen erstaunt über die so unvermittelte Erkundigung. »Ich kann es nur loben. Wir speisen nach chinesischer und auch nach unsrer heimatlichen Küche.«

»Dat is zeer goed van dezen oom Daniel – das ist sehr gut von diesem Onkel Daniel!«

»Sie nennen ihn Ohm, also Onkel? Sie wissen auch seinen Vornamen? Wie kommen Sie dazu, ihn Onkel zu heißen?«

»Dewijl – aangezien – — naardien – — – weil – in Hinsicht, daß – — indem – — – « stotterte der Dicke verlegen, da er im Begriffe gestanden hatte, das zu verraten, was einstweilen noch Geheimnis bleiben sollte.

»Ich will es Ihnen sagen,« kam ihm der Methusalem in deutscher Sprache zu Hilfe. »Wir wollten eigentlich noch nicht darüber sprechen; aber Sie werden uns nicht verraten, und vielleicht bedürfen wir auch Ihrer Hilfe. Wir sind nämlich keine Engländer, sondern Deutsche.«

»Deutsche, ah! Doch nicht etwa gar – — – ?«

Er musterte die studentisch Angezogenen mit unsicherem Blicke.

»Nun, was meinen Sie? Doch nicht etwa gar – — – ?«

»Aus der Heimat meines Herrn?«

»Ja, daher kommen wir.«

»Und ist dieser junge Herr vielleicht ein Neffe meines Herrn?«

Er deutete auf Richard.

»Ja, das ist er. Er heißt Richard Stein.«

»Welch eine Ueberraschung! Meine Herren, ich begrüße Sie auf das Herzlichste. Sie können sich denken, daß Sie hoch willkommen sein werden!«

»Das hoffen wir allerdings!«

»Ja, ich kann Ihnen versichern, daß er Sie mit offenen Armen aufnehmen wird.«

Er schüttelte ihnen die Hände und fuhr dann fort:

»Aber wie ist es Ihnen möglich gewesen, in dieser Kleidung bis hierher zu kommen?«

»Warum sollte das nicht möglich sein?«

»Sie müssen ungeheures Aufsehen erregt haben. Ihre Mützen fallen ja schon in der Heimat auf, um wieviel mehr also hier!«

»Nun, man hat uns allerdings mit großer Aufmerksamkeit betrachtet. Es ist uns das zuweilen lästig geworden, aber wirkliche Unannehmlichkeiten oder gar Schaden haben wir davon nicht gehabt.«

»Das wundert mich! Dieser Herr hat ja sogar ein Fagott mit!«

»Ja, dat habe ich mit!« nickte der Gottfried, »und warum sollte ich es nicht mitnehmen? Es ist mich ans Herz jewachsen, denn es stammt von einem Jevatter meines Urjroßvaters her und hat sich so nach und nach von Kind auf Kindeskind jeerbt. Es ist ein Universalstück. Wenn ich den Knauf oben abschraube und die Löcher zuhalte, wozu jrad zwölf Fingerspitzen jehören, so kann ich es als Blasrohr benutzen. Ich kann mir mit ihm jegen Räuber und sonstige Onkels verteidigen, indem ich sie anfagotte und, wenn sie nicht sofort ausreißen, ihnen dat Instrument um die Köpfe schlage. Es ist mich stets treu jewesen, hat mir nie beleidigt und jekränkt und soll mir auch fernerhin durch dat Leben begleiten, bis ik mir zu meinen Vätern versammle und ihm dann auch die Luft ausjeht.«

»Es scheint, daß Sie eine lustige Gesellschaft sind?« lachte van Berken.

»Ja, dat sind wir! Und warum sollten wir es nicht sein? Wir haben ein jutes Jewissen, und wir haben Jeld, heidenmäßig viel Jeld, dat heißt, nicht ich, sondern unser Methusalem. Und sodann —«

»Methusalem?« unterbrach ihn der Belgier erstaunt.

»Ja. Wir haben uns Ihnen noch jar nicht vorjestellt. Ich bin nämlich der Jottfried von Bouillon, welcher damals den Ungläubigen so viel zu schaffen jemacht hat.«

»Zur Zeit der Kreuzzüge?«

»Ja. Wann denn sonst! Und dieser Herr ist derjenige Methusalem, welcher schon im Alten Testamente sich eine ehrenvolle Erwähnung zujezogen hat. Zwar ist er seitdem noch älter jeworden, aber seine Jeisteskräfte scheinen nicht darunter jelitten zu haben. Er ist ein juter, lieber – — – «

»Schweig!« fiel Degenfeld ihm in die Rede. »Ich werde mich selbst vorstellen, denn aus deinem Gefasel wird niemand klug. Uebrigens sind die Chinesen uns vorangeritten, und wir müssen sie einholen. Sie wollten doch von hier auch nach Ho-tsing-ting, Herr van Berken?«

»Das war meine Absicht,« antwortete der Gefragte.

»So kommen Sie! Ich werde Sie unterwegs von allem Nötigen unterrichten.«

Der T‘eu war mit seinen Leuten langsam weitergeritten, wohl um bei der Begrüßung nicht zu stören. Die andern hatten bisher beim Einkehrhause gehalten; jetzt ritten sie schnell weiter. Dabei erklärte der Methusalem dem Ingenieur die Gründe und den Verlauf der Reise bis zur gegenwärtigen Stunde. Als er geendet hatte, rief der letztere aus:

»Das ist ja ein wahrer Roman, über den man ein Buch schreiben könnte! Und, nehmen Sie es mir nicht übel, Sie alle sind ganz sonderbare Menschen!«

»Pst! Das Wort ‚sonderbar‘ ist bei uns verboten. Es enthält eine große Beleidigung. Sie haben es aber gut gemeint, und so will ich Sie nicht auf Schläger anrennen. Ja, ein wenig sonderbar mögen wir sein, aber doch sehr gute Kerls, denen Sie wohl den Gefallen thun werden, einstweilen zu verschweigen, wer sie sind und was sie hier wollen?«

»Natürlich! Ich werde nichts verraten. Aber nehmen Sie sich in acht, daß der Onkel nichts errät! Er ist ein halber Yankee geworden, ein Pfiffikus, welcher den Menschen schnell durchschaut.«

»Wir werden vorsichtig sein. Aber, sagen Sie, bereitet es ihm denn keine Schwierigkeiten, hier mit den Chinesen zu verkehren?«

»Früher hat es ganz bedeutende gegeben; jetzt sind sie überwunden, und zwar zumeist mit Hilfe des Bettlerkönigs, welcher einen Einfluß besitzt, von dem Sie keine Ahnung haben, obgleich Sie an sich selbst einen Beweis davon erlebten. Er hat es so weit gebracht, daß mein Herr nicht nur geduldet wird; Stein ist einer der angesehensten Männer der Provinz und darf sich der Freundschaft und des Schutzes der höchsten Mandarinen rühmen. Sein Etablissement hat eine solche Ausdehnung erreicht, daß meine Kräfte nicht mehr zureichend sind. Nächstens wird mein Bruder kommen, welcher auch Ingenieur ist und als zweiter technischer Leiter angestellt werden soll. Die Oelquellen sind eine Wohlthat für die weite Umgegend geworden. Wir beschäftigen nur arme Leute, welche uns der T‘eu empfiehlt. Diese Chinesen hängen mit großer Liebe und Dankbarkeit an uns. Wir haben ihnen hübsche Arbeiterwohnungen erbaut und sind eifrig besorgt, daß alle ihre berechtigten Bedürfnisse befriedigt werden. Früher mag es sogar ein wenig gefährlich gewesen sein, unter diesen Leuten zu wohnen; aber Herr Stein hat sich ihrer Weise und ihren Anschauungen anbequemt und es nur im Notfalle merken lassen, daß er anders denkt und fühlt als sie. Später gelang es ihm, die Freundschaft des T‘eu zu erlangen, und jetzt steht er sogar unter dem Schutze der Mohammedaner, welche sich empört haben und das Land unsicher machen. Er ist ein geschickter Diplomat, welcher sich selbst die widrigsten Verhältnisse nutzbar zu machen versteht.«

»Aber er ist krank?«

»Ja, aber mehr im Gemüt als körperlich. Obgleich er es nicht zugestehen will, so möchte ich doch behaupten, daß es die Sehnsucht nach der Heimat ist, welche heimlich an ihm zehrt. Er würde vielleicht nach Deutschland zurückkehren, aber sein Unternehmen hält ihn hier fest. Er betrachtet es als eine heilige Pflicht, seinen Arbeitern das zu bleiben, was er ihnen jetzt ist. Wollte er verkaufen, so würde er keinen Käufer finden. Ein Chinese würde weder das nötige Kapital noch die Intelligenz besitzen, welche der Besitzer so großartiger Anlagen haben muß.«

»O, ik heb geld!« rief da der Mijnheer.

»Sie?« fragte der Belgier.

»Ja, ik heb geld, ten eerste geld, ten tweede geld en ten derde ook weder geld – ja, ich habe Geld, erstens Geld, zweitens Geld und drittens wieder Geld!«

»Das klingt ja ganz so, als ob Sie als Käufer auftreten wollten!«

»Dat wil ik ook! Ik heb veel geld! En ik heb ook opvoeding en onderwijs gehad; ik ben niet dom; ik ben een wijse mensch, een zeer wijse mensch – das will ich auch! Ich habe viel Geld! Und ich habe auch Erziehung und Unterricht gehabt; ich bin nicht dumm; ich bin ein weiser Mensch, ein sehr weiser Mensch!«

»Das glaube ich Ihnen ganz gern; aber ist das der Grund, Ho-tsing-ting zu kaufen?«

»Neen. Ik wil Ho-tsing-ting koopen, dewijl hier de lucht zoo goed en gezond is. Ik ben ziek en zwak; ik wil hier weder gezond werden, gezond en dik – nein, ich will Ho-tsing-ting kaufen, weil hier die Luft so gut und gesund ist. Ich bin krank und schwach; ich will hier wieder gesund werden, gesund und dick!«

Van Berken ließ sein Auge mit verwundertem Blicke über die Gestalt des angeblich Kranken schweifen und meinte lächelnd:

»Nun, ich denke, daß Sie sich hier wieder anessen können.«

»Dat denk ik ook. Ik wil eten en drinken, dat ik zoo dik hoe een nijlpaard worde – das denke ich auch. Ich will essen und trinken, daß ich so dick wie ein Nilpferd werde!«

Der Belgier schien zu merken, wessen Geistes Kind er vor sich habe. Er warf dem Methusalem einen munteren Blick zu und hätte das Gespräch wohl gern fortgesetzt, wenn sie nicht eben jetzt den T‘eu eingeholt hätten, mit welchem er ja auch zu sprechen hatte.

Dieser wollte nur aus freundschaftlichen und nicht aus geschäftlichen Gründen nach Ho-tsing-ting gehen. Er erhob dort überhaupt niemals Forderungen, da Stein weit mehr an seinen Arbeitern und überhaupt an den Armen that, als der von ihm zu erhebende Betrag ergeben hätte.

Von dem Dorfe aus, durch welches man soeben geritten war, hatte man nur noch eine Viertelstunde bis zur Grenze von Ho-tsing-ting. Die Felder hörten auf. Man sah nackte Schutthalden liegen, auf denen hölzerne Zechenhäuschen standen – die Kohlengruben. Weiterhin erhoben sich hohe, eigentümliche Gerüste, meist mit einem Schutzdache versehen. Das waren alte Bohrwerke, welche nun in Ruhe standen.

Auf einer Anhöhe stand ein stattliches Haus. Es war im chinesischen Stile erbaut, mutete aber doch die Deutschen heimlich an.

»Das ist das Wohngebäude des Herrn,« erklärte der Ingenieur. »Und da rechts und links sehen Sie die Arbeiterniederlassungen in der Ebene liegen. Sie zeichnen sich, wie Sie bemerken werden, durch große Sauberkeit aus. Sie sind so gesund und bequem, daß ein deutscher Arbeiter froh sein würde, da wohnen zu können.«

 

»Und wat ist dat für eine Menschenmenge da oben vor dem Wohnhause?« fragte der Gottfried. »Dat müssen ja mehrere hundert Personen sein!«

»Ueber fünfhundert. Es sind die Arbeiter, welche ihren Lohn erhalten. Heut ist zeitig Schicht, da morgen gefeiert wird.«

»Jiebt‘s einen jötzendienstlichen Feiertag?«

»Nein, sondern einen privaten. Es ist der Geburtstag des Herrn Stein, an welchem er nie arbeiten läßt.«

»Sein Jeburtstag! Hast du es jehört, Richard! Weißt du, wat wir ihm da bescheren? Dat allerbeste, wat er bekommen kann, nämlich dich.«

Richard war still. Er pflegte sich überhaupt am liebsten schweigend zu verhalten. Jetzt nahte der Augenblick, an welchem er den Oheim sehen sollte. Das ergriff ihn auf das tiefste. Seine Augen waren feucht, und es that ihm herzlich leid, daß er sich nicht in die Arme des Verwandten werfen konnte. Man hatte die Nahenden gesehen. Die Arbeiter oben vor dem Hause riefen laut und jubelnd, daß der T‘eu komme. Viele kamen ihm entgegen, um die ersten zu sein, welche ihn begrüßten. Die andern bildeten eine Gasse, durch welche die Ankömmlinge zu dem Manne ritten, welcher an einem Tische gestanden hatte, der von Münzen ganz bedeckt war. Er kam ihnen entgegen und begrüßte den T‘eu auf chinesische Weise, so wie es unter Gleichstehenden geschieht.

Stein war lang und hager, über sechzig Jahre alt. Zwar trug er keinen Zopf, aber sein langes Haar hing unter dem Hute hervor. Es war silberweiß. Sein scharf geschnittenes Gesicht zeigte tiefe Falten, die Spuren langer körperlicher und auch geistiger Anstrengung. Man sah es diesem Gesichte an, daß der Mann einen festen, selbständigen Charakter habe, und doch lag eine freundliche Milde, welche dem Beschauer wohl that, über dasselbe ausgebreitet.

Der T‘eu und dessen Leute waren für ihn gewöhnliche Erscheinungen. Als sein Auge aber auf die andern fiel, zog er erstaunt die Brauen empor und rief:

»Nguot! Y-jin – was sehe ich? Das sind ja Fremde!«

»Ja, Europäer!« antwortete van Berken.

»Ihre Kleidung läßt das vermuten.«

»Und ich halte es für meine Pflicht, sie Ihnen vorzustellen, denn ich bin derjenige, welcher die Herren zuerst kennen lernte und ihnen sein Leben zu verdanken hat,« fiel Liang-ssi ein. »Sie werden das nachher ausführlich erfahren. Jetzt vor allen Dingen ihre Namen. Dieser Herr, dem es beliebt hat, die Kleidung eines chinesischen Mandarinen anzulegen, ist der Seekapitän Heimdall Turnerstick aus London, auf dessen Schiff die andern Herren eine Reise um die Welt machen. Sie sind Studenten der Universität zu – zu – zu – — – «

Seine geographischen Kenntnisse ließen ihn hier im Stiche.

»Zu Oxford,« kam ihm der Methusalem zu Hilfe.

»Ja, zu Oxford; ich hatte das schwere Wort schon wieder vergessen. Es sind die Herren – — —«

Und nun nannte er Namen, wie sie ihm gerade einfielen und von denen er wußte, daß es englische seien.

Diese Vorstellung war natürlich in chinesischer Sprache erfolgt. Der T‘eu erklärte, daß diese Fremdlinge ihm große Dienste erwiesen hätten, weshalb er ihnen seine ganz besondere Freundschaft schenke. Stein erfuhr von ihm, daß die Engländer gekommen seien, seine berühmten Werke in Augenschein zu nehmen, und sich freuen würden, in ihrer Heimat konstatieren zu können, daß sich in China auch eine in vorzüglicher Weise ausgebeutete Petroleumquelle befinde.

Er bewillkommnete sie auf das herzlichste, und zwar in englischer Sprache, und lud sie ein, seine Gäste zu sein und bei ihm zu verweilen, so lange es ihnen gefalle.

Als sie nun abstiegen, bemächtigten sich die Arbeiter schnell der Pferde, um dieselben nach den Stallungen zu führen; die Gäste wurden von dem Wirte selbst nach dem Empfangssaale geleitet. Dieser, das größte im Parterre gelegene Zimmer, war ganz in chinesischer Weise eingerichtet und enthielt so viele Tische und Stühle, daß zu vermuten war, der Onkel Daniel sehe oft zahlreiche Gäste bei sich.

Er bat sie, sich einstweilen niederzulassen, bis er seine Befehle erteilt habe, und entfernte sich dann. Der T‘eu und Liang-ssi gingen mit ihm, ohne daß er sie dazu aufgefordert hatte. Es war jedenfalls ihre Absicht, ihm zu erklären, daß seine jetzigen Gäste alle Rücksicht und Aufmerksamkeit verdienten.

»Dat also ist der Onkel Daniel,« sagte der Gottfried. »Wie jefällt er dich?«

Richard, an den diese Frage gerichtet war, antwortete nicht. Er wäre nicht im stande gewesen, ein Wort zu sagen, so groß war seine innere Bewegung.

»Dumme Frage!« zürnte der Methusalem.

»Ja, ich bin jetzt Herr Jones aus Oxford. Wo soll da die Jescheitheit herkommen! Einen jeistreicheren Namen konnte Liang-ssi nicht für mich finden. Uebrijens jefällt es mich hier ausnehmend jut. Nur scheint der Onkel ein sehr unvorsichtiger Mann zu sein. Er hat dat viele Jeld draußen liejen lassen, und die Chinesigen stehen dabei um den Tisch herum!«

»Es wird keiner das Geringste davon nehmen,« antwortete van Berken, welcher bei ihnen geblieben war. »Sie haben den Herrn so lieb, daß sie einen, der ihn nur um einen Li bestehlen wollte, sofort ausstoßen würden. Es ist eben jeder Mensch gut, wenn er richtig behandelt wird.«

In kurzem kehrte der Oheim mit dem T‘eu und Liang-ssi zurück. Er sagte den Deutschen in doppelt höflichem Tone, daß er erfahren habe, was Liang-ssi ihnen verdanke, und wiederholte seine Bitte, möglichst lange bei ihm zu bleiben und sich ganz als zu seiner Familie gehörig zu denken.

»Eigentliche Familie habe ich nicht,« fügte er hinzu. »Meine Arbeiter bilden meine Familie, und willkommene Gäste, wie Sie sind, betrachte ich, so lange sie sich bei mir befinden, als Anverwandte von mir. Betrachten Sie sich also als Mitherren meines Hauses und verschweigen Sie keinen Wunsch, welchen ich Ihnen erfüllen kann. Jetzt werde ich Ihnen die Zimmer anweisen, welche Sie bewohnen sollen.«

Er führte sie eine Treppe höher. Dort brachte er sie zunächst in seine eigene Wohnung, welche ganz auf europäische Weise eingerichtet war. Sie bestand aus Wohn-, Schlaf- und Arbeitsstube, und es gewährte ihm augenscheinlich großes Vergnügen, als der Methusalem erklärte, daß man sich hier wie daheim im Vaterlande fühlen könne.

»Ich habe noch ein solches Zimmer,« sagte er, »für Europäer bestimmt. Es kommt zuzeiten vor, daß ich aus Kanton oder Hongkong den Besuch eines solchen erhalte, oder daß ein Mandarin, welcher sich vorübergehend bei mir befindet, das Verlangen hegt, einmal auf europäische Weise zu wohnen. Solche Herren erhalten die betreffende Stube, welche nun Sie bewohnen werden, Herr Williams.«

So war nämlich der Student von Liang-ssi genannt worden. Er erhielt ein allerliebstes Gaststübchen, in welchem sich allerdings auch ein Mandarin wohl fühlen konnte. Neben ihm kam Richard mit dem Gottfried und neben diesen Turnerstick mit dem Mijnheer zu wohnen.

Der Methusalem sprach sehr gut englisch und hatte es auch Richard daheim gelehrt. Beide konnten als Engländer gelten. Anders war es mit dem Gottfried, der zwar ein Hundert Worte leidlich radebrechte, aber doch keins hören lassen durfte, weil der Onkel es sonst sofort bemerkt hätte, daß er unmöglich ein Herr Jones aus Oxford sein könne.

Nun entschuldigte sich der Hausherr, daß er sich für einige Zeit entfernen müsse, da er sich mit den Arbeitern zu beschäftigen habe. Er werde ihnen aber Herrn van Berken senden, der ihnen Gesellschaft leisten möge.

Kurze Zeit später wurden ihnen Erfrischungen gebracht, und dann kam der Belgier, um ihnen zu melden, daß er ihnen zur Bedienung und als Führer kommandiert sei, falls sie Lust hätten, das Etablissement in Augenschein zu nehmen.

»Ja, ik wil het olie zien; ik ga met – ja, ich will das Oel sehen, ich gehe mit,« sagte der Dicke.

Die andern stimmten bei. Nach dem langen Sitzen im Sattel war ein Spaziergang ganz angenehm, und so begannen sie denn ihren Rundgang durch die weit ausgedehnten Einrichtungen des Etablissements.