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Der blaurote Methusalem

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Der T‘eu äußerte den Wunsch, daß ihre Mutter und ihre Schwestern auch mit an dem Mahle, welches ein Festessen genannt werden müsse, teilnehmen möchten. Das war eine große Ehrenerweisung, da der Chinese es durchschnittlich verschmäht, mit einer weiblichen Person zu speisen. Zugleich war er sich bewußt, etwas Seltsames und sehr Schwieriges zu verlangen, da es in China als höchst unpassend für eine gebildete Frau oder ein wohlgesittetes Mädchen angesehen wird, sich Fremden zu zeigen oder gar an einem Tische mit ihnen zu essen. Darum wußten die Brüder nicht, was sie antworten sollten. Die Zurückweisung der Einladung wäre eine Unhöflichkeit gegen den Bettlerkönig gewesen, und die Annahme derselben hätte für die Damen eine Anforderung enthalten, der sie nur mit großer Ueberwindung gerecht werden konnten. Der Methusalem nahm sich des T‘eu an, indem er Liang-ssi fragte:

»Ihre Damen werden doch mit uns nach Deutschland gehen?«

»Ja.«

»Und nicht nach China zurückkehren?«

»Nie.«

»So können sie sich ganz gut schon jetzt als Deutsche betrachten. In meiner Heimat ist es eine Ehre für die Gäste, Damen bei sich sehen zu dürfen. Die Damen sind die Blumen im Kranze der Gesellschaft; sie verschönern den Kreis, und ihre Anwesenheit macht, daß die Worte sanfter und lieblicher fließen. Wenn Sie glauben, uns eine kleine Dankbarkeit schuldig zu sein, so bewegen Sie Ihre Mutter und Ihre Schwestern, mitzukommen. Wir werden ja ganz unter uns sein und dem Wirte befehlen, Fremde von diesem Zimmer fern zu halten.«

Da die Einladung auf diese Weise unterstützt wurde, so erklärten die Brüder, daß sie ihre Damen mitbringen würden.

Es war noch nicht Abend, und der Wirt bedurfte einer längeren Frist, das Essen zuzubereiten. Diese Zeit konnte recht wohl durch Unterhaltung ausgefüllt werden. Es gab ja so viel zu fragen, zu erzählen und zu erklären. Das war aber langweilig für diejenigen, welche nicht chinesisch verstanden. Darum suchten sie sich in anderer Weise zu beschäftigen.

Der Dicke war an das Fenster getreten, von welchem aus man eine Aussicht auf die seeartige Erweiterung des Flusses hatte. Er beobachtete das Treiben auf dem Wasser. Die Eigenartigkeit des Fischfangs erregte seine besondere Aufmerksamkeit. Eben als wieder einmal einer der Wasserraben untergetaucht war und ein Beutestück im Schnabel emporbrachte, rief er aus, indem er in die fetten Hände klatschte:

»Heiza! Daar heeft weder zoo eene gans eenen haring gevangen – juchhe, da hat wieder eine Gans einen Hering gefangen!«

»Einen Hering?« lachte der Gottfried. »Woher sehen Sie denn, dat es ein Hering ist?«

»De haring is doch een visch!«

»Ja, ein Fisch ist er freilich; aber nicht alle Fische sind auch Heringe. Ich habe bisher jeglaubt, dat man Heringe nur auf dem Meere fängt. Hier jiebt es andre Fische.«

»Wat vor welke? Palingen, zardijnen, snoeken, zeelten of karpen – was für welche? Aale, Sardellen, Hechte, Schleien oder Karpfen?«

»Ik habe jehört, dat es bei den Chinesigen fette Karpfen und ausjezeichnete Forellen jiebt,« antwortete der Wichsier, um dem Mijnheer Appetit zu machen.

»Wat? Karpen en forelen?« rief der Dicke. »Daarvan moet ik eten! Ik ga buiten aan ‚t water en koop mij vischen. Ik et de vischen zoo gaarn, zoowel de hommers als ook de kuiters was? Karpfen und Forellen? Davon muß ich essen. Ich gehe hinaus an das Wasser und kaufe mir Fische. Ich esse die Fische so gern, die Milchner sowohl als auch die Rogner.«

»Dann würde ich sie mir doch lieber selbst fangen!«

»Vangen? Ik mij zelf? Kan ik dat – fangen? Ich mir selbst? Kann ich das?«

»Warum nicht? Haben Sie denn noch nie gefischt?«

»Neen.«

»Das ist ja sonderbar, da Sie die Fische so sehr jern essen; aber es schadet nichts. Wir jehen hinaus und mieten uns einen Kahn und die zu demselben jehörigen Vögel für eine Stunde.«

»Ja, wij zullen gaan. Is het vleesch van de vischen goed? Maakt het spek in den lichaam – ja, wir wollen gehen. Ist das Fleisch von den Fischen gut? Macht es Speck in den Körper?«

»Ja, sehr. Ich habe mich sagen lassen, dat besonders derjenige, welcher einen Walfisch verzehrt, mariniert oder unmariniert, sehr fett werden soll. Also kommen Sie! Der Methusalem ist von die Chinesen zu sehr in Anspruch jenommen. Ihn wollen wir nicht stören.«

»Maar ik kan niet mit de vischers spreken – aber ich kann nicht mit den Fischern sprechen.«

»Das ist auch gar nicht notwendig,« fiel Turnerstick ein, welcher zu den beiden getreten war. »Ich gehe mit und werde den Dolmetscher machen. Da es scheint, daß man hier ein ausgezeichnetes Chinesisch spricht, so werden Sie sehen, wie prachtvoll ich mit diesen Leuten auskomme.«

Er griff nach seinem Fächer, der Mijnheer nach seinem Schirm, seinen Gewehren und sogar nach dem Ranzen. Der Gottfried bemerkte dem letzteren, daß diese Dinge nicht notwendig und im Gegenteil nur hinderlich seien, doch wurden seine Worte nicht beachtet. Der Dicke war von seinen Sachen eben nicht zu trennen.

Die Menschenmenge hatte sich ziemlich verlaufen, so daß die drei unbelästigt das Ufer erreichten. Dort winkten sie einen der Kähne herbei.

»Master,« rief Turnerstick dem in demselben sitzenden Manne zu, »wir wolleng fischang und den Kahn für eine Stunde miethung. Was wird das kosting?«

Als der Fischer den Kopf schüttelte, fuhr er fort:

»Fischang, fischeng, fisching, fischong, fischung wolleng wir! Verstanding?«

Er erhielt als Antwort dasselbe erstaunte Kopfschütteln und meinte zornig:

»In China scheinen nur Taubstumme in die Fischergilde aufgenommen zu werden. Dieser Mensch schaut mich an wie die Kuh das neue Thor. Was ist zu thun?«

»Wollen mal versuchen, wat ich jelernt habe,« schmunzelte der Gottfried.

»Sie? O weh! Da kommen wir auch nicht weiter!«

»Nun, einige Worte und Redensarten habe ich mich doch jemerkt. Wat Fisch und Kahn und Stunde heißt, dat weiß ich. Dat Wörtchen ‚mieten‘ kenne ich auch. Also versuchen wir es!«

Es gelang ihm wirklich, sich verständlich zu machen, und als er dem Manne so viel Geld, als er für erforderlich hielt, in die Hand drückte, lachte derselbe am ganzen Gesichte und lud die glänzenden Herren durch drei tiefe Verneigungen ein, in das Fahrzeug zu steigen. Gottfried hatte zehnmal mehr bezahlt, als hier gebräuchlich war.

Der Kahn hatte für wenigstens acht Personen Platz. Ueber seine Borde waren Stangen gelegt, auf denen die Wasserraben saßen, welche vor den Fremden nicht im mindesten scheuten. Der Chinese ruderte seine Gäste ziemlich weit hinaus und hielt dann an, um das Fischen zu beginnen. Auf dem Boden des Kahnes standen einige Gefäße, welche die gefangenen Fische enthielten. Ein leeres wurde mit Wasser gefüllt, um die nunmehrige Beute aufzunehmen, welche den Fremden gehörte, da dieselben bezahlt hatten. Auf einen Zuruf ihres Herrn erhoben sich die Raben in die Luft und schossen dann in und unter das Wasser.

Das Wort Rabe ist eigentlich ein falscher Ausdruck für diese zum Fischen gleich vom Ei aus abgerichteten Tschu-tsches. Der richtige Name ist Cormoran oder Scharbe (Phalacrocorax sinensis). Sie tauchen ausgezeichnet und schießen sogar große Strecken unter dem Wasser fort, um ihre Beute zu ergreifen.

Sie werden nicht nur zum Einzelfischen, sondern auch zur gesellschaftlichen Jagd abgerichtet. Bei dieser letzteren fliegen sie in der Luft auseinander, bis sie einen Kreis bilden; dann stürzt sich jeder Vogel senkrecht in das Wasser und treibt die Beute nach der Mitte des Kreises hin, wo sie mit dem Schnabel ergriffen und in das Boot gebracht wird.

So ein Tschu-tsche kann einen ziemlich großen Fisch festhalten. Ist er ihm jedoch zu schwer, so stößt er ein kurzes Krächzen aus, auf welches ein zweiter, ja ein dritter Vogel herbei eilt, um ihm Hilfe zu leisten.

Damit sie die Beute nicht selbst verzehren, wird ihnen ein eiserner Ring oder ein enger Lederkragen um den Hals gelegt. Ist dann der Fang zu Ende, so nimmt der Fischer seinen Cormoranen diese Ringe ab und erteilt ihnen dadurch die Erlaubnis, nun für sich selbst zu sorgen.

Es währte kaum eine Viertelstunde, so war das Gefäß so gefüllt, daß kein Fisch mehr in dasselbe ging. Es waren einige Aale dabei; die anderen Fische gehörten zu den Karpfenarten; auch sie hatten eine bedeutende Größe.

»Dat ist ein hübscher Fang,« meinte der Gottfried. »Wir werden ihn dem Wirte bringen, welcher diese Fische mit für dat Abendessen verwenden kann.«

»Ja, deze vischvang is zeer goed,« stimmte der Mijnheer bei. »Varen wij aan het land. Ik zelf zal deze vische braden. De vischen moeten in boter en uijen gebraden worden. Ik zelf moet dat maken – ja, dieser Fischfang ist sehr gut. Fahren wir an das Land. Ich selbst werde diese Fische braten. Die Fische müssen in Butter und Zwiebeln gebraten werden. Ich selbst muß das machen.«

Der Gottfried bedeutete dem Fischer, an das Ufer zu rudern. Noch hatten sie dasselbe nicht erreicht, so stand der Kapitän von seinem Sitze auf. Für ihn als Seemann war das nichts Besonderes, vielmehr etwas Selbstverständliches. Auch der Gottfried erhob sich. Er verstand sich darauf, ein Boot zu regieren, und lief also keine Gefahr. Der Mijnheer folgte dem Beispiele der beiden. Die Augen sehnsüchtig auf das Gefäß gerichtet, welches die Fische enthielt, achtete er nicht darauf, daß das Boot im nächsten Augenblicke an das Land stoßen mußte. Er stand vorn am Bug, wo das Fahrzeug am schmalsten war. Jetzt erreichte das Boot das Ufer. Ein Stoß, ein Ruck – der Dicke verlor die Balance. Die Arme weit ausstreckend und einen lauten Schrei ausstoßend, flog er über Bord und in das hier mehr als mannstiefe Wasser.

Der Schiffer warf dem Gottfried sofort den Strick zu, mit welchem der Kahn zu befestigen war, und sprang dem Mijnheer nach. Dieser war für wenige Augenblicke verschwunden; dann aber tauchte der Chinese mit ihm auf und ruderte an das Land, wo er ihn in das Gras legte. Die auf dem Wasser schwimmende schottische Mütze hatte Turnerstick aufgefischt, während Gottfried den Kahn festband.

 

Der Dicke hatte weder seinen Schirm, seine Flinten, noch den daran hängenden Tornister verloren. Wäre derselbe im Wasser geblieben, so hätte das für den Mijnheer für den Augenblick einen großen Verlust ergeben, da er … seine »Wissels« im Futter desselben verborgen hielt. Dies war der Grund, daß er sich nicht von dem Ranzen zu trennen vermochte.

Jetzt lag er lang ausgestreckt da, mit geschlossenen Augen und triefend vor Wasser. Er hatte keineswegs die Besinnung verloren, denn er hustete und pustete in einem fort, ohne aber ein Glied dabei zu rühren, und füllte jede Pause, welche ihm die Anstrengung seiner Lunge gewährte, indem er rief:

»Ik ben dood; ik ben gestorven; ik ben erdronken en ersoopen – ich bin tot; ich bin gestorben; ich bin ertrunken und ersoffen! «

Alle in der Nähe weilenden Menschen waren herbei geeilt, und aller Hände streckten sich aus, um den Verunglückten nach dem Einkehrhause zu bringen. Als man ihn dort in die Stube getragen brachte, erschrak der Methusalem nicht wenig und die andern ebenso. Er wurde auf eine Bank gelegt, und Turnerstick erzählte, was und wie es geschehen war.

Die kräftigen Interjektionen des Verunglückten ließen keinen Zweifel darüber übrig, daß das ganze Malheur nur in einem kalten Bade bestehe. Das beruhigte den Methusalem vollständig, und er bat den Mijnheer, sich von der Bank zu erheben.

»Ik kan niet; ik ben erdronken!« antwortete dieser, und dabei blieb er.

Da trat der Besitzer des Kahnes herein, um die Fische zu bringen. Seiner Kleidung hatte das Wasser nichts geschadet, da dieselbe nur in einem aus Gras geflochtenen Lendenschurze bestand.

»Da kommen die Fische!« sagte der Gottfried. »Wir können den Tod unseres juten Freundes doch unmöglich durch ein Festessen feiern. Also brauchen wir die Karpfen und Aale nicht. Der Mann mag sie wieder in den Fluß werfen und ihnen die Freiheit jeben.«

Im Nu sprang der Dicke auf und schrie:

»De vischen weder in het water werpen? Ik dank zeer daarvoor! Deze vischen moeten in de keuken en in de vleeschschotel; maar gij willen wij in het dolhuis scheppen, want gij hebt het verstand en het vernuft verloren – die Fische wieder in das Wasser werfen? Ich danke sehr dafür! Diese Fische müssen in die Küche und in die Bratenschüssel, aber Sie wollen wir in das Tollhaus schicken, weil Sie den Verstand und die Vernunft verloren haben!«

»Ich denke, Sie sind tot!« lachte der also Angedonnerte.

»Dood? Ik ben niet dood. Ik moet mijne vischen braden, in boter en in uijen – tot? Ich bin nicht tot. Ich muß meine Fische braten, in Butter und in Zwiebeln!«

»So hängen Sie sich bei diese Jelejenheit gleich mit über dem Feuer auf, dat Sie trocken werden! Sie sind ja zur reinen Dachtraufe jeworden!« sagte der Wichsier.

Erst jetzt blickte der Dicke an sich herab und auf die Pfütze, welche sich unter seinen Füßen gebildet hatte.

»Rechtvaardige hemel, wat is dat!« rief er aus. »Ik ben een ongelukkige Nijlpaard. O, mijne kleeren een mijn linnen goed! Mijn rok en mijn broek, mijn vest en mijne fraaie das – gerechter Himmel, was ist das! Ich bin ein unglückliches Nilpferd. O, meine Kleider und meine Wäsche! Mein Rock und meine Hosen, meine Weste und meine schöne Halsbinde!«

»Ja, Sie sehen schön aus! Dat klebt alles nur so an Ihrem dürren Jeknöchel herum. Der leibhaftige Tod kann nicht so zusammenjefallen sein!«

»Zoo dun en dor ben ik?« schrie der Geängstigte auf. »O mijne ledematen, mijn ruggegraat en mijne ribben! Mijnheer Methusalem, wat zegt het woordenboek van het erdrinken en ersoppen – so dünn und dürr bin ich? O meine Gliedmaßen, mein Rückgrat und mein Rippen! Herr Methusalem, was sagt das Wörterbuch vom Ertrinken und Ersaufen?«

»Daß man sofort die Kleider wechseln und einige Tassen heißen Thees trinken soll, wenn man nicht eine Entzündung der Eingeweide riskieren oder gar sterben will,« antwortete der Gefragte sehr ernst.

»Ik will niet sterven, en ik will ook geene ontsteking van mijn ingewand. Geeft mij tee en kleeren! Helpt mij! Ik hoop, dat ik niet sterven zal, omdat de lucht hier zoo goed en gezond is – ich will nicht sterben, und ich will auch keine Entzündung meiner Eingeweide. Gebt mir Thee und Kleidungsstücke! Helft mir! Ich hoffe, daß ich nicht sterben werde, weil die Luft so gut und gesund ist!«

Diesem angstvollen und dringenden Wunsche wurde Folge geleistet. Degenfeld brachte den Verunglückten zum Wirte, welcher sich seiner annahm. Dann erhielt der Fischer ein Geschenk für seine rettende That. Es war nach deutschem Gelde fast nur eine Kleinigkeit, und doch hatte er eine solche Summe noch nie in der Hand gehabt. Seine Dankbarkeit war außerordentlich.

Als dann der Mijnheer wieder in der Stube erschien, bot er einen höchst eigenartigen Anblick. Eine Hose für ihn zu finden oder gar eine Weste und einen Rock, war ein Ding der Unmöglichkeit gewesen. In China wird zwar die Wohlbeleibtheit mit der Schönheit für identisch gehalten; aber es gab leider im ganzen Dorfe und dessen Umgegend keinen Mann, der sich nach dieser Anschauung in Beziehung auf seine Schönheit mit dem Mijnheer hätte messen können. Darum war kein einziges passendes Kleidungsstück aufzutreiben gewesen. Ein Anzug aber hatte doch geschafft werden müssen, und zwar einer, welcher der Würde des »erlauchten« fremden Herrn angemessen war. Darum hatte der Wirt zu dem Bonzen geschickt, welcher über den einzigen gewebten Gegenstand, der hier in Betracht kommen konnte, zu verfügen hatte; das war nämlich der Vorhang im Götzentempelchen des Dorfes. Glücklicherweise pflegen solche Dorfseelsorger nicht allzu streng zu sein, und so hatte der Mann sich bereit finden lassen, die heilige Gardine zu dem erwähnten profanen Zwecke zur Verfügung zu stellen, aber freilich auch erst dann, als er vernommen hatte, daß der Bettlerkönig anwesend und der Fremdling ein Freund desselben sei.

Dieser Vorhang hatte einen schmutzig-gelben Lackfarbengrund, auf welchem allerlei phantastisches Getier, Götterköpfe und ähnliches aufgetragen war, aber so dick, daß das fast brettsteife Gemälde nur sehr schwer in Falten zu bringen war. Es sah vielmehr aus, als ob der Dicke sich mit einer höchst unregelmäßig gefalzten chinesischen Wand umgeben habe, aus welcher nur vorn die Hände und oben der Kopf sich an das Licht des Tages wagen durften.

Und auf diesem Kopfe saß eine hohe, spitze, zuckerhutförmige Soldatenmütze, an deren vorderer Seite das Zerrbild eines Drachen befestigt war. Zu beiden Seiten hingen Schutzklappen hernieder, welche der Mijnheer unter seinem Kinn zusammengebunden hatte.

So kam er, um die steife Malerleinwand nicht zu zerbrechen, langsam herein- und vorsichtig nähergeschritten. Seine Freunde mußten sich die größte Mühe geben, nicht in ein lautes Lachen zu fallen, denn durch diese schauderöse Umhüllung war der sonst schon außergewöhnliche Umfang des Dicken wenigstens verdoppelt worden.

»Hier ben ik weder, Mijnheeren,« sagte er gravitätisch. »Mijne gezondheid is weder zeer goed, en ik heb eenen honger, dat mijn mag bot beneden toe de voeten gat – hier bin ich wieder, meine Herren. Meine Gesundheit ist wieder sehr gut, und ich habe einen Hunger, daß mein Magen bis herab zu den Füßen reicht.«

»Nun, dann sind Sie ja nicht tot!« antwortete der Methusalem.

»Neen, daar denk ik niet daaraan. Waaneer eten wij – nein, da denk‘ ich nicht daran. Wann essen wir?«

»Jetzt noch nicht. Wollen Sie sich nicht setzen?«

»Nee, dat kan ik niet.«

»Warum nicht?«

»Omdat mijn keizermantel breekt – weil mein Kaisermantel zerbricht.«

»So müssen Sie freilich stehen, bis Ihre Kleidung trocken geworden ist. Uebrigens die Mütze steht Ihnen ausgezeichnet!«

»Ja. Zij is van het kanonenvolk. Waar zijn mijne geweeren – ja. Sie ist von der Artillerie. Wo sind meine Gewehre?«

»Die haben wir einstweilen ab- und auch ausgetrocknet. Ihren Ranzen mußten wir geradezu ausgießen.«

»Wat?« fragte er schnell und in besorgtem Tone. »Was zoo vel water daarin – was? War so viel Wasser drin?«

»Ja.«

»O mijn ongelukk! Wat zal ik maken?«

Er rief das in einem so jämmerlichen Tone, als ob es sich wirklich um das größte Unheil handle. Der Ranzen lag auf der Bank, von welcher er ihn wegnehmen wollte; aber das ging nicht, da er sich wegen seines steifen »Kaisermantels« nicht bücken konnte.

»Was ist‘s?« fragte der Methusalem. »Warum erschrecken Sie so?«

»Wat het geeft? Lieve hemel, ik heb mijne wissels daarin!«

»Ihre Wechsel? Wohl eingenäht?«

»Ja; ik heb zij daarin geschoben. O, wat ben ik geschrokken – ja, ich habe sie darin versteckt. O, was bin ich erschrocken!«

»Dann nur schnell heraus mit ihnen, sonst werden sie zu schanden!«

»Dat God verhoede! Maakt op, maakt op – das wolle Gott verhüten! Macht auf, macht auf!«

Degenfeld trennte das Futter los, welches glücklicherweise aus Wachsleinwand bestand und die Feuchtigkeit leidlich abgehalten hatte, so daß dieselbe nur bis auf das starke Couvert gedrungen war, in welchem die Wertpapiere steckten.

»Steekt zij de wissels voor korte tijd in uwen zak! In mijnem keizermantel is geen zak – stecken Sie die Wechsels für kurze Zeit in Ihre Tasche! In meinem Kaisermantel ist kein Sack.«

So war denn auch in dieser Beziehung der Unglücksfall gut abgelaufen. Selbst der Mütze hatten die elementaren Gewalten nichts anhaben können. Turnerstick hatte sie ausgedrückt und dem dicken Hausgötzen, welcher in einer Ecke des Zimmers thronte, auf das kugelrunde Haupt gesetzt, damit sie auf diesem ehrwürdigen Platze trocknen solle.

Mittlerweile wurde es draußen dunkel, und der Wirt brachte einige Lampen herein – wirkliche Petroleumlampen mit Breitbrenner und Cylinder, ein zweites, sicheres Zeichen, daß man sich in der Nähe des Onkels Daniel befand.

Dann wurden die Tische zum Mahle gerüstet, und Liang-ssi ging, seine Mutter und die Schwestern zu holen. Als sie kamen, wurde der erste Gang aufgetragen, eine dünne Suppe, in welcher geröstete Fischflossen lagen.

Die Damen waren ebenso gekleidet wie am Nachmittage.

Sie erhielten die Ehrenplätze, die Mutter obenan und die Töchter ihr zu beiden Seiten, was ihnen bisher jedenfalls noch nie geschehen war. Neben der einen Tochter saß der Bettlerkönig und neben der andern der Methusalem. Beide gaben sich alle Mühe, durch rücksichtsvolle Aufmerksamkeit die Damen von ihrer großen Befangenheit zu befreien, was ihnen aber nicht gelingen wollte. Es wurde ihnen nur sehr selten eine kurze, kaum hörbare Antwort zu teil.

Die Gerichte bestanden aus verschieden zubereiteten Fischen und dem ebenso vielfältig gekochten, gebackenen und gebratenen Fleische jenes Tieres, welches der Mohammedaner ebenso wie der Jude verachtet, während der Chinese es in großen Mengen züchtet; ein österreichischer Dichter hat ihm sogar eine Stotter-Ode gewidmet, deren erste Strophe folgendermaßen lautet »Ich kenne ein lie-lie-lie-liebliches Tier;

Dem schenk‘ ich a-lle A-achtung.

Es lebt auf je-jedem Ba-bauerhof hier Und auch auf je-jeder Pa-pachtung,

Es stammt aus dem Bako-ko-konyer Wald Und lebt von dem, wa-was es frißt.

Es schmeckt wa-wa-warm, und es schmeckt ka-ka-kalt,

Wenn‘s saftig gebraten i-ist.«

Daß der Mijnheer es nicht mit den Mohammedanern hielt, sondern mit denjenigen verständigen Völkern, welche dem betreffenden Rüsseltiere die demselben gebührende Ehre gern und voll angedeihen lassen, das bewies er auf das energischeste. Er langte zu und ließ sich zulangen, solange es etwas gab. Die anderen waren satt, da aß er noch immer. Und als da noch auf einem großen Teller die Krone des Speisezettels hereingetragen wurde, wobei der Wirt mit lauter, triumphierender Stimme rief: »Siao-t‘ün!« so verstand der Dicke zwar die chinesische Bezeichnung nicht, aber er erkannte das jugendliche Geschöpf in der knusperig gebratenen Haut und rief entzückt aus:

»Een klein, gebraden varken! Dat is goed! Dat eet ik, dat eet ik op; ja wel, ik eet het varken zekerljk al op – ein kleines Bratferkel! Das ist gut! Das esse ich, das esse ich auf; jawohl, ich esse das Ferkel sicherlich ganz auf!«

Er machte sich mit einem Eifer darüber her, als ob er noch gar nichts gegessen habe. Und das that er stehend, da er nicht sitzen konnte. Der Methusalem bekam wirklich Angst, daß er sich Schaden thun werde, und nur aus diesem Grunde verlangte er auch für sich ein Stück und forderte den Kapitän und den Gottfried mit einem bezeichnenden Blicke auf, ein Gleiches zu thun. Das übrige aber wurde von dem tapfern Dicken wirklich »opgegeten«.

Zuletzt gab es für die Damen Thee und für die Herren Raki und einen Reiswein, welcher besser war als derjenige, den sie früher getrunken hatten.

 

Die Damen, welche nur äußerst wenig genossen hatten, da es für eine Chinesin unschicklich ist, vor fremden Augen die Hände wiederholt sehen zu lassen, wurden, nachdem sie sich höchst ceremoniell verabschiedet hatten, nach Tische von Liang-ssi und Jin-tsian nach Hause begleitet. Die Zurückbleibenden hatten sich beim Scheiden auf das höflichste für ihr Erscheinen bedankt.

Nun war es Zeit geworden, zur Ruhe zu gehen. Der T‘eu hielt Wort; er ließ sich selbst durch die dringendsten Bitten der Fremden nicht bestimmen, die ihnen zugesagten Räume für sich und seine Begleiter zu nehmen. Er schlief mit denselben in der Gaststube, in welcher gegessen worden war.

Die Schlafzimmer bestanden übrigens aus den leeren vier Wänden, in welchen niedrige Rohrgestelle standen, die mit Hilfe der mitgebrachten Decken in Betten verwandelt werden mußten. Sie waren je für zwei Personen eingerichtet. Der Methusalem war mit Richard und der Gottfried mit dem Mijnheer beisammen. Letzterer fand seine getrockneten Kleider vor und entledigte sich schleunigst des heidnischen Mantels, indem er brummte:

»Deze gordijne hat mij al mijnen lichaam opgewreven. Ik dank daarvoor en word nimmer weder in ‚t water vallen! Gesteld dat de lucht niet zoo goed ware geweest, zoo ware ik nook voor de middernacht dood; ik ware gestorven aan de ontsteking van mijne long en lever – diese Gardine hat meinen ganzen Leichnam aufgerieben. Ich danke dafür und werde niemals wieder in das Wasser fallen! Angenommen, daß die Luft nicht so gut gewesen wäre, so wäre ich noch vor Mitternacht tot; ich wäre gestorben an der Entzündung meiner Lunge und Leber!«

»Ja, dat ist wahr,« stimmte der Gottfried heimlich lachend bei. »Die hiesige Luft ist ausjezeichnet; sie scheint in hohem Jrade heilsam zu sein.«

»Dat is zij, en daarom zal ik hier blijven – das ist sie, und darum werde ich hier bleiben.«

»Ist‘s Ihr Ernst? Wollen Sie wirklich dat Jeschäft des Onkels Daniel kaufen?«

»Ja, ik koop al de fabriek – ja, ich kaufe die ganze Fabrik.«

»Notabene, wenn er Lust hat, sie zu verkaufen. Prächtig wäre dat freilich. Er könnte da mit uns nach Deutschland jehen und auf seine chinesischen Lorbeeren dort ausruhen.«

»En ik hier op meinen nederlandischen peper. Doch voor hedendaags leg ik mi op dit bed. Ik wil slapen – und ich hier auf meinem niederländischen Pfeffer. Doch für den heutigen Tag lege ich mich auf dieses Bett. Ich will schlafen!«

»Ja, aber nicht schnarchen!«

»Ik? Dat mak ik niets. Ik slaap zeer stil en mooi; dat kunnt gij geloven – ich? Das thue ich nie. Ich schlafe sehr still und artig; das können Sie glauben!«

Aber bereits nach zehn Minuten schnarchte er in der Weise, daß der Gottfried während der ganzen Nacht von Erdbeben und Kanonendonner träumte und am Morgen herzlich froh war, als er sah, daß ihn weder eine Kugel getötet noch die Erde verschlungen habe.

Als die Reisenden am anderen Morgen in das Gastzimmer traten, fanden sie den T‘eu schon in voller Geschäftsthätigkeit. Er hatte gestern bereits Boten nach den umliegenden Orten gesandt, und die Sian-yos derselben waren am frühen Tage gekommen, ihm ihre Abgaben zu bringen, durch welche sie sich von dem Besuche seiner Untergebenen, der Bettler, loskauften.

Das war ein sehr lebhaftes Feilschen und Handeln, bei welchem sich aber nur derjenige seiner Offiziere beteiligte, zu dessen Bezirk diese Ortschaften gehörten. Der T‘eu sprach stets nur das letzte, entscheidende Wort dazu, und der Methusalem fand, daß die Beträge, welche gezahlt wurden, äußerst gering waren. Es wurde für die Familie nach unserem Gelde kaum ein Groschen berechnet. Ledige selbständige Personen hatten nur die Hälfte zu geben, und dafür waren diese Orte ein ganzes Vierteljahr lang frei von allen Bettelbesuchen. Ein chinesischer T‘eu duldet in seinem Bereiche keinen Armen, welcher auf eigene Rechnung betteln geht.

Nach Beilegung dieser Angelegenheit wurde gefrühstückt, wobei der Mijnheer schon wieder wacker in das Gefecht ging, und dann brach man auf.

Liang-ssi und Jin-tsian ritten natürlich auch mit. Der Dicke bat, ihn heute nicht anzubinden, und hielt sich während des ganzen Rittes auch recht leidlich im Sattel.

Was von der Bevölkerung laufen konnte, begleitete den Trupp bis hinaus vor das Dorf, wo ein Nebenflüßchen ein schmales Seitenthal durch die Bergkette gerissen hatte. Diesem Thale mußte man folgen, um in die erwähnte kohlenreiche Ebene zu gelangen. Der T‘eu versicherte, daß man schon am zeitigen Nachmittag in Ho-tsing-ting sein werde.

Der Methusalem hielt sich vorzugsweise zu diesem Manne, welcher selbstverständlich ein ausgezeichneter Kenner chinesischer Zustände war. Von ihm konnte und wollte er lernen und erhielt über alles, was er fragte, die ausführlichste Auskunft und Belehrung. Zuweilen gesellte er sich aber auch zu den Gefährten, welche sich für sich halten mußten, weil sie sich mit den Begleitern des Bettlerkönigs nicht genügend zu verständigen vermochten.

Richard Stein und der Methusalem hatten einige Worte und Redensarten mit ihnen gewechselt. Der Dicke versuchte es gar nicht, seine drei oder vier Worte, welche er sich gemerkt hatte, an den Mann zu bringen. Er unterhielt sich aber trotzdem ganz gut mit ihnen, indem er ihnen zuweilen freundlich zunickte oder ihnen ein sehr wohlwollendes Lächeln von seinem fetten Gesicht entgegenglänzen ließ. Turnerstick aber hatte es nicht lassen können, mit seinen berühmten Sprachkenntnissen zu glänzen, war aber natürlich nicht verstanden worden. Darum sagte er zu dem Methusalem, als dieser sich wieder einmal für kurze Zeit zu ihnen gesellte, in mürrischer Weise:

»Da reiten Sie nun immer neben diesem T‘eu daher! Ich weiß nicht, was Sie an ihm und seinen Leuten finden!«

»Nun, alles was ich suche, nicht mehr und nicht weniger.«

»Ich aber gar nichts. Diese Menschen verstehen nicht einmal ihre eigene Muttersprache!«

»Warum aber verstehen sie denn mich?«

»Weil Sie ein ebenso horribles Chinesisch sprechen wie sie. Ich habe gestern und heute nicht eine einzige gescheite Endung zu hören bekommen. Höchstens wenn einmal von dem Wohnorte des Onkels Daniel die Rede war. Ho-tsing-ting, das ist wirklich echt chinesisch. Ing, ang, ong, ung und eng. Merken Sie sich das endlich doch einmal! Ich will herzlich froh sein, wenn wir zum Onkel kommen, denn ich hoffe, daß er so gut und gewandt spricht, daß ich mich mit ihm unterhalten kann.«

»Jedenfalls, da er lange genug in China gelebt hat.«

»Was wird er für Augen machen, wenn er Deutsche kommen sieht!«

»Deutsche? Meinen Sie, daß er uns sofort als solche erkennen werde?«

»Er wird es aus Ihren Studentenanzügen erraten.«

»Dergleichen werden auch an den Universitäten anderer Länder getragen. Uebrigens möchte ich ihm nicht gleich sagen, was wir wollen und wer wir sind.«

»Warum?«

»Um ihn dann desto mehr zu überraschen. Er wird allerdings sehen, daß wir des Studiums Beflissene sind, aber —«

»Ik ook?« unterbrach ihn der Dicke.

»Nein, denn Sie sind nur ein der lieben Ernährung Beflissener. Aber wir können uns als englische Bursche ausgeben, welche sich auf einer Studentenfahrt rund um die Erde befinden. Engländern ist so etwas wohl zuzutrauen.«

»Gut! Und ich bin der Kapitän, mit dessen Schiffe Sie die Fahrt unternehmen. Nicht?«

»Ja.«

»En ik? Wat ben ik?« fragte der Mijnheer.

»Wat sind Sie?« antwortete der Gottfried. »Sie sind natürlich kein andrer als der dicke Kaffernhäuptling Cetewayo, den wir mit nach London nehmen wollen, um ihm zu lehren, wie ein juter Plumpudding jemacht wird!«

»Zoo! En gij, wat zijt gij, Mijnheer? Gij zijt dat ongelukkige Nijlpaard, dat ik in Londen zien laten wil, namelijk voor geld, een Schilling van ieden Mijnheer van goeden huize en een halfen Schilling van ieden baardscheerder, penseelmaker en hoogeschoolfagotblazer – so! Und Sie, was sind Sie, Mijnheer? Sie sind das unglückliche Nilpferd, welches ich in London sehen lassen will, nämlich für Geld, einen Schilling von jedem Herrn aus gutem Hause und einen halben Schilling von jedem Bartscherer, Pinselmacher und Universitätsfagottbläser!«