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Der blaurote Methusalem

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Die Sonne schien nicht heiß; vielmehr war es hier oben im Gebirge ziemlich kühl und dennoch liefen dem Mijnheer die dicken Schweißtropfen von der Stirn. Er pustete wie ein Narwal, blieb aber doch bei guter Laune.

»Das wird Ihrer Gesundheit sehr zuträglich sein,« meinte der Methusalem. »Durch das Schwitzen wird das schlechte, dicke Blut ausgeschieden.«

»Het bloed? Wordt mij dat niet zwak maken? Word niet de miltzucht, de tering en de beroerte in mij binnen kruipen – das Blut? Wird mich das nicht schwach machen? Wird nicht die Milzsucht, die Verzehrung und der Schlagfluß in mich hineinkriechen?«

»Im Gegenteile! Sie werden ein helles und gesundes Blut bekommen und sich dann viel wohler fühlen.«

»Zal ik ook dikker worden – werde ich auch dicker werden?«

»Hoffentlich, da gutes Blut gutes Fleisch ansetzt.«

»Goed vleesch! Heiza, voorwarts! Ik rijd al het heelal neder – gutes Fleisch? Juchhe, vorwärts! Ich reite das ganze Weltall nieder!«

Er schlug mit seinem Schirm in der Weise auf das Pferd ein, daß es einen weiten Satz machte und dann im Galoppe davonflog. Das hatte er nicht gewollt. Einen schrillen Angstruf ausstoßend, klammerte er sich an der Mähne fest, während er Mütze, Schirm und den Theeranzen verlor. Man hörte ihn schreien:

»Help, help! Voorgezien, voorgezien! Vaarwel, mijn Holland een Nederland! O wee, ik oongelukkige Nijlpaard, ik vlieg in de lucht; ik vlieg in de radijsjes een in de peterselie Hilfe! Hilfe! Vorgesehen, vorgesehen! Lebe wohl mein Holland und Niederland! O weh, ich unglückliches Nilpferd, ich flieg in die Luft; ich flieg in die Radieschens und in die Petersilie!«

Die andern sprengten hinter ihm her, um die verlorenen Sachen aufzulesen und sein Pferd zum Stehen zu bringen. Als das geglückt war, richtete er sich wieder auf, trocknete sich den Angstschweiß aus dem hochroten Gesicht, setzte die Mütze wieder auf, nahm den Schirm an sich, ließ sich den Ranzen wieder auf die Gewehre hängen und fragte dann:

»Holla, mijne heeren, was dat niet nederlandsche dapperheid en heldenmoed? Ben ik niet een roemrijken ruiter – holla, meine Herren, war das nicht niederländische Tapferkeit und Heldenmut? Bin ich nicht ein ruhmreicher Reiter?«

»Ja,« antwortete Gottfried lachend. »Ein Glück, dat Sie anjebunden waren, und die Mähne erwischten, sonst wären Sie wirklich in die Petersilie jeflogen. Ik rate Sie, den Heldenmut nicht gleich wieder in Anwendung zu bringen. Galoppieren können Sie noch nicht.«

»O, ik moet zoo rijden; ik wil dik worden – o, ich muß so reiten; ich will dick werden.«

»Da sind Sie auf dem Holzwege. Vom Schnellreiten wird man dürr. Nur das langsame Reiten setzt Fleisch an.«

»Zoo? Werkelijk? Dan zal ik niet meer zoo gaauw rijden. Ik ben namelijk zoo zwak en laar, dat mijn lichaam slap als en rokzak is – so? Wirklich? Dann werde ich nicht mehr so schnell reiten. Ich bin nämlich so schwach und leer, daß mein Körper so schlaff wie eine Rocktasche ist.«

Von jetzt an hütete er sich aus Angst vor dem Magerwerden sehr, wieder das »ganze Weltall niederzureiten«. Er trieb sein Pferd nur so an, als nötig war, mit den Gefährten gleichen Schritt zu halten. Und da zeigte es sich, daß er das Reiten viel besser vertrug als das Sitzen in dem engen Palankin. Nach einer Stunde hatte er es zu einer ganz leidlichen Haltung gebracht, wohl meist infolgedessen, daß sein Gaul einen sehr glatten, ruhigen Gang hatte.

Ueberhaupt zeigte der Methusalem bei weitem nicht die Eile, die er gestern gehabt hatte. Er ritt immer nur im Schritt voran, schenkte der Gegend aber noch weit größere Aufmerksamkeit als gestern.

Die Gegend war jetzt geradezu hochgebirgig geworden. Man ritt durch düstere Thäler, welche alter Nadelwald füllte; rechts und links folgten dann Grasflächen, über denen die Felsen nackt zum Himmel ragten. War eine solche Schlucht passiert, so stieg die Straße wieder bergan, um sich aus schwindelnder Höhe abermals steil abwärts zu senken.

Auch hier gab es Einkehrhäuser in den bereits angegebenen Abständen voneinander, doch hatte sich der chinesische Offizier die gestern erhaltene Lehre so zu Herzen genommen, daß er nicht wieder zum baldigen Rasten trieb. Erst gegen Mittag hielt der Methusalem vor einem dieser Sié-kia an, um den Pferden und Menschen eine Stunde Ruhe zu gönnen. Es wurde von den mitgenommenen Vorräten ebenso wie gestern ein Mahl genossen. Der Wirt war nicht so menschenscheu wie der gestrige. Er bediente seine Gäste, und Degenfeld erkundigte sich sehr angelegentlich nach dem Wege.

Er erfuhr, daß man nach vier Stunden die Grenze der benachbarten Provinz erreichen werde, nachdem man über eine uralte und weltberühmte Kettenbrücke geritten sei.

Es war so viel Vorrat an Speise mitgenommen worden, daß nicht einmal die Hälfte desselben verzehrt wurde. Weshalb der Blaurote dies beim letzten Gastgeber so angeordnet hatte, das wußte keiner der Gefährten. Doch als die Gesellschaft wieder aufgebrochen war und sich unterwegs befand, fragte Gottfried:

»Hören Sie mal, alter Methusalem, Sie machen ein Jesicht wie ein mexikanischer Joldsucher. Schon jestern hatten Sie die Augen überall am Wege. Wat wollen Sie denn eijentlich entdecken?«

»Etwas sehr Wichtiges.«

»Und wat ist dat? Doch nicht schon Kue jang, die nächste Stadt, oder jar King, wohin wir wollen?«

»Nein. Und doch hättest du zweimal recht gehabt, wenn du nämlich Kin anstatt King gesagt hättest.«

»Wieso? Kin bedeutet ja Jold.«

»Allerdings. Ich suche Gold.«

»Ist‘s die Möglichkeit! Sollten die Chinesigen uns Dukaten auf die Straße streuen? Oder wollen Sie einen Schatz heben?«

»Das Letztere.«

»So werde ich versuchen, meine Fagottoboe als Wünschelrute zu gebrauchen.«

»Du scherzest, mir aber ist es wirklich Ernst. Nämlich hier oben liegt das Vermögen unseres guten Ye-kin-li vergraben.«

»Hurrjerum! Und dat sagen Sie erst jetzt?«

»Aus welchem Grunde sollte ich es vorher ausposaunen? Richard habe ich es schon gestern gesagt, und nun weißt auch du es. Ich will aber nicht, daß es noch andere erfahren, auch die Söhne nicht, obgleich sie das größte Recht auf das Geld ihres Vaters haben. Man muß hier so vorsichtig wie möglich sein. Wir werden die Stelle noch vor Abend erreichen und im nächsten Ruhehause die Nacht zubringen.«

»Ah, also darum haben Sie für doppelten Proviant jesorgt!«

»Ja, darum. Da Ye-kin-li mir einen sehr genauen Plan mitgegeben hat, so werden wir die Stelle wohl finden, und ich hoffe, daß das Gold noch vorhanden ist.«

»Also ist es wirklich Jold?«

»Gold- und Silberbarren, wie sie heute noch in China kursieren.«

»Wieviel?«

»Eine ganze Menge. Nach deutschem Gelde wohl für über neunzigtausend Mark.«

»Alle juten Jeister! Ist dieser Ye-kin-li so reich gewesen?«

»Ja. Freilich hat er diesen Reichtum geheim gehalten, wie es hier gewöhnlich zu geschehen pflegt, da reiche Privat- oder Geschäftsleute von den Mandarinen so lange angezapft werden, bis sie nichts mehr haben. Kennst du das Gewicht solcher Barren?«

»Nein, denn ich habe noch niemals so viel Jold oder Silber in meine Uhrtasche jehabt, dat es mir zur Erde jezogen hätte. Wieviel Löwen- oder Spatenbräu bekommt man dafür?«

»Solche Fragen kannst du dir ersparen, da wir uns nicht im ‚Geldbriefträger von Ninive‘ befinden. Es wird wohl eine volle Ladung für ein Packpferd sein.«

»So wollte ich, es jinge unterwegs daran zu Jrunde und setzte mir als Universalerben ein!«

»Da hätte ich ein Wörtchen mitzureden.«

»Ja, mit Ihnen ist überhaupt seit jestern nicht jut zu sprechen. Die beiden Brüder wollten sich so jern bei Ihnen erkundigen, auf welche Weise ihre Mutter und ihre Jeschwister jefunden werden können; aberst Sie haben sich so abweisend verhalten, dat sie jar nicht jewagt haben, die Rede darauf zu bringen.«

»Weil ich selbst noch keinen bestimmten Plan habe. Ich habe eifrig nachgedacht, ohne einen Weg zu finden. Was nützt da das Reden! Hauptsache ist für uns, den Onkel Daniel aufzusuchen. Haben wir Richard zu diesem gebracht, so können wir uns dann desto mehr der anderen Aufgabe widmen.«

Damit war das Gespräch abgebrochen.

Die Straße bewegte sich jetzt nur noch an der Seite schroffer, unbewachsener Höhen hin und führte dann durch einen engen, felsigen Paß, welcher die Länge von beinahe einer Stunde hatte. Wahrscheinlich begann jenseits desselben das Gebiet des Lai-kiang, welcher seine Wasser durch den Heng-kiang in den Jang-tse-kiang ergießt.

Dann kam eine kahle Hochebene, auf welcher hie und da ein armer Grashalm zu sehen war, und die sich lang und schmal über einen zweiten Paß niedersenkte. Als dieser durchritten war, hielten sie vor einer Querschlucht von solcher Tiefe, daß man den Grund derselben nicht zu erblicken vermochte.

Die Wände fielen fast senkrecht in den dunklen Schlund. Es gab weder rechts noch links einen Ausweg. Nur geradeaus führte die Straße, quer über den riesigen Spalt hinüber, und zwar auf der Brücke, von welcher der Wirt des Sié-kia gesprochen hatte.

Es war wirklich eine Kettenbrücke im eigentlichsten Sinne des Wortes. Sechs starke, parallel laufende Eisenketten waren hüben und drüben fest in dem Gestein verankert. Sie trugen querliegende, hölzerne Bohlen, welche die gefährliche Bahn bildeten.

Die Ketten hatten ihrer Schwere wegen nicht straff angezogen werden können. Sie hingen über der Mitte der Schlucht tief hernieder. Die Bohlen waren alt und ausgetreten. Infolge der Fäulnis waren Löcher und sonstige Zwischenräume entstanden, durch welche derjenige, der sich auf diese Brücke wagte, unter Grauen zu seinen Füßen in die Schwindel erregende Tiefe blicken konnte. Und was die Gefahr verdoppelte, das war der Umstand, daß die kühnen Erbauer dieser Brücke es nicht für nötig gehalten hatten, ein Geländer anzubringen.

Als der Methusalem sein Pferd anhielt und sich diese Passage mit besorgtem Blicke betrachtete, sagte Gottfried, indem er die Mütze auf dem Kopfe hin und her schob:

 

»Sollen wir etwa da hinüber?«

»Natürlich! Wie denn sonst, da ich noch nicht bemerkt habe, daß wir fliegen können!«

»So wollte ich, der Kerl stände da, der diese famose Jasse erfunden hat!«

»Warum?«

»Ich würde ihn auf saure Sahne mit Jurkensalat fordern. Da dies aberst leider nicht stattfinden kann, so will ich ihm nur jerne wünschen, dat seine ruchlose Seele hier mitternächtig spuken und von Zwölf bis Eins in die Jeisterstunde immer über die Brücke hinüber- und herüberlaufen muß. Hat dieser Kerl etwa jedacht, dat wir Seiltänzer oder sonstige Jongleurs und Possenreißer sind!«

»Um Possen zu reißen, ist die Brücke wohl nicht da. Haben Sie Mut, lieber Turnerstick?«

Der Kapitän schob seinen Klemmer auf der Nase hin und her und antwortete:

»Ich bin auf manchen Mast geklettert, aber über eine solche Brücke noch nicht. Kommt ein halber Wind, so kentert man unbedingt zur Tiefe nieder. Was sagen Sie, Mijnheer?«

Anstatt, wie vermutet war, mit in die Klage einzustimmen, meinte der Gefragte:

»Ik bid, mij aftebinden – ich bitte, mich abzubinden.«

»Weshalb?« fragte Turnerstick, indem er ihm die Leine von den Füßen löste.

»Ik bin Mijnheer van Aardappelenbosch, een dapper Nederlander. Ik kan niet goed rijden, maar ik kan goed loopen. Ik word vooraan gaan – ich bin Mijnheer von Aardappelenbosch, ein tapferer Niederländer. Ich kann nicht gut reiten, aber ich kann gut laufen. Ich werde vorangehen.«

Er nahm, was keiner ihm zugetraut hätte, sein Pferd beim Zügel und führte es auf die Brücke. Die andern wollten folgen, aber der Methusalem verwehrte es ihnen:

»Halt, nicht zu viele! Es steht zu vermuten, daß sich die Brücke wie eine Schaukel bewegen wird. Ich gehe mit dem wackern Mijnheer. Zwei andere mögen uns erst dann folgen, wenn wir uns auf der Mitte befinden.«

Er nahm nicht nur sein Pferd, sondern auch dasjenige Richards mit, um dem ihm anvertrauten Jüngling den schweren Uebergang möglichst zu erleichtern.

Die Brücke war ungefähr fünfzehn Fuß breit, was bei gewöhnlichen Verhältnissen gewiß genügt hätte. Aber bei einer Höhe, aus welcher das Auge nicht den Grund der Schlucht zu erreichen vermochte, bei einer Länge von vielleicht über hundertfünfzig Fuß und bei dem schlechten Zustande der Bohlen war diese Breite unbedeutend, zumal die Geländer fehlten.

Dennoch schritt der Mijnheer wacker voran. Sein Pferd folgte mit langsamen, vorsichtigen Schritten. Es schien diese Art der Passage gewohnt zu sein, denn es trat äußerst vorsichtig und – so zu sagen – probierend auf, um ja nicht mit einem Hufe durchzubrechen. Degenfeld ging mit seinen beiden Pferden eng hinterdrein.

So ruhig die Schritte der beiden Männer und der drei Tiere waren, die Brücke geriet doch in eine schaukelnde Bewegung, welche am stärksten wurde, als die Genannten sich gerade auf der Mitte befanden.

»Werden Sie nicht schwindelig, Mijnheer?« fragte der Methusalem um den Dicken besorgt.

»Neen,« antwortete dieser. »Ik weet, hoe men het maken moet – nein. Ich weiß, wie man es machen muß.«

»Nun, wie denn?«

»Ik sluit het eene oog en werp het tweede recht toe voor mij neder. Makt gij het ook zoo – ich mache das eine Auge zu und werfe das zweite gerade vor mich nieder. Machen Sie es auch so!«

Auf diese Weise konnte sein Blick nicht von der Brücke in die Tiefe fallen. Er hatte recht, und der Methusalem folgte seinem Beispiele. Sie kamen trotz des Wankens des schwindelnden Steges glücklich drüben an.

Als sie sich da umdrehten, sahen sie den Gottfried mit Richard in der Mitte. Turnerstick schickte sich soeben mit Jin-tsian an, die Brücke zu betreten. Liang-ssi schien sich mit dem Offiziere im Streite zu befinden. Er berichtete dann, als er jenseits anlangte, daß die Reiter eine ziemlich hohe Summe verlangt hätten, bei deren Verweigerung sie sich nicht auf die Brücke hatten wagen wollen. Er war der sehr begründeten Ansicht gewesen, daß diese für Fremde heikle Passage ihnen gar nichts Ungewöhnliches sei; darum hatte er ihnen ihr Verlangen abgeschlagen und sie auf die Folgen hingewiesen, welche das angedrohte treulose Verhalten für sie haben müsse.

Sie hielten eine ziemlich lange Beratung und kamen dann mit den Packtieren, welche frei folgten, im scharfen Trabe über die Brücke geritten, so daß diese in einer Weise schaukelte, daß man meinen mußte, die Reiter würden in die Tiefe geschleudert werden. Sie hatten diesen Weg gewiß schon viele Male gemacht.

Bei den Reisenden angekommen, machte der Offizier sein Verlangen abermals geltend, wurde aber von dem Methusalem abgewiesen, welcher ihm antwortete:

»Sobald wir am Ziele angelangt sind, werden Sie ein Kom-tscha erhalten, eher nicht, und auch dann nur in dem Falle, daß wir mit Ihnen zufrieden sind. Vergeßt ja nicht, in welchem Range wir stehen, und daß ihr gegen uns nur wie Mücken seid, welche ich mit einem einzigen Worte vernichten kann!«

Am Ende der Brücke öffnete sich abermals eine Schlucht, welche aber nur sehr kurz war; dann führte die Straße abwärts nach dem Walde, an dessen Eingange ein Ruhehaus stand, welches größer und auch freundlicher zu sein schien als die bisher gesehenen Einkehrstätten. Dort hielt Degenfeld an.

»Unser Tagemarsch ist beendet,« sagte er. »Wir werden hier übernachten.«

Sofort sprangen die Chinesen ab, griffen zu den mitgebrachten Effekten und Vorräten, trieben die Pferde nach dem hinter dem Hause liegenden Grasplatze und eilten in das Innere des Gebäudes.

Eine kurze Strecke jenseits des letzteren führte die Straße über eine kurze Steinbrücke, welche nur einen Bogen hatte, und ein schmales aber tiefes Thälchen überspannte. Dorthin deutend, sagte Degenfeld leise zu Gottfried:

»Nicht weit von jener Brücke, an der Seite der Bodensenkung und nicht ganz auf der Sohle derselben, wo ein kleines Wasser fließt, muß sich die Stelle befinden, an welcher wir zu suchen haben. Es ist jetzt wenig über vier Uhr, und erst nach acht Uhr wird es dunkel. Wir haben also noch vor Abend Zeit, nachzuforschen. Sobald ich mich entferne, kommt ihr einzeln nach; du kannst das Richard sagen. Ihr werdet mich unter dem großen Nadelbaum treffen, dessen Spitze du dort über die andern Wipfel emporragen siehst. Den andern sage ich, daß ich nach Pflanzen suchen will.«

Laute, zornige Rufe der Soldaten und der Klang einer bittenden Stimme veranlaßten ihn, sich in die Stube zu begeben. Dort bildeten die Kavalleristen einen Kreis, in welchem drei von ihnen einen Mann, den sie niedergerissen hatten, am Boden festhielten. Der Offizier hatte seinen Sarras gezogen und schlug mit der flachen Klinge auf den um Gnade Bittenden ein.

»Was geht hier vor?« fragte Degenfeld, indem er sich in den Kreis drängte. »Was hat euch dieser Mann gethan?«

»Sehen Sie nicht, hoher Herr, wer und was er ist?« antwortete der Leutnant. »Hat er nicht einen halben Mond auf seiner Jacke?«

Der Mißhandelte war nicht mehr jung, fast ein Greis. Seine Züge hatten das chinesische Gepräge, und sein Anzug war der gewöhnliche des Landes. Auf dem jackenähnlichen Stücke, welches er über dem langen, einer Toga gleichenden Unterkleide trug, war ein gelbes Stück Tuch, welches die Gestalt eines Halbmondes hatte, aufgenäht. Von Waffen sah man nichts an ihm. Zwei der Soldaten knieten noch immer auf seinen Armen und Beinen, während der dritte ihn am Zopfe niederhielt.

»Ich sehe dieses Zeichen,« antwortete der Methusalem. »Was hat es zu bedeuten?«

»Daß er ein Kuei-tse ist, den wir totschlagen müssen.«

»Was hat er euch gethan?«

»Uns? Nichts. Aber alle Kuei-tse müssen erschlagen werden.«

»Wer hat das befohlen?«

»Der Kaiser, welcher ein Sohn des Himmels und das Licht der Vernunft ist.«

»Könnt ihr das beweisen?«

»Beweisen?« fragte der Offizier sehr verwundert. »Alle Menschen, alle guten Unterthanen wissen es.«

»Nun gut! Hat der Sohn des Himmels die Macht, seinen Befehl zurückzunehmen?«

»Ja; wer soll ihn daran hindern? Er hat alle Macht.«

»Und wo er nicht persönlich sein kann, da erteilt er diese Macht seinen Gesandten. Mein Kuan ist der Beweis, daß ich ein solcher Beauftragter bin. Ich befehle euch, von diesem Manne abzulassen!«

Um diese Scene zu begreifen, muß man wissen, daß die Mohammedaner der Provinz Yun-nan gelegentlich des Aufstandes der Thai-ping den Versuch gemacht hatten, sich das Recht der freien Religionsausübung zu erwerben. Sie wurden aber überfallen, wobei man über tausend von ihnen tötete. Infolgedessen traten sie einmütiglich zusammen, eroberten die Hauptstadt Jun-nan-fu und bildeten ein selbständiges Staatswesen, dessen die Regierung selbst heute noch nicht ganz wieder mächtig geworden ist. Sie nennen sich selbst Pan-tse, werden aber von den Gegnern Kuei-tse, Teufelssöhne, genannt.

Von allen Seiten bedrängt und bedrückt, unternehmen sie unter kühnen Anführern zuweilen in größerer oder kleinerer Anzahl Züge in die benachbarten Provinzen, um sich für das Erlittene schadlos zu halten. Eine solche Abteilung war es gewesen, von welcher der Obermandarin von Schao-tscheu zu dem Methusalem gesprochen hatte. Es war die Rede davon gewesen, daß man diese Leute jetzt in der Nachbarprovinz gesehen habe. Ob der hier am Boden liegende Mann zu ihnen gehörte, das war dem Studenten gleich. In seinen Augen war ein Kuei-tse ein ebenso berechtigter Mensch wie der Buddhist, und da der Arme den Soldaten nichts Böses gethan hatte, so nahm er ihn gegen dieselben in Schutz.

Das schien dem Offizier nicht zu passen. Er schüttelte vielmehr den Kopf und sagte:

»Sie sind ein hoher Herr, aber doch ein Fremder. Wir müssen Sie begleiten und beschützen, aber wenn es sich um einen Kuei-tse handelt, dürfen wir Ihnen nicht gehorchen.«

»Ah! Wirklich nicht?« fragte der Blaurote, indem seine Augen aufleuchteten.

»Nein. Dieser Sohn des Teufels ist in unsere Hände gefallen, und wir werden ihn töten.«

»Das verbiete ich,« donnerte Degenfeld ihn an. »Ihr werdet ihn augenblicklich frei lassen!«

»Nein! Wir werden – — – «

Er kam nicht weiter, denn er erhielt bei dem letzten Worte von dem Studenten eine so gewaltige Ohrfeige, daß er zu Boden flog. In demselben Augenblicke riß der Gottfried ihn wieder auf, hob ihn mit seinen langen Armen empor und warf ihn wie einen Ball unter die andern Soldaten hinein, daß diese auseinander flogen.

Ein dritter, nämlich Turnerstick, riß ihn da mit seinen Seemannsfäusten wieder auf, trug ihn in die Ecke, steifte ihn dort nieder und schrie ihn an:

»Hier, Starmatz, bleibst du sitzing! Und wenng du es wageng solltungst, dich zu rührang, so fresse ich dich mit Haut und Haaring auf! Master Methusalem, was heißt Soldat im Chinesischen?«

»Ping,« antwortete der Gefragte.

»Gut,« fuhr der Kapitän fort, indem er sich wieder an den Chinesen wandte. »Denkst du etwang, wir müssang Respekt vor dir habeng, weil du ein Ping bist? Da hast du sehr falsch kalkuliringt. Wenng du nur mit der Wimper zuckst, so reibe ich dich zu Parmesankäse und streue dich auf die Maccaronings, du Ping und Doppelping und Pong-pang-ping!«

Die Soldaten waren auseinander und zur Thür hinausgestoben. Der Mohammedaner hatte sich erhoben. Er näherte sich dem Methusalem, verbeugte sich tief vor demselben und sagte:

»Allah segne die Thaten Ihrer Hände und die Tapfen Ihrer Füße, hoher Gebieter. Sie haben mich errettet. Machen Sie das Maß Ihrer Gnade voll, indem Sie mir erlauben, mich zu entfernen!«

»Sind Sie denn sicher, daß Ihnen nicht unterwegs Aehnliches begegnet?«

»Ja. Ich kehrte in diesem Hause ein, um auszuruhen. Anstatt der Erquickung hätte ich fast den Tod gefunden. Sobald ich es verlassen habe, bin ich vor ferneren Nachstellungen sicher. «

»So gehen Sie und hüten Sie sich vor ähnlichen Begegnungen!«

Der Bekenner des Islam entfernte sich unter tiefen Verbeugungen. Die Soldaten sahen ihn nicht gehen, da sie sich hinter das Haus retiriert hatten, von wo sie erst dann zurückkehrten, nachdem Degenfeld ihnen durch Liang-ssi versichert hatte, daß ihnen nichts geschehen solle.

Der Offizier sah ein, daß er sich eines großen Verbrechens gegen den Kuan des Kaisers schuldig gemacht habe. Er kam förmlich herbeigekrochen, um sich Gnade zu erbitten, die ihm nach einer strengen Mahnung auch zugesagt wurde.

Nun sagte Degenfeld, daß er für kurze Zeit in den Wald gehen wolle, um zu sehen, ob ein botanischer Fund zu machen sei; die Gefährten sollten dafür sorgen, daß das Mahl zubereitet werde, und mit demselben bis zu seiner Rückkehr warten. Kurze Zeit, nachdem er sich entfernt hatte, ging der Gottfried ihm nach, welchem dann Richard folgte. Sie fanden ihn unter dem bezeichneten Baume. Er hielt ein Papier in den Händen, den Plan des Händlers Ye-kin-Ii, und schien mit demselben die Gegend aufmerksam zu vergleichen.

 

»Gut, daß ihr kommt, und ich also keine Zeit zu verlieren brauche,« sagte er. »Hier habe ich die Zeichnung unseres chinesischen Freundes, welche, wie ich sehe, sehr genau angefertigt worden ist. Sie ist freilich schon acht volle Jahre alt, stimmt aber ganz gut auf diesen Ort. Die kleine Veränderung, welche die Situation erlitten hat, ist auf den Einfluß dieser Zeit zurückzuführen und bezieht sich nur auf das Wachstum der Pflanzen. Als Hauptmarke ist ein großer, über tausend Jahre alter Ging-ko-baum angegeben, bei dem fünf Keime zu einem einzigen Stamme verwachsen sind. Das ist der riesige Nadelbaum, unter welchem wir hier stehen und dessen Stamm einen Umfang von über neun Metern hat und sichtlich aus fünf einzelnen Stämmen zusammengesetzt ist. Daneben sind, genau im Westen von ihm stehend, zwei andere Bäume verzeichnet, nämlich ein Ti-mu, um welchen sich die Pflanze Lo windet, und ein wilder Sang; das alles ist, wie ihr sehen könnt, vorhanden, der Eisenbaum mit dem Epheu und auch der Maulbeerbaum. In der Richtung, in welcher diese Bäume stehen, also nach Westen, hat man vierzig Schritte zu gehen, um an die sogenannte Hoei-hoei-keu zu kommen, wo eine Ku-tsiang stehen soll, welche wir jetzt zu suchen haben, denn genau von ihr aus müssen wir gerade abwärts in das Thal steigen, um den Lao-hoei-hoei-miao zu finden, um welchen es sich handelt.«

Sie schritten die angegebene Entfernung in der betreffenden Richtung ab und gelangten an den Rand des Thales, über welchem in der Entfernung von vierhundert Schritten rechter Hand von ihnen die bereits erwähnte steinerne Bogenbrücke führte. Da, wo sie die Kante desselben erreichten, sahen sie mehrere halbverwitterte Mauersteine aus dem weichen Humusboden blicken. Das war der Mauertest, von welchem aus sie abwärts stiegen.

Noch hatten sie die Sohle der Schlucht und den dort fließenden Bach nicht erreicht, so trafen sie auf ein altes, eigentümliches Gemäuer, welches so von Büschen und hohen Farnen umgeben wurde, daß man es von weitem gar nicht bemerken konnte. Die Mauer bildete einen Kreis, dessen Durchmesser nicht mehr als zehn Fuß betrug. Das Dach, welches man mit der Hand erreichen konnte, war, entgegen dem chinesischen Stile, von Steinen rund gewölbt, und der Eingang war so niedrig, daß man ihn nur in sehr gebückter Haltung passieren konnte. Das Gebäude hatte die halbkugelige Form einer Kaffern- oder Hottentottenhütte und konnte unmöglich ein mohammedanischer Tempel, d. h. eine Li-pai-sse, wie die Moscheen in China genannt werden, gewesen sein.

»Wir sind an Ort und Stelle,« sagte der Methusalem, »und wollen zunächst nach dem Tscha-dse suchen, welches Ye-kin-li hier vergraben hat. Ein Tscha-dse ist ein langes, starkes Messer, mit welchem man Häcksel schneidet. Aus einem solchen bestand die einzige Waffe, welche der Händler bei sich trug. Mit ihrer Hilfe konnte er die Grube machen, in welche er seine Barren versteckte, und um dieses Werkzeug später gleich an Ort und Stelle zu haben, verscharrte er es an einer Stelle, welche genau zehn Schritte von dieser Thür aus abwärts liegt, und wo die Wurzel einer Lieu zu Tage tritt.«

Er schritt die Strecke ab und traf auf den Baum und die Wurzel, unter welcher er mit seinem Messer grub. Schon nach kurzer Zeit brachte er das Tscha-dse hervor, welches zwar stark angerostet, aber noch fest war.

Die beiden anderen hatten ihn bisher still, aber erwartungsvoll angehört und ihm zugesehen. Jetzt fragte Richard:

»Und wo soll denn der Schatz vergraben sein?«

»Dort im Gebäude. Ich vermute, daß dasselbe die Begräbnisstelle eines frommen Mohammedaners gewesen ist, also ein sogenannter Marabu, denn Ye-kin-li hat, um Platz für seine Barren zu finden, menschliche Gebeine, welche fast ganz verwest waren, ausgegraben und da unten in das Wasser geworfen. In dieser Gegend des Landes gibt es viele Bekenner des Islams und hat früher deren noch mehr gegeben. Kommt mit in das Mausoleum!«

Sie krochen hinein. Der Raum war so hoch, daß sie in demselben aufrecht stehen konnten, und der Boden mit dicht schließenden, behauenen Steinen belegt. Der Methusalem sah auf seinem Plane nach und sagte dann:

»Wir müssen die sechs Steine, welche zusammen ein Rechteck bilden, entfernen. Dann wird es sich zeigen, ob das Gold und Silber noch vorhanden ist, woran ich übrigens jetzt nicht mehr zweifle.«

Die Steine waren so genau gefügt, daß es ziemliche Anstrengung kostete, den ersten derselben herauszunehmen; als das dann geschehen war, konnte man die anderen fünf ohne Mühe entfernen. Die Unterlage bestand aus fester Erde, welche der Methusalem aufgrub.

Es war den dreien dabei wirklich wie Schatzgräbern zu Mute. Sie fühlten eine Art fieberhafter Aufregung, welche desto mehr wuchs, je tiefer das Häckselmesser in den Boden drang. Endlich, endlich zeigten sich zwei Gegenstände, welche nicht in die Erde gehörten, nämlich zwei lederne Säcke, welche lackiert waren. Nur diesem letzteren Umstande war es zu verdanken, daß sie sich noch in gutem Zustande befanden.

Der Methusalem hob den einen heraus, was einiger Kraftanstrengung bedurfte, und öffnete ihn. Da glänzten ihnen die kleinen, länglichen Barren goldig entgegen. Sie waren alle mit dem obrigkeitlichen Stempel versehen, als Beweis, daß die Legierung die gesetzlich vorgeschriebene sei.

»Gott sei Dank!« sagte Degenfeld, indem er tief aufatmete. »Dieser Teil unserer Aufgabe wäre also glücklich gelöst.«

»Das freut mich außerordentlich!« fügte Richard hinzu. »Ye-kin-li hat nur ein sehr geringes Anlagekapital gehabt; nun werden ihm die Barren sehr zu gute kommen.«

»Dat glaube ich, dat sie zu jute kommen!« meinte Gottfried. »Mich, wenn ich sie hätte, kämen sie auch zu statten. Ich würde schleunigst meine Oboe und mir selbst verjolden lassen und den Rest sodann in Zacherlbräu und sauren Heringen anlegen. So aber muß ich mir ohne Verjoldung weiter durch mein frugales Dasein schleichen. Wat soll nun jeschehen? Hucken wir die Säcke auf, um sie nach dat Ruhehaus zu bringen?«

»Nein,« antwortete der Methusalem. »Wir lassen sie hier liegen.«

»Liegen lassen? Sind Sie bei Troste? Dat würde nicht ‚mal ein Spitzbube thun, ich noch viel weniger!«

»Und doch können wir nicht anders. Wir haben uns überzeugt, daß die Barren da sind. Das genügt. Mitschleppen aber können wir sie nicht, da wir nicht wissen, welchen Wechselfällen wir noch unterworfen werden. Wir verbergen sie hier wieder und richten es später so ein, daß uns der Rückweg hier vorüberführt. Dann nehmen wir die beiden Säcke mit.«

Die beiden andern waren nicht sofort einverstanden, mußten aber doch die Triftigkeit seiner Gründe anerkennen. Der Sack wurde wieder in die Grube gelegt und mit der ausgeworfenen Erde bedeckt, welche man mit den Füßen fest stampfte, um dann die Steine wieder einzufügen. Das geschah so genau, und der kleine Rest übrig gebliebener Erde wurde so sorgfältig entfernt und verwischt, daß kein andrer das Vorhandensein des Verstecks ahnen konnte.

Nun verließen sie das Gebäude, um auch das Häckselmesser wieder zu vergraben. Noch war der Methusalem damit beschäftigt, da ertönte plötzlich hart bei ihnen eine befehlende Stimme aus dem Gebüsch:

»Ta kik hia – schlagt sie nieder!«

Und zu gleicher Zeit drangen wohl gegen zehn bewaffnete Männer auf die drei ein. Ihre Armierung war keine sehr furchterweckende, alte Säbel, einige noch ältere Flinten und Piken; einer schwang eine Keule.

Der Methusalem hatte sich, als der Ruf erscholl, blitzschnell aufgerichtet. Er faßte die Gefährten bei den Armen und riß sie, um Raum zu gewinnen und den dicken Stamm der Weide zwischen sich und die Angreifer zu bringen, mehrere Schritte zurück. Ebenso schnell zog er seine beiden Revolver hervor und richtete sie auf die Feinde, welchem Beispiele Gottfried und Richard augenblicklich folgten. Die Chinesen stutzten und blieben stehen. Einem von ihnen, welcher sein Gewehr zum Schusse anlegte, rief Degenfeld drohend zu: