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Der blaurote Methusalem

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»Hoffentlich bekomme ich während meiner Reise Gelegenheit, ihren Mut zu erproben.«

»Das würde vielen Gegnern das Leben kosten. Wann wünschen die ehrwürdigen Herren diese Stadt zu verlassen?«

»Sobald die Vorbereitungen getroffen sind.«

»Das ist bereits geschehen, und es ist alles zum Aufbruche bereit; doch vorher mögen die Vielgepriesenen den Morgenreis bei mir verzehren.«

Unter Morgenreis ist Frühstück zu verstehen. Dieses bestand nicht aus so vielen Gängen, wie das gestrige Abendessen. Der Mandarin wünschte nicht, die Anwesenheit seiner Gäste zu verlängern. Als er sah, daß sie von den Speisen nur nippten, machte er ein sehr zufriedenes Gesicht. Dasselbe nahm nur dann einen finstern Ausdruck an, wenn sein Blick auf den Mijnheer fiel. Dieser hatte sich festgesetzt, als ob er heute gar nicht wieder aufstehen wolle, und langte in einer Weise zu, als ob er befürchte, von heut an bis nach Ablauf der Woche nichts Eßbares mehr vor die Augen zu bekommen.

Endlich klappte er sein Messer zu, schob es in die Tasche und sagte:

»Zoo! Heden ochtend word ik niet meer eten; maar vervolgens muet ik een middageten hebben – so! Heut früh werde ich nicht mehr essen; aber nachher muß ich ein Mittagsmahl haben.«

Nun begab man sich in den Hof hinab, um aufzubrechen. Eine Rechnung war nicht zu berichtigen. Auch die Trinkgelder kamen in Wegfall, da es einem hochgestellten Chinesen niemals beikommen kann, Dienste zu belohnen, welche er seinem Range nach zu beanspruchen hat. Der Kuan hatte ja sogar die angenehme Wirkung, daß weder für die Pferde noch für die Begleitung oder den mitgenommenen Proviant etwas zu entrichten war.

Unangenehm war nur die häßliche Ceremonie des Verabschiedens. Der Methusalem suchte sie so viel wie möglich abzukürzen, und der Mandarin unterstützte sehr gern dieses Bestreben. Der erstere sagte Dank für die genossene Gastfreundlichkeit und versprach, an geeigneter Stelle derselben rühmend zu gedenken, und der letztere beklagte, die sehr hochwürdigen Gönner nicht noch länger bei sich zu sehen und bewirten zu können. Dann stieg man zu Pferde.

Außer dem Dicken hatten alle schon früher im Sattel gesessen. Selbst Richard hatte den Onkel Methusalem oft in den Tattersall begleitet und da einen kleinen Ritt gemacht. So war also nicht zu befürchten, daß einer sich vor den Bewohnern von Schao-tscheu blamieren werde.

Die Sänfte war in der von Degenfeld angegebenen Weise an zwei Pferden befestigt worden. Der Dicke stieg ein, und der Gottfried machte Feuer, damit die Wasserpfeife in Brand gesteckt werden könne. Dann setzte sich der Trupp in Bewegung, von dem Mandarinen unter tiefen Bücklingen bis vor das Thor begleitet, wobei ihm seine Untergebenen eifrig sekundierten.

Draußen stand ein ungeheure Menschenmenge. Die Ankunft der Fremdlinge hatte nicht so viel Aufsehen erregt, weil man von derselben nichts gewußt hatte. Mittlerweile aber war es ruchbar geworden, daß vornehme Mandarinen aus einem fernen Erdteile bei dem Vorsteher der Stadt eingekehrt seien und am Vormittage wieder abreisen würden. Diese Kunde hatte sämtliche Einwohner aus ihren Häusern gelockt, und nun standen sie Kopf an Kopf, um ihre Neugierde zu befriedigen.

Dies hatte der Mandarin geahnt und danach seine Vorkehrungen getroffen. Um ein Fortkommen durch die dicht gedrängte Menge zu ermöglichen, schritt eine Anzahl Polizisten voran, welche mit ihren Stäben Platz machten, indem sie die nötigen Hiebe und Püffe austeilten. Damit die so geschaffene Lücke sich nicht wieder schließe, ging rechts und links je eine Reihe derselben Sicherheitsbeamten, welche die Köpfe der Zudringlichen ebenso bearbeiteten. Zwischen ihnen bewegte sich der eigentliche Zug.

Voran ritt der Oberlieutenant, gefolgt von zehn seiner Helden, welche grimmig um sich blickten. Dann folgte der Neufundländer, welcher so stolz und sicher schritt, als ob dergleichen Triumphzüge bei ihm zu den Alltäglichkeiten gehörten. Nun kam der Methusalem zu Pferde, das Gewehr auf dem Rücken und die Pfeifenspitze im Munde, aus welchem er dichte Rauchwolken stieß, hinter ihm natürlich Gottfried mit der Pfeife und dem Fagotte. Diesem folgte Turnerstick mit weit geöffnetem Fächer, neben ihm Richard Stein, der hell und lustig über die gaffende Menge hinblickte. Hierauf war die Sänfte zu sehen. Die beiden Pferde, welche dieselbe trugen, wurden von zwei Polizisten geführt. Rechter Hand des Palankins ging ein dritter Polizist, welcher den ausgespannten Schirm des Dicken als Zeichen der hohen Würde des Besitzers trug, denn je größer in China der Fächer und der Schirm, desto vornehmer ist der Herr desselben. Zur linken Hand sah das fette Gesicht des Mijnheer mit der schottischen Mütze aus der Sänfte. Da er auf den Sattel verzichtet hatte, wollte er wenigstens in dieser Weise die Menge von seinem Dasein überzeugen und die Huldigung derselben entgegennehmen. Seine feisten Wangen und der Umstand, daß er getragen wurde, brachten auch wirklich die Ueberzeugung hervor, daß er der vornehmste der fremden Mandarinen sei. Darum verbeugte man sich oft vor dem Kopfe, dem einzigen sichtbaren Teile des Herrn mit dem langen Stammbaume, was von dem Mijnheer stets voller Huld mit einem freundlichen Grinsen erwidert wurde. Hinter der Sänfte ritten die beiden Brüder Liang-ssi und Jin-tsian, welche natürlich wenig Aufsehen erregten, und den Schluß des Zuges bildeten die andern zehn Kavalleristen. hinter denen sich die Menge wieder schloß, um den Fremden nachzudrängen.

So ging es langsam durch die Straßen und Gassen der Stadt und endlich, endlich, nach fast einer Stunde, zum östlichen Thore derselben hinaus, wo die Straße immer am Wasser hin nach Schin-hoa, dem Ziele des heutigen Rittes, führte.

Dort, vor dem Thore kehrten die Polizisten um, und der Mijnheer erhielt seinen Schirm wieder zugestellt. Viele Bewohner der Stadt aber folgten noch eine weite Strecke, bis sie sich schließlich doch überzeugt hatten, daß die Fremden genau so wie sie selbst auch gestaltet seien.

Von jetzt an gebärdete sich der Oberlieutenant ganz als Führer und Beschützer der ihm anvertrauten hohen Herrschaften. Er gab eine Menge ganz unnötige Befehle, welche häufig den geradesten Widerspruch enthielten, kommandierte seine Untergebenen bald vor, bald hinter, bald neben die Reisenden, sprengte weit voran, um auszuschauen, ob die Straße sicher sei, und blieb ebenso häufig zurück, um sich zu überzeugen, daß dort keine hinterlistige Gefahr drohe. Er hielt seine Leute und Pferde fortwährend in Atem, und das alles nur, um den »Erleuchteten« zu zeigen, welch einen wichtigen Posten man ihm anvertraut habe, und daß er ganz der Mann sei, denselben auszufüllen.

Die Straße stieg bald am steilen Ufer empor, bald senkte sie sich wieder zum Niveau des Flusses nieder. Sie war gut angelegt und leidlich unterhalten. Die chinesische Regierung schenkt zwar dem System der Kanäle mehr Aufmerksamkeit als demjenigen der festen Wege, aber das Land ist trotzdem keineswegs arm an guten Straßen. Oft sind dieselben sogar mit großer Kühnheit angelegt, und die Hindernisse, welche Flüsse, Thäler und Schluchten bieten, werden von Brücken und Viadukten überschritten, welche Jahrhunderte überdauert haben und die Bewunderung selbst eines berühmten europäischen Architekten erregen würden, zumal diese Bauten zu einer Zeit ausgeführt wurden, in welcher bei uns niemand gewagt hätte, so kühne Wege anzulegen.

Die Reisenden erblickten an der Straße, welcher sie folgten, von zehn zu zehn Li, also nach unserem Längenmaße ungefähr alle fünf Kilometer, Soldatenhäuser, welche mit einem Wachtturme versehen waren. Man hat sie an solchen Stellen errichtet, daß es möglich ist, von einem Turme die beiden nächsten zu erblicken und mit Hilfe von Flaggen, welche an hohen Stangen aufgezogen werden, Signale zu empfangen und weiterzugeben. Diese Warttürme haben ganz besonders den Zweck, die Nachricht von Empörungen, welche in China sehr häufig sind, schnell zu verbreiten.

In ebenso regelmäßigen Abständen waren Ruhehäuser angelegt, welche auf Kosten des Staates unterhalten werden, jedermann zur Aufnahme dienen, besonders aber von den reisenden Beamten benutzt werden.

In der Nähe jedes dieser Gebäude stehen an einer in die Augen fallenden Stelle drei weiße, steinerne Säulen, um den Reisenden schon von weitem auf das Vorhandensein des Ruhehauses aufmerksam zu machen. Diese Steine gleichen unsern Meilenzeigern, doch enthalten sie keine Bestimmungen der Entfernungen; die letztere ist vielmehr auf Brettern angegeben, welche an Pfählen befestigt sind.

Der Oberlieutenant war am ersten Ruhehause vorbeigaloppiert, ohne es zu beachten; beim zweiten aber hielt er an, verbeugte sich vor dem Methusalem und sagte:

»Hier ist ein sehr schönes Sië-kia (Ruhehaus) und ich ersuche die mächtigen Gebieter, abzusteigen.«

Während er das sagte, schwang er sich auch schon aus dem Sattel, und seine Leute folgten diesem Beispiele.

»Wer hat gesagt, daß hier geruht werden soll?« fragte der Student.

»Ich,« antwortete der Offizier dumm-erstaunt.

»Sind Sie so ermüdet?«

»Ja.«

»So reiten Sie vernünftiger, und strengen Sie Ihre Leute und Pferde nicht so an! Ich habe keine Veranlassung, abzusteigen.«

»Aber, erleuchteter Herr, es ist hier Sitte, zwanzig Li zu reiten und dann auszuruhen!«

»Diese Sitte gefällt mir nicht.«

»Wir haben ja Speise und Trank bei uns und können essen und trinken. Auch sind Decken genug vorhanden, um uns in aller Bequemlichkeit niederlassen zu können!«

»Wenn wir das thun und Ihrem Gebrauche folgen, so sind wir in zehn Tagen noch nicht am Ziele.«

»Ist es denn nötig, es so bald zu erreichen? Wir haben ja Zeit!«

»Ihr, aber wir nicht. Wieweit ist es von Schao-tscheu bis Schin-hoa?«

»Hundert Li.«

»So müßten wir viermal einkehren und würden den letzteren Ort wohl erst übermorgen erreichen. Ich aber will heut noch hin.«

 

»Das ist unmöglich, hoher Vorfahre.«

»Ich werde Ihnen beweisen, daß es sehr wohl möglich ist. Wir kehren nur einmal ein, nämlich wenn wir die Hälfte des Weges, also fünfzig Li zurückgelegt haben.«

»So müssen wir verschmachten, und die Pferde werden vor Müdigkeit stürzen.«

»Das sagen Sie, der Sie Offizier und Kavallerist sind? Ich finde diese Tiere sehr brav und getraue mir, mit ihnen ohne allen Aufenthalt direkt das Ziel zu erreichen.«

»O, sie wanken doch schon!«

»Das scheint Ihnen nur so, weil Sie selbst das Gleichgewicht verloren haben. Kehren Sie hier ein, wenn es Ihnen beliebt, wir aber reiten weiter!«

Er trieb sein Pferd an, daß es in Galopp fiel; die andern folgten, und selbst die Packtiere, welche keine besonderen Führer hatten, rannten hinterdrein. Der Oberlieutenant machte ein Gesicht, wie er es wohl noch nie gezogen hatte. So etwas war ihm noch nie passiert. Er hatte große Lust, seinem Kopfe zu folgen, besann sich aber eines Besseren, stieg wieder auf und ritt, gefolgt von seinen Leuten, den Vorausgeeilten nach.

Von jetzt an ließ er sein Tier ruhig gehen und hielt sich schmollend eine kleine Strecke weit zurück.

Am Mittag wurde die Stelle erreicht, an welcher der eine Arm des Flusses rechts ab nach Schi-hing und der andere links nach Schin-hoa führt. Diesem letzteren folgten die Reisenden, ohne den Offizier zu fragen, ob dies die richtige Richtung sei.

Nun wurde die Gegend immer gebirgiger. Bisher waren die Berge bis zu ihrer Höhe mit Feldern bebaut gewesen; jetzt zeigten sich auch bewaldete Gipfel, ein Zeichen, daß man sich der eigentlichen Masse des Nan-ling-Gebirges nähere.

Als an einer der erwähnten Tafeln zu ersehen war, daß Schin-hoa nur noch vierzig Li entfernt sei, hielt der Methusalem beim nächsten Einkehrhause an. Der Wirt desselben, ein dicker, schmutzig aussehender Chinese, kam heraus, um die Ankömmlinge zu begrüßen. Sein Gesicht war nicht eben ein freundliches. Jedenfalls hatte er die Erfahrung gemacht, daß chinesische Soldaten nicht solche Gäste sind, an denen viel zu verdienen ist. Als er aber nun die fremd gekleideten Herren sah, erhielten seine Züge einen noch ganz anderen Ausdruck. Er riß den Mund auf, ebenso die kleinen Schlitzaugen, so weit er konnte, und starrte die Männer an, als ob ihm der Verstand abhanden gekommen sei.

Der Gottfried sprang vom Pferde, hielt dem Manne das Fagott ans Ohr und konstruierte einen so schauderhaften Triller, daß der Wirt vor Entsetzen einen lauten Schrei ausstieß und zu gleichen Beinen davonlief, um hinter der Ecke des Hauses zu verschwinden.

»So!« lachte der Wichsier. »Dem habe ich beijebracht, dat es niemals jeraten ist, jeehrte Herrschaften mit dem offnen Maule anzublicken. Nun rennt er wohl zu Bartheln, um sich Most zu holen, womit ich Verstand und Lebensart bezeichnen will. Wir sind ihm glücklich los. Jehen wir nun rin in dat Vergnüjen!«

Das Gebäude enthielt zwei Abteilungen von sehr verschiedener Größe. Die kleinere war jedenfalls für den Wirt, die größere für die Gäste bestimmt. Als der Gottfried einen neugierigen Blick in die erstere warf, fuhr er schnell zurück und rief:

»Pfui Spinne! Von dieser Madame möchte ich essen!«

»Wieso?« fragte Turnerstick.

»Die Familienmutter hat sich neben dem rauchenden Schmertopfe niederjelassen und hält eine junge Lady in ihrem Schoße, mit deren Kopf sie janz datselbige macht, wat die Affen so häufig einander zuliebe thun. Wenden wir uns jrauenhaft auf die andere Seite.«

Dort sah man einen großen, kahlen Raum, in welchem nur ein Tisch und zwei Bänke standen. In kurzer Zeit aber sah es wohnlicher aus. Da es eine Ruhepause galt, waren die Soldaten nicht zurückgeblieben. Sie brachten die Decken und Tücher herein, um sie über den Tisch und die Bänke zu breiten. Einige Matten wurden auf den Boden gelegt, und dann holten die reitunlustigen Kavalleristen die Mundvorräte herein, welche von dem Methusalem verteilt wurden.

Die Herrschaften aßen am Tische und die Soldaten am Boden auf den Matten. Da ein hochgestellter Chinese sich nicht gern von einem tiefer stehenden beim Essen beobachten läßt, so hatten sich die Krieger so gesetzt, daß sie den Reisenden den Rücken zukehrten, was also nicht ein Zeichen eines Mangels an Achtung, sondern gerade das Gegenteil war.

Nach einer halben Stunde hatte man das Mahl beendet, und der Methusalem mahnte zum Aufbruche, welchem Befehle die Soldaten nur sehr langsam Folge leisteten.

Degenfeld wollte, obgleich man von dem Wirte nichts verlangt hatte, diesem doch eine Münze geben. Liang-ssi ging, ihn zu suchen, kehrte aber zurück, ohne ihn gefunden zu haben. Der Mann ließ sich aus Angst vor dem Fagotte zu den Verschollenen zählen, und das Geld mußte seiner Frau ausgehändigt werden.

Nun ging es wieder vorwärts immer tiefer in die Berge hinein. Bald führte die Straße durch tiefe, enge, finstere Klüfte, bald stieg sie in steilen Windungen wieder zur hellen Höhe empor, um eine Aussicht auf neue Tiefen zu eröffnen.

Die Reisenden strengten jetzt die Pferde möglichst an, um noch vor Nacht das Ziel zu erreichen. Die Soldaten waren gezwungen, ihnen ebenso schnell zu folgen. Der Weg war menschenleer. Kein Wanderer begegnete ihnen. Hier und da gab es einmal ein Haus oder eine einsame Siedelung, deren Bewohner neugierig vor die Thüren gerannt kamen und halb erstaunt, halb erschrocken zurückfuhren, wenn sie die fremdartigen Reiter erblickten.

Der Methusalem ritt voran; er hatte während des ganzen Tages keine Lust gezeigt, sich zu unterhalten. Seine Gefährten hielten zusammen, um sich den Weg durch Gespräch zu verkürzen. Sie bemerkten, daß er der Gegend eine ungewöhnliche Aufmerksamkeit schenkte und bald rechts, bald links blickte, als ob er etwas suche.

So verging der Nachmittag, und der Abend wollte hereinbrechen, als man auf der letzten Höhe anlangte, von welcher aus man die Stadt Schin-hoa am Ufer des hier schmalen Flusses liegen sah. – Degenfeld befahl dem Offizier, voran zu reiten, um dem regierenden Mandarin des Ortes die Ankunft des Inhabers eines kaiserlichen Kuan zu melden, welchem schleunigst Folge geleistet wurde.

Nun ging es langsam bergab. Die Sonne war schon hinter den Bergwänden verschwunden, und die Höhen warfen ihre immer tiefer werdende Schatten in das Thal. Als die Reiter die Sohle desselben erreichten, sahen sie die Wirkung der Botschaft, welche Degenfeld dem Oberlieutenant aufgetragen hatte. Dieser hatte die Neuigkeit wohl laut auf der Straße verkündet, denn es kam ihnen eine dichte Menschenmenge entgegen, welche sich zu beiden Seiten des Weges aufstellte.

Um diesen Gaffern schneller zu entgehen, wurden die Pferde angespornt und im Galopp ging es dem Thore der Stadt entgegen. Dort wartete ihrer der Offizier, um sie nach der Wohnung des Mandarinen zu bringen, bis wohin die Einwohner förmlich Spalier bildeten. Und doch war es bereits so dunkel, daß man kaum einige Schritte weit zu sehen vermochte. Laternen aber durften noch nicht gebrannt werden, da das Zeichen dazu noch nicht gegeben war.

Die Gäste wurden wie gestern von dem Mandarin an der Thür empfangen und dann in das Innere des Hauses geleitet. Der lange Ritt hatte die Reisenden, welche nicht gewohnt waren, einen ganzen Tag lang im Sattel zu sitzen, ungemein angestrengt. Am größten mußte die Ermüdung Richards sein. Er konnte kaum die Beine biegen und hatte einen ungemein steifen Schritt, gab sich aber mannhaft Mühe, es nicht bemerken zu lassen.

Noch schlimmer schien der Mijnheer daran zu sein. Er hatte schon während des Nachmittags geklagt, ohne aber sehr beachtet zu werden. Dann waren seine Seufzer tiefer und seine Ausrufungen lauter geworden, und auf Befragen hatte er erklärt, daß er seine Glieder nicht mehr fühle. Es war allerdings nichts Kleines für einen so starkbeleibten Mann, einen Tag lang in der engen Sänfte bewegungslos sitzen zu müssen und, da dieselbe von zwei Pferden getragen wurde, alle Unebenheiten des Weges zwiefach empfinden zu müssen. Als er nun jetzt aus dem Palankin steigen wollte, war ihm das unmöglich. Zwei Diener des Mandarins zogen und ein dritter auf der anderen Seite schob ihn heraus. Als er die Erde unter sich hatte, wankte er, so daß er gehalten werden mußte. Glücklicherweise lag das Empfangszimmer zur ebenen Erde, so daß es keine unüberwindlichen Schwierigkeiten bot, ihn dorthin zu bringen. Da aber sank er sofort in einen Stuhl, faltete die Hände über den Leib, stieß einen langen, stöhnenden Seufzer aus und schloß die Augen, indem er langsam flüsterte:

»Ik ben dood; ik ben gestorven. Mijne ziel is ginds, en maar mijn ligcham is hier gebleven. Goede nacht, o boose wereld – ich bin tot; ich bin gestorben. Meine Seele ist jenseits, und nur mein Leichnam ist hier geblieben. Gute Nacht, o böse Welt!«

Ganz so wie gestern wurden den Reisenden Zimmer angewiesen. Der Dicke mußte in das seinige getragen werden, wo man ihn auf das Bett legte. Er ließ das mit sich geschehen, ohne auch nur die Augen zu öffnen.

In Rücksicht auf die allgemeine Ermüdung hatte Degenfeld das Abendessen für später als gestern bestellt. Jeder wollte vorher ein wenig ausruhen, und so kam es, daß keiner sich um den Mijnheer kümmerte. Man kannte ihn ja und wußte also, daß es ihm mit dem Sterben keineswegs Ernst sei.

Als dann an alle die Aufforderung zum Nachtmahle erging, fanden sie sich in dem dazu bestimmten Zimmer zusammen. Nur Aardappelenbosch fehlte, und so ging der Gottfried ihn zu holen. Er lag noch wie vorher mit geschlossenen Augen auf dem Bette.

»Mijnheer, schlafen Sie?« fragte der Wichsier.

Keine Antwort.

»Mijnheer, wachen Sie auf!« bat Gottfried, indem er ihn rüttelte.

»Ik ben gestorven,« antwortete der Holländer in klagendem Tone.

»Sind Sie wirklich tot?«

»Ja, op mijn woord!«

»So müssen wir Sie also begraben?«

»Ja, ik moet in de aard geleid worden – ja, ich muß in die Erde gelegt werden.«

»Schade, jammerschade! Gerade jetzt, wo es Leberpastete mit Reispudding gibt!«

»Leverpastei met rijstepudding?« schrie der Dicke, indem er in demselben Augenblicke kerzengerade auf den Beinen und in der Stube stand.

»Ja, das Essen ist serviert.«

»Het avondeten? Ik ga met; ik ga spoedig met – das Abendessen? Ich gehe mit; ich gehe schnell mit!«

Er faßte den Gottfried beim Arme und zog ihn eilig zur Thür hinaus, obgleich seine noch ungelenken Beine sich gegen diese Eile sträubten. So kam es, daß die Seele des Dicken wieder aus dem »Jenseits« zurückkehrte, und dieses Wunder, diese Auferstehung eines Toten war von zwei sehr einfachen, aber höchst delikaten Worten vollbracht worden – Leverpastei und Rijstepudding.

Wie Schin-hoa kleiner ist als Schao-tscheu, so hatte alles hier einen bescheideneren Anstrich. Der Gemeindepalast war ein gewöhnliches, wenn auch geräumiges Haus. Der Bürgermeister trug die einfache Goldkugel auf der Mütze und floß weniger über von unterwürfigen Redensarten. Das Essen bestand aus weniger und nicht so kostbaren Gängen, und es gab nur zwei Personen, um die Gäste zu bedienen. Der Mandarin getraute sich gar nicht, bei dem Essen gegenwärtig zu sein.

Dies alles war den Reisenden nur lieb. Sie sahen sich nicht unter dem Zwange der Etikette und konnten sich nach Herzenslust unterhalten, obgleich sie dies der beiden Diener wegen mit dem gebotenen Ernste thaten. Als diese aber am Schlusse den Raki brachten und sich dann entfernten, konnte der Gottfried es nicht länger zurückhalten, auf welche Weise er den Mijnheer vom sichern Tode errettet hatte. Sein Bericht erregte natürlich die allgemeinste Heiterkeit, in welche der Dicke endlich selbst mit einstimmte. Doch versicherte er im vollen Ernste:

»Ik ben zekerlijk gestorven geweest, op mijne eer – ich bin sicher gestorben gewesen, bei meiner Ehre!«

»So sind Sie unsterblich,« lachte der Gottfried.

»Ik? Werkelijk?«

»Ja, denn wenn Sie einst der richtige Tod beim Schopfe nimmt, so bedarf es nur eines Puterbratens oder einer Sardellensemmel, um Sie ihm zu entreißen. Sie werden der zweite ewige Jude sein und können sich also jetrost morjen wieder in Ihre Sänfte zusammenrütteln lassen.«

»Ik dank zeer! Da fluit ik niet met. Ik will niet gedragen zijn – ich danke sehr! Da pfeife ich nicht mit. Ich will nicht getragen sein.«

»Was denn?«

»Ik word ruiten – ich werde reiten.«

»Sie? Reiten? Und gestern waren Sie so dagegen? Gestern versicherten Sie aus Leibeskräften, daß Sie sterben würden, falls Sie reiten müßten.«

»Dat is ook zoo; maar ruit ik, zo moet ik sterven, en word ik gedragen, zo moet ik ook sterven; alzoo wil ik liever op mijnen paard sterven als in dezen ongelukkigen Dragstoel – das ist auch so; aber reite ich, so muß ich sterben, und werde ich getragen, so muß ich auch sterben; also will ich Iieber auf einem Pferd sterben als in diesem unglücklichen Tragstuhle.«

 

»Da haben Sie recht,« stimmte der Methusalem bei. »Denn dann sterben Sie wenigstens in freier Luft und hauchen Ihre Seele nicht in dem elenden Kasten aus. Wir bekommen hier neue Pferde. Ich werde Ihnen eines auswählen.«

»Ik pflieg maar op de aard, zoo dra ik opgestegen ben – ich fliege aber auf die Erde, sobald ich aufgestiegen bin!«

»Ich suche Ihnen ein sehr geduldiges aus.«

»Ik geloov an geen paard – ich glaube an kein Pferd!«

»So binden wir Sie fest. Dann kann Ihnen nichts geschehen.«

»Dat is goed. Ik word op dat paard gebonden. Da mak ik met; da mak ik zeer geerne met – das ist gut. Ich werde auf das Pferd gebunden. Da mache ich mit; da mache ich sehr gerne mit!«

So war es also beschlossene Sache, daß der Dicke morgen sich als Kavallerist sehen lassen werde. Man war jetzt lustig geworden und hätte sich gerne noch länger unterhalten; aber in Anbetracht der heutigen und der morgen wieder zu erwartenden Anstrengungen hielt man es doch für geraten, zur Ruhe zu gehen. Der Methusalem ließ dem Mandarin, welcher sich nicht wieder sehen lassen wollte, eine gute Nacht von allen wünschen, und dann begab sich jeder in sein Zimmer.

Am andern Morgen weckte Gottfried wieder. Der Oberlieutenant hatte bereits für den Umtausch der gestrigen mit frischen Pferden gesorgt, und Degenfeld suchte für den Mijnheer einen starken Gaul aus, dessen Alter vermuten ließ, daß er keine Jugendstreiche mehr begehen werde. Aardappelenbosch wurde in den Sattel gesetzt, und dann führte man das Pferd einigemal im Hofe herum. Er saß aber so schauderhaft da oben, daß er sich unmöglich vor den Leuten sehen lassen konnte; darum wurde beschlossen, ihn zunächst in einer Sänfte voranzuschicken.

Nachdem dies geschehen war, brach die Gesellschaft auf, begleitet von den Wünschen des Mandarins, welcher froh war, von so vornehmen Gästen befreit und wieder Herr seines Hauses zu sein.

Der Auszug aus der Stadt glich, wenn auch in kleinerem Maßstabe, dem gestrigen. Die Menge begleitete die Reisenden bis vor die Stadt und kehrte dann zurück, ganz befriedigt davon, einmal so sonderbare Fremdlinge gesehen zu haben.

Der Weg stieg kurz hinter der Stadt gleich steil an, und kaum hatte man einige hundert Schnitte zurückgelegt, so begegnete man den zurückkehrenden Sänftenträgern, welche wenig weiter oben den Mijnheer nach dem ihnen gewordenen Befehle mitten auf die Straße abgesetzt hatten. Er hatte den Riesenschirm aufgespannt und trug kreuzweise über dem Rücken die Gewehre, an denen die Tasche hing. Diese letztere enthielt längst die verschiedenen Theesorten nicht mehr, und dennoch behandelte er sie mit so ausgesetzter Sorgfalt, als ob sich ganz unersetzliche Kostbarkeiten in derselben befinden.

»Ik heb alreeds langs geroepen en gepepen,« schrie er ihnen schon von weitem zu. »Maakt snelst! Ik will ruiten – ich habe schon längst gerufen und gepfiffen. Macht schnellstens! Ich will reiten.«

»Schon jut, und nur Jeduld! « antwortete der Gottfried. »Sie kommen zeitig jenug in den Sattel und vielleicht noch schneller wieder herunter.«

Man hielt bei dem Dicken an und gab sich Mühe, ihn auf das Pferd zu bringen, was bei seinem Gewichte und seiner Unbehülflichkeit keine leichte Aufgabe war.

Endlich saß er oben, aber wie! Der Methusalem riet ihm, den Regenschirm zu schließen, worauf er aber nicht einging, weil, wie er behauptete, die ihm etwa Begegnenden ihm seinen Rang nicht angesehen hätten. Den Schirm in der Linken und die Zügel in der Rechten, begann er den Ritt, und zwar sehr langsamen Schrittes. Dennoch rutschte er, da er nicht fest in den Bügeln stand und die Schenkel nicht anlegte, bald herüber und bald hinüber, so daß er die Zügel an den Sattelknopf, welcher sehr hoch war, band und sich mit der rechten Hand an demselben anhielt. Hätte man einen Gorilla auf das Pferd gesetzt, so wäre die Haltung desselben wohl keine lächerlichere gewesen. Dennoch meinte er in sehr befriedigtem Tone:

»Zoo is het goed. Ik ben een bijzonder ruiter – so ist es gut. Ich bin ein vorzüglicher Reiter!«

In der Freude über die Gewandtheit, welche er seiner Ansicht nach entwickelte, machte er eine lebhafte Bewegung und verlor die Bügel. Das Pferd protestierte gegen diese Unruhe, indem es vorn in die Höhe stieg, und infolgedessen rutschte der Mijnheer hinten herab. Es gab einen dumpfen Ton, wie wenn ein Wollsack auf die Erde geworfen wird, und der Dicke kam, alle vier Extremitäten samt dem Regenschirm in die Höhe streckend, auf die Straße zu liegen.

Zum Glück besaß der Gaul kein überflüssiges Feuer. Er drehte sich um, den Reiter anzusehen, und blieb so stehen, ohne sich weiter zu bewegen. Die andern standen erschrocken um Roß und Reisigen, und Degenfeld fragte:

»Um Gotteswillen, Mijnheer, haben Sie sich etwa Schaden gethan?«

»Ik? Zeer grooten!« antwortete er stöhnend, indem er Arme und Beine noch immer in die Luft streckte. »Het dome Nijlpaard heeft mij van achteren verloren. Ik been dood; ik ben gestorven; ik ben buiten tegenspraak gestorven – ich? Sehr großen! Das dumme Nilpferd hat mich von hinten herunter verloren. Ich bin tot; ich bin gestorben; ich bin ohne Widerrede gestorben!«

»So legen Sie doch wenigstens die Arme und Beine nieder!«

»Dat kan ik niet. Ik ben dood!«

»So müssen wir versuchen, Ihre Lebensgeister aus dem Grabe zu erwecken. Es befindet sich eine Flasche Raki unter unsern neuen Vorräten. Wir werden Ihren Leichnam mit demselben einreiben.«

Da sprang der Dicke wie elektrisiert auf, machte eine Bewegung des Entsetzens und schrie:

»Raki? Brandewijn? Met den brandewijn zal niet gereven worden. Ik wil hem drinken. Gedronken is hij beter dan gereven. Waar is de flesch – Raki? Branntwein? Mit dem Branntwein soll nicht gerieben werden. Ich will ihn trinken. Getrunken ist er besser als gerieben. Wo ist die Flasche?«

Er erhielt sie und that einen solchen Zug, daß den andern angst und bange wurde. Der Methusalem nahm sie ihm aus der Hand und sagte:

»Das genügt. Ich sehe, daß Ihre Lebensgeister sich wieder eingefunden haben. Wie aber wird es nun mit dem Reiten stehen?«

»Indien ik mag de flesch dragen, zoo rijd ik straks beter dan een offizier van het paardevolk – wenn ich die Flasche tragen darf, so reite ich straks besser als ein Kavallerieoffizier.«

»Gut, wollen es versuchen. Aber ich mache die Bedingung, daß Sie die Bouteille nicht in der Hand, sondern in der Tasche tragen. Und um ganz sicher zu gehen, werden wir, wie schon gestern abend beschlossen wurde, Sie auf das Pferd binden.«

»Ja, ik wil op het paard gebonden zijn, diensvolgens kann ik niet van den diere vallen – ja, ich will auf das Pferd gebunden sein, dann kann ich nicht von dem Tiere fallen.«

Er bekam die Flasche, welche er in die Tasche schob; dann wurde ihm wieder in den Sattel geholfen. Darauf erhielt er an die beiden Füße eine Leine, welche unter dem Bauche des Pferdes straff angezogen wurde. Dadurch bekam er festen Schluß. Er fühlte das mit großer Befriedigung und sagte vergnügt:

»Zoo, nu is het goed. Wij worden rijden als de stonnwinden – so, nun ist es gut. Wir werden wie die Sturmwinde reiten.«

So schlimm war es nun freilich nicht; aber es ging doch weit besser als vorher, zumal er jetzt auf den großen Schirm verzichtet hatte. Freilich, hätte er die Gesichter gesehen, mit denen die chinesischen Reiter den Vorgang beobachtet hatten, so wäre es um seine gute Laune geschehen gewesen. Diese letztere verließ ihn auch dann nicht, als er bald mittraben mußte und tüchtig zusammengerüttelt wurde. Er lachte vielmehr im ganzen Gesichte und behauptete, der beste Reiter der Welt zu sein. Von dieser Meinung wurde er selbst davon nicht abgebracht, daß Turnerstick und der Gottfried sich stets zu seinen beiden Seiten hielten, um ihn, was sehr häufig vorkam, zu unterstützen.