Za darmo

Der blaurote Methusalem

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»Ihre Bemühung, mich davon abzubringen, ist vollständig überflüssig. Das Amt, welches ich bekleide, steht so hoch über meinem Alter, daß tausend Mandarinen mich um dasselbe beneiden. Ich habe es durch ernste Anstrengung und treue Pflichterfüllung errungen und weiß, daß mir die höchsten Würden offen stehen. Aber keine einzige dieser Hoffnungen wird sich erfüllen, wenn ich morgen melden muß, daß meine Gefangenen entkommen seien. Man wird mich selbst in den Kerker stecken; dann gehöre ich zur untersten Klasse des Volkes, zu den Unehrlichen, und kann niemals wieder eine Anstellung finden. Lieber will ich sterben. Sie besitzen einen Paß, den selbst die höchsten Mandarinen respektieren müssen; aber keiner von ihnen darf sich durch denselben zu einer direkten Pflichtwidrigkeit verleiten lassen; bringen Sie mir einen Befehl, dem ich unbedingt zu gehorchen habe, so will ich diese Männer gern frei geben und den Folgen ruhig entgegensehen.«

»Das kann ich nicht, denn ich bin nicht im Besitze eines solchen schriftlichen Befehles.«

»So thun Sie, was Sie vor Ihrem Gewissen verantworten können. Ich weiche der Gewalt, wiederhole Ihnen aber, daß das Thor, durch welches Sie Ihre Freunde aus dem Gefängnisse führen, sich morgen früh auch meiner Leiche öffnen wird.«

»Entsagen Sie diesem Gedanken, und denken Sie an Ihre Verwandten, denen Sie damit den größten Schmerz bereiten würden,« bat der Student.

»Ehrlosigkeit ist schlimmer als der Tod. Uebrigens habe ich keine Verwandten. Ich weiß nicht, wo meine Eltern und Geschwistern sich befinden, ob sie überhaupt noch leben. Kein Auge wird weinen, wenn das meinige sich geschlossen hat.«

Der Chinese hält die Familienbande außerordentlich heilig. Die Verehrung der Ahnen ist bei ihm ein Gegenstand des Kultus, und er hält es für ein großes Unglück, über seine Vorfahren nicht Rechenschaft geben zu können. Die letzten Worte des Mandarinen enthielten also nicht nur ein außerordentliches aufrichtiges Geständnis, sondern sie waren auch ganz geeignet, das Mitgefühl, welches die Anwesenden für ihn empfanden, noch zu erhöhen.

Gottfried von Bouillon verstand Chinesisch genug, um das erraten zu können, was er nicht geradezu wörtlich verstand. Er sagte zu dem Blauroten:

»Dieser jute Mensch kann mich leid thun. Er macht mit seine Drohung janz jewißlich Ernst. Haben wir keinen Befehl für ihn, so wollen wir es doch wenigstens einmal mit dem Paß des Bettlerkönigs versuchen, den Sie von Hu-tsin empfangen haben. Denken Sie nicht?«

»Nein. Dieser T‘eu-kuan ist kein amtliches Schriftstück.«

»Aber der Juwelier hat jesagt, dat ein jeder ihm respektieren werde.«

»Ja, aber ohne dann den Gehorsam eigentlich verantworten zu können.«

»Dennoch rate ich, es zu probieren. Thun Sie wenigstens mich den Jefallen!«

»Meinetwegen! Wenn es nichts nützt, so wird es jedenfalls auch nichts schaden.«

Er zog die erwähnte Legitimation hervor, reichte dieselbe dem Mandarin hin und sagte:

»Sehen Sie einmal dieses Schriftstück an! Vielleicht hat es die Wirkung, Sie von Ihrem grausigen Entschlusse abzubringen.«

Der Beamte griff nach dem Kuan. Als sein Auge auf die Zeichen fiel, nahm sein Gesicht einen ganz andern Ausdruck an.

»Ein T‘eu-kuan!« rief er aus. »Und zwar ein derartiger, wie ihn nur ganz bevorzugte Personen bekommen! Herr, Sie sind ein vornehmer Schützling des T‘eu. Ich darf mich nicht weigern; ich muß thun, was Sie wollen.«

»Das mußten Sie schon vorher, da wir die Macht hatten, Sie zu zwingen. Es handelt sich jetzt darum, ob Sie auch jetzt noch entschlossen sind, sich das Leben zu nehmen?«

»Jetzt nicht mehr, da die Befürchtungen, welche ich hegte, nun nicht mehr zutreffend sind. Welch ein Glück, daß Sie einen solchen T‘eu-kuan besitzen! Er entbindet mich ja jeder Verantwortung.«

»Wirklich?«

»Ja, Herr. Wehe dem, welcher mich wegen einer That bestrafen wollte, welche ich auf Vorzeigen dieses Kuan vorgenommen habe!«

»Aber Sie müssen Ihren Vorgesetzten beweisen können, daß Ihnen derselbe gezeigt worden ist?«

»Allerdings.«

»Wie aber wollen Sie das thun?«

»Können Sie mir den Kuan nicht zurücklassen?«

»Nein, Sie sehen ein, daß ich mich von so einem wichtigen Schriftstücke unmöglich trennen kann. Es ist wahrscheinlich, daß ich seiner noch sehr oft bedarf.«

»Aber Sie wissen, wo der T‘eu sich jetzt befindet?«

»Nein. Derjenige, von welchem ich den Kuan empfing, konnte es mir nicht sagen. Der T‘eu hat ja keinen festen, bleibenden Aufenthaltsort.«

»Das ist wahr. Aber es ist zu erfahren, wo man ihn treffen kann. Wer einen solchen Kuan besitzt, dem muß jeder Unterthan des T‘eu genaue Auskunft erteilen. Wohin wollen Sie die Gefangenen bringen?«

»Sie sehen ein, daß Sie der allerletzte sind, dem ich das verraten darf.«

»O nein. Ich bin der allererste, dem Sie es sagen können, denn ich werde mit Ihnen gehen. Ich selbst werde diese Herren aus dem Gefängnisse führen.«

»Darf ich diesen Worten Glauben schenken?«

»Gewiß! Ich muß dem T‘eu gehorchen. Aber um meine Ehre zu retten, muß ich nachweisen können, daß er es ist, dem ich zu Willen gewesen bin. Infolge dessen muß ich ihn aufsuchen, ihn oder einen seiner Offiziere, um mir das Zeugnis zu holen, dessen ich bedarf, wenn ich nicht allen meinen Hoffnungen auf die Zukunft entsagen will.«

»Sie wollen also sogleich mit uns fort? Jetzt?«

»Ja, denn wenn ich eingesperrt werde, kann ich den erwähnten Beweis nicht liefern. Und da Sie den Kuan besitzen und nicht aus der Hand geben wollen, ist es mir nur mit Ihrer Hilfe möglich, das Zeugnis zu erlangen.«

»Können Sie es denn verantworten, das Gefängnis ohne Aufsicht zu lassen?«

»Das beabsichtige ich ja gar nicht. Ich werde, bevor ich gehe, die Aufsicht einem Unterbeamten übergeben und ihm zugleich sagen, daß ich auf höhern Befehl die Gefangenen entlassen und persönlich begleiten muß.«

Der Mandarin sprach mit dem Ausdrucke der Wahrheit und zeigte dabei eine so aufrichtige Miene, daß es dem Methusalem schwer wurde, an ihm zu zweifeln. Aber es galt, vorsichtig zu sein. Der so schnelle Entschluß des Mandarinen konnte eine Kriegslist sein. Darum erkundigte sich der Student:

»Wenn Sie mit uns gehen wollen, so müssen Sie sich vorher auf eine längere Abwesenheit vorbereiten?«

»Ja.«

»Wir sollen Ihnen also erlauben, dieses Zimmer zu verlassen?«

»Ich muß Sie freilich darum bitten.«

»Und da haben Sie Gelegenheit, alle Ihre Leute gegen uns zusammen zu rufen! Nein, das kann ich nicht genehmigen.«

Der Mandarin antwortete in bescheidenem Tone:

»Ich kann es Ihnen nicht verdenken, daß Sie Mißtrauen hegen; aber ich will dasselbe zerstreuen, indem ich Sie bitte, mich nach meiner Wohnung zu begleiten. Sie liegt hier in diesem Gange. Ich werde zwischen Ihnen gehen, und Sie können mich sofort töten, wenn ich das Geringste thue, was Ihren Verdacht rechtfertigt.«

»Damit bin ich einverstanden, vorausgesetzt, daß Sie mir erlauben, die bisherigen Gefangenen vorher aus diesem Hause zu bringen.«

»Wohin?«

»Ganz in die Nähe, wo unsere Tragsessel halten.«

»Wollen Sie mich zurück lassen?«

»Nein. Ich meine es ehrlich mit Ihnen. Hier dieser Mann wird bei Ihnen bleiben, teils um Sie bis zu meiner Rückkehr hier zu beaufsichtigen, wie ich Ihnen ganz offen gestehe, teils aber auch um Ihnen die Sicherheit zu geben, daß ich wiederkehre, um Sie abzuholen.«

»Gut, ich werde Ihnen mehr Vertrauen schenken als Sie mir. Ich bleibe in diesem Zimmer, bis Sie wiederkommen. Gehen Sie; aber lassen Sie mich nicht allzulange warten!«

Als der Blaurote von dem Manne sprach, welcher bei dem Mandarin bleiben sollte, hatte er auf Gottfried gezeigt. Dieser sagte jetzt:

»Ja, gehen Sie! Ich werde mir jetzt hierher setzen und kein Auge von dem Chinesigen verwenden. Zieht er mich ein falsches Jesicht, so steche ich ihm eine Revolverkugel in den Leib. Ich lasse keinen Spaß mit mich machen.«

Er setzte sich nieder, so daß er sich zwischen dem Beamten und der Thür befand. Die andern entfernten sich. Der Methusalem führte sie auf demselben Wege hinaus, auf welchem er in das Gefängnis gekommen war. Keiner der Wächter wagte es, Widerspruch zu erheben. Als sie vor dem offenen Thore standen, trug der Student Richard Stein auf, die Befreiten nach dem Hause zu führen, in dessen Hofe die Palankinträger warteten. Er selbst kehrte zu dem Mandarin zurück, indem er die Thüren hinter sich wieder verschließen ließ.

Der Beamte stand gerade noch so wie vorhin mitten in dem Zimmer, und der Gottfried saß mit einer wahren Cerberusmiene auf seinem Stuhle.

»Dat ist schnell jegangen,« sagte der letztere. »Es war mich nicht sehr wohl zu Mute, mir so allein in dieses Prison zu wissen. Nun Sie aber wieder da sind, befinde ich mir von neuem bei die jewöhnliche Jeistesjegenwart und Todesverachtung.«

Die beiden nahmen den Mandarin zwischen sich und begaben sich mit ihm hinaus auf den Gang. Er führte sie in seine Wohnung, welche sich an der anderen Seite befand und aus drei kleinen Stuben bestand. Der Raum, in welchem sie bisher gewesen waren, schien nur eine Art Expeditionszimmer zu sein.

Er suchte Kleider, Geld und andere Gegenstände, welche er zur Reise gebrauchte, zusammen und schrieb dann einen Zettel, welcher auf dem Tische liegen bleiben sollte. Derselbe enthielt die nötige Instruktion für den erwähnten Unterbeamten. Dann bat er um die Erlaubnis, zwei Sänftenträger rufen zu dürfen, welche am Gefängnisse angestellt waren.

»Das ist nicht nötig,« antwortete der Methusalem. »Es wäre sogar sehr unvorsichtig, diese Leute zu wecken und ihnen wissen zu lassen, wohin wir gehen. Man würde uns vielleicht verfolgen. Wir haben eine Doppelsänfte, in welcher sich unsere Gewehre befinden. Da ist wohl noch Platz für Sie. Auf welche Weise aber können Sie mich sicher stellen, daß Sie, während wir durch die Stadt kommen, nicht Lärm schlagen und uns festhalten lassen?«

 

»Herr, ich bin kein Lügner. Ich versprach Ihnen, mit Ihnen zu gehen, und ich werde mein Wort halten. Doch habe ich Räucherstäbchen hier und kann Ihnen mein Kong-kheou geben, wenn Sie nicht damit zufrieden sind, daß ich Ihnen meinen Namen verpfände.«

»Wie heißen Sie?«

»Mein Schulname lautet Jin-tsian.«

»Und Ihr Geschlechtsname?«

»Pang.«

»Pang?« wiederholte der Methusalem überrascht. »Ist das möglich!«

»Warum sollte es nicht möglich sein?«

»Weil ich einen kenne, welcher denselben Namen hat.«

»Herr, das ist ja gar kein Wunder, da es nur vierhundertachtunddreißig Geschlechts- oder Familiennamen gibt. Es sind also viele Tausende, deren Namen ganz derselbe ist.«

»Aber Sie sehen dem Betreffenden sehr ähnlich. Darf ich Sie nach Ihrem Stamme fragen?«

»Er heißt Seng-ho.«

»Wirklich? Seng-ho? Dann hätte meine Ahnung mich nicht getäuscht. Sie sagten, daß Sie nicht wissen, wo Ihre Eltern sich befinden. Vielleicht kann ich Ihnen Aufschluß geben. Stammen Sie aus der Provinz Kwéi-tschou?«

»Ja, diese Provinz ist meine Heimat,« antwortete der Chinese schnell. »Herr, warum diese Frage? Sie sprechen von einem Aufschlusse. Kennen Sie meinen Stamm, meine Familie, meine Eltern?«

»Sagen Sie mir erst, ob Ihr Vater vielleicht Ye-kin-li geheißen hat!«

»Ja, ja, Herr! Ye-kin-li war sein Titelname. Sie kennen denselben! O Himmel, o Geist der Welten! Sie sind als Feind zu mir gekommen; Sie haben mich gezwungen, gegen meine Pflicht zu handeln, und nun sprechen Sie von meinem Vater. Vielleicht hat gerade das Glück Sie zu mir geführt. Vielleicht war es der Wille der Allweisheit, daß ich mein Amt verlassen und mit Ihnen gehen soll. Sprechen Sie schnell! Kennen Sie meinen Vater? Haben Sie von ihm gehört, wohl gar ihn gesehen? Lebt er noch? Wo befindet er sich, und warum hat er nicht nach seinen Kindern geforscht?«

Er hatte die beiden Hände des Methusalem ergriffen und seine Fragen mit großer Hast ausgesprochen. Degenfeld antwortete, indem seine Stimme vor Rührung zitterte:

»Er lebt noch, fern von seinem Vaterlande, in welches er nicht zurückkehren darf, weil man ihn da für einen Empörer hält. Mich aber hat er ausgesandt, um nach seinem Weibe und seinen Kindern zu forschen.«

»Und wo, wo lebt er? O sagen Sie es mir!«

»In Deutschland, welches meine Heimat ist.«

»Herr, Sie sind wie ein Stern, der mir in dunkler Nacht erscheint. Sie geben mir meine Ehre zurück. Ich darf sagen, daß ich einen Vater habe. Ich bin nicht mehr ein Mensch, welcher sich schämen muß, wenn man ihn nach seinen Ahnen fragt. Mein Vater lebt. Er kann nicht kommen; aber ich werde zu ihm gehen. Ich werde China verlassen und allen Ehren, welche mich erwarten, entsagen, um bei dem zu sein, dem ich mein Leben, mein Dasein verdanke.«

Er hatte die Hände des Methusalem losgelassen und war langsam in die Kniee gesunken. Er legte sein Gesicht in seine Hände und schluchzte laut vor Freude und Seligkeit.

Dem Studenten standen Thränen der Rührung im Auge. Der Gottfried stand da, zog allerlei Gesichter, um seiner Bewegung Herr zu werden, und platzte, als ihm das nicht gelingen wollte, in zornigem Tone los:

»Und dieser juten Seele habe ich eine Kugel in den Leib schießen wollen! O Jottfried, Jottfried, wat für dumme Augen hast du jehabt! Wie konntest du dir in diese Weise an dem Sohn deines juten Ye-kin-li verjehen!«

Degenfeld legte dem Chinesen die Hand auf die Schulter und sagte:

»Fassen Sie sich jetzt, mein Lieber! Die Zeit ist uns kurz zugemessen. Warten Sie noch eine Stunde; dann sollen Sie alles erfahren.«

»Sie haben recht,« anwortete der Mandarin, indem er sich erhob. »Wir müssen fort. Ich darf nicht hier bleiben. Erst wollte ich gezwungen mit Ihnen gehen; nun aber bitte ich Sie, mich zu führen, wohin es Ihnen gefällt. Aber sagen Sie mir vorher nur noch, ob Sie etwas von meinen Geschwistern wissen! «

»Ich kenne ihre Namen,« antwortete Degenfeld. »Ihr Bruder führt den Namen Liang-ssi; Ihre Mutter wurde Hao-keu genannt, und Ihre beiden Schwestern heißen Méi-pao und Sim-ming. Ist das richtig?«

»Ja, ja, es ist richtig. So heißen sie. Sie kennen die Namen ganz genau. Vielleicht wissen Sie auch, ob sie noch leben und wo sie sich befinden?«

»Von dem Bruder weiß ich es, von den andern noch nicht, doch hoffe ich, es auch noch zu erfahren.«

»Dann sagen Sie schnell, schnell, wo ich den Bruder zu suchen habe.«

»Hier in der Stadt.«

»Die ich so schnell verlassen soll! Herr, ich gehe nicht fort; ich bleibe hier, bis ich ihn gesehen habe!«

»Das ist nicht nötig. Sie können getrost mit uns abreisen, da ihr Bruder dieselbe Reise auf dem Tausendfuße mit uns machen wird.«

»Ist das wahr? Wirklich? Was ist er und wohin will er? Haben Sie ihn schon gesehen, mit ihm gesprochen?«

»Ja. Er will auch den Fluß aufwärts fahren, da er sich hier nur vorübergehend aufgehalten hat und in der Provinz Hunan wohnt. Er hat keine Ahnung, daß sich sein verlorener Bruder hier befindet. Ich bin sogar überzeugt, daß Sie sich bereits gesehen haben, doch ohne sich zu erkennen. Man hat mir gesagt, daß Sie sich in Gefangenschaft befunden haben. Darf ich erfahren, wie Sie entkommen sind?«

»Mit Hilfe eines Freundes meines Vaters, welcher ein hoher Beamter war. Leider waren wir im Gefängnisse getrennt worden, so daß es ihm unmöglich war, uns zu gleicher Zeit zu befreien. Als er mir das Thor öffnete, versprach er mir, die Mutter mit den Geschwistern nachzusenden. Den Bruder hatte er bereits gerettet; er gab mir den Ort an, wo ich denselben treffen würde; aber als ich hinkam, fand ich ihn nicht mehr. Ich wartete auf seine Rückkehr ebenso vergeblich wie auf die Ankunft der Mutter und der Geschwister. Da ich nicht in Kwéi-tschou bleiben durfte, weil man dort nach mir forschte, ging ich nach der Provinz Kuang-tung, wo ich sicherer war. Ich zählte damals vierzehn Jahre und mußte mein Leben durch Betteln fristen. Glücklicherweise fand ich immer mitleidige Menschen und dann einen Beschützer, welcher mich lieb gewann und, da er keine Kinder hatte, mich als Sohn bei sich aufnahm. Ihm habe ich alles zu verdanken. Lebte er noch, so würde es mir schwer werden, das Vaterland zu verlassen, um mit Ihnen nach Deutschland zu gehen. Aber wenn es wirklich so ist, daß ich meinen Bruder Liang-ssi auf dem Tausendfuße treffen werde, so lassen Sie uns nicht länger zögern sondern aufbrechen. Jeder Augenblick, den wir zögern, ist für mich verloren.«

Seine Habe war nicht groß, und da er nur das Notwendigste mit sich nehmen konnte, so hatte er nur ein kleines Packet zu tragen, welches den Wachen nicht auffiel. Die drei Männer gelangten glücklich aus dem Gefängnisse und hinüber in den Hof, wo die Gefährten ihrer warteten.

Dort fiel es keinem ein, viele Worte zu machen; es handelte sich darum, nun schnell die Stadt zu verlassen. Man brach sofort auf, nachdem ein jeder seine Sänfte bestiegen und der junge Mandarin in derjenigen Platz gefunden hatte, in welcher sich die Gewehre befanden.

So oft der Zug an ein verschlossenes Straßenthor kam, wurde er von dem betreffenden Wächter angehalten; dann zeigte der Methusalem seinen Paß vor, und die Pforte wurde geöffnet. So wurden alle Hindernisse glücklich passiert, und man gelangte in die Nähe des Flusses.

Da hielten die Sänftenträger an und baten, auszusteigen. Der Anführer derselben deutete nach dem in der Dunkelheit verborgenem Ufer und sagte:

»Die würdigen Herren mögen nun noch zweihundert Schritte geradeaus gehen. Da gelangen sie zu dem Ts‘ien-kiok, welchen sie daran erkennen werden, daß auf der Mitte seines Verdeckes drei blaue Papierlaternen dicht nebeneinander brennen. Der Ho-tschang wartet bereits, da er von ihrer Ankunft unterrichtet ist.«

Degenfeld gab ihm eine gute Belohnung und schritt dann mit seinen Gefährten in der angegebenen Richtung vorwärts.

Als sie das Ufer erreichten, sahen sie eine Menge von Dschunken liegen; auf jeder derselben brannte eine Laterne. Auf derjenigen aber, welche gerade vor ihnen lag, brannten deren drei von blauer Farbe. Das mußte also die richtige sein.

Im Lichtkreise dieser Laternen saßen zwei Männer. Ein dritter lehnte an der Bordbrüstung. Als er die Ankömmlinge bemerkte, bog er sich vor und rief ihnen zu:

»Ho-ja, ho-ja! Hing ni-men lai?«

Ho-ja ist der chinesische Schifferruf, etwa wie bei uns das bekannte Ahoi der Seeleute. Die dann folgende Frage heißt: »Wollt ihr zu uns?«

»Tsche – ja,« antwortete der Methusalem.

»Lai schang – kommt herauf!«

Er ließ eine Bambusleiter herab, an welcher die sieben Personen an Deck stiegen. Turnerstick hatte sich vorgedrängt, um der Erste zu sein. Oben angekommen, wandte er sich sofort mit einer Verbeugung an den Mann, welcher der Ho-tschang der Dschunke war:

»Tsching tsching, Mongsieu! Singt Sie etwa der Kapitaing vong dieseng Schiffe?«

Der Gefragte antwortete nicht, da er ihn nicht verstand. Darum fuhr Turnerstick fort:

»Sie scheineng mich nicht verstandung zu habang. Wir kommeng, um mit Ihning zu fahrong. Lassing Sie sofort die Anker lichteng! Wir müssing beim Anbruch des Morgengs die Stadt weit hinter uns habing.«

Jetzt schob Degenfeld ihn ohne Umstände zur Seite und fragte den Ho-tschang in besserem Chinesisch:

»Ich sehe, daß Sie uns erwartet haben. Wir sind von dem erlauchten Ho-po-so gesandt. Hoffentlich befinden wir uns an dem richtigen Orte?«

»Die hohen Gönner sind von diesem Augenblicke an die Herren und Gebieter meines Tausendfußes und aller, die sich auf demselben befinden,« antwortete der Gefragte. »Ich habe sie erwartet, und es wurde mir der Befehl, Ihnen mitzuteilen, daß ich Ihnen das Schiff für die ganze Länge des Flusses zur Verfügung zu stellen habe. Ich soll mich allein nur nach Ihren Wünschen richten.«

Das war weit mehr, als der Methusalem erwartet hatte. Einer der beiden Männer, welche auf einem Teppiche am Boden saßen, stand auf, kam herbei und sagte, indem er sich tief verbeugte:

»Ich bin der Scheu-pi dieses Schiffes und bitte, mir Ihren Namen zu sagen, damit ich Sie dem hochmächtigen Yao-tschang-ti vorstellen kann!«

Er war also der Hauptmann oder Kapitän, welcher von der Schiffahrt nichts verstand, und der andre, welcher stolz sitzen blieb, war der Steuereintreiber, von welchem der Tong-tschi gesagt hatte, daß auf sein Bramarbasieren nichts zu geben sei.

Der Methusalem hielt es für geraten, diesen beiden Männern gleich jetzt zu zeigen, daß er nicht die Absicht hege, sich von ihnen abhängig zu machen. Darum antwortete er »Wie meinen Sie? Wir sollen ihm vorgestellt werden? Wer ist der Höhere, er oder ich?«

»Ich natürlich, ich!« rief der Steuerbeamte, welcher alles gehört hatte, indem er aufsprang: »Ich bin der hochgeehrte Yao-tschang-ti des Lichtes aller Könige. Wer kann behaupten, mehr zu sein als ich?«

Er kam säbelrasselnd herbei und richtete seine kleine, dürre Gestalt möglichst hoch vor dem Methusalem auf. Seine Kleidung war diejenige eines chinesischen Beamten, doch trug er auf seiner Mütze eine einfache vergoldete Kugel, das Zeichen des niedrigsten Mandarinenranges. Dafür aber hatte er, um Ehrfurcht zu erwecken, zwei lange Säbel umgeschnallt; der eine hing ihm an der rechten und der andere an der linken Seite. Ein Bart war ihm nicht gewachsen, um so länger aber war sein Zopf, welcher ihm fast bis zu den Füßen reichte und jedenfalls eine tüchtige Portion falschen Haares gekostet hatte. Während er sprach, ergriff er die Säbel und stampfte mit denselben den Boden, daß es klirrte.

Da trat Jin-tsian zu ihm heran und fuhr ihn an:

»Schweig! Was bist du gegen uns? Eine Mücke, welche ich mit dem Finger zerdrücken kann! Siehst du nicht, daß ich die blaue Kugel trage? Und dieser hochgeborene Herr, an welchen du deine albernen Worte gerichtet hast, zeigt nur aus Gnade nicht den kostbaren roten Stein, welchen zu tragen er berechtigt ist. Laß dir zeigen, daß er den Kuan des Himmelssohnes besitzt, und sinke auf die Knie vor ihm!«

Der Steuereintreiber knickte zusammen, als ob er von jemanden niedergedrückt würde. Er kniete wirklich vor Degenfeld hin, senkte das Gesicht fast auf den Boden nieder und bat:

»Verzeihen Sie, erlauchter Gebieter, daß ich nicht wußte, welch eines Ranges Zeichen Ihre mir unbekannte ehrwürdige Kleidung ist. Ich bin der geringste Ihrer Sklaven und halte mich bereit, alle Ihre Befehle augenblicklich zu erfüllen!«

Degenfeld ließ ihn knien, ohne ihn weiter zu beachten, und wendete sich an den Ho-tschang, um diesem die Weisung zu geben, die Fahrt so bald wie möglich zu beginnen. Man hatte alles schon dazu vorbereitet; der Anker war bereits aufgezogen, und die Dschunke hing nur noch mit einem Tau am Ufer. Dieses wurde eingenommen, und sofort strebte das Fahrzeug unter dem Geräusch der Ruderschläge der Mitte des Stromes zu. Dort wurden die Segel gehißt, und der günstige Wind richtete den Schnabel des Schiffes gegen den Fluß.

 

Die dazu nötigen Befehle hatte der Ho-tschang erteilt. Von dem Scheu-pi war nichts zu sehen, und auch der mächtige Steuereintreiber schien verschwunden zu sein.

Nun wies der Ho-tschang seinen Passagieren die für sie bestimmten Räume an. Dieselben waren prächtig eingerichtet und nur für diejenigen Kriegsmandarinen bestimmt, welche den Tausendfuß gelegentlich zu ihren Dienstreisen benutzten.

Unter dem Verdeck lag der Raum für die Ruderer, von denen je vierzig an einer Seite saßen. Zwei Personen gehörten zu einem Ruder, welche eine sehr bedeutende Länge hatten und das Schiff ziemlich schnell gegen den Strom bewegten, wobei sie von dem Winde, wenn derselbe günstig war, unterstützt wurden.

Nun wurde der Methusalem gefragt, ob er das Festmahl in seiner Kajüte oder auf dem Decke aufgetragen wünsche. Er zog das letztere vor, da die Nacht sehr mild war. Als er den andern mitteilte, daß man im Begriffe stehe, sie durch ein Nachtessen zu ehren, rief der Dicke:

»Dat is goed; dat is hemelsch! Ik heb honger; ik moet eten. Gij ook, Mijnheer Turnerstick – das ist gut; das ist himmlisch! Ich habe Hunger; ich muß essen. Sie auch, Herr Turnerstick?«

»Ja,« antwortete der Gefragte. »Essen muß der Mensch zu jeder Zeit können, und nach den Strapazen, welche wir hinter uns haben, ist eine Stärkung ganz besonders notwendig.«

»Na, wenn Sie es eine Strapaze nennen, sich im Gefängnisse auszuruhen, so nehmen Sie, obgleich Sie es nicht verdienen, mein Beileid entgegen,« sagte Gottfried.

»Was, nicht verdienen?« rief der Kapitän.

»Natürlich! Wer ist denn Schuld an die janze Weltjeschichte? Doch nur Sie selbst! Warum kommen Sie auf den horriblen Jedanken, Ihnen als Jötzen Dschaggernats in den Tempel zu postamentieren! Wat hat Ihnen denn eijentlich unter die Haut jekrabbelt, dat Sie auf so eine Assotiation der Jedanken und Mißbegriffe jeraten konnten?«

»Nichts hat uns gekrabbelt. Verstanden!« rief der Kapitän zornig. »Mich krabbelt überhaupt niemals etwas; das mögen Sie sich merken, Sie Gottfried von der traurigen Gestalt! Wie können Sie von Mißbegriffen sprechen! Heimdall Turnerstick und Mißbegriff! Das ist geradezu eine Majestätsbeleidigung!«

»Ja. Wenigstens war dar Ihrige Aussehen ein höchst majestätisches, als Sie sich mit die Chinesigen herumbalgten. Kommen Ihnen noch mehr solche bunte Raupen in dat Jehirn, so können wir nur gleich umkehren und nach Hause pilgern.«

Turnerstick wollte, wie ihm anzusehen war, eine nicht allzu höfliche Antwort geben, doch der Methusalem kam ihm in sehr ernstem Tone zuvor:

»Unser Gottfried hat ganz recht! Sie haben sich und uns in die größte Verlegenheit gebracht, und wir können Gott danken, daß die Sache ein so gutes Ende genommen hat. Ich muß Sie wirklich ersuchen, sich nicht wieder solchen augenblicklichen und gefährlichen Einfällen hinzugeben. Ich hatte mir vorgenommen, Ihnen eine tüchtige Strafrede zu halten; da ich aber mit derselben das Geschehene nicht ungeschehen machen kann und Ihr Abenteuer uns ein sehr freudiges Ereignis in Aussicht gestellt hat, so will ich schweigen.«

»Ein freudiges Ereignis? Welches?« fragte der Kapitän, bemüht, schnell auf ein anderes Thema zu kommen.

»Wir haben die Bekanntschaft eines Mannes gemacht, von welchem ich vermute, daß er mit unserm guten Liang-ssi verwandt ist.«

»Mit mir?« fiel schnell der Chinese ein.

»Ja, mit Ihnen.«

»Wer ist das?«

»Hier unser wackerer Mandarin, welcher nicht nur in Ihre Befreiung gewilligt, sondern sich auch entschlossen hat, uns bis nach Deutschland zu begleiten.«

»Nach – Deutsch – land?« fragte Liang-ssi erstaunt und gedehnt. »Wa – — rum?«

Sein Blick ging forschend zwischen dem Methusalem und dem Mandarin hin und her.

»Fragen Sie ihn selbst,« antwortete der erstere. »Fragen Sie ihn vor allen Dingen und zuerst nach seinen Namen!«

Der Mandarin hatte die deutschen Worte nicht verstanden, doch ahnte er, da aller Augen auf ihn gerichtet waren, daß die Rede von ihm sei. Er nannte, als er von Liang-ssi gefragt wurde, seinen Namen. Als der Fragende denselben hörte, fuhr er einen, zwei, drei Schritte zurück und rief:

»Jin-tsian! Und ich heiße Liang-ssi.«

»Liang-ssi!« stieß der Mandarin hervor. »So hieß mein Bruder, welchen ich verloren habe.«

Einige Sekunden lang waren ihre forschenden Blicke gegenseitig aufeinander gerichtet; dann eilten sie aufeinander zu und lagen sich in den Armen.

»Was ist das?« fragte Turnerstick. »Warum umarmen sie sich?«

»Sie sind Brüder,« antwortete Degenfeld. »Ich habe entdeckt, daß der Mandarin der zweite Sohn unseres Ye-kin-li ist.«

Diese Worte riefen die freudigste Ueberraschung hervor. Alle drängten sich an die Brüder, welche vor Freude weinten und sich nicht aus den Armen lassen wollten. Es ertönten ihnen in deutscher, niederländischer und chinesischer Sprache die herzlichsten Gratulationen entgegen. Die Freunde waren fast in demselben Grade entzückt wie die Brüder selbst. Gottfried schlang seine langen Arme um die letzteren, zog sie kräftig an sich und rief:

»Kommt an meine jefühlsreiche Brust, ihr Söhne der jeliebten Mitte. Ich bin jerührt. Ich fühle mir als eure liebevolle Erzieherin und muß teilnehmen an eurer Seligkeit. Kommen Sie, Mijnheer, und nehmen Sie die Jungens von die andere Seite! Wat glücklich sich jefunden hat, dat muß umärmelt werden.«

»Ja,« antwortete der Dicke, indem er jenseits seine Arme um die Brüder schlang, was ihm aber wegen seiner Wohlbeleibtheit nicht recht gelingen wollte, »ook ik ben gelukkig; ook mij zwellt de borst; ook ik moet mijne armen om zij wringen. Ik moet mij nagenoeg snuiten, zoo oneindelijk ben ik gevoelig – auch ich bin glücklich; auch mir schwillt die Brust; auch ich muß meine Arme um sie schlingen. Ich muß mich beinahe schneuzen, so unendlich bin ich gerührt!«

Dabei liefen ihm die Thränen des freudigsten Mitgefühls in hellen Tropfen über die dicken Backen herab. Selbst die kleine Nase wurde in Mitleidenschaft gezogen, so daß endlich das geschah, was er so außerordentlich zart angedeutet hatte: er retirierte in eine Ecke, setzte sich dort auf einen Stuhl, zog sein »Zakdoek« hervor und »snuizte« sich so anhaltend und kräftig, daß die harmonischen Töne, welche er dabei hervorbrachte, alle anderen Laute verschlangen.

Der Methusalem als der eigentliche Schöpfer dieses Glückes stand mit Richard von ferne und schaute still der Scene zu, bis die Brüder zu ihm traten, um ihm Dank zu sagen. Beide waren begierig, ihre gegenseitigen Erlebnisse voneinander zu erfahren, doch gab es zu einer solchen Unterhaltung keine Zeit, da der Ho-tschang eben jetzt melden ließ, daß das Mahl aufgetragen sei. Es wurde als Feier des Wiedersehens ein wahres Freudenmahl.

Das Verdeck wurde von zahlreichen Laternen geradezu festlich erleuchtet. Es gab an der improvisierten Tafel nur acht Plätze. Der Ho-tschang bat um die Erlaubnis, mit Platz nehmen zu dürfen, um die Bedienung seiner hohen Gäste besser leiten zu können. Der Kommandant des Schiffes und der Steuereintreiber ließen sich beide nicht sehen. Es war ihnen unheimlich geworden.

Am Himmel glänzten tausend Sterne, und der Mond stieg soeben über dem Horizonte empor. Die Nacht war lau und würzig und die Ruhe derselben wurde nur durch den taktmäßigen Schlag der Ruder und das rauschende Sog unterbrochen. Das Essen bestand aus lauter »Meeresfrüchten«, wie der Italiener sagen würde, alle nach chinesischer Art in verschiedener Weise zubereitet. Es war ein Mahl, eines hohen Mandarinen würdig. Keiner aber ließ es sich so schmecken wie der Dicke. Er hatte seine Rührung vergessen und seine Thränen gestillt. In seinen angestrengt arbeitenden Mund ging alles, aus demselben aber kam nichts als höchstens hie und da einmal ein kurzer Ausruf des Behagens und der höchsten Befriedigung. Als das Mahl beendet war, schnalzte er mit der Zunge und sagte: