Za darmo

Der blaurote Methusalem

Tekst
Autor:
0
Recenzje
iOSAndroidWindows Phone
Gdzie wysłać link do aplikacji?
Nie zamykaj tego okna, dopóki nie wprowadzisz kodu na urządzeniu mobilnym
Ponów próbęLink został wysłany

Na prośbę właściciela praw autorskich ta książka nie jest dostępna do pobrania jako plik.

Można ją jednak przeczytać w naszych aplikacjach mobilnych (nawet bez połączenia z internetem) oraz online w witrynie LitRes.

Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

»Ich bin noch immer nicht gehört worden. Vielleicht gelingt es mir, sie durch Wohlgerüche zurückzurufen.«

Er schwang das Stäbchen vor den Göttern hin und her. Turnerstick holte tief Atem, klappte seinen Fächer zu, sah im Kreise umher und fragte zornig:

»Ist die Komödie nicht bald zu Ende? Es fällt mir gar nicht ein, länger hier sitzen zu bleiben. Heut nur zwei Tassen Thee! Ich habe einen gewaltigen Hunger. Sie nicht auch, Mijnheer?«

Der Dicke that, als ob er zu sich komme, verdrehte die Augen und antwortete:

»Ja, het is tijd dat wij an tafel gaan – ja, es ist Zeit, daß wir zu Tische gehen.«

»Hören Sie es? Nun machen Sie also, daß wir fortkommen! Wo ist unser Methusalem?«

»Er steht am Gitter hinter Ihnen.«

»So hört er also, was wir reden?«

»Ja.«

»Nun, so will ich ihm sagen, daß es sehr unrecht von ihm ist, sich da draußen hinzustellen, ohne hereinzukommen und uns in Schutz zu nehmen.«

»Das kann er nicht. Die Klugheit verbietet es ihm. Käme er herein, so würde er an allem, was Ihnen geschieht, teilnehmen müssen. Hält er sich aber entfernt, so kann er später alles zu Ihrer Rettung thun.«

»Rettung? Steht es so schlimm?«

»Hoffentlich nicht. Doch weiß man nicht, was die Priester und Mandarinen beschließen werden.«

»Was haben Sie denn jetzt wieder mit ihnen verhandelt?«

»Ich soll Sie fragen, warum Sie als Lama hierher gekommen sind.«

»Weiß ich es? Das müssen Sie doch wissen, der Sie uns zu Lamas gemacht haben.«

»Ich weiß wirklich nicht, was ich antworten soll.«

»So sagen Sie ihnen meinetwegen, daß wir hier Nilpferde suchen, denen wir Filet stricken lehren wollen. Nicht wahr, Mijnheer?«

»Ja, ongelukkige nijlpaarden.«

»Oder sagen Sie, daß wir ungeheuer reich sind und mit unserem Gelde so wenig wissen, wohin, daß wir auf den Gedanken geraten sind, ihnen eine Pagode zu bauen, an welcher wir sie alle aufhängen lassen werden.«

»Das Aufhängen werde ich verschweigen; aber eine Pagode? Der Gedanke ist sehr gut. Warten Sie!«

Sich an den Mandarin wendend, berichtete er demselben:

»Die heiligen Lamas waren zornig, daß sie abermals gestört worden sind; aber sie haben sich dennoch herbeigelassen, mir Auskunft zu erteilen. Sie sind gekommen, um hier einen großen Tempel der Wohlthaten zu erbauen, in welchem tausend Arme aufgenommen werden können.«

»Wer soll ihnen das Geld dazu geben?«

»Niemand. Sie selbst haben es; sie sind reich genug dazu.«

»Thian! So reich bin ich nicht. Aber können Sie auch beweisen, daß sie das wirklich wollen?«

»Wodurch kann man den Willen beweisen, als durch die That? Sie werden, da sie abermals gestört worden sind, jetzt von hier aufbrechen, um sich einen andern Ort zu suchen, an welchem niemand sie aus ihrer seligen Versunkenheit erwecken kann.«

»Sie wollen gehen?« fragte der Mandarin, indem ein eigentümliches Lächeln um seine Lippen zuckte. »Wenn sie wirklich so berühmte und heilige Lamas sind, wie du uns gesagt hast, so thut es uns sehr leid, sie von uns lassen zu müssen. Willst du sie nicht fragen, ob und wann und wo wir sie wiedersehen können?«

Diese Worte waren sehr freundlich ausgesprochen worden. Liang-ssi glaubte, gewonnenes Spiel zu haben. Aber es gab einen, dem sie nicht gefielen, und dieser eine war der Methusalem.

Er hatte jedes Wort der Verhandlung vernommen, und, da er alles sehr gut überblicken konnte, die Gesichter genau beobachtet. Da war ihm zunächst aufgefallen, daß die Züge des jungen Mandarins mit denen Liang-ssis eine fast auffallende Aehnlichkeit besaßen. Man hätte sie für nahe Verwandte halten können. Doch das war ein Zufall, welcher gar keine Bedeutung hatte. Wichtiger war das Benehmen dieses jugendlichen Beamten, welcher bereits den viel begehrten Titel eines Moa-sse führte, obgleich er nur sehr wenig über zwanzig Jahre zählen konnte.

Dieser letztere Umstand war ein Beweis, daß er ein sehr unterrichteter, begabter und kluger Mann sei. Das schienen die höheren Mandarinen anzuerkennen, da sie ihm die Untersuchung dieses so außergewöhnlichen Falles überließen.

Er sah nicht aus wie einer, der sich so leicht einer groben Täuschung unterwerfen läßt. Es war trotz seiner nachherigen Freundlichkeit etwas Ueberlegenes, Zuwartendes an ihm zu bemerken, was er nicht ganz zu verbergen vermochte. Degenfeld hatte das Gefühl, daß dieser Mann eine unsichtbare Schlinge in der Hand habe, welche er plötzlich zuziehen werde, um Liang-ssi zu fangen. Und welcher Art diese Schlinge sei, das ahnte der Student.

So geschickt Liang-ssi sich verhalten hatte, war doch eine große Unvorsichtigkeit von ihm begangen worden. Er hatte den Dicken mehreremal Mijnheer genannt, und auch Turnerstick hatte sich dieses Wortes bedient. Es gab in Macao, Hongkong und Kanton Holländer genug, mit denen die Bewohner dieser letzteren Stadt in Berührung kamen, und bei solchen Berührungen gibt es stets gewisse Worte, welche im Gedächtnisse hängen bleiben und sich weiter sprechen. Hört der Deutsche das Wort Monsieur, so wird er den Betreffenden gewiß für einen Franzosen halten. Wird eine Dame Lady oder Miß genannt, so ist sie sehr wahrscheinlich eine Engländerin oder Amerikanerin. Es stand zu erwarten, daß das Wort Mijnheer ein in Kanton nicht unbekanntes sei; wenigstens war anzunehmen, daß ein Mann von den Eigenschaften des Mandarins die Bedeutung desselben kenne. War dies der Fall, so mußte er wissen, daß ein Fremder, welcher Mijnheer genannt wurde, unmöglich ein Lama aus Lhassa sein könne.

Liang-ssi gehorchte der Aufforderung des Beamten. Er wendete sich an Turnerstick und sagte:

»Die Angelegenheit steht sehr gut für Sie und wird sogleich zum Abschlusse kommen. Man glaubt mir, daß Sie heilige Lamas sind und das Recht besitzen, den Platz von Göttern einzunehmen. Ich habe gesagt, daß Sie zum Besten der hiesigen Armen von Ihrem eigenen Gelde einen Tempel bauen wollen, und das hat Ihnen Respekt verschafft.«

»Na, allzu groß wird er nicht werden!« meinte der Kapitän. »Es sind mir keine Kapitalien zur Feueresse hereingefallen, so daß ich sie hier zum Nutzen dieser Leute verpulvern könnte, Ihnen doch auch nicht, Mijnheer?«

»Neen, mij ook niet, voornaamelijk daartoe niet – nein, mir auch nicht, zumal dazu nicht.«

»Sie glauben es aber,« fuhr Liang-ssi fort. »Man wird Sie jetzt ungehindert gehen lassen. Vorher aber will man wissen, wann und wo man Sie sehen und treffen kann.«

»Im Monde, sagen Sie ihnen das,« antwortete Turnerstick. »Nicht wahr, Mijnheer?«

»Ja, in den maan, en indien wij buiten zijn, in der maansverduistering – ja, in dem Monde, und wenn wir fort sind, in der Mondfinsternis,« antwortete der Dicke, indem er den Mund breit zog und vergnügt über seinen Witz lachte.

»Da haben Sie recht, Mijnheer. Es ist für uns alle am besten, uns schnell zu verdüstern, sobald wir hier fortgekommen sind. Wenn ich Ihnen sage, daß Sie gehen können, so steigen Sie möglichst gravitätisch herab und gehen hinaus, ohne, wie es Göttern geziemt, die Anwesenden eines Blickes zu würdigen.«

»Und draußen setzen wir uns in die Sänften?« fragte Turnerstick.

»Nein, das ja nicht! Man würde dadurch erfahren, daß wir zusammengehören, denn es versteht sich ganz von selbst, daß man Sie beobachten wird. Sie gehen vom Tempel aus rechts ab, dann links in die erste Gasse hinein, biegen abermals rechts ab, so daß man Sie von hier aus unmöglich sehen kann, und warten dort auf uns. Wir werden schnell nachfolgen oder, wenn wir das für vorteilhafter halten, Ihnen zwei Sänften nachsenden, in welche Sie rasch steigen, um heimgebracht zu werden.«

Der Mao-sse war dieser Unterredung mit gespannter Aufmerksamkeit gefolgt. Es spielte ein leises Lächeln um seine Lippen, als er sich jetzt an Liang-ssi wandte:

»Nun, haben die Lamas meine Frage beantwortet?«

»Ja.«

»Und wo können wir sie wiedersehen?«

»Sie wissen augenblicklich nicht, wohin sie sich von hier aus wenden werden. Aber sie werden täglich hierher kommen und bei dieser Gelegenheit dem Ta-sse sagen, wo sie ihre Wohnung aufgeschlagen haben. Von ihm kannst du es erfahren.«

Der Mandarin nickte ihm freundlich-listig zu und sagte:

»Vielleicht werden die heiligen Lamas mir erlauben, ihnen eine Wohnung anzuweisen, welche ihrer hohen Stellung würdig ist?«

»Sie werden dein Anerbieten mit Dank hören, aber keinen Gebrauch von demselben machen.«

»Warum sollten sie das nicht?«

»Weil sie dir nicht beschwerlich fallen wollen.«

»Davon kann keine Rede sein. Mein Haus ist ein sehr gastliches und hat Platz für viele Leute. Es wohnen in demselben oft über hundert Gäste verschiedenen Ranges. Und sollten die Lamas denken, daß mein Rang zu niedrig sei, als daß sie bei mir einkehren könnten, so will ich dir sagen, wie ich heiße und was ich bin. Mein Dienstname ist Ling; mein Haus wird Huok-tschu-fang genannt, und ich bin in demselben als Pang-tschok-kuan angestellt.«

Liang-ssi trat einen Schritt zurück und betrachtete den Sprechenden mit unsicherem Blicke. Da dessen Gesicht aber ebenso freundlich wie vorher war, beruhigte er sich wieder und antwortete:

»Da bekleidest du ein sehr wichtiges Amt, welches deine Zeit so sehr in Anspruch nimmt, daß Privatgäste dich nicht behelligen dürfen.«

»O, mein Haus steht einem jeden offen, dem es anderswo nicht gefallen will; aber wenn die Lamas mich wirklich nicht begleiten wollen, so lasse ich sie bitten, sich in die Gebräuche dieses Landes zu fügen, wenn sie sich nicht wieder der Gefahr aussetzen wollen, für andere Wesen gehalten zu werden, als sie sind. Aber wie es scheint, sind diese Gebräuche ihnen unbekannt?«

»Das weiß ich nicht, da ich sie hier zum erstenmal gesehen habe und sie also nicht kenne.«

»Mache sie ganz besonders darauf aufmerksam, daß jemand, welcher so weit her, aus Tibet nach Kuang-tschéu-fu kommt, einen Paß haben muß, welcher von dem chinesischen Wang in Lhassa ausgestellt und unterzeichnet sein muß. Haben sie einen solchen?«

 

»Ich weiß es nicht.«

»So frage sie! Ich möchte denselben gern sehen.«

»Wo denkst du hin! Ich soll zwei heilige Lamas, welche den Göttern gleichgeachtet werden, nach ihren Pässen fragen? Das ist unmöglich!«

»Ich halte es gar nicht für unmöglich sondern vielmehr für ganz selbstverständlich. Aber du bist in Lhassa gewesen und mußt das also besser verstehen als ich. Ich will es also dahingestellt sein lassen, ob sie Pässe haben oder nicht, denn ich werde mich sehr hüten, Männer zu beleidigen, welche wirkliche Lamas sind. Aber du selbst bist doch nicht etwa auch ein Lama?«

»Nein.«

»Du sagtest, daß Sze-tschuen deine Heimat sei. Kommst du direkt von dort?«

»Ja.«

»Diese Provinz liegt sehr weit von hier entfernt, und wenn man eine solche Reise unternimmt, so versieht man sich mit allem, was dazu erforderlich ist. Das hat du doch gethan?«

»Ja.«

»Das allernötigste ist da ein Paß. Es ist vorgeschrieben, daß jeder, welcher aus einer Provinz in die andere geht, einen Paß haben muß, damit er zeigen und beweisen kann, wer er ist. Du wirst dieses Gesetz kennen, da du mich erraten ließest, daß du auch ein Mandarin bist und dich im Besitze eines litterarischen Titels befindest. Ich denke also, daß du entweder bei dem Tsung-tu oder beim Fu-juen von Sze-tschuen gewesen bist, um dir eine solche Legitimation ausstellen zu lassen. Hast du das gethan?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Weil mein Gelübde mich daran verhinderte.«

»So hast du ein sehr gefährliches Gelübde gethan, welches dir außerordentlich lästig fallen kann. Oder hast du vielleicht gelobt, legitimationslos aus einem Gefängnisse in das andere zu wandern?«

Jetzt erschrak Liang-ssi. Er begann sich weniger sicher als vorhin zu fühlen, und antwortete:

»Das ist nicht meine Absicht gewesen. Wenn ich dir mein Gelübde mitteilen könnte, so würdest du begreifen, daß ich keinen Paß bei mir tragen darf.«

»So thut es mir leid um dich, denn ich will dir wohl. Ich erkenne deinen Rang an, ohne daß du mir beweisen kannst, daß du ihn besitzest. Ich bin dir auch dankbar für die Gefälligkeit, jetzt unser Dolmetscher zu sein, und werde dich nicht weiter belästigen. Aber andere Mandarinen werden anders denken und sich nicht an dein Gelübde kehren. Sei also von jetzt an vorsichtig, und halte dich besonders von Leuten fern, welche vorgeben, heilige Lamas zu sein! Du könntest sonst leicht in den Verdacht kommen, als Genosse von Männern behandelt zu werden, von denen du behauptest, daß sie dir fremd seien. jetzt kannst du gehen; sage aber vorher diesen Heiligen aus Lhassa, daß ich auch ihnen die Erlaubnis erteile, diesen Tempel zu verlassen!«

Als er das gesagt hatte, erhob sich hinter ihm unter den Priestern, Bonzen und anderen Mandarinen ein unwilliges Gemurmel. Diese Leute waren mit der Entfernung der Lamas nicht einverstanden. Der Ta-sse trat herbei und sagte:

»Ihre junge Würde vergißt, daß ich als Oberer dieses Tempels auch ein Wort mit den Fremden zu sprechen habe. Ich muß mich genau überzeugen, daß sie wirklich heilig sind. Wäre dies nicht der Fall, So hätten sie die Sitze der Götter entweiht, so daß diese nicht wieder darauf Platz nehmen könnten. Ich verlange also, daß die Lamas hier bleiben.«

Der Mandarin gab ihm mit den Augen einen heimlichen Wink, der ihn beruhigen sollte, und antwortete:

»Ich bitte Ihre fromme Würde, ihnen doch das Thor öffnen zu lassen! Wir können ihnen nicht beweisen, daß sie keine Lamas sind, und dürfen sie also nicht belästigen. Uebrigens werden sie täglich nach hier zurückkehren, wobei vollauf Gelegenheit vorhanden ist, mit ihnen zu sprechen.«

Liang-ssi hatte den Einwand des Ta-sse gehört und war stehen geblieben, um die Antwort des Mandarins abzuwarten. Nun, da dieselbe so vorteilhaft ausfiel, wendete er sich an Turnerstick:

»Sie können gehen. Man wird Ihnen sogleich das Thor öffnen. Aber entfernen Sie sich ja so würdevoll wie möglich!«

»Soll nicht an Würde fehlen! Ich werde diesen Leuten mein stolzestes Gesicht schneiden. Kommen Sie, Mijnheer; stehen Sie auf! Ich habe die Komödie satt!«

»Ik ook. Ik wil ook met opstaan en voortgaan; ik heb Honger!«

Er arbeitete sich aus seiner sitzenden Stellung empor und stieg vom Postamente, um hinter Turnerstick nach der Thür zu schreiten.

Jetzt war der entscheidende Augenblick gekommen. Der Methusalem stand hinter dem Gitter, um, vor Erwartung fast zitternd, zu sehen, ob man sie wirklich gehen lassen werde.

Langsam und gemessenen Schrittes, die Häupter hoch erhoben und weder nach rechts noch nach links blickend, bewegten sich die beiden nach der Thür. Der junge Mandarin ließ Turnerstick an sich vorüber, dann aber legte er seine Hand schnell auf den Arm des Dicken und fragte:

»Mijnheer, gij ziit en Nederlander, niet?«

Der Dicke ließ sich übertölpeln. Er blieb stehen und antwortete, freundlich nickend:

»Gewisseglijk, ik ben een Hollander.«

Da stieß der Mandarin ihn zurück, ergriff den Kapitän schnell beim Zopfe, um ihn festzuhalten, und rief den Polizisten zu:

»Laßt niemand fort; sie sind Betrüger! Sie sind Fu-len und haben diese heilige Stätte entweiht. Ich arretiere sie!«

Diesem Befehle folgte eine außerordentlich lebhafte Scene. Turnerstick hatte zwar die chinesischen Worte nicht verstanden, aber doch begriffen, was gemeint war. Er wollte nach der Thür springen, welche noch gar nicht geöffnet worden war; dabei wurde ihm ganz selbstverständlich die Mandarinenmütze vom Kopfe gerissen, weil sein Zopf in der Hand des Gefängnisbeamten hängen blieb. Die Bonzen warfen sich ihm schreiend entgegen; er wehrte sie mit wütenden Faustschlägen von sich ab, warf ihrer mehrere nach rechts und links, kam aber nicht hindurch, da ihrer zu viele waren. Er wurde überwältigt und von zehn, zwölf, sechzehn Händen festgehalten. Sein Widerstand war so kräftig, so wütend gewesen, daß er dabei sogar die chinesischen Schuhe verloren hatte.

Was den Mijnheer betrifft, so war er keineswegs ein Feigling. Er hatte sich vorhin nicht aus wirklicher Mutlosigkeit hinter Turnerstick versteckt, sondern dieser schnelle Rückzug war aus reiner Ueberraschung geschehen und infolge der außerordentlichen Seltsamkeit der Lage, in welcher er sich befand. Er verstand kein Wort chinesisch und fühlte sich in dieser Beziehung auf Turnerstick angewiesen, welcher ja stets behauptet hatte, dieser Sprache mächtig zu sein. Aber jetzt, als er von dem Mandarin zurückgeschleudert wurde und zugleich sah, daß die Bonzen sich feindselig auf Turnerstick warfen, sagte er sich, daß die Rettung nicht mehr durch List zu erzielen, sondern nur durch Gewalt zu erzwingen sei. Er warf den Regenschirm, der ihm nur hinderlich sein konnte, weg und stieß die beiden geballten Fäuste dem Oberpriester, welcher ihm am nächsten stand, mit solcher Gewalt an die Magengegend, daß der Getroffene an eine der Bahren flog und, den darauf befindlichen Gott herunterreißend, über dieselbe hinwegstürzte. Dann fuhr er mitten unter die Mandarinen und Priester hinein und schlug in solcher Weise um sich, daß sie nach allen Seiten auseinander stürzten.

»Tapper, maar gedurig tapper, Mijnheer Turnerstick!« rief er dabei dem Kapitän zu. »Wij willen dezen Heidenhoofden onze vuisten an de neusen wrijven – tapfer, nur immer fort tapfer, Herr Turnerstick! Wir wollen diesen Heidenköpfen unsere Fäuste unter die Nasen reiben!«

Liang-ssi war aufs heftigste erschrocken, als er die holländische Frage des Mandarin und darauf die unvorsichtige Antwort des Mijnheer hörte. Er mußte nun das gefährliche Spiel verloren geben und vor allen Dingen für seine eigene Sicherheit sorgen. Dies erkennend, eilte er dem Eingange der großen Halle zu, um sich da hinaus nach dem Hofe und von da aus weiter zu retten. Er berücksichtigte dabei nicht, daß man ihn verfolgen und seine noch hinter dem Gitter stehenden Gefährten entdecken werde.

Aber mit derselben Schnelligkeit hatte der junge Mandarin seinen Befehl, niemand fort zu lassen, ausgerufen. Infolgedessen sprangen die Polizisten Liang-ssi entgegen, um ihn fest zu halten. Er konnte sich nicht einer großen Körperstärke rühmen, wehrte sich aber doch aus Leibeskräften, so daß es den acht Männern nicht allzu leicht wurde, ihn zu überwältigen. Dann hielten drei ihn fest, während die andern fünf zum Mijnheer sprangen, welcher noch immer mit einer wahren Berserkerwut um sich schlug und stampfte. Sie überfielen ihn von hinten und rissen ihn nieder.

»Brand, brand!« schrie er auf. »Zij hebben mij! Help, help, Mijnheer Turnerstick – Feuer, Feuer! Sie haben mich! Zu Hilfe, zu Hilfe, Herr Turnerstick!«

»Unmöglich, denn sie haben mich auch,« antwortete der Kapitän, vor Anstrengung noch atemlos. »Das hat man davon, wenn man Götze spielt!«

Der Regenschirm und die schottische Mütze des Dicken, der Fächer, die Schuhe, die Perücke mit dem Zopfe und die Kopfbedeckung Turnersticks lagen auf dem Boden. Ein Glück war es, daß dem Kapitän nicht der Gedanke gekommen war, sich seiner Waffen zu bedienen!

Der Methusalem hatte Zeuge dieser aufregenden Scene sein müssen, ohne den Bedrängten zu Hilfe eilen zu können. Als sie jetzt überwältigt waren, ergriff der Tong-tschi ihn bei der Hand und raunte ihm hastig zu:

»Jetzt fort, schnell fort, denn nun werden sie auch hier herein kommen!«

»Aber wohin?«

»Ich weiß es, denn ich kenne diesen Tempel. Zunächst hinaus in den Hof.«

Sie eilten fort, gefolgt von Gottfried und Richard. Im Hofe war niemand zu sehen, auch der Bonze nicht, welcher sie vorhin begleitet hatte. Zwischen den Wohnungszellen, welche ihnen vorhin gezeigt worden waren, führte ein Gang in einen kleinen Gemüsegarten, welcher an denjenigen eines Häuschens stieß, in dem ein Vertreter des Tempels Räucherstäbchen verkaufte. Die beiden kleinen Gärten waren durch eine Pforte verbunden, und das Häuschen gehörte zu einer engen Hintergasse, welche mit derjenigen Straße, in welcher der Tempel lag, parallel führte. In diese Gasse gelangten die Vier, indem sie durch die Pforte und den Laden gingen.

Eine unmittelbare Gefahr drohte ihnen nun nicht mehr. Aber nun galt es, ohne Aufsehen zu erregen, zu den Sänften zu gelangen. Der Tong-tschi führte seine Begleiter durch eine Quergasse, durch welche sie auf die Tempelstraße gelangten. Von der Ecke aus sahen sie die Musikanten am Eingange des Pek-thian-tschu-fan stehen. Die Sänftenträger hatten dem Zuge Platz gemacht und standen auf der anderen Seite der Straße. Einer derselben blickte zufälliger-weise her und sah den Mandarin stehen, der ihm sofort einen Wink gab. Er teilte das seinen Genossen mit, welche infolgedessen mit ihren Sänften herbeigetrabt kamen.

»Gehen wir nach Hause?« fragte der Methusalem.

»Sie, ja, aber ich nicht,« antwortete der Mandarin. »Ich werde einsteigen, aber mich nur eine kurze Strecke forttragen lassen und dann halten, um den Polizisten nachzufolgen, welche Ihre Gefährten nach dem Gefängnisse bringen. Ich will wissen, was man mit ihnen thut und werde Ihnen dann Nachricht bringen. Ich habe Sie wiederholt gebeten, nichts zu untemehmen, was Sie und also mich mit in Schaden bringen kann. Was jetzt geschehen ist, das ist noch viel schlimmer und gefährlicher als das gestrige. Ihre Genossen haben nicht nur die weltlichen, sondern auch die religiösen Gesetze beleidigt und übertreten, und die Vorsicht würde mir gebieten, Ihnen von jetzt an mein Haus zu verschließen. Ich achte aber die Gastfreundschaft und bin meinen Lebensrettern zu sehr zu Dank verpflichtet, als daß ich Sie jetzt in der Gefahr verlassen möchte. Sie werden sich also jetzt unverweilt nach Hause begeben und mir versprechen, die Wohnung nicht eher zu verlassen, als bis ich zurückgekehrt bin und Sie benachrichtigt habe, wie es mit Ihren Gefährten steht.«

»Ist die Gefahr, in welcher sie sich befinden, wirklich so groß?«

»Sehr groß, denn sie haben nicht nur das Gesetz, sondern auch die Aufregung der Priester und des Volkes gegen sich. Ein Glück wird es noch sein, wenn man sie in den Gewahrsam bringt, ohne daß sich das Publikum an ihnen vergreift.«

»Dann erscheint es mir als Feigheit, sie jetzt zu verlassen. Ich kann nicht nach Hause; ich muß sofort zu ihnen, um teil an ihrem Schicksale zu nehmen.«

»Nein, denn Sie würden dadurch sich selbst und auch mich mit verderben. Wir können sie nur dadurch retten, daß wir nicht merken lassen, daß sie zu uns gehören. Verlassen Sie sich nicht auf sich, sondern auf mich! Ich will Ihnen zu Gefallen es wagen, in den Tempel zurückzukehren. Das wird nicht auffallen, denn ich habe ein Recht, bei der Rückkehr der Götter zugegen zu sein, da ich die Diebe ergriffen habe. Ich hoffe dabei aber, Ihre Gefährten werden so klug sein, nicht zu verraten, daß sie mich kennen.«

 

»Ich denke, daß sie vorsichtig sein werden. Liang-ssi hat es doch den beiden anderen gesagt, daß das unbekannt bleiben muß.«

»So lassen Sie sich also ruhig nach Hause tragen! Ich werde zunächst versuchen, sie vor Gewaltthätigkeiten zu bewahren. Gewinnen wir Zeit, so ist es wahrscheinlich, daß wir sie retten werden.«

Er hatte das in einem so energischen Tone gesagt, daß der Student nicht zu widersprechen wagte. Der letztere stieg mit Gottfried und Richard in die Sänften, worauf die Träger derselben davonrannten. Der Tong-tschi aber ließ sich nach dem Tempel tragen. Glücklicherweise hatten die vor dem Thore desselben stehenden Musikanten und sonstigen Leute nicht auf das, was an der Straßenecke vorgegangen war, geachtet. Darum glaubten sie, als der Mandarin jetzt ausstieg, er komme von fern her. Sie wichen aus Ehrfurcht vor seinem Range zurück und machten ihm die Passage frei. Auch diejenigen Teilnehmer am Festzuge, welche sich im Hofe befanden, gaben ihm Platz.

Er sah zu seiner Beruhigung, daß die Thür des Tempels noch von innen verschlossen war. Das war ein gutes Zeichen, da sich daraus vermuten ließ, daß die Menge noch nicht wisse, was im Heiligtume geschehen sei. Um ganz gewiß zu gehen, fragte er diejenigen, welche in der Nähe der Thür standen:

»Warum ist der Eingang nicht offen? Warum dürft ihr nicht hinein?«

Sie verneigten sich tief vor ihm und einer antwortete:

»Ihre Großmut möge erfahren, daß fremde, hohe Götter angekommen sind.«

»Woher?«

»Wir wissen es nicht. Wahrscheinlich wollen sie die bisherigen Götter nicht auf ihre Sitze lassen, denn wir hörten großes Geräusch und laute Stimmen, welche nicht freundlich klangen.«

Der Mandarin horchte und vernahm eine laute Stimme, in welcher er diejenige des jungen Beamten erkannte. Er klopfte laut an und mußte das wiederholen, bevor drin eine Stimme fragte:

»Schui kin – wer ist da?«

»Kuan-fu Tong-tschi – der Mandarin Tong-tschi,« antwortete er.

Die Thür wurde augenblicklich geöffnet, hinter ihm aber sofort wieder verschlossen, damit kein anderer außer ihm hereintreten könne. Mit einem schnellen Blicke überschaute er die Lage. Die Gefangenen standen, von den Polizisten festgehalten, nebeneinander, vor ihnen der Gefängnisbeamte, welcher sie, wie zu erraten war, soeben einem scharfen Verhör unterworfen hatte. Man hatte ihnen die im Kampfe verlorenen Gegenstände wiedergegeben.

Da der Tong-tschi ein höheres Amt bekleidete als die anwesenden Mandarinen, so verbeugten sie sich alle vor ihm, und der junge Beamte trat zurück, um ihm bescheiden seinen Platz zu überlassen.

Als Turnerstick den Gastfreund erblickte, rief er erfreut aus:

»Gott sei Dank, da ist der Tong-tschi! Nun sind wir gerettet. Ich werde ihm die Sache ausführlich erzählen.«

Er wollte auf den Genannten zutreten, um ihm eine seiner berühmten Reden zu halten, aber Liang-ssi zog ihn zurück und sagte:

»Bleiben Sie! Was fällt Ihnen ein! Er kommt, uns zu retten. Das kann ihm aber nur dann gelingen, wenn niemand ahnt, daß wir seine Gäste sind.«

»So! Dann werde ich ihn freilich nicht kennen. Aber übersetzen Sie uns schnell alles, was gesprochen wird. Ich muß doch wissen, was die Kerls verhandeln, und sie sprechen leider ein Chinesisch, welches für einen guten Linguisten ganz und gar unverständlich ist.«

Der Tong-tschi musterte die Gruppe mit einem Blicke des Erstaunens, ganz wie einer, welcher keine Ahnung hat von dem, was da geschehen ist. Dann fragte er:

»Warum ist der Tempel verschlossen? Was ist geschehen? Ich hörte draußen, daß fremde Götter angekommen seien.«

»Sie gaben sich dafür aus,« antwortete der junge Mandarin, »und wir glaubten ihnen anfänglich. Aber Ihre hohe Würde wird bald erkennen, daß sie Betrüger sind.«

»Wie? Können Götter Betrüger sein?«

»Nein; aber diese Leute sind eben keine Götter, sondern Menschen, fremde Fu-len, welche die Sitze unserer Gottheiten eingenommen und den Tempel geschändet haben.«

»Dann müssen sie aufs strengste bestraft werden. Mein jüngerer Bruder mag mir erzählen, was geschehen ist.«

Der Gefängnisbeamte gab ihm einen eingehenden Bericht. Der Tong-tschi hörte ihm sehr aufmerksam zu, musterte dann die Gefangenen mit strengem Blicke und sagte:

»Also diese Männer geben sich für heilige Lamas aus und sprechen doch die Sprache der Fu-len? Hat sich da mein Kollege nicht geirrt?«

»Nein. Ich hatte amtlich sehr oft mit solchen Fu-len zu thun und habe mir viele ihrer barbarischen Redensarten gemerkt. Dieser eine Fremde aber ist doppelt strafbar, da er sich ohne alles Recht die Kleidung der Mandarinen angeeignet hat.«

»Vielleicht ist er ein Mandarin seines Volkes!«

»Gibt ihm das ein Recht, sich wie einer unserer Kuan-fu zu kleiden?«

»Sollten sich seine Beamten nicht ebenso kleiden wie die unsrigen?«

»Nein, ich weiß das gewiß. Uebrigens kann ich leicht beweisen, daß er ein Betrüger ist. Er gibt sich für einen Ta-fu-tsiang aus und trägt doch den Knopf eines anderen Offiziers. Man sehe seine Mütze! Hier ist sie!«

Er nahm dem Kapitän die Mütze vom Kopfe und hielt sie dem Tong-tschi vor die Augen. Dann riß er ihm auch die Perücke mit dem Zopfe vom Kopfe, schwenkte diese »falsche Behauptung« hin und her und sagte:

»Und ist dieses Haar sein Eigentum? Hat er sich den Kopf scheren lassen, wie es einem Chinesen und ganz besonders einem Mandarin geziemt? Nein, er trägt die Schande eines vollen Haares, ganz wie ein Barbar, und darüber einen Zopf, welcher nicht auf seinem Kopfe gewachsen ist. Er ist also kein Chinese und noch viel weniger ein Gott, welcher das Recht hat, sich hier zwischen den Anbetungswürdigen niederzulassen!«

»Aber,« meinte der Tong-tschi diplomatisch, »ich habe oft gehört, daß die Lamas falsche Zöpfe tragen. Vielleicht ist er dennoch einer!«

Turnerstick ärgerte sich darüber, daß der junge Mann so unehrerbietig mit dem Zopfe umging. Er fragte Liang-ssi leise:

»Was will er? Was hat er mit meiner Perücke? Was sagt er?«

Liang-ssi erklärte es ihm ebenso leise wie schnell.

»Alle Wetter! Ich werde ihm sagen, daß mein Kopf mir gehört und ich mit demselben thun oder lassen kann, was mir beliebt. Dieser Zopf kostet zwei Dollar; ich habe sie bezahlt und lasse ihn nun nicht wie einen Eselsschwanz behandeln!«

Er trat zwei Schritte vor und fuhr den Jüngling erbost an:

»Her mit der Perücking! Her!« Dabei riß er sie ihm aus der Hand. »Sie ist mein Eigentum und du kannst die Hand davong lasseng! Ich kann tragung, was ich will, falsche Perückong und sogar falsche Augeng, ganz nach meinem Beliebang. Da, schau her, junger Frosch! Was wirst du dazu saging? Willst du mir auch das verbieteng?«

Er hatte bekanntlich ein falsches Auge. Indem er den Daumen an den Augenwinkel setzte, bohrte er es aus der Höhle, nahm es zwischen zwei Finger und zeigte es vor, indem er sein Gesicht in höhnisch grinsende Falten legte.

Die Leute fuhren zurück. Die beiden Polizisten, welche ihn gepackt hielten, ließen ihn los und traten erschrocken von ihm weg.

»Nun?« fragte er lachend, »wer kann mir das nachmacheng? Wer vong euch kann so wie ich seine Auging herausnehmung?«

Keiner von ihnen hatte jemals so etwas gesehen. Sie alle standen starr und wortlos da. Der Oberpriester bekam zuerst die Sprache wieder; er schrie:

»T‘ien-ti-jin – o Himmel, Erde und Menschen. Miao-ya, miao- ya – Wunder über Wunder! Er kann seine Augen herausnehmen!«

»Miao-ya mu, miao-ya mu – wunderbare Augen, wunderbare Augen!« fielen die Erschrockenen ringsum ein.

»Jip-mo t‘a yuet, jip-mo t‘a yuet – was hat er gesagt, was hat er gesagt?« fragte der junge Mandarin, welcher ebenso wie die andern erschrocken war, Liang-ssi.

Dieser letztere war vier Jahre lang bei Onkel Daniel gewesen und hatte von ihm viel gelernt. Er wußte auch, daß in Europa die Kunst soweit vorgeschritten ist, falsche Augen, welche den echten zum Verwechseln ähnlich sind, hervorzubringen. Um den allgemeinen Schreck zu benutzen, antwortete er: