Za darmo

Der blaurote Methusalem

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»Ja, het moet zeer heerlijk zijn – ja, es muß sehr vortrefflich sein.«

»Nun, man kann hier ja sehen, wie es ist. Die Gelegenheit ist vortrefflich. Ich werde mich mal auf diesem Postamente niederlassen und mir einbilden, daß ich ein chinesischer Götze sei. Bin neugierig, ob die anderen Gottheiten etwas dazu sagen.«

So schnell ihm dieser Gedanke gekommen war, so schnell wurde er auch ausgeführt. Der Kapitän setzte sich nieder, rückte sich zurecht, nahm eine bequeme Haltung an, kreuzte die Beine übereinander, wie die anderen Götter es thaten, und fragte dann:

»Nun, Mijnheer, wie nehme ich mich aus?«

»Zeer goed.«

»Und nun den Fächer dazu! Jammerschade, daß wir allein sind! Ich wollte, es käme ein Chinese. Möchte wissen, ob er mich für Buddha oder für Heimdall Turnerstick hielt. Ich glaube, für Buddha. Schade, daß keiner da ist. Und der Schreck, wenn ich ihn dann mit meinem prachtvollen Chinesisch anreden würde! Diese Verbeugungen!«

»Ik word u eene maken – ich werde Ihnen eine machen!«

Turnerstick hatte den Riesenfächer ausgespannt und hielt ihn graziös in der Rechten, während er durch die Linke seinen Zopf gleiten ließ. Auf seiner Vorlukennase saß der Klemmer. Der Dicke stellte sich vor ihn hin, verbeugte sich und sagte:

»Mijne komplimenten, Mijnheer Buddha! Hoe staat het met uwe gezondheid?«

»Wie es mit meiner Gesundheit steht? Ganz vortrefflich, besonders seitdem ich einer von den hundert Himmelsherren bin. Aber, Mijnheer, es sitzt sich hier als Gott wirklich ganz ausgezeichnet. Wollen Sie es nicht auch einmal versuchen?«

Der Dicke streichelte sich bedenklich das Kinn und antwortete:

»Wordt men want mogen – wird man denn dürfen?«

»Dürfen? Warum denn nicht? Was fragen Sie noch! Sie sehen ja, daß ich darf, daß ich hier sitze! Oder fürchten Sie sich etwa?«

»Neen!«

»Nun, so folgen Sie meinem Beispiele! Ich möchte auch Sie einmal als Gott sehen.«

»Als god? Mij? Goed, ik word het verzoeken – als Gott? Mich? Gut, ich werde es versuchen.«

Die beiden hatten in ihrem Eifer gar nicht auf ein erst sehr entferntes Geräusch geachtet, welches aber schnell näher kam. Man konnte jetzt deutlich die Töne von Gongs, Pfeifen, Klingeln, Glocken und anderen chinesischen Musikinstrumenten hören.

Der Dicke ließ sich krächzend auf das andere Postament nieder, schob sich richtig in Positur und fragte dann:

»Ziet zij mij, Mijnheer Turnerstick – sehen Sie mich, Herr Turnerstick?«

»Ja, natürlich! Sie sitzen ja gleich neben mir.«

»Ben ik even zoo hoe een god – sehe ich ebenso aus wie ein Gott?«

»Ganz genau so. Nur würden Sie einen noch viel göttlicheren Eindruck machen, wenn Sie den Regenschirm aufspannten.«

»Dat kan ik maken. Derhalve heb ik het regenscherm en parasol ja metgenommen.«

Er spannte das Familiendach auf und blickte stolz umher. Dabei gab er sich die größte Mühe, die Stellung Turnersticks nachzuahmen, brachte aber die kurzen, dicken Beinchen nur mit großer Anstrengung übereinander.

Nun war die Musik und der Lärm so stark geworden, daß die beiden darauf achten mußten.

»Wat is dat voor een fluitenspel?« fragte der Mijnheer.

»Für ein Flötenspiel? Hm! Es wird irgend ein Aufzug sein, die Feuerwehr vielleicht, oder die Kommunalgarde, die Bürgerschützen, welche Vogelschießen haben,« antwortete Turnerstick sehr unbesorgt.

»Vogelschießen? In China?«

»Ja? Warum denn nicht? Sie scheinen vorüber zu ziehen. Schade darum! Wie hübsch wäre es, wenn einer hereinkäme und wir könnten sehen, ob er uns für Götter hält! Sie bringen einen Tusch. Jedenfalls müssen sie das vor jedem Tempel thun. Wir wollen annehmen, daß es uns zur Ehre geschieht. Nicht?«

»Ja, wij willen zoo denken.«

»Horchen Sie! Jetzt ziehen sie weiter.«

Draußen vor dem Thore war der erwartete Zug angelangt. Er bestand aus Bonzen mit ihren Oberpriestern, zahlreichen behördlichen Personen und einem nach Hunderten zählenden Gefolge von Civilisten. Die mit Blumen geschmückten Götter wurden auf mit Teppichen behangenen Bahren von Oberpriestern getragen. Die Musiker, welche an der Spitze marschiert waren, blieben draußen stehen, schmetterten eine tuschartige Fanfare und begannen dann ein neues Getöse, welches einen Marsch vorstellen sollte, um den Zug an sich vorüber und in den Tempel gehen zu lassen.

Da sich die Musik nicht näherte, so hatte der unglückselige Kapitän geglaubt, daß die »Kommunalgarde« weiter ziehe.

Einer chinesischen Musikantentruppe darf man keine europäische Kammermusik zumuten. Da gibt es Gongs, Schellen, Glocken und Klingeln, auch Triangeln, Metallplatten, Musikurnen, Faßtrommeln, hölzerne Totenköpfe zur Tempelmusik, Flöten, Castagnetten, zweisaitige Geigen, drei- und viersaitige Guitarren, kreischende Trompeten, welche weder im Kammer- noch im Kabinettstone stehen, und sonderbar geformte, mit kleinen Schellen behangene Bambusgestelle, deren einheimischer Name in das Deutsche mit »Musikgeklimper« zu übertragen ist. jeder bearbeitet sein Instrument aus Leibeskräften, ohne Noten und ohne Takt. Von einer Harmonie ist keine Rede. Die Melodie, wenn es je eine gäbe, würde in dem allgemeinen Lärm verschwinden, denn derjenige, welcher das größte Getöse hervorbringt, gilt als der beste Musikant.

Darum war es kein Wunder, daß bei dem Heidenskandale, welchen die Musiker verübten, die Schritte des nahenden Zuges nicht zu hören waren, und daß die Spitze desselben am Eingange des Tempels erschien, während die beiden falschen Idole sich noch vollständig sicher fühlten und der Kapitän sogar noch immer den Wunsch hegte, es möge jemand kommen, mit dem er sich einen Spaß machen könne.

Indessen hatte der Tong-tschi den andern die größere Abteilung des Tempels gezeigt und war dann mit ihnen durch ein Hinterthor nach einem Hofe gegangen, um welchen die Wohnungen der Bonzen standen. Dort nahm er den Methusalem beiseite und fragte ihn:

»Wissen Ihre Gefährten alles, was am gestrigen Abende geschehen ist?«

»Ja.«

»Das ist sehr unrecht. Sie hätten es ihnen nicht erzählen sollen!«

»Es ging nicht anders; sie mußten es auf alle Fälle erfahren, um sich danach richten zu können.«

»So erwarte ich wenigstens, daß sie nichts verraten?«

»Das darf Ihnen keine Sorge machen. Diese Leute sind verschwiegen. Ich wünsche, daß die Ihrigen es nicht weniger sind.«

» O, diese wagen nicht, ein Wort zu sagen. Und Hu-tsin werde ich nochmals auf das strengste zum Schweigen ermahnen.«

»Ich war am Morgen bei ihm und er hat mir versprochen, gegen niemand ein Wort zu äußern. Man wird also die Götter bringen. Wie aber steht es mit den drei Missethätern?«

»Die sollten eigentlich mitgenommen werden, um den Triumphzug zu verherrlichen. In diesem Falle wären sie wahrscheinlich vom Publikum zerrissen worden.«

»So haben Sie es verhütet?«

»Nein, denn ich hätte nicht die Macht dazu gehabt. Die Priester verlangten es, und der Sing-kuan hätte es ihnen nicht verweigern können.«

»Und dennoch kommen sie nicht mit? Das hat also einen besonderen Grund?«

»Ja. Sie konnten nicht mitgenommen werden, weil sie nicht mehr da sind.«

»Nicht mehr da? Also fort?«

»Fort!« nickte der Mandarin, indem er ein sehr pfiffiges Gesicht machte.

»Ich verstehe,« lächelte der Methusalem.

»Sie sind in die Verbannung, welche Sie ihnen gestern versprochen haben?«

»So ist es; sie sind entflohen.«

»Wann?«

»Während der Nacht.«

»Jedenfalls mit fremder Hilfe?«

»Sehr wahrscheinlich, da sie fest eingesperrt waren.«

»Diese Hilfe sollte ich kennen. Ich habe gestern gewisse Münzen gesehen, denen sich die Gefängnisse öffnen.«

Der Tong-tschi sah sich um, und als er keinen Lauscher bemerkte, sagte er:

»Sie werden verschwiegen sein, und ich denke, daß ich Ihnen trauen darf. Die drei Verbrecher konnten Sie, auch ohne daß sie es beabsichtigten, beim Verhören mit in die Sache verwickeln. In diesem Falle wäre auch ich mit gefaßt worden, weil Sie mein Gast sind und ich für alles, was Sie thun, verantwortlich bin. Das zu verhüten, standen mir nur zwei Wege frei: Entweder mußte ich sie töten, und das wollte ich nicht thun, oder ich mußte ihnen gar zur Flucht verhelfen, und das habe ich gethan. Ich selbst habe sie aus dem Gefängnisse geholt und bis an die Grenze der Stadt geleitet. Dafür wird nun freilich das ‚Haupt‘ des Gefängnisses bestraft werden, aber an das Leben wird es ihm nicht gehen.«

»Weiß man denn nicht, daß Sie es sind, der die Leute befreit hat?«

»Nein, denn ich hatte meine Maßregeln so getroffen, daß man mich nicht erkennen konnte.«

»Aber man mußte Sie doch kennen, um Sie in das Gefängnis zu lassen!«

»Nein. Die Münze öffnet einem jeden die Thür, auch einem Unbekannten. Nun ist die Sache vorüber, und wir wollen nicht mehr von ihr sprechen. Aber ich bitte Sie, solange Sie noch mein Gast sind, nichts mehr ohne mich zu thun, damit ich nicht wieder in eine solche Verlegenheit komme! Morgen wird der Ho-po-so Sie besuchen, den Sie mit mir errettet haben. Er wußte noch nicht, daß Sie sich hier befinden. Er hat heute den Fluß bis hinauf zur Insel Lu-tsin zu inspizieren. Wird er eher fertig, als er glaubt, so wird er seinen Besuch noch heute machen. Wenn Sie Kuang-tschéu-fu auf dem Wasserweg verlassen wollen, so kann er Ihnen jedenfalls von Nutzen sein. Doch, hören Sie die Musik? Der Zug kommt. Sie werden Gelegenheit haben, Interessantes zu sehen.«

Er hatte mehr als recht, denn es war auch mehr als Interessantes, was sie zu sehen bekamen.

Sie winkten die andern herbei und kehrten in den Tempel zurück. Die Hauptabteilung war noch leer; aber aus dem kleinen Vortempel tönte ihnen ein vielstimmiges, verworrenes Geschrei entgegen.

»Mein Himmel!« sagte der Student. »Der Zug ist da, und Turnerstick und der Mijnheer sind noch nicht bei uns. Sie sind zurückgeblieben. Wer weiß, was geschehen ist, was sie für Dummheiten begangen haben!«

 

Er wollte vorwärts eilen, aber der Mandarin hielt ihn am Arme zurück und warnte:

»Halt! Wenn sie einen Fehler begangen haben, so ist es besser, man erfährt nicht, daß wir zu ihnen gehören. Nicht durch die Thür. Sehen wir an der Seite hinein!«

Degenfeld sah ein, daß der Chinese recht hatte, und ließ sich von ihm seitwärts führen. Nämlich rechts und links der Thüre waren enge Bambusgitter angebracht, durch welche man, ohne selbst leicht bemerkt zu werden, aus der einen Abteilung in die andere blicken konnte. Dorthin gingen sie und sahen hinaus. Was sie da bemerkten, war keineswegs geeignet, sie zu beruhigen. Dem Methusalem wollte sich vielmehr das Haar auf dem Kopfe sträuben.

Als die beiden unvorsichtigen Männer die Leute erblickten, welche durch die Thüre kamen, war Turnerstick in die hastigen, aber leisen Worte ausgebrochen:

»Hallo! Da kommen welche!«

»Ja, zij komen,« nickte der Dicke.

»Still! Kein Wort! Halten Sie sich ganz steif und ruhig wie eine Bildsäule! Wollen sehen, ob sie so gescheit sind, zu entdecken, daß wir keine Buddhas sind.«

Er saß bewegungslos, hielt den Riesenfächer vor sich hin und blickte starr in eine Richtung. Der Dicke that ganz dasselbe. Keiner von ihnen hatte einen richtigen Begriff von der Gefahr, in welche sie sich begeben hatten.

Voran kamen acht Polizisten, hinter ihnen die Oberpriester mit den beiden Tragbahren. jetzt begriff Turnerstick, daß er sich in Beziehung des »Feuerwehraufzuges« oder »Vogelschießens« gewaltig geirrt habe. Er erriet, was hier vorgehen solle, und es wurde ihm außerordentlich schwül unter der Mandarinenmütze.

»Alle Teufel!« flüsterte er seinem Mitgotte zu. »Sie bringen die Götzen zurück und wollen sie auf die Dinger stellen, auf denen wir sitzen! Was ist da zu thun?«

Man konnte die Bewegung seiner Lippen nicht sehen, da er den Fächer vorhielt.

Auch dem Dicken wurde himmelangst. Er begriff, daß die Götter auch Augenblicke haben können, in denen sie Iieber gewöhnliche Menschen und weit fort vom Tempel sein möchten.

»Ja,« antwortete er möglichst leise. »Wat zullen wij maken?«

»Es gibt nur eine einzige Rettung. Bleiben wir sitzen, ohne uns zu rühren. Vielleicht sind unsere Plätze doch nicht diejenigen, auf welche die beiden Götzenbilder gehören.«

Starr vor sich hinblickend, steif wie von Holz, aber innerlich bebend warteten sie auf das, was nun geschehen werde.

Die Polizisten waren vorgeschritten, ohne zu bemerken, daß zwei Götter zu viel vorhanden seien. Sie wußten nicht, wohin die beiden Geraubten gehörten. Die Oberpriester aber hatten ihre Blicke unwillkürlich dorthin gerichtet, wo die Feierlichkeit vor sich gehen sollte. Sie sahen die Plätze besetzt und blieben vor Erstaunen halten. Und als sie von den nachfolgenden Bonzen weiter vorgedrängt wurden, setzten sie die Bahren nieder und deuteten auf die inzwischen angekommenen Götter.

War das möglich! Hatten sich Himmlische herbeigelassen, herniederzusteigen, um das Kloster für den Raub dadurch zu entschädigen, daß sie nun sich an die verwaisten Plätze setzten? Es überlief die frommen Buddhisten ein kalter Schauder. Sie getrauten sich nicht vorwärts und wurden doch von den Nachdrängenden immer weiter vorgeschoben, so daß sie in die nächste Nähe der beiden Wundergestalten kamen.

Die im Innern des Vortempels Stehenden flüsterten den draußen Befindlichen die Kunde des Wunders zu. Jeder wollte dasselbe sehen, und so begann ein Schieben und Stoßen, welchem die Bonzen, die in den Tempel gehörten, dadurch ein Ende machten, daß sie die Thür verschlossen, was allerdings nur unter Anwendung von Gewalt geschehen konnte.

Nun befanden sich nur die Polizisten, die Oberpriester, die Bonzen und mehrere Mandarinen, welche sich unmittelbar hinter den Tragbahren im Zuge befunden hatten, in dem Tempel. Draußen schwieg die Musik; unterdrücktes Gemurmel drang wie ein leises Brausen herein; im Innern aber herrschte noch feierliche Stille.

Dann flüsterten die Priester einander leise Bemerkungen zu. Sie hielten einen Rat, was zu thun sei. Dann trat der Ta-sse des Tempels vor die beiden Götter, verbeugte sich tief vor ihnen und fragte:

»Schui ni-men, thian-tse – wer seid ihr, Himmelssöhne?«

Es erfolgte keine Antwort.

Hi-we#ï iü-tsi – warum seid ihr hier?« fuhr er fort.

Die Göttlichen geruhten nicht, zu antworten. Keine Bewegung von ihnen zeigte an, daß sie sich eines sehr irdischen Daseins erfreuten. Nur von der Schläfe des Dicken rollte ein schwerer Angstschweißtropfen, welcher aber von niemand bemerkt wurde.

Da wendete sich der Ta-sse zu den Priestern zurück und sagte:

»Schu-tschi-ho, schok-tschi-ho – was soll man davon denken, wie soll man sich dazu verhalten?«

Turnerstick brachte es fertig, ganz ruhig zu bleiben. Der Mijnheer aber hatte keine solche Gewalt über sich. Es war ihm glühend heiß im ganzen Körper. Auf seinem kahlen Kopfe, welchen die schottische Mütze nicht ganz bedeckte, sammelte sich der Schweiß und begann in großen Tropfen herabzuperlen. Seine Hand zitterte, so daß der Schirm wankte, nicht allzusehr zwar, aber einer hatte es doch bemerkt. Dieser eine war ein junger Mann von vielleicht einundzwanzig Jahren, der jüngste unter den Anwesenden. Er hatte unter den Mandarinen gestanden. Jetzt trat er vor, schob den Ta-sse beiseite und sagte zu ihm:

»Ngo yen huo t‘a-men – ich werde mit ihnen sprechen.«

Er schritt zu den beiden heran und betrachtete sie. Dann ging er nach der Ecke, in welcher auf einer Art Altar Räucherstäbchen glimmten, ergriff eins derselben, kehrte zurück und hielt es dem Dicken unter die Nase.

Der Mijnheer gab sich alle Mühe, dem scharfen, wenn auch angenehmen Geruche zu widerstehen, doch vergeblich. Der Rauch drang ihm in die Nase, und – — – »Ha – ha – ha – zieeh!« drang es aus seiner Brust, wie aus einem Vulkane.

»Thian-na, nguot-tik – o Himmel, o Wunder!« erklang es rundum.

Der junge Mandarin versuchte sein Experiment nun auch an Turnerstick. Dieser biß die Zähne zusammen und nahm sich vor, auf keinen Fall zu niesen. Aber auch er konnte nicht widerstehen. Es erfolgte bei ihm eine ebenso gewaltige Explosion wie bei dem Dicken.

»Thian-na! Nguot-tik!« riefen die Umstehenden wieder.

Da Turnerstick chinesische Kleidung trug, hielt man ihn für einen heimischen Gott, den Mijnheer aber für einen Gott aus einem fremden, bisher noch unbekannten Himmel. Daß beide geniest hatten, war ein ebenso großes Wunder wie auch ein sicheres Zeichen, daß ihnen das Räucheropfer wohlgefallen habe. Schon dachte der Ta-sse an die Berühmtheit, welche sein Tempel durch diese beiden unbegreiflichen Wesen erlangen werde, und an die Einnahmen, welche eine natürliche Folge davon sein mußten. Da aber riß ihn der Mandarin durch die Worte aus seiner Täuschung:

»T‘a-men put tschian-tse, t‘a-men ti-jin – es sind nicht Himmelssöhne, sondern irdische Menschen!«

Bei diesen Worten nahm er dem Dicken den Schirm aus der Hand und stieß ihm die Spitze desselben an den Leib.

»Oei, seldrement – o weh, potztausend!« rief der Mijnheer, indem er mit beiden Händen nach der getroffenen Stelle griff.

Auch der Kapitän erhielt einen kräftigen Stoß, so daß er zornig ausrief:

»Alle Wetter! Nimm dich doch in acht, Kerl!«

Auf diese beiden Interjektionen erhob sich in dem Tempel ein Lärm, welcher ganz unbeschreiblich war. Man erkannte, daß man ganz gewöhnliche Menschen vor sich habe und daß das Heiligtum geschändet worden sei. Man drang auf die beiden ein.

»Rechtvaardige Hemel! Dat God verhoede – gerechter Himmel! Gott mag‘s verhüten!« schrie der Mijnheer, indem er sich von dem Postamente herabwälzte, um hinter dem Kapitän Schutz zu suchen. Dieser aber, als er nun die wirkliche Gefahr vor sich sah, ließ alle Angst schwinden. Er sprang auf, streckte den Andrängern die geballten Fäuste entgegen und schrie:

»Zurück, ihr Chineseng! Ich werde mich nicht anrühreng lassing! Könnt ihr boxeng? Wollt ihr meine Fäustung fühlang?«

Sie prallten wirklich zurück, und das war der Augenblick, an welchem der Methusalem jenseits an das Gitter getreten war, um durch dasselbe herüberzublicken. Er sah den Kapitän, welchem der Klemmer von der Nase gerutscht war, in drohender Stellung vor seinen vielen Angreifern auf dem Postamente stehen. Er erriet, was geschehen war, und erkannte die Gefahr, in welcher die beiden schwebten; aber wie war da Hilfe zu bringen!

Turnerstick benutzte das momentane Zurückweichen seiner Gegner zu einer donnernden Rede, in welcher er ihnen die Gefahr auseinandersetzte, welche ihnen drohte, wenn sie sich seiner friedlichen Entfernung wiedersetzen sollten.

»Welche Unvorsichtigkeit!« sagte der Methusalem. »Sie werden kaum zu retten sein. Ich muß hinein!«

»Nein, nein!« entgegnete der Tong-tschi. »Die Unvorsichtigen haben die Stelle der Götter eingenommen gehabt und sind dabei überrascht worden. Wenn Sie ihnen zu Hilfe eilen, sind auch Sie verloren, wir alle! Wir können sie nur aus der Ferne retten.«

»Ich rette sie!« sagte Liang-ssi. »Ich bringe es wenigstens so weit, daß ihnen jetzt kein Leid geschieht. Man wird sie in das Gefängnis stecken, aber ich hoffe, daß wir sie aus demselben befreien können.«

Er wollte fort. Der Methusalem hielt ihn zurück und fragte:

»Was wollen Sie thun?«

»Lassen Sie mich! Sie sind Lamas aus Lhassa.«

»Das glaubt niemand!«

»Mag man es bezweifeln! Man muß sie doch einstweilen als solche behandeln.«

Er riß sich los und trat in die vordere Halle, nicht eilig, sondern ganz so, als ob er sich in der hinteren Abteilung befunden habe und von dem Lärm herbeigelockt worden sei.

Noch stand Turnerstick da und sprach. Er wollte die Anwesenden durch die Gewalt seiner Rede niederschmettern, natürlich aber wurde kein Wort verstanden.

Der junge Mandarin erblickte den Eintretenden; er trat auf ihn zu, ergriff ihn am Gewande und fragte »Gehörst du zu diesen beiden?«

»Nein,« antwortete Liang-ssi, allerdings nicht der Wahrheit gemäß.

»Was willst du hier?«

»Den Tempel besuchen.«

»Das ist jetzt nicht erlaubt! Kein Fremder darf herein!«

»Diese beiden sind ja auch fremd!«

»So kennst du sie also doch!«

»Nein. Ich verstehe aber ihre Sprache und hörte diesen Lama sprechen.«

»Welche Sprache ist es?«

»Tibetanisch.«

»Das verstehest du?«

»Ja. Ich war zweimal in Tibet.«

»So bleib! Du wirst den Dolmetscher machen.«

Jetzt hatte Turnerstick seine Rede beendet, ohne Liang-ssi bemerkt zu haben. Dieser letztere befürchtete, daß der Kapitän, wenn er ihn erblickte, durch ein Zeichen verraten werde, daß er ihn kenne, und hielt es infolgedessen für geraten, ihn gleich selbst anzureden. Darum rief er ihm in deutscher Sprache zu:

»Wenn Sie gerettet sein wollen, so thun Sie so, als ob Sie mich nicht kennen, sonst sind Sie verloren.«

Der Kapitän drehte sich nach ihm um und antwortete:

»Ich fürchte mich nicht vor diesen Kerls. Ich habe meine Pistolen mit, vor denen sie alle ausreißen.«

»Diese Berechnung ist falsch. Sie haben eine großes Verbrechen begangen, und wenn Sie auch hier entkämen, würde man Sie doch verfolgen und wir alle müßten die Folgen Ihres Fehlers miterleiden.«

»Alle Wetter, das ist dumm!«

»Ja, dumm von Ihnen. Ich werde aber versuchen, Sie herauszureißen. Ich gebe Sie für einen heiligen Lama aus Lhassa aus. Setzen Sie sich getrost nieder, als ob Sie ein Recht hätten, auf diesem Postamente zu sitzen, und auch Sie, Mijnheer, müssen ganz dasselbe thun.«

»Sonst gibt es keinen Ausweg?«

»Nein.«

»Gut! Aber wenn so ein Schlingel mir abermals unter die Nase räuchert, so gebe ich ihm eine Ohrfeige, an die er längere Zeit denken soll. Steigen Sie wieder auf Ihren Thron, Mijnheer!«

»Weder opstijgen?« fragte der Dicke kleinlaut.

»Ja. Sie hören doch, daß es uns sonst schlimm ergehen kann.«

Er setzte sich wieder nieder und spannte seinen Fächer auf. Der Dicke kletterte auf das Postament und nahm seine alte Stellung ein. Liang-ssi nahm ganz unbefangen dem Mandarin den Schirm aus der Hand und gab ihn an den Holländer zurück, wobei er sagte:

»Nun bewegen Sie sich nicht, und starren Sie immer vor sich hin, gerade wie leblose Gestalten.«

Sie folgten, indem der Mijnheer seinen Schirm wieder aufspannte, diesem Gebote.

Die Anwesenden hatten dem Gebahren Liang-ssi‘s zugesehen, ohne ihn zu hindern; aber auf ihren Gesichtern war das größte Erstaunen zu lesen.

Es befanden sich Mandarinen da, welche bedeutend älter waren und auch im Range höher standen als der junge Beamte, welcher das Wort geführt hatte; aber sie schienen ihn zu kennen und zu wissen, daß die Angelegenheit bei ihm in guten Händen sei. Er seinerseits that, als ob es ganz selbstverständlich sei, daß er die Sache weiterführe. Er sagte in zornigem Tone zu Liang-ssi:

 

»Wie kannst du es wagen, mir den Schirm zu nehmen?«

»Weil er dir nicht gehört.«

»Und,« fuhr der Mandarin in noch stärkerem Tone fort, »wie darfst du dich unterstehen, mich ‚du‘ zu nennen?«

»Weil du mich ebenso nennst.«

»Ich bin Kuan-fu und Moa-sse!«

»Kannst du behaupten, daß ich nicht dasselbe bin?«

»Wie willst du ein Kuan-fu sein, da du nicht die Kleidung eines solchen trägst!«

»Wer ein Gelübde gethan hat, soll alle Zeichen seiner Würde ablegen, bis es von ihm erfüllt worden ist.«

Liang-ssi spielte ein gewagtes Spiel; aber er hatte es nun einmal begonnen und mußte es nun auch zu Ende führen. Der Mandarin musterte ihn mit mißtrauischem Blicke und sagte dann in milderem Tone:

»Ein Gelübde? Welches denn?«

»Bist du ein Priester, dem ich es anvertrauen kann?«

»Nein. Behalte es für dich. Wo kommst du her?«

»Aus Tsching-tu in der Provinz Sze-tschuen.«

»Das ist weit von hier!«

»Mein Gelübde gebietet mir, nach Kuang-tschéu-fu zu gehen und da täglich dreimal dieses Haus der hundert Himmelsherren zu besuchen. Meine Heimat liegt hoch oben an der Grenze der Wüste, und so bin ich nach Tibet gekommen und habe die Sprache dieses Landes gelernt. Als ich mich jetzt hier im Tempel befand, hörte ich viele Leute sprechen und sodann eine Stimme, welche tibetanisch redete. Ich kam herbei, um zu sehen, wer das sei. Ich habe nichts Unrechtes gethan, und du redest zu mir, als ob ich ein Verbrecher wäre.«

»Was hast du soeben mit diesen Menschen verhandelt?«

»Ich habe sie gefragt, auf welche Weise und warum sie hierher gekommen sind. Da hörte ich, daß sie Lama‘s seien, die man in ihrer heiligen Ruhe gestört hat. Sogar den Schirm hast du dem Ehrwürdigen entrissen. Ich habe ihm denselben wiedergegeben.«

»Sagst du die Wahrheit?«

»Erkundige dich! Es wird wohl jemand hier sein, welcher die Sprache von Tibet auch versteht.«

Das war viel gewagt. Dennoch blickte Liang-ssi in einer Weise umher, als ob er sehr wünsche, daß ein solcher Mann anwesend sei.

Glücklicherweise meldete sich niemand. Darum fuhr der Mandarin fort:

»Weißt du, was gestern Abend hier geschehen ist?«

»Ja.«

»Wer hat es dir gesagt?«

»Ich erfuhr es auf der Straße.«

»Man hat die Götter gestohlen. Und nun wir sie zurückbringen, wird der Sitz derselben zum zweitenmal entweiht.«

»Entweiht?« fragte Liang-ssi im Tone des größten Erstaunens. »Wer hat das gethan?«

»Diese beiden fremden Männer.«

»Diese? Nimm es mir nicht übel, aber ich muß dich fragen, ob du weißt, was ein Lama ist?«

»Ja, ich weiß es. Ein Lama ist ein Priester, ein Mönch, welcher in einem Kloster, in einem Tempel lebt.«

»Das sagst du und willst ein Doktor der Feder sein? Hast du noch nichts vom Dala#ï Lama, vom Tsong Kaba, vom Ho-bil-gan, vom Pantscham Ramputschi gehört? Sind das nicht Götter, deren Seelen auf die Auserwählten übergehen? Heißt nicht Lhassa die Stadt der hunderttausend Heiligen? Sind nicht im großen Ku-ren dreimal hunderttausend Lamas versammelt, welche niemals sterben können, weil ihre Seelen von einem Leibe in den andern übergehen?«

Er hatte das in einem sehr überlegenen und zugleich vorwurfsvollen Tone gesagt. Der Methusalem stand hinter dem Gitter und bewunderte ihn. Er hatte dem jungen Chinesen, der nur Kaufmann war, diese Kenntnisse, diese Energie und diesen Mut nicht zugetraut. Liang-ssi schien plötzlich ein ganz anderer geworden zu sein.

Freilich kam ihm zu statten, daß die Chinesen sehr schlechte Geographen sind; ihr Nationalstolz verbietet ihnen, sich allzusehr mit anderen Ländern und Völkern zu beschäftigen.

Der junge Mandarin schien verlegen zu werden. Er antwortete in hörbar höflicherem Tone:

»Ich habe diese Namen alle längst gehört.«

»Die Namen, ja, aber die Verhältnisse scheinen dir unbekannt zu sein. Der Dala#ï Lama ist nicht der Unterthan des chinesischen Himmelsherrn, denn letzterer sendet ihm jährlich kostbare Geschenke, um ihm seine Ehrfurcht zu erweisen. Jeder Lama ist ein Gott und hat alle Rechte eines solchen. Ein Lama kann einen Tempel errichten, um sich verehren zu lassen, und es gibt jenseits der großen Mauer berühmte Lamas, welche so heilig sind, daß Hunderttausende zu ihnen wandern, um sich ihre Sünden vergeben zu lassen und von ihnen die Unsterblichkeit zu erlangen. Zu diesen berühmten Wesen gehören die beiden, welche ihr da vor euch erblickt. Der eine ist sogar ein Lama des Krieges und hat die Feinde der Chinesen, die Oros, in vielen Schlachten besiegt. Sie sind nach Kuang-tschéu-fu gekommen, warum, das weiß ich nicht, denn ich konnte sie noch nicht fragen, aber sie werden sich hier nicht verweilen, weil sie die Ehrerbietung nicht gefunden haben, welche man ihnen widmen muß.«

»Sie haben sich auf den Thron unserer Götter gesetzt!«

»Wer will ihnen das verbieten, da sie ja selbst Götter sind? Erkundige dich, so wirst du erfahren, daß ich die Wahrheit sage. Ein Lama darf mit keinem Menschen speisen; kein anderer darf es sehen, wenn er sich wäscht. Wen er mit seiner Hand berührt, der ist geheiligt für die ganze Lebenszeit. Selbst ein Vizekönig muß, wenn ein Lama bei ihm eintritt, seinen Sitz verlassen, um denselben ihm anzubieten.«

»Davon steht nichts im Buche der Ceremonien zu lesen.«

»Weil sich hier im Lande keine Lamas befinden. Aber schlage nur nach im Buche der Gebräuche der Völker jenseits der großen Mauer! Da wirst du es sogleich finden.«

»Ich werde nachschlagen. Aber wie kommt es, daß diese Lamas so verschieden gekleidet sind?«

»Weil es verschiedene Tempel gibt, deren Bewohner sich durch die Kleidung unterscheiden. Und zweifelst du daran, daß diese Heiligen den Göttern gleich zu achten sind, so blicke sie an! Sind sie nicht ganz in das All versunken? Schau diesen Lama des Krieges an! Ist ihm nicht die Unsterblichkeit auf die Stirne geschrieben?«

Turnerstick saß allerdings da, als ob ihm diese Erde ganz und gar gleichgültig sei.

»Ja,« gab der Mandarin zu. »Seine Seele scheint nicht in ihm zu sein.«

»Sie ist tief im Weltenall versunken. Und sieh den andern an! Ist er nicht ein Gott der Schönheit und des Glückes zu nennen?«

Dem Mijnheer war es gar nicht göttlich zu Mute, und glücklich fühlte er sich auch nicht übermäßig: aber er machte ein möglichst sorgloses Gesicht, und da er wohlbeleibt war, so befriedigte er ganz wohl die Ansprüche, welche der Chinese an das Bild eines Gottes macht.

»Ja, er ist schön,« antwortete der Mandarin. »Aber frage sie doch einmal, ob wir erfahren dürfen, weshalb sie nach Kuang-tschéu-fu gekommen sind!«

»Du stellst mir da eine Aufgabe, welche mich zwingt, unhöflich gegen die Götter zu sein. Wenn sie in die Tiefe der Weisheit versunken sind, ist es eine Sünde, sie aus derselben zurückzurufen. Ich begebe mich in die Gefahr, ihren Zorn auf mich zu laden, so wie ihr ihn euch vorhin zugezogen habt.«

»Der Kriegslama war zornig, ja, aber der andere nicht. Er sprang vom Sitze herab, um sich zu verstecken.«

»Das geschah nicht aus Furcht, denn es kommt nur auf seinen Willen an, so kann er euch alle verderben. Aber es versteht sich ganz von selbst, daß ein Lama des Friedens, wenn er zornig ist, sich an den Lama des Krieges wendet.«

»So willst du sie also nicht stören? Dann müssen wir es thun!«

»Nein, nein! Ihr würdet es nicht mit der gebührenden Ehrfurcht thun. Also will ich es wagen. Vielleicht gefällt es ihnen doch, uns Auskunft zu erteilen.«

Er näherte sich den beiden Götzen, verbeugte sich tief vor ihnen und sagte, aber in deutscher Sprache:

»Antworten Sie mir nicht sogleich, sondern starren Sie immerfort in die Ecke. Erst später thun Sie dann, als ob Sie langsam aus tiefem Nachdenken erwachen. Dann müssen Sie zunächst in zornigem Tone zu mir reden.«

Die beiden bewegten sich nicht. Liang-ssi wendete sich zu dem Mandarin.

»Du siehst, wieweit sie von hier abwesend sind. Sie hören meine Stimme nicht. Ich muß weiter zu ihnen sprechen.«

Nun erzählte er den beiden, was er mit dem Mandarin gesprochen habe, und daß er hoffe, man werde sie unbehelligt fortgehen lassen. Dann holte er ein Räucherstäbchen und erklärte den Chinesen: