Za darmo

Der blaurote Methusalem

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»Hu-tsin hat recht,« erklärte der Mandarin. »Die Sänfte ist noch da, also sind auch die Träger noch nicht fort. Nehmt Wing-kan in eure Mitte und seht darauf, daß er nicht entkommt! Wir werden uns in seinen Garten verfügen, um dort nachzusuchen.«

Die Polizisten bemächtigten sich des Anklägers, welcher sich nicht im geringsten dagegen sträubte. Zwar konnte er sich das Verschwinden der beiden Statuen keineswegs erklären, aber es fiel ihm gar nicht ein, anzunehmen, daß sie bei ihm selbst zu finden seien. Er war vielmehr überzeugt, daß der Gang nach seinem Garten ohne jeden Erfolg sein werde. Dann aber wollte er verlangen, daß man wieder in denjenigen Hu-tsins zurückkehre, um dort nachzusuchen, wo dann der Raub ganz gewiß gefunden werden mußte.

Abermals verschmähte der Tong-tschi, von einem Hause nach dem andern zu gehen. Er bestieg die Sänfte; Wing-kan wurde von den Polizisten in die Mitte genommen. Drüben angelangt, begab man sich sofort in den Garten, welcher so klein war, daß er von den mitgebrachten Laternen vollständig erleuchtet ward.

Da bot sich den Ankömmlingen ein Anblick, welcher von Wing-kan gewiß nicht erwartet worden war. Nämlich zwischen zwei Zwergbäumen war die Erde aufgegraben und wieder zugeworfen, so daß sie nun eine kleine Erhöhung bildete. Auf dieser letzteren saßen die zwei Sänftenträger, an den Händen und Füßen gefesselt und mit dem Rücken an zwei starke Pfähle gebunden, welche da eingeschlagen worden waren. Zwischen den Zähnen hatten sie abgerissene Fetzen ihrer Kleidung stecken, so daß sie nicht zu rufen vermochten.

Wing-kan brach vor Schreck beinahe in die Kniee, als er diese Gruppe erblickte. Der Mandarin aber rief, indem er die beiden Kerls genau in Augenschein nahm:

»Das sind ja die Diebe, ganz genau so, wie man sie beschrieben hat! Wing-kan, wie kommen sie in deinen Garten?«

»Das – — weiß ich nicht,« stammelte der Gefragte mit blutleeren Lippen.

»Wie? Du weißt es nicht? So weiß ich es desto besser. Du selbst hast die That begangen, deren Schuld du auf deinen ehrlichen Nachbar werfen wolltest!«

»So ist es, ganz gewiß!« stimmte Hu-tsin bei. »Und die Stimmen, welche ich vernahm, sind diejenigen der geraubten Götter gewesen, durch deren Macht die Missethäter hier zurückgehalten worden sind. Die Erde ist aufgegraben. Wenn der hochehrwürdige Tong-tschi hier nachgraben lassen wollte, so bin ich überzeugt, daß man die Verschwundenen finden wird.«

»Wollen sehen! Bindet die Kerle los, und grabt nach!« befahl der Mandarin.

Die Sänftenträger wurden von den Pfählen, nicht aber von ihren weiteren Fesseln befreit und zur Seite geschafft. Kaum hatte man dann die obere dünne Bodenschicht entfernt, So kamen die beiden Götzenbilder zum Vorschein. Sie wurden aus der Grube genommen, sorgfältig abgewischt und dann aufgestellt.

Fast hätten die Reisenden laut aufgelacht, als sie nun die Göttergestalten vor sich sahen. Es waren zwei sitzende, sehr wohlbeleibte hölzerne und mit Bronzefarbe angestrichene Puppen, welche sich in der heitersten Stimmung zu befinden schienen, denn sie lachten im ganzen Gesichte so, daß die kleinen mongolischen Schlitzaugen fast ganz verschwanden.

»Dat ist drollig!« meinte Gottfried von Bouillon. »Wenn alle Jötter von China so jemütliche olle Schwedens sind, so will ich es mich jern jefallen lassen. Sie scheinen ihr jutes Auskommen zu haben und sich sogar jetzt in die allerbeste Laune zu befinden. Wat meinen Sie dazu, Mijnheer?«

»Wat ik zeg? Zij zijn ontzettend veel dik. Zij moeten zeer goed gegeten hebben – was ich sage? Sie sind entsetzlich viel dick. Sie müssen sehr gut gegessen haben.«

»Was meinen diese beiden Herren?« fragte der Mandarin, welcher diese Bemerkungen natürlich nicht verstanden hatte.

»Sie wundern sich darüber, daß ein Mensch auf den schrecklichen Gedanken kommen kann, solche Götter aus ihrer Ruhe und Beschaulichkeit zu reißen,« antwortete Methusalem.

»Es ist das das größte Verbrechen, welches ein Mensch begehen kann. Bindet den Götterschänder! Seine Strafe wird der That angemessen sein!«

Da warf sich Wing-kan vor ihm nieder und schrie voller Angst:

»Gnade, Gnade, allerhöchster Herr! Ich bin unschuldig! Ich weiß nicht, wie diese Männer und diese Götter in meinen Garten gekommen sind!«

»Du wärest verloren, selbst wenn du das wirklich nicht wüßtest, denn die Gottheiten sind auf deinem Grund und Boden gefunden worden. Aber niemand wird dir glauben. Du hast sie stehlen lassen!«

»Nein, nein, sondern Hu-tsin hat es gethan und sie hier eingraben lassen, um mich zu verderben.«

Jetzt hielt der Methusalem es für angezeigt, nun auch seinerseits eine Bemerkung zu machen, weil der unschuldige Hu-tsin sonst doch noch in die Untersuchung verwickelt werden konnte. Er fragte den Juwelier:

»Du kennst diese beiden gefesselten Männer nicht?«

»Nein.«

»Hast nie mit ihnen gesprochen?«

»Niemals!«

»Hast du heute dein Haus verlassen?«

»Auch nicht.«

»Das ist eine Lüge! Du warst drunten in Scha-mien und hast hinter dem Gasthause des Portugiesen gestanden!«

»Sie irren sich, edler Urahne!«

»Ich irre mich nicht, denn ich stand in der Nähe hinter der Mauer und habe gehört, was du mit dem älteren dieser Männer sprachst. Sie haben die Götter in deinem Auftrage gestohlen, und das Geld, welches du ihnen dafür bezahlt hast, muß sich noch in ihren Taschen befinden. Der edle und mächtige Tong-tschi mag sie aussuchen lassen und wird sich überzeugen, daß ich die Wahrheit sage!«

Da ergriff der Mandarin den Methusalem beim Arme, zog ihn zur Seite und fragte ihn leise:

»Herr, haben Sie wirklich eine solche Unterredung belauscht?«

»Ja,« flüsterte der Gefragte als Antwort.

»Und Sie erkennen die beiden wieder?«

»Genau. Ich kann beschwören, daß sie es sind.«

»So wissen Sie, weshalb Wing-kan die Götter stehlen ließ? Um seinen Nachbar zu verderben?«

»Ja.«

»So hat er sie drüben vergraben, und sie sind dann ohne sein Wissen in seinen eigenen Garten versenkt worden. Das ist gut, denn dadurch ist ein Unschuldiger gerettet worden; aber diejenigen, welche die Gottheiten herübergebracht haben, sind verloren, wenn es so zur Sprache kommt. Ich bin ein freisinniger Kuan-fu und weiß, was ich von diesen Figuren zu halten habe; aber andere denken nicht so wie ich und die Gesetze sind blutig streng. Sie sind mein Gast und ich selbst würde dem Verderben nicht entgehen können, wenn die Untersuchung alles genau an das Tageslicht brächte. Schweigen Sie also; schweigen Sie, sonst sehen Sie Ihre Heimat niemals wieder, obgleich Sie dort ein mächtiger Kuan-fu sind! Sie würden hier auf eine Weise verschwinden, daß keinen eine Verantwortung treffen könnte. Niemand, auch ich selbst nicht, darf erfahren, wie die Sache eigentlich zugegangen ist. Ich muß dafür sorgen, daß Sie dabei gar nicht in Rede kommen. Sie haben mir das Leben gerettet, und ich freue mich, Ihnen dankbar sein zu können. Aber schweigen müssen Sie, sonst sind wir alle mit verloren!«

Der Mandarin wendete sich nach dieser Warnung mit ernstem Gesicht an die Polizisten und befahl ihnen, die Sänftenträger auszusuchen. Das Geld wurde bei ihnen gefunden. Er ließ ihnen die Knebel abnehmen und fragte sie in drohendem Tone:

»Soll ich euch die Hände und Füße zerquetschen lassen, oder wollt ihr mir meine Fragen freiwillig beantworten? Bedenkt, daß ihr auf der That betroffen seid und nicht leugnen könnt! Gebt ihr mir nicht die Auskunft, die ich haben will, so trifft euch allein die Strafe und zwar zehnfach hart!«

Das Zerquetschen der Finger und Zehen war in China bis in die neueste Zeit eine sehr oft in Anwendung gebrachte und außerordentlich schmerzhafte Tortur. Die beiden Männer sahen ein, daß es besser sei, freiwillig ein Geständnis abzulegen, als es sich durch solche Qualen entreißen zu lassen. Darum antwortete der eine im demütigsten Tone:

»Der hohe Mächtige mag fragen und wir Unwürdigen werden antworten.«

»Ihr habt die Götter aus dem Tempel geholt?«

»Ja.«

»Wing-kan hat euch dazu verführt und dafür bezahlt?«

»So ist es. Hätte er uns nicht verführt, so hätten wir es nicht gethan, denn wir sind sonst ehrliche Leute und fürchten und ehren die Gottheiten.«

»Hat er euch gesagt, wozu er sie haben will? Bedenkt wohl, ihr stinkenden Ratten, daß eure Strafe eine doppelt harte sein wird, wenn es sich herausstellt, daß ihr ihm helfen wolltet, andere zu verderben!«

Die Diebe waren klug genug, einzusehen, daß er recht hatte, und welche Aussage er von ihnen hören wollte. Darum antwortete der ältere, welcher auch bisher gesprochen hatte:

»Er verlangte sie, um sie in seinem Hause anzubeten. Wir haben sie geholt; aber wir haben sie unterwegs tausendmal um Verzeihung gebeten und ihnen versprochen, sie später ganz gewiß wieder zurückzubringen.«

»Hättet ihr das gethan?«

»Ja. Wir wollten sie schon morgen wieder holen.«

»So ist es euer Glück, daß ihr sie mit Ehrfurcht behandelt habt, denn das wird eure Strafe mildern. Ihr habt sie also keinem andern und nur ihm gebracht?«

»Nur ihm. «

»Und sie ihm also über seine Mauer hereingegeben?«

»Ja.«

»Dann seid ihr nachgestiegen, um sie in seine Wohnung zu tragen?«

»Genau so ist es, Urahne der Ehrwürdigen.«

»Wie aber ist es gekommen, daß sie nun vergraben waren und wir euch dabei in Fesseln gefunden haben?«

»Das wissen wir nicht, denn kaum waren wir über die Mauer, so faßten uns die Götter bei den Kehlen und raubten uns das Bewußtsein. Als wir dann erwachten, waren wir hier angebunden.«

»So haben die beleidigten Gottheiten euch selbst überwältigt, um euch der Strafe zu überliefern. Ihr mögt daraus erkennen, wie stark und mächtig sie sind. Da ihr aber ein so offenes Geständnis ablegt, werde ich, aber nur wenn ihr bei demselben bleibt, dafür sorgen, daß euch eine möglichst milde Strafe treffe.«

 

Wing-kan hatte sich bemüht, dieses kurze Verhör zu unterbrechen, um der Aussage seiner Mitschuldigen zu widersprechen. Er war aber von dem Mandarinen zum Schweigen verwiesen worden und sah schließlich auch ein, daß es die ihn erwartende Strafe verschärfen werde, wenn er sage, daß er das Verbrechen begangen habe, um einen andern zu verderben. Daran dachte er jetzt im Augenblicke freilich nicht, daß er diese Absicht dadurch deutlich zu erkennen gegeben habe, daß er vorhin die That auf Hu-tsin hatte schieben wollen. Der Tong-tschi wendete sich jetzt an ihn:

»Auch du kannst deine Lage nur durch ein offenes Geständnis verbessern. Gibst du zu, daß du diese Leute veranlaßt hast, die Götter zu stehlen?«

»Ja, hoher Herr, ich gestehe es ein!« antwortete der Gefragte, indem er sich vor dem Mandarin niederwarf.

»So will ich vergessen, was du vorhin in meinem Hause zu mir gesagt hast. Weshalb wolltest du die Segenspendenden bei dir haben?«

»Sie sollten mir Glück bringen, da jetzt niemand mehr bei mir kauft. Dann aber wollte ich sie wieder in den Tempel tragen lassen.«

»Du hast sie direkt hier in deinem Garten empfangen?«

»Ich nicht. Ich war nicht dabei. Ich glaubte nicht, daß sie so früh kommen würden. Als ich dann ausrufen hörte, daß Götter gestohlen worden seien, dachte ich nicht, daß es die von mir begehrten seien; ich glaubte vielmehr, ein anderer sei auf denselben Gedanken wie ich gekommen. Dann aber kam Ihre Herrlichkeit und führte mich hierher, wo ich zu meinem Schreck diese beiden Männer fand. Wie die Gottheiten in die Erde gekommen sind, kann ich nicht sagen.«

»Die Priester werden es zu erklären wissen. Bleibe bei deiner jetzigen Aufrichtigkeit; dann wirst du vielleicht dem schrecklichen Tode entgehen, welcher dich gewiß erwartet, wenn es dir einfallen sollte, im Sing-pu eine andere Aussage zu thun!«

»Ich habe die Wahrheit gesagt und werde bei diesen meinen Worten bleiben.«

»Das ist sehr wohl gedacht. Uebrigens ist es von der größten Bedeutung, zu welcher Lehre ihr euch bekennt. Seid ihr vielleicht Anhänger des Lao-tse?«

»Ja, ja, ja!« riefen alle drei fast einstimmig.

Sie sagten da die Unwahrheit, aber sie begriffen sofort, daß er ihnen mit dieser Frage einen Rettungsanker hinwarf.

»Also nicht Buddha verehrt ihr? So seid ihr ja gar nicht im stande, zu begreifen, welch ein großes Verbrechen ihr begangen habt. Ihr wißt nicht, was es heißt, Gottheiten aus ihren Tempeln zu entfernen. Vielleicht wird euch mit Rücksicht hierauf nur die Strafe der Verbannung treffen. Weiter habe ich euch jetzt nichts zu sagen. Ihr werdet mit samt den Göttern jetzt nach dem Sing-pu transportiert. Verhaltet euch hochachtungsvoll gegen die Obrigkeit und bleibt bei der bisherigen Aussage. Da ihr mir ein so offenes Geständnis abgelegt habt, werde ich euch der Gnade des Richters, dem ich alles zu melden habe, empfehlen. Und damit auf unserer Gasse kein Aufsehen erregt werde, sollt ihr mit den Polizisten hier über die Mauer steigen und euch mit ihnen hinter den Gärten entfernen.«

Er hatte, ganz gegen das Erwarten der Anwesenden, in ziemlich mildem Tone gesprochen. Nur der Methusalem wußte, daß dazu ein sehr triftiger Grund vorhanden sei.

Die Götter und Spitzbuben mußten über die Mauer hinüber. Die ersteren wurden in die Sänfte gesetzt, in welcher sie gebracht worden waren, und die letzteren von den Soldaten und Polizisten in die Mitte genommen. Dann verschwanden sie im Dunkel der Nacht.

Als die Schritte verklungen waren, fragte der Tong-tschi den nun von der Schuld befreiten Juwelier:

»Deine Ehrlichkeit ist bestätigt worden. Bist du nun zufrieden?«

»Ja, mächtiger Beschützer. Aber ich verlange, daß Wing-kan auf das Strengste bestraft werde!«

»Er wird seiner Strafe nicht entgehen.«

»Aber Ihre gebietende Stimme hat nur von Verbannung gesprochen!«

»Ja, dann bist du den Feind los. Oder ist dir das noch nicht genug?«

»Ich glaubte, der Tod sei auf dieses Verbrechen gesetzt!«

Er hatte das in unzufriedenem Tone gesprochen. Da trat der Mandarin näher zu ihm heran und sagte mit gedämpfter Stimme:

»Wünschest du seine Hinrichtung, gut! Aber dann wird der Richter auch erfahren, daß die Götter erst in deinem Garten gewesen sind, und er wird fragen, wer sie von da herübergeschafft hat. Wird dir das willkommen sein?«

»Nein, nein!« antwortete Hu-tsin schnell.

»So schweige und gönne dem Feinde nicht mehr, als er bekommt! Du hast dich in einer sehr großen Gefahr befunden. Ich will nicht wissen, wie alles geschehen ist; aber dieser fremde Kuan-fu hat dir das Leben gerettet, dir und allen den Deinen. Ein Bewohner dieses Landes hätte nicht gewagt zu thun, was er gethan hat. Beuge dich vor seiner Güte und denke an ihn mit der Dankbarkeit, welche er von dir erwarten kann! Dazu aber überlege dir, wie viele Personen du verderben würdest, wenn es dir in den Sinn käme, die Geschichte von den gestohlenen Göttern so zu erzählen, wie sie sich eigentlich ereignet hat!«

Er drehte sich um und schritt durch den Garten dem Hause zu. Die andern folgten ihm. Dabei ergriff Hu-tsin die Hand des Methusalem und fragte ihn:

»Wird mein geehrter und bejahrter Freund Wort halten und mich morgen besuchen, wie er es mir versprochen hat?«

»Ja, ich komme,« antwortete der Blaurote.

»Wann?«

»Am Vormittage, noch ehe ich mir die Stadt ansehe.«

»Ich weiß nicht, weshalb Sie nach Kuang-tschéu-fu gekommen sind; aber vielleicht ist es mir dennoch möglich, Ihnen nützlicher zu sein, als Sie es jetzt für möglich halten. Der mächtige Tong-tschi hat recht. Sie haben mich und meine Familie vom Verderben errettet. Ich werde Ihnen ein Geschenk geben, dessen Wert Ihnen vielleicht von großem Nutzen sein wird.«

Draußen stieg der Mandarin wieder in die Sänfte, und seine Gäste thaten desgleichen. Auf der Straße standen die Leute noch in einzelnen Gruppen beisammen und blickten neugierig auf die Palankins. Sie sagten sich, daß etwas Ungewöhnliches geschehen sein müsse, um den Tong-tschi zu so später Stunde zum Besuch seiner beiden Nachbarn zu bewegen, doch ließen sie kein lautes Wort vernehmen.

Daheim angekommen, forderte der Mandarin den Methusalem auf, ihn zu begleiten. Er führte ihn in eine Stube, welche das Studier- und Arbeitszimmer des Beamten zu sein schien. Dort forderte er ihn auf, sich ihm gegenüber zu setzen. Seine Miene war eine ernste, ja sogar feierliche.

»Bevor wir uns zum Tsau-fan begeben,« sagte er, »muß ich Ihnen eine Mitteilung machen. Sie haben mich genötigt, Ihnen dankbar zu sein, aber Sie haben mich beinahe um Amt, Eigentum und Leben gebracht. Seien Sie nie wieder so unvorsichtig wie heute!«

»Verzeihen Sie!« bat der Student. »Ich glaubte gerade, sehr vorsichtig gehandelt zu haben.«

»Im Gegenteile! Sie hätten mir alles aufrichtig erzählen sollen.«

»Das wollte ich auch.«

»Haben es aber nicht gethan!«

»Weil Sie nicht daheim waren und ich doch handeln mußte. Hätte ich auf Ihre Rückkehr gewartet, so wäre inzwischen der Anschlag Wing-kans gelungen.«

»Ich hätte dennoch Mittel gefunden, ihn zu überführen und Hu- tsin zu retten. Doch, Geschehenes kann man nicht ändern. Ich hoffe, daß die drei Verbrecher bei ihrer Aussage bleiben. In diesem Falle kann Ihnen und mir nichts geschehen. Fällt es ihnen aber ein, die Wahrheit zu erzählen, so werden Sie mit in diese Angelegenheit verwickelt, und auch mir droht große Gefahr, da Sie mein Gast sind und ich für Sie verantwortlich bin, sogar mit meinem Leben. Sollte das letztere geschehen, so ist Ihre schleunige Flucht notwendig, und für diesen Fall will ich Ihnen einen Kuan geben, welcher von der höchsten Behörde unterzeichnet ist, nach dem Gesetze nur hohen Mandarinen und sehr vornehmen Fremden ausgestellt wird und hoffentlich die Wirkung besitzt, Sie aus jeder Gefahr zu retten, so wie Sie mich gerettet haben. Ich verdanke Ihnen nicht nur mein Leben, sondern weit mehr. Erführe man, daß ich in einer Piratendschunke gefangen gewesen bin, so wäre es um mich geschehen. Darum will ich auch für Sie etwas thun, was ich an keinem Zweiten jemals wieder thun werde.«

»Darf ich mich bei dieser Gelegenheit erkundigen, was mit den Piraten geschehen wird?«

»Sie werden an uns ausgeliefert und dann hingerichtet.«

»Und glauben Sie, daß Wing-kan und seine Mitschuldigen mit dem Leben davonkommen?«

»Ja. Mein Einfluß reicht so weit, daß sie nur in die Verbannung geschickt werden. Doch jetzt zu Ihrem Paß, den Sie stets bei sich tragen müssen und nie von sich legen dürfen.«

Er öffnete einen mit mehreren Schlössern verwahrten Kasten und nahm ein großes, mit Charakteren bedrucktes Papier hervor, welches mit mehreren Siegeln versehen war. Auf die unbeschriebenen Zellen trug er die Namen des Methusalem und dessen Gefährten ein, die dieser ihm nennen mußte. Dann las er ihm das Dokument vor. Der Inhalt war in deutscher Uebersetzung folgender:

»Im Namen und AuftrageK u a n g – s u, des allmächtigen Herrschers im Reiche der Mitte, des Lichtes der Weisheit, des Brunnens der Gerechtigkeit, des Quells der Gnade und Barmherzigkeit wird hiermit allen Unsern Ländern, Völkern und Beamten zu wissen gethan, daß

Me-thu-sa-le-me De-ge-ne-fe-le-de der große, berühmte und machtvolle Abgesandte aus dem Reiche der Tao-tse-kue die Erlaubnis besitzt, in allen Unseren Provinzen zu reisen, wie und so lange es ihm beliebt. Seine erlauchten Begleiter sind Tu-lu-ne-re-si-ti-ki,Go-do-fo-ri-di,A-ra-da-pe-le-ne-bo-scho,Sei-dei-nei undLiang-ssi, lauter Herren und Männer, welche die höchsten litterarischen Grade besitzen und alle Prüfungen mit Ehren bestanden haben.

Es ist Unser Wille, daß sie in ihrer Heimat mit Stolz und Genugthuung von der Bildung und den Vorzügen Unserer Nationen berichten können, und darum ergeht an alle Behörden und Beamten der strenge Befehl, sie Unseren außerordentlichen Gesandten gleich zu achten, ihren Befehlen ohne Widerrede zu gehorchen und ihnen in allen ihren Angelegenheiten förderlich zu sein.

Besonders wird denjenigen, die dem Me-thu-sa-le-me die schuldige Achtung verweigern, die schnellste Strafe angedroht, und er wird, um sofortige Anzeige erstatten zu können, hiermit mit dem Range eines Schun-tschi-schu-tse bekleidet, ohne indessen gezwungen zu sein, die Kleidung seines Landes abzulegen und die Abzeichen dieses Ranges zu tragen.«

Unterzeichnet war der Paß von dem Nei-ko, dem großen Sekretariat in Peking. Unter einem Schun-tschi-schu-tse versteht man einen allerhöchsten Beamten, welcher als Vertrauensmann des Kaisers die Erlasse und Entscheidungen des Monarchen zu redigieren hat.

Eine bessere Legitimation konnte der Methusalem sich gar nicht wünschen. Nur zweifelte er, ob man derselben auch Folge leisten werden. Darum fragte er:

»Wird man diesen Kuan auch wirklich so achten, als ob er von einem hohen Mandarin vorgezeigt wird?«

»Ganz gewiß. Ein Schun-tschi-schu-tse steht über dem höchsten Mandarin. Daß Sie ein Fremder sind, ändert nichts an der Achtung, welche diesem Kuan entgegengebracht werden muß. Man wird alle Ihre Befehle sofort ausführen.«

»Und wenn ich aber etwas verlange, was gegen die Gesetze dieses Landes ist?«

»Selbst dann wird man Ihnen gehorchen. Wenn Sie einmal in Gefahr sind, können Sie nicht durch, sondern gegen das Gesetz gerettet werden. Darum muß ich Sie mit einer Macht ausrüsten, welche über den Regeln unseres Landes steht. «

»Aber die Verantwortung wird und muß dann später Sie treffen, der Sie mich mit diesem Kuan ausgerüstet haben!«

Der Chinese zog ein unbeschreiblich verschmitztes Gesicht. Er blickte eine Weile still vor sich nieder und antwortete dann:

»Kommt es in Ihrem Lande nicht auch vor, daß ein Beamter in die Gefahr gerät, alles, sein ganzes Eigentum und auch das Leben zu verlieren?«

»Sein Eigentum, wenn er es unrechter Weise erworben hat, sein Leben, wenn er eines Mordes überführt wurde und infolgedessen zum Tode verurteilt wird.«

»Nur dann? Glückliches Land und glückliche Mandarinen, die in demselben wohnen! Hier trachtet jeder nach Reichtum und nimmt denselben von seinem Untergebenen. Habe ich mir ein Vermögen erworben, so bin ich keinen Tag sicher, daß mein nächster Vorgesetzter mich eines schweren Verbrechens, mag ich dasselbe nun begangen haben oder nicht, überführt, mich enthaupten läßt und mein Vermögen konfisziert. Für diesen Fall ist es gut, einen solchen Kuan zu besitzen. Nur mit seiner Hilfe kann man Rettung durch die schleunigste Flucht finden.«

»Und solche Kuans bekommen Sie vom Nei-ko in Peking?«

»Ja, aber nicht offiziell. Sie sind klug genug, mich zu verstehen!«

Der Methusalem verstand ihn wohl. Das Blankett war entwendet, war gestohlen. Jedenfalls befand der Mandarin sich im Besitze noch mehrerer solcher Pässe. Hätte er nur diesen einen besessen, so wäre es ihm gar nicht eingefallen, einen Fremden mit demselben zu unterstützen.

 

»Sie sehen also,« fuhr der Chinese fort, »daß mich keine Verantwortung treffen kann. Sie werden nicht verraten, daß ich Ihnen diesen Kuan ausgestellt habe. Nur das Nei-ko hat das Recht, eine solche Legitimation zu verfassen. Man hat derselben auf alle Fälle zu gehorchen. Zweifelt eine Behörde an der Echtheit derselben oder daran, daß Sie sie rechtmäßiger Weise besitzen, so fragt sie in Peking an, und ehe von dort die Antwort kommt, sind Sie längst von dannen.«

»Aber in meinem Vaterlande ist es nicht erlaubt, sich falscher Pässe zu bedienen!«

»Hier auch nicht. Aber dieser Paß ist nicht falsch. Es stehen Ihre Namen darin. Sie haben ihn von mir erhalten. Ob Sie sich seiner bedienen wollen oder nicht, das ist nun Ihre Sache. Ich wiederhole, daß er Ihnen alle möglichen Vorteile bringen wird. Er öffnet Ihnen selbst des Nachts alle Thüren und Straßenpforten, nur nicht diejenigen eines Gefängnisses.«

»Dazu bedarf es anderer Legitimationen?«

»Ja, dieser hier.«

Er deutete nach der Wand, an welcher mehrere große, gelbe Münzen hingen, auf denen der Methusalem die erhabene Figur eines Drachen und darunter einige kleine Schriftzeichen bemerkte.

»Wer das vorzeigt,« fuhr er fort, »hat zu jeder Tageszeit und beim schlimmsten Verbrecher Zutritt. Mit Hilfe einer solchen Münze werde ich unseren heutigen drei Gefangenen zur Verbannung verhelfen.«

Auch jetzt verstand der Student ihn ganz genau. Er wollte des Nachts in das Gefängnis gehen und die drei Personen entfliehen lassen. In diesen Münzen also bestand der »Einfluß«, von welchem er vorher gesprochen hatte.

Jetzt erhob der Mandarin sich von seinem Stuhle und verabschiedete seinen Gast:

»Sie haben nun den Paß. Mag kommen, was da will, so kann ich wegen Ihnen unbesorgt sein. Jetzt gehen Sie! Man wird mit dem Essen auf Sie warten. Ich selbst kann Sie nicht begleiten, da ich noch zu arbeiten habe.«

Als Methusalem sein Zimmer erreichte, stand dort ein Diener seiner wartend, um ihn in das Speisezimmer zu führen. Dort waren seine Gefährten außer Liang-ssi, welcher fehlte, versammelt.

Das Essen bestand in Gerichten, welche den europäischen ähnelten. Auch Messer und Gabeln waren vorhanden. Es schien, daß der Mandarin doch zuweilen einen Europäer bei sich zum Essen sah.

Nach beendigter Tafel erhielten die Gäste Tabakspfeifen. Sie blieben noch ein Stündchen beisammen, und da fand sich endlich auch Liang-ssi wieder ein. Befragt, wo er gewesen sei, antwortete er:

»Im Garten. Es gab da Interessantes zu beobachten.«

»Was?« erkundigte sich Methusalem.

»Man konnte da sehen, auf welche Art und Weise die Mandarinen reich werden. Sie wissen vielleicht, daß das Vermögen jedes Verurteilten dem Staate verfällt?«

»Ja.«

»Nun, der Tong-tschi scheint den Juwelier Wing-kan bereits als verurteilt zu betrachten. Er hat auch dessen Gehülfen und Diener arretieren lassen. Nun befindet sich kein Mensch mehr im Nachbarhause, und er räumt den Laden aus.«

»Selbst?«

»Nein. Das würde sich nicht mit seiner hohen Stellung vertragen. Seine Diener steigen draußen im Garten herüber und hinüber und schleppen alles Wertvolle herbei. Wenn dann morgen früh der Kriminal-Kuan kommt, um die Konfiskation vorzunehmen, ist nur noch das Minderwertige vorhanden.«

»Aber Wing-kan muß doch wissen, was er besessen hat!«

»O, Herr, den wird niemand fragen. Und was er sagt, das gilt als Lüge. Vielleicht lebt er morgen gar nicht mehr, damit durch seine Aussage nicht verraten werden kann, daß unser Mandarin schon heute zugegriffen hat.«

»Hm! Der will ihn entfliehen lassen!«

»Sagte er das? Ich glaube es. Der Gefangene kann nur entfliehen, indem er alle seine Habe im Stiche läßt. Und wenn er fort ist, so ist es unmöglich, dem Tong-tschi zu beweisen, daß er heut abend den Laden des Gefangenen halb ausgeräumt hat. O, diese Mandarinen stehlen alle!«

»Schöne Jeschichte!« lachte Gottfried von Bouillon. »Dat könnte in Deutschland nicht die Möglichkeit sind. Wie ist es denn in Holland, Mijnheer?«

»Daar muisen de Mandarins ook niet – da mausen die Mandarinen auch nicht,« antwortete. der Dicke.

»Und jedenfalls werden dort auch keine Jötter jestohlen. Solche Tollheiten können doch nur hier vorkommen. Uebrigens möchte ich mir doch jern mal in so einen Jötzentempel umsehen. Ist dat möglich oder nicht?«

»Warum nicht?« antwortete der Blaurote. »Die Chinesen sind nicht wie die Muhammedaner, welche ihre Moscheen von keinem Andersgläubigen betreten lassen. Es kommt sogar sehr häufig vor, daß hier die Tempel als Herbergen benutzt werden. Vielleicht haben auch wir noch das Vergnügen, einmal in einem solchen zu übernachten.«

»Und jrad den möchte ich mich betrachten, aus welchem die Jötzen jestohlen worden sind. Welchen Namen hatte er?«

»Pek-thian-tschu-fan, das heißt Haus der hundert Himmelsherren.«

»So sind wohl hundert Jötter drin?«

»Mit solchen Zahlen darf man es hier nicht genau nehmen. Doch gibt es Tempel, in denen sich mehrere hundert Bilder oder Figuren befinden.«

»Pek – pek – pek – — wie war der Name?« fragte Turnerstick.

»Pek-thian-tschu-fan.«

»Armseliges Chinesisch! Es ist da nicht eine einzige Endung dabei. Habe mich vorhin schrecklich geärgert. Stand mit im Garten und habe das ganze Verhör mit angehört, aber kein einziges Wort verstehen können. Finde überhaupt, daß man hier in der Stadt ungeheuer undeutlich spricht. Die Leute machen es sich viel zu schwer. Sollten von mir Unterricht nehmen. Wollte ihnen schon die richtigen Endungen beibringen!«

»Ich möchte Sie als Lehrer sehen,« lachte der Student.

»Meinen Sie etwa, daß ich nichts fertig brächte?«

»O doch! In Beziehung auf die Endungen würden Sie sogar Großartiges leisten.«

»Das wollte ich meinen!«

»Aber die Stammworte, die Stammworte! So ein Wort hat oft eine gar vielfältige Bedeutung. So heißt zum Beispiel das Wort Tschu soviel wie Herr, Pfeiler, Stock, Küche, Stütze, Schwein, alte Frau, zubereiten, verrichten, brechen, spalten, reparieren, freigebig, wenig, geneigt, naß machen, Gefangener, Sklave etc., je nachdem es weicher oder härter, gedehnter oder rascher, leiser oder schärfer ausgesprochen wird. Und jede dieser verschiedenen Bedeutungen hat dann wieder ihre figürliche Anwendung, so daß es die allerfeinste Modulation erfordert, um wissen zu können, was gemeint ist. So hat das Grußwort sching noch weit über fünfzig andere Bedeutungen, unter denen Dinge, Eigenschaften und Thätigkeiten vorkommen, welche einander ganz und gar entgegengesetzt sind.«

»Und das soll man an der Aussprache hören?«

»Eigentlich sollte man es. Da aber selbst die Sprechwerkzeuge eines Chinesen oft nicht dazu ausreichen, so fügt man im Falle des Zweifels ein erklärendes Wort dazu. Fu heißt Vater, hat aber noch mehrere andere Bedeutungen. Soll es nun als Vater gebraucht werden, so fügt man das Wort Tschin, Verwandtschaft, hinzu; dann heißt es Fu-tschin, Fu, der Verwandte, der Vater.«

»Bleiben Sie mir mit allen Ihren Fu-tschins vom Leibe! Ich lobe mir meine Endungen. Wenn ich sage, ‚meining geliebtang Freundeng‘, so weiß jedes Kind, was ich meine, ohne daß ich meine Zunge übermäßig anzugreifen brauche. Hoffentlich finde ich bald einen wirklich gut sprechenden Chinesen, mit dem ich mich gut unterhalten und Ihnen beweisen kann, daß meine Grammatik die richtige ist. Für heut aber stimme ich unserm Gottfried bei, daß wir morgen den Tempel besuchen wollen. Auch ich bin begierig, ein solches Haus zu sehen.«

»Wir werden uns überhaupt die Stadt besehen und da an manchem Tempel vorüberkommen. Es wird wohl ein bewegter Tag werden, und so schlage ich vor, uns jetzt zur Ruhe zu begeben.«

Dieser Vorschlag fand allgemeinen Beifall und wurde sofort befolgt.

Das Bett, welches für den Methusalem bereitstand, war niedrig, fein lackiert und mit Blumen sehr kunstvoll bemalt. Die Matratze war mit einem seidenen Tuche überdeckt; als Kopfkissen diente eine gestickte, mit wohlriechenden Kräutern gefüllte Rolle, und die Decke bestand aus gesteppter Seide mit weicher Ziegenhaareinlage. Von Seide waren auch die Vorhänge, welche das Bett von drei Seiten außer der Wand einfaßten, und in einem kostbaren Bronzeleuchter brannte eine Nachtkerze, vor welcher ein durchscheinender Schirm stand, dessen Malerei eine Landschaft vorstellte, über welche der Mond sein magisches Licht ergoß. Der Mond aber bestand in der Kerzenflamme hinter dem Gemälde.