Za darmo

Der blaurote Methusalem

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»Ist er nicht Ihr Diener?«

»Diener und Freund.«

»Er hat doch alles mitangehört. Warum spricht er nicht?«

»Er versteht die Sprache dieses Landes nicht vollständig. Er ist ein kluger Kopf, ein Pfiffikus. Rechtlichkeit und Gesetz können hier nicht helfen. Nur allein der Pfiffigkeit könnte es vielleicht gelingen, Rettung zu bringen.«

»So fragen Sie ihn, schnell, schnell!«

Der Methusalem erklärte seinem Gottfried, wie die Sache stand. Dieser hörte aufmerksam zu und sagte dann:

»Ja, wenn die sojenannten Klugen nichts mehr wissen, so wenden sie sich an die anjeblich Dummen. Die Karre steckt drinnen, tief jenug im Schmutze. Kein Mensch und kein Methusalem kann ihr herausbekommen. Und da soll sich nun der olle Jottfried ins Jeschirr lejen, um sie aufs Trottoir zu bringen!«

»Beleidigt dieses Vertrauen etwa?«

»Fällt mich nicht ein! Denke jar nicht daran! Aber eine fatale Sache ist es und bleibt es. Man kann da sehr leicht mit in dat Käsefaß stecken bleiben. Bitte, jeben Sie mich mal dat Mundstück her!«

Er langte nach der Pfeifenspitze.

»Wozu?«

»Um meine Jeistlichkeit anzurejen und aufzufrischen. Ein juter Zug aus die Pfeife stärkt den Verstand und den Mutterwitz. Es ist dat zwar jejen die Subordination, aberst in diesem Falle werden Sie mich schon mal erlauben.«

»Da, rauche!«

Er gab ihm die Spitze hin, obwohl er wußte, daß es von Gottfried nur ein nichtiger Vorwand war. Er wollte ihn aber bei guter Laune erhalten, weil er von dem schlauen Wichsier wirklich einen guten, vielleicht rettenden Gedanken erwartete.

Gottfried that einige derbe Züge, brummte nachdenklich vor sich hin, zog die Stirn in tiefe Falten, that wieder einige Züge, räusperte sich, hustete, that abermals einen Zug, aber einen außerordentlich kräftigen, blies den Rauch in derbem Stoße von sich, reichte dann dem Methusalem das Mundstück zurück und sagte:

»Jeschmeckt hat‘s jut!«

»Nun, weiter!«

»Und jeholfen hat‘s auch!«

»Dir ist also ein Gedanke gekommen?«

»Ein Jedanke wie ein Licht!«

»Welcher?«

»Der allereinfachste von die janze Welt.«

»Heraus damit!«

»Na, nur Jeduld! Ich stelle mich die Sache nämlich folgendermaßen vor: Wie du mich, so ich dich!«

» Wieso?«

»Er will ihm uns verjraben, nun verjraben wir ihm ihn.«

»Dummes Zeug! Wer soll das verstehen! Rede doch nur deutsch, ordentlich nach der Grammatik!«

»Wenn ich derjenige bin, welcher die Kastanien aus dem Feuer holen soll, so hat die Jrammatik sich nach mich zu richten und nicht ich mir nach sie. Verstanden! Mein Mittel ist ein jutes deutsches. Es jründet sich auf ein altes, deutsches, echt jermanisches Sprichwort, welches in andrer Weise lauten würde: ‚Wie es aus dem Walde schallt, so schallt es wieder hinein‘.»

»Umgedreht ist es richtig!«

»Nein. Dat muß ich verstehen. Ich meine nämlich: Er will ihm in unserm Walde verjraben, jut, so verjraben wir ihm in den seinigen, nämlich den Jötzenonkel.«

Methusalem machte ein froh erstauntes Gesicht und rief:

»Alle Wetter! Gottfried, du hast‘s, du hast‘s wirklich!«

»Nicht wahr! Jottfried hat ihm allemal! Auf diese Weise kommt unser Freund hier in keine Jefahr. Der jetreue Nachbar und desgleichen macht Anzeije, die Polizei kommt und jräbt hier nach, findet aber nichts. Während sie mit die lange Nase da steht, machen nun wir Anzeije. Man jräbt beim juten Heinrich drüben und findet nun die Jöttlichkeit in seinem eijenen Jarten. Was weiter?«

»Weiter nichts, weiter gar nichts! Das ist genug. Das bringt erstens Rettung und ist zweitens ein Streich, so recht nach meinem Herzen.«

»Nach dat meinige auch. Und dat beste dabei ist, daß wir keinen Menschen und auch keinen Mandarin brauchen. Auch kommen wir selbst gar nicht in Betracht, weder als Zeujen noch als Gejenzeujen mit Pflichteid und jutes Jewissen. Wir handeln hinter die Kulissen und sehen von unserm Olymp herab jemütlich zu, wat die Menschen für riesije Dummheiten machen. Teilen Sie dem Manne diese meine Ansicht mit. Ich bin der Mann, der ihm jeholfen hat.«

»Ja, der bist du, denn ich glaube nicht, daß ich auf diesen prächtigen Gedanken, welcher wohl nicht allzuschwer auszuführen sein wird, gekommen wäre!«

»Ist auch kein Wunder, wenn der Methusalem nun mal altersschwach wird und wackelig auf seine Jeisteskraft. Fragen Sie nur immer mir, wenn Sie mal nicht vorwärts kommen können! Ich habe immer denjenigen Rat, welcher jut ist, leider aber es doch nicht zum Jeheimerat bringen wird.«

Methusalem teilte dem Chinesen mit, welchen Vorschlag Gottfried ihm gemacht hatte. Der Juwelier faßte sich wieder bedenklich am Zopfe.

»Das ist auch sehr gefährlich!« sagte er.

»Aber das einzige, was Sie thun können.«

»Meinen Sie, daß es gelingen werde?«

»Das kommt auf die Lage der Gärten an. Wing-kan hat doch wohl auch einen?«

»Ja. Er ist genau so groß wie der meinige.«

»Sie stoßen aneinander?«

»Ja.«

»Wodurch werden sie getrennt?«

»Durch eine Mauer.«

»Ist diese zu übersteigen?«

»Ja.«

»So ist Ihnen geholfen. Sie warten, bis die Figur bei Ihnen eingegraben worden ist und nehmen sie dann schnell wieder heraus, um sie beim Nachbar zu vergraben.«

»Aber wenn man mich dabei erwischt!«

»Das dürfen Sie eben nicht geschehen lassen. Sie müssen vorsichtig verfahren. Wing-kan hat keine Ahnung davon, daß Sie von der Sache wissen. Er wird also noch viel weniger ahnen, daß Sie ihm den Gott hinüberschaffen.«

»Aber dazu bin ich allein zu schwach.«

»Sie haben ja Hände, welche Ihnen helfen werden.«

»Wessen Hände sollen das sein? In ein solches Geheimnis darf ich keinen meiner Leute ziehen.«

»Das ist auch gar nicht nötig. Sie haben doch uns.«

»Sie? Wollten Sie mir helfen? Ja das wäre gut! Dann wollte ich es wagen!«

»Natürlich helfen wir Ihnen, und zwar sehr gern.«

»Wie dankbar werde ich Ihnen dafür sein! Aber da müssen Sie gleich bei mir bleiben.«

»Warum das?«

»Später können Sie nicht zu mir.«

»O doch. Man mag immerhin die Gasse verschließen. Wir wohnen ja in derselben.«

»In dieser Gasse? Wo da? Bei wem?«

»Nebenan beim Tong-tschi.«

Jetzt machte der Juwelier ein ganz neues Gesicht. Aus lauter Ueberraschung hatte er sie gar nicht mit der vorgeschriebenen Höflichkeit empfangen. Und dann war er allzusehr mit seiner Angst beschäftigt gewesen, als daß er hätte darüber nachdenken können, ob er vornehme oder gewöhnliche Leute vor sich habe.

»Beim Tong-tschi?« fragte er. »Sind Sie etwa die Fremden, welche ihn errettet haben?«

»Hm! Was wissen Sie von dieser Angelegenheit?«

»Er ist ein sehr hoher und reicher Mandarin und ich bin nur ein Kaufmann. Mein Weib ist sogar die Tochter eines Bettlerkönigs. Dennoch steigt die Frau des Tong-tschi zuweilen drüben in ihrem Garten auf die Stufen, um sich mit der meinigen zu unterhalten. Da wissen wir, daß der Tong-tschi kürzlich viel länger fortgeblieben ist, als er gesagt hatte. Seine Frau war voller Sorge. Sie befürchtete, es sei ihm ein Unglück geschehen. In diesen Tagen nun hat sie meinem Weibe im Vertrauen erzählt, daß ihr Mann wieder zurück sei; er habe sich in einer entsetzlichen Gefahr befunden, sei aber von fünf oder sechs fremden Männern, welche nicht aus China sind, errettet worden. Sie hat dabei gesagt, daß diese Fremden eingeladen seien und als Gäste zum Tong-tschi kommen würden.«

»Weiter wissen Sie nichts?«

»Nein.«

»Auch nicht, welcher Art die Gefahr gewesen ist, in welcher der Mandarin sich befunden hat?«

»Nein.«

»So schweigen Sie darüber gegen jedermann, sonst könnten Sie den Tong-tschi sich leicht zum Feinde machen!«

»Ich werde schweigen. Aber darf ich wohl erfahren, ob Sie diese fremden Herren sind?«

»Ja, wir sind es.«

Da verneigte er sich bis zum Boden herab und sagte:

»Dann bin ich ganz unwürdig der hohen Ehre, welche Sie mir erweisen. Fremde Herren, welche dieser Mandarin zu sich ladet, müssen in ihrem Lande die höchsten Stellen begleiten. Ich bin viel zu gering, als daß ich Ihnen in das Angesicht blicken darf. Und nun sind Sie gekommen, mich über die mir drohende Gefahr zu benachrichtigen! Nehmen Sie mein Geld, mein Leben, alles, was mir gehört; es ist Ihr Eigentum!«

»Es freut mich, daß Sie ein dankbares Herz besitzen. Ich glaubte, daß Sie ein ehrlicher Mann seien, und darum bin ich gern gekommen, Sie zu retten. Und was ich einmal anfange, das pflege ich auch zu vollenden. Wir werden Ihnen helfen, den Gott in Wing-kans Garten zu vergraben. Haben Sie dazu die nötigen Werkzeuge?«

»Ja.«

»Sie sagen, daß die beiden Frauen zuweilen miteinander sprechen. Ich vermute also, daß Ihr Garten auch an denjenigen des Mandarins stößt?«

»Ja, nur ist der letztere viel, viel größer und prächtiger als der meinige.«

»So ist uns die Sache ja möglichst leicht gemacht. Wollen Sie uns einmal Ihren Garten zeigen, aber so, daß niemand uns bemerkt!«

»Da brauchen wir nur nebenan zu gehen. Wir können durch das Fenster hinausblicken.«

Er führte sie in eine Nebenstube, welche zwei Fenster hatte. Anstatt der Glastafeln war eine sehr feine Gaze eingezogen. Er öffnete eins derselben. Man hatte gleich den Garten vor sich.

Er war klein, auf chinesische Weise angelegt. Zwergbäume, blühende Sträucher, Taxus- und Buchsbaumwände, über welche Kronen emporragten, welche in Tierformen gezogen waren. Rechter Hand lag der Garten seines Feindes, ganz in derselben Weise angelegt und gepflegt. Die Trennungsmauer war nicht ganz mannshoch.

Zur linken Hand lag der Garten des Mandarinen, welcher allerdings auch nur so tief wie die beiden anderen war, aber desto breiter sein mußte. Hinter diesen Gärten schien ein Pfad vorüber zu führen. Das war jedenfalls der Weg, auf welchem der Dieb die Figur bringen wollte.

 

»Prächtig!« sagte der Methusalem. »Die Gärten liegen für unsere Absicht außerordentlich bequem. Wir steigen über die Mauer des Mandarinen und befinden uns dann in Ihrem Garten. Das übrige wird sich dann finden.«

»Das wollen Sie wirklich thun?« fragte Hu-tsin.

»Sogar sehr gern.«

»So weiß ich nicht, wie ich Ihnen dankbar sein soll! Ich bin viel zu gering nur der Ehre, daß Sie mein niedriges Haus betreten haben, und nun wollen Sie gar – — – «

»Still!« unterbrach ihn der Blaurote. »Sie sind ein braver Mann, welchem wir gerne helfen. Auch halten wir es für unsere Pflicht, ein Verbrechen zu verhüten, welches wir verhüten können.«

»So darf ich also wirklich auf Ihre Mithilfe rechnen?«

»Ganz bestimmt.«

»Wann werden Sie kommen?«

»Mit Beginn des Siüt, wenn es so dunkel geworden ist, daß man es nicht sehen kann, wenn wir über die Mauer steigen.«

»Bringen Sie auch die anderen hohen Herren mit?«

»Nein, je weniger Personen eingeweiht sind, desto besser ist es.«

»Aber wenn wir ihrer bedürfen? Wenn wir drei nicht allein fertig werden können? Ich darf von meinen Leuten keinen ins Vertrauen ziehen.«

»In diesem Falle ist es mir nicht schwer, noch einen meiner Gefährten zu holen. Diese werden mich jetzt vermissen. Wir wollen gehen.«

»Ist der Tong-tschi daheim?«

»Nein, er ist ausgegangen, wird aber noch vor Abend wiederkommen, da dann die Thore der Straßen geschlossen werden.«

»Danach braucht er sich nicht zu richten. Er kann auch des Nachts gehen und kommen, wie und wenn es beliebt. Ihm werden alle Pei-lu geöffnet.«

Pei-lu heißen die triumphbogenartigen Bauwerke, welche die Straßen abschließen und zu diesem Zwecke mit Pforten versehen sind. Außer diesem Zwecke haben sie noch einen andern. Sie dienen nämlich als Denkmale der Verdienste derjenigen Personen, zu deren Andenken sie errichtet worden sind.

Wenn ein Beamter oder ein Bürger viel für das Land, die Provinz oder die Stadt gethan hat, so wird ihm ein solcher Pei- lu errichtet, welcher seinen Namen trägt und in weithin sichtbaren Zeichen eine Aufzählung der Tugenden des Betreffenden enthält.

Nicht nur Verstorbene erhalten solche Denkmäler, sondern es kommt auch vor, daß Lebenden welche gesetzt werden. Diese müssen dann die Kosten bezahlen, wodurch aber die Ehre, welche ihnen erwiesen wird, keinerlei Schmälerung erleidet.

Die beiden Deutschen verabschiedeten sich von dem Chinesen. Er begleitete sie unter unaufhörlichen Bücklingen bis vor seine Ladenthür und machte es ihnen da nochmals bemerklich, daß er ganz sicher auf ihre Hilfe rechne, ohne welche er auf keine Rettung rechnen könne.

Zu Hause angekommen, begaben sie sich nach Methusalems Zimmer.

»Sollen die anderen wirklich nichts davon erfahren?« fragte Gottfried.

»Nein, jetzt noch nicht.«

»Aber ihre Hilfe würde uns unter Umständen dienlich sein.«

»Unter Umständen, ja. Aber wir wollen Iieber warten, bis diese Umstände eintreten.«

»Wollen wir nicht wenigstens unsern Richard mitnehmen?«

»Auch ihn nicht. Zu ihm habe ich noch eher Vertrauen als zu den andern. Er ist über seine Jahre hinaus vorsichtig und bedächtig. Das haben wir auf der Dschunke erfahren, wo wir ohne sein schnelles, besonnenes und tapferes Handeln ermordet worden wären. Aber er ist mir von seiner Mutter anvertraut worden; er ist halb noch Knabe, und ich bin verantwortlich für alles, was mit ihm geschieht. Ich mag ihn nicht unnötigerweise an einer Gefahr teilnehmen lassen.«

»Halten Sie die Sache für gefährlich?«

»Nein, aber unter Umständen kann sie es doch werden. Gehe jetzt und suche die anderen auf. Sie werden nach mir fragen. Dann sage ihnen, daß ich ungestört sein wolle, weil ich die Absicht habe, meine Notizen einzuschreiben. Später kommst du zurück. In einer Viertelstunde wird es dunkel.«

Der Gottfried ging. Bald nachher kam ein Diener, um die von der Decke herabhängende Laterne anzuzünden und sich zu erkundigen, ob der »ganz Vornehme und sehr Alte« irgend einen Befehl auszusprechen habe.

»Nein, ich danke!« antwortete der Student. »Aber sage mir, ob es erlaubt ist, in den Garten zu gehen?«

»Des Morgens nicht, weil zu dieser Zeit die ‚Blume des Hauses‘ draußen lustwandelt.«

»Aber jetzt?«

»Ja. Wünscht mein Gebieter hinauszugehen?«

»In kurzer Zeit. Ich bin ein Yuet-tse und wünsche, ungestört nachdenken zu können.«

»Ich werde den Schöpfer des Gedichtes bis an die Pforte führen und dort auf seine Rückkehr warten. Vielleicht hat er mir während seines Spazierganges einen Befehl zu erteilen.«

»Nein, denn mein eigener Diener wird mich begleiten und dir meinen Wunsch mitteilen, wenn ich einen solchen haben sollte. Ich wünsche, ganz ungestört zu sein.«

Der Mann verbeugte sich und ging. Kurze Zeit später kam Gottfried zurück.

»Wo befinden sich die anderen?« fragte Methusalem.

»In Turnersticks Zimmer, wo sie Thee trinken, Pfeife rauchen und Domino spielen. Habe nicht jewußt, daß diese Chinesigen auch dat Domino kennen.«

»Sie spielen es sogar sehr gern, doch sind die Steine und Ziffern anders arrangiert als bei uns. Horch!«

Von der Straße her ertönte der Schall der Gongs, welche von den Wächtern geschlagen wurden, und dazwischen hörte man den Ruf: »Siüt-schi, siüt-schi!« Es war nach abendländischer Rechnung abends sieben Uhr, nach chinesischer aber begann die elfte Stunde.

»Jetzt wird es Zeit,« sagte Degenfeld. »Hast du dein Messer?«

»Ja. Wer soll meuchlings erstochen werden?«

»Niemand, doch ist es möglich, daß wir es brauchen. Auch die Revolver habe ich bei mir.«

»Bin ebenso damit versehen. Fühle mir überhaupt als Raubritter, der im Begriffe steht, mit verhängten Zügeln zum Burgthore hinauszusprengen. Bin wirklich neubegierig, wie dat Abenteuer enden wird.«

»Hoffentlich gut. Komm!«

Draußen stand ihrer wartend der Diener. Er führte sie bis an die Gartenpforte und zog sich dann zurück. Es war schnell dunkel geworden. Man hätte einen Menschen auf acht Schritte nicht zu sehen vermocht, und binnen zehn Minuten mußte es noch dunkler werden.

»Jetzt wird der Jott jestohlen,« flüsterte Gottfried.

»Ja, jetzt ist die Zeit. Hoffentlich gelingt der Diebstahl.«

»Schöner Wunsch!«

»Aber gerechtfertigt. Wenn der Raub nicht gelingt, sind wir morgen wieder gezwungen, herauszuschleichen, was aber schwieriger sein dürfte, da dann der Tong-tschi gewiß daheim sein wird. Komm zur Mauer!«

Sie huschten geräuschlos nach derselben hin und blieben zunächst lauschend stehen. Es war jenseits kein Geräusch zu hören.

»Jetzt hinüber, aber ja ganz leise!« raunte Degenfeld dem Wichsier zu.

Sie schwangen sich hinauf und ließen sich drüben langsam wieder hinab. Kaum hatten ihre Füße den Boden berührt, so tauchte eine dunkle Gestalt neben ihnen auf.

»Hu-tsin?« fragte der Student flüsternd.

»Ich bin der ganz Armselige!« antwortete der Gefragte ebenso leise.

»Wie lange sind Sie hier?«

»Seit kurzem erst.«

»Sind Sie einmal rundum gegangen?«

»Nein. Ich dachte, Wing-kan könne drüben hinter der Mauer stehen und lauschen. Er darf doch nicht wissen, daß ich da bin.«

»Recht so! Und die Werkzeuge?«

»Liegen hier neben mir. Was thun wir jetzt, hoher Gebieter?«

»Ihr beide steckt euch hinter diese Taxushecke. Es ist möglich, daß Wing-kan herüberkommt und sich überzeugt, daß niemand hier im Garten ist. Er wird das sogar sehr wahrscheinlich thun. Ich will einmal rekognoszieren und kehre bald zurück.«

Er zog seine Stiefel aus und schlich sich fort. Schritt für Schritt gehend, suchte er die Finsternis mit den Augen zu durchdringen. Zwei Seiten des Gartens schritt er ab, ohne etwas Auffälliges zu bemerken. Die dritte Seite bildete die Mauer, welche den Garten des einen Juweliers von demjenigen des andern trennte. Indem er da langsam vorwärts ging, stieß sein Fuß, glücklicherweise nur daran streichend, an etwas Hartes, was da am Boden lag. Er bückte sich nieder, um den Gegenstand zu befühlen. Es waren eine Hacke, ein Spaten und eine Schaufel, die da auf- und nebeneinander lagen.

Diese Werkzeuge waren jedenfalls von Wing-kan herübergeschafft worden; es war gar nicht anders möglich. Vielleicht war er noch in der Nähe.

Degenfeld duckte sich nieder und lauschte. Er strengte seine Augen möglichst an, konnte aber weder etwas hören noch etwas sehen.

Er bewegte sich, zur Erde niedergebückt, noch einige Schritte weiter, und da sah er eine Gestalt an einem Baume lehnen, kaum vier Schritte von sich entfernt. Hätte er nicht diese gebückte Haltung eingenommen gehabt, so wäre er von dem Manne unbedingt bemerkt worden.

Schnell bog er zur Seite und setzte sich da hinter einen Buchsbaumrand nieder, um zu erwarten, was da kommen werde. Die Hauptsache war jetzt, daß Gottfried und Hu-tsin an ihrem Platze blieben und ja nicht auf den Gedanken kamen, ihr Versteck zu verlassen.

Glücklicherweise dauerte es nicht lange, so hörte man von draußen Schritte. Es kamen mehrere Männer, schnell laufend. Sie hielten jenseits der Mauer an. Man hörte an ihrem lauten Atem, daß sie ihre Lungen sehr angestrengt hatten. Die dunkle Gestalt verließ den Baum und huschte nach der Außenmauer hin. Degenfeld folgte, aber selbstverständlich mit größter Vorsicht, um ja kein Geräusch zu verursachen.

»Scht!« ertönte es von draußen.

»Scht!« antwortete es von innen.

»Ist der hohe Herr da?«

»Ja. Hast du ihn?«

»Sogar zwei!«

»Zwei? Einer war genug.«

»Es ging so leicht; da nahmen wir gleich zwei.«

»Die beiden Götter waren nicht zu schwer?«

»Nein. Sie sind von Holz.«

»Aus welchem Tempel?«

»Aus dem Pek-thian-tschu-fan, welches nicht so entfernt ist und auch weniger gut bewacht wird.«

»So ist‘s gelungen, ohne bemerkt zu werden?«

»Ja, aber beim nächsten Umgang, wenn der Hai-schi geschlagen wird, muß man es unbedingt sehen. Bis dahin muß hier alles beendet sein.«

»Wie bringen wir die Götter herein?«

»Wir heben sie hinauf, und Sie nehmen sie drüben hinab. «

»Gut, dann schnell.«

Der Methusalem hörte die Fragen und Antworten genau. Zwei große Gegenstände wurden von draußen her über die Mauer gehoben. Der Juwelier hob sie, halb und halb ließ er sie herabfallen. Dann gebot er:

»Nun kommt selbst herein!«

»Noch nicht. Wir müssen vorher die Sänfte zur Seite tragen, daß sie nicht gesehen wird, falls jemand noch so spät vorüberkommen sollte.«

Man hörte ihre Schritte. Bald kehrten sie zurück und kamen über die Mauer gesprungen. Es waren zwei Personen.

»Ist hier alles in Ordnung?« fragte der eine.

»Ja.«

»Niemand im Garten?«

»Nein.«

»Wollen wir uns nicht vorher genau überzeugen?«

»Das habe ich bereits gethan. Ich bin zweimal um den ganzen Garten gegangen.«

»So können wir beginnen. Aber wo?«

»Nicht weit von hier. Die Werkzeuge liegen dort. Ich habe heut am Tage über die Mauer geschaut und mir die Stelle ausgewählt, wo die Erde am lockersten ist. Kommt, und bringt die Götter!«

Er ging voran, und die beiden Männer folgten ihm mit den Figuren, welche vielleicht zwei Ellen hoch und also doch ziemlich schwer waren. Dort, wo die Werkzeuge lagen, hielten sie an.

»Hier graben wir,« sagte der Juwelier. »Aber ja leise, damit man nichts hören kann. Eine Hacke ist da; aber der Spaten macht viel weniger Geräusch.«

Die drei Bösewichter begannen zu arbeiten, und zwar sehr hastig, was Wing-kan zu der Bemerkung veranlaßte:

»Ihr macht zu schnell. Das hört man ja dort im Hause!«

»Nein,« lautete die Antwort. »Wir müssen uns sehr beeilen, sonst werden die Thore verschlossen. Dann sind wir gefangen.«

Sie gaben sich alle Mühe, bald fertig zu werden. Es galt übrigens auch gar nicht, die Arbeit sehr sorgfältig zu verrichten. Sie wußten ja, daß die Figuren hier vergraben wurden, um bald gefunden zu werden.

Es war noch keine halbe Stunde vergangen, so hatten sie ihre Arbeit gethan.

»So!« sagte Wing-kan. »Das ist geschehen. Das war die Hauptsache. Das übrige kommt von selbst.«

»Wie will mein Gebieter es nun anfangen?« fragte der eine der Männer, jedenfalls derjenige, mit dem der Juwelier hinter der Gartenmauer des portugiesischen Gasthauses gesprochen hatte.

»Ich warte, bis der Raub ausgerufen wird.«

»Das wird sehr bald geschehen.«

»Dann laufe ich zum Mandarin.«

»Zu welchem?«

»Zu Tong-tschi hier nebenan.«

»Der ist aber doch nicht ein Mandarin des Gerichts!«

»Nein, aber doch ein Mandarin. Die Gasse ist verschlossen, und ein Sing-kuan wohnt nicht hier. Also muß ich zu ihm. Ich sage ihm, ich höre, daß zwei Götter gestohlen seien. Ich glaube, daß mein Nachbar Hu-tsin der Räuber ist.«

 

»Der Mandarin wird fragen, woher meinem vornehmen Alten dieser Verdacht komme.«

»Ich habe noch im Garten gelustwandelt und da gesehen, daß der Nachbar zwei Figuren vergraben hat.«

»So ist‘s recht! Das wird helfen! Nun sind wir fertig. Also unser Geld bekommen wir erst morgen?«

»Nein, schon jetzt. Es ist besser, ich zahle gleich. Dann brauche ich morgen nicht nach Scha-mien zu gehen. Ich habe euch die Beutel schon bereit gelegt, hier neben der Mauer. Da sind sie. In jedem tausend Li.«

»Ist‘s richtig gezählt?«

»Ganz richtig.«

»Ich hoffe es. Am letztenmal hatte mein Herr sich um volle fünfzig Li verzählt.«

»Ich verzähle mich nie. Du hast schlecht nachgezählt.«

»Will der sehr alte Beschützer nicht lieber warten, bis wir nachgezählt haben?«

»Wo wollt ihr denn zählen?«

»Hier.«

»Im Dunkeln?«

»Ja. Wir brauchen nichts zu sehen. Wir greifen das Geld.«

»So zählt, wenn ihr Lust habt. Ich aber kann unmöglich warten. Ich werde meinen andern Nachbar besuchen gehen, um einstweilen diesem zu erzählen, was ich hier gesehen habe. Wenn dann der Raub ausgerufen wird und wir hören, daß zwei Götter fehlen, so wird er mich auffordern, Anzeige zu machen. Er wird dann wie ein Zeuge für mich gelten. Die Werkzeuge hier werde ich sofort verschließen.«

Er warf Hacke, Schaufel und Spaten über die Mauer hinüber und stieg dann nach. Man hörte seine Schritte verklingen und dann einen Riegel knirschen.

Die beiden Spitzbuben standen still da und horchten, bis nichts mehr von ihm zu hören war. Dann sagte der eine:

»Er hat uns wieder betrogen!«

»Ja, ich glaube nicht, daß jeder Beutel tausend Li enthält. Aber es ist dennoch viel Geld. jetzt müssen wir uns beeilen. Komm!«

Sie wollten fort; sie mußten hart an Degenfeld vorüber. Diesem kam der Gedanke, sie festzuhalten. Ob ihm das gelingen werde? Pah! Er war ein starker Mann, und der Schreck that gewiß auch das seinige. Er ließ sie an sich vorbei, schnellte dann empor – ein schneller Schritt hinter ihnen her, ein Doppelgriff – er hatte sie beide bei den Hälsen und krallte seine Finger mit aller Gewalt um dieselben.

Ein unterdrückter Schrei, ein vergebliches Sträuben und Zappeln – sie brachen zusammen. Er hielt sie dennoch fest und preßte sie auf das kräftigste nieder. Keiner gab nun einen Laut von sich. Sie machten noch einige krampfhafte Bewegungen, dann lagen sie mit ausgestreckten Gliedern still unter seinen Fäusten.

Jetzt ließ er los, um zu sehen, ob sie aufspringen würden. Sie thaten es nicht, denn sie waren entweder bewußtlos oder stellten sich so. Er zog sein Messer und schnitt ihnen Streifen von den schon an und für sich nicht reichlichen Gewändern. Dann band er sie Rücken an Rücken aneinander, so daß sie sich nicht befreien konnten, und rollte sie eine Strecke weit zur Seite.

Nun kehrte er zu den beiden, welche auf ihn warteten, zurück. Sie hatten das Uebersteigen und auch das Hacken und Schaufeln gehört und waren um ihn besorgt gewesen. Er erzählte ihnen, was er ganz allein fertig gebracht hatte. Hu-tsin eilte sogleich ins Haus, um feste Stricke zu holen, mit denen die Kerls fester und sicherer gebunden werden sollten. Dann suchten sie den Ort auf, an welchem die Figuren vergraben lagen.

Degenfeld ging mit den Stricken allein zu den Gefangenen. Sie durften gar nicht wissen, was mit ihnen vorging und wie viele Personen sie gegen sich hatten. Er verband ihnen nun auch die Augen. Dann wurden sie emporgehoben und über die Mauer in Wing-kans Garten geworfen.

Diesseits dieser Mauer begann nun das Ausgraben. Als man damit fertig war, wurde das Loch wieder zugemacht. Dann stieg Degenfeld hinüber und erhielt das Handwerkszeug und die Götter zugelangt; nachher folgten die beiden anderen ihm nach.

Nun war da drüben eine Viertelstunde lang ein leises, kaum vernehmbares Geräusch zu hören, dann ein mehrmaliges kräftiges Klopfen, wie wenn Pfähle in die Erde geschlagen würden. Hierauf kamen die drei wieder über die Mauer zurück.

»So, das ist herrlich gelungen,« sagte der Methusalem. »Nun mag dieser Wing-kan Anzeige machen. Er fällt in seine eigene Grube.«

»In welcher ich umkommen sollte,« ergänzte der Chinese. »Herr, Sie sind mein Retter. Wie soll ich Ihnen danken!«

»Dadurch, daß Sie sich ganz genau so benehmen, wie ich es Ihnen jetzt da drüben gesagt habe.«

»Wollen Sie nicht mit mir hereinkommen in das Haus? Nun die Gefahr vorüber und mir das Herz wieder leicht ist, möchte ich Sie bewirten.«

»Dazu haben wir keine Zeit. Wir müssen zurück. Der Mandarin darf ja nicht erfahren, daß wir hier gewesen sind.«

»So erweisen Sie Ihrem armseligsten Diener wenigstens die Gnade, daß er morgen Ihr Angesicht schauen kann!«

»Das können wir thun. Morgen werden wir kommen, um uns alles erzählen zu lassen. Jetzt aber möchten wir uns reinigen. Gibt es bei Ihnen einen Ort, wo das geschehen kann, ohne daß man uns sieht?«

»Ja, kommen Sie, kommen Sie!«

»Nehmen Sie die Werkzeuge mit; sie dürfen nicht im Garten bleiben.«

Er führte sie in einen Verschlag und holte Laterne und Bürste, wo sie den Schmutz entfernten, welcher leicht zum Verräter werden konnte. Dann verabschiedeten sie sich von ihm und stiegen in den Garten des Mandarinen zurück.

Dort stellte sich Gottfried wie ein Diener an die Pforte, und Degenfeld spazierte auf und ab. Aber das brauchte er nicht allzulange zu thun, denn er wurde bald geholt und zwar von dem Tong-tschi selbst, welcher nach Hause gekommen war und, als er erfahren hatte, daß die erwarteten Gäste angekommen seien, nun in den Garten geeilt kam, um Degenfeld zu begrüßen.

»Und nun,« sagte er, als die ersten Komplimente gewechselt waren, »muß ich Sie bitten, mir einen Wunsch zu erfüllen.«

»Welchen?«

»Niemand darf wissen, in welcher Lage ich mich befunden habe, und daß Sie meine Retter gewesen sind. Meinem Weibe allein habe ich es erzählt. Sie wünscht, Sie zu sehen, um Ihnen danken zu können. Darf ich Sie zu ihr führen?«

Degenfeld wußte, was das für eine Auszeichnung für ihn war. Darum antwortete er in höflichstem Tone:

»Ich betrachte diesen Wunsch als einen Befehl der Herrin und werde demselben Gehorsam leisten.«

»So kommen Sie! Sie wartet schon längst auf Sie.«

Er führte die beiden in das Haus zurück und in eine Art Vorzimmer, in welchem der Mijnheer, Turnerstick, Richard und Liang-ssi schon harrten, und verschwand in der nächsten Thür.

Nach einigen Minuten holte er sie ab, um sie eintreten zu lassen. Sie kamen in einen wirklich glänzend ausgestatteten Salon, der nicht groß war. Hier empfing die Frau des Mandarinen wohl ihre Freundinnen, da alles darauf hindeutete, daß Damen hier oft verkehrten. Stickereien und andere weibliche Luxusarbeiten lagen auf den Tischen; kostbares Porzellan blickte von den künstlichen Simsen, und musikalische Instrumente hingen an den Wänden.

Die Gäste hatten sich kaum gesetzt, so erschien die Dame am Arme einer Dienerin. Sie bedurfte einer solchen Stütze, da sie allein nur schwer zu gehen vermochte, eine Folge der größten chinesischen Schönheit, welche sie besaß, nämlich ihrer Klumpfüßchen.

Den Töchtern vornehmer Eltern werden gleich nach der Geburt die acht kleinen Zehen der Füße nach der Sohle zu umgebogen und mittels Bandagen da festgebunden. Nur die große Zehe darf ihre Lage behalten, entwickelt sich aber auch nicht naturgemäß, da der ganze Fuß und also auch sie unter der grausamen Behandlung sehr zu leiden hat. Die Zehen, und vor allen Dingen die Nägel derselben, wachsen in das Fleisch der Sohle hinein, was langwierige Schwärungen und natürlich große Schmerzen bereitet.

So ein armes Kind lernt niemals gehen, sondern nur humpeln, nimmt aber das alles gern in den Kauf, um so glücklich sein zu können, einen – schönen Fuß zu haben. Dieser Fuß besteht nur aus der unter den Mittelfuß gewaltsam vorgedrückten Ferse und der großen Zehe. Das Pantöffelchen, mit welchem diese letztere bekleidet ist, hat allerdings die Kleinheit eines Puppenpantoffels; desto unförmlicher aber ist der Teil des Fußes, den man nicht zu sehen bekommt, da das lange Gewand ihn bedeckt.

Das beschwerliche, schmerzhafte Gehen ist nicht ohne Einfluß auf Körper und Geist. Es hängt beiden etwas Krüppelhaftes an. Ein Mensch, der nicht gehen, der sich nicht anmutig, frisch, gewandt und kräftig bewegen kann, wird gewiß gedrückten Gemütes oder Geistes sein.

Als eine weitere große Schönheit gilt bei den Chinesen die Wohlbeleibtheit. Wer nicht fett ist, kann ganz unmöglich schön sein. Eine hagere Person ist stets häßlich.

Auch in dieser Beziehung war diese Dame sehr schön. Sie war von kleiner Gestalt, hatte aber eine so immense Taille, daß es dem Mijnheer, als sie eintrat, unbewacht entfuhr: