Za darmo

Das Vermachtnis des Inka

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»Haben sie dir wehe gethan?« fragte sein Herr besorgt.

»Dat weiß ick nicht. Ick muß es erst untersuchen. Fühlen thu ick jetzt noch nichts. Hoffentlich kommt dat Zartjefühl nicht noch hinterher. Es ist also doch so jekommen, wie ick sagte: Jehen wir herein, heraus kommen wir allemal wieder; ist es nicht jegangen, so ist es jeschmissen. Und herausjeschmissen haben sie mir, dat kann ick Ihnen schwarz auf weiß bestätigen.«

»Gott sei Dank, daß es nicht noch schlimmer geworden ist! Es war wirklich leichtsinnig von uns, in eine solche Gefahr, lateinisch Dimicatio, sich zu begeben. Was thun wir nun? Was schlägst du vor?«

»Wir jehen in ein Hotel.«

»Gibt es hier Hotels?«

»Höchst wahrscheinlich; aber sie werden auch danach sind, so was Sie antediluvianisch zu nennen pflegen. Vielleicht jraben wir eins aus.«

Sie gingen suchend durch einige Straßen und kamen an ein Haus, über dessen Thür auf einem Schild zu lesen war: »Posada por pasageros, Gasthaus für Fremde.« Diese Posada sah freilich gar nicht einladend aus. Das Gebäude bestand aus gestampfter Erde und hatte nur ein Erdgeschoß mit einer breiten, niedrigen Thür und zwei Öffnungen, in denen keine Fenster waren. Nebenan gab es einen von einer Mauer umgebenen Hof, in welchem man Pferde stampfen und wiehern hörte.

»Da hinein?« fragte der Doktor, indem er ein bedenkliches Gesicht zog.

»Ja,« antwortete Fritze.

»Es sieht aber genau wie eine Spelunke aus!«

»Det schadet nichts, wenn wir nur nicht wieder herausjeworfen werden, hier ist alles Spelunke. Also man wieder rin ins Vergnüjen!«

Als sie eingetreten waren, sahen sie, daß das Innere dieses Gasthauses aus nur einem Zimmer bestand. Tische und Stühle gab es nicht, dafür aber mehrere Hängematten und niedrige Schemel. Auf einem derselben saß der Wirt, ein hagerer, schmutziger Mensch, welcher sich erhob und unter tiefen Verneigungen nach den Wünschen der Señores fragte. Fritze warf sein Bündel auf den Boden, der aus gestampftem Lehm bestand, und antwortete an Stelle seines Herrn:

»Können Sie uns vier Pferde, zwei Reit- und zwei Packsättel verschaffen?«

»Mieten?«

»Nein, kaufen.«

»Wohin wollen Sie?«

»Nach dem Gran Chaco, nach Tucuman, vielleicht noch weiter.«

»Ich habe sehr feine Pferde zum Verkauf. Bemühen sich Euer Gnaden mit in den Hof!«

Er öffnete eine Seitenthür, welche in den Hof führte. Die beiden folgten ihm hinaus. In einer der Hängematten hatte ein Mann gelegen, den sie gar nicht beachteten. Als dieser von dem Pferdehandel hörte, sprang er aus der Matte und folgte ihnen. Draußen standen zwölf abgetriebene und halb verhungerte Gäule, deren Aussehen ein so verkümmertes war, daß selbst der Doktor, obgleich er nichts von Pferden verstand, kopfschüttelnd meinte:

»Das sollen Pferde sein? Ich würde so ein Tier viel eher für das halten, was der Lateiner Caper oder Hircus nennt.«

»Was ist das, Señor?« fragte der Wirt.

»Ein Ziegenbock.«

»So sind wir fertig. Meine Pferde sind keine Ziegenböcke.«

Er wendete sich stolz ab, um in die Stube zurückzukehren. Da stand der Gast, welcher in der Hängematte gelegen hatte. Dieser betrachtete die beiden Kleinen mit neugierigen Augen, während sie ihn mit derselben Neugierde ansahen. Er war ebenso rot gekleidet wie sie und trug aber lange Stiefel, deren Schäfte seine Oberschenkel bedeckten. Sein Gesicht war so bärtig, daß man von demselben nur die Nase und die Augen sah. Sein Haar hing unter dem Hute, welcher auf dem schon beschriebenen Kopftuche saß, lang bis auf den Rücken herab. Dennoch machte er den Eindruck eines Menschen, vor dem man sich nicht zu hüten brauchte. Er verbeugte sich und sagte:

»Señores, ich höre, daß Euer Gnaden nach dem Gran Chaco wollen, und kann Ihnen vielleicht mit meinem Rate dienen. Wo kommen Sie her?«

»Von Buenos Ayres.«

»Wohnen Sie dort?«

»Nein. Ich bin fremd im Lande.«

»Ein Fremder? Wo haben Sie Ihre Heimat?«

»In Deutschland.«

»Also ein Deutscher! Und was sind Sie? Nehmen Sie mir meine Fragen nicht übel! Ich habe eine gute Absicht dabei.«

»Ich bin ein Privatgelehrter, ein Zoolog, und will nach dem Gran Chaco, um dort vorweltliche Tiere auszugraben.«

»Ah! Vielleicht ein Mastodon?«

»Hoffentlich!«

»Oder ein Megatherium?«

»Sie kennen die Namen dieser Tiere?«

»Natürlich! Ich bin ein Kollege von Ihnen.«

»Was? Auch ein Gelehrter?« fragte Morgenstern verwundert, denn dieser Mann sah wie ein echter Gaucho, nicht aber wie ein Gelehrter aus.

»Allerdings bin ich einer,« antwortete er stolz, indem er sich in die Brust schlug.

»Wohl auch Zoolog?«

»Auch, denn ich habe alles studiert. Eigentlich aber bin ich Ciruiano (Chirurg), wenn Euer Gnaden gestatten.«

»Also ein Arzt!«

»Ja. Ich erlaube mir, mich Euer Gnaden vorzustellen. Man kennt mich überall, und Sie werden nur deshalb, weil Sie fremd sind, meinen berühmten Namen noch nicht gehört haben. Ich bin nämlich Doktor Parmesan Rui el Iberio de Sargunna y Castelguardiante.«

»Danke! Ich heiße Doktor Morgenstern, und der Name meines Dieners ist Kiesewetter.«

»Zwei schöne Namen, doch darf ich wohl behaupten, daß der meinige wohlklingender ist und sich auch viel leichter aussprechen läßt. Ich bin einer altkastilianischen Adelsfamilie entsprossen. Was sagen Sie zu einer Amputation des ganzen Beines, und zwar in der Weise, daß man erst die Weichteile abschneidet und dann den Kopf des Oberschenkelknochens sehr einfach aus dem Pfannengelenk des Beckens nimmt?«

»Oberschenkelknochen, Os femoris genannt? Und Becken, Pelvis geheißen? Ich verstehe Sie nicht, Señor. Warum soll denn dem unglücklichen Manne das Bein amputiert werden? Ist er verwundet? Hat er schon den Brand darin?«

»Keineswegs. Das Bein ist kerngesund.«

»Aber weshalb soll es ihm da abgeschnitten werden?«

»Weshalb? Cielo! Welche Frage! Der Mann ist ja ganz munter und wohl; es fehlt ihm nichts, gar nichts. Ich denke überhaupt gar nicht an einen bestimmten Menschen, sondern ich setze nur den Fall, verstehen Sie wohl, den Fall, daß ich ein Bein abzunehmen hätte. Würden Sie mir die nötige Geschicklichkeit zutrauen?«

»Ganz gern, ganz gern, Señor. Aber dennoch bin ich herzensfroh, daß Sie nur den Fall setzen. Ich glaubte schon, ich sollte Ihnen helfen und das Bein des Unglücklichen halten.«

»Das ist gar nicht notwendig, denn ich bedarf keiner Hilfe. Ich verfahre mit solchem Geschick und solcher Schnelligkeit, daß der Patient gar nichts davon empfindet. Erst dann, wenn er geheilt das Lager verläßt, bemerkt er, daß er nur noch ein Bein hat. Und das thue ich nicht nur beim Beine, sondern bei allen Gliedern. Ich sage Ihnen, Señor, ich säble alles, alles herunter!«

Er machte dabei so energische Armbewegungen, daß der Doktor erschrocken ausrief:

»Mein Himmel! Ich bin gesund, vollständig gesund!. Mir brauchen Sie nichts zu amputieren!«

»Leider, leider! Es ist wirklich jammerschade, daß Sie nicht verwundet sind oder einen hübschen Knochenfraß haben. Sie würden sich königlich über die Kunst freuen, mit welcher ich Ihren Körper von dem betreffenden Gliede befreie. Ich habe meine Werkzeuge stets bei mir. Was meinen Sie wohl zum Beispiel vom Heraussägen des Ellenbogengelenkes? Haben Sie diese wunderbare Operation schon einmal gesehen?«

»Nein. Und ich versichere Sie, daß sich meine beiden Ellbogen in vollster Ordnung befinden.«

»O, was das betrifft, so würde es gar nichts schaden, wenn sie durch Schüsse zerschmettert worden oder durch eine komplizierte und veraltete Verrenkung unbrauchbar geworden wären. Ich sägte sie Ihnen zu Ihrem eigenen Entzücken heraus, und dann könnten Sie sich Ihrer Arme ganz leidlich wieder bedienen.«

»Das will ich nicht bezweifeln, Señor; aber dennoch ist es mir lieber, gar nicht in die Lage zu kommen, sie mir heraussägen lassen zu müssen.«

»So sind Sie zwar ein gelehrter Mann, besitzen aber nicht den Mut, der Wissenschaft ein Opfer zu bringen. Und das ist jammerschade, denn ich säble wirklich alles, alles herunter.«

»Ich bewundere Ihre Geschicklichkeit, Señor, habe aber leider keine Zeit, mich weiter über dieses interessante Thema zu verbreiten. Ich suche Pferde für meine Reise, und da ich hier keine passenden gefunden habe, so muß ich jetzt weiter, um –«

»Machen Sie sich keine Sorge,« unterbrach ihn der Chirurg. »Ich stelle mich Ihnen zur Verfügung.«

»Sie? Wissen Sie vielleicht, wo vier kräftige und ausdauernde Tiere zu haben sind?«

»Ich weiß es nicht nur, sondern ich stehe selbst auch im Begriff, mir eins zu kaufen.«

»Wo ist das?«

»Auf einer kleinen Estancia, welche eine halbe Stunde von der Stadt entfernt liegt.«

»Wie kommt man da hinaus? Hier geht kein Mensch so weit zu Fuße.«

»Wir borgen uns Pferde von dem Wirte, bei dem wir uns jetzt befinden. Diese kurze Strecke vermögen sie uns zu tragen. Er gibt uns einen Peon mit, welcher sie ihm zurückbringt.«

»So lassen Sie uns aufbrechen, Señor!«

»Bitte, das hat keine solche Eile. Wir können den Handel erst morgen früh machen. Ich habe mich erkundigt und da erfahren, daß der Estanciero verreist ist und erst heute abend wiederkommt.«

»So muß ich mich nach einer andern Stelle umsehen, denn ich habe keine Zeit zu verlieren.«

»Warum? Die vorsündflutlichen Skelette laufen Ihnen doch nicht fort.«

»Nein; aber ich will eine Gesellschaft von Männern einholen, welche nach der Laguna Porongos vorausgeritten sind.«

Der Chirurg horchte auf und erkundigte sich dann:

»Wer ist das? Meinen Sie etwa den Vater Jaguar mit seinen Leuten?«

»Ja, den meine ich. Kennen Sie ihn vielleicht?«

»So genau wie mich selbst. Ich gehöre ja zu ihm. Wir hatten uns hier zu versammeln; ich wurde aber droben in Puerto Antonio unvermutet aufgehalten, so daß ich zu spät kam. Sie sind schon fort. Ich konnte mir freilich hier sofort ein Pferd kaufen, um ihnen nachzureiten; aber in dieser Stadt findet man kein brauchbares Tier. Darum warte ich lieber bis morgen früh, wo ich ein gutes bekomme und nicht Gefahr laufe, es unter mir zusammenbrechen zu sehen.«

 

Doktor Morgenstern hatte ein gelindes Grauen vor diesem Manne gefühlt, der »alles, alles heruntersäbelte«; jetzt aber freute er sich, ihn getroffen zu haben. Darum fragte er:

»Sie glauben, daß Sie den Vater Jaguar noch einholen werden?«

»Natürlich! Ich kenne die Route, welche er einschlägt, ganz genau.«

»Das freut mich außerordentlich. Würden Sie uns die Erlaubnis, lateinisch Concessio, erteilen, uns Ihnen anzuschließen?«

»Herzlich gern, Señor, da wir beide Jünger der Wissenschaft, also Kollegen sind und ich mich darauf freue, doch vielleicht eine Gelegenheit zu finden, Ihnen zeigen zu können, daß ich mich selbst vor der schwierigsten Amputation nicht fürchte. Hoffentlich stoßen wir mit feindlichen Indianern zusammen; ich nehme natürlich mit Bestimmtheit an, daß dabei einigen von uns mehrere Glieder zerschmettert werden; dann sollen Sie sehen, wie ich meines Amtes walten werde. Das wird nur so fliegen, denn ich säble wirklich alles, alles herunter!«

Er fuhr dabei mit beiden Armen und in einer eigenartigen Weise durch die Luft, um anzudeuten, daß die Knochen und Fleischfetzen »nur so fliegen« würden. Dieser Mann schien dem blutigen Teile seines Berufes mit außerordentlicher Leidenschaft anzuhängen. Trotzdem fühlte sich Morgenstern jetzt nicht mehr dadurch zurückgestoßen oder gar, wie vorher, eingeschüchtert. Er begann zu ahnen, daß er es hier mit einer zwar krankhaften, doch ganz ungefährlichen Idee zu thun habe. Darum antwortete er lächelnd:

»So bin ich bereit, mit Ihnen bis morgen zu warten. Aber was thun wir bis dahin? Und wo halten wir uns auf?«

»Wir reiten nach der Estancia, wo man uns gastfreundlich aufnehmen wird. Dort essen, trinken, rauchen und schlafen wir. Das ist mehr Beschäftigung, als wir brauchen, um uns zu langweilen. Sie rauchen doch auch, Señor?«

»Nein.«

»Welch ein Wunder! Hier raucht alles, Mann und Weib, Kind und Kegel. Warum Sie nicht?«

»Weil ich eine Nikotinvergiftung befürchte. Hat doch die Wissenschaft nachgewiesen, daß man vom vielen Rauchen den schwarzen Star, Amaurosis genannt, bekommen kann.«

»Da müßte man die Zigaretten nicht rauchen, sondern scheffelweise hinunterschlingen. Und selbst da kämen sie doch nur in den Magen, nicht aber in die Augen. Ich könnte ohne das Rauchen nicht existieren. Es regt die Nerven an, erhöht die Lebenskraft, begeistert den Menschen für alles Gute und Schöne und gibt eine so sichere Hand, daß man selbst die schwerste und komplizierteste Amputation mit Leichtigkeit auszuführen vermag. Haben Sie hier in Santa Fé noch viel zu schaffen, oder können wir bald aufbrechen?«

Morgenstern erzählte ihm in kurzen Worten das hier erlebte Abenteuer und sagte ihm, daß er nur noch seiner Bücher bedürfe, um reisefertig zu sein.

»Die werde ich Ihnen sofort holen, Señor,« meinte »Doktor« Parmesan.

»Sie? Damit darf ich Sie doch unmöglich belästigen, Señor.«

»Warum nicht? Zahlen Sie mir zwei Papierthaler, so thue ich es gern. Übrigens bin ich den Soldaten und Offizieren bekannt. Man wird keinem andern Ihre Bücher so gewiß übergeben wie mir.«

Also dieser Mann mit dem langen und wohlklingenden altkastilianischen Namen, der sich »Doktor« nannte, war bereit, für zwei Papierthaler, also für zweiunddreißig deutsche Pfennige, Gepäckträgerdienste zu leisten! Als er von Morgenstern diesen Betrag erhalten hatte, ging er fort und brachte schon nach kurzer Zeit die Bücher getragen. Dann entfernte er sich abermals, um Papier und Tabak zu Zigaretten einzukaufen. Er nahm zu diesem Zwecke einen Ledersack mit, den er gefüllt zurückbrachte. Er hatte ganz richtig gesagt, daß hier jeder rauche. Man wird in der Pampa selten einen Menschen sehen, der nicht eine selbstgedrehte Zigarette im Munde hat.

Der Wirt war gern bereit, gegen geringe Bezahlung Pferde und einen Peon herzuleihen. Eins dieser Tiere bekam Morgensterns Pakete zu tragen; dann stiegen die Männer auf, um nach der Estancia zu reiten. Als sie langsam durch die erste Gasse kamen, standen einige Kinder da beisammen; sie sahen den Chirurgen und rannten augenblicklich in das nächste Haus, indem sie schrieen:

»El carnicero, el carnicero! Huid, huid, de la contrario os amputa – der Fleischhacker, der Fleischhacker! Flieht, flieht, sonst amputiert er euch!«

Er schien also nicht nur überhaupt, sondern den Kindern sogar als abschreckender Popanz bekannt zu sein. Das ärgerte ihn aber keineswegs, sondern er sagte in stolzem Tone:

»Hören Sie es, Señor? O, man kennt mich und meine Fertigkeiten sehr genau. Mein Ruhm ist über sämtliche La Plata-Staaten verbreitet!«

Der Ritt ging an dem Cuartel vorüber, in welchem Morgenstern vorhin die so kurze Rolle eines Obersten gespielt hatte, dann an dem Kirchhofe und mehreren kleinen Ranchos, bis man endlich das Stadtgebiet hinter sich hatte. Zur Linken sahen die Reiter den seeartig ausgedehnten Rio Salado fließen, und vor ihnen lag ein ausgedehntes, hügelig unebenes Heideland. Auf demselben stand, rechts nach dem See hinüber, welchen der Rio Saladillo hier bildet, die Hacienda, von welcher der »Fleischhacker« gesprochen hatte. Sie war nicht sehr groß, dennoch gab es da nicht unbeträchtliche Herden. Man sah wohl an die tausend Schafe weiden; auf der andern Seite grasten, von einigen Gauchos bewacht, mehrere hundert Stück Rinder, und in den Corrals gab es Pferde genug, eine ganze Schwadron Kavallerie beritten zu machen.

Wer über die Pampa oder den Campo, das Feld, reitet, bekommt dreierlei Ansiedelungen zu sehen. Die erste Art derselben sind die Ranchos (sprich Rantschos), kleine Hütten, welche meist aus gestampfter Erde hergestellt sind und Stroh- oder Schilfdächer haben. Oft stehen sie nicht zu ebener Erde, sondern sind mehrere Fuß tief in den ausgegrabenen Boden eingelassen. Von Möbeln nach unsrem Sinne ist keine Rede. Eine Hängematte gilt als Luxusartikel. Das Mahl wird auf einem Feuerherde bereitet, welcher auch aus Lehm hergestellt ist, denn Steine gibt es in den Pampas nicht. Ein Schornstein ist nicht vorhanden; der Rauch zieht durch die Öffnungen ab, welche als Thür und Fenster bezeichnet werden, doch ist die Thür nicht verschließbar, und in den Fensteröffnungen gibt es weder Glas noch Rahmen. Höchstens vertritt ein Stück geöltes Papier die Stelle der Scheiben.

In diesen Ranchos wohnen die armen Leute, welche auf den Haciendas und Estancien bedienstet sind – die Gauchos.

Dieses letztere Wort ist der Indianersprache entlehnt; die beiden Buchstaben a u bilden keinen Diphthong, sondern werden getrennt ausgesprochen; man muß also Ga-utscho sagen. Der Ga-utschos gehören meist der Klasse der Mestizen an; sie betrachten sich zwar als Weiße und sind auf diese Bezeichnung ungemein Stolz, stammen aber von Indianerinnen und den früher eingewanderten Spaniern ab. Es gibt verschiedene Ansichten über dieselben; der eine lobt und der andre tadelt sie. Das Richtige ist, daß man sie nach den verschiedenen Gegenden, in denen sie leben, auch verschieden beurteilt.

Die Ga-utschos besitzen alle den Stolz des Spaniers und, infolge ihres eigenartigen Lebens, eine ungemeine Freiheitsliebe. Jeder hält sich für einen Caballero und ist sehr höflich gegen andre, um selbst höflich behandelt zu werden. Der ärmste Teufel, ja selbst der Bettler wird »Euer Gnaden« genannt. Derjenige Fremde, welcher glaubt, er dürfe auf einen Gaucho von oben herabblicken, weil er reicher oder gebildeter als dieser ist, wird bald so zurechtgewiesen werden, daß ihm der Hochmut vergeht. Herablassung beantwortet der Gaucho mit der ausgesuchtesten Grobheit oder, falls dies nichts fruchtet, gar mit dem Messer. Behandelt man ihn aber höflich, läßt man ihn als einen menschlich vollständig Gleichberechtigten gelten, so wird man bald einen treuen und aufopfernden Freund an ihm haben. Zu rühmen ist vor allen Dingen seine Ehrlichkeit. So wie er seine Hütte nie verschließt, so wird er selbst auch niemals stehlen. Findet er etwas, so gibt er es, falls die Möglichkeit vorhanden ist, dem Verlustträger ganz gewiß zurück. Ein Gaucho zum Beispiel, welcher so arm war, daß er nicht einmal einen Schemel besaß und das Gerippe eines Pferdekopfes als Stuhl benutzte, fand auf offener Pampa eine Uhr, welche einem ausländischen Reisenden aus der Tasche geglitten war. Er jagte einen Tag lang Von einem Nachbar zum andern, um zu erfahren, wem die Uhr wohl gehören könne, und als er von dem Fremden hörte und nun vermuten mußte, daß dieser sie verloren habe, ritt er ihm zwei Tage lang nach, um sie ihm zu bringen. Als ihm der Reisende eine Geldbelohnung geben wollte, warf er sie ihm verächtlich vor die Füße und kehrte, ohne ein Wort zu sagen, um.

Von Jugend auf an das Pferd gewöhnt, sind die Gauchos ebenso kühne wie unermüdliche Reiter. Sie gleichen darin den Westmännern und Indianern Nordamerikas. Eine Strecke von hundert Schritten zu gehen, fällt dem Gaucho gar nicht ein. Sobald er seinen Rancho verläßt, sitzt er zu Pferde. Zweijährige Kinder sprengen auf halbwilden Pferden jubelnd in die Pampa hinein. Auch die Frauen reiten, und zwar nach Männerart, nicht die Beine auf einer Seite des Pferdes. Oftmals sieht man Mann und Weib zusammen auf einem Pferde sitzen, die Frau dann stets verkehrt auf dem Hinterteile des Pferdes, ohne allen Halt, ihren Rücken an denjenigen des Mannes lehnend. Und doch fällt sie selbst im schnellsten Galopp nicht herab.

Eine Untugend, und zwar eine große, besitzt der Gaucho. Er ist nämlich vollständig gefühllos gegen sein Pferd. Er schnallt den Sattel auf den wunden, eiternden Rücken seines Tieres und gräbt demselben mit den großen, scharfen Sporen tiefe Löcher in die Weichen, ohne daran zu denken, welche Schmerzen er dem armen Geschöpf bereitet. Darum fürchten die Pferde ihren Herrn und gebärden sich wie toll, wenn er sie zusammentreibt, um sich für den Ritt eins mit dem Lasso aus der Herde zu fangen. Bricht es unter ihm zusammen, so läßt er es, noch lebend, für die Geier liegen und holt sich ein andres. Bei den ungezählten Herden, die es im Lande gibt, ist ein Pferd so billig, daß man sich zum Tode eines solchen Tieres vollständig gleichgültig verhält. Daher die zahllosen Pferdegerippe, denen man allüberall begegnet. Man kann, ohne zu übertreiben, sagen, daß die weiten, endlosen Pampas mit Pferdeknochen geradezu gedüngt sind.

Das eigenartige Leben, welches der Gaucho führt, der vollständige Mangel aller Schulen und sonstigen Bildungsmittel und der fortwährende Umgang mit halbwilden Tieren, das sind die Ursachen davon, daß der Gaucho zarteren Regungen vollständig unzugänglich ist. Dazu kommen die traurigen politischen Zustände des Landes. Ein Geschichtsschreiber hat gesagt, daß in den La Plata-Staaten es kein Jahr ohne wenigstens eine kleine Empörung gebe, und es ist wahr, daß seit Menschengedenken dort eine Revolution der andern folgte. Das verroht den Menschen. Der Gaucho, dem ruhigen Leben abgeneigt und durch seinen Beruf abgehärtet, ist jederzeit bereit, sich einem Pronunciamiento – das ist der Ausdruck für Revolte – anzuschließen. Je öfters dies geschieht, desto tiefer drückt die Unbotmäßigkeit sich seinem Wesen ein, und die Folge davon ist, daß die Bewohner derjenigen Distrikte, welche sich öfters gegen die öffentliche Gewalt auflehnen, in Beziehung auf gute Eigenschaften weit hinter den andern zurückstehen. Daher die Verschiedenheit, mit welcher die Bewohner der Pampas beurteilt werden.

Die zweite Art der Niederlassung wird Hacienda genannt. Ein Haciendero betreibt Feld- und Viehwirtschaft zugleich, wird also selten große Herden besitzen. Die dritte Art wird Estancia genannt. Der Estanciero gibt sich nicht mit Ackerbau ab; er züchtet nur Vieh, um dasselbe in die Schlachthäuser zu liefern. Es gibt Estancieros, welche mehrere hunderttausend Stück besitzen.

Diese Tiere befinden sich sowohl im Sommer als auch im Winter stets im Freien. Obgleich sie von reitenden Gauchos beaufsichtigt werden, kommt es häufig vor, daß sie über die Grenze laufen und unter die Herden des nächsten, ja des zweiten und dritten Nachbars gelangen. Um dadurch verursachten Verlusten vorzubeugen, brennt jeder Besitzer seinen Tieren einen Stempel ein, welcher bei der Behörde für ihn registriert worden ist. So kennt jeder sein Eigentum und liefert von Zeit zu Zeit den zugelaufenen Bestand den rechtmäßigen Eigentümern zurück. Beim Verkaufe eines Pferdes oder Rindes wird das Zeichen dadurch ungültig gemacht, daß man es nochmals, und zwar verkehrt, auf das vorherige einbrennt, eine schmerzhafte Manipulation, welcher sich die Tiere natürlich mit aller Anstrengung widersetzen.

 

Eine solche Zeichnung der noch nicht mit einem Stempel versehenen jungen Rinder war eben im Gange, als die Reiter die Estancia erreichten. Eine Anzahl berittener Gauchos war beschäftigt, die Tiere draußen auf dem Campo zusammen und dann in den dazu bestimmten Corral zu treiben. Unter Corral ist hier ein freier Platz zu verstehen, welcher von hohen, stachelichten Kaktushecken umgeben ist.

Die Rinder wissen ganz genau, daß stets etwas Ungewöhnliches bevorsteht, wenn man sie nach dem Corral bringen will, und weigern sich infolgedessen, ihren Hirten zu gehorchen. So auch hier. Sie versuchten, auszubrechen, stets aber waren die kühnen Reiter da, sie mit hochgeschwungenem Lasso oder kreisender Bola daran zu hindern.

Die Bola ist ein Wurfgeschoß, welches aus drei Blei- oder Eisenkugeln besteht. Jede dieser Kugeln hängt an einem starken, unzerreißbaren Riemen; die Enden dieser Riemen sind zusammengebunden. Der Gaucho nimmt eine der Kugeln in die Hand, schwingt die beiden andern einigemal zielend um den Kopf und schleudert dann die Bola nach dem Tiere, welches er fangen will. Er verfährt dabei mit einer solchen Geschicklichkeit, daß die Bola sich um die Hinterbeine des Pferdes oder Rindes schlingt, und dieses zum Falle bringt.

Die Tiere kennen diese Schleuderkugeln sehr genau und fürchten sie ebensosehr, wie sie den Lasso scheuen. So oft sie ausbrechen wollten, trieb die Angst vor diesen Waffen sie wieder zurück. So kamen sie, zu beiden Seiten und hinter sich die schreienden Gauchos, mit donnerndem Gestampfe herangebraust. Am offenen Corral angekommen, stutzten sie; als aber ein alter, erfahrener Bulle, welcher wohl wußte, daß er für sich nichts zu befürchten hatte, hineinrannte, folgten die andern hinter ihm drein, und die Umzäunung wurde sofort geschlossen.

Da sahen die Gauchos die vier Reiter halten. Sie kamen herbeigeritten. Der vorderste rief, als er den Chirurg erblickte, fröhlich lachend:

»Cielo, beim Himmel, das ist el Carnicero, der Fleischhauer! Willkommen, Señor! Wollen Sie bei uns vielleicht etwas heruntersäbeln? Wir sind alle gesund und munter. Lassen Sie also Ihre Instrumente stecken!«

Dieser Empfang schien den Doktor Parmesan zu verdrießen, denn er antwortete:

»Lassen Sie solche Scherze, wenn Sie mit einem Caballero sprechen! Wie können Sie mich Carnicero nennen! Ich verbitte mir das! Meine Ahnen wohnten auf altkastilianischen Burgen und Schlössern und haben siegreich gegen die Mauren gekämpft, als von Ihren Vorfahren noch keine Rede war. Für Sie bin ich Don Parmesan Rui el Iberio de Sargunna y Castelguardiante. Das merken Sie sich, Euer Gnaden!«

»Schön, Don Parmesan, ich merke es mir. Übrigens wollte ich Sie keineswegs beleidigen. Sie wissen ja, welche Wertschätzung wir Ihnen widmen, und werden es mir also verzeihen, wenn ich in der Freude über Ihre Ankunft den rechten Ausdruck verfehlte!«

»Das lasse ich mir eher gefallen. Die Reue findet bei mir stets ein versöhnliches Herz. Ich verzeihe Ihnen, zumal ich allerdings weiß, daß Sie meine chirurgische Geschicklichkeit anerkannt haben. Ich mache Sie bei dieser Gelegenheit darauf aufmerksam, daß man bei einer Trepanation der Hirnschale jetzt nicht mehr mit dem zirkelförmigen Trepanum, sondern mit dem Meißel arbeitet. Und was die Heilung des Krebses betrifft, so darf man nicht zu lange bei Umschlägen von Cicuta, rotem Fingerhut und Belladonna verweilen, sondern soll sobald wie möglich zur Exstirpation schreiten. Heraus mit dem Krebs! Man muß das Messer nehmen und schnell – –«

»Bitte, davon später!« unterbrach ihn der Gaucho. »Sie wissen, Don Parmesan, daß wir uns sehr gern von Ihnen belehren lassen, denn es gibt keinen, der ein solches Messer führt wie Sie; aber Sie haben da Señores bei sich, gegen welche wir unhöflich sein würden, wollten wir vom Krebse weiter sprechen oder ihnen gar Löcher in den Schädel meißeln. Darf ich Euer Gnaden um ihre Namen bitten?«

»Die Señores sind neue Bekannte von mir, welche nach dem Gran Chaco wollen, gelehrte, hochstudierte Leute, infolgedessen ihre Namen so schwer auszusprechen sind, daß es mir unmöglich ist, sie Ihnen zu sagen.«

»Ich heiße Morgenstern und mein Begleiter Kiesewetter,« erklärte der Privatgelehrte. »Wir sind gekommen, um einige Pferde zu kaufen. Hoffentlich sind welche übrig, was der Lateiner supersum oder nach Umständen auch reliquus nennt.«

»Nun, Reliquien sind unsre Pferde nicht; aber der Estanciero wird Ihnen doch gern einige verkaufen. Leider kommt er erst heute abend heim. Sie werden bis dahin unsre Gäste sein und können, wenn Sie sich unterhalten wollen, an der Zeichnung unsrer Rinder teilnehmen.«

»Außerordentlich gern! Ich habe so etwas noch nicht gesehen.«

»So kommen Sie! Ich werde Sie dem Majordomus vorstellen.«

Er ritt ihnen voran nach dem Wohngebäude und rief den Majordomus heraus, welcher die Herren willkommen hieß und in das Zimmer führte. Der Peon aus Santa Fe wurde abgelohnt und kehrte mit den Pferden nach der Stadt zurück.

Der Besitzer der Estancia war gewiß ein wohlhabender Mann, dennoch konnte die Einrichtung seiner Wohnung nicht einmal mit derjenigen eines einfachen deutschen Arbeiters verglichen werden. Die vier Lehmwände waren nackt und leer. Es gab einen alten Tisch, zwei noch ältere Stühle und mehrere niedrige Schemel. Eine Guitarre hing in der Ecke. Das war alles. Der Majordomus lud zum Sitzen ein und begab sich nach der Küche, um den üblichen Mate zu holen, welcher jedem Gaste sofort vorgesetzt wird.

Mate ist Paraguay-Thee; er wird aus den Blättern und Stengeln von Ilex paraguyensis gewonnen und hat die Form eines groben Pulvers. Man thut eine Prise desselben in einen kleinen, ausgehöhlten Flaschenkürbis und gießt kochendes Wasser darauf. Der Thee wird nicht getrunken, sondern mittels einer dünnen, metallenen Röhre, Bombilla genannt, die man in den Mund nimmt, aus dem Kürbis gesogen. Da die Bombilla sehr heiß wird, verbrennen sich Ausländer, welche diese Art des Trinkens nicht gewöhnt sind, gewöhnlich Lippen und Zunge, bis sie gelernt haben, vorsichtig zu sein.

Solchen Mate bekamen die drei Gäste. Der Chirurg sog das Getränk mit Vorsicht in den Mund, Fritze war lange genug im Lande gewesen, um zu wissen, daß er sich in acht zu nehmen habe; der Doktor aber brachte dem Mate sofort den Tribut, welchen in der Regel jeder Ausländer ihm bringt. Die Bombilla war heiß, und er sog zu kräftig, infolgedessen er zu viel des wohl achtzig Grad nach Reaumur haltenden Thees in den Mund bekam. Er verbrannte sich, und da er es für unanständig hielt, den Mate auszuspucken, schluckte er ihn hinab –Natürlich verbrannte er sich auch den Schlund und rief, indem er sein Gesicht schmerzlich verzog:

»O weh, meine Lippen, mein Gaumen, mein Schlund, lateinisch LabiaPalatum und Gluttus genannt! Das ist ja der reine Teufelstrank, ganz geeignet, die Verdammten in der Hölle innerlich zu martern! Ich danke ganz ergebenst für dieses Ilex-Wasser!«

»Dat habe ick bei die ersten Versuche ooch Jesagt,« meinte Fritze. »Bei zu kräftige Anziehungskraft verfeuerwerkert man sich die Jeschmacksorgane, doch dauert's nicht lange, bis man sich injerichtet und den richtigen Manometerdruck anjewöhnt hat. Trinken Sie man weiter, Herr Doktor!«

»Fällt mir gar nicht ein! Ich glaube, mein Schlund ist eine einzige Brandblase!«

Er war durch kein Zureden zu bewegen, noch einen Zug zu thun. Die beiden andern aber hatten ihre Calabazas (Flaschenkürbisse) bald ausgeleert, und dann wurden sie von dem Majordomus aufgefordert, sich mit nach dem Corral zu begeben, um dem hochinteressanten Zeichnen der Rinder beizuwohnen. Don Parmesan legte seinen roten Poncho, sein Kopftuch und die Chiripa ab, welche beide von derselben Farbe waren. Von Morgenstern nach dem Grunde befragt, antwortete er:

»Wissen Euer Gnaden noch nicht, daß die rote Farbe diese halbwilden Rinder reizt? Wer rot gekleidet ist, soll sich hüten, einem Toro nahe zu kommen.«