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Am Jenseits

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»Wie kannst du zu dieser Überzeugung gelangen?«

»Indem ich seine Atmung und den Puls untersuche.«

»Die Atmung? Er holt keinen Atem mehr; das muß ja jeder sehen!«

»Das Atmen eines Scheintoten geht so leise vor sich, daß es nur bei der größten Aufmerksamkeit zu bemerken ist. Wollen sehen!«

Die Haddedihn hatten den Sand entfernt und den Körper neben die Grube gelegt. Ich kniete bei ihm nieder, schlug die Kleidung weit von der Brust zurück und hielt die Augen auf den Brustkorb gerichtet. Halef ließ sich zu gleichem Zwecke neben mich nieder. Es versteht sich ganz von selbst, daß alle andern Haddedihn nun auch herbeigekommen waren und in höchster Spannung im Kreise um uns standen. Noch war kaum eine Minute vergangen, so rief Halef:

»Jetzt, jetzt hat er Atem geholt! Hast du es gesehen, Effendi?«

Auch mir war es so gewesen, als ob eine ganz leise und sehr flache Bewegung des Thorax stattgefunden hätte; aber selbst als sich das nach einiger Zeit wiederholte, glaubte ich, an der Wahrheit dieser Beobachtung zweifeln zu müssen. Ich ließ mir ein Stück Leder geben, rollte es zum Rohr zusammen und setzte es, die Haddedihn zum tiefsten Schweigen auffordernd, dem Mekkaner auf das Herz. Es verging wohl über eine Minute; da glaubte ich, ein Geräusch gehört zu haben, sagte aber nichts; dann hörte ich es wieder, auch zum dritten, vierten und fünften Male, es waren die Diastolgeräusche, die zweiten kürzeren und helleren Herztöne, welche ich bemerkt hatte; die ersten Herztöne sind zwar stärker und länger, aber dumpfer und an Scheintoten nie zu hören. Jetzt war ich meiner Sache sicher und sagte, indem ich schnell aufsprang:

»Halef, dein Wunsch ist erfüllt, denn dieser Mann lebt; er ist nur scheintot, und mit Gottes Hilfe wird es uns gelingen, seine Seele zurückzurufen!«

»Hamdulillah! Wir werden den Tod überwinden und dem Leben befehlen, wieder dahin zurückzukehren, wohin es rechtmäßigerweise gehört! Wir werden es an seine Pflicht erinnern und nicht eher ruhen, als bis es uns Gehorsam geleistet hat! Aber da ich nicht weiß, wie das zu machen ist, so fordere ich dich auf, Effendi, uns zu sagen, wie es geschehen soll!«

»Das wird durch den Itnaffas maßnu (künstliches Atmen) geschehen.«

»Itnaffas maßnu? Davon habe ich noch nie etwas gehört. Es ist doch keine Kunst, zu atmen! Wenn man den Mund öffnet, geht die Luft ganz von selbst hinein.«

»Dir das zu erklären, habe ich jetzt keine Zeit. Wir dürfen keinen Augenblick verlieren, wenn wir mit unserer Hilfe nicht zu spät kommen wollen.«

»Aber ich darf mithelfen?«

»Ja. Ich werde dir zeigen, was du zu tun hast.«

Der Oberkörper des Mekkaners wurde ganz entkleidet und, etwas erhöht, auf den Rücken gelegt. Ich zog seine Arme in regelmäßigen Intervallen vom Brustkorbe ab, langsam nach oben über den Kopf und drückte sie ihm dann wieder an den Körper. Halef mußte in den gleichen Intervallen ihm den Unterleib nach oben drücken, wodurch eine regelmäßige Erweiterung und Verengerung des Brustkorbes entstand, durch weiche die Lunge gezwungen wurde, abwechselnd Luft aufzunehmen und wieder abzugeben. Natürlich hatte ich ihm vorher die Zunge so weit vorgezogen, daß ein Haddedihn sie fassen und festhalten konnte, weil durch sie sonst der Atmungsweg verschlossen worden wäre. Während wir in dieser Weise beschäftigt waren, wurde der Körper des Münedschi, auch an den Beinen, von noch zwei Haddedihn unausgesetzt sehr stark frottiert.

Es braucht wohl kaum gesagt zu werden, daß der kleine, gesprächige Hadschi sich während dieser Arbeit fortwährend in Bemerkungen erging, die nicht zur Sache gehörten, von mir aber nicht zurückgewiesen wurden, weil dies auf seinen Eifer abkühlend gewirkt hätte. Dieser mußte im Gegenteile erhalten werden,. denn unsere Bemühungen schienen lange Zeit ohne allen Erfolg zu sein.

Es war wohl schon eine Stunde vergangen, und ich wurde von der einförmigen Bewegung müde. Eben wollte ich mich für einige Zeit ablösen lassen, als ich bemerkte, daß der Scheintote Farbe bekam; da war nun freilich von Ermüdung keine Rede mehr. Schon nach kurzem holte er selbständig Atem und öffnete die Augen. Was für prachtvolle Augensterne das waren!

Ich habe viele, viele Reimereien gelesen und gehört, in denen von herrlichen blauen oder gar himmelblauen Augen die Rede ist, aber noch nie ein himmelblaues Augenpaar gesehen. Ich behaupte darum, daß es gar kein rein blaues Auge gibt. Hat es aber jemals wirkliche, herrliche, himmelblaue Augen gegeben, so sind es die des Münedschi gewesen, welche sich jetzt so weit öffneten und mit einem unbeschreiblichen Ausdrucke groß und voll auf den Hadschi richteten. Das war ein mir völlig unbekannter Glanz, ein Blick, der nicht dieser Weit anzugehören, sondern aus dem Jenseits zu kommen schien.

»Sihdi, er ist wach! Er atmet und schaut mich an!« rief Halef überglücklich.

»Durst!« hauchte der Kranke.

Es wurde Wasser gebracht; wir setzten ihn aufrecht und flößten es ihm langsam und vorsichtig ein, fast nur tropfenweise. Durch diese langsamen und regelmäßigen Schlingbewegungen wurde sein noch schwaches Atmen unterstützt. Es besserte sich.

»Danke!« sagte er, als der ärgste Durst gelöscht zu sein schien. Dann sank er um, schloß die Augen wieder und schlief ein, wodurch aber das Atemholen nicht gestört wurde. Die Züge wurden im Gegenteile immer kräftiger und tiefer.

»Hast du seine Augen gesehen, Sihdi?« fragte mich Halef.

»Ja«, nickte ich.

»Und dich über sie gewundert?«

»Nein. Diese Augenfarbe hat nicht bloß der Norden. Ich habe sie sogar im Süden der Sahara an ganz dunkel gefärbten Leuten bemerkt.«

»Das ist es nicht, was ich meine. Ei Ghani hat doch behauptet, daß El Münedschi blind sei; das halte ich aber, seit ich diese Augen gesehen habe, für eine große Lüge!«

»Auch ich neige mich dieser Ansicht zu, doch ist es nicht unmöglich, daß wir uns täuschen. Warten wir es ab!«

»Aber was tun wir nun? Wir müssen doch aufbrechen, und er schläft!«

»Wir dürfen ihn jetzt nicht stören, werden also bleiben, bis er erwacht.«

»Und dann?«

»Dann werden wir ja mit ihm sprechen und also erfahren, was er zu tun beschließen wird.«

»Gut, warten wir also! Es zwingt uns ja nichts zur Eile, und so können wir, während er im Schlafe neue Kräfte sammelt, uns über die Kijahma (Auferstehung) freuen, durch welche wir seine schon abgeschiedene Seele aus dem Lande des Todes zurückgerufen haben. Hast du schon einmal von einer solchen Kijahma gehört, Sihdi?«

»Ja. Ich habe sogar eine Auferstandene sehr gut gekannt und außerordentlich lieb gehabt; ich liebe sie noch heut, obwohl sie nun nicht mehr zu den Irdischen gehört.«

»Wer ist das gewesen?«

»Meine Großmutter, die Mutter meines Vaters, weiche der irdische Engel meiner Kindheit gewesen ist und jetzt nun sicher bei den Engeln weilt. Sie war, grad wie auch meine Mutter, so reich an Liebe, daß ich noch heute von und in diesem Reichtume lebe; es ist das der größte Reichtum, den es gibt, mein lieber Halef. Die Verletzung eines Nervs war schuld, daß sie in Starrkrampf fiel und für tot gehalten wurde. Man bettete sie in den Sarg, und erst ganz kurz vor dem Begräbnisse, als die Leidtragenden den letzten Abschied von ihr genommen hatten, wurde entdeckt, daß sie noch lebte.«

»Durch einen Zufall?«

»Halef, du weißt, daß es für mich keinen Zufall gibt. Wenn die allmächtige Weisheit Gottes Ursachen und Wirkungen miteinander verknüpft, deren Verbindung das schwache Auge des Menschen nicht zu erkennen vermag, so wird zur Erklärung das mir so unsympathische Wort Zufall hervorgesucht. Es ist das eine Kantara el humar (Eselsbrücke), über welche sogar sonst ganz kluge Leute reiten.«

»Lebtest du damals schon, als deine Großmutter scheintot war?«

»Nein. Sie ist zu jener Zeit noch jung gewesen, hat aber bis in ihr sehr hohes Alter oft von der entsetzlichen Angst gesprochen, weiche ihr durch den Gedanken, lebendig begraben zu werden, verursacht worden war.«

»Hat sie denn diese Angst empfunden? Ich habe nämlich gehört, daß der Scheintote gar nichts von sich weiß, weil seine Seele den Körper verlassen hat und außerhalb desselben wandelt.«

»Die Gelehrten behaupten allerdings, daß beim wirklichen Scheintode das Bewußtsein und die Empfänglichkeit der Sinne vollständig erloschen seien. Das ist bei meiner Großmutter zwei Tage lang der Fall gewesen; als dann am dritten Tage ihr die Besinnung zurückkehrte, hat sie sich im Sarge liegend gefunden. Doch hat sie das nur aus den Reden der um sie Stehenden schließen, nicht aber sehen oder fühlen können, weil es ihr unmöglich gewesen ist, die Augen zu öffnen oder überhaupt mit irgendeinem Gliede die geringste Bewegung zu machen. Sie fand später keine Worte, die entsetzliche Angst, die Verzweiflung zu beschreiben, mit weicher sie sich angestrengt hatte, ein Lebenszeichen zu geben; aber ihr Wille, die ganze Summe ihrer geistigen Energie, war ohne Einfluß auf den Körper gewesen. Da hatte sie eingesehen, daß ihre einzige Rettung nur noch im Gebete liege. Sie war eine gottesgläubige, sehr fromme Frau, und du kannst dir denken, daß sie nie so inbrünstig gebetet hat wie damals vor der dunklen Pforte des Grabes, in weiches sie bei vollem Bewußtsein gebettet werden sollte. Unsere heilige Schrift sagt: Das Gebet des Gerechten vermag viel, wenn es ernstlich ist.‘ An diesem Ernste hat es bei Großmutter wohl nicht gefehlt, und so sind diese Bibelworte auch an ihr zur Wahrheit geworden. Als ein Kind zum Abschiede ihre Hand faßte, hat sie endlich, endlich die Finger bewegen und den Druck erwidern können. Das Kind hat vor Schreck laut aufgeschrieen und zitternd und stammelnd die Mitteilung gemacht, daß die Tote noch nicht ganz gestorben, sondern in der Hand noch lebendig sei‘, worauf man sich von der Wahrheit dieser Behauptung überzeugte und nach dem Arzte schickte, unter dessen Behandlung die Kranke dann langsam wiederhergestellt wurde.«

 

Hanneh hatte vorhin ihr Zeit verlassen und sich uns auch zugesellt. Sie verfolgte das, was ich erzählte, mit großer Aufmerksamkeit und fiel jetzt mit der Frage ein:

»Du bist der Ansicht, Sihdi, daß die Seele der Mutter deines Vaters damals ihren Körper verlassen habe?

»Ja«, antwortete ich. »Das ist mir von großer Wichtigkeit! Aus dem, was du erzähltest, folgt, daß deine Großmutter eine Seele gehabt hat?«

»Allerdings.«

»Glaubst du, daß sie die einzige Frau auf Erden war, welcher Allah eine Seele gab?«

»Nein, denn jedes Weib erhielt dies Gottesgeschenk.«

»Und der Islam lehrt, das Weib besitze keine Seele und könne also auch nicht teilnehmen an den ewigen Freuden des Paradieses. Der Islam sagt, das Weib sei nur zu dem Zwecke geschaffen, mit ihrem Körper Dienerin des Mannes zu sein, und darum habe mit dem Tode dieses Körpers für sie alles Leben aufgehört. Ich habe mit dir, Effendi, in jener Nacht hinter den Zeiten über diesen uns beleidigenden Mißglauben gesprochen, und du erfülltest mein Herz mit Trost und Beruhigung, indem du mir die Überzeugung gabst, daß wir Frauen auch eine Seele besitzen und also ebenso wie ihr zur Seligkeit berufen sind. Du hast meine damalige heiße Bitte erhört und auch Halef, den Begründer meines irdischen Glückes, zum Glauben an diese meine unsterbliche Seele gebracht, und nun du heut von der Seele deiner von dir so sehr geliebten Großmutter erzählst, muß auch bei alt den Männern, welche hier stehen und deine Worte gehört haben, der letzte Zweifel an unsere Unsterblichkeit schwinden. Ich danke dir! Ich möchte nun noch eins gern wissen. Wenn die Seele deiner Großmutter damals ihren Körper verlassen hat, so muß sie während der Zeit bis zu ihrer Wiederkehr an einem andem Ort gewesen sein. Weißt du, wo?«

»Nein.«

»Hast du sie nicht gefragt?«

»Als Kind nie, weil mir die dazu nötige Einsicht fehlte; aber später, als ich nach den Geheimnissen des Glaubens zu forschen begann, die es für den, weicher wirklich glaubt, doch gar nicht gibt, weil die Erleuchtung die erstgeborene Tochter des wahren Glaubens ist, da erkundigte ich mich allerdings sehr oft und angelegentlich bei ihr, ob die zwischen dem Schwinden und der Wiederkehr ihres Bewußtseins liegende Lücke nicht vielleicht durch irgend eine wenigstens später erwachte Erinnerung auszufüllen sei. Sie wußte aber nichts.«

»Das kann ich nicht begreifen. Nach dem, was ich von dir über die Menschenseele gehört habe, kann in ihrem Leben und in ihrem Bewußtsein niemals eine Pause eintreten.«

»Pause? Das ist das richtige Wort! Du gibst mir da das Gleichnis in die Hand, welches dir, obgleich es nicht ganz treffend ist, doch wenigstens einigermaßen die Erklärung bringt. Du wirst mich verstehen, weil du die Uhteh (guitarreähnliches Saiteninstrument) zu spielen verstehst. Es waren während der Abwesenheit der Seele in dem Gehirn der Scheintoten Pausen entstanden, leere, unempfindlich gewordene Stellen, welche sich auch später unempfänglich für die Töne der Erinnerung zeigten. Aber wenn sie sich auch nicht klar entsinnen konnte, ein nach rückwärts gerichtetes heiliges Ahnen, das fromme Gefühl eines gehabten, seligen Schauens war geblieben, und infolgedessen sah ich die größte Hoffnung ihres Erdenlebens, weiches ein Leben in Armut und in Sorge war, auf das einstige Wiedererwachen der Herrlichkeit gerichtet, welche ihr schwaches, irdisches Gedächtnis nicht hatte festhalten können. Sie lebte bis zu ihrem Tode ein doppeltes Leben, indem sie in aufopfernder Treue und Selbstentsagung für die Ihren arbeitete und jeden von dieser Arbeit freien Augenblick dem Trachten nach der himmlischen Klarheit widmete. Diese ist ihr, wie ich überzeugt bin, nun schon längst geworden.«

»Wie fest, wie fest du glaubst, Sihdi!« meinte Hanneh, indem sie in tiefer Rührung die Hände faltend ineinander legte. »Es gibt wohl nichts, gar nichts, was dich in diesem unerschütterlichen Glauben irremachen könnte?«

»Nichts! Ich habe mit allen möglichen Unholden des äußeren und des Seelenlebens um ihn gerungen und bin auch jetzt noch in jedem Augenblicke bereit, für ihn zu kämpfen und mein Leben einzusetzen. Glaube mir, die in Menschengestalt sichtbaren Feinde sind nicht die stärksten und die schlimmsten Gegner dieser meiner seligmachenden Glaubenszuversicht; die heißesten Kämpfe werden vielmehr im verborgenen Innern ausgerungen, wo der Einfluß dunkler Mächte größer ist als im sichtbaren Leben, welches nur die Wirkungen dieses Einflusses zeigen kann. Wohl dir, meine liebe Hanneh, wenn deine Engel die Hände über dich breiten, um solche Mächte und solche Kämpfe von dir fernzuhalten! Nicht jeder besitzt die Oberzeugungskraft, welche erforderlich ist, siegreich aus ihnen hervorzugehen.«

Da lächelte sie mich herzig an und sagte:

»Sihdi, warum sollte ich kämpfen, also etwas so Schweres tun, was ich ja gar nicht nötig habe? Du hast mir deinen herrlichen Glauben gebracht und mir ihn in mein Herz gelegt. Was du mir gibst, ist gut. Da liegt er nun wie eine Sonne, die mich und mein ganzes Leben heil erleuchtet und erwärmt, und wo es eine solche Sonne gibt, da können finstere Mächte doch nicht sein. Wir haben jetzt hier eine irdische Kijahma erlebt, die Auferstehung eines Leibes von den Toten; du aber hast mir durch deinen Glauben schon längst eine schönere, eine herrlichere Kijahma gebracht, eine Auferstehung der Seele von dem Tode, ein Hervorsteigen aus dem Grabe des Irrtums, in welchem es für mich kein Wiedererwachen, sondern nur Verwesung gab. Diese Kijahma ist für dich im Buche des Lebens aufgezeichnet und wird für dich zeugen, wenn einst deine Taten, Worte und Gedanken abgemessen werden!«

»Sie hat in Gottes Willen gelegen und ist das Geschenk seiner Liebe, die alle Menschen selig machen will; ich besitze kein Recht, mir einen Dank dafür anzumaßen. Es ist ja so leicht, den Glauben in ein Herz zu legen, welches ihm so sehnend, so willig und voll Vertrauen offen steht. Zwar ist dieses Sehnen in jede Menschenbrust gelegt, aber zugleich wohnen da auch die Geister des Hochmutes, der Selbstgefälligkeit, der Genußsucht, des Ungehorsams, der sich nicht strafen lassen will, und noch viele andere, die es nicht zu Worte kommen lassen.«

Da nahm Omar Ben Sadek das Wort, indem er sagte:

»Effendi, du sagst die Wahrheit, wenn du von diesen Geistern redest. Was war ich für ein Mann, als du mich kennen lerntest? Ein nach Rache, nach blutiger Vergeltung schnaubender Mensch, ein Anhänger des Islam, der nur sich selbst liebte, seine Feinde haßte und gegen alle andern Personen nichts als stolze Gleichgültigkeit empfand. Du warst der erste unter allen Leuten, der mich zur Achtung zwang. Darum wünschte ich, ebenso wie Hadschi Halef, unser jetziger Scheik, daß du Muhammedaner werden möchtest, denn wir hatten dir so viel zu verdanken und wollten dir den Himmel gönnen, den wir nur für die Anhänger des Propheten offen glaubten. Wir arbeiteten an dir ohne Unterlaß, zu jeder Zeit; du sagtest nichts dazu; ein Lächeln war alles, was dir unsere Bemühungen entlocken konnten. Ein anderer an deiner Stelle hätte uns mit den Lehren des Christentums bekämpft, und es wäre ein unerquicklicher Wortstreit entstanden, der uns verfeindet und unsere schließliche Trennung herbeigeführt hätte. Du aber warst zu klug, in das Verhalten der Prediger zu verfallen, weiche, ohne unsere Lehren zu kennen, uns zumuten, die ihrigen als richtiger und besser anzunehmen. Du brachtest keine Lehren; du sagtest keine Worte, aber du sprachst in Taten. Du lebtest ein Leben, weiches eine hinreißende, eine überzeugende Predigt deines Glaubens war. Wir waren deine Begleiter und lebten also dieses dein Leben mit. Der Inhalt des deinigen war Liebe, nichts als Liebe. Wir lernten diese Liebe kennen und liebten zunächst auch dich, Wir konnten nicht von dir lassen und also auch nicht von ihr. Sie wurde größer und immer mächtiger in uns, sie umfaßte nicht bloß dich, sondern nach und nach auch alle, mit denen wir in Berührung kamen. Jetzt umfängt diese unsere Liebe die ganze Erde und alle Menschen, die auf ihr wohnen. Wir haben den Kuran vergessen; wir sind gleichgültig geworden für die Gesetze des Propheten, durch weiche die Geister, von denen du sprachst, ihre Macht über uns gewannen. Unser Stamm ist groß und berühmt geworden durch das Beispiel, welches wir befolgten, weil es uns von dir, den wir liebten, gegeben wurde. Wir sind unabhängig geworden durch dich; wir kennen keinen Scheik und keinen Stamm der Dschesireh, von dessen Willen wir uns bestimmen lassen. So haben wir uns auch von der Oberhand des Islam freigemacht. Wir wollten dich zu ihm bekehren, sind aber, ohne daß wir es nur merkten, durch die Predigt deiner Taten, welche nichts als Liebe lehrten, von Muhammed fort und auf das hohe Minareh (Gebetsturm) dieser Liebe hinaufgeleitet worden, von welchem aus es nur ein Gebot und eine Stimme gibt, nämlich die heiligen Worte, weiche wir von dir lernten: Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm!‘ So hast du in uns den Geist der Selbstsucht, des Hasses, der Rache besiegt; so hast du aus uns Menschen gemacht, welche die Friedenspfade Allahs wandeln, und so bin auch ich durch dich aus einem nach Vergeltung schreienden, unerbittlichen Bluträcher ein gläubiger und folgsamer Anhänger des Gottessohnes geworden, der seine Lehre von der ewigen Macht der Liebe durch sein ganzes Leben, durch sein Leiden und dann durch seinen Tod besiegelt und bestätigt hat. Hanneh, die Beglückerin unsere ‚ s Scheikes, ist es nicht allein, welche von einer Kijahma sprechen kann, sondern wir alle haben eine Kijahma gehabt, eine Auferstehung, eine Befreiung, eine Rettung aus dem Reiche des Hasses in das Reich der Liebe und des Friedens. Das, Effendi, wollte und mußte ich dir sagen, weil mein Herz mich dazu treibt, jetzt, wo wir auch eine Kijahma vor uns haben, welche der Schärfe deines Auges zu verdanken ist.«

»Und noch eine Frage«, fiel Hanneh wieder ein. »Besitzt Emmeh, die freundliche Spenderin deiner Behaglichkeit, auch einen so festen Glauben, grad wie du?«

»Ja«, antwortete ich.

»Hat sie ihn stets gehabt?«

»Sie hatte diesen Glauben schon, als ich sie kennen lernte; er lag in der Tiefe ihres Gemütes aufbewahrt.«

»Und da brachtest du den Sonnenschein, der ihn hervorrief an das Tageslicht? Du hast ihn gepflegt mit liebevoller Hand und nun deine Freude daran, wie an einem Baume, an dessen Früchten man sich doppelt erquickt, weil man ihn mit eigener Hand emporgezogen hat. Sihdi, wie gern, wie so gern möchte ich deine Emmeh kennen lernen! Ich würde ihr zuliebe alles tun, ich wäre sogar bereit, mich mit ihr, wenn sie es wollte, in einen Wagen eurer Eisenbahn zu setzen, um mit ihr so weit zu fahren, wie es ihr beliebt!«

»Ich aber mit!« bemerkte Halef schnell. »Frauen bedürfen stets der Unterstützung und des Schutzes, und das freundliche Lächeln, welches sie dann dafür geben, ist dem eigenen mehr als einem fremden Manne zu gönnen!«

»Lächeln?« fragte sie. »Ein freundliches Lächeln? Was meinst du damit, lieber Halef? Wer lächelt da?«

»Ihr!«

»Wir? Also auch ich?«

»Ja.«

»Warum?«

»Weit der – – – der Schutz – – – der Schutz, den sie bedürfen, stotterte er verlegen. Dann wendete er sich rasch und in resolutem Tone an mich: .Sag du es ihr, Effendi! Ich habe mich verritten, und du verstehst dich auf eure Eisenbahnen doch besser als ich, der ich ja noch gar keine gesehen habe! »

Das Gesicht der lieblichsten unter allen Lieblichkeiten hatte einen ernsten, ja strengen Ausdruck angenommen. Nun sah sie mich erwartungsvoll an. Darum erklärte ich ihr, die von dem Lächeln ja gar nichts hatte erfahren sollen, an seiner Stelle:

»Ich habe mit Halef von unsern Eisenbahnen gesprochen, auf denen auch unsere Frauen und Töchter fahren dürfen. Ihnen gefällt es in diesen Wagen so sehr, daß sie vor Vergnügen freundlich zu lächeln pflegen.«

»Und das gefällt ihm wohl nicht?« fragte sie. »Warum soll eine Frau nicht lächeln dürfen, wenn ihr etwas Vergnügen macht? Ich würde auch lächeln, unbedingt lächeln! Hast du vielleicht etwas dagegen, Halef?«

»Nein, gar nichts!«antwortete er, sehr erfreut darüber, daß es mir gelungen war, dieser »lächelnden« Angelegenheit eine unverfängliche Wendung zu geben. »Ich würde im Gegenteile sehr glücklich sein, die Strahlen deines Lächelns auf meinem Angesicht zu fühlen, das weißt du doch! Doch seht, ob ich mich irre! Der vorn Tode Errettete scheint sich zu bewegen!«

Er hatte recht, und das Erwachen des Mekkaners kam seinem Wunsche, den jetzigen Gesprächsgegenstand fallen zu lassen, sehr gelegen.

»Wasser!« klang es wieder wie vorhin leise von den Lippen El Münedschi‘s, welcher sich mit dem Oberkörper aufzurichten versuchte, wobei ihn zwei Haddedihn schnell unterstützten.

 

Es wurde ihm gegeben, und er trank diesesmal mit vollen Zügen. Dann saß er da, ließ seine herrlichen Augen im Kreise gehen, holte tief, tief Atem und sagte dann langsam und wie geistesabwesend, indem er die Hände faltete. ,.Die Menschen schlafen; wenn sie aber sterben, dann wachen sie auf!«

Dann schloß er die Augen und legte sich wieder nieder, wozu er keiner Unterstützung bedurfte. Seine Stimme hatte tief, aber doch sonor geklungen, wie von einer innern Resonanz verstärkt. Die von ihm gesprochenen Worte mögen einem Nichtkenner des Arabischen banal erscheinen; auf mich aber machten sie einen ungewöhnlichen Eindruck, und daß dieselbe Wirkung auch auf die Haddedihn stattfand, belehrte mich ein leises, andächtiges »Amin!« (Amen), weiches die meisten von ihnen, darunter auch Halef, dazu sagten. Diese Worte waren einer der berühmten »Hundert Sprüche« Alis, des Kalifen. Warum der soeben vom Tode Erstandene sie ausgesprochen hatte, ob aus Überlegung oder infolge eines momentanen, innern Antriebes, das wußte ich nicht; aber sie paßten so genau zu der gegenwärtigen Situation und den durch sie hervorgerufenen Gefühlen, daß ich von ihnen nicht nur oberflächlich ergriffen wurde, zumal die Art und Weise, in der sie erklangen, eine so ungewöhnliche war.

Wir standen stumm im Kreise um den Münedschi und warteten, was e nun tun werde. Er lag einige Zeit bewegungslos, langsam und regelmäßig Atem holend. Dann richtete er sich wieder, ohne der Hilfe zu bedürfen, in sitzende Stellung auf, behielt aber die Augen noch geschlossen und sage, mit der Hand neben sich deutend:

»Setz dich zu mir!«

Wir wußten nicht, wen er meinte, aber es schien nicht nur mir, sondern auch allen andern ganz selbstverständlich zu sein, daß ich es war, der dieser Aufforderung folgte.

»Hast du genau gehört, was ich vorhin sagte?« fragte er jetzt.

»Ja«, antwortete ich.

»Kennst du die Worte?«

»Es war der zweite von den hundert Sprüchen des Kalifen Ali Ben Abi Taleb.«

Er neigte den Kopf leicht nach meiner Seite, als ob er, nachdem ich schon gesprochen hatte, noch auf den Ton meiner Stimme lauschte. Dann sagte er, die Augen immer noch geschlossen:

»Der zweite? Das sagst du? Es stimmt! Ich weiß, daß du mehrere dieser Sprüche kennst, aber nicht ihre Reihenfolge. Wie kommt es, daß du jetzt so genau die Nummer Zwei angibst? Das wundert mich. Auch klingt deine Stimme anders als bisher. Die Erklärungen dieses Spruches aber kennst du nicht?«

»Ich kenne sie.«

Er neigte den Kopf noch weiter herzu mir und sein Gesicht nahm während der folgenden Fragen und Antworten den Ausdruck immer größer werdenden Erstaunens an.

»Alle beide?«

»Die arabische und die persische.

»Wer hat sie gegeben?«

»Der persische Dichter Reschid ed Din Abd el Dschelil, welcher den Beinamen Watwat bekommen hat.«

»Wie? Du kennst ihn so ausführlich!«

»Er lebte an den Höfen dreier Herrscher und starb im Jahre 578 (1182 n. Chr.) der Hedschra (Juni 622 n. Chr.).

»Maschalfah! Wie lautet die arabische Erklärung dieses zweiten Spruches des vierten der Kalifen?«

»So lange die Menschen in dieser Welt leben, sind sie ohne Sorge. Sie scheinen in einem so tiefen Schlummer zu liegen, daß sie darüber die Wonnen des Paradieses und die Flammenpein der Hölle vergessen. Aber wenn sie sterben, dann wachen sie auf von diesem Schlummer der Sorglosigkeit und bereuen ihre Saumseligkeit im Dienste dessen, der sie geschaffen hat, und machen sich selbst Vorwürfe über ihre Nachlässigkeit im Danke gegen den, der ihnen alles gespendet hat, aber erst dann, wenn die Reue zu spät kommt und die Selbstvorwürfe nutzlos sind!«

»Und die persische Erklärung?«

»Die Menschen sind während ihres Aufenthaltes auf dieser Erde unbekümmert uni die Angelegenheiten der andern Weit. Erst wenn sie sterben, erwachen sie aus dem Schlafe der Gleichgültigkeit, dann erkennen sie, daß sie den Wert des Lebens nicht beachtet haben und nicht den rechten Weg gegangen sind, und bereuen ihre schlimmen Reden und verwerflichen Taten; aber dann hilft und nützt ihnen dies nichts mehr!

Jetzt war seine ganze Körperhaltung und jeder Zug seines Gesichtes zum sprechendsten Ausdrucke aufmerksamen Lauschens geworden. Er wartete eine Weile und fragte dann:

»Bist du El Ghani, mein Wohltäter, von dem ich dachte, daß er jetzt bei mir säße?«

»Nein.«

»So sag, o sag, ob du mit diesen beiden Erklärungen einverstanden bist!«

»Sie haben meinen Beifall nicht, denn sie sind zu oberflächlich. Den tiefen Sinn des Spruches lassen sie unberührt liegen. »

»Und welches ist dieser Sinn?«

»Die Menschen schlafen; wenn sie aber sterben, dann wachen sie auf. Das heißt: Die Menschen leben wie Schlafende, mit geschlossenen Augen, sie sehen nicht die Beweise eines ewigen Lebens, und wenn sie die Stimmen Allahs und seiner Boten hören, so glauben sie, zu träumen, und folgen ihnen nicht. Aber dann, wenn der Tod sie aus diesem Schlafe rüttelt und sie die Augen öffnen müssen, dann sehen sie sich unvorbereitet jenseits der großen Grenze, über welche sie nicht zurückkönnen, um das Versäumte nachzuholen. Dann wird ihr Erwachen ein Beben und ihr Sehen ein Erschrecken sein.«

»Allah, Allah!« rief er da aus. »Ich glaubte, auf die Erde zurückgekehrt zu sein, und befinde mich doch noch bei dir, der du mich geleitet hast! Nein, du bist nicht Ei Ghani, der niemals solche Worte hat. Nimm mich wieder bei der Hand, und sage mir, ob ich auch zu denen gehöre, die mit geschlossenen Augen leben und deren Erwachen so schrecklich sein wird!«

»Hast du die Liebe?

Warum tat ich grad diese Frage? Wohl weil ich kurz vorher mit den Haddedihn von der Liebe gesprochen hatte. Das Verhalten und die Worte des Arabers waren mir nicht klar. Ich wußte nicht eigentlich, wen er mit ihnen meinte. Die Szene war überhaupt eine ganz eigenartige. Rings um uns die verbrannte, unbegrenzte Wüste, über weicher auch noch jetzt die Geier hungrig schwebten, die während der Nacht wohl in unserer Nähe gesessen hatten, die grotesken Formen der hochbeinigen, höckerigen Kamele, der andächtige Kreis der phantastisch gekleideten Beduinen, der rätselhafte, fremde Mann hier neben dem offenen Grabe mit seinen mir unerklärlichen Reden, unser vorhergehendes, religiöses Gespräch und die Stimmung, in weicher ich mich infolgedessen befand, dazu die Bedeutung des wie mit aus dem Grabe auferstandenen Ali-Spruches, das alles zusammen mochte als Ursache wirken, daß ich nichts anderes als nur diese Frage brachte.

»Die Liebe?« antwortete er. »Wird grad sie so wichtig für den Augenblick des Erwachens aus dem Schlafe sein?«

»Nur sie allein ist wichtig. Sie ist das Öl der Lampe, ohne welche du den rechten Weg nicht finden kannst.«

»Das Öl? Der Lampe?« fuhr er aus seiner noch immer wie lauschenden Haltung empor. »Das klingt ja wie der Gang der Jungfrauen zur Nikiah (Hochzeit)!«

»Ja«, fiel ich unter dem Eindrucke dieses Wortes, ohne zu bedenken daß ich einen Moslem vor mir hatte, der nicht wissen durfte, daß ich Christ war, schnell ein. »Das Himmelreich wird gleich sein zehn Jungfrauen, weiche ihre Lampen nahmen, um auszugehen, dem Hochzeitszuge entgegen. Fünf von ihnen waren töricht und fünf aber klug; die fünf Törichten nahmen zwar ihre Lampen, aber sie nahmen kein Öl mit sich; die Klugen hingegen aber nahmen samt den Lampen auch Öl in ihren Gefäßen mit. Als nun der Bräutigam verzog, wurden alle müde und entschliefen. Um Mitternacht aber erhob sich ein Geschrei: Siehe, der Bräutigam kommt; gehet heraus, ihm entgegen! Da standen alle diese Jungfrauen auf und richteten ihre Lampen zu. Die Törichten aber sprachen zu den Klugen: Gebt uns von eurem Öle, denn unsere Lampen verlöschen! Da antworteten die Klugen und – – – —