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Am Jenseits

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»Das brauchst du gar nicht erst zu fragen«, antwortete Halef. »Du hast sehr recht daran getan, dir zunächst unsere Achtung zu erwerben. Sie ist euch geworden, und die Liebe ist auch schon unterwegs!«

.Das wünsche ich. Es gibt ein reiches Feld für sie wohl überall, vor allen Dingen aber hier in diesem vom Haß zerrissenen Lande. Allah will das Glück der Menschen; er bietet es ihnen an, schon seit es Menschen gibt; sie greifen aber nicht zu, es von ihm zu nehmen. Sie suchen es an Orten, die fern von seinen Wegen liegen!«

Ich verwunderte mich im stillen immer mehr über diesen seltenen Mann. Er war ein Suchender, und wer sucht, der findet; so lautet die Verheißung. Ich sah, da es nun heller wurde, sein Gesicht, nicht plötzlich, sondern nach und nach, um so deutlicher, je heller der Morgen wurde. »Das ist Petrus!« sagte ich mir. Und es war so! Je mehr es tagte, desto bestimmter trat seine Ähnlichkeit mit diesem Jünger, wie er auf dem bekannten Abendmahlsbilde von Leonardo da Vinci zu sehen ist, hervor. Ich hätte es ihm am liebsten sagen mögen, aber ich durfte dieses Bild ja gar nicht kennen!

Welch ein anderes, geradezu fürchterliches Gesicht war dagegen jetzt dasjenige des Ghani! Der »Liebling des Großscherif«! Er sah nichts weniger als wie ein Liebling aus. Seine aufgedunsene Physiognomie wirkte mehr als abstoßend; seine Augen waren mit Blut unterlaufen, seine Lippen blau. Er bot einen mehr tierischen als menschlichen Anblick dar. Sein Gewand war mit Blut getränkt. Und die Leiche auf seinem Rücken es war schrecklich!

Halef betrachtete ihn auch. Er sah es, und da brach er nach so langem Schweigen brüllend los:

»Hund, schau nicht her! Euch, euch habe ich dieses Elend zu verdanken, nur euch, euch allein! Ich verfluche euch, verfluche euch beim Himmel und der Hölle! Seid alle, alle verflucht, und – – – »

Doch still! Denn was nun noch folgte, kann unmöglich wiedergegeben werden. Als Halef annahm, daß er sich ausgetobt hatte, sagte er ihm:

»Schieb ja die Schuld nicht auf uns; du trägst sie ganz allein, wie du die Leiche deines Sohnes trägst. Der Effendi hat dir vorher gesagt, daß dein Gelächter sehr bald enden und sich in das Gegenteil verkehren wird. Nun ist es so eingetroffen. Die Last, welche auf dir liegt, hast du dir – – – »

Weiter konnte er nicht sprechen, denn er wurde von einem neuen Ausbruche des Ghani unterbrochen. Ich bat ihn, doch lieber zu schweigen, und er gab mir recht. Wir ließen diesen Auswurf den Beni Lam über und nahmen uns des Münedschi an, weicher von dem immerwährenden Hin und Herreiten so geschwächt war, daß er gar nicht mehr recht zu sich kam. Wir richteten ihm den Sitz im Sattel so bequem wie möglich her, banden ihn fest und ließen ihn dann, als wir aufgebrochen waren, zwischen uns reiten.

Es ging zu der schon öfters erwähnten Enge hinaus und nach der Stelle, wo sich die Kamele der Beni Lam befanden, hierauf setzte sich der Scheik derselben an die Spitze und führte den Zug hinaus auf die offene Sandwüste, wo wir nach der von uns schon zweimal gerittenen Linie einlenkten. Später ging es über den Serir, die Wüste des glatten Steines, bis wir die Wüste der Felseninseln durchritten, in welcher der Bir Hilu lag.

Noch ehe wir diesen ganz erreicht hatten, trafen wir auf einen ausgestellten Beni-Lam-Posten, welcher seinem Scheik meldete, daß sich nichts Neues ereignet habe und die Grube bereit zur Aufnahme der Leichen sei. Was für eine Grube und was für Leichen gemeint seien, das sahen wir zu unserem Grausen, als wir den Platz erreichten, auf welchem der Zweikampf zwischen uns und den Beni Khalid stattgefunden hatte.

Dieser Platz war von über dreihundert Beni Lam belebt, von denen, wie wir sahen, eine ziemliche Anzahl verwundet war. Sie empfingen uns still, was wohl eine Folge der Tätigkeit war, welche sie hier zu verrichten gehabt hatten. Nämlich der Felsen, welcher den Platz im Norden begrenzte, derselbe, den wir mit dem Münedschi erstiegen hatten, besaß eine nicht sehr breite, aber tief einschneidende Bucht, welche von dem Winde fast bis oben mit den leichtesten Teilen des Sandes, also mit Flugsand, vollgeweht worden war. Das hatten wir früher wohl gesehen, aber nicht zu beachten gehabt. Dieser Sand nun war herausgeschafft und vor dem Felsen für einstweilen aufgehäuft worden. Man hatte auch noch den Boden möglichst tief ausgeworfen, so daß eine ganz bedeutende Grube entstanden war, weiche an drei Seiten von den aufragenden Felswänden eingeschlossen wurde. Vor dieser Spalte, dieser Grube lagen die aus dem ganzen Umkreise, soweit der Kampf gewütet hatte, zusammengetragenen Leichen der Gefallenen. Die erschreckend große Zahl dieser Toten bewies, daß das Wort »gewütet« keine Übertreibung war. Nun erst erfuhren wir, wie es sich zugetragen hatte.

Als wir, vom Süden zurückkehrend, um dem Perser nachzureiten und ihn zu retten, am Brunnen vorübergewesen waren, hatten die Beni Lam den Platz besetzt und, hinter den Felsen Stellung nehmend, auf die Beni Khalid gewartet. Diese waren zwar ziemlich vorsichtig herangekommen, weil es doch in der Möglichkeit gelegen hatte, daß wir hiergeblieben waren, doch daß auch andere Feinde, und zwar in solcher Zahl, hier stecken könnten, dieser Gedanke war ihnen gar nicht in den Sinn gekommen. Sie hatten auf dem Brunnenplatze einen kurzen Halt gemacht, und da war es gewesen, wo von allen Seiten her die Schüsse ganz unerwartet gekracht hatten und die Beni Lam auf sie eingedrungen waren. Scheik Abd el Idrak hatte zu uns ganz richtig gesagt: »Nur kurze Zeit; in wenigen Minuten war es aus!« Ja, es war ausgewesen, und wie mochte es dann auch ausgesehen haben! Der Boden sah noch jetzt so rot vom Blut aus, daß es fast keine anders gefärbte Stelle gab. Jetzt lagen die erbeuteten Kamele da. Auch sahen wir einen ganzen Haufen ebenso erbeuteter Waffen und allerlei Gegenstände liegen, welche den Toten aus den Taschen genommen worden waren. Die nicht oder nur leicht verwundeten Beni Khalid waren schon nach kurzer, aber um so blutiger Gegenwehr in wilder Flucht davongejagt; viele hatten sich nur zu Fuß retten können! Voraussichtlich hatten nun lange, lange Jahre zu vergehen, ehe sie daran denken konnten, für diese Niederlage Rache zu nehmen.

Die Leichen zu zählen, das unternahmen wir gar nicht, denn schon der ,bloße Anblick tat ja wehe! Sie lagen in einem großen, weiten Halbkreise um die Felsengrube. Da, wo wir standen, sahen wir auch einen nur zu bekannten liegen, nämlich den speerwerfenden »Vater der Selbstverständlichkeit«. Er war »natürlich« auch mit gefallen; seine Armmuskeln hatten ihn nicht retten können.

Da zeigte Abd el Idrak nach der anderen Seite.

»Kennt ihr den?« fragte er.

Da sahen wir, sitzend aufgerichtet und mit dem Rücken an den Felsen gelehnt, den Scheik Tawil Ben Schahid! Er hatte mitten in sein schon von Halefs Peitsche gezeichnetes Gesicht einen Kolbenhieb bekommen, der ihn fast unkenntlich machte; den Tod aber hatte ihm eine Brustwunde gebracht. Er war während des Hauptkampfes nicht zugegen gewesen, sondern dann später ebenso abgefangen worden wie die vierzig Mann, die er in zwei Abteilungen zurückgeschickt hatte, um den Kanz el A‘da für sich allein zu haben. Ohne diese Selbstsucht hätte er sich mit seinem Truppe vielleicht retten können.

»Das Grab, das Grab zwischen uns und ihm!« sagte Halef, indem er erst auf ihn und dann auf die Grube deutete. »Sind dir die Worte, welche er sagte, noch gegenwärtig, Effendi?«

»Ja«, antwortete ich.

»Wie lauteten sie doch?«

»Von diesem Augenblicke an gähnt zwischen uns ein Grab. Wen es aufzunehmen hat, mich oder euch, das mögen die entscheiden, bei denen ich geschworen habe – – – oder mag es auch die Liebe entscheiden, die eure angebetete Götzin ist. Ich habe nichts dagegen!«

»Ja, sie hat entschieden, und er kann nun freilich nichts dagegen haben! Ist es nicht sonderbar, daß uns jetzt solche Reden schon wiederholt ganz genau, fast wörtlich, in Erfüllung gegangen sind?!«

»Es ist das mehr als sonderbar. Es ist mir das einige Male mit meinen eigenen Worten passiert; es möchte mir fast vor mir selber grauen. Ich sage nichts mehr derartiges! Komm, wir wollen gehen. Dieser Anblick tut mir sogar körperlich wehe!«

Wir gingen nach dem Brunnen, wo man den Münedschi hingesetzt hatte. Er war nicht allein. Der Ghani befand sich bei ihm. Dieser war damit beschäftigt, drei Kamele zu tränken, nämlich das seinige, das des Blinden und auch dasjenige, welches die Leiche seines Sohnes hierhergetragen hatte; er war nur für die Nacht mit ihr zusammengebunden und dann früh, kurz bevor wir aufbrachen, von ihr befreit worden.

»Es scheint ganz so, als ob er den Toten mit sich nehmen will«, sagte Halef zu mir.

»Und den Münedschi wohl auch!«

»Dulden wir das?«

»Hm! Eigentlich gehört der Blinde nicht zu uns, sondern zu ihm.«

»Jetzt nicht mehr, denn der Ghani hat sich als ein Mensch erwiesen, dem so ein armer Mann unmöglich anvertraut bleiben darf. Bist du einverstanden, daß wir uns seiner annehmen?«

»Sehr gern sogar!«

»Gut; ich werde sofort mit dem Blinden sprechen!«

Dieser war grad jetzt bei voller Besinnung. Wir traten zu ihm und Halef fragte:

»Weißt du, o Münedschi, wo du bist?«

»Ja; mein Beschützer hat es mir gesagt.«

»Dein Beschützer? Hältst du ihn auch jetzt noch dafür?«

»Er wird es bleiben, so lange ich lebe. Ich weiß, daß unsere Gefährten erschossen worden sind; aber ich bleibe bei ihm und reite mit ihm heim nach Mekka.«

»Das ist dein Ernst?«

»Ja!«

»Bist du vollständig wach und munter?

»Ich bin im Besitze meiner vollsten Selbständigkeit. Deiner Stimme nach bist du der Scheik Hadschi Halef?«

»Ja, der bin ich.«

»Wo ist der Effendi aus dem Wadi Draha?«

»Er steht hier neben mir.«

»So muß ich ihm ein Wort sagen! Effendi, ich weiß, daß ich dich verkannt habe und bitte dich um Verzeihung. Wirst du sie einem alten, blinden Manne versagen?«

 

»Nein. Ich habe dir überhaupt nicht gezürnt«, antwortete ich. »Das kann ich dir durch die Mitteilung beweisen, daß wir uns entschlossen haben, dich mit uns nach Mekka zu nehmen.«

»Ich danke euch für diese Güte, kann sie aber nicht annehmen.«

»Warum?«

»Weil ich bei dem Ghani, meinem Beschützer, bleibe.«

»Bei diesem – – – »

»Sag nichts weiter!« unterbrach er mich.

»Wenn du wüßtest, wie wehe du mir damit tust, würdest du ganz gewiß gern schweigen. Mein Herz hängt an ihm. Sei gut mit mir, und dränge nicht in mich, ihn zu verlassen!«

»Du bist also überzeugt, dich ihm auch ferner anvertrauen zu dürfen?«

»Vollständig! Wenn ihr mich mit Gewalt von ihm nehmen wolltet, müßte ich mich so nach ihm grämen, daß ich mein Unglück mehr als doppelt fühlen würde!«

»Wenn du so sprichst, dürfen wir nicht weiter in dich dringen. Wann will er fort?«

»Wenn die Kamele getrunken haben. Laßt uns nicht hungern; gebt uns Essen mit, und auch Tabak für mich!«

»Das sollst du haben. Wir reiten hinter euch drein, und ich denke, daß wir uns sehr bald wiedersehen. Wehe dann ihm, wenn wir erfahren, daß er dich leiden läßt!«

Während dieses Gespräches hatte der Ghani getan, als ob er sich gar nicht um uns bekümmerte. Jetzt drehte er sich nach uns um und rief uns mit einer Stimme, welche vor innerm Ingrimm heiser klang, zu:

»Ich rufe auch ein Wehe über euch, schon jetzt! Ja, du hast recht; wir sehen uns wieder. Aber dann – – – dann – – – dann – – »

Er fletschte die Zähne und schüttelte drohend die Fäuste. Wir erwiderten hierauf nichts und entfernten uns. Er rief uns noch nach:

»Drei Kamele kann ich bloß mitnehmen. Bezahlt mir die andern drei, ihr Hunde!«

Abd el Idrak stand in der Nähe. Er hörte das, zuckte die Achsel und meinte:

»Abu Kurban könnte ihm alle sechs nehmen, als Ersatz für die geraubten, die in El Kasab verkauft worden sind. Hört nicht mehr auf diesen Menschen!«

Wir befolgten diesen Rat, doch als ich nach einiger Zeit sah, daß der Blinde von seinem »Beschützer« auf das Kamel gesetzt und dort festgebunden wurde, ging ich doch noch einmal zu ihm, um ihm für voraussichtlich kurze Zeit Lebewohl zu sagen. Tabak und Proviant hatte ich ihm vorher geschickt. Sie

ritten miteinander und mit der Leiche auf dem dritten Kamele fort, ohne daß sich jemand um sie kümmerte, ausgenommen Halef, Hanneh, Kara und der Perser. Diese sahen ihnen noch nach, bis sie hinter dem nächsten Felsen verschwunden waren. Im stillen war mir um den Münedschi angst.

Die Toten wurden in die Grube, und dann, als diese voll war, noch immer weiter übereinander gelegt, bis sie alle waren und sich die Einbuchtung des Felsens von ihnen fast gefüllt hatte. Obenauf kamen die wenigen Gefallenen der Beni Lam zu liegen. Dann wurde der ausgeworfene Sand auf sie geschüttet, bis er eine hinreichende Decke über ihnen und an der offenen Seite herunter bildete. Dadurch wurde der Riß im Gestein so vollständig geschlossen, daß niemand außer dem Eingeweihten wissen konnte, was er enthielt. Der Scheik hatte vorher die Gebete des Todes gesprochen, und jetzt befahl er, daß fünfzig Krieger dreimal schießen sollten, ganz so, wie wir es über das Grab der Soldaten getan hatten. Dieser militärische Brauch hatte ihm imponiert.

Diese Bestattung hatte längere Zeit in Anspruch genommen, und dann gab es noch soviel zu verrichten, daß die Beni Lam gar nicht daran denken konnten, den Bir Hilu heute schon alle zu verlassen. Die Mehrzahl von ihnen mußte des Wassers wegen allerdings fort. Aus demselben Grunde hatten sie den Heimweg in verschiedenen Abteilungen über verschiedene Brunnen zu nehmen, um nicht Mangel leiden zu müssen. Der Scheik blieb bis zuletzt da, und da es bis zu unserm nächsten Ziele, der Ain Bahrid, eine ganze Tagesreise war und wir, auch schon der Spur des Ghani wegen, nicht des Nachts unterwegs sein wollten, so hatten wir uns entschlossen, diesen Weg erst morgen früh anzutreten.

Aber es kam anders, als wir uns vorgenommen hatten.

Da Abd el Idrak die Beschäftigungen seiner Leute nur überwachte und sich nicht auch daran beteiligte, so hatte er Zeit, bei uns zu sein, und das nützte er so reichlich aus, daß er sich fast keinen Augenblick von uns entfernte. Gesprächsstoffe waren überreich vorhanden. Am meisten natürlich wurde über sein und unser Zusammentreffen mit den Beni Khalid gesprochen, und das brachte uns wieder und immer wieder auf den Münedschi, auf Ben Nur und auf die von ihm oder, um ausführlicher zu sein, von ihnen erhaltenen Lehren zurück. Der Scheik gehörte zu den nicht sehr zahlreichen Menschen, denen die Religion Herzenssache, ja die wichtigste Sache ihres Lebens ist. Auch davon abgesehen, daß er sich zum Islam bekannte, war er noch nicht auf den eigentlichen Grund davon gekommen, warum es grad so sein muß und nicht anders sein soll oder doch sein sollte, und nun hatte er hier von Ben Nur einen so wichtigen Fingerzeig bekommen, der ihn auf diesen Grund aller Gründe, die Liebe, aufmerksam machte. Er hatte sogleich und mit Feuereifer zugegriffen und fühlte sich von der entdeckten Neuheit, die doch so uralt ist, weil sie von Anfang war, so begeistert, daß er hunderte von Fragen hatte, deren Beantwortung selbst für einen, der diesen Stoff beherrschte, eine Kunst zu nennen war. Diese seine Entzückung riß auch uns mit sich fort, und so fragten und antworteten wir uns immer mehr ineinander hinein, bis wir, als wir am späten Abend endlich doch aufhören mußten, bemerkten, daß wir uns herzlich liebgewonnen hatten. Nicht nur seine innern Vorzüge, auch sein Äußeres, sein Petrusgesicht, hatten es mir angetan. Er fühlte diesen Zug der Herzen ebenso wie wir und sagte, indem er glücklich lächelte:

»Es scheint ganz so zu sein, wie Hadschi Halef heut früh verkündigt hat: ,Die Achtung ist euch geworden, und die Liebe ist auch schon unterwegs!‘ Ja, die Liebe, sie hat sich wirklich eingefunden, wenigstens was mich betrifft! Ich möchte so gern weiter fortschreiten in ihr und bin so unbeholfen. Ich möchte sie gern so fest haben, daß sie mich nimmer wieder verlassen kann , ich möchte sie meinem ganzen Stamm verleihen und weiß doch nicht, wie ich das anzufangen habe; ich bin noch zu unerfahren und zu ungeschickt dazu. Ich brauche euch; ja, ja, ich brauche euch; ich muß euch noch haben, wenn auch nur für noch kurze Zeit! Und darum spreche ich die Bitte aus: Kommt für einige Tage mit uns! Seid unsere lieben, hochwillkommenen Gäste! Ich weiß, daß euch ein schnelles Nein auf den Lippen liegt; aber ich flehe euch an, es ja nicht auszusprechen! Ihr bringt Glück in unsere Zelte, und wer Glück spenden kann, der darf ja nicht unterlassen, es zu tun. Sagt also ja statt nein, ich bitte euch von Herzen!«

Wir sahen einander an, und während wir uns so anschauten, ließ jeder ein vergnügtes Lachen hören. Und in dieses Lachen hinein ertönte Hannehs Stimme:

»Wir nehmen die Einladung an; wir gehen mit, ich will die Frauenzelte der Beni Lam kennenlernen!«

Da war das große Wort ja schon gesprochen! Wir waren nicht abgeneigt, die Bitte des Scheikes zu erfüllen, und hätten es wahrscheinlich nach einigen Wiederholungen derselben getan, aber da es eine solche Fürsprache gab, lachte Halef noch lauter als vorher, sprang auf und rief:

»Oh, Hanneh, du Retterin aus der schwersten Not der Unentschlossenheit, gesegnet sei dein Wort! Nie schlage ich dir eine Bitte ab, auch diese nicht. Du sollst die Zelte kennenlernen, nach denen du dich sehnst!«

Da bat Abd el Idrak den Hadschi um die Erlaubnis, zu Hanneh gehen und ihre Hand küssen zu dürfen.

ja, küsse sie; sie hat‘s um dich verdient!« antwortete Halef. »Küsse ihr auch die andere! Und wenn du dann noch weiterküssen willst, so habe auch ich zwei Hände, und auch die andern haben jeder deren zwei! Dann legen wir uns schlafen, denn wenn wir mit dir ziehen, ist der Weg des morgenden Tages sehr weit, und wir müssen sehr früh zum Aufbruche fertig sein!«

So wendet sich der Weg des Menschen oft anders, als er denkt! Wir sollten später erfahren, daß dieser so rasch beschlossene Besuch bei den Beni Lam ein für uns nicht nur wichtiges, sondern, wie sich herausstellte, fast unvermeidliches Ereignis war. Und es kam noch etwas ganz Überraschendes dazu.

Nämlich, als wir am andern Morgen aufbrachen, schlugen wir natürlich nicht den Weg nach der Ain Bahrid ein, sondern den kürzesten, den es nach dem Gebiete der Beni Lam gab. Das war eine äußerst seiten von einem Wanderer benützte Richtung, wie uns der Scheik sagte, und darum wunderten wir uns, als wir um die Mittagszeit auf eine Spur trafen, welche quer über die unsrige ging und nach einer Gegend lief, wo es mehrere Tagereisen weit keinen Brunnen gab. Die Stapfen deuteten auf drei Kamele und auf die Zeit von gestern. Als wir eine Viertelstunde geritten waren, kehrte diese Spur zurück. Da blieb Abd el Idrak halten und sagte:

»Das ist auffällig! Wer so in die trockene Wüste reitet und so stracks wieder umkehrt, den kann nur ein ganz bestimmter Grund geführt haben. Und dieser Grund ist, daß es in der Einöde da einen verborgenen Brunnen gibt, den der, welcher ihn braucht, mit einem Fell und mit Sand bedeckt, damit ihn weiter niemand finde. So ein Wasser ist von größter Wichtigkeit, und ich schlage vor, wir reiten hin, um uns zu überzeugen. Weit fort von hier geht es ja nicht; das sieht man an den Spuren.«

Halef zeigte ein bedenkliches Gesicht; nach der Ursache gefragt, antwortete er:

»Mir will es nicht gefallen, daß es grad drei Kamele sind. Ich muß an den Ghani denken. Die Spur kommt aus der Gegend seines Weges. – Was sagst du dazu, Effendi?«

»Ich bin deiner Ansicht«, stimmte ich bei. »Wir folgen der Fährte und zwar schnell! Wer weiß, was er vorgehabt hat, wenn er es gewesen ist. Etwas Gutes jedenfalls nicht!«

Es ging nun also quer vom Wege ab, in die Wüste hinein, und zwar in viel schnellerem Tempo als bisher. Unsere Spannung wuchs, je weiter wir kamen. Es vergingen zwei Viertelstunden und auch fast noch die dritte; da sahen wir endlich einen Gegenstand, welcher mitten in der tiefsten Einsamkeit im Sande lag. Näher kommend, sahen wir, daß er sich bewegte, und als wir ihn erreichten, erscholl ein Schrei der Empörung aus alter Munde; es war ein Mensch; es war – – – der Blinde!

Er lag abseits von dem Ende der Fährte. Er war gebunden, und wir sahen, daß er sich in seiner Todesangst von ihr fortgewälzt und immer weitergewunden hatte bis hierher, wo er nun lag. Er hatte die Augen geschlossen, ein Zeichen, daß er in diesem Augenblicke geistesabwesend war. Seine Bewegungen, weiche wir gesehen hatten, schienen unwillkürlich gewesen zu sein. Jetzt lag er still.

Das war eine Tat von höchster Grausamkeit! Später erfuhren wir von ihm das Nähere. Der Ghani hatte ihn ausgefragt, wen er für den Dieb des Kanz el A‘da hatte.

»Dich«, hatte er geantwortet. »Auch die Soldaten hast du mit gemordet. Aber ich bleibe trotzdem bei dir, denn du bist mein Wohltäter, den ich nicht verlassen darf.«

Das war am Brunnen geschehen, ehe ich mit Halef hinkam. Der Ghani sah also in dem Münedschi einen Zeugen seiner Verbrechen, der ihn in Mekka verraten konnte, und den er darum unschädlich zu machen beschloß. Für einen direkten Mord zu feig, beschloß er, ihn in der Wüste auszusetzen, und führte diesen gräßlichen Vorsatz, wie wir nun sahen, aus.

Wer hatte uns zu seiner Rettung hergeführt? Der Zufall? O nein! Oder der Weg, den wir ja doch zu reiten hatten? Auch nicht, denn der Scheik hatte über den Bir Nafad gewollt und erst gestern, als wir beschlossen, mit ihm zu gehen, sich für den heutigen, den kürzeren, wenn auch wasserlosen, entschlossen. Ich bin überzeugt, daß wir geführt worden waren!

Wir flößten dem beklagenswerten Manne Wasser ein, weiches ihn sichtlich erquickte, doch wachte er nicht dabei auf. Als wir ihn auf irgendwelche Verletzung untersuchten, fanden wir keine; er hatte einfach verschmachten sollen.

»In Mekka, in Mekka!« knirschte Halef. »Ghani, Ghani, für dich wäre es besser, du selbst wärest hier verhungert und verdurstet, als daß wir kommen, um dich in der heiligen Stadt in deinem Ruhm zu stören!«

In ganz derselben Weise sprachen sich auch die andern aus. Ich aber sagte nichts, gar nichts. Ich fühlte keinen solchen Zorn, keinen Grimm wie sie; ich fühlte nichts als eine tiefe, tiefe Traurigkeit. Auswurf der Menschheit und Gottes Ebenbild, welche Stufen gibt es zwischen dieser Tiefe und dieser Höhe! Welche von ihnen ist‘s, auf der wir selber stehen?

Der Blinde bekam das ruhigste Kamel und den besten Platz, den wir ihm schaffen konnten. Dann ritten wir zurück. Er bewegte sich nicht. Sein tief eingefallenes Gesicht war dasjenige eines Toten. Aber als wir die Stelle, an welcher wir abgebogen waren, erreichten und uns unserer ursprünglichen Richtung zukehrten, da hob er den Arm, deutete nach dort, wo wir ihn gefunden hatten und sagte in dem tiefen Tone Ben Nurs:

 

»Schaut noch einmal zurück, und merkt euch diese Stelle, denn ihr kommt wieder her, wenn abgerechnet wird!«