Za darmo

Am Jenseits

Tekst
Autor:
0
Recenzje
iOSAndroidWindows Phone
Gdzie wysłać link do aplikacji?
Nie zamykaj tego okna, dopóki nie wprowadzisz kodu na urządzeniu mobilnym
Ponów próbęLink został wysłany

Na prośbę właściciela praw autorskich ta książka nie jest dostępna do pobrania jako plik.

Można ją jednak przeczytać w naszych aplikacjach mobilnych (nawet bez połączenia z internetem) oraz online w witrynie LitRes.

Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

»Entweder hat dieser Mann kein gutes Gewissen, oder er ist ein stolzer, eingebildeter Moslem in hoher Stellung in Mekka. Vielleicht ist auch beides zu gleicher Zeit der Fall; aber recht hat er doch gehabt: Er bedarf unserer Hilfe, und wir müssen sie ihm bringen, ohne ihn vorher nach allem ausgefragt zu haben. Glücklicherweise sind wir mit Wasser so reichlich versehen, daß diese Wohltätigkeit uns nicht selbst in Gefahr bringen wird. Reiten wir also hin!

Wir bogen daher von unserem Wege ab und ließen uns von Omar Ben Sadek nach der betreffenden Stelle führen, die wir nach vielleicht drei Viertelstunden erreichten. Da lagen die Kamele noch so, wie sie sich vor Erschöpfung niedergeworfen hatten; die Höcker waren abgezehrt, man sah nicht die geringste Lippenbewegung des Wiederkäuens. Die fünf Männer hockten in einem engen Kreise, in dessen Mitte man den noch immer verhüllten Toten in sitzende Stellung aufgerichtet hatte, in welcher er durch die tief in den Sand gesteckten, langläufigen Gewehre unterstützt und gehalten wurde. Sie beteten laut. Als wir bis ganz nahe herangekommen waren, unterbrachen sie sich, und der Vorbeter, dem die andern Satz um Satz nachsprachen, sagte in mehr befehlendem als bittendem Tone:

»Ich sehe, daß ihr Wasser und trockenes Maisstroh habt. Gebt den Kamelen zu saufen und zu fressen, und laßt uns einige volle Schläuche hier. Dann aber stört uns nicht weiter im Gebete für den, den Allah abgerufen hat!«

Das war ja außerordentlich bescheiden von diesem Manne! Hier. wo das Futter und noch viel mehr das Wasser so kostbar war, sollten wir zunächst seine Tiere tränken und sättigen und dann gleich mehrere volle Schläuche hergeben; und zwar ohne ein Wort des Dankes abzuwarten, da er uns ja die Weisung gab, sie dann nicht zu stören, also wieder fortzureiten! Halefs Hand zuckte nach der Peitsche aus Nilpferdhaut, die er stets im Gürtel hängen hatte und gern öfter in Bewegung setzte, als ich ihm erlauben durfte. Ich winkte ihm aber ab.

»Ich soll ihm nicht die Peitsche geben?« fragte er leise, aber zornig. »Ist es nicht die größte aller Unverschämtheiten von diesem Menschen, das von uns zu verlangen, was er soeben gefordert hat?«

»Allerdings; aber das ist noch kein Grund, um gleich zuzuschlagen. Du befindest dich hier unter stolzen, rachsüchtigen Arabern und nicht bei geknechteten Fellachen, bei denen man die Peitsche schwingen kann, ohne dies später blutig bezahlen zu müssen!«

»So sag, was wirst du tun?«

»Wir geben den Kamelen Wasser und Stroh; diese armen Tiere sollen nicht unter der Unverschämtheit ihrer Besitzer leiden.«

»Und diese?«

»Bekommen weiter kein Wasser, außer sie bitten uns sehr höflich darum. Wir bleiben hier lagern.«

»Hier? Bei diesen Kerls? Hamdulillah! Preis sei Allah, der dir diesen kostbaren Gedanken eingegeben hat! Denn wenn wir hier bei ihnen bleiben, werden wir wahrscheinlich etwas erleben, sie aber auch!«

»Wir hätten überhaupt nicht viel weiter reiten können, denn dann wird es Nacht, und da wir hier doch einmal einige Zeit versäumen, halte ich es für das beste, wir bleiben gleich da. Gib also deinen Leuten die nötigen Befehle!«

Da wir dieses Mal die Haddedihn bei uns hatten, brauchte ich mich um nichts zu bekümmern; es wurde mir jede Handreichung sehr gern und mit Liebe gelistet. Ich stieg also vom Hedschihn, gab die Stelle an, wohin ich meinen Teppich gelegt wünschte, und ging dann zu meinem Hengste. um ihn zu liebkosen und dabei einige Datteln knuspern zu lassen. Er war diese Aufmerksamkeit von mir gewohnt und dankbar dafür. Hierauf machte ich es mir auf meinem Teppiche bequem.

Ich saß, wie ich gewollt hatte, ganz in der Nähe der Fremden, dem Vorbeter gegenüber, den Omar Ben Sadek »den Alten« genannt hatte. Er hatte ein echtes, listiges, rücksichtsloses, gewalttätiges Mekkanergesicht und trotz seines Alters noch keine grauen Haare; vielmehr besaßen diese diejenige Färbung, welche man »Salz und Kümmel« zu nennen pflegt, also Grau und Dunkel gemischt. Der »Junge« saß an seiner Seite und war ihm so ähnlich, daß ich ihn gleich für seinen Sohn halten mußte. Er hatte etwas Unstetes, Ruheloses, Unzuverlässiges in seinen sich stets in Bewegung befindenden Augen. Die andern drei hatten nichts an sich, wodurch sie eine besondere Erwähnung verdienten. Gemein war ihnen allen die große Hinfälligkeit; wahrscheinlich waren wir grad zur rechten Zeit gekommen, sie vor dem Tode des Verschmachtens zu erretten. Ich glaubte, ihnen anzuhören, daß ihnen das laute, lange Beten schwer wurde. Warum schwiegen sie da nicht, zumal sie diese Litanei doch ganz und gar nicht nötig hatten? Die Stimme des Alten klang dumpf und mit müdem Zittern:

»O du, den unter sämtlichen Geschöpfen der Schöpfer am meisten ehrt. Bei dem Eintritte des Ereignisses, welches alle trifft, habe ich keinen, zu dem ich meine Zuflucht nehmen kann, als zu dir allein!«

Die andern beteten es ihm nach; dann fuhr er fort:

»Und wenn der Gnädige sich als strafender Vergelter offenbaren wird, wird es deiner Macht, du Gesandter Gottes, nicht unmöglich sein, mir zu helfen.

Denn zu der Fülle, welche du gespendet hast, gehört diese Welt und jene Weit, und du weißt alles, was auf der Tafel des Jenseits geschrieben steht und was die Feder geschrieben hat.

O meine Seele, keines schweren Fehltrittes wegen verzweifle an Allahs Gnade; denn wo es sich um die Vergebung handelt, da sind die schweren den leichten Sünden gleich!

Das Erbarmen meines Herrn, so hoffe ich, wird zu der Zeit, wo er es verteilen wird, in den einzelnen Spenden sich nach dem Maße der Sünde gestalten.

O, mein Herr, gib, daß meine Hoffnung bei dir bestehe und meine Rechnung sich als richtig erweise!

Und verfahre in dieser und in jener Welt gelinde und gnädig mit deinem Knechte, denn ihm ist eine Festigkeit verliehen, weiche fliehend davoneilt, wenn die grausigen Schrecknisse ihn herausfordern!

Und laß die Wolken deiner Erbarmung für und für Güsse jeder Art auf den Propheten herabsenden !«

Als er so weit gekommen war, hatten unsere Haddedihn seinen Kamelen Wasser und Maisstroh gegeben und begannen nun, sich mit der Vorbereitung des Lagers zu beschäftigen. Da unterbrach er sich, indem er die hastigen Worte an mich, den er für den Anführer halten zu müssen glaubte, richtete:

»Was sehe ich? Ihr sattelt eure Kamele ab! Das sieht ja so aus, als ob ihr hier bleiben wolltet!«

»Es sieht nicht bloß so aus, sondern es ist wirklich so: Wir bleiben da«, antwortete ich ruhig.

»Dazu habt ihr kein Recht.«

»Warum? Die Wüste ist nur Allahs Eigentum; hier diese Stelle auch. Wir haben niemanden zu fragen!«

»Auch uns nicht?«

»Nein.«

»Wir waren eher da als ihr!«

»So bleiben wir um grad so viel länger hier; dann sind die beiden Zeiten gleich!«

»Wir wünschen aber, allein zu sein!«

»Wir werden so tun, als ob ihr gar nicht vorhanden wäret, und kein Wort mit euch sprechen!«

»Aber, ihr seht, daß wir einen Toten hier haben. Leichen aber verunreinigen!«

»Uns nicht, denn wir werden ihn nicht berühren.«

»Allah gebe mir die Beherrschung meines Zornes! Du siehst und hörst doch, daß wir euch nicht bei uns haben wollen, sondern eure Entfernung wünschen!«

»Und du siehst, daß unsere Wünsche das Gegenteil erstreben; darum kann Allah nur die Erfüllung der Wünsche für die eine Partei im Buche des Lebens verzeichnet haben, und diese Partei sind wir. In das aber, was in dem Buche des Lebens verzeichnet worden ist, habt ihr euch zu fügen!«

Ich hatte immerfort in meinem freundlichsten, er aber zuletzt in einem sehr zornigen Tone gesprochen. Ich war neugierig, was sich aus diesem sehr unerquicklichen Verhältnisse entwickeln werde. Halef ging es ebenso wie mir; er hatte die Herunternahme des Tachtirwahn und die bequeme Unterbringung seiner Hanneh unter ihr kleines, schnell aufgeschlagenes Frauenzeit beaufsichtigt und kam nun, anstatt sich zu ihr zu setzen, was er bisher unterwegs stets getan hatte, zu mir, ließ einen Teppich neben dem meinigen ausbreiten und setzte sich auf demselben nieder, Dann sagte er leise:

»Warst du auf einen solchen Empfang vorbereitet, Sihdi?«

»Nein«, antwortete ich.

»Ich auch nicht. Eine solche Undankbarkeit ist geradezu beispiellos. Was wirst du tun?«

»Zunächst ruhig abwarten. Ihr Verhalten zu uns interessiert mich außerordentlich, und ihre Leichenzeremonien auch. Sei jetzt still! Ich möchte hören, was sie beten.«

Der Vorbeter begann nämlich jetzt wieder:

»Das ist Muhammed, der Herr dieser und jener Welt, der Herr der Menschen und der Dschinnen (Geister), der Herr der beiden großen, voneinander gesonderten Scharen der Menschenkinder: der Araber und der Barbaren.

Unser Prophet, den, wenn er gebietet oder wenn er verbietet, im Neinsagen wie im Jasagen niemand an Wahrhaftigkeit übertrifft.

Er ist der Geliebte, auf dessen Fürsprache wir hoffen bei jedwedem grauen Schrecknisse, dessen Gewalt wir anheimgefallen sind.

Wer sich an ihn anklammert, klammert sich an ein Seil, welches nimmer reißt.

Er übertraf die Propheten sowohl an Körpergestalt wie auch an Seelenadel, und sie kamen ihm weder an Wissen noch auch an Tugend oder Edelsinn nahe.

Sie, die alle von dem Gesandten Allahs bittend die Erlaubnis begehrten, aus dem Meere mit der Hand zu schöpfen oder das Wasser der anhaltenden Regengüsse schlürfen zu dürfen.

Und neben ihm den unterscheidenden Punkt seines Wissens oder die tonangebende Bezeichnung seiner Weisheit zur äußersten Grenze hatten, an welcher sie dastanden, ohne sie überschreiten zu können.

Ihn erkor der Schöpfer der Menschen sich zum Geliebten, nachdem Inneres und Äußeres bei ihm zur vollendeten Vollkommenheit gediehen war.

Er hat keinen neben sich, der an seinen Vorzügen teilhat, und das Wesen seiner Schönheit ist ein ungeteiltes.

Was die Christen von ihrem Propheten behaupten, das behaupte du ja nicht, sondern erkenne getrost an Lob ihm zu, was ihm anzuerkennen dir nur immer beliebt.

 

Und leg seiner Person jeden Adel bei, den ihr beizulegen dir in den Sinn kommt, und lege seiner Würde jede Größe bei, die ihr beizulegen du das Verlangen hast.

Denn die Vortrefflichkeit des Gesandten Gottes hat keine Grenze, so daß irgendein mit dem Munde Redender sie nicht in ihrer ganzen Grenze aussprechen könnte.

Wenn seine Wunderzeichen der Größe seiner Würde entsprechen, so wird sein Name, wenn man ihn nennt, die hingeschwundenen Totengebeine beleben.

Mit Dingen, welche der Verstand nicht begreifen kann, hat er, getrieben vom Eifer für unsere Wohlfahrt, uns verschont, und so sind wir weder dem Zweifel noch dem Wahne anheimgefallen.

Sein inneres Wesen aufzufassen, ist eine Aufgabe, welche das Vergnügen der Sterblichen übersteigt, und weder in der Nähe noch in der Ferne siehst du einen, der nicht ratlos dasteht, wenn es gilt diese Aufgabe zu lösen.

Sein inneres Wesen gleicht der Sonne, die in der Ferne sich dem Auge in verschiedener Kleinheit zeigt und in der Nähe aber das Auge blendet.

Jede Reihe von Wunderzeichen, welche die hohen Gesandten Allahs zu Tage treten ließen, ist nur von seinem Lichte her zu ihnen gelangt.

Denn er ist eine große Vortrefflichkeitssonne; sie aber sind die Sterne dieser Sonne und strahlen nur als seine Sterne ihr Licht den Menschen in die Finsternissen – – – – – – —

Obgleich ich befürchten mußte, den Leser zu langweilen, habe ich dieses Gebet doch hierhergesetzt, weil es aus Stellen der Burda, eines der berühmtesten muhammedanischen Gedichte, besteht, welches zum Lobe Muhammeds verfaßt ist und bei Begräbnissen rezitiert wird. Es ist vielleicht für manchen interessant, ein berühmtes islamitisches Gedicht, wenn auch nur einen Teil desselben, kennen zu lernen, mit dessen Schönheiten sich, wie die Muhammedaner behaupten, kein Erzeugnis irgendeines andersgläubigen Dichters jemals vergleichen lassen dürfe!

Der »Alte« schien die Burda auswendig zu können, denn er rezitierte diese Stellen ohne Hilfe eines Buches; er war also kein gewöhnlicher Araber; er machte während des Betens überhaupt den Eindruck eines fanatischen Moslem, weicher mit den Obliegenheiten eines Geistlichen wohlvertraut ist. Dabei schweiften seine Blicke sehr oft zu uns herüber, und zwar mit einem Ausdrucke, weicher nichts weniger als freundlich genannt werden konnte. In den Augen seines Sohnes aber wohnte gar der offenbare, vor uns nicht im geringsten verheimlichte Haß.

Auch jetzt wieder hatte das Gebet auf mich den Eindruck gemacht, als ob es nicht aus innerem Bedürfnisse, aus der Seele heraus, sondern aus einem andern Grunde gesprochen werde. Es klang so müd, so abgespannt; die Leute sprachen langsam, als ob es ihnen schwer werde; sie ließen Stellen aus, welche der Vorbeter nicht ausgelassen hatte, und nun, da er eine Pause machte, legten sie sich nieder, was er als Veranlassung nahm, nicht wieder anzufangen.

Ich dachte mir, daß sie nur beteten, um uns keine Zeit zu lassen, mit ihnen zu sprechen. Sie waren wahrscheinlich gesonnen, uns keine Auskunft über sich zu geben, und da dies doch einen Grund haben mußte, glaubte ich annehmen zu dürfen, daß es kein für ihre Beurteilung vorteilhafter sei.

Während sie nun bewegungslos wie Tote dalagen, brach die Dunkelheit herein, und von unsern Haddedihn wurde das Moghreb gebetet, welches für kurze Zeit nach dem Untergange der Sonne vorgeschrieben ist. Als es dann vollständig Nacht geworden war, wurde das Aschiah oder Nachtgebet gesprochen. In beiden Fällen richteten sich die Fremden in die Knie auf und beteten mit, was sie als Muhammedaner trotz ihres sonstigen Verhaltens zu uns unbedingt tun mußten, doch taten sie es leise, ohne uns ihre Stimmen hören zu lassen, ein Zeichen von Mißachtung, weiches wir aber so ruhig hinnahmen, als ob wir es gar nicht bemerkten, Dann ging ich mit Halef zum Zelte seiner Hanneh, um ein Feuer zu machen, zu weichem wir heut unterwegs gelegentlich dürres Gezweig geschnitten hatten. Die »lieblichste und wohlschmeckendste unter allen Köchinnen des Erdkreises«, wie Halef sein Weibchen nannte, wenn von ihrer Kochkunst die Rede war, wollte uns Kaffee kochen und dann in der heißen Asche Kurß tari backen, das ist frisches Brot in kleiner Kuchenform. Wir hatten zum edlen Werke des Kaffeekochens einen Kessel mitgenommen, und die Haddedihn hielten alte ihre auch für heiße Flüssigkeiten haltbaren Lederbecher bereit, um sich ihre Portion des duftigen Getränkes geben zu lassen.

Als der Wohlgeruch desselben sich vom Feuer aus nach allen Richtungen verbreitete, wurden die Fremden wieder lebendig. Sie hielten eine kurze, leise Beratung, nach welcher der Junge aufstand und zu uns kam.

»Wir wollen auch Kaffee!« sagte er, indem er uns ein ja nicht zu kleines Kürbisgefäß hinhielt.

Er hatte das nicht etwa bittend gesagt, sondern in einem Tone. als ob er nur zu fordern brauche. Halef machte sofort Miene, aufzuspringen und ihn zornig zurechtzuweisen; ich hielt ihn aber am Arm nieder und übernahm die Beantwortung selbst, die sehr kurz und bestimmt klang:

»Der ist nur für uns. »

»Für uns auch!« behauptete der Mensch.

Ich zuckte die Achsel und sagte nichts weiter; auch Halef schwieg.

»Bekomme ich welchen?« fuhr der Unverschämte mich an.

»Nein, nein, nein, und zum vierten, fünften, zehnten und hundertsten, tausendsten Male nein!« krachte jetzt der kleine Hadschilos, der seinen Zorn nun nicht länger beherrschen konnte.

Da drehte sich der Mann scharf auf der Ferse um und ging fort. Seine Leute hatten jedes Wort gehört; sie steckten die Köpfe zusammen. Was sie da sagten, konnte uns sehr gleichgültig sein.

»Sihdi, meinst du, daß wir uns vor diesen Leuten in acht nehmen müssen?« fragte Halef.

»Nein«, antwortete ich; »gar nicht!«

»Ich auch nicht. Wir sind zweiundfünfzig wohlbewaffnete Männer und sie nur fünf verschmachtete Personen. Trotzdem aber denke ich, daß wir während der Nacht nicht alle schlafen dürfen.«

»Das ist natürlich auch meine Meinung. Bestimme also von deinen Leuten einige, welche einander bis früh ablösen, um munter zu bleiben!«

Später, als der Duft des Brotes sich bemerkbar machte, wurde der »Junge« wieder her zu uns geschickt.

»Gebt uns auch Brot!« forderte er in demselben Tone, in welchem er vorhin Kaffee verlangt hatte.

»Das ist auch nur für uns«, antwortete ich wieder.

»Wir wollen auch essen!«

»So eßt das, was ihr habt!«

Er mußte ohne Respektierung seines Befehles wieder fortgehen, kehrte aber bald mit einem neuen Verlangen zurück:

»So gebt uns Wasser, einen vollen Schlauch!«

»Es ist alte geworden.«

»Ich sehe doch da die Dschirab (Wasserschläuche) liegen!«

»Die sind nur noch für uns. Was wir übrig hatten, habt ihr schon bekommen.«

»Kennt ihr die Gesetze und Gebote der Wüste und der Gastfreundschaft so wenig, daß ihr uns sogar das Wasser vorenthaltet, welches wir zu verlangen haben?«

»Wir kennen alle Gesetze und Gebote, sogar die Vorschriften der Höflichkeit, welche aber euch vollständig unbekannt zu sein scheinen. Und nun mach dich fort von uns, sonst – – – »

»Sonst fahre ich dir in die Beine, daß du nicht nur gehen, sondern in alle Winde fliegen lernst!« schrie ihn Halef, mir in die Rede fallend, zornig an. »Wasser, Brot, Kaffee! Vielleicht verlangt dieser Kerl auch noch Kawuara (Kaviar) und eine Istridiar (Auster), die so groß wie eine Tosbadschy afrita (Riesenschildkröte) ist!«

Der kleine Hadschi hatte nämlich Schildkröten, Austern und Kaviar als Delikatessen kennen gelernt, als er mit mir in Konstantinopel war. Der Mekkaner, wenn er wirklich einer war, drehte sich mit einer stolzen, wegwerfenden Handbewegung um und kehrte zu seinen Angehörigen zurück, weiche längere Zeit miteinander berieten. Als sie zu einem Entschlusse gekommen waren, stand der Alte auf und kam langsam und trotz seiner sichtlichen Schwäche in einer Haltung herbei, als ob sein hocherhobenes Haupt gewohnt sei, eine Krone zu tragen.

»Ihr habt meinen Sohn nun dreimal von euch gewiesen«, sagte er, indem er auf jedes Wort einen schweren Nachdruck legte wie einer. der das Treffen mit Kanonenschüssen einleitet, um den Hauptvorstoß dann später folgen zu lassen. »Ich frage euch, warum?«

Eigentlich war er gar keiner Antwort wert; da man aber wohltut. wenn man mit solchen Leuten so deutlich wie möglich ist, so zog ich es vor, ihn nicht warten zu lassen, und erwiderte also:

»Glaubst du denn wirklich, eine Antwort zu erhalten?«

»Natürlich!«

»Du bist nicht imstande, sie dir selbst zu geben?«

»Nein.«

»Mit diesem Worte gestehst du ein, daß du an Einsicht ein kleines Kind, an Unverstand und Unwissenheit aber ein Riese bist!

»Beleidige mich nicht! Ich bin gewöhnt, daß man sich nur der größten Höflichkeit gegen mich befleißigt!«

»Bist aber doch selbst ein Ausbund der Unhöflichkeit! Wir sind berechtigt, wenigstens, hörst du, ich sage wenigstens, dieselbe Achtung und Ehrerbietung zu verlangen, welche du, vielleicht mit weniger Recht, für dich in Anspruch nimmst!«

»Ihr – – – ?!« dehnte er so hochmütig, daß ich ihm am allerliebsten gleich eine Ohrfeige gegeben hätte. »Doch ja, ihr wißt nicht, wer ich bin! So hört es denn, und beugt dann in Demut eure Häupter! Mein Ahne ist Qatadah; ich bin ein Nachkomme des berühmten Muhammed Abu Numehji, der hellsten Leuchte unter allen Großscherifen der heiligen Stadt Mekka. Wenn wir, seine Abkömmlinge, sterben, werden unsere Leichen in einem hochfeierlichen Umgang siebenmal um die Kaaba getragen. Weicher andere Mensch auf Allahs weiter Welt kann sich einer solchen Auszeichnung rühmen!«

»Bist du schon gestorben?«

»Nein«, antwortete er verwundert.

»Also auch noch nicht um die Kaaba getragen worden?«

»Nein.«

»So warte mit der dir sehr anzuempfehlenden Geduld, bis das geschehen ist; dann sind wir vielleicht bereit, deiner Leiche mit Achtung zu gedenken.«

»Mensch, wage nicht – – – ! Doch, du kennst ja auch meinen Namen nicht; ich will also meinen Zorn bemeistern. Es ist auch gar nicht nötig, diesen Namen mit dem verstopften Eingang deines Ohres zu belästigen; es genügt vielmehr vollständig, dir zu sagen, daß man mich Ei Ghani (Der Reiche) nennt und daß ich der Liebling‘Aun er Rafiqs, des jetzigen Großscherifs von Mekka, bin. Nun weißt du, wie du dich gegen mich und uns alle zu verhalten hast!«

Anspruchsvoller und eingebildeter zu sein als dieser Mann war gar nicht möglich! Um zu erfahren, wer der Tote war, hielt ich mich noch zurück und fragte:

»Auch gegen die andern? Wer sind sie?«

»Der eine ist Ben Abadilah, mein Sohn, die übrigen drei sind Männer aus der heiligen Stadt, wo ihre Namen zu den angesehensten gerechnet werden.

»Und der Verstorbene?«

»Der war ein Lieblingskind Allahs und des Propheten. Er wurde El Münedschi (Der Wahrsager) genannt, woraus du die unvergleichliche Höhe seiner Vorzüge erkennen kannst. Seiner Seele war die Gabe verliehen, den Körper zu verlassen und nach entfernten Orten und in entfernte, längst verschwundene und auch zukünftige Zeiten zu gehen, um zu sehen und zu hören, was kein anderer Sterblicher erfährt. War sie dann in den Körper zurückgekehrt, so konnte Ei Münedschi alle Geheimnisse dieser Zeiten und Orte mitteilen. Er sprach mit den Dschinn und Mlajiki (Geistern und Engeln) wie mit seinesgleichen und hatte darum Macht über den Willen und die Taten aller, mit denen er verkehrte. Nun ist er hingegangen in den Himmel Allahs, zu denen, mit denen er schon während seines irdischen Lebens verkehrte. Ich war sein bester Freund. Er wohnte in meinem Hause, wo ich ihm eine Freistatt gab, weil er blind geworden war. Ich übe die Barmherzigkeit, weiche Allah seinen Bevorzugten geboten hat, und er vergilt sie wieder. Nun weißt du, wer wir alle sind, und wirst mich und meinen Sohn um Verzeihung bitten!«

»Um Verzeihung bitten? Wenn du glaubst, daß – – – »

Ich konnte nicht weitersprechen, denn Halef drückte mir die Hand auf den Mund und sagte nicht, sondern rief:

»Schweig, Sihdi, ich bitte dich, schweig! Ich koche nämlich so, wie vorhin der Kaffee gekocht hat, und wenn du mir nicht erlaubst, an deiner Stelle zu sprechen, so zerplatzt der Kessel augenblicklich! Darf ich? »Ja?«

»Gut, ja! Zerplatzen lassen darf ich dich doch nicht!«

»Ich danke dir, Effendi, ich danke dir! Durch diese deine Erlaubnis errettest du mich vielleicht vom Tode, denn in dem jetzigen Augenblicke des gräßlichsten Zornes würde das längere Schweigen wahrscheinlich für mich ein Gift sein, an weichem ich binnen einigen Minuten sterben müßte!«

Er war aufgesprungen; jetzt wendete er sich von mir zu El Ghani und fragte ihn in jenem scheinbar ruhigen, aber explosiven Tone, in welchem er nur im Zustande der zornigsten Aufregung zu sprechen pflegte:

 

»Du denkst also, daß wir euch um Verzeihung bitten werden?«

»Ja«, lautete die Antwort.

»Und vorhin hast du verlangt, wir sollen in Demut unsere Häupter beugen?«

»Ja.«

»Hund! Was bildest du dir ein! Wir beugen unsere Häupter nur vor Allah, aber vor keinem Menschen, und wenn es der Padischah selbst oder auch der Großscherif von Mekka wäre. Vor dir aber – – – ? Ich sage dir, daß ich lieber vor der häßlichsten Kröte anbetend niederfallen würde, als daß ich meinem ehrlichen Haupte die aller, allergeringste Neigung vor dir erlaubte! Wenn du wirklich der Liebling des gegenwärtigen Großscherifs bist, so werde ich ihn schleunigst aufsuchen, um ihm zu sagen, daß er sich schnell einen anderen Liebling anschaffen möge, wenn er nicht den Gläubigen allen das unwürdige Schauspiel bereiten wolle, sich in Zeit von fünf Minuten vollständig totschämen zu müssen! Ihr Hunde und Söhne von Hunden und Urenkelskinder von Hundeahnen und Hundenachkommen waret fast verschmachtet, als wir kamen. Eure schmutzigen Seelen hingen nur noch am allerletzten und alleräußersten Barthaare mit euren verdürsteten Gliedern ‚zusammen. Da gaben wir euch Wasser, das Kostbarste, was man in der Wüste besitzt; ihr trankt es aus, einen ganzen, großen Schlauch voll, ohne ein Wort des Dankes zu sagen. Dann verlangtet ihr Kaffee, ohne zu bitten; später warft ihr uns den Befehl. euch Brot zu geben, ins Gesicht, und endlich schicktest du uns die strenge Verordnung, euch abermals mit Wasser unter die Arme zu greifen, wieder mit einem ganzen, vollen Schlauche, obgleich wir auch eure Kamele getränkt hatten! Wo soll dieses Wasser und immer wieder Wasser herkommen? Glaubst du denn, wir können regnen lassen oder Quellen aus dem Boden der Wüste stampfen? Und das alles verlangst du in einer Weise, als ob wir nicht deine Sklaven, sondern deine Hunde seien! Du bist selber Hund und Hundeenkel, ja sogar Enkelshund! In der Albernheit deines Hochmutes meintest du, wir würden vor Erstaunen über deinen Namen augenblicklich sämtliche Mäuler aufsperren und vor Bewunderung sämtliche Finger so ausspreizen, daß sie vor freudigem Schreck wie Pfeile von den Händen flögen und gar nicht wieder zurückzukommen wagten! Wie nennt man dich denn? El Ghani, den Reichen! Kannst du uns beweisen, daß du deinen Reichtum auf ehrliche Weise erworben hast, daß er nicht mit Diebes und Betrügerhänden zusammengeraubt und zusammengestohlen worden ist? Und wenn es ein rechtmäßiger Besitz wäre, so solltest du doch wissen, daß man sich auf den Reichtum gar nichts einzubilden hat, weil man ihn von Allah nur für einstweilen geliehen bekommt, um denen wohlzutun, die nichts besitzen. Wir sind auch reich, sehr reich, jedenfalls zehnmal, hundertmal reicher als du, aber wir brüsten uns nicht damit und lassen uns noch viel weniger einen Namen daraus machen, der doch weiter nichts sein würde, als, wie bei dir, ein untrügliches, sicheres Zeichen deiner dreifach aufgeblasenen Dünkelhaftigkeit! Eigentlich sollte ich dir nicht mit dem Munde, sondern hier mit dieser Nilhautpeitsche antworten; aber deine Jammergestalt ist so mitleiderweckend und erbärmlich, daß mir die Barmherzigkeit aus allen Fingerspitzen niedertropft; darum sollst du jetzt noch ohne Hiebe davonkommen. Aber solltest du nur noch ein einzigesmal und nur von weitem wagen, dir noch einmal den Anschein zu geben, als ob wir nicht neunmal himmelhoch über dir stünden, so zerhaue ich dir das Hundefell, daß im ganzen Erdkreise nicht genug Platz für die davonfliegenden Fetzen und Haare zu schaffen ist! Nun packe dich fort und komme uns nicht wieder! Und damit du weißt, wer jetzt in so liebreicher, geduldiger Freundlichkeit mit dir gesprochen hat, so mögen dich unsere Namen nach deinem Sitze begleiten. Ich bin nämlich Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarab, der oberste Scheik der Haddedihn von dem großen Stamme der Schammar!«

Er machte das Wort von der Begleitung wahr, denn, die Peitsche drohend in der Hand, trat er bei jedem Einzelnamen den Mekkaner so auf die Zehen, daß dieser zurückwich. In dieser, für uns köstlich anzusehenden Weise folgte er ihm Schritt um Schritt, oder vielmehr Fußtritt um Fußtritt, indem er, immer die Peitsche schwingend, fortfuhr:

»Und da sitzt der erleuchtete und in aller Weit hochberühmte Hadschi Akil Schatir el Megarribnis Ben Hadschi Alim Schadschi er Rani Ibn Hadschi Dajim Maschhur el Azami Ben Hadschi Taki Abu Fadl el Mukarram!«

Man sieht, daß er meinen neuen Namen sehr gut auswendig gelernt hatte. Jedes Glied desselben ergab einen Tritt auf die Zehen El Ghanis, welcher, weil diese Schritte zu schnell aufeinanderfolgten, sich ihnen nicht entziehen konnte und, an seinem Platze angekommen, ganz erschöpft dort niedersank, ohne während des ganzen Leidensweges Gelegenheit gefunden zu haben, auch nur ein Wort hervorzubringen.

»So, da sitzest du nun in deiner ganzen, unbegreiflichen Herrlichkeit!« meinte Halef jetzt im Töne der Befriedigung. »Wenn dir der Hochmut wieder in den Füßen juckt, so brauchst du es mir bloß zu sagen; ich trete ihn dir gern aus allen Zehen!«

Er kehrte zurück und setzte sich wieder neben mich nieder.

»Sihdi«, fragte er leise, »habe ich das gut gemacht oder nicht?

»Ich bin mit dir zufrieden«, antwortete ich.

»Und du, Hanneh?«

Sie, die an seiner anderen Seite saß, erwiderte:

»Mein Halef ist gleich tapfer in Worten wie in Taten; ihm kann nicht einmal der Liebling des Großscherifs widerstehen!«

»Nein, der am allerwenigsten! Und du«, wendete er sich an seinen Sohn, der seinen Platz neben der Mutter hatte, »folge für dein ganzes Leben dem Beispiele deines Vaters, der keine Beleidigung seiner Ehre duldet, sondern der vielmehr selbst Muhammed, dem Propheten aller Moslemin, auf sämtliche Zehen treten würde, wenn diesem der Gedanke beikommen sollte, dem obersten Scheik der Haddedihn die schuldige Achtung zu verweigern.«

Das energische und für uns andere so still belustigende Verhalten des Hadschi hatte die Mekkaner so eingeschüchtert, daß sie, wenigstens für jetzt, nicht laut miteinander zu sprechen wagten. Sie saßen oder lagen still beisammen, und wenn einer etwas sagte, so geschah es so leise, daß wir es nicht hören konnten.

Das Viertel des Mondes war aufgegangen und übergoß die beiden Gruppen, die kleinere der Mekkaner und die größere der Haddedihn, mit genugsam Licht, um uns alles, was die ersteren taten, deutlich sehen zu lassen. Die verhüllte, nach Mekka gerichtete Leiche machte einen ganz eigenen Eindruck auf uns, wenigstens auf mich. Seit wann war der blinde Münedschi schon tot? Wir wußten es nicht. In der Wüste pflegt man, wie in muhammedanischen Ländern überhaupt, Verstorbene sehr schnell zu begraben. Wir mußten darauf verzichten, etwas darüber zu erfahren, denn nach dem Vorgefallenen konnte es uns nicht einfallen, ferner ein Wort mit diesen Leuten zu sprechen. Ebenso würden, so glaubten wir, sie sich vollständig schweigend gegen uns verhalten. Darum waren wir nicht wenig erstaunt, als nach einiger Zeit Ei Ghani aufstand, bis zur Hälfte zu uns herüberkam und mir die Worte zuwarf:

»Dein Name ist Hadschi Akil Schatir, wie ich gehört habe. Darf ich mit dir sprechen? »

»Ja.«, antwortete ich, verwundert darüber, daß der Anfang meines Namens trotz der Fußtritte in seinem Gedächtnisse sitzengeblieben war.

Da fiel, ohne das weitere erst abzuwarten, Halef ein:

»Aber befleißige dich ja der Ausdrücke ganz ergebenster Hochachtung, denn dieser Effendi stammt aus dem Wadi Draha im fernen Moghreb und ist der größte und berühmteste Gelehrte des Morgen, des Mittag und des Abendlandes!«

»Ich möchte gern wissen, ob ihr uns richtig gesagt habt, wer und was ihr seid.«

»Wir haben die Wahrheit gesprochen«, antwortete ich.

»Darf ich prüfen, ob du wirklich ein so großer Gelehrter bist, Effendi?«