Bruder Tier

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Lebensraum und Ursprung

Erdgeschichtlich weisen keine Vorfahren auf die Robben hin.5 Ihre von der Paläontologie beschriebenen Skelette und Skelettabdrücke zeigen die gleichen Strukturen, die auch bei den jetzt lebenden Arten zu finden sind: die stummelförmigen Gliedmaßen, der zurückgebildete Schwanz und die charakteristische Bildung der Zähne. Die Funde wurden fast ausschließlich in denjenigen geologischen Schichten gemacht, die den beiden Ausgangszeitaltern des Tertiärs, dem Miozän und Pliozän entsprechen.

Die Tatsachen weisen mit deutlicher Sprache darauf hin, dass die Ordnung der Robben erdgeschichtlich spät und wahrscheinlich auch sehr plötzlich entstanden ist. Wo immer auch ihre Reste aufgefunden werden, zeigen sie ihre charakteristischen Merkmale, ohne Vorstufen und ohne Übergänge. Plötzlich, in voller und vollendeter Ausbildung, sind sie da.

Es kann zunächst kaum ein Zweifel darüber bestehen, dass die Robben ursprünglich Landtiere gewesen sind. Auch heute noch sind sie Lungenatmer, und die Neugeborenen sind so organisiert, dass sie während der ersten Lebenszeit nicht im Meer leben können. Deshalb müssen wir vorerst annehmen, dass alle Robben vom Land ins Wasser gegangen sind und wie in träumendem Erinnern, von der Sonne geführt, alljährlich in die Heimat ihres Ursprungs zurückkehren.

Wo liegen die Gestade, zu denen sie ihre Wege finden, und wo haben die Robben ihre hauptsächlichsten Brutplätze? Die letzten Erhebungen über die geographische Verbreitung aller Flossenfüßer zeigen eindeutig, dass die ursprünglichen Zentren, um die herum sie lebten, die beiden Polargebiete waren. Die Arktis sowohl als die Antarktis sind heute noch ihr Lebensraum.6

Bestimmte Arten wie z. B. die Seeleoparden, manche Stämme der Seelöwen und Elefantenrobben sind Bewohner der Antarktis. Andere steigen zur Paarung und Brutpflege auf viele Inseln und Halbinseln, die dem Nordpol vorgelagert sind. Grönland und Island, die östlichen und westlichen Gestade Nordkanadas und die zwischen Amerika und Asien sich ausbreitende und von Alaska bis Kamtschatka und Sachalin reichende Inselwelt sind ihre Heimat. Da die Robben ihren Sommerschlaf und Sommertraum ohne Nahrungsaufnahme zubringen, ist die öde, steinige, oft eis- und schneebedeckte Welt der polaren Gestade ein mögliches Lebensgebiet für sie.

Manche Robben aber, besonders aus der Unterordnung der Seehunde, finden ihren Weg, den Küsten entlang, nach dem Süden. In Europa sind sie in Irland, Wales und Cornwall regelmäßig zu sehen. Sie können in Portugal erscheinen, und eine bestimmte Gruppe, die Mönchsrobbe, bevölkert sogar die Küsten des Mittelmeeres. Je südlicher sie wandern, umso undeutlicher wird die Jahresperiodik ihres Daseins. Sie spielen dann zwischen Wasser und Land hin und her und verlieren ihren ursprünglichen Lebensrhythmus.

Auch in Binnenmeeren wie dem Baikalsee und dem Kaspischen Meer sind sie beheimatet. Diese Tatsache aber könnte einen Schlüssel für ihre ursprüngliche geographische Verteilung geben. Vielleicht haben die Wellen der nach Süden vordringenden Eiszeitfluten sie erst mitgenommen und beim Rückgang dort belassen.7 Für diese Vermutung sprechen auch die paläontologischen Funde, die Robbenskelette in Südrussland, in Ungarn, im Wiener Becken, in Südfrankreich, in Italien und sogar in Ägypten nachgewiesen haben.

Vom Norden, um die Arktis herum, scheinen die verschiedenen Ohrenrobben zu kommen. Dort, am Pol, war wahrscheinlich ihre ursprüngliche Heimat, in die viele von ihnen immer noch zurückkehren. Die nach Süden vorrückenden Gletscher der Eiszeitperioden brachten auch das Vordringen der Flossenfüßer mit sich. Je breiter der Eisgürtel wurde, umso weiter nach Süden schob er die ursprünglichen Polartiere vor. Auch aus der Antarktis schieben sich einzelne Robbengeschlechter die südamerikanischen Küsten entlang nordwärts, reichen bis Patagonien, und die Seelöwen gehen bis über den Äquator hinauf. Südafrika, Australien und Neuseeland sind gleichfalls Lebensgebiete der Robben.

Kann man aus diesen Einzelzügen paläontologischer und tiergeographischer Befunde ein zusammenhängendes Bild der Flossenfüßer gewinnen und daraus ihren erdgeschichtlichen Hintergrund entziffern? Sie sind Tiere, die in der Polarregion den geographischen Mittelpunkt ihrer Verbreitung haben. Von dort haben sie sich auf den Wellen der aufeinanderfolgenden Eiszeiten Schritt für Schritt in die gemäßigten Zonen vortreiben lassen.

Trotzdem blieb der Pol ihre Heimat. Je näher wir aber geographisch den Polargebieten kommen, umso mehr überwältigt der Jahreslauf der Sonne den für die südlicheren und äquatorialen Erdgebiete so natürlichen Tagesrhythmus. Erdentag und Erdennacht werden in den Polartag und die Polarnacht umgewandelt. Durch Monate hindurch erscheint die Sonne nicht über dem Horizont, bis sie dann, im Frühjahr aufsteigend, für viele Wochen nicht mehr untergeht. Hier begegnen wir der gleichen Periodizität, die in dem Daseinsrhythmus aller Robben eingeschrieben ist. Zur Zeit der Polarnacht nimmt die unter den Horizont steigende Sonne ihre Robbenkinder mit, und sie tauchen in die Wasser der Weltmeere ein. Hebt sich die Sonne aber zum Polartag hinauf, dann ziehen über die ganze Erde hin die Robben ihr nach und klettern ans Land. Die ganze Ordnung der Robben ist von diesem polaren Sonnenrhythmus durchdrungen. Daraus aber wird erst die geographische Ausbreitung und der Grundzug im Lebensstil dieser Tiere verständlich.

Die Vorgeschichte der Flossenfüßer, die wir aus der geographischen Verbreitung und Verhaltensart erschließen konnten, und ihr Lebensrhythmus, der dem Sonnengang in den polaren Gebieten angepasst ist, führt uns erdgeschichtlich in jene Regionen, in welchen in den Anfängen der Erd- und Menschheitsentwicklung die Hyperboräis zu suchen ist. Damals lebte alles, was sich später als Menschengeschlecht und Naturreiche entfalten sollte, noch wie im Keim. Rudolf Steiner beschrieb es einmal in der folgenden Art:

Ein gemeinsamer Weltenschoß war es, in dem die Lichtpflanze Mensch damals lebte, sich eins fühlend mit dem Lichtmantel der Erde. So war der Mensch in dieser feinen Dunstpflanzenform wie an der Nabelschnur der Erdenmutter hängend; so war er gehegt und gepflegt von der ganzen Mutter Erde. Wie in einem größeren Sinne heute das Kind gehegt und gepflegt wird im mütterlichen Leib als Kindeskeim, so war damals gehegt und gepflegt der Menschenkeim.8

Während dieser Erdperiode löste sich dann die Sonne aus der Erde heraus: Und verbunden war dieses Hinausgehen der Sonne damit, dass der Dunst sich abkühlte zu Wasser. Daraus entstand die «Wasser-Erdkugel» und der Mensch wurde so gestaltet, dass er teilweise ein Wasserwesen war, aber hinaufragte in den das Wasser umgebenden Dunstkreis. Dort erreichte ihn das von außen, von der die Erde umgebenden Sonne einstrahlende Licht.

In dieser Darstellung beginnt sich das Geheimnis vom Ursprung der Robben zu entziffern. In jener Erdregion, die heute noch die Heimat vieler Flossenfüßer ist, stand einst die Wiege der Menschheit. Dort lebten die lichtumflossenen, luftdurchglänzten Menschenleiber, an der Nabelschnur der Erdenmutter hängend. Immer zunehmender wurde die Verdichtung. Rudolf Steiner weist in dem oben zitierten Vortrag darauf hin, dass zur Zeit des Sonnenaustritts aus der Erde der Mensch jene Stufe in seinem Leibe erreicht hatte, die wir heute degeneriert festgehalten sehen in den Fischen. Wenn wir heute das Wasser von Fischen durchzogen sehen, so sind diese Fische Überreste jener damaligen Menschen.

Die Robben aber sind keine Fische, und dennoch sind sie auf das Leben im Wasser hin geformt und ausgestaltet. Wenn wir uns fragen, was Robbe und Fisch voneinander scheidet, dann wird die Antwort nicht schwer. Die Robben sind menschennäher; sie sind Säugetiere; sie bilden soziale Verbände, wenigstens zu der Zeit, da sie auf dem Trockenen leben; sie gebären ein einziges Junges und ziehen es, wenn auch nur durch wenige Wochen, auf.

Die Fische hingegen vertrauen ihre Eier in oft unendlicher Menge und Zahl dem Element des Wassers an, und selbst wenn manche Arten von ihnen Nester bauen und für Tage die Jungen betreuen, sind sie vom Säugetier und besonders von der Ordnung der Robben in Bau und Dasein und Verhalten unendlich weit entfernt. Der Fisch ist das Tier des Wassers, der Robben-Organismus aber ist nur an das Wasserleben angepasst. Die Gliedmaßen sind zu Schwimmfortsätzen umgestaltet; die Haut ist mit einer dicken Fettschicht unterlegt und gibt dem Tier den nötigen Wärmeschutz und die spindelartige, runde, für das Schwimmen so geeignete Körperform. Die Ohr- und Nasenöffnungen können im Wasser völlig verschlossen werden. So deuten alle Merkmale auf den Bewohner der Meere hin.

Wo aber liegt die Herkunft der Robben? Sind sie wirklich einstmals landbewohnende Säuger gewesen, die später ins Wasser gingen? Wenn das so gewesen wäre, müssten wir, mindestens andeutungsweise, Vorstufen dieser Meeresbewohner finden. Das ist aber nicht der Fall; fertig ausgestaltet treten sie in den beiden Endperioden des Tertiärs, im Miozän und Pliozän, auf. Nach Wachsmuths Untersuchungen9 entsprechen diese geologischen Epochen den Anfängen der alten atlantischen Zeit, sodass in dieser Erdepoche, in welcher die Urformen der Säugetiere sich erst auszubilden begonnen haben, die Robben schon fertig ausgestaltet auftreten. Liegt hier nicht ein Widerspruch vor, der eine Erklärung fordert? Sind die Robben vielleicht die Vorfahren aller damals entstehenden Säugetiere? Nicht Vorfahren im Sinne einer Evolutionslehre, die ein Tier aus dem anderen durch irgendwelche illusorischen Kräfte der Vererbung und Anpassung entstehen lässt, sondern Vorläufer so, dass sie ihre primitive Leibesform, ihre angedeuteten Glieder, ihren runden Körper bewahrt und nicht spezialisiert haben? Wahrscheinlich waren die Robben niemals wirkliche Landtiere, da die feste Erde erst um die Mitte der atlantischen Zeit so hart geworden ist, dass Tier und Mensch sich darauf stützen und Fuß fassen konnten.

 

Wenn wir diesen Überlegungen folgen, dann kann uns der Robbenleib in einem neuen Anschauungsunterricht entgegentreten. Erinnert er nicht an eine embryonale Gestalt? Ein menschlicher Embryo, am Ende des zweiten Monats, obwohl nicht größer als etwa 25 mm, gemahnt in seiner Ausbildung durchaus an die Form der Robben. Auch im Embryo sind die Gliedmaßen noch kleine, unbedeutende Stummel; die Augen sind rund, die Lider stehen weit auseinander. Der Mund ist lippenlos und gleicht einem Spalt. Und der Embryo schwebt im Wasser des ihn umhüllenden Fruchtsacks.

Begegnen wir hier, in zunehmender Verfestigung, Verdichtung und Vergrößerung, den Erinnerungen an frühe Erdenzeiten? Die Robben wurden keine Fische, weil sie noch bis in die Anfangszeiten der Atlantis hinein im Verband des Menschseins verblieben sind. Sie hatten undifferenzierte, embryonenartige Leiber, die sich schwebend-schwimmend in der noch nicht verdichteten Wassererde bewegten. Am Beginn der Atlantis, als das Gedächtnis und die Sprache sich ausgestalteten und die Menschenvorfahren, deren Teil die Robben waren, die ersten Schritte zur Ich-Werdung vollzogen, begann ihr Abstieg.10 Sie gingen zu schnell in die Verdichtung hinein und verhärteten ihre embryonale Menschengestalt.11 Deshalb verlieren sie jetzt noch ihr Milchgebiss schon zur Zeit der Geburt und werden nur wenige Wochen gestillt. Als Säuglinge wachsen sie so schnell, dass sie in kürzester Zeit zu unabhängigen Wesen werden. Diese überstürzte Säuglings- und Kindheitszeit weist deutlich auf den plötzlichen und viel zu schnell sich vollziehenden Tierwerdungsprozess hin.

Die Robben sind Zeugen dafür, dass die Ursprünge des Menschheitswerdens in jener hyperboräischen Region lagen, die am Erdenanfang als breiter Gürtel um den Nordpol herum gelegen hat. Dort waren die Menschenvorfahren und auch die Robbenvorfahren; sie waren beide identisch. Am Beginn der Atlantis, als die Erwerbung des Persönlichkeitsbewusstseins einzusetzen anfing, fiel ein Teil der werdenden Menschheit voreilig, noch als eine Art von Menschen-Embryonen, in die Verfestigung. Sie wurden zur Ordnung der Robben. Sie sind die Ursäugetiere, die als Embryonalformen fortpflanzungsfähig geworden sind.12

Sie tragen aber nicht nur ihre embryonale Formgebärde mit sich, sondern auch die innige Verbindung zur Sonne, die einstmals die Hyperboräis durchwirkt hat. Heute noch folgen sie, im Rhythmus von Polarnacht und Polartag, dem Sonnenlauf. Sie waren niemals eigentliche Landtiere gewesen; im Gegenteil! Aus den Wassern der frühen Atlantis, in die sie allzu bald hineintauchten, versuchten sie, auf der allmählich sich verdichtenden Erde Fuß zu fassen. Das ist ihnen nicht mehr gelungen. Jedes Jahr machen sie erneut diesen Versuch und vertrauen in einer rührenden Lebensgebärde ihre Jungen dem Trockenen an; das aber ist nur ein Traum, der so schnell vergeht, wie er gekommen ist, und wenn die Herbststürme einsetzen, müssen sie zurück ins Meer, wohin sie die untergehende Polarsonne ruft. Das ist das Erdenschicksal aller Robben, dass sie als Menschenembryonen zu schnell sich verdichteten. Dadurch tauchten sie in die Wasser der Weltmeere unter; sie erreichten die Antarktis und fanden dort die Lebensbedingungen ihrer einstigen Heimat wieder. Immer neu versuchen sie, das Land zu erreichen, und immer neu werden sie vom Wasser überwältigt. Sie stellen ein über die ganze Erde reichendes Denkmal einer frühen Menschwerdung dar. Blicken wir in ihre Augen, dann sehen wir uns selbst, wie wir einstmals waren und empfinden dumpf, wie wir geworden und was sie, die Robben, geblieben sind.

Sie sind uns so nahe, weil sie sich nicht wie die anderen Säuger spezialisiert haben. Sie sind weder Raub- noch Huftiere. Sie sind nicht jene lemurischen Erinnerungsformen, denen man in den Marsupialiern (Beuteltiere) und Monotremen (Kloakentiere) begegnet, noch jene dem Zerstören hingegebenen Formen, die wir als Nagetiere kennen.

Verwandt sind sie den Walen und Delphinen, aber auch diese haben eine andere Abkunft.13 Die Robben machten dann später die atlantische Katastrophe mit und kamen dadurch in alle jene Erdgebiete, die von ihnen heute noch bevölkert werden.

Zur Mythologie

Die Eskimos lebten einst in enger Verbindung mit Robben und Walen. Wenn früher ein Seehund oder Walross auf der Jagd erlegt wurde, dann blieb der erfolgreiche Jäger für drei Tage in seiner Hütte; während dieser Zeit durfte er weder Speise noch Trank zu sich nehmen; auch seine Frau durfte er nicht berühren. In seinem Haus blieb alle Arbeit liegen; die Liegestatt wurde nicht zurechtgeschüttelt und der Tran von den Lampen nicht weggewischt.

Nach drei Tagen aber war die Seele der erlegten Robbe frei und kehrte in ihren Mutterschoß zurück. Dann konnte auch das tägliche Leben und Jagen wieder beginnen.14 Die Seelen der Seehunde, Walrosse und Wale gehen heim zu Sedna, der großen Göttin:

Sie ist die Mutter aller Seetiere und die Hauptgöttin der Eskimos. Von ihr wird angenommen, dass sie über das Schicksal der Menschen waltet … Ihr Sitz ist in der Unterwelt; dort wohnt sie in einem Haus, das aus Steinen und Walknochen gebaut ist. Die Seelen aller Robben und Wale stammen aus diesem Haus. Dorthin gehen auch die Seelen nach ihrem Tode wieder zurück.

Eine außerordentliche Zahl von Riten und Tabus ist bei den Eskimos mit den Robben verbunden. Die Seelen dieser Tiere sind mit bedeutend größeren Gaben als diejenigen von Menschen begabt. Was sie nicht ertragen ist der Dampf, der aus menschlichem Blut aufsteigt, und der Schatten und die dunkle Farbe des Todes. Auch menstruierende Frauen sind ihnen unleidlich.

Die Eskimos empfinden dumpf, dass Blut und Tod jene Ich-Kräfte und Persönlichkeitsmotive enthalten, denen die Robben sich einstmals entzogen haben. Sie gehören noch zur Göttin der Unterwelt und der Erdentiefen; zu jenem Bereich der Mütter, aus dem das Menschenschicksal einstmals kam. Rudolf Steiner hat dargelegt, dass die «Mütter» dort zu finden sind, wo die vergangenen Stufen der Erdenentwicklung liegen.15 In jene Vergangenheitsgebiete hinein reichen auch die Seelen der Robben; dort haben sie ihren gemeinsamen Ursprung mit den Menschen, ihren Brüdern.

Diese aber haben in den letzten Jahrhunderten diese Bruderschaft verleugnet. Sie begannen im Norden und Süden der Erde eine unheimlich erbarmungslose Jagd auf ihre eigenen Vorfahren zu machen. Millionen Seehunde, Walrosse, Seelöwen, Leopardenrobben, Pelzrobben wurden vernichtet. Mit Keulen, Ästen, Gewehren und Messern wurden ganze Geschlechter ausgerottet und Arten zum Aussterben gebracht. Das aber wurde nicht von den Eskimos, die im engsten Lebensverband mit den Robben leben, angerichtet. Es wurde von Russen und Deutschen, Engländern und Japanern, Holländern, Skandinaviern, Amerikanern aus Raff- und Geldgier vollzogen. Immer seltener werden nun die Robben, und das Haus der Göttin Sedna wird wohl mit ihren Seelen dicht bewohnt sein. Diese mütterliche Göttin der Erdentiefen wacht auch über das Schicksal der Menschen; was aber wird aus einer Menschheit, die das Bild ihrer Herkunft blindwütig vernichtet? Verleugnet sie damit nicht handgreiflich ihren göttlichen Ursprung?

Nur wenige wissen noch die wahre Ursprungsgeschichte der Robben, und selbst der Lappe Aslak, der Sohn Siri Mattfis, der am 24. Mai 1944 von der Herkunft der Robben so erzählte, «wie die Väter es überliefert haben», ahnt nur mehr die Wahrheit.16 Er sprach vom Auszug der Juden aus Ägypten, von deren Durchgang durch das Rote Meer und von den sie verfolgenden Agyptern. Und dann heißt es:

Da hob Moses wieder seinen Stab in die Höhe und Pharao und alle seine Leute, Hunde, Wagen und Pferde wurden von der Flut verschlungen. Pharao selbst und alle, die zu seinem Geschlecht gehörten, wurden Robben; sie wurden große Robben, während alle seine Soldaten kleine Robben wurden.

Hier erscheint noch einmal, aber in geschichtlicher Verzerrung, jenes Urbild des Robbenwerdens. Ein Teil der Menschheit, die nicht am Fortgang der Entwickelung teilnehmen, sondern ihn verhindern will, wird von den Wasserfluten verschlungen. Der andere Teil aber geht trockenen Fußes durch das Meer und betritt am anderen Ufer die feste Erde. Und Aslak fügt am Ende seiner Erzählung den Satz hinzu:

Wenn du einmal darauf achtest und nimmst das Fell einer Robbe weg, so gleicht sie fast einem Menschen. Vor allem, wenn du eine Robbe auf die Bauchseite legst.

So ahnte Aslak die tiefe Verwandtschaft von Robben und Menschen.

Vom Leben der Pinguine
Der antarktische Lebensraum

In dem bekannten Buch: Die Insel der fünf Millionen Pinguine schreibt Cherry Kearton:

In der Tat weiß ich nicht, ob mir während der vierzig Jahre, die ich nun schon naturforschend durch die Welt ziehe, je ein so interessantes und zugleich unterhaltsames Geschöpf begegnet ist wie der Pinguin. Wegen seines komischen Ausdrucks, für den er berühmt ist, muss man über ihn lachen, ob man will oder nicht. Allein die Insel der Pinguine hat mich gelehrt, dass er nicht nur belacht zu werden verdient. Er mag nicht immer einen besonders gescheiten Eindruck machen – obwohl er, vermutlich aus Instinkt, oft erstaunlich klug und bedacht handelt –, aber er ist ein braves und treues Geschöpf und im ehelichen Leben ein wahres Musterbild.1

Wer Pinguine jemals gesehen hat – vor allem die Eselspinguine –, wird diese Beschreibung bestätigen. Diese Vögel, die nicht fliegen können, dafür aber auf dem Lande aufrecht dahinwackeln oder auf dem Bauch vorwärtsrutschen, sind ein seltsames Volk. Zu vielen Tausenden tauchen sie plötzlich, aus dem Meer kommend, an ihren Brutplätzen auf. Sie sind dann zahlreich wie der Sand am Meer. Das Weibchen legt wenige Wochen nach der Begattung ein Ei. Beide Partner vollziehen gemeinsam das Brutgeschäft, und beide kümmern sich mit rührender Besorgnis um die Aufzucht des meistens einzigen Kindes. Das alles geschieht «en masse», Kopf an Kopf und Nest an Nest.

Nachdem die Jungen einigermaßen selbstständig geworden sind, gehen sie alle zusammen, Familie und Volk, zurück ins Meer.

Dieser Rhythmus wiederholt sich alljährlich immer neu, nur mit dem Unterschied, dass die verschiedenen Pinguinarten ihre individuellen Rhythmen haben. Die meisten brüten während des Sommers. Die Kaiserpinguine hingegen kommen im Herbst ans Land und verbringen dort die Brut- und Aufzuchtzeit während des Winters. Die Eselspinguine brüten sogar zweimal im Jahr; im Herbst sowohl als auch im Frühling. Allerdings leben sie näher der gemäßigten Zone als die meisten anderen ihrer Genossen.

Der Lebensraum aller Pinguine ist ein sehr umgrenzter. Sie sind Tiere der Antarktis. Ihr Ausbreitungsgebiet reicht vom Südpol bis zu den Inseln und Inselgruppen der ihn umgebenden Meere. Der ganze Kreis dieser Inseln wird von den Pinguinen als Brutplatz benützt. Von Neuseeland über Tasmanien zu den Kerguelen und Crozetinseln, bis nach Süd-Georgien, Süd-Orkney, Süd-Shetland und Südafrika reicht dieses Gebiet. Kalte Meeresströmungen brachten sie sogar zu den Galapagos-Inseln am Äquator.2 Am Nordpol und in den nördlichen Eismeeren hingegen ist der Pinguin unbekannt.

Das ist ein sehr beachtenswertes Phänomen, dem wir hier begegnen, denn wenige Tierarten haben eine so deutlich umschriebene Lebenszone. Wie ist das zu verstehen? Ist nicht der Nordpol dem Südpol ähnlich? Beide stellen die aus dem übrigen Reich der Erde herausgehobenen Gebiete dar, in denen der Tagesrhythmus zum Jahresrhythmus geworden ist, weil die Sonne nur einmal im Laufe von zwölf Monaten auf- und einmal untergeht. Die Region des ewigen Eises überzieht beide Polarzonen. Unterhalb dieser Decke aber sind beide Reiche völlig voneinander verschieden.

Das Nordpolargebiet ist ein gewaltiges, vom Meer erfülltes Einsturzbecken, aus dem einzelne Inselreste herausragen, und das von den Küstenstirnen der Festländer umstellt erscheint. Das Südpolargebiet ist im Gegensatz dazu Festland, und zwar ein ausgedehnter Hochlandblock, der vom Meer umgeben wird.3

Mit dieser Feststellung wird der grundlegende Gegensatz der beiden Polargebiete genau charakterisiert. Noch deutlicher tritt das in der folgenden Feststellung hervor:

Der Nordpol liegt in einem tiefen Meer von der Größe des Erdteils Europa, das am Pol selbst über 4200 Meter tief ist. Der Südpol dagegen ist, wenigstens annähernd, der Mittelpunkt eines gewaltigen Festlandes, eines Erdteils, anderthalbmal so groß wie Europa. Er liegt auf einer Hochebene in etwa 2900 Meter Meereshöhe. Während nun um das tiefe und weite Meeresbecken am Nordpol die ungeheuren Landmassen Asien, Europa und Amerika einen fast geschlossenen Ring bilden, liegt das Festland des Südpols, der sechste Erdteil, völlig isoliert im 5000 Meter tiefen Weltmeer. Atlantik, Pazifik und Indik fließen zu einer unabsehbaren riesigen Wassermasse zusammen.4

 

Versucht man, dieses Bild der beiden Erdpole noch stärker zu konturieren und sich dazu vorzustellen, dass das nördliche Polarmeer 4000 Meter eingesunken und das südpolare Festland beinahe 3000 Meter hoch ist, sodass eine Höhendifferenz von 7000 Metern besteht – bedenkt man ferner, dass im Norden ein von Ufern umgebenes Meer, im Süden aber eine vom Meer umgebene riesige Insel vorhanden ist, dann wird dieser Gegensatz in seiner Urbildlichkeit noch greifbarer. Der Nordpol ist ein See, von den Ufern der großen Kontinente umsäumt. Der Südpol wird zur Insel, von mächtigen Ozeanen umbrandet.

See und Insel werden zu den beiden Urgestalten, die immer neu und in fast unendlicher Variabilität die Landschaft der Erde formen. Die Ur-Insel ist der Südpol. Der Ur-See ist die Arktis, und aus beiden Bereichen schiebt sich die formende Kraft in alle übrigen Erdgebiete hinein. Man möchte fast sagen, dass alle Inseln, wo immer sie auch liegen, Kinder der Antarktis sind. Die Seen aber, so klein oder groß sie auch sein mögen, sind die Geschöpfe des nordpolaren Einbruchbeckens. Die Insel, jede Insel, ist ein aus dem umgebenden Wasser herauskristallisiertes, verdichtetes Stück Erde. Die im flüssigen Element lebenden Kräfte konzentrieren sich auf einen Mittelpunkt hin und backen die Insel heraus. Der See aber ist ein Auflösungsprozess, der sich im Zentrum des harten Erdreichs bildet. Aus seinem Mittelpunkt strömen die verflüssigenden Kräfte hinein in die umgebenden Ufer und tragen in Jahrtausenden Felsen und Berge ab.

Die Insel ist ein Erde-Werden; der See ein Entwerden, ein Erde-Vergehen. Verdichtung und Auflösung leben in diesen beiden Gestalten. Der Nordpol ist alt; dort löst die Erde sich auf. Von dort atmen die Eiszeiten in den Strom der Evolution hinein, überdecken die nördlichen Kontinente für Jahrhunderte mit Eis und ziehen sich dann wieder zurück, zur Urmutter aller Seen. Vom Südpol hingegen strömen die verdichtenden Insel-Kräfte in die Erde hinein. Sie halten die Kontinente zusammen und geben dem Erdreich seine verhärtenden Eigenschaften.

Auflösung strömt aus dem Norden; sie aber wird von den mächtigen Landmassen der Kontinente im Gleichgewicht erhalten, damit die Erde nicht völlig verflüssigt werde. Verdichtung wirkt aus dem Süden; die Wassermassen der Ozeane stellen sich dieser gigantischen Macht entgegen, damit nicht die Erde ganz verhärte.

Das sind die Gegensätze der beiden Polargebiete. Die quellende Schönheit der Seen, die ein träumendes, ahnendes Element in jede Landschaft hineingießen, da der Himmel sich in ihren Wassern spiegelt und darin sich selbst erblickt, stammt aus dem Norden. Die verhärtende Strenge, die ein Grundcharakter aller Inseln, die den Wassern Halt geben, ist, und die dem Himmel nicht einen Spiegel, sondern eine Faust entgegenstrecken, kommt aus dem Süden. Die Erde wird eigenständig und lehnt sich gegen den Himmel auf.

Die Pinguine sind Geschöpfe dieser eigenwilligen Kräfte. Sie versammeln sich im Wirkungsgebiet der Erdverdichtung und Inselbildung.