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Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens

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VI. Das Bedenken der möglicherweise irrtümlichen Freigabe. 56

Bei der zweiten Art trägt der Täter das Risiko des Irrtums und verfällt bei unverzeihlichem Irrtum sogar der Strafe.

Ganz besonders schwer würde aber in weiten Volkskreisen eine Tötung auf Grund irrtümlicher amtlicher Freigabe empfunden werden. Gerade deshalb wird unseren Vorschlägen unausbleiblich der Einwand entgegengehalten werden, die Diagnose der Unheilbarkeit sei unsicher, und so könnte die amtliche Freigabe auch erfolgen zuungunsten eines Menschen, den ein »Wunder« oder die Kunst der Ärzte doch vielleicht schließlich noch hätte retten können. Solcher Vorgang sei aber im höchsten Maße anstößig.

Die Möglichkeit des Irrtums bei der Freigabebehörde ist trotz der geforderten Einstimmigkeit unleugbar. Nur bei den dauernden Idioten dürfte er fast ausgeschlossen sein. Aber Irrtum ist bei allen menschlichen Handlungen möglich, und niemand wird die törichte Folgerung ziehen, daß alle nützlichen und heilsamen Handlungen in Anbetracht dieses möglichen Defekts zu unterbleiben hätten. Auch der Arzt außerhalb der Behörde unterliegt dem Irrtum, der sehr üble Folgen verursachen kann, und niemand wird ihn wegen seiner Fähigkeit zu irren ausschalten wollen.

Das Gute und das Vernünftige müssen geschehen trotz allen Irrtumsrisikos.

Während nun bei Tausenden von Fällen irrigen Handelns der Beweis des Irrtums nachher bis zur Evidenz zu erbringen ist, dürfte der Beweis für den angeblichen Irrtum der Freigabebehörde nur sehr schwer zu beschaffen und kaum über den Grad einer Möglichkeit der Annahme des Überlebens zu steigern sein.

Nimmt man aber auch den Irrtum einmal als bewiesen an, so zählt die Menschheit jetzt ein Leben weniger. Dies Leben hätte vielleicht nach glücklicher Überwindung der Katastrophe noch sehr kostbar werden können: meist aber wird es kaum über den mittleren Wert besessen haben. Für die Angehörigen wiegt natürlich der Verlust sehr schwer. Aber die Menschheit verliert infolge Irrtums so viele Angehörige, daß einer mehr oder weniger wirklich kaum in die Wagschale fällt.

Und wäre denn immer für den aus schwerer Krankheit Geretteten die Erhaltung ein Segen gewesen? Vielleicht würde er an den Folgen der schweren Erkrankung doch noch viel gelitten haben; vielleicht hätte ihn schweres Schicksal später geschlagen; vielleicht hätte er einen sehr schweren Tod gehabt: jetzt ist er – allerdings vorzeitig – aber sanft entschlafen.

Sein erhaltbar gewesener Lebensrest darf als ein nicht übertriebener Kaufpreis für die Erlösung so vieler Unrettbaren von ihren Leiden betrachtet werden.

In seiner so wertvollen Abhandlung über den Selbstmord berichtet Gaupp (S. 24) von einem Katatoniker, der sich elf Kugeln in den Körper geschossen habe, von denen eine ins Gehirn, vier andere im Schädel geblieben sind. »Nach langem Krankenlager genas er von seinen Verletzungen, um weiterhin in einen tiefen stupor zu verfallen, aus dem er blöde erwachte.«

Ein furchtbares Zeugnis unserer Zeit! Mit Aufwand unendlicher Zeit und Geduld und Sorge bemühen wir uns um die Erhaltung von Leben negativen Wertes, auf dessen Erlöschen jeder Vernünftige hoffen muß. Unser Mitleiden steigert sich über sein richtiges Maß hinaus bis zur Grausamkeit. Dem Unheilbaren, der den Tod ersehnt, nicht die Erlösung durch sanften Tod zu gönnen, das ist kein Mitleid mehr, sondern sein Gegenteil.57

Auch bei allen anderen Handlungen des Mitleids ist der Irrtum und vielleicht ein übles Ende möglich. Wer aber möchte die Anwendung dieses schönsten Zuges menschlicher Natur durch den Hinweis auf solchen Irrtum beschränkt sehen?

II
Ärztliche Bemerkungen

von
Professor Dr. A. Hoche, Freiburg i. Br

Die in den vorausgehenden rechtlichen Ausführungen besprochenen Punkte bedürfen nicht alle in gleichem Maße einer Beleuchtung vom ärztlichen Standpunkte aus. Die Frage der rechtlichen Natur des Selbstmordes und der Rechtslage bei der Tötung der Einwilligenden soll uns nicht näher beschäftigen; alles andere aber geht uns Ärzte sehr viel an, durch deren Köpfe berufsmäßig die ganze Gedankenreihe strafbarer oder strafloser Eingriffe in fremdes Leben hindurchläuft. Das Verhältnis des Arztes zum Töten im allgemeinen bedarf daher einer besonderen Erörterung.

Jeder Mensch ist bekanntlich unter gesetzlich näher bestimmten Umständen zu straflosen Eingriffen in fremde körperliche Existenz berechtigt (Notwehr, Notstand); beim Arzte wird das Verhältnis zum fremden Leben in negativer Hinsicht zwar durch das Gesetz bestimmt; tatsächlich ist aber sein Handeln auf diesem Gebiete ein Ausfluß seiner besonderen ärztlichen Sittenlehre. Es kommt der Allgemeinheit für gewöhnlich kaum zum Bewußtsein, daß diese ärztliche Sittenlehre nirgends fixiert ist. Es gibt wohl einzelne Bücher darüber, die aber den meisten Ärzten unbekannt sind und reine Privatleistungen ihrer Verfasser darstellen, aber es gibt kein in Paragraphen lebendes ärztliches Sittengesetz, keine »moralische Dienstanweisung«.

Der junge Arzt geht ohne jede gesetzliche Umschreibung seiner Rechte und Pflichten gerade in bezug auf die eingreifendsten Punkte in seine Praxis hinaus. Nicht einmal der Doktoreid der früheren Zeit mit einigen allgemeinen Bindungen ist mehr vorhanden. Was der Novize an Anweisung mitbringt, ist das Beispiel seiner Lehrer auf der Universität, die gelegentlichen Erörterungen, die sich an den Einzelfall anschlossen, das Lernen in seiner Assistentenzeit, der Einfluß der allgemeinen ärztlichen Anschauungen in der Literatur und eigene Schlußfolgerungen, die sich für ihn aus der Eigenart seiner Aufgabe ergeben. In gewissen Richtungen, aber gerade nicht in den entscheidenden, besteht eine Festlegung durch Gewerbeordnung, Verträge mit Krankenkassen u. dgl.; in einiger Entfernung sieht der Arzt einige Paragraphen des Strafgesetzbuches und die Aufsicht der Standesgenossen durch das ärztliche Ehrengericht. In allen diesen Punkten handelt es sich für den Arzt aber meist um eine negative Bindung in bezug auf das, was er nicht darf, nicht um positive Anweisungen. Was er darf und soll, ergibt sich als Ausfluß der Standesanschauungen, deren eine Voraussetzung unter allen Umständen die ist, daß der Arzt verpflichtet ist, nach allgemeinen sittlichen Normen zu handeln; dazu kommt als Standespflicht die Aufgabe, Kranke zu heilen, Schmerzen zu beseitigen oder zu lindern, Leben zu erhalten und soviel wie möglich, zu verlängern.

Diese allgemeinste Regel ist nicht ohne Ausnahme. Der Arzt ist praktisch genötigt, Leben zu vernichten (Tötung des lebenden Kindes bei der Geburt im Interesse der Erhaltung der Mutter, Unterbrechung der Schwangerschaft aus gleichen Gründen). Diese Eingriffe sind nirgends ausdrücklich erlaubt; sie bleiben nur straflos von dem Gesichtspunkte aus, daß sie im Interesse der Sicherung eines höheren Rechtsgutes erfolgen und unter den Voraussetzungen, daß ihnen pflichtmäßige Erwägungen vorausgegangen sind, daß bei der Ausführung die Kunstregeln beachtet wurden, und daß die notwendige Verständigung mit dem Patienten oder seinem gesetzlichen Vertreter oder den Angehörigen stattgefunden hat.

Auch die Akte der Körperverletzung, wie sie der Chirurg berufsmäßig und spezialistisch vornimmt, sind nirgends ausdrücklich erlaubt. Sie bleiben nur straflos, wenn in bezug auf Prüfung der Notwendigkeit und Sorgfalt der Ausführung die Kunstregeln beachtet wurden. Dabei wird bei allen operativen Eingriffen stillschweigend auf einen gewissen Prozentsatz von tödlichen Ausgängen gerechnet, deren Herabdrückung auf das Mindestmaß das heißeste Bemühen der ärztlichen Kunst ist, die aber niemals ganz ausbleiben können, wiederum also Fälle, in denen infolge ärztlicher Einwirkung Menschenleben vernichtet werden. Unser sittliches Gefühl hat sich hiermit völlig abgefunden. Das höhere Rechtsgut der Wiederherstellung einer Mehrzahl macht das Opfer einer Minderzahl notwendig, wobei im Einzelfalle die Sicherung in der Notwendigkeit der vorausgehenden Beschaffung der Einwilligung des Kranken oder seines gesetzlichen Vertreters zum Eingriff gegeben ist, deren Voraussetzung in der Regel ist, daß ihm der Arzt nach bestem Wissen den Grad der Wahrscheinlichkeit der Wiederherstellung und auch der Lebensgefährdung auseinandergesetzt hat.

Auch außerhalb der oben genannten Arten von Fragen steht der Arzt häufig vor dem Problem eines Eingreifens in das Leben in sittlich zweifelhafter Situation.

Von Angehörigen wird in Fällen unheilbarer Krankheit oder unheilbarer geistiger Defektzustände nicht so selten der Wunsch geäußert, »daß es bald zu Ende sein möchte«.

Vor kurzem erst haben mich Angehörige einer in schwerer Bewußtlosigkeit liegenden Selbstmörderin, die das »schwarze Schaf« der Familie war, ersucht, doch ja nichts zur Wiederbelebung zu tun. Es kommt auch vor, daß die Familie im Affekt sich dazu versteigt, dem Arzte Vorwürfe zu machen, wenn er die aktive Verkürzung eines verlorenen evtl. schmerzensreichen Lebens ablehnt. Trotzdem ist von diesen gefühlsmäßigen Anwandlungen bis zu dem Entschlusse zur Tötung oder auch nur zu ausdrücklicher Einwilligung von seiten der Familie ein großer Schritt; wie die Menschen nun einmal sind, würde der Arzt, der heute selbst auf dringenden Wunsch der Angehörigen ein Leben verkürzte, in keiner Weise später vor den heftigsten Vorwürfen oder auch vor einer Strafanzeige sicher sein.

 

Der Arzt kann gelegentlich auch in die Versuchung kommen, unter ganz bestimmten Umständen aus wissenschaftlichem Interesse in ein Menschenleben einzugreifen. Ich entsinne mich einer solchen Versuchung, die ich schließlich siegreich bestanden habe, aus meiner ersten Assistentenzeit. Ein Kind mit einer seltenen und wissenschaftlich interessanten Hirnerkrankung lag im Sterben, und der Zustand war so, daß mit Sicherheit im Laufe der nächsten 24 Stunden das Ende zu erwarten war. Wenn das Kind im Krankenhause starb, waren wir in der Lage, durch die Autopsie den erwünschten Einblick in den Befund zu erhalten. Nun erschien der Vater mit dem dringenden Verlangen, das Kind mit nach Hause zu nehmen; damit ging uns die Möglichkeit der Sektion verloren, die uns sicher war, wenn der Tod vor der Abholung eintrat. Es wäre ein Leichtes gewesen und hätte in keiner Weise festgestellt werden können, wenn ich damals durch eine Morphiumeinspritzung den so wie so mit absoluter Sicherheit nahen Tod um einige Stunden verfrüht hätte. Ich habe schließlich doch nichts getan, weil mein persönlicher Wunsch nach wissenschaftlicher Erkenntnis mir kein genügend schwerwiegendes Rechtsgut sein durfte gegenüber der ärztlichen Pflicht, keine Lebensverkürzung vorzunehmen.

Wie man sich in einem solchen Falle zu entscheiden hätte, wenn etwa bei den geschilderten Umständen der Gewinn einer einschneidenden Einsicht mit der Wirkung späterer Rettung zahlreicher Menschenleben zu erwarten gewesen wäre, das wäre eine neue Frage, die von einem höheren Standpunkte aus mit Ja zu beantworten wäre.

In anderer Form streift das innere Dilemma den Arzt nicht so selten, wenn er vor der Frage steht, ob er durch passives Geschehenlassen, durch Unterlassen der entsprechenden Eingriffe, dem Tode freie Bahn öffnen soll in Fällen, in denen Kranke freiwillig das Leben zu verlassen wünschen und sich selbst in irgendeiner Form, auf dem Wege des Selbsttötungsversuches, in einen schwer gefährdeten Zustand versetzt haben.

Die Versuchung, in solchen Fällen dem Schicksal seinen Lauf zu lassen, ist dann besonders groß, wenn es sich etwa um unheilbare Geisteskranke handelt, bei denen der Tod das in jedem Falle Vorzuziehende ist.

(Selbstverständlich kann diese ganze Fragestellung dann nicht auftauchen, wenn es sich bei dem Kranken, wie etwa bei einer einfachen heilbaren Depression, um einen vorübergehenden Schätzungsirrtum in der Bewertung der zum Tode drängenden Motive gehandelt hat.)

Die kurze Aufzählung dieser Fälle, bei denen ich insgesamt aus eigener Erfahrung sprechen kann, zeigt, wie ungeheuer kompliziert schon im täglichen Leben sich für den Arzt die Abwägung zwischen den starren Grundsätzen der ärztlichen Norm und den Forderungen einer höheren Auffassung der Lebenswerte gestalten kann. Der Arzt hat kein absolutes, sondern nur ein relatives, unter neuen Umständen veränderliches, neu zu prüfendes Verhältnis zu der grundsätzlich anzuerkennenden Aufgabe der Erhaltung fremden Lebens unter allen Umständen. Die ärztliche Sittenlehre ist nicht als ein ewig gleichbleibendes Gebilde anzusehen. Die historische Entwicklung zeigt uns in dieser Hinsicht genügend deutliche Wandlungen. Von dem Augenblicke an, in dem z. B. die Tötung Unheilbarer oder die Beseitigung geistig Toter nicht nur als nicht strafbar, sondern als ein für die allgemeine Wohlfahrt wünschenswertes Ziel erkannt und allgemein anerkannt wäre, würden in der ärztlichen Sittenlehre jedenfalls keine ausschließenden Gegengründe zu finden sein.

Die Ärzte würden es z. B. zweifellos als eine Entlastung ihres Gewissens empfinden, wenn sie in ihrem Handeln an Sterbebetten nicht mehr von dem kategorischen Gebote der unbedingten Lebensverlängerung eingeengt und bedrückt würden, ein Gebot, zu dem ich mich auch – de lege lata – in meiner oben (S. 35) zitierten Äußerung bekannt habe; ich würde gern jenen Satz dahin abändern dürfen: »es war früher eine unerläßliche Forderung …« Tatsächlich bedeuten die von Ärzten (oder auf ihre Anweisung vom Pflegepersonal und von Angehörigen) vorgenommenen lebensverlängernden Eingriffe an Sterbenden für denjenigen, dem sie gelten und für den sie ein Gut darstellen sollen, vielfach ein Übel, eine Belästigung, eine Quälerei, in gleicher Weise wie für den gesunden, müden Einschlafenden die Störung durch immer wiederkehrende Weckreize; es liegt ihnen bei Laien in der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle eine falsche Vorstellung von dem inneren Zustande des Sterbenden zugrunde, dessen Bewußtsein entweder in heilsamer Weise verdunkelt ist, oder der nach langer Zermürbung durch Schmerzen und sonstiges Ungemach seiner Krankheit nur noch den Wunsch nach Ruhe und Schlafen hat und es sicherlich niemandem Dank weiß, der sein immer tieferes Versinken in die Bewußtlosigkeit hindert und aufhält; er ist ja gar nicht mehr imstande, die gute Absicht hinter den störenden Pflegeeingriffen zu erkennen.

Das an sich anzuerkennende Prinzip der ärztlichen Pflicht zu möglichster Lebensverlängerung wird, auf die Spitze getrieben, zum Unsinn; »Wohltat wird zur Plage«.

Den Hauptgegenstand meiner ärztlichen Stellungnahme zu den rechtlichen Ausführungen soll die Beantwortung der oben Seite 28 formulierten Frage bilden: »Gibt es Menschenleben, die so stark die Eigenschaft des Rechtsguts eingebüßt haben, daß ihre Fortdauer für die Lebensträger wie für die Gesellschaft dauernd allen Wert verloren hat?«

Diese Frage ist im allgemeinen zunächst mit Bestimmtheit zu bejahen; im einzelnen ist dazu folgendes zu sagen. Die im juristischen Teile vollzogene Aufstellung der zwei Gruppen von hierhergehörigen Fällen entspricht den tatsächlichen Verhältnissen; der gemeinsame Gesichtspunkt des nicht mehr vorhandenen Lebenswertes faßt aber sehr Verschiedenartiges zusammen; bei der ersten Gruppe der durch Krankheit oder Verwundung unrettbar Verlorenen wird nicht immer der subjektive und der objektive Lebenswert gleichmäßig aufgehoben sein, während bei der zweiten, auch zahlenmäßig größeren Gruppe der unheilbar Blödsinnigen, die Fortdauer des Lebens weder für die Gesellschaft noch für die Lebensträger selbst irgendwelchen Wert besitzt.

Zustände endgültigen unheilbaren Blödsinns oder wie wir in freundlicherer Formulierung sagen wollen: Zustände geistigen Todes sind für den Arzt, insbesondere für den Irrenarzt und Nervenarzt etwas recht Häufiges.

Man trennt sie zweckmäßigerweise in zwei große Gruppen:

1. in diejenigen Fälle, bei denen der geistige Tod im späteren Verlaufe des Lebens nach vorausgehenden Zeiten geistiger Vollwertigkeit, oder wenigstens Durchschnittlichkeit erworben wird;

2. in diejenigen, die auf Grund angeborener oder in frühester Kindheit einsetzender Gehirnveränderungen entstehen.

Für die nicht ärztlichen Leser sei erwähnt, daß in der ersten Gruppe Zustände geistigen Todes erreicht werden: bei den Greisenveränderungen des Gehirns, dann bei der sogenannten Hirnerweichung der Laien, der Dementia paralytica, weiter auf Grund arteriosklerotischer Veränderungen im Gehirn und endlich bei der großen Gruppe der jugendlichen Verblödungsprozesse (Dementia praecox), von denen aber nur ein gewisser Prozentsatz die höchsten Grade geistiger Verödung erreicht.

Bei der zweiten Gruppe handelt es sich entweder um grobe Mißbildungen des Gehirns, Fehlen einzelner Teile (in größerem oder geringerem Umfange), um Hemmungen der Entwicklung während der Existenz im Mutterleib, die auch in die ersten Lebensjahre hinein weiter wirken können, oder um Krankheitsvorgänge der ersten Lebenszeit, die bei einem an sich normal angelegten Hirnorgan die Entwicklung sistieren; (häufig sind damit epileptische Anfälle oder andere motorische Reizerscheinungen verbunden).

Bei beiden Gruppen können gleichhohe Grade der geistigen Öde vorhanden sein. Für unsere Zwecke aber ist doch ein Unterschied zu beachten, ein Unterschied in dem Zustande des geistigen Inventars, der vergleichsweise derselbe ist, wie zwischen einem regellos herumliegenden Haufen von Steinen, an die noch keine bildende Hand gerührt hat, und den Steintrümmern eines zusammengestürzten Gebäudes. Der Sachverständige vermag in der Regel, auch ohne Kenntnis der Vorgeschichte eines geistig toten Menschen und ohne körperliche Untersuchung, aus der Art des geistigen Defektbildes die Unterscheidung der früh und der spät erworbenen Zustände zu machen.

Auch in den Beziehungen der zwei verschiedenen Arten geistig Toter zur Umwelt ist ein wesentlicher Unterschied für unsere Betrachtung vorhanden. Bei den ganz früh erworbenen hat niemals ein geistiger Rapport mit der Umgebung bestanden; bei den spät erworbenen ist dies vielleicht im reichsten Maße der Fall gewesen. Die Umgebung, die Angehörigen und Freunde haben deswegen zu diesen letzteren subjektiv ein ganz anderes Verhältnis; geistig Tote dieser Art können einen ganz anderen »Affektionswert« erworben haben; ihnen gegenüber bestehen Gefühle der Pietät, der Dankbarkeit; zahlreiche, vielleicht stark gefühlsbetonte Erinnerungen verknüpfen sich mit ihrem Bilde, und alles dieses geschieht auch dann noch, wenn die Empfindungen der gesunden Umgebung bei dem Kranken keinerlei Widerhall mehr finden.

Aus diesem Grunde wird für die Frage der etwaigen Vernichtung nicht lebenswerter Leben aus der Reihe der geistig Toten, je nachdem sie der einen oder anderen Kategorie angehören, ein verschiedener Maßstab anzuwenden sein.

56Übertreibende Ausführungen gegen diese Bedenken bei Jost a. a. O. S. 20 ff. Rechtlich ganz verkehrt wird S. 25 behauptet, Töten und das Unterlassen möglicher Rettung sei identisch.
57»Quält seinen Geist nicht! Laßt ihn ziehen! Der haßt ihn, Der auf die Folter dieser zähen Welt Ihn länger spannen will.« Kent in König Lear, 5. Akt, 3. Szene.