Draggheda - Resignation

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Viel brauchte es nicht

Dogan drehte sich im Kreis. Sie alle wollten dasselbe von ihm. Sie alle wollten das, was er nicht bereit war zu geben.

Viel schlimmer aber war das, was mit Farq geschah. Zum ersten Mal standen sie nicht Schulter an Schulter. Und Dogan hatte keine Ahnung, wie das hatte geschehen können. »VERFLUCHTE SCHEISSE!« Wieder fiel ihm auf, dass sein Kerker quasi leer war. Nichts hatten sie ihm hier gelassen! Seine Kleidung, seine Waffen - alles weg!

Alles was ihm blieb, war sein Werkzeug! Doch im Moment gab es niemanden zu foltern, niemanden zu bestrafen – der ganze Kram machte ihm nur klar, wie lächerlich all das war. Wütend trat er gegen den Tisch.

Dann zwang er sich, sich zu beruhigen. Er versuchte, etwas Positives zu finden. Etwas, das ihm half seine Gedanken zu ordnen. Tief atmete er ein und aus: Er hatte geschlafen! Er war ausgeruht, hatte das Biest in die Dunkelheit zurückgedrängt! Konzentriert hielt er sich an diesen Gedanken fest. Odile und Farq wollten dasselbe. Sie wollten beide, dass er die Frau nahm - also war der Weg doch klar! Er durfte genau das nicht tun!

Sie wollten Nachkommen? Wollten sich um seine Brut beißen wie wilde Hunde? Alles in ihm sträubte sich, begehrte brüllend auf, weigerte sich!

Und wieder wurde ihm klar, dass er sich im Kreis drehte! Denn er hatte sich bereits ergeben! Warum konnte er es nicht gut sein lassen? Was war nur mit ihm los? Warum war jetzt alles anders? Warum tat er nicht einfach, was gefordert wurde? Er sollte ihnen geben was sie wollten und sich dann aus dem Staub machen!

Und in diesem Moment wurde ihm bewusst, dass er zum ersten Mal darüber nachdachte, Draggheda zu verlassen! Es gab hundert Gründe dafür und tausend Gründe dagegen, doch so war es schon immer gewesen und immer hatte er getan, was ihm nötig schien. Warum wusste er jetzt nicht mehr ein noch aus? Er kam sich vor wie in einem Sturm. Mal zerrte ihn der Wind in eine Richtung, dann wieder in eine andere! Tiefe Verzweiflung ergriff ihn, als er ein weiteres Mal an den Punkt kam, an dem er verstehen musste, dass er im Moment von dem Draggheda den er so lange geschützt und für den er so lange gekämpft hatte, genauso verraten wurde wie von der Macht, die er so sehr hasste.

Beide verschworen sich gegen ihn und es brauchte nicht mehr als eine kleine Frau, um ihn zu Fall zu bringen.

Nur eine Geste

Viktor wusste, dass er mit Dogan reden musste. In Mira konnte man lesen wie in einem Buch. Ihre Gedanken waren durchdrungen von dem Mann, der sie einfach nicht sehen wollte. Sie hielt nach ihm Ausschau, wartete so sehr auf ein Zeichen. Würde er es geben, käme sie ihm bereitwillig entgegen. Viktor ließ einen Tag vorübergehen, dann ergriff er die nächste Gelegenheit, alleine mit Dogan zu reden.

Ein Bote kam auf den Berg und berichtete von einigen Erkrankungen, die in einem der näheren Dörfer aufgetreten waren. Es gab zwei Männer, die Vergiftungserscheinungen aufwiesen und der Heiler wurde gebraucht. Ruhig hörte Dogan dem Boten zu. Es war klar, dass er aufbrechen würde, um die Giftblenden zu kontrollieren. Viktor sah seine Chance gekommen. Als Dogan gut eine Stunde später aus dem Berg kam, wartete Viktor bereits.

Dogan war noch keine zwei Schritte aus dem Berg getreten, als er aufsah. Viktor folgte seinem Blick und er erkannte Adara an einem der Fenster von Farqs Räumen. Adara und Dogan schauten einander an, und dann ganz langsam und mit ausdruckslosem Blick legte sie ihre Hände auf ihren Bauch.

Beide Männer erstarrten bei dieser Geste. Über Viktors Gesicht glitt ein Lächeln und freudig wandte er sich zu Dogan um. Doch in dessen Gesicht war keine Freude. Ein dunkler Schatten flog darüber und der Ausdruck in seinem Gesicht erschreckte Viktor bis ins Mark.

Es ist nicht mehr nötig, dich anzufassen

Adara wandte sich schweigend ab, als Dogan verschwunden war. Farq hatte sie seit der Unterwerfung nicht mehr angerührt und nun wusste sie auch warum. Sie war schwanger! Er ... es war nicht nötig ... mehr zu tun.

Wenn sie ehrlich war, dann ahnte sie es schon seit Tagen, doch sie hatte es nicht wahrhaben wollen. Farq hatte ihrem ihrem Bewusstsein immer mehr Raum gegeben. Nur seine Räume zu verlassen war ihr nicht gestattet. Er erzwang sich Nähe zu ihr, indem er sie von allem abschnitt, was sie vermisste. Sie schliefen nachts im selben Bett, doch er hatte sich ihr nicht wieder aufgezwungen, sie nicht mehr berührt. Kaum ein Wort wechselten sie noch miteinander.

Doch seit diesem Morgen bestand kein Zweifel mehr daran. Sie hatte sich übergeben müssen. Entsetzt presste sie die Hände auf ihren Bauch.

Als sie aufsah, stand er mit breitem Lächeln hinter ihr.

»Du weißt es?«, hauchte sie. Sein Blick voller Genugtuung tat ihr körperlich weh »Vom ersten Moment an!«, flüsterte er »Ich hab es schon gewusst, als Dogan mich von dir runter gezogen hat!« Seine Stimme war so selbstgefällig, dass sie ihn am liebsten angegriffen hätte. »Und wenn du nicht so verbohrt in deiner Ablehnung gewesen wärst, hättest du es auch sofort gewusst!« In abfälligem Ton sagte er »Du solltest zufrieden sein. Damit hast du dir Ruhe erkauft! Mehr wollte ich nicht von dir! Es besteht also für die nächsten Monate kein Grund, dich zu berühren!«

Seitdem saß sie hier und brütete. Nun war es geschehen! Sie saß fest, lebendig begraben! Ihre Gefühle veränderten sich mit der Geschwindigkeit einer Achterbahn. Sie war erleichtert, weil er ihr nun nicht mehr nahekommen musste. Sie war am Boden zerstört, weil er sie nun festhalten würde. Sie hasste ihn! Und so stark wie der Hass sich in ihr ausbreitete, so stark wuchsen auch die völlig unbekannten Gefühle für das Wesen, das sie in sich trug. Sie fühlte es! Fühlte das irrsinnige Bedürfnis, es zu schützen. Adara fing an zu weinen. In ihrer Hilflosigkeit überlegte sie, ob sie noch einmal fliehen konnte. Sie erinnerte sich, dass sie sich nun in genau der Situation befand, vor der sie geflohen war. Doch sie erinnerte sich auch daran, dass diese Flucht ihr nichts von ihrer Freiheit gelassen hatte. In der Welt der Menschen hatte sie ebenfalls aufgeben müssen, was sie sich durch ihre Flucht hatte bewahren wollen.

Und nun trug sie ein Kind. Ein Kind, das hier etwas Besonderes sein würde. Etwas worauf man aufpassen, das man beschützen würde. In anderen Welten würde sie es verstecken müssen. Es würde niemals verstehen dürfen, zu was es geboren worden war.

Du musst mit ihr reden

Für eine ungewöhnlich lange Zeit ritten die beiden Männer schweigend nebeneinander her. Dogans Gesicht hatte sich verdüstert, als Viktor aufgeschlossen war. Sie ritten gut eine halbe Stunde, bevor sie erste Giftblende erreichten, die im dichten Laub des Baumes kaum auszumachen war.

Dogan stellte sich auf den Rücken seines Hengstes, um an den Glaskolben zu gelangen. Es waren kunstvoll geblasene Behältnisse. Sie waren nach oben hin offen und wurden mit einer klaren Flüssigkeit aus einem der Tunnel gefüllt. Unten am Boden des Kolbens war ebenfalls eine Öffnung. Diese führte in einer filigranen Schleife eine dünne Glasröhre durch den Inhalt des Kolbens. Feine Löcher waren in dieser Röhre. So fein, dass Sauerstoff hinein gelangte, aber keine Flüssigkeit austrat. Dogan blieb auf dem Rücken des Pferdes stehen. Er schüttete ein paar Tropfen aus dem Kolben auf seine Handfläche. Nichts geschah. Hier also schien alles mit rechten Dingen zuzugehen.

So ritten sie in den nächsten Stunden noch drei weitere Giftblenden ab. Alle drei waren sauber. Wäre in dieser Gegend Gift ausgebracht worden, hätte die Flüssigkeit wie Säure reagiert. Dogan hatte ihnen das früher einmal an einem Gefangenen demonstriert. Es war kein schönes Schauspiel gewesen. Denn diese Kolben verwandelten das Wasser in Säure, wenn mit Gift versetzter Sauerstoff durch die dünnen Röhrchen in Kontakt mit dem Wasser kam. Hier schien alles in Ordnung zu sein. Doch Dogan brummte nur, anstatt etwas zu sagen. Viktor lächelte. Dogan war genervt von seiner stummen Anwesenheit. Ihm war deutlich anzusehen, dass er auf das wartete, was Viktor ihm zu sagen hatte. Irgendwann riss ihm der Geduldsfaden. »MACH SCHON!«, forderte er »SAG SCHON WAS DU ZU SAGEN HAST!«

»Dogan, wenn du deine Wahl tatsächlich getroffen hast, dann musst du mit der Frau reden!«

»Warum?«

Die Gegenfrage kam so schnell, dass Viktor einen Moment lang perplex war »Weil du ... weil sie ...« Der Blick den Viktor sich mit seinem Gestammel einfing, war dunkel.

»Dogan!«, mahnte er ihn trotzdem »Du hast nachgegeben! Du hast gewählt. Nun musst du überlegen, wie sehr du die Kleine wirklich quälen willst! Rede mit ihr! Finde heraus, ob es nicht doch einen Weg gibt, sie ...«

»... am Leben zu lassen?«, vollendete Dogan den Satz voller Sarkasmus.

»JA VERDAMMT! Genau das! Du wirst sie gefälligst am Leben lassen! Und nicht nur das! Du wirst auch irgendetwas Ähnliches wie eine Beziehung zu ihr aufbauen müssen! Zu ihr und dem Kind das sie trägt, bevor sie deines empfängt!«

Der Schlag war heimtückisch und Dogan steckte ihn mit einem Fluch ein. Viktor sah sein in Gesicht und wusste, dass er nicht nachlassen durfte! Dogan musste annehmen, wozu er sich verpflichtet hatte »Hör auf dich zu wehren! Du hast sie gewählt, jetzt bring es anständig zu Ende!«

Der Blick den Dogan Viktor zuwarf, hatte etwas von dem sorgenvollen Blick eines kleinen Jungen. Viktor fühlte eine tiefe Verbundenheit zu dem großen Mann »Und? Was denkst du sollte ich tun?« fragte Dogan leise. Erleichtert erkannte Viktor, dass Dogan bereit war, ihm wenigstens zuzuhören.

 

»Rede mit ihr!«

»Über was?«

»Über das was sie erwartet ...« Bei Dogans plötzlich belustigtem Blick hielt er inne »Na ja, vielleicht hast du recht ...« lenkte er ein »vielleicht ist das nicht wirklich das, womit du anfangen solltest!«

Dogans Lachen hörte sich hilflos an, doch trotzdem forderte er ihn heraus »Gut Mann, dann rede ich mit ihr vielleicht über die blauen Monde und den Grund warum mir nach diesen Nächten keiner vor euch in die Augen schauen kann? Was meinst du? Ist das der richtige Einstieg, um sie auf mich vorzubereiten?«

Am liebsten hätte er Viktor eine verpasst.

Viktor ersparte es sich, auf Dogans sarkastischen Tonfall einzusteigen. Er ließ seinen Sarkasmus und seine Wut über sich hinwegziehen und sagte sanft »Sie ist bereit dich zu sehen! Verstehst du? Kannst du das nicht ebenfalls tun? Ist es so schwer, diese Frau zu sehen?«

Dogan wandte den Blick ab. Sein Gesicht lag im Dunkeln und endlich brummte er leise »Sie sieht nicht mich! Du weißt das! Sie sieht meine Stellung hier, sie erhofft sich Schutz! Und sie hat keine Ahnung, wie dumm das ist!«

»Wie sollte sie auch? Du sprichst nicht mit ihr! Niemand erklärt ihr etwas. Wir alle drucksen herum, wenn sie sich endlich mal traut, eine Frage zu stellen! Es wäre nicht mehr als fair ihr eine Tür zu öffnen!«

»Und? Wenn sie dann erkennt, dass sie einen schlimmen Fehler gemacht hat? Was dann? Denkst du, Farq wird sie von der Leine lassen?«

»Dann wäre es gut, wenn du eine Beziehung zu ihr aufgebaut hättest! Dann wäre es gut, wenn dir etwas an ihr läge, denn nur das würde sie vor dem Schlimmsten schützen!«

Dogan blieb stumm, doch sein Gesicht war so dunkel, dass es Viktor Angst und Bange wurde. Wie weit durfte er noch gehen? Er wusste es nicht. Doch er war es seinem Freund schuldig, nicht vorschnell aufzugeben.

»Versteh doch Dogan! Du willst sie nicht schänden, willst sie nicht verletzen! Doch genau das wird passieren, wenn du ihr nicht näherkommst! Nur das was sich da drin ...« Er zeigte auf Dogans Brust »... für sie verwendet, wird dich davon abhalten sie zu zerstören!«

Dogan erstarrte. In diesem Moment fühlte er wie ein Fremder. Viktor war immer derjenige, der am meisten über ihn zu ahnen schien. Doch mit diesen Worten hatte er offenbart, dass er rein gar nichts über ihn wusste und das er ihm nicht näher stand als einer der anderen. Dogan schloss die Augen und versuchte den unerwarteten Schmerz über diese Erkenntnis wegzuatmen. Denn Viktor spielte auf ein Herz in seiner Brust an. Ein Herz, das sich für Mira verwenden würde. Doch in Dogan gab es kein mitleidiges Herz. In Dogan gab es nur Odile! Und Odile wartete nur darauf, Mira zu zerstören.

Dann schlug er die Augen auf und lächelte Viktor an »Was schlägst du vor, was ich tun soll?«

4 Lieber ein Druckmittel als tot

Sian nutzte die neu gewonnene Freiheit. Viktor hatte Anweisung gegeben sie nicht mehr einzuschließen. Das erlaubte ihr, sich auf dem Berg frei zu bewegen. Also streckte sie vorsichtig ihre Fühler aus. Zuerst war sie über den Berghof geschlendert und arbeitete sich von Gebäude zu Gebäude. Überall begegnete man ihr freundlich. Auf ihre Fragen gab man ihr Antwort. Als sie jedoch durch das Tor den Berghof verlassen wollte, trat ihr einer der jüngeren Krieger in den Weg. Er schüttelte wortlos den Kopf und mit einem Schulterzucken zog sie sich zurück. Insgeheim fragte sie sich, wo Ben war, doch dann wurde ihre Aufmerksamkeit auf zwei Reiter gelenkt, die sich auf den Berg zubewegten.

Unschwer erkannte sie Dogan und Viktor. Sie beobachtete, wie die Männer durch das Tor ritten. Dogan wirkte mürrisch, Viktors Ausdruck wirkte besorgt. Bevor sie sich trennten, wechselten sie einen Blick. Dann schaute Dogan sich suchend um. Eine laute Stille lag plötzlich über dem Berghof.

Keeza, die Frau des Haushofmeisters, hatte Mira unter ihre Fittiche genommen und sie aus ihrem Zimmer gelockt. Als sie Dogans Blick bemerkte, hielt sie inne. Ihr alarmierter Gesichtsausdruck verschreckte Mira.

Als er auf die Frauen zuritt, tat er, wozu Viktor ihn aufgefordert hatte: Er sah sie an! »Verdammt!« dachte er angewidert »VERDAMMTE SCHEISSE!« Seine Silhouette ragte schließlich drohend über ihr auf. Sie wagte kaum, den Blick zu ihm zu heben.

»Wir sollen reden!« brummte er und ab diesem Moment war sie nicht mehr in der Lage ihm zu antworten. Alles, was sie fertig brachte, war ein stummes Nicken. Ohne ein weiteres Wort beugte sich zu ihr herab und griff mit beiden Händen nach ihr. Bevor sie auch nur reagieren konnte, hatte er sie vor sich auf das Pferd gezogen und so positioniert, dass die schnappenden Kiefer des Hengstes sie nicht erreichten.

Stille breitete sich auf dem Berg aus. Dogan wusste, dass sich jedes verdammte Augenpaar auf sie richtete. Er hasste den Gedanken daran! Sie sollten alle zum Teufel gehen! Er wendete seinen Hengst, und in der Mitte des Hofes drehte sich das Tier sich einmal um sich selbst. Mira schrak zusammen, als er brüllte »Habt ihr nichts zu tun?«

Sofort brach rege Geschäftigkeit aus. Jeder bemühte sich, den Blick abzuwenden, und niemand schaute ihnen noch offen hinterher. Dogan spukte aus, als er durch das Tor ritt. Es kostete ihn Mühe, seine Wut zu verstecken. Und diese Wut übertrug sich auf den Hengst. Es kam nicht oft vor, dass Dogan ihm einen zweiten Reiter zumutete. Das Tier hasste Berührungen von Fremden und konnte den Impuls zu bocken kaum verhehlen. Ruppig tänzelte er unter seinen Reitern. Die heftigen Bewegungen führten dazu, dass Dogan Mira fester halten musste, und das wiederum heizte seine Wut noch weiter an.

»So eine verdammte ...«, schimpfte er leise und bei seinen Worten zuckte sie erneut zusammen. Ihre Nervosität gab dem Hengst den Rest und er brach seitlich aus. Dogan musste fest zugreifen um zu verhindern, dass sie herunterrutschte. Er fluchte wieder, diesmal laut, und dann war da dieses Flattern unter seiner Hand. Ganz automatisch bewegte sich seine Hand auf ihrem Bauch. Es war, als ob seine verdammten Finger dem Flattern Antwort gaben.

Instinktiv ahnte Mira in dieser Berührung etwas, das ihr Mut machte. Das war nichts, was er geplant hatte. »Sie fühlt dich« flüsterte sie, den Vorteil nutzend den ihr die Situation verschaffte.

»Was?«

»Sie fühlt dich!«

»Sie?«

»Ja, ... ich glaube ganz fest, dass es ein Mädchen ist!« Und während sie bei dem Gedanken an ihre kleine Tochter lächelte, konnte er nur daran denken, dass er das Kind wenigstens nicht töten musste, wenn sie recht hatte und es ein Mädchen wurde. Und während seine Gedanken dunkler wurden, schwärmte Mira mit strahlenden Augen »Wie ein Schmetterling hat es sich am Anfang angefühlt.« Mit jedem Wort wurde sie sicherer. Für sie war die Schwangerschaft plötzlich die Chance auf eine Verbindung zu ihm »Ganz leicht ist das Gefühl, kaum wahrnehmbar ... und doch ... einfach da!«

Er blieb stumm.

»... dann wurde es schwerer, runder irgendwie ...« Ihr Lächeln wurde breiter »Sie wird mir vertrauter. Von Tag zu Tag ein wenig mehr. Ich ... ich rede mit ihr, wenn ich alleine bin und ich glaube, dass sie mich versteht!«

Sie drehte ihr Köpfchen zu ihm und das Lachen, das sie ihm schenkte, quittierte er mit einem stummen Blick. Schnell wandte sie den Blick wieder ab. Sein ernster Ausdruck stampfte ihre Hoffnung auf eine Verbindung in Grund und Boden. So schnell wie ihre Sicherheit entstanden war, so schnell verschwand sie auch wieder unter diesem dunklen Blick. Mira hatte keine Ahnung, wie sie mit ihm umgehen sollte. Sie schrie leise auf, als der Hengst erneut ausbrach.

»VERDAMMTES MISTVIEH!«, fluchte Dogan laut »Jetzt reicht es!« brummte er und brachte das Tier grob zum Stehen. Sein Arm umfing sie, und mit seinem linken Bein hob er ihr linkes Bein über den mächtigen Hals des Hengstes. Er hielt sie fest und rutschte mit ihr aus dem Sattel, bevor sie kapierte, was er da tat. Unten angekommen verpasste er dem Tier einen derben Schlag auf den Hals noch bevor Mira Boden unter den Füßen hatte.

»Bitte!« fuhr sie dazwischen »Er hat sich doch nur erschrocken!«

Ungnädig blickte Dogan auf sie herab »Das Mistvieh hat sich in seinem ganzen Leben noch nie vor irgendetwas erschrocken!« Wieder maß er diesen winzigen Körper und wieder wollte sie vor Unbehagen am liebsten in Ohnmacht fallen. Instinktiv legte sie die Hände auf ihren Bauch und daran blieb sein Blick hängen. Denn mit dieser Geste wurde ihm bewusst, dass es eine Frage gab, die er stellen sollte.

»Wenn du ...« erst als er anfing, wurde ihm klar, wie bitter die Frage sein würde und er hielt inne, überlegte kurz. Dann stellte er sie anders »Gibt es in deiner Welt jemanden? Familie? Eltern, Geschwister? Freunde?«

»Nein ...,« sie war einigermaßen verwirrt »ich ... ich habe nur Adara und Zac.«

»Niemanden sonst?«

»Nein, ich ... warum?«

Sie folgte seinem Blick auf ihren Bauch und dann dachte sie zu verstehen »Oh, du denkst, sie sollte ihre Großeltern kennenlernen?« Sie lachte verschämt ohne zu bemerken, wie falsch sie mit ihrer Annahme lag. »Nein, meine Mutter ist schon lange tot und meinen Vater kenne ich nicht«. Ein winziges Schulterzucken folgte »Nein, alles woran ich hänge, ist hier ...«

Als Dogan erkannte, wie offensichtlich sie seine Frage missverstand, warf er jedes Bedürfnis sie zu schonen über Bord. »Und wenn dir etwas zustößt?«, fragte er spröde »Was ist dann mit ...« sein Kinn deutete auf ihren Bauch und wieder war da diese beschützende Geste, mit der sie ihren Bauch streichelte. Ihr trotziger Ton strafte ihren ängstlichen Blick Lügen »... dann wird sie niemanden mehr haben außer dir!«

Nun war er der, der zusammenzuckte. Das, was sie da sagte, ging ihm durch Mark und Bein. Schon einmal war ihm eine solche Verantwortung aufgebürdet worden. Damals hatte er sie angenommen und noch heute fühlte er sich ihr verpflichtet, auch wenn es im Moment noch so schmerzhaft war. Raan hatte sogar dieselben Worte benutzt »... dann wird Farq niemanden außer dir mehr haben!«

Mira trat auf der Stelle. Sie hatte noch nie ein so seltsames Gespräch geführt. Es war zäh und die Worte waren ihr unangenehm, doch sie hatte keine Wahl. Also versuchte sie, den riesigen Stier bei den Hörnern zu packen »Du hast mich gewählt« flüsterte sie. Ihre Worte holten ihn aus der Vergangenheit zurück. Überrascht blickte er sie an »Du hast das gehört?«

»Ja,« nun war ihre Stimme nicht mehr als ein Piepsen. »... und ... damit hast du ... du hast ... Verantwortung ... übernommen, oder?« Beide schwiegen für einige Augenblicke. Mira war es schließlich, die das Schweigen unterbrach. Fast unhörbar flüsterte sie »Danke!«

Wütend schloss er die Augen. Sie dankte ihm? HIMMEL! Das wurde immer irrer! Auf sein stures Schweigen hin wagte sie kaum, den Blick zu heben. Sie musste dieses Gespräch am Laufen halten. Also gab sie sich einen Ruck »Du hast unser Leben gerettet, oder nicht? Er wollte uns ...« Hilflos sah er die erste Träne über ihre Wange fließen. So ging das nicht! Er musste klare Verhältnisse schaffen, ihr irgendwie die Wahrheit sagen! Sie war doch nicht um ihretwillen gewählt worden, und schon gar nicht, um sie zu schützen!

Einen Moment lang suchte er nach Worten. Einen weiteren Augenblick zögerte er, dann setzte er an »Hör zu, da gibt es nichts, wofür du mir danken solltest.« Mira schaute in das große Gesicht, das so kühl auf sie herabsah »Das Ganze hat nicht wirklich etwas mit dir zu tun.«, sagte er harsch »Für Farq bist du ein Mittel um von mir etwas zu erpressen, das ich ihm schon lange verweigere. Sian den Tod anzudrohen war ebenfalls nur ein Druckmittel, weil er genau wusste, dass ich fast alles tun würde, um Ben den Verlust dieser Frau zu ersparen. Du bist dabei ...«, es war ihm egal, wie sehr seine Worte Mira verletzen würden »... du bist dabei nur ein Spielstein auf seinem Schachbrett! Wenn es möglich wäre, dass ich Zac schwängere, dann würde er mich in sein Bett zwingen. Also bedanke dich nicht!«

Die Reaktion auf seine Worte sah er sofort in ihren schimmernden Augen. Strafend hielt er den Blick auf ihr Gesicht gerichtet und endlich registrierte er, das sie sich zusammenriss. Ihre Stimme schien etwas stärker zu werden, als sie vor Wut bebend sagte »Trotzdem Danke! Ich bin lieber ein Druckmittel als tot!«

Ah! Seine Worte hatten sie beleidigt! Das gefiel ihm besser als die Tränen. Seine Mundwinkel zuckten, als sie ihn anfuhr »Es kann nicht gut um dich bestellt sein, wenn so ein mickriger Spielstein wie ich dich dazu bringt einzuknicken!«

 

»Der Punkt geht an dich!« grinste er, dann deutete er auf ihren Bauch »Wie lange noch?«

»Bis zur Geburt?«

Er nickte.

»Wenn sie pünktlich kommt, noch drei Monate ...«

»Gut! Drei Monate sind gut!«

»Warum?«

»Weil uns das Zeit gibt.«

Er sah ihr an, dass sie ihn nicht verstand, und er wusste, dass sie ihn nicht verstehen wollte. Denn trotz ihrer Angst hatte sie einen Plan gefasst. Einen Plan mit Erwartungen, die sie von ihm erfüllt haben wollte. Er mahnte sich zur Ruhe. Sie verstand nicht, was um sie herum geschah. Sie sah nur sich, das Kind und ihn. In ihren Augen versprach er ihr die Sicherheit, die sie so für sich und ihr Kind ersehnte. Sie würde nur schwer verstehen können, wie falsch sie damit lag.

Wieder rollte eine Träne aus ihren großen Augen. Er konnte nur daran denken, um wie viel besser ihr die Wut zu Gesicht gestanden hatte. Doch er atmete tief durch »Mira,« begann er dann »dir ist klar, was Farq von uns erwartet, oder?« Die Augen in dem kleinen Gesicht wandten sich schamhaft ab aber tapfer nickte das Köpfchen. Ihre blonden Locken wippten.

»Du denkst doch nicht, dass das eine gute Idee ist, oder?« Er beobachtete sie genau. Wie mit einem Kind sprach er mit ihr und seine Sinne waren voll aufgedreht. Als sie den Kopf hob und ihn ansah, war ihre Stimme kaum hörbar »... aber wenn er es doch befohlen hat?« Entnervt schloss Dogan die Augen »Mira, sieh her!« forderte er und trat einen Schritt zurück. Sein Blick zwang sie ihn anzusehen. Langsam streckte er sich zu seiner vollen Größe. Er wuchs weiter, als er noch ein paar Mal tief einatmete. Die erste Schlange zeigte sich auf seiner Schulter. Mira schaffte es nicht, seinen dunklen Augen standzuhalten. Von oben blickte er auf sie herab und seine Stimme wurde drohender, während eine zweite Schlange aus seinen Haaren glitt »Sieh mich an!« forderte er erneut.

Sie zwang sich, ihm zu folgen, und langsam glitt ihr Blick an seiner sich verändernden Statur hinauf. Seine Augen waren hinter Schatten verborgen, als er befahl »Sag mir was du siehst!«

»... Schlangen!« wisperte sie.

»Hast du eine Ahnung davon, was es für dich bedeuten würde, wenn wir Farqs Befehl folgten?«

Ihr Köpfchen bewegte sich, es war nicht zu erkennen, ob es ein Zittern oder ein Nicken war. Dann schloss sie die Augen und barg ihr Gesicht in ihren Händen.

»Gut,« dachte er »sie kann mich nicht ansehen. Sie schlottert vor Angst! Das ist ein Anfang!« Er ging vor ihr in die Hocke. Seine Hand griff nach ihrem Kinn und er hob es so an, das sie ihm nicht ausweichen konnte »Er will das ich dir ein Kind verpasse! Das ist alles worum es bei dem ganzen Theater geht! Hör auf, dich in deiner rosa Blase zu verstecken. Mach dir bewusst, was das für dich bedeutet! Es geht ihm nur um ein Kind! Ob du nach der Geburt am Leben bist oder tot, spielt für ihn keine Rolle!«

Und während er die Worte noch aussprach, brach sie in lautes Schluchzen aus. Ihre Tränen fielen auf seine Hand und für einen Moment verschlug es ihm die Sprache. Fast hilflos fuhr er fort »Ich will das alles genauso wenig wie du ...« Seltsamerweise hatte er sie trösten wollen. Es war ein ihm fremdes Gefühl und seine Reaktion überraschte ihn mehr als sie. Und genau deshalb trafen Miras Worte ihn wie eine Ohrfeige »DOCH! ICH WILL DAS! ICH WILL TUN WAS ER SAGT! ICH WILL DAS ...«

Völlig überfahren ließ Dogan ihr Gesicht los und zuckte zurück. Sie sah ihn direkt und er musterte sie sprachlos. Er erkannte Angst ihn ihren Augen - und eine Sturheit, die er ihr nicht zugetraut hatte. Ohne zu verstehen wie das geschehen konnte, fand er sich plötzlich in einer Diskussion mit ihr wieder. »Du hast Adara doch gesehen? Willst du so enden wie sie? Ich ...«

»Bist du wie Farq?«

»Nein!«

»Dann wirst du mich auch nicht ... Du wirst ... auf mich aufpassen!«

»Mira! Ich kann nicht ... du hast ja keine Ahnung, wie ...«

»Er zwingt dich!« unterbrach diese verdammte dünne Stimme ihn immer wieder »Er droht, dir etwas Schlimmes anzutun, wenn du seinem Befehl nicht folgst! Nimm mich zur Frau und lass ihn ins Leere laufen!«

»Was? Ich soll ...? WARUM?«

»Weil ich ... weil ... ich weiß nicht!« Ihr winziges Köpfchen fuhr herum, ihre Schultern zuckten, während sie nach Worten suchte. »Weil ich mich sicher fühle, seit dem ich hier bin! Du wirst mein Baby schützen, wirst auf mich aufpassen! Und ich kann dich schützen! Ich kann tun was er verlangt, und dann bist du frei! Du ...« ihr Atem stockte!

»Ich werde dich umbringen wenn ich ...« er war erschüttert und brach ab, während sie ihm trotzte »Nein, das wirst du nicht!«

»Du hast Adara gesehen, sie hat ...«

»Sie hat sich gewehrt!« In ihre Stimme hatte sich ganz langsam eine abschätzige Kälte geschlichen.

»Er hat sie fast umgebracht!« nun schrie er und sie schrie zurück »Weil sie sich gewehrt hat! Aber ich werde mich nicht wehren! Ich werde tun was nötig ist! Ich werde ...« wieder zuckten die Schultern, weil sie nicht wusste, was sie tun musste. Frustriert schrie sie ihn an »Du wirst mir sagen, was ich tun soll, so dass du nicht böse werden musst! Dann wird alles ganz einfach werden und der ganze Dreck liegt hinter uns! Dann können wir hier leben! In aller Ruhe, du bist weiter sein ... sein ... sein Was-auch-immer! Und ich bin in Sicherheit! Ich bekomme mein Kind! Bekomme unsere Kinder! Ich werde hier glücklich sein dürfen! ICH WILL HIER GLÜCKLICH SEIN!«

Trotzig hatte sie aufgestampft und Dogan stand ohne Worte vor ihr. Er suchte nach Ausflüchten, nach einem Grund, der sie überzeugen musste. Er suchte nach einem Schwert, in das er sich stürzen konnte. Und dann hörte er die Stille in sich hallen: Kein Lachen, kein Fluchen! Nichts drang aus der Dunkelheit nach oben. Es war, als ob die Schwärze den Atem anhielt. Odile schwieg lauernd in der Dunkelheit! Nichts war mehr, wie es sein sollte - alles verschwamm um ihn. Was so einfach sein sollte verkehrte sich ins Gegenteil. Er atmete immer noch tief durch, als sie ihn ansprach ...

»Bitte hör mir zu!« flüsterte sie. Dogan blickte auf sie herab »Mira, du hast keine Ahnung ...«

»Das muss ich auch nicht!«, unterbrach sie ihn und der schneidende Unterton in ihrer Stimme kotzte ihn an. »Ich muss nicht verstehen, warum all das passiert! Das ist deine Sache, nicht meine! Ich ... ich muss nur da sein! Ich muss auf mein Kind aufpassen! Ich muss nur genug Frau sein, dass du ...« Doch dann brach sie ab und schien vor sich selbst erschrocken. Ihre blassen Finger fuhren über ihren Bauch und es war, als ob er zwischen ihren Gliedern einen winzigen Herzschlag wahrnahm.

»Ich hasse Farq!«, stieß sie dann leise aus »Ich hasse, was er dir antut! Ich ...«

Sie hob den kleinen Kopf, ihr Blick suchte ihn »Wie armselig muss er sein, dass er seinen besten Mann so in die Enge treibt!« Sie schwieg einen Moment und er konnte sehen, wie sie ihren ganzen Mut zusammennahm. »Auch wenn es noch so unfair dir gegenüber ist, da ist etwas in meinem Kopf und es sagt ständig: Es ist eine Chance! Dieses neue Leben ist eine Chance! Und dann bewegen sich meine Gedanken. Sie zeigen mir nie, was ich zurücklasse, sie zeigen mir nur, was mich hier erwartet!«

Mit jedem Wort wurde das Licht auf ihrem Gesicht heller. Ihre Augen glänzten, ihre Lippen waren feucht, ihre Zähne klein und wenn sie lächelten, dann schimmerten sie wie Perlen. Doch all das sah Dogan nicht. In seinem Kopf hallte dieser kaum wahrnehmbare kalte Trotz mit dem sie ihn immer weiter trieb. »Ich ... ich sehe dich!«, flüsterte sie jetzt »Ich weiß, dass du mich nicht willst, doch ich ... ich glaube wir könnten es miteinander aushalten, uns aneinander gewöhnen!«

»Du hast keine Ahnung, wovon du da sprichst!«