Draggheda - Resignation

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Der Tod eines Huhnes

Und während sich in der Welt der Menschen eine verwunderte Frances in die Arme eines Arwadoks jenseits Dragghedas schmiegte, erbebte genau dort das Machtgefüge. Denn mit den wenigen Worten mit denen sich Dogan Farqs Befehl unterworfen hatte, knirschte es in den Grundfesten, die diese Welt zusammenhielten.

3 Auf keinen Fall

Als Mira erwachte, saß Sian an ihrem Bett. Ihre Augen waren wie glühende kleine Kohlen, sie brannten vor Wut. »Die haben uns verschachert! Einfach so!« Sie schnippte mit den Fingern, wie Farq es getan hatte »Einfach SO!«, brüllte sie nun »Hör doch! Einfach SO!«

Mira hörte sie, doch im Moment konzentrierte sie sich mehr auf ihren Bauch als auf die schneidenden Worte. Still suchte sie nach einem Lebenszeichen. Erleichtert atmete sie auf, als sie eine zarte Bewegung in sich verspürte. Erst dann war sie in der Lage sich Sian zuzuwenden.

»Der hat sie ja nicht alle! Ich bleib auf keinen Fall hier!«, schimpfte Sian ohne auf Mira zu achten. »Und dein Baby? Wie stellt er sich denn das vor? Soll das hier im Schlamm spielen, anstatt bei uns Sport und Kunst und alles Mögliche ...«, Sian merkte in ihrer Rage nicht einmal, dass das nicht die besten Beispiele waren, die man gegen Draggheda anbringen konnte. In ihrem eigenen Fall waren die Segnungen ihrer Welt bei weitem nichts Gutes gewesen. Erst als ihr Miras Gesicht auffiel, stockte sie. »Mira!«, fuhr sie anklagend fort »... das kann er doch nicht im Ernst meinen? Die können uns doch nicht wirklich ... MIRA! Das kann er nicht machen!«

»Anscheinend schon.«

»Ich wähle die!«, äffte Sian Dogan nach »Das ... das kannst du dir doch nicht gefallen lassen! MIRA!«

Die schrille Stimme zerrte an Miras Nerven. Sian hatte schnell gesprochen und überhaupt nicht auf sie geachtet. Mira wünschte sich im Moment nichts anderes, als allein zu sein. Sie wollte diese giftigen Gedanken nicht. Ihre Hände über ihrem Bauch verkrampften sich. Denn auch Mira hatte seine Worte gehört. Wie durch Watte waren sie in ihr Bewusstsein gedrungen »Ich nehme diese da!«

Ja, sie hatte Dogans Worte gehört. Natürlich hatte sie das. Doch bei ihr waren sie völlig anders angekommen als bei Sian. Denn noch nie hatte jemand sie gewählt. Dogan hatte es getan und fast war es ihr egal, warum.

Sie hatte keine Ahnung, was hinter den Kulissen vorgefallen war. Sie verstand nichts von den Dingen, die die Männer antrieb. Ihre Gedanken drehten sich einzig darum, dass er sie gewählt hatte, um sie vor dem sicheren Tod zu schützen. Vielleicht war also nicht er das Monster, vor dem es sich zu schützen galt, sondern Farq? Und vielleicht hatte sie schon Schlimmeres erlebt als einen Mann, der ihr das Leben rettete?

Es waren diese Gedanken, an denen sich Mira festhalten wollte und so betete sie stumm, dass Sian aufhören möge. Doch die dachte überhaupt nicht daran »Mira! Hast du dazu nichts zu sagen? Das kann dir doch nicht egal sein? Was ist denn wenn dir hier was passiert? Kein Krankenhaus weit und breit?« Sie merkte vor lauter Aufregung überhaupt nicht, wie schwachsinnig sich ausgerechnet dieses Argument in Anbetracht der phantastischen Kräfte des Heilers anhörte.

Wie sie es gewohnt war, redete Sian sich immer weiter in Rage. Und dann war er plötzlich wieder da, dieser verdammte kleine Affe, der sich an sie klammerte und sie zwang, weiter und weiter zu keifen. Heute war der Name des Affen Panik und er verbiss sich in ihr »Mira! SAG JETZT WAS«!, forderte sie.

»Ich weiß nicht, was ich sagen soll!«, fuhr Mira auf. Einen Moment noch beherrschte sie sich, doch dann wurde sie wütend. »Vielleicht denkst du mal darüber nach, dass er uns das Leben gerettet hat! Vielleicht wären wir schon tot wenn Dogan sich nicht ... wenn er nicht...«

Überrascht hielt Sian inne, dann stammelte sie fassungslos »Das ist doch nicht dein Ernst! Mira! Du kannst doch nicht im Ernst in Erwägung ziehen, dich für ... also, Herrgott, als Gebärmaschine ... Mira! HAST DU NICHT VERSTANDEN, DASS DU MIT IHM INS BETT GEHEN SOLLST?«

»UND DU? HAST DU VERGESSEN, DASS DU DIE BEINE FÜR EINEN VERDAMMTEN SCHUSS HEROIN BREITGEMACHT HAST?« Sie schlug sich erschrocken die Hand vor den Mund, als Sians Blick verschwamm. Der Schlag hatte gesessen. Es tat Mira sofort leid, doch als sie sich entschuldigen wollte, wehrte Sian ab »Nein!« Verletzt hob sie die Hände, dann wandte sie sich um und verließ den Raum.

Vor der Tür wartete einer der Männer, der sie wortlos in Empfang nahm und in Bens Räume brachte. Zum ersten Mal schlossen sie sie ein, und als ihr das bewusst wurde, weinte Sian bitterlich. Danach senkte sich Stille über den Berg.

Beiden Frauen war nicht klar, wie viele Augenpaare sich auf sie richteten. Ben wusste, dass auch er beobachtet wurde, und er verweigerte sich dem Drang, Sian zu sehen. Er schäumte vor Wut. Viktor folgte ihm, um Schlimmeres zu verhindern. Der Boden bebte, als er sich Ben näherte. Vorsichtig streckte er die Hand aus »Ben!«, beschwor er ihn »Beruhige dich! Dogan hat deinen Anspruch anerkannt!« In seinen Augen hatte Dogan sich für Ben geopfert und nun musste Ben daran gehindert werden das kaputt zu machen, indem er sich gegen Farq stellte oder die Frau zu früh anfiel!

Ben musste sich beruhigen! Er brauchte eine Pause. Sein Körper vibrierte. Der Boden auf dem er stand, nahm die Vibration auf und sie war bis weit in den Berg hinein zu fühlen. Die Angst nicht zu bekommen, worauf er Anspruch erhoben hatte, lähmte seinen Verstand. In seinen Augen hatte Farq alles zerstört! Er hatte Dogan verraten, ihn in eine Falle gelockt und nun schon zum zweiten Mal die Frau als Druckmittel eingesetzt an die Ben sich gebunden fühlte. Das Zittern wurde stärker wenn er an den Blick dachte, den Sian ihm zugeworfen hatte, als man sie aus dem Raum brachte. Sie hasste ihn! Die Angst getötet zu werden weckte in ihr eine Stärke, die sie nun gegen ihn einsetzen würde. Und Farq hatte ohne Rücksicht damit gespielt. Für ihn waren sie nicht mehr als Spielfiguren. Ben konnte sich einfach nicht beruhigen!

Viktor drängte sich in sein Blickfeld. »Ben,« sagte er leise »sie ist durcheinander, sie ist wütend und verängstigt. Aber sie fühlt uns auch! Du weißt genau, dass sie unseren Instinkt in sich trägt. Sie wird ihm nachgeben, wie wir das auch tun mussten. Es ist egal, was Farq für ein Spiel spielt. Sian wird verstehen! Wir müssen sie nur beschützen bis es soweit ist. DU musst sie beschützen!«

Unglücklich hielt er inne und atmete erleichtert auf, als Bens stierer Blick sich langsam klärte.

»Lass sie mich für einen Augenblick aus der Schusslinie bringen.«, bat er ihn. »Auch die Kleine braucht eine Verschnaufpause – genauso wie Dogan und Du!« Nach einem langen Moment nickte Ben und Viktor verlor keine Zeit und traf Vorbereitungen.

Farq nahm all das auf. Er beobachtete seine Männer genauso, wie er die Frauen beobachtete. Die Situation in der sie sich befanden, war für alle neu. Er lächelte freudlos. Es tat ihnen gut, sich mal mit anderem Scheiß zu beschäftigen.

Und so wachte er über seine Männer und beobachtete die Frauen. Der Zorn den Sian ausstrahlte, schien gleißend hell und Farq mochte die Intensität ihrer Gefühle. Sian war kein Mensch aus der anderen Welt! Sie gehörte hierher und unabhängig von dem, worum es ihm in der Hauptsache ging, war er dankbar, dass Dogan sich endlich ergeben hatte. In den richtigen Händen würde sie scharf wie ein Diamant werden. Es hätte ihm leidgetan, ihren Tod zu befehlen.

Dann wandte er sich Mira zu. Die Stille die ihm bei ihr entgegenschlug, war so völlig anders als das, was in Sian tobte, dass er für einen Moment Sorge um sie und das Ungeborene verspürte. Doch dann, als er sich in ihrem Verstand umsah, fuhr er überrascht zurück.

Staunend betrachtete er die Klarheit, mit der die kleine Frau ihre Zukunft beschlossen hatte. Eine Zukunft in Draggheda, eine Zukunft an Dogans Seite. Eine Zukunft, in der sie beschützt würde. In der man sie gewählt hatte. In der man für das Kind sorgte, das sie erwartete. Die Bilder waren klar und sehr detailliert.

Während Farq über den Gedanken der Frauen brütete, hielt er Adara an seiner Seite. Auch sie nahm wahr, was in Mira vorging. Ihre Stirn war gerunzelt, während sie ihre Gedanken verfolgte. Niemand hätte erwartet, dass Mira so reagieren würde. Farq hatte gehofft, dass sie die Möglichkeit einer Verbindung in Betracht ziehen möge. Doch dass sie quasi bereits ihren Haushalt einrichtete, davon war er nicht ausgegangen. Fast war sie Farq unheimlich und er suchte in ihrem Verstand nach dunklen Flecken.

Was dachte sie, was passieren musste, bevor sie an den Punkt kam, den dieses idyllische Bild ihr zeichnete? Sie war keine Jungfrau mehr. Sie wusste, was geschehen musste. Doch all das blendete sie so gekonnt aus, dass weder Farq noch Adara erkennen konnten, wie sie sich dieses wichtige Detail vorstellte.

Als Farq sich aus ihr zurückzog wirkte er nachdenklich. Eigentlich hätte es nicht besser laufen können. Doch er traute dem Frieden nicht. Verdammt, sie schien sich leichter mit der Situation abzufinden als Dogan. Adara nahm wie selbstverständlich teil an seinen Gedanken und sie klang traurig, als sie sagte »Er hängt fest wie eine Fliege im Spinnennetz!«

Nein, du darfst mir keine Frage stellen

Sie waren seit einigen Stunden unterwegs. Viktor hatte einen offenen Wagen anspannen lassen. Zwei der jüngeren Krieger war zur Begleitung abkommandiert worden. Die Draggheda waren neugierig auf die Frauen. Und in der warmen Sonne schien sogar Sian für den Moment beschlossen zu haben, nicht zu kämpfen. Mira hatte sich bei ihr entschuldigt. Beruhigt hatte Viktor zugesehen, wie die beiden Frauen sich versöhnlich umarmten. Sie fragten nach Zac und er war erleichtert, berichten zu können, dass es ihm gut ging. Über seine Zukunft war noch keine Entscheidung getroffen, doch die Zwillinge würden sich für ihn verwenden. Farq hatte keinen Vorteil zu erwarten, wenn er ihn töten ließe. Es würde weder Dogan noch Ben helfen, wenn er damit die Frauen gegen sie aufbrachte. Für den Moment also war Zac in Sicherheit.

 

Die Männer flankierten den Wagen und ließen die Stimmung auf die Frauen wirken. Zufrieden beobachtete Viktor, wie sie sich entspannten. Wo immer möglich, plauderte er freundlich ein paar Worte mit denen, die ihnen entgegenkamen. Er versuchte, ihnen Draggheda zu zeigen. Jedenfalls den Teil, den er im Moment für sicher hielt. Die wenigen Frauen denen sie begegneten, wünschten Glück zur Geburt, streichelten ohne Berührungsängste den Bauch der Schwangeren. Viktor verfolgte, wie seine Welt sich diesen fremden Frauen öffnete. Und hinter seinem Lächeln verbarg er die Befehle, die er von Farq erhalten hatte: »Achte darauf, was du ihnen zeigst und mit wem du sie sprechen lässt. Sie sind lange noch nicht soweit die Wahrheit zu sehen. Ich will nicht, dass sie Gerüchte über Dogan hören!«

So viele Sterne

Am Abend ließ Viktor die Männer ein Lager direkt an einem kleinen See aufschlagen. Immer noch voller Staunen sprach Mira ihn an »Es ist wunderschön hier ...«

»Aber?«

»Aber es ist nicht zuhause.«

Viktor lächelte unbestimmt »Du hast Heimweh?«

Eigentlich hätte diese Frage seltsam sein müssen. Schließlich hatte man sie entführt. Doch Mira war zu ehrlich, um Spielchen zu spielen. Nach einem Moment des Zögerns blickte sie ihm in die Augen »Nein, eigentlich nicht,« ganz automatisch fuhr ihre Hand zu ihrem Bauch »... alles was wichtig ist, ist hier.«

Viktor schwieg und blickte auf den See hinaus. Seine Mundwinkel zuckten, als Mira fragte »Darf ich dich etwas wegen Dogan fragen?« Bedauernd schüttelte er den Kopf »NMira, ich bin mir nicht sicher, wohin deine Fragen uns führen würden. Im Moment ist es schwer, einzuschätzen wo wir alle stehen und ich will die Dinge nicht noch schwerer machen.« Er zögerte, doch dann gab er sich einen Ruck »Mira, ich will keine Fragen über Dogan beantworten, das steht nur Farq zu oder ihm selbst.« Mira hatte das Gefühl, das ihm mehr als unwohl war. Schließlich jedoch lächelte er sie offen an »Aber du darfst mir gerne zuhören ...«, in seinen Augen blitzte verschmitzt auf »... und ich darf über einen alten Freund reden.«

Erleichtert gab sie sein Lächeln zurück. Er fand, dass sie wie eine rundliche Puppe aussah. Ihr Bauch wuchs, wurde langsam präsenter auf diesem winzigen Körper. Ihre Haare kringelten sich um das kleine Gesicht und sie sah so furchtbar unschuldig aus. Wenn er sie ansah, verstand er, dass Dogan sich für ... nicht passend ... hielt.

Einen Moment noch zögerte er und sein Blick suchte nach Sian. Doch sie versorgte mit den beiden Jungs die Pferde und er hörte, dass sie sich entspannt mit ihnen unterhielt. Also wandte er sich Mira zu »Weißt du, Adara und Dogan haben eine Menge gemeinsam.« Gespannt verfolgte sie seine Worte, doch in der Dämmerung fiel es ihr schwer, den Ausdruck in seinem Gesicht zu deuten. Ihr war nicht bewusst, dass er nicht lächelte, dass sein Blick eine Mischung aus Sorge und Unbehagen war. »Adaras Vater war ein Zauberer aus dem alten Draggheda und ihre Mutter kam aus eurer Welt. Sie gehörten nicht zusammen und doch zeugten sie ein Wesen mit mächtigen Kräften. Und mit dem Mal das sie trägt, trägt sie eben auch unsere Hoffnung in sich.«

Mira schwieg und Viktor verfolgte jeden ihrer Gedanken. Sie verstand für eine Sekunde was er ihr sagte, doch sie war so erpicht darauf, etwas aus Dogans Vergangenheit zu hören, Details über ihn zu erfahren, dass sie von Adaras Eltern keine Verbindung zu sich und Dogan zog. Viktor erkannte das und er beschloss, diesen Weg nicht weiter zu verfolgen. Es würde Dogans Aufgabe sein, ihr genau diese Verbindung zu erklären.

Also wechselte er das Thema »Als Dogan auf den Berg kam, wurde ihm Farq quasi auf den Schoß gesetzt. Farq war seine Aufgabe - und er nahm sie an. Dogan ist Farqs Felsen!« Nach einer kleinen Pause fuhr er fort »Und er war das in den ganzen Jahren während man aus Farq einen König machen wollte. Einen König, dessen Volk ausstirbt. Farqs Aufwachsen kein leichtes Aufwachsen. Er war der Sohn eines Vaters, der sich der schwarzen Magie verschrieb. Mit jedem Tag mehr. Und so wurde es schlimmer, je älter er wurde. Man mutete ihm Aufgaben zu, zwang ihn, seine Bestimmung anzunehmen, zwang ihn, sich derselben gefährlichen Magie auszuliefern. Und nach einer gewissen Zeit war Dogan der Einzige, zu dem Farq noch Nähe zugelassen hat. In dieser Zeit war nichts gut, nichts schien leicht und wir hatten kaum noch Hoffnung das Licht wieder zu sehen. Es sind Dinge geschehen, die nicht gut waren und es hat Dogan eine Menge Kraft gekostet, Farq wieder und wieder auf den richtigen Kurs zu bringen. Er wurde Farqs Rückgrat, er hat uns zusammengehalten und er ... er ist wichtig, ...« Viktor suchte ihren Blick »... er darf nicht fallen! Verstehst du? Ihre Verbindung zueinander darf nicht brechen!«

Er konnte sehen, wie sie versuchte zu verstehen, was er ihr sagen wollte. Doch wenn er ihre Gedanken verfolgte, dann fand er nicht, was nötig war. Sie verstand nicht, wie tragend Dogans Rolle in Draggheda war. Sie verstand nicht, dass Dogan kein menschliches Wesen war. Das er gefährlich war und dass er anfing, sich gegen seinen König zu stellen, seitdem die Frauen auf dem Berg waren. Für Viktor gab es nur einen Grund der so stark war, das Dogan in seiner Loyalität schwankte! Und das musste diese kleine Frau sein! Die Verantwortung, die damit auf ihr lastete, war so offensichtlich, dass sie sie doch fühlen musste! Doch der Blick aus ihren großen Augen zeigte ihm nur Fragezeichen. Viktor war enttäuscht, dass sie nicht verstand. Damit zwang sie ihn, weiter zu gehen als ihm lieb war. Hilflos stocherte er im Feuer herum. Schließlich fuhr er fort »Dogan blieb immer an Farqs Seite. Hat ihn nie in Frage gestellt. Von sich aus wäre er nie auf die Idee gekommen, sich eine Frau zu suchen. Wir älteren Krieger hatten die Wahl. Wir konnten ausziehen und versuchen uns mit den letzten Frauen zu verbinden. Aber er wollte nicht! Er hat eisern an der Seite von Farq ausgehalten.«

Wieder folgte eine Pause, dann gab er sich einen Ruck. »Als Farq mit dieser aberwitzigen Idee kam Frauen zu entführen und ...«, einen Moment lang brach er ab und starrte den Boden an »Da hat Dogan wohl für sich eine Grenze gezogen und beschlossen, dass das mit ihm nicht zu machen ist.«

Er nahm einen Schluck aus dem Becher, lächelte Sian an, die sich zu ihnen gesellte »Aber jetzt seid ihr auf der Bühne erschienen, und wir alle wussten sofort, worauf das hinaus laufen muss. Für Dogan waren all die Dinge, vor denen es ihm graute, plötzlich ganz nah und unausweichlich! Ich glaube, dass er zum ersten Mal in seinem Leben vor einer Situation steht, die er so falsch findet, dass es ihn innerlich zerreißt! Es frisst an seiner Loyalität zu Farq! Es erschüttert ihn bis ins Mark! Verstehst du, was das für einen Mann wie ihn bedeutet?«

Viktors Enttäuschung wuchs, als er ihren unsicheren Blick sah. Sie verstand nicht, worauf er hinauswollte. Und ohne zu ahnen wie furchtbar er sich bei seinen nächsten Worten irrte, wurde er deutlicher »Dogan ist ein grausamer Mann. Das muss er sein und es macht ihm nichts aus. Aber du hast ihn irgendwie angerührt. Und plötzlich fängt er an seinen König in Frage zu stellen!«

Dogan muss schlafen!

Miras Anblick rührte Dogan nicht. Er verursachte Abscheu und Widerwillen. Er sah Viktor mit den Frauen den Berg verlassen, und erleichtert atmete er durch. Er hatte keine Ahnung von dem, was Viktor den Frauen zeigen wollte, und es war ihm auch egal. Ihn beschäftigten heute ganz andere Dinge. Denn er musste schlafen!

Seine Hülle wurde immer dünner, er wurde angreifbarer. Die Dunkelheit in ihm waberte wie dicker Nebel gegen diesen fragilen Schutz. Sie breitete sich in ihm aus wie Faulgase. Sie nahm ihm den Atem und in ihrem schwarzen Nebel verstärkte sich Odiles Stimme. Dogan wusste, dass Schlaf nötig war um wieder zu sich zu kommen. Doch der Schlaf barg für ihn ein Risiko. Wenn er schlief, hielt niemand Wache. Niemand bewachte das, was er so sorgsam in sich verschlossen hielt. In der Vergangenheit hatte Farq diese Wache für ihn übernommen, wenn er sich dieser Grenze näherte. Doch so wie die Dinge jetzt zwischen ihnen standen, konnte er das nicht.

Im Moment musste er sich selbst helfen. Wütend blickte er sich in seinem Kerker um. Das hier, diese Zellen, dieser Keller und die Räume und Höhlen darunter waren sein Zuhause! Und jetzt waren die wenigen Dinge, die dieses Zuhause ausmachten weg! Farq hatte all seine Sachen zu der Frau bringen lassen. Dogan blickte sich um, Wut explodierte in ihm und mit ein paar großen Schritten schoss er nach oben. Ein lauter Pfiff genügte und sofort hörte er einen Fluch und den Schmerzensschrei des Stallmeisters. Dann preschte sein Hengst aus dem Stall und mit einem Satz war Dogan aufgesprungen und aus dem Hof galoppiert.

Farq sah ihm nach. Er hatte versucht, zu Dogan durchzudringen, doch die Wut seines Kriegers verdunkelte alles. Sie erlaubte ihm nicht, ihn zu erreichen. So blieb ihm nichts anderes übrig, als ihn ziehen zu lassen.

Dogan gab seinem Hengst kein Ziel vor, doch das war auch nicht nötig. Sie verstanden einander blind. Als Dogans Augen wieder sehen wollten, sich wieder auf seine Umgebung konzentrieren konnten, atmete er tief durch. Der Hengst hatte ihn an einen Ort gebracht, an dem er kaum noch einen Fuß vor den anderen setzen konnte.

Das Dickicht war schier undurchdringlich und Dogan wusste, dass das Tier ihn durch einige schwarze Tunnel außerhalb der unmittelbaren Reichweite seines Volkes getragen hatte. Würde jetzt etwas schiefgehen, hatte er Zeit sich zu fangen. Zeit, den Kampf gegen sich aufzunehmen. Erleichtert ließ er sich vom Pferderücken gleiten. Zur Sicherheit schickte er den Hengst fort und wie immer verstand das Tier und zog sich zurück. Als es außer Sichtweite war, ließ Dogan sich einfach fallen. Er sackte auf die Knie und fiel um. Er fühlte sich schwer und unendlich müde. Das Sonnenlicht brach sich seinen Weg durch das dichte Blätterdach und blendete ihn. Langsam schloss er die Augen und als er die Helligkeit des sonnigen Tages ausschloss, fühlte er die Kälte seiner eigenen Dunkelheit. Sofort mahnte ihn sein Instinkt! Sofort wollte sein Verstand ihn warnen, doch dann berührte ihn etwas, das ihn zum Lächeln brachte: Denn da waren sie, die Schlangen an seiner Seite. Sie waren an seinen Händen, glitten über seinen Körper. Ein glatter Leib schmiegte sich um seinen Hals und er hob den Kopf, um der Schlange den Würgegriff zu ermöglichen. Sofort wurde er ruhiger. Sie würden wachen. Sie würden nicht zulassen, dass die Dunkelheit ihn übernahm. Jetzt konnte er schlafen. Auch unter ihrer Wache durfte er keinen tiefen Schlaf riskieren, doch die Tiere schenkten ihm wenigstens eine kurze Pause.

Falls die Tür in ihm sich öffnete, so waren die Schlangen in der Lage es zu erkennen. Sie würden handeln. Er würde die Welt nicht durch Odiles Augen sehen müssen, solange die Schlangen auf seiner Seite waren.

Endlich schlief der große Mann ein. Sein Atem wurde ruhiger. Seine Hände waren nicht angespannt, seine Finger nicht verkrampft. Die Schlangen wanden sich um seinen Kopf wie seine Zöpfe. Immer wieder glitten sie an den Seiten seines Schädels entlang. Die Schlange, die sich um seinen Hals geschlungen hatte, schien mit ihm zu schlafen. Sie rührte sich nicht. Ihr Kopf ruhte an seinem rechten Schlüsselbein, ihr Körper bewegte sich im Einklang mit seiner Atmung. Ihre Augen waren geschlossen wie die Seinen.

Innerhalb von Sekunden schaltete sich sein Verstand ab. Nun hielt sein Instinkt die Stellung und sandte ihm Bilder von Dingen die er getan hatte. Schlimme Dinge, schwarze Dinge. Dinge die getan werden mussten. Dinge, die nur er tun konnte. Es waren Erinnerung, die ihn nicht beschwerten. Hier und jetzt war er einfach der Schlächter. Hier und jetzt waren seine Schlangen um ihn und niemand anderes. Sie wussten, wer er war. Sie wussten, was er getan hatte, und vor ihnen musste er sich nicht verbergen.

Sie waren um ihn in der dunkelsten Zeit seines Lebens und von ihnen beschützt ruhte er. So konnte er all die Erinnerungen an sich vorbei ziehen lassen. Tief in seinem Inneren hörte er das Toben und Rütteln an dieser verdammten Tür, doch noch hielt sie.

 

Seine Gedanken wandten sich der Pratze zu. Tamille zu foltern hatte ihm gutgetan. Schon als er die Toten nach der Schlacht mit Luther gesehen hatte, war ihr Tod beschlossene Sache. Diese Toten waren seine Männer und sie waren gestorben, weil er Tamille genau einmal zu viel vertraut hatte. Dafür gab es keine Entschuldigung. Nicht für sie aber auch nicht für ihn. Und ab diesem Augenblick war sie für ihn bereits tot. Als sie dann im Berghof stand, war er versucht gewesen es auf der Stelle und unter den Augen seiner Männer zu tun. Doch er hatte den Blick der fremden Frau in seinem Rücken gefühlt und den seiner Männer. Und das war es, was ihn zurückhielt. Nicht aus Vorsicht oder Rücksicht Mira gegenüber. Nein, sie bedeutete nicht genug, um ihretwegen Umstände zu machen. Nein, es war dabei nicht um Mira gegangen. Es war das zaghafte Lächeln der Pratze gewesen, das ihm Übelkeit verursachte. Er wollte sie leiden lassen! Hier in der Helligkeit würde es zu schnell zu Ende sein. Vor all seinen Leuten konnte er sie nicht in der Gestalt töten, die sie sich verdient hatte. Und so hatte er zugelassen, dass sie sich ein weiteres Mal Zeit erkaufte. Und wie immer hatte er für die Information bezahlt. Wie immer hatte er ihr gegeben, was sie begehrte. Doch danach war er ihr nichts mehr schuldig. Er hatte bezahlt - und sie hatte geliefert. Die Information hatte gestimmt und er hatte den Söldner erhalten.

Als er ihr in der Hütte der Söldner den Befehl gab im Berg auf ihn zu warten, folgte sie ihm. Sie folgte ihm selbst dann noch, als er sie diesmal nicht in das verdammte Pechgewölbe führte, sondern in seinen Kerker.

Schweigend war sie vor ihm die Stufen herabgestiegen. Als er vor dem Kerker stehenblieb, war sie schon einige Stufen weiter gegangen. Sie hatte innegehalten, als sie bemerkte, dass er ihr nicht folgte. Für einen Moment zögerte sie, ihre Blicke trafen einander und sie verstand. Tamille betrat den Kerker mit hoch erhobenem Kopf. Zum ersten Mal fiel ihm die Erscheinung auf, in die sie für ihn schlüpfte. Es war die Gestalt der Frau, die er getötet hatte, als Raan ihm befahl ihr beizuwohnen. Die Erinnerung daran verursachte eine Reaktion tief in seinem Unterleib. Wortlos wartete sie, bis er ihr eine Zelle öffnete. Immer noch schweigend betrat sie sie und wieder wechselten sie einen Blick. Er lächelte, als er die Gier darin bemerkte. Wenigstens bei diesem letzten Mal begegneten sie einander mit demselben Anspruch.

Sie hatte das Lächeln erwidert, dann nahm sie Platz und wartete auf ihren Tod.

Als er sich über sie hermachte, sah ihnen niemand zu. Man hörte ihre Qual, doch niemand würde es wagen ihn zu stören und so starb sie, während er sich in der Gestalt befand, vor der er am meisten Abscheu empfand. Sie litt, während sie ihre eigenen Spuren an seinem Körper fand. Das war ein letztes Geschenk, das er ihr machte und sie hatte es sich wahrlich verdient.

Wann immer sie ihm Informationen gebracht hatte, bestand seine Bezahlung für sie darin, sich von ihr vergiften zu lassen. Wann immer sie kam starb er. Doch immer starb er in seiner wahren Gestalt. Und immer wieder stand er auf. Gezeichnet, verbrannt, vergiftet, fast wahnsinnig vor Schmerz. Doch er stand auf, weil Wesen wie er nicht einfach sterben konnten! Und sie jubelte, denn sie wusste, so lange er sie am leben ließ, würde sie jederzeit wieder das mächtigste Wesen dieser Welt bezwingen.

Jedes Mal, wenn sie ihm Informationen brachte, zog er sich für sie aus. Jedes Mal beobachtete sie voller Gier, wie er seine menschliche Hülle abstreifte. Wie aus dem mächtigen Mann das Geschöpf wurde, das er so sehr verabscheute. Und jedes Mal stieg sie über ihn, besudelte ihn mit ihrem Gift. Fühlte seine Schmerzen, seine Pein und seinen Hass.

Tamille hatte immer gewusst, dass sie irgendwann dafür mit ihrem Leben bezahlen würde, doch das war es ihr wert. Lange schon lebte sie in seinem Schatten. Sie war dabei, als Raan ihn zu seiner ersten Frau sandte. Sie war dabei, als er sich verlor und sie hatte verfolgen können, wie Odile das Ruder übernahm. Sie war die Einzige, die bis dahin gesehen hatte, was ihm entstieg und seit diesem Tag war er mehr als das Biest, dem sie als Spitzel diente. Wann immer sie ihre Bezahlung einforderte, war es diese Szene, die sie vor Augen hatte und ihre Enttäuschung war groß, weil er niemals auf die Gestalt der Frau reagierte. Doch dieses Lächeln heute, dieses Erkennen und seine Reaktion darauf brachte sie dazu, sich mit Genuss unter ihm zu winden.

Als die Pratze starb, war sie irrsinnig vor Schmerz und wahnsinnig vor Glück: Sie war die Letzte, die ihn jemals so gesehen hatte! Sie war die EINZIGE!

Im Schlaf lächelte Dogan. Er atmete ruhig und die Schlangen bemerkten, wie er sich erholte. Sie entspannten sich mit ihm. Für eine Zeitlang, wenige Minuten nur, schien Dogan Ruhe zu finden. Langsam glitt er tiefer in den Schlaf, seine Atmung wurde schwerer, der Instinkt driftete ab. So schrillten die Alarmglocken fern und ungehört, als eine Stimme anfing, leise zu flüstern »... wenn der Wind weht, wippen Miras Locken. Wie Federn fühlten sie sich an, als sie vor dir auf dem Pferd saß ... erinnerst du dich an den Geruch ihrer Locken?«

Die Stimme kam tief aus seinem Inneren und sie seufzte »Wie Gold schimmerten sie in der Sonne - blond wie die Deinen. Würden sie sich vermischen, dann wäre das ein schönes Bild. Wie die Löckchen sich um deine Zöpfe schlingen ...«

Nun summte die Stimme eine liebliche Melodie. Ganz leise in seinem Kopf, unter seinem Verstand tauchte sie hindurch. Nur der Hauch von Worten, kaum hörbar, nicht mehr als eine Ahnung. Begleitet wurden sie vom Geruch der schwangeren Frau. Leicht, kaum wahrnehmbar.

Seine Lider flatterten »Wie es sich wohl anfühlen würde diese schmalen Schultern zu halten, mit dem Finger über diesen Hals zu fahren, ihren Puls zu fühlen ...«, wisperte die Stimme »Ach, wie es sich wohl anfühlen würde ...«

Die Schlangen wurden unruhig. Und geborgen in seiner eigenen Boshaftigkeit gab Dogan der Stimme aus der Dunkelheit die Antwort »... es würde sich gut anfühlen, dieser Kehle die Luft nehmen!« flüsterte er. »Es wäre großartig diese blauen Augen voller Angst erlöschen zu sehen und die Lippen zu betrachten die nach Luft schnappen. Und wenn sie tot wäre, würden ihre Locken wippen während der Wind über ihre Leiche weht. Und du und ich, wir beide würden dem Herzschlag des ungeborenen Kindes lauschen ... so lange bis er aussetzt. So lange, bis auch das Kind in ihr ausgelöscht ist!« Mit jedem Wort war seine Stimme lauter geworden. Die letzten Worte schrie er »Du FOTZE! Denkst du, ich mache es dir so leicht? VERPISS DICH!«

Die Stimme in ihm, nun nicht mehr süß und lieblich, sondern böse und garstig, schrie zurück »Idiot! Du dämlicher Idiot! Du sollst sie nicht töten! Nein, nimm sie, mach ihr ein Neues! Zeuge mir einen Nachkommen!«

»NEIN!« brüllte er und sie lachte, lachte laut und grausam und dann zeigte sie ihm die ganze Ausweglosigkeit seiner Situation »Du hast dich bereits ergeben! Ich werde über dich kommen! DU HAST VERLOREN!« Die Vibration ihrer Boshaftigkeit verursachte ihm eine solche Übelkeit, dass er würgte »HALT DICH BEREIT – ICH WERDE DA SEIN!«

....

Schweigend lauschte Farq, als Dogan heimkehrte. Er versuchte, Dogans Gedanken zu empfangen, doch wieder schlug ihm nur Stille entgegen. Dogan betrat den Berg und seine Schritte bewegten sich in die falsche Richtung. Er ging die Stufen hinab in seine leeren Kerkerräume - nicht hinauf. Nicht dorthin wo Mira schlief. Nicht dorthin wo Farq ihn haben wollte. Farq grollte ihm deswegen, als Adaras Stimme hinter ihm erklang. »Bist du dir sicher, dass du die Fäden an denen er hängt noch fest in der Hand hast?«