Vegetarische Aroma-Bibel - eBook

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Dr. Neal Barnard, Vorsitzender eines Ärzteausschusses für verantwortungsbewusste Medizin, in einem Brief an den Kongressausschuss für Landwirtschaft im Repräsentantenhaus und Senat

»Sich von Leuten aus der Fleischoder Milchwirtschaft beraten zu lassen, ist ebenso unangemessen, wie wenn man die Tabakindustrie über die Standards der Luftqualität entscheiden ließe.«

Dr. Neal Barnard

2012 Microsoft-Gründer Bill Gates lobt Firmen, die pflanzliche Alternativen für Fleisch und Milchprodukte entwickeln, »Firmen, die tierische Erzeugnisse als Ausgangspunkt nehmen (…) und mithilfe pflanzlicher Stoffe – Soja, Erbsen und viele andere Dinge – Alternativen erzeugen, die preisgünstiger und wahrscheinlich auch gesünder sind, weniger Grausamkeit mit sich bringen und weniger Treibhausgas-Emissionen produzieren.«

2013 In der Titelstory vom August erklärt das Magazin »Food&Wine«: »Gemüse ist das neue Schweinefleisch, der neue Cupcake und das angesagte Craft Beer in einem. Gemüse ist der größte Mega-Trend aller Zeiten.«

1 www.vebu.de/veggie-fakten/entwicklung-in-zahlen/anzahl-veganer-und-vegetarier-in-deutschl and http://de.statista.com/statistik/daten/studie/261627/umfrage/anteil-von-vegetariern-und-veganern-an-der-bevoelkerung-ausgewaehlter-laender-weltweit

MAXIMALES GESCHMACKSERLEBNIS

FÜR EINE NEUE, NACHHALTIGE KÜCHE

»Ich hätte mir nicht träumen lassen, wie viel Geschmack sich auch ohne Butter, Sahne, Milch, Eier und andere Grundzutaten erreichen lässt. Hier muss wohl eine gute Fee zum Küchenteam gehören, die ihren Feenstaub über Töpfe und Pfannen verteilt. Ich konnte gar nicht begreifen, wie sich in der veganen Küche in so kurzer Zeit so viel tun konnte, ohne dass dies gleichzeitig eine Welle der Begeisterung ausgelöst hatte.«

Alan Richman, Restaurantkritiker, über das vegane Restaurant Vedge in Philadelphia

Im Laufe der Geschichte haben sich Menschen aus den unterschiedlichsten Gründen vegetarisch ernährt. Die gängigsten Motivationen dafür lassen sich in drei Kategorien unterteilen: Tiere zu essen, ist nicht gesund, ist nicht gut für andere und für die Umwelt und ist ethisch nicht vertretbar. Heute kommt noch ein weiterer, ganz anderer Grund hinzu: Auf Fleisch und Milchprodukte zu verzichten und sich ganz auf pflanzliche Produkte zu konzentrieren, eröffnet den Weg zu maximaler Geschmacksvielfalt.

Terrance Brennan, dessen seit über zwanzig Jahren in Manhattan bestehendes Restaurant Picholine schon vielfach ausgezeichnet wurde – unter anderem mit zwei Michelin-Sternen und drei Sternen von der »New York Times« – und eines der besten vegetarischen Degustationsmenus Amerikas bietet, erläuterte mir, wie er nach und nach seine Kürbissuppe perfektioniert hat: »Nachdem ich festgestellt hatte, dass das Geschmacksprofil des Kürbisses durch Geflügelfond zu sehr in den Hintergrund gedrängt wurde, habe ich stattdessen Gemüsefond verwendet. Und dann habe ich statt eines klassischen Gemüsefonds einen Fond aus Kürbis gemacht, um einen noch intensiveren Kürbisgeschmack zu erreichen. Aber ganz zufrieden war ich immer noch nicht – irgendwann wurde mir klar, dass der Rahm, den ich bis dahin immer in meine Kürbissuppe gegeben hatte, nur dazu beitrug, das Kürbisaroma abzuschwächen, ohne etwas zum Geschmack beizutragen, also ließ ich ihn weg.«

Moment mal, wie war das? Dieser klassisch ausgebildete Küchenchef hat im Laufe der Zeit eine Kürbissuppe – nebenbei bemerkt eine der besten ganz Amerikas – kreiert, die im Grunde genommen vegan ist? Ähnlich überrascht war ich gewesen, als ich während der Recherchen zu meinem ersten Buch erfahren hatte, dass der französische Küchenchef Michel Richard in seiner französischen Zwiebelsuppe auf Fleischfond verzichtete und diesen durch Misobrühe ersetzte, weil er zu der Erkenntnis gekommen war, dass sie der Suppe genauso viel, wenn nicht gar mehr Fülle und Umamigeschmack verlieh, und dies ohne den Eigengeschmack der Zwiebeln zu übertönen. In seinem Buch »Happy in the Kitchen« verrät Richard unter anderem auch Rezepte für Pilzfond und Tomatenfond, die ebenfalls als leichtere vegetarische Alternativen zu Fleischbrühe für Saucen verwendet werden können. Es war Jean-Georges Vongerichten, der mit seinem bahnbrechenden, 1990 erschienenen Buch »Simple Cuisine« eine Lanze gebrochen hatte für die Verwendung rein pflanzlicher Brühen, Fonds und Vinaigrettes anstelle der herkömmlichen klassischen Fonds.


»Es ging mir nie darum, veganes Essen zu kreieren. Mein Ziel war immer, gutes Essen zu kreieren. (…) Tief in meinem Innersten bin ich letztlich immer noch der Höhlenmensch, der sich von diesen fleischigen, über Feuer entstehenden Röstaromen angezogen fühlt, und so habe ich auch immer gekocht. Ich möchte Menschen an das heranführen, was Essen bedeuten kann, wenn man es erst einmal losgelöst von sämtlichen Etiketten betrachtet.«

Richard Landau, Restaurant Vedge, Philadelphia

FÜNF TRENDS FÜR EINE NEUE, NACHHALTIGE KÜCHE

Eine Reihe von Trends verschmelzen in einer neuen, modernen Art zu kochen und zu essen, die weder einen Verzicht auf Genuss noch auf Ganzheitlichkeit mit sich bringt. Das kommende Jahrzehnt wird die Entwicklung einer neuen, nachhaltigen und respektvollen Küche erleben, in der die folgenden Aspekte zusammenfließen werden:

– Vegetarismus

– Gesundheit

– Globalisierung

– Gastronomie

– Geschmack in all seinen Facetten

VON DER RANDERSCHEINUNG ZUM MAINSTREAM

»Rund 70 Prozent unserer Gerichte sind vegetarisch.

Wir rücken immer mehr von all dem Fleisch ab.«

Daniel Humm, »Eleven Madison Park«, in einem Interview auf grubstreet.co

Während der prozentuale Anteil überzeugter Vegetarier seit 1999 relativ stabil geblieben ist, ließ sich in den vergangenen fünfzehn Jahren sowohl bei der Zahl der Veganer als auch der weniger strengen Flexitarier ein Anstieg verzeichnen. All dies hat dazu beigetragen, dass der Anteil vegetarischer Gerichte auf den Speisekarten der Restaurants deutlich gestiegen ist. Auch in vielen Restaurants der Spitzenklasse scheint es immer selbstverständlicher zu werden, eine Küche mit weniger Fleisch anzubieten. In vielen Ländern gibt es mittlerweile Initiativen für einen fleischfreien Tag in der Woche, an dem Restaurants vegetarische Gerichte anbieten und in öffentlichen Kantinen auf Fleisch verzichtet wird.

Jahrhunderte nachdem in Asien buddhistische Mönche erstmals einen Ersatz für Fleisch entwickelten – Zutaten auf der Basis von Soja oder Weizengluten, die in Aussehen, Textur und Geschmack verschiedenen Fleischarten nahekommen –, sind diese nicht-tierischen Eiweißquellen dank des Aufkommens vegetarischer Asia-Restaurants und Asia-Shops mit den entsprechenden Zutaten zum Mainstream geworden. Auch andere Alternativen für Fleisch, Milchprodukte und Eier, die sich inzwischen großer Beliebtheit erfreuen, werden sicherlich nicht so schnell wieder aus den Supermarktregalen oder von den Speisekarten vegetarischer und veganer Restaurants verschwinden. Die Zahl spezifisch vegetarischer und veganer Restaurants hat zudem auch über das gesamte Spektrum hin gesehen zugenommen, also von der Imbissbude zu Fast-Food-Ketten, die vor allem in Großstädten immer häufiger zu sehen sind.

Immer mehr Menschen werden sich über die enorme Bedeutung der Ernährung bewusst und beginnen, gesundheitliche Aspekte in ihren Essensgewohnheiten zu berücksichtigen. Viele rücken ab von Fleisch, Eiern und Milchprodukten (ganz zu schweigen von raffinierten und industriell hergestellten Nahrungsmitteln sowie sehr salz-, zucker- und fettreichen Speisen) zugunsten einer nährstoffreichen, vollwertigen, vorwiegend pflanzlichen Ernährung. Mit dem zunehmenden Alter der Bevölkerung werden wir insgesamt nicht einfach nur älter, sondern auch weiser – und greifen vermehrt zu Nahrungsmitteln, die genauso lecker wie gesund sind.


WACHSENDE VIELFALT DANK GLOBALISIERUNG

Nahrung ist seit jeher eine Verkörperung von Kultur und ein Schlüsselfaktor der Globalisierung (man denke nur an die Gewürzrouten), durch die sich die Bandbreite der Zutaten, Kochtechniken und Geschmacksprofile immer weiter ausbreitet und vermischt. Weltweit verschmelzen die Kulturen und tauschen sich aus, Zutaten und Gewürze wandern heute in Windeseile um den Globus. Vor zehn Jahren standen auf einem durchschnittlichen Gewürzregal vielleicht gerade zehn Gewürze, heute sind es oft gegen vierzig. Vor zehn Jahren hätte sich niemand für Gewürze wie Asafoetida, Curryblätter, Tamarinde, Mangopulver oder Granatapfelsirup interessiert, die heute dagegen häufig über die Ladentheke gehen. »Alle diese Zutaten passen besser zu vegetarischen Gerichten als zu Fleisch«, erläutert eine Gewürzhändlerin. »Auch Currymischungen verkaufen sich besser als je zuvor, genauso wie Garam-Masalas – und beides passt ausgezeichnet zu Gemüsegerichten.«

Die zunehmende Verwendung einer großen Gewürzpalette spiegelt sich in der sich stetig weiterentwickelnden Art zu kochen – in authentischen und traditionellen Gerichten ebenso wie in Gerichten der Fusion-Küche, in denen sich die Einflüsse verschiedener Landesküchen verbinden. Mit der zunehmenden weltweiten Verfügbarkeit von Zutaten geht es beim Kochen heute weniger um die Herkunft einer Zutat als um das Aroma- und Geschmackserlebnis als solches. Diese radikale Wandlung erfordert auch bei der Zubereitung einen neuen Ansatz – und letztlich ebenso ein neues Genre vegetarischer »Kochbücher«, die nicht nur anhand von fixfertigen Rezepten klassische Gerichte bieten, sondern die dazu inspirieren, auf der Grundlage fantasievoller und harmonischer Geschmackskombinationen neue Gerichte zu kreieren. Und so entstand das Buch, das Sie in Händen halten.

 

DIE VEGETARISCHE KÜCHE: EINE KÜCHE OHNE GRENZEN

»Bei richtiger Zubereitung und sorgfältigem Abschmecken bieten Gemüsegerichte ein Potenzial an Geschmack, bei dem Fleisch nicht mithalten kann. In der indischen Küche sind Hülsenfrüchte, Reis und Getreide die Grundzutaten, und Gemüse ist unser ›Fleisch‹. Was unsere Küche von anderen unterscheidet, ist die Tatsache, dass wir schon am Anfang des Kochvorgangs Aromen und Gewürze zugeben, noch bevor das Gemüse hinzukommt, in der Regel werden dazu Kreuzkümmel, Koriander, Senfsamen, Zimt usw. in etwas Öl angeröstet. (…) Mit einem ganzen Arsenal an Würzmitteln, die sich problemlos das ganze Jahr über lagern lassen, sind wir in der Lage, aus Blattgemüse und grobem Wurzelgemüse – für sich genommen oft eher langweilige Zutaten – Gerichte zu zaubern, die auf dem Tisch glänzen und auf der Zunge tanzen.«

Suvir Saran, Küchenchef und Kochbuchautor

Es gibt eine ganze Welt vegetarischer Küchen, die weit über die farblose Kartoffel-Grünkohl-Kost hinausgehen, die immer noch in den Köpfen vieler Fleischesser herumspukt. Die Länder dieser Erde sind unauflöslich mit ihren Bräuchen und ihrer ureigenen Küchen verknüpft, und dabei liefert jedes Land, jede Region auch ihre ganz eigene Version köstlicher Gerichte auf der Basis von Gemüse, Obst, Hülsenfrüchten, Getreide und Körnern, Nüssen und Kernen – zusammengenommen eröffnet sich somit eine Welt schier endloser Möglichkeiten.

Viele Köche und Kochbuchautoren lassen sich durch die unterschiedlichsten Speisen aus verschiedenen Teilen der Welt inspirieren, und in den größeren Städten findet man all diese Dinge sozusagen vor der Haustür.

Als Erstes ist hier die indische Küche zu nennen, die von ihrem Ursprung her vegetarisch ist. Sowohl die Anhänger des Hinduismus als auch die des Jainismus und Taoismus befolgen aus religiösen Gründen eine vegetarische Lebensweise, mal mehr mal weniger streng. Und so ist es nicht verwunderlich, dass Indien von allen Ländern der Erde den höchsten prozentualen Anteil an Vegetariern aufweist. Vegetarier sind daher in indischen Restaurants immer auf der sicheren Seite.

Die Küchen der südostasiatischen Länder mit einem hohen Anteil an Buddhisten sind meist sehr vegetarierfreundlich, bestes Beispiel hierfür sind thailändische und vietnamesische Restaurants. Hier ist es relativ einfach, Fleischgerichte oder Gerichte mit Milchprodukten zu umgehen, indem man sich an Gemüsecurrys, Pad Thai mit Tofu oder eine vegetarische Pho-Nudelsuppe hält. Allerdings erweist es sich manchmal als Herausforderung, das allgegenwärtige Würzmittel Fischsauce (in vietnamesischen Restaurants heißt sie Nuoc Cham) zu vermeiden – obwohl es auch hierfür Alternativen gibt, beispielsweise die helle Sojasauce oder eine Sauce aus fermentierten schwarzen Bohnen. Der indonesischen Küche haben wir nicht nur den Tempeh zu verdanken, indonesische Restaurants bieten stets auch eine vielfältige Auswahl vegetarischer Gerichte. Ebenso die Küche Malaysias mit ihren köstlichen mit Kokosmilch, Galgant und Zitronengras abgeschmeckten Currys und gebratenen Nudelgerichten.

Auch die taiwanesische Küche bietet aufgrund buddhistischer Glaubensüberzeugungen eine große Auswahl vegetarischer Gerichte, neben Tofu, Reis, Nudeln und Gemüse auch eine Vielzahl von Fleischimitaten. Die Gerichte enthalten häufig keinen Knoblauch, keinen Lauch und keine Zwiebeln (nach buddhistischer Lehre sind diese Nahrungsmittel zu vermeiden, da sie die Sinne übermäßig anregen).

Ebenso hat Japan dank seiner buddhistisch geprägten Vergangenheit eine lange Tradition als Land mit vegetarischer Lebensweise, weshalb Vegetarier es in japanischen Restaurants nicht allzu schwer haben werden, etwas zu finden.

Auf den Speisekarten chinesischer Restaurants findet man immer auch eine große Auswahl vegetarischer Gerichte. China ist die Heimat der wohl raffiniertesten vegetarischen Küche der Welt, und die erlebt gerade ein Comeback: Vor einem Jahrzehnt gab es gerade mal ein halbes Dutzend vegetarische Lokale in Peking, heute sind es wieder mehr als siebzig, und auch in den chinesischen Lokalen rund um den Globis zeigt sich dieser Trend.

Die nahöstlichen Küchen (z. B. die israelische, libanesische, syrische und türkische) bieten eine Vielzahl vegetarischer Gerichte, von gefüllten Weinblättern zu zahllosen Gerichten mit Sprossen und Getreide. Köstlich ist zum Beispiel das libanesische Gericht Mujaddara aus Tellerlinsen, Bulgur und gebratenen Zwiebeln oder die im ganzen arabischen Raum beliebten Falafel, frittierte Bällchen aus Kichererbsen, Kräutern und Gewürzen. Und nicht zu vergessen die leckeren Sabich, Pitabrote gefüllt mit gegrillter Aubergine und Hummus.

Koschere jüdische Restaurants kochen und servieren Fleisch und Milchprodukte nicht gleichzeitig, daher kann man sicher sein, dass Gerichte mit Milchprodukten kein Fleisch enthalten (allerdings sollte man sich vergewissern, dass kein Fisch enthalten ist, das den jüdischen Speisegesetzen zufolge nicht unter Fleisch fällt). Etwa 8,5 Prozent der Bevölkerung Israels lebt vegetarisch, und der Veganismus ist stark auf dem Vormarsch.

Stellvertretend für den afrikanischen Kontinent sei hier die äthiopische Küche genannt, die durch Migranten auch bei uns eine gewisse Bekanntheit erlangt hat. Aufgrund religiöser Gebote für Zeiten des Fastens und des Verzichts auf Fleisch, Eier und Milchprodukte bietet sie verschiedene interessante vegetarische Gerichte. Typisch sind die Injera genannten dünnen, weichen Fladenbrote, die dazu verwendet werden, bei einer Mahlzeit häppchenweise geschmorte Hülsenfrüchte, Blattgemüse und andere Gemüsesorten aufzunehmen.

Pasta und Pizza stehen bei Vegetariern schon lange ganz oben auf der Liste; sie sind schon in der traditionellen italienischen Küche sehr oft vegetarisch und werden inzwischen bisweilen auch in veganer Variante angeboten. Immer mehr Menschen können sich auch damit anfreunden, Emmer, Dinkel und andere Getreide und Körner nach der allseits beliebten Art eines Risottos zuzubereiten. Damit steigt die Zahl der Möglichkeiten abwechslungsreicher Gerichte enorm an.

NEUE HERAUSFORDERUNGEN AN DIE GASTRONOMIE

Im 18. Jahrhundert beschrieb der Gastrosoph Jean-Anthelme Brillat-Savarin die Feinschmeckerei und Kochkunst als »die theoretisch begründete Kenntnis alles dessen, was auf den Menschen als nahrungnehmendes Wesen Bezug hat. Ihr Zweck ist, vermittelst der bestmöglichen Ernährung die Erhaltung der Menschheit zu sichern«. Letztlich läuft alles auf zwei Punkte hinaus: die Zutaten auf der einen Seite, die Techniken und Methoden für deren Zubereitung auf der anderen.

Seit der Zeit, als Alice Waters 1971 in Berkeley ihr Lokal Chez Panisse eröffnete und den Entschluss fasste, sich niemals mit Zutaten von minderer Qualität abzugeben, hat es in Bezug auf die Vielfalt und die Qualität der heute verfügbaren Produkte riesige Fortschritte gegeben. Mit ihrer klaren Absage an die Verwendung industriell hergestellter Nahrungsmittel leitete sie gewissermaßen eine Revolution ein – und lenkte auch die Lebensmittelwirtschaft in eine neue Richtung –, indem sie selbst den direkten Kontakt zu Bauern und anderen Erzeugern suchte und sich ihr eigenes Netz von Lieferanten aufbaute. In den vergangenen Jahrzehnten ist die Zahl von Bauernmärkten und Initiativen der gemeinschaftlichen Solidarischen Landwirtschaft sowie die Nachfrage nach regionalen Produkten enorm angestiegen. Gemüse entwickelt sich zunehmend zum neuen Highlight auf dem Teller, reine Fleischgerichte rücken zunehmend in den Hintergrund. Zahlreiche Gemüse, die noch vor zwanzig Jahren als fremd angesehen wurden, sind heute gängig. »Viele nährstoffreiche Pflanzen wie etwa Portulak oder Brennnesseln, aber auch andere Pflanzen, die bis anhin eigentlich eher zum Unkraut gezählt wurden, werden immer beliebter. Auch Wurzelgemüse wie Petersilienwurzel und Pastinake gelten schon lange nicht mehr als ungewöhnlich.«


Viele Gemüsesorten sind oft nur deshalb nicht beliebt, weil sie falsch zubereitet werden: zu lange gegart, nicht lange genug gegart oder nicht entsprechend gewürzt. Im Laufe der Zeit haben Köche gelernt, Gemüse so zu garen und zu würzen, dass sich sein Aroma optimal entfalten kann, indem sie sich auf bestimmte Prinzipien der Kompatibilität verschiedener Aromen stützen, sich klassische Kombinationen zunutze machen und gleichzeitig neue Kombinationen hervorbrachten. Gemüse sind zu ganz neuem Ansehen gelangt, indem man sich bei ihrer Zubereitung Verfahren bediente, die zuvor nur auf tierische Zutaten angewendet wurden. Nach der ersten Auszeichnung des Kopenhagener Restaurants Noma zum besten Restaurant der Welt im Jahr 2010 wurde Küchenchef René Redzepi dafür gelobt, dass er mit Gemüse so umgeht wie mit Fleisch, indem er es schmort, mit vielen Kräutern abschmeckt und mit reichlich Butter (vorzugsweise solcher aus süßer, fetter Ziegenmilch) beträufelt.

Wer vegetarisch kocht, bedient sich seit jeher der verschiedensten Mix-, Pürier-, Dörr- und Räuchergeräte ebenso wie Entsafter und Spiralschneider. Und nach einem durch Ferran Adrià, den Küchenchef des »El Bulli« in Spanien, inspirierten Jahrzehnt des intensiven kulinarischen Experimentierens in Form von Schäumen, Gelieren und Sphärisieren entwickelt sich nun ein ganz neues Arsenal kulinarischer Verfahren zur Steigerung des Geschmackserlebnisses.

In den Gerichten der Rohkostpioniere geht es nicht einfach darum, Karotten übereinanderzuschichten. Mal sind es sous-vide-gegarte Karotten, mal rohe, dann wieder sauer eingelegte. Jedes Gericht weist eine Bandbreite von Variationen einer Zutat auf, wobei stets frische Zutaten die Basis darstellen und Saucen lediglich der Verfeinerung dienen.

In Institutionen wie der international renommierten Kochschule Le Cordon Bleu werden inzwischen vegetarische und vegane Kochkurse angeboten, in denen beispielsweise vegane Varianten der fünf klassischen französischen Grundsaucen (Béchamel, Espagnole, Hollandaise, Velouté und Tomatensauce) vermittelt werden. »Das bedeutet, dass so buchstäblich Hunderte zukünftiger Köche damit in Berührung kommen, die sich sonst nie ernsthaft mit veganer Küche befasst hätten.«

Die vegane Restauranterfahrung wird dadurch auf ein nie dagewesenes Level gehoben. Und da immer mehr der besten Küchenchefs der Welt ihre Aufmerksamkeit, ihr Talent und ihre Kreativität auf ein vegetarisches und sogar veganes Speiseangebot richten, gelingt es, das wahre Potenzial einer auf pflanzlicher Ernährung basierenden Küche aufzuzeigen.

DIE FLAVOUR-GLEICHUNG: GESCHMACK ALS UMFASSENDES KONZEPT

Der Geschmack als ein Gesamtkonzept bildet den Schnittpunkt, an dem alle Trends zusammenlaufen. Egal welche weiteren Faktoren hinzukommen, letztlich ist es das Geschmackserlebnis, das die Köche antreibt, neue, fleischlose Wege zu erkunden, die den Geschmack ins Rampenlicht rücken. Es gibt bei all den Überlegungen zum Geschmack Aspekte, die zutiefst persönlich sind – und zudem eine Spiegelung eigener Erfahrungen, Vorlieben und Werte.

SENSORISCHES PROFIL (Flavour, Gesamtgeschmack) =

GRUNDGESCHMACK + MUNDGEFÜHL + AROMA + FAKTOR X (das »gewisse Etwas«)

Grundgeschmack = Was über die Geschmacksknospen wahrgenommen wird.

Mundgefühl = Was über den übrigen Mundraum wahrgenommen wird.

Aroma = Was über die Nase wahrgenommen wird.

Faktor X = Was über die übrigen Sinne wahrgenommen wird – einschließlich Herz, Verstand und Seele.

Die Bedeutung des Geschmacks im umfassendsten Sinn zu erfassen, ist bei der vegetarischen und veganen Küche genauso wichtig, wie bei jeder anderen Art zu kochen.

Unsere Geschmacksknospen nehmen fünf Grundgeschmacksrichtungen wahr: süß, salzig, sauer, bitter und umami. Das Wesentliche einer guten Küche besteht darin, diese fünf Geschmacksrichtungen harmonisch aufeinander abzustimmen, um so wahren Genuss zu schaffen. So einfach ist das – und dabei doch so schwierig. Denn der geschmackliche Gesamteindruck entsteht letztlich nicht allein durch die gustatorische Wahrnehmung, also das Schmecken, sondern ebenso durch die Mitwirkung von Geruchs-, Tast-, Seh- und Hörsinn. Und schließlich spielen beim Menschen auch weitere, nicht-körperliche Faktoren mit hinein wie Emotionen, Gedanken und Stimmungen. Wem es gelingt, sowohl die offensichtlichen als auch die subtilen Komponenten eines Geschmackprofils nicht nur zu erkennen, sondern auch zu beeinflussen, der wird als Koch oder Köchin einen entscheidenden Schritt nach vorne machen. Dieses Buch wird Sie dabei unterstützen.

 

»Das eigentliche Profil eines Geschmackseindrucks liegt in den Kräutern oder dem Gemüse, nicht im Proteinanteil. Das ist es, was den Charakter eines Gerichts ausmacht.«

Tom Colicchio, »Hamptons«, November 2012


Alle, die kochen – oder auch nur ihr Essen würzen, bevor sie es verzehren –, können davon profitieren, sich grundlegendes Wissen darüber anzueignen, wie man Speisen genussvoll abrundet. Vereinfacht wird dieses vielschichtige Thema dadurch, dass es zwar weltweit unzählige Zutaten gibt, die sich noch dazu in schier unendlichen Möglichkeiten kombinieren lassen, der Gaumen jedoch lediglich fünf Grundgeschmacksrichtungen wahrnehmen kann. In einem rundum guten Essen sind all diese Geschmacksrichtungen in ausgewogener Mischung vorhanden. Wirklich gut kochen heißt, die Fähigkeit zu haben, zu kosten, zu erkennen, was fehlt, und dann entsprechende Anpassungen vorzunehmen. Hat man erst einmal ein Gefühl für das Würzen und das Abrunden der Geschmacksrichtungen entwickelt, eröffnet sich beim Kochen eine ganz neue Welt. Gut zu kochen, beschränkt sich niemals darauf, einfach nur ein Rezept zu befolgen. Man braucht einen feinen Gaumen, um zu erkennen, wann ein Gericht etwas hiervon oder etwas davon benötigt – und was man noch hinzufügen oder unternehmen könnte, um das Geschmackserlebnis zu verbessern.

WAS DER MUND ERKENNT

Geschmacksrichtungen

Süß. Salzig. Sauer. Bitter. Umami. Alles, was Ihnen bisher an Leckerbissen begegnet ist, war das Ergebnis des Zusammenspiels dieser fünf Geschmacksrichtungen auf Ihren Geschmacksknospen. Man nimmt diese Geschmacksrichtungen sowohl einzeln als auch im Zusammenspiel wahr, und jede von ihnen wirkt sich wiederum auf die anderen aus. So wird beispielsweise die Wahrnehmung Süß durch Bitter verdrängt. Unterschiedliche Geschmacksrichtungen beeinflussen uns auf unterschiedliche Weise. Salziges wirkt appetitanregend, Süßes stillt den Appetit. Nehmen Sie sich Zeit, um die fünf Grundgeschmacksrichtungen zu erkunden, Sie werden feststellen, dass diese häufig auch durch Faktoren wie die Frische und den Reifegrad des Nahrungsmittels beeinflusst werden, was für die Verwendung regionaler Produkte in der Küche spricht und diesen Trend unterstützt.

Süß Damit die Geschmacksknospen Süße registrieren können, benötigen sie eine relativ große Menge einer süßen Substanz, ganz anders als es bei den Geschmacksrichtungen salzig, sauer, bitter oder umami der Fall ist. Dennoch kann eine eigentlich gar nicht wahrnehmbare Süße in einem salzigen Gericht dafür sorgen, dass es als harmonisch und abgerundet wahrgenommen wird. Süß verträgt sich mit bitter, mit sauer und sogar mit salzig. Die Geschmacksrichtung Süß kann, egal ob sie aus Honig, Ahornsirup, Melasse, Zucker oder einer anderen Zutat stammt, den Geschmack anderer Lebensmittel unterstreichen, so beispielsweise bei Obst, bestimmten Gemüsesorten (z. B. Tomaten), Getreide und Körnern (z. B. Hafer).

Salzig Als wir einmal in einem Gedankenspiel dreißig Topköche befragten, welche zehn Kochzutaten sie mit auf die einsame Insel nehmen würden, stand ausnahmslos bei allen Salz ganz oben auf der Liste. Salz ist der natürliche Geschmacksverstärker par excellence. Salzig ist die wichtigste Geschmacksrichtung überhaupt für gelungene herzhafte Speisen (es hat dieselbe tragende Rolle, die in Desserts der Geschmacksrichtung Süß zukommt). Spezielle, mit Rauch oder Trüffeln aromatisierte Salze bieten sogar noch mehr Möglichkeiten, Suppen oder Risottos geschmacklich abzurunden. Abgesehen vom Salz als solchem dienen in verschiedenen Länderküchen noch weitere salzige Zutaten zum Abschmecken der Mahlzeiten. Ein Beispiel ist Parmesan zu Gerichten wie Pasta, Pizza und Risotto sowie Shoyu- und Tamari-Sojasauce zu Wokgerichten und Sushi.

Sauer Säure spielt als Geschmacksverstärker die zweitwichtigste Rolle nach Salz in herzhaften Gerichten beziehungsweise nach Süßungsmitteln in Süßspeisen. Säuerliche Noten – ob ein Spritzer Zitronen- oder Limettensaft oder ein paar Tropfen Essig – verleihen einem Gericht eine gewisse Frische und Leichtigkeit. Besonders gute Ergebnisse erreicht man mit einer sorgfältigen und überlegten Auswahl der jeweiligen Säure, beispielsweise indem man Apfelessig für Obstsalat, Reisessig für Nori-Rollen oder Sherryessig für Gazpacho nimmt. Ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der Säure eines Gerichts und den übrigen Geschmacksrichtungen ist ausschlaggebend für ein abgerundetes Ergebnis.

Bitter Der Mensch reagiert sehr sensibel auf einen bitteren Geschmack und ist in der Lage, diesen schon bei einer sehr geringen Konzentration wahrzunehmen, eine Fähigkeit, die zurückzuführen ist auf einen angeborenen Überlebensmechanismus. Bitternoten liefern in Gerichten ein Gegengewicht zu Süße und tragen außerdem dazu bei, ein üppiges Gericht leichter wirken zu lassen. So runden die in Walnusskernen enthaltenen Bitterstoffe die natürliche Süße eines Rote-Bete-Salats ab und nehmen gleichzeitig dem häufig ebenfalls darin verwendeten Ziegenkäse die Schwere. Die Bitternote der Schokolade bildet in üppigen Desserts ein natürliches Gegengewicht. Die Vorliebe für Bitteres kann bei verschiedenen Menschen ganz unterschiedlich ausgeprägt sein. Viele Köche schreiben dieser Geschmacksrichtung eine unverzichtbare »reinigende« Wirkung zu – die sich auch darin äußert, dass man Lust auf mehr bekommt.

Umami Über die vier ursprünglichen Geschmacksrichtungen hinaus besteht heute weitgehend Einigkeit über eine fünfte Geschmacksrichtung, dem sogenannten Umamigeschmack, der bereits 1908 von einem japanischen Wissenschaftler entdeckt, bei uns aber erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts bekannt wurde. Gemeint ist damit ein vollmundiger, herzhafter, intensiver und/oder fleischiger Geschmack, wie er etwa beim Essen von Nahrungsmitteln wie reifem Käse (z. B. Blauschimmelkäse oder Parmesan), fermentierten Speisen (z. B. Miso oder Sauerkraut), Pilzen und Meeresalgen wahrnehmbar ist. Vermittelt wird dieser Geschmackseindruck vor allem durch Glutaminsäure (eine Aminosäure), die auch als Geschmacksverstärker dient und ein wichtiger Bestandteil vieler Würzmittel ist. Beispiele für stark durch Umami geprägte vegetarische Gerichte reichen von Misosuppe mit Shiitake, Tofu und Wakame bis hin zu Nudeln mit Tomatensauce, Pilzen und Parmesan.

Mundgefühl

Abgesehen vom Geschmackssinn verfügt der Mund auch über einen »Tast«-Sinn, mit dessen Hilfe Eindrücke wie Temperatur und Konsistenz wahrgenommen werden, die für den Gesamtgeschmack ebenfalls eine Rolle spielen. Diese Aspekte der Nahrung, im Allgemeinen als Mundgefühl bezeichnet, tragen dazu bei, dass Gerichte für uns auch körperlich »greifbar« sind; sie machen einen Großteil des Reizes und des Genusses eines Gerichts aus. Ist eine Speise knackig und knusprig, liefert sie nicht nur ein bestimmtes haptisches Gefühl im Mund, sondern auch eine akustische Wahrnehmung.

Temperatur Die Temperatur ist von allen im Mundraum wahrnehmbaren Empfindungen eine der unmittelbarsten. Der Wärmegrad einer Speise hat einen Einfluss darauf, wie der Geschmack wahrgenommen wird, zum Beispiel reduziert Kälte die Wahrnehmung von Süß. Durch die Temperatur der Nahrung kann aber neben der Wahrnehmung auch der Genuss eines Gerichts beeinflusst werden. Eine gekühlte Karottensuppe an einem heißen Sommertag – genau wie heiße Ofenkarotten an einem kalten Wintertag – wirken dank ihrer Eigenschaft, den Körper besser an die Umwelt anzupassen, gewissermaßen heilsam.

Textur und Konsistenz Genuss und Reiz einer Speise sind in hohem Maße mit deren haptischem Eindruck verbunden. Wir stufen Püree und/oder sahnige Gerichte (wie Cremesuppen und Kartoffelbrei) als wohltuendes »Comfort-Food« ein, knackig-knuspriges Essen dagegen (wie Nachos oder Chips) als gesellig-vergnügliches Essen. Ein durch die Textur einer Speise ausgelöster haptischer Eindruck ruft angenehme Empfindungen hervor, denn dadurch werden auch die anderen Sinne angesprochen, nämlich Sehsinn, Tastsinn und Hörsinn.