Mafiatochter - Aufgewachsen unter Gangstern

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Gerard und ich waren die anderen Errungenschaften, auf die Papa stolz war. Ich erinnere mich noch daran, wie Gerard geboren wurde. Ich war drei Jahre alt und völlig aus dem Häuschen darüber, dass er ein Junge war. Ich hatte mir eine Schwester gewünscht, eine kleine Puppe, die ich hübsch anziehen könnte. Von dem Augenblick an, als er aus dem Krankenhaus kam, war ich eifersüchtig auf ihn. Ich war das erste und einzige Kind gewesen, und nicht nur das: Ich war auch das erste Enkelkind mütterlicherseits. Nun widmete man Gerard die meiste Aufmerksamkeit. Vom Augenblick seiner Geburt an war er der Augapfel meiner Mutter. Gerard war ihr kleiner Mann. Das war eigentlich nur fair, denn vom Augenblick meiner Geburt an war ich der Augapfel meines Vaters gewesen. Rückblickend kann ich sagen, dass ich unserem Vater sehr ähnlich bin, während Gerard mehr nach unserer Mutter schlägt. Mama und Gerard sind beide stille, harmoniebedürftige und freundliche Menschen. Papa und ich wiederum sind hitzköpfig, stur, loyal und leidenschaftlich.

Das erste Mal, dass ich einen kleinen Einblick in Papas nicht ganz so normales Leben bekam, war zu der Zeit von Gerards Geburt. Ich war im Kindergarten, und die Kinder unserer Gruppe sollten an der Haustüre Süßigkeiten verkaufen, um das Geld für einen Ausflug zusammenzubringen. Den besten Verkäufern winkten attraktive Preise. Ich hatte mein Auge auf eine Popcornmaschine geworfen. Die Maschine war einer der größeren Preise, also wusste ich, was ich zu tun hatte. Sobald die Erzieherin die Pakete mit Süßigkeiten verteilt hatte, wollte ich mich an die Arbeit machen und den Nachbarn etwas verkaufen, bevor mir jemand anderes aus der Gruppe zuvorkam. Unglücklicherweise spielte das Wetter nicht mit. Nach dem Kindergarten regnete es zu stark, um nach draußen zu gehen.

Mein Vater sagte, ich solle mir keine Sorgen machen. Er werde so viel Süßigkeiten kaufen, dass ich meine Popcornmaschine bekäme. Ich fand jedoch, dass das Ganze etwas anders gedacht gewesen war. Soweit ich wusste, besagten die Regeln, dass ich mit dem Zeug hausieren gehen musste, und ich wollte nicht schummeln und Schwierigkeiten bekommen.

Da schlug mir Papa ein Geschäft vor. Er wollte die Süßigkeiten in den Nachtclub mitnehmen, den er besaß, und sie an die Jungs verkaufen, die dort arbeiteten. Somit würde ich meine Waren an viele verschiedene Leute verkaufen, selbst wenn ich, technisch gesehen, nicht die ganze Nachbarschaft an der Haustüre abklapperte. Der Plan gefiel mir, und wir besiegelten die Vereinbarung mit einem Handschlag.

Als ich am nächsten Morgen erwachte, platzte mein Sammelumschlag vor lauter Geld aus allen Nähten. Das Blatt, auf dem ich die Namen meiner Kunden festhalten sollte, war mit seltsamen Namen wie Sally Dogs und Big Louie ausgefüllt. Keiner dieser Namen hatte einen Adresszusatz wie auf den Blättern meiner Spielkameraden. Zweifellos hatte ich jedoch genug Süßigkeiten verkauft, um die Popcornmaschine zu bekommen. Ich blickte auf einen Stapel Geld, hunderte von Dollar.

Stolz brachte ich meiner Erzieherin das Bestellformular und das Geld. Sie war über meinen Erfolg gar nicht erfreut, sondern bestellte sofort meine Mutter in den Kindergarten, um die Sache zu besprechen. Sie war sich sicher, dass ich die Liste erfunden und das Geld von jemandem im Haus genommen hätte, um die Popcornmaschine zu ergattern. Immer wieder beteuerte ich, dass die Liste echt sei. Ich wusste, dass mich mein Vater niemals in Schwierigkeiten bringen würde.

Als meine Mutter im Kindergarten eintraf, versicherte sie meiner Erzieherin, dass alle meine Kunden echte Menschen seien und ich mich für die Sache sehr engagiert hätte. Ich bekam meine Popcornmaschine und hatte noch genügend Punkte für ein paar weitere Preise übrig, ich beließ es aber bei der Popcornmaschine, weil ich mir sonst gierig vorgekommen wäre. Es war ohnehin der einzige Preis, den ich haben wollte.

Ich lebte sehr gerne in Brooklyn. In der Nachbarschaft wohnten viele Verwandte, und Gerard und mir wurde es nie langweilig. Besonders gerne gingen wir zum Spielplatz im Gravesend Park, wo wir stundenlang schaukelten oder auf Plastiktieren wippten. An einem guten Tag bekamen wir ein Eis, wenn der Mann von Good Humor vorbeikam.

Besonders deutlich erinnere ich mich an einen Sonntagsausflug zum Ententeich. Mein Vater und meine Mutter gingen mit meinen älteren Kusinen und uns zum Entenfüttern. Wir hatten jeder zwei Scheiben altes Brot dabei, das wir nach eigenem Gutdünken zerbrechen und in den Teich werfen durften. Meine Kusine Mary hielt ihre Rinde zu lange fest, sodass eine Ente sie in den Finger biss. Mein Vater jagte sie den Weg entlang und schnappte sie, bevor sie ins Wasser entwischen konnte. Was dann geschah, traumatisierte uns: Die Ente quakte, die Kinder schrieen, und die Federn flogen, als mein Vater dem Vogel den Hals brach. Mein Vater schützte instinktiv die Menschen, die er liebte. Er hielt es für seine Pflicht, uns zu beschützen, selbst wenn er dabei die Grenzen des Notwendigen bisweilen überschritt.

Meine Mutter war sehr fürsorglich. Wenn ich ihr eine Frage stellte, hatte sie eine gewisse Art, mir zu antworten, ohne zu antworten. Nie gab sie eine befriedigende Antwort, sodass ich mir alles, was sie mir nicht sagte, selbst zusammenreimen musste. Wahrscheinlich hatte ich meistens Unrecht, aber ich konnte nicht anders, als sie weiterhin mit Fragen zu belästigen.

Sie war sehr bodenständig und einfach. Statt ein Restaurant zu besuchen, kochte sie lieber selbst zu Hause. Sie wusste, wie man mit sehr geringen Mitteln ein gutes Abendessen zauberte, und konnte improvisieren. Selbst, als wir pleite waren, hatte es stets den Anschein, als hätten wir reichlich zu essen. Sie konnte aus Makkaroni und Ricotta fünf verschiedene Gerichte zubereiten, indem sie beispielsweise Erbsen oder etwas geschnittenes Hühnchenfleisch hinzufügte. Ihr ofenfrisches Knoblauchbrot schmeckte mir am besten.

In unserem Haus gab es feste Regeln fürs Abendessen. Der Tisch wurde in einer Essecke gedeckt, und Papa saß immer am Kopfende. Ich saß zu seiner Rechten, Gerard auf der Bank gegenüber von mir und Mama am anderen Ende. Jeden Abend ließ uns Papa erzählen, was wir in den letzten vierundzwanzig Stunden Neues entdeckt hatten. Wenn wir fertig waren, sagte er: »Seht ihr? Man kann jeden Tag etwas Neues lernen.« Er war stolz, dass es immer etwas zu lernen gab.

Meine Mutter war keine Frau vieler Worte. Wenn etwas nicht in Ordnung war, insbesondere mit meinem Vater, achtete sie stets darauf, dass mein Bruder und ich nichts davon mitbekamen. Sie behütete uns mit demselben Beschützerinstinkt wie er, nur dass sich dieser bei ihr in einer etwas milderen Form äußerte. Sie war die Sorte Mutter, die unsere Schulnoten fälschte, damit wir keinen Ärger mit unserem Vater bekamen.

Sie war so still, dass ich annahm, sie sei schwach und unterwürfig – nicht im negativen Sinne, sondern vielmehr im Sinne häuslichen Pflichtgefühls. Keine Fragen zu stellen, war kein Zeichen von Schwäche; vielmehr hatte sie respektiert, dass Familienmitglieder nichts gewannen, wenn sie sie die ganze Zeit nachbohrten. Erst als ich viel älter war, erkannte ich, welche Kraft in ihrem Schweigen lag.

Mein Vater war der große Spaßmacher der Familie. Er neckte immer meine Mutter, was sie außerordentlich gern mochte. Man sah, dass sie ihn über alles auf der Welt liebte. Es schien sie nicht zu stören, dass er die ganze Nacht fort blieb. Wenn Papa spät nach Hause kam, schlief ich solange immer auf seiner Seite des Bettes. Dann trug er mich hinüber in mein eigenes Zimmer, egal, wie spät es war. Mama und er schienen nie darüber zu streiten, wo er so lange blieb, und sie schien für seine unkonventionellen Arbeitszeiten immer Verständnis zu haben. Ich würde nicht sagen, dass sie übertrieben zärtlich miteinander waren. Aber wenn Papa nach Hause kam und auf der Couch lag, legte er den Kopf in den Schoß meiner Mutter, und sie streichelte sein Haar.

Oft wollte ich meine Mutter fragen, womit Papa tatsächlich unseren Lebensunterhalt bestritt, aber ich wusste, dass sie solche Fragen nicht beantworten würde. Sie war der Vogel Strauß der Familie. Wenn Dinge angesprochen wurden, mit denen sie sich nicht befassen wollte, steckte sie einfach den Kopf in den Sand. Dann putzte sie wie besessen das ganze Haus von oben bis unten und fing anschließend noch einmal von vorn an. Wenn wir auf einem Teppich Fußspuren hinterließen, folgte sie uns mit dem Staubsauger in der Hand und vernichtete sämtliche Beweise, dass wir dort gewesen waren.

Manchmal waren sonntagmorgens ein paar Typen bei meinem Papa zu Besuch. Sie brachten Bagels mit und unterhielten sich. Ohne, dass sie dies als störend empfand, saugte Mama um sie herum und schob den Staubsauger sogar unter ihre Beine, während sie miteinander sprachen. Warum konnte sie mit dem Putzen nicht warten, bis sie das Haus verlassen hatten? Vielleicht war das ihre Art, mit seinen zwielichtigen Freunden und seinem schäbigen Leben zurechtzukommen – sie saugte alles weg.


Eines Tages fuhren wir nach Staten Island, um uns Häuser anzusehen. Ich war gerade sieben Jahre alt, und alles kam mir sehr schnell vor. Eben noch hatten wir Immobilien besichtigt, und im nächsten Augenblick verabschiedeten wir uns schon von Bensonhurst und fuhren westwärts über die Verrazano-Narrows-Brücke nach Staten Island, ein im Vergleich zu Brooklyn geradezu ländliches Idyll.

Ich war sehr glücklich, dass wir nun in der »Vorstadt« lebten. Ich hatte nur eine gute Freundin in Brooklyn gehabt und war ohnehin zu jung, um allzu sehr an meinem alten Wohnort zu hängen. Für mich bedeutete der Umzug, dass wir es geschafft hatten – das große Geld. Unser neues Haus verfügte sogar über Plüschteppichboden, sodass sich meine Mutter mit ihrem Staubsauger dort wunderbar austoben konnte.

 

Zurück ließen wir meine Tante Diane, die Zwillingsschwester meiner Mutter, und ihren neuen Ehemann Sandy, der völlig anders war als mein Vater, kein Typ von der Straße. Sie wussten jedoch, wo sie uns finden konnten. Und das taten sie auch. Sie zogen in das Haus am Leggett Place, das an unseres angebaut war. Ihre Tochter, meine Kusine Gina, war damals noch ein Baby. Mein Cousin Anthony war noch nicht auf der Welt.

Alles an dem Umzug war aufregend. Mein Vater kaufte eine komplett neue Einrichtung, also kamen ständig Lastwagen und Umzugshelfer zu uns. Sie brachten eine riesige, nagelneue, noch in Folie verpackte Couchgarnitur oder Betten und Kommoden für die Schlafzimmer. Mein Zimmer war gelb und weiß, mit einem Himmelbett, das mit total neuem Bettzeug im Prinzessinnenstil ausgestattet war. Um unser neues Heim zu etwas ganz Besonderem zu machen, mauerte mein Vater im Innenbereich Blumentröge aus Ziegelsteinen.

Das erste Haus auf Staten Island lag am Leggett Place, etwa drei Meilen westlich von der Verrazano Bridge. Es war ein Neubaugebiet, in dem viele der geplanten Gebäude noch gar nicht existierten, umgeben von Farmland. Das Beste war aber, dass dort viele junge Familien mit Kindern lebten, die etwa in Gerards und meinem Alter waren. Wir machten alles gemeinsam. Gerard und ich schauten immer erst aus dem Fenster, um zu sehen, wer draußen war, bevor wir uns zu den vielen anderen Kindern gesellten, die dort spielten oder mit ihren Fahrrädern auf der Straße herumfuhren.

Auch die Mütter gluckten zusammen und redeten über ihre Lieblingsthemen – aktuelle Ereignisse, Kindeserziehung oder Rezepte. Wenn jemand ins Haus ging, um das Abendessen zuzubereiten, schauten die anderen Mütter, ob nicht noch jemand zum Tratschen draußen war. Abends nach dem Essen besuchten wir uns gegenseitig in unseren Hobbykellern, bis es Zeit war, ins Bett zu gehen. Die meisten Leute in der Nachbarschaft waren Italiener. Viele von ihnen waren, genau wie wir, von Brooklyn nach Staten Island gezogen.

Etwa ein Jahr nach dem Umzug zogen meine Tante Fran, Onkel Eddie, meine Kusinen Lilian und Rena sowie meine Vettern Bud und Jerry direkt gegenüber ein. Ich war hellauf begeistert. Papa sagte uns, er habe gewollt, dass seine Schwester hierher ziehe, damit wir näher beisammen lebten. Sogar meine Großeltern zogen bei ihnen ein, in eine kleine, separate Erdgeschosswohnung. Damals wusste ich noch nicht, dass Onkel Eddies Baufirma Pleite gegangen war. Meine Großeltern hatten ihr Haus in Ronkonkoma, also ihren Alterssitz, verkauft, um ihm finanziell aus der Patsche zu helfen. Es brachte meinen Vater fast um, dass sie ihr Haus verkaufen und in eine Einliegerwohnung ziehen mussten, um Eddie zu helfen. Fran gehörte zur Familie, also tat mein Vater, was er konnte, um seiner Schwester unter die Arme zu greifen. Er nahm einen Kredit in Höhe von dreißigtausend Dollar auf und half ihnen beim Umzug, beim Möbelkauf und der Regelung ihrer finanziellen Probleme. Mein Vater musste unser eigenes Bauprojekt auf Eis legen, und für eine geraume Zeit wurden auch keine neuen Möbel mehr angeschafft. Zum Glück waren die neuen Betten unter den ersten Dingen gewesen, die eingetroffen waren.

Es gefiel mir, dass Eddie, Fran und die anderen Garafolas gegenüber wohnten. Wir besuchten uns immer gegenseitig. Endlich lebten »unsere Leute« im Viertel, und wir hatten viel Spaß miteinander. Anfangs hatte es meinen Vater traurig gestimmt, dass seine Eltern aufgrund von Eddies misslicher Lage zum Umzug gezwungen gewesen waren. Am Ende aber funktionierte alles ganz prächtig. Meine Großeltern schienen recht zufrieden zu sein. Nicht zuletzt war mein Vater das Baby meiner Großmutter, sodass die neue Nähe zu ihm ein Bonus für sie war. Als mein Großvater acht Monate später starb, war mein Vater sehr erleichtert, dass meine Großmutter nun so nahe bei uns wohnte und nicht allein in Ronkonkoma zurückgeblieben war.

Mein Bruder Gerard aß für sein Leben gern, also war es perfekt für ihn, dass er Verwandte in der Nachbarschaft hatte, die ihm gerne etwas auftischten. Er ging zum Essen erst zu seiner Oma, dann zu Tante Fran, dann kam er nach Hause und aß dort noch einmal. Allen erzählte er, er habe noch nichts gegessen, sodass er insgesamt drei Mahlzeiten bekam. Manchmal stahl er von einer hinter dem Neubaugebiet gelegenen großen Farm einen großen Kürbis oder eine Tomate, die meine Großmutter in die Soße geben konnte. Einmal setzte der Bauer Gerard bis nach Hause nach und rief ihm hinterher, er solle das gestohlene Gemüse wieder hergeben. Auch Großmutter war draußen und herrschte den Bauern an: »Lassen Sie die Finger von meinem Enkel!« »Er hat mein Gemüse gestohlen!«, schrie der Kerl zurück. Meine Großmutter blieb jedoch hartnäckig, und sowohl der Kürbis als auch die Tomate landeten in ihrer Soße. Sie war köstlich!

Wir alle mochten Oma Kay. Dass sie auf der anderen Straßenseite lebte, machte es einfacher, sie zu besuchen. Sie machte die beste Soße der ganzen Welt. Ich war dreizehn, als sie starb. Seit dem Tod meines Großvaters war sie nicht mehr ganz dieselbe gewesen. Sie war sehr traurig und wurde krank. Sie war es auch gewesen, die meinen Spitznamen »K.G.« erfunden hatte. Zu meinem dreizehnten Geburtstag hatte sie mir eine Halskette mit meinen diamantbesetzten Initialen geschenkt. Alle bekamen diese diamantenen Initialen zu ihrem sechzehnten Geburtstag, aber ich bekam meine schon mit dreizehn. Sie kaufte auch mein gesamtes Porzellan und mein Silberbesteck mit eingravierten Initialen, das ich einmal zur Hochzeit erhalten sollte. Sie muss gespürt haben, dass sie keine drei Jahre mehr zu leben hatte. Am Abend vor ihrem Tod gingen wir alle ins Krankenhaus und verabschiedeten uns. Am nächsten Morgen war sie einer Herzattacke erlegen. Papa war traurig, ließ sich aber nicht hängen.

Toniann war meine beste Freundin am Leggett Place. Sie lebte zwei Häuser weiter und war zwei Jahre älter als ich, was jedoch keinen von uns beiden störte. Wir waren etwa in derselben Altersgruppe und besuchten dieselbe öffentliche Schule. Ihre Eltern arbeiteten beide. Ihr Vater war ein gewöhnlicher Arbeitnehmer, der von neun bis fünf weg war, und ihre Mutter Friseurin. Wir übernachteten regelmäßig zusammen. Im Verlauf unserer Teenagerjahre verloren wir jedoch den Kontakt.

Ich wurde zu einem »schlechten« Mädchen, stahl mich aus dem Haus und ging in Nachtclubs, als ich vierzehn war. Sie machte solche Sachen nicht, also traf sie sich mit den guten Mädchen, während ich mich mit jenen umgab, die gern Schwierigkeiten machten.

Ich erinnere mich daran, wie mich Toniann einmal so aufbrachte, dass ich fast weinte. Alle Italiener nahmen es sehr wichtig mit ihrem Essen, und auch wir Gravanos bildeten da keine Ausnahme. Toniann bat mich, das Wort »Ricotta« zu sagen. Ich dachte mir nichts dabei, also sagte ich das Wort genauso, wie sie es gesagt hatte: »Ricotta«. Sie erwiderte dies mit verletzendem Spott: »Da sieh mal an, du bist ja gar keine Italienerin! Die Italiener sagen Ri-koh-da.« Ich war verwirrt. Ich wusste zwar, dass ich italienischer Abstammung war, begriff aber überhaupt nicht, warum sie mich provozierte. Also verteidigte ich mich. »Du sagtest, ich solle ›Ricotta‹ sagen, da habe ich eben ›Ricotta‹ gesagt. Hättest du gefragt, wie man Ricotta ausspricht, hätte ich Ri-koh-da gesagt.« Ich wusste vielleicht nicht, dass mein Vater in der Mafia war, aber ich wusste, dass ich ebenso italienisch war wie Christoph Kolumbus, auch wenn ich nicht vor fünfhundert Jahren mit der Santa Maria hierher gekommen war.

Sonntags traf sich die gesamte Familie zum gemeinsamen Kirchgang und zum Essen im Haus meiner Großeltern mütterlicherseits an der Ecke 15th Avenue und 86. Straße. Papa ging nicht in die Kirche, doch wir anderen gingen zu Fuß zur St. Frances Cabrini an der 86. Straße. Nach dem Gottesdienst machten Großvater und ich einen Spaziergang zur italienischen Bäckerei und holten dort frisches Brot und frischen Mozzarella.

Großmutter bereitete uns dann eine üppige italienische Mahlzeit zu, mit Pasta, Hühnchen und allem Drum und Dran. Während sie kochte, erledigten Papa und ich unser sonntägliches Ritual: Wir ließen das Auto waschen. Wenn die Jungs, die an der Waschstraße arbeiteten, den Wagen auf Hochglanz poliert hatten, gab Papa allen ein schönes Trinkgeld. Manchmal nahm er mich auch mit ins Baubüro, und ab und zu sogar in den Gesellschaftsverein. Wir waren ein Team, mit dem man rechnen musste, und ich mochte es, wenn ich ihn für mich allein hatte.

Als wir nach Staten Island zogen, war mein Vater der einzige in Bulls Head, der in der Mafia war. Unsere Nachbarn am Leggett Place wussten alle, dass Papa ein Gangster war, aber es war ihnen egal. Er konnte gut mit Leuten und war so normal und ungekünstelt, dass ihn alle mochten. In seiner Gesellschaft fühlte sich jedermann wohl – obwohl man eigentlich das Gegenteil hätte erwarten können. Er hatte zwar einen Ruf als harter Typ, aber das änderte nichts daran, dass er ein guter Nachbar war, der jedem nach Kräften half. Abgesehen von Tischlerarbeiten war er freilich nicht unbedingt der Geschickteste, also fummelte er immer eine Weile herum, wenn ihn jemand um Hilfe mit seinem Wagen oder Rasenmäher bat. Dann rief er jemanden an, der es besser konnte. Meistens wusste er ganz genau, wen.

Auf Staten Island wandte sich Papa auch wieder dem Baugeschäft zu. Als Eddie pleite ging, flehte er meinen Vater an, ihn in »das Leben« zurückzubringen. Mein Vater erkannte, dass im Baugeschäft großes Geld zu verdienen war und wusste, wie er seine Mafiaverbindungen spielen lassen konnte, um die Aufträge an Land zu ziehen. Weil er gut arbeitete, erhielt er auch Folgeaufträge. Onkel Eddie hingegen war eher handwerklich versiert, ein Nieten-und-Bolzen-Typ, der genau wusste, wie man etwas richtig machte. Er sorgte dafür, dass die Trupps gut arbeiteten und alle notwendigen Materialien hatten. Darin war er gut. Papa war gut als Gangster. Ich muss zugeben, dass sie ein tolles Team waren. Papa beschaffte die Jobs, und Eddie führte sie aus.

Nun, da mein Vater wieder im Baugeschäft war, hatten er und Paul Castellano wesentlich mehr gemein. Paul hatte für die Mafia einige Zeit lang die Bauindustrie in New York kontrolliert. Tatsächlich hatte Paul, der capo di tutticapi, der Boss aller Bosse, alles, was aus Beton war, fest im Griff. Wenn bei einem Projekt in New York Zement gegossen wurde, hatte der Mann seine Finger mit ihm Spiel. Mein Vater erledigte Jobs für Paul, sodass er oft in dem Herrenhaus in Todt Hill war.

Mit ihrer neuen Firma spezialisierten sich Papa und Eddie auf Klempnerarbeiten, und Paul war einer ihrer ersten Kunden. Pauls Haus war so groß, dass der Wasserdruck in den oberen Stockwerken drastisch abfiel, sodass das Duschen dort oben ziemlich unerfreulich war. Mein Vater schlug vor, eine zusätzliche Pumpe zu installieren, und Paul war mit dem Ergebnis äußerst zufrieden. Von da an mochte Paul meinen Vater, und es dauerte nicht lange, da schusterte er ihm und Eddie massenweise Arbeit zu.

Einmal nahm mein Vater mich und meinen Bruder mit zu Pauls Villa. Er und Paul wollten übers Geschäft reden, und wir wurden auf den Ausflug mitgenommen.

Pauls Frau Nina öffnete die wuchtige Einfangstür. Sie war ganz und gar nicht so, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Ich hatte gedacht, sie hätte teure Sachen an, förmlich und schick. Stattdessen war sie ganz schlicht gekleidet und wirkte mehr wie eine Großmutter, freundlich und warmherzig. Sie maß kaum einen Meter fünfzig, hatte gepflegtes graues Haar und trug ein schlichtes Kleid, das bis über die Knie ging. Sie führte Gerard und mich in eine Küche, die größer war als unser Haus. In der Mitte befand sich ein freistehender, in eine Arbeitsfläche aus rosafarbenem Marmor eingelassener Herd, über dem Dutzende blitzblanker Kupfertöpfe hingen.

Ein großer Deckenventilator verteilte den Duft frischer Kekse, die gerade gebacken wurden. Gerard und ich saßen an der Kochinsel, aßen Kekse und tranken Milch, während unser Vater anderweitig beschäftigt war. In einem solchen Haus waren wir noch nie gewesen, doch schon bald sollten auch wir in Todt Hill leben.

Wir wohnten noch am Leggett Place, als Papa beschloss, die Plaza Suite abzustoßen, seine erfolgreichste Diskothek in Gravesend. Obwohl er den Laden mochte, nahm ihn das Bauunternehmen mittlerweile derart in Anspruch, dass er praktisch zwei Jobs gleichzeitig hatte. Tagsüber arbeitete er im Büro seiner Baufirma im Erdgeschoss unter der Diskothek. Abends brauchten ihn die Bautrupps bei bestimmten Aufgaben, jedenfalls stellte ich es mir so vor. Er konnte nicht gleichzeitig im Nachtclub und mit dem Trupp draußen sein. In der Hoffnung, er könnte den Club auf diese Weise behalten, stellte er zwei seiner besten Männer, Mike DeBatt und Tommy »Huck« Carbonaro, dazu ab, dort nach dem Rechten zu sehen. Als ihm der Tscheche Frank Fiala jedoch eine Million Dollar für Club und Gebäude bot, konnte Papa nicht nein sagen. Es war der fünffache Marktwert.

 

Erst viele Jahre später erfuhr ich die Wahrheit darüber, was sich zwischen meinem Vater und Frank Fiala abgespielt hatte. Noch vor Abschluss der Vertragsverhandlungen hatte Frank eine Wand des Baubüros durchbrochen, um es mit der Diskothek zu verbinden. Schäumend vor Wut machte sich mein Vater auf nach Brooklyn, um ihn zur Rede zu stellen. Als Papa dort ankam, saß Fiala am Schreibtisch meines Vaters, umgeben von einem ganzen Rudel Dobermänner. Mein Vater konnte ihn ohnehin nicht leiden, weil er einen Ruf als Angeber und schmieriger Kokaindealer hatte. Papa verlangte eine Erklärung für die Beschädigung der Wand. Der Typ zog eine Uzi hervor und richtete sie direkt auf die Brust meines Vaters. Der trommelte daraufhin ein paar Kumpels für eine Strafaktion zusammen.

All das geschah etwa zu der Zeit, als sich meine Familie auf den großen Umzug nach Todt Hill vorbereitete. Mein Vater schien stets einen Fuß in der Tür eines neuen Hauses zu haben, sobald wir uns irgendwo niederließen. Er liebte es, ein Haus zu renovieren, umzubauen und es dadurch aufzuwerten. Dass Paul Castellano auf dem Hügel wohnte, kratzte ihn nicht. Er wollte beweisen, dass er auch ein Mann mit einer Villa war, obwohl wir alle gern am Leggett Place lebten. Meine Mutter hatte ein wenig gemakelt, um sich zu beschäftigen, daher hatte sie in dem betuchten Viertel bereits ein paar erschwingliche Objekte im Auge.

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