Mafiatochter - Aufgewachsen unter Gangstern

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

An Frank Fiala dachte ich nicht mehr. Ich war zu jung, um zu begreifen, dass Mord zur Arbeitsplatzbeschreibung meines Vaters gehörte. Ich wusste nicht einmal, dass der Mord an Fiala gegen die Gesetze der Mafia verstieß, weil er nicht vom Boss, Paul Castellano, genehmigt worden war. Bevor man in dieser Welt einen Mord beging, musste man zuerst beim Capo der Familie anfragen. Ein nicht sanktionierter Mord kostete einen in der Regel das Leben. Papa saß tief in der Scheiße, aber ich wusste es nicht. Ich hatte noch sehr viel zu lernen.


Mein Vater war schon ein Gangster, bevor ich geboren wurde. Meine Eltern lebten in Bensonhurst, als ich am 8. Mai 1972 im Kreißsaal des St. John’s Catholic Hospital an der Fourth Avenue in Brooklyn das Licht der Welt erblickte. Meine Eltern, Debra Scibetta und Salvatore »Sammy« Gravano, hätten nicht stolzer sein können. Meine Mutter war achtzehn und mein Vater sechsundzwanzig. Sie waren noch »frisch vermählt« und erst seit etwas über einem Jahr verheiratet.

Diane, die Zwillingsschwester meiner Mutter, hatte die beiden einander vorgestellt. Sie kannte meinen Vater aus der Nachbarschaft. In Bensonhurst, dem Little Italy von Brooklyn, kannte jeder jeden. Endlose Blöcke identischer zweistöckiger Einfamilienhäuser mit kleinen eingezäunten Höfen und Parkplätzen auf der Straße reihten sich aneinander. In den Pizzerias und Bäckereien entlang der 18th Avenue sprachen alle Italienisch und kannten die Namen sämtlicher Babys in den Kinderwagen. Die Sonntage gehörten der Kirche, ausgedehnten Mahlzeiten und der Familie.

Meine Tante Diane war kontaktfreudiger als meine Mutter und mit mehr Leuten im Viertel bekannt. Meine Mutter war eher reserviert und sehr schüchtern und ging nicht besonders oft aus. Sie war eine hübsche Brünette, hatte eine tolle Figur und strahlte eine gewisse Unschuld aus. Mein Vater verliebte sich Hals über Kopf in sie. Kleider und Mode interessierten sie nicht, doch sie sah auf bescheidene Weise immer sehr nett aus. Was ihm am besten an ihr gefiel, war aber, dass sie nicht wie die Mädchen war, die seinen Nachtclub in Fort Hamilton besuchten, dickes Make-up trugen und sich wie Schlampen benahmen. Mein Vater fühlte sich sofort zu meiner Mutter hingezogen. Er sagte, er wisse, dass sie die Richtige für ihn sei. Er konnte sofort sehen, dass sie eine hingebungsvolle Ehefrau und Mutter werden würde. Sie gingen nicht einmal ein Jahr miteinander, dann heirateten sie.

Als mein Vater meine Großeltern, Sandra und John Scibetta, um die Hand ihrer Tochter anhielt, waren sie zunächst nicht gerade begeistert. Sammy hatte einen Ruf als Schläger. Er war ein paar Mal mit dem Gesetz in Konflikt geraten und in zahlreiche Prügeleien verwickelt gewesen. Die Eltern meiner Mutter kannten die Eltern, Tanten und Onkel meines Vaters, und wussten, dass sie gute Leute waren. Sammy war damals jedoch ein Mitglied der Rampers, einer bekannten Straßenbande aus Brooklyn. Die Rampers begingen bewaffnete Raubüberfälle, Einbrüche, Autodiebstähle und Erpressungen. Kleine Ganoven, die eine lebenslange Verbrecherlaufbahn ansteuerten.

Sie hatten mit »Kofferraumknacken« angefangen. Dazu brachen sie den Leuten den Kofferraum ihres Autos auf und klauten den Ersatzreifen. Was die künftigen Schwiegereltern meines Vaters nicht wussten, war, dass er seit Kurzem ein »Mitarbeiter« der Mafiafamilie Colombo war, an deren Spitze Joseph Colombo stand.

Sammy hatte sich ihrer Tochter gegenüber jedoch stets respektvoll und charmant verhalten, also willigten sie zähneknirschend ein. Sie verlangten allerdings, dass die beiden Debras achtzehnten Geburtstag abwarteten. Sie glaubten ohnedies nicht, dass Sammy in der Lage wäre, ihre Tochter in absehbarer Zeit zu ehelichen, da die bewirtschafteten Säle für die Feier ein Jahr im Voraus reserviert werden mussten. Sie waren sicher, dass die Romanze bis dahin abgekühlt wäre.

Sammy hatte jedoch gute Kontakte zum Colonial Mansion, einem schicken Gastronomiebetrieb an der Ecke Bath Avenue und 22. Straße mit Marmorfußböden und Kristallleuchtern. Es gelang ihm, den Saal mit weniger als einem Monat Vorlauf zu buchen. Die Hochzeit fand am Freitag, den 16. April 1971 statt, einen Monat vor Debbies achtzehntem Geburtstag. Über dreihundert Gäste kamen, die meisten davon aus der Nachbarschaft sowie ein paar Mafiosi, um der Vermählung beizuwohnen und anschließend im Colonial Mansion zu feiern.

Alle hofften, dass Sammy, wenn er erst einmal Frau und Kinder hätte, seine kriminellen Machenschaften aufgeben würde. Damit lagen sie nicht einmal so falsch, denn nach meiner Geburt zog unsere Familie von Brooklyn in das Haus meiner Großeltern väterlicherseits in Ronkonkoma, einem Ort auf Long Island, etwa eine Stunde östlich von Bensonhurst gelegen. Als Kind hatte mein Vater die Sommerferien in dem winzigen Haus verbracht, das schließlich zum dauerhaften Wohnsitz meiner Großeltern geworden war. Als meine Familie dort einzog, bauten meine Großeltern mit Freuden den Dachstuhl zu einer Wohnung für uns aus. Mein Vater war fest entschlossen, sauber zu bleiben und eine ehrliche Arbeit zu finden. Sein endgültiges Aha-Erlebnis kam später, in einem Augenblick der Verzweiflung, als er und meine Mutter mein Sparschwein aufbrechen mussten, um genug Lebensmittel fürs Abendessen kaufen zu können.

Sein Schwager Eddie Garafola, der Ehemann seiner Schwester Fran, bot ihm Arbeit an. Eddie war Teilhaber eines kleinen Bauunternehmens in Ronkonkoma, das sich auf Klempnerarbeiten spezialisiert hatte, und hatte eine Menge für ihn zu tun. Mein Vater begann, bis spätabends zu arbeiten, verdiente aber trotzdem weniger als hundert Dollar die Woche. Als er Eddie um eine Gehaltserhöhung bat, teilten ihm mein Onkel und dessen Partner mit, zehn Cent pro Stunde mehr sei alles, was sie erübrigen könnten. Verärgert trat Sammy eine Stelle bei einer anderen Baufirma an, die von einem Freund des Onkels meiner Mutter geleitet wurde. Dort fing er mit einhundertfünfundsiebzig Dollar wöchentlich an, aber schon nach zehn Monaten verdiente er zweihundertundfünfzig. Langsam fasste er neuen Optimismus, dass er seine Familie mit einer ehrlichen Arbeit im Baugewerbe ernähren könnte.

Die Familie lebte noch kein Jahr auf Long Island, als mein Vater und ein anderer Typ namens Alley Boy Cuomo des Mordes an zwei Brüdern, Arthur und Joseph Dunn aus Coney Island, beschuldigt wurden. Die beiden hatten eine örtliche Autowerkstatt betrieben, die jedoch nicht besonders gut gelaufen war, bis sie 1969 niedergeschossen worden waren. Aufgrund der Aussage eines Ganoven, der bereits wegen einer anderen Sache im Knast saß, wurden mein Vater und Alley Boy verhaftet. Der Ganove wollte, dass man ihm einen Teil seiner Strafe erließ, und lieferte meinen Vater und Alley Boy ans Messer, um ein paar Jahre weniger sitzen zu müssen. Mein Vater wusste, dass er als Sündenbock missbraucht wurde, denn er hatte noch nie von den Gebrüdern Dunn gehört. An seiner Verhaftung änderte das jedoch nichts.

Der Boss meines Vaters in der Familie Gambino, Toddo Aurello, lieh ihm zehntausend Dollar, um die Kaution zu bezahlen – unter der Bedingung, dass er sie mit Zinsen zurückzahlte. Weil mein Vater weiteres Geld brauchte, um seine Anwaltsrechnungen zu bezahlen und die Familie zu ernähren, mussten wir zurück nach Bensonhurst ziehen. Wir zogen in die Fünfzimmerwohnung der Eltern meiner Mutter an der 15th Avenue. Meine Tante Diane lebte noch zu Hause. Wir teilten uns ihr kleines Zimmer, während sie auf dem Sofa im Wohnzimmer schlief.

Zurück im selben alten Viertel tat mein Vater jeden Abend dieselben schlechten Dinge. Er raubte und stahl, um genug Geld zur Finanzierung seiner Verteidigung zusammenzubringen. Er sagte, er habe die Morde zwar nicht begangen und dass es ein an den Haaren herbeigezogener Prozess sei, er jedoch trotzdem eine Verteidigung aufbauen müsse. Um die Anwaltsrechnungen und Gebühren bezahlen zu können, blieb ihm nichts übrig, als das Geld auf diese Weise zu verdienen. Damit machte er aber alles noch schlimmer, weil er dreimal verhaftet wurde, während er auf Kaution war. Die Anwalts- und Gerichtskosten stiegen also.

Zwei Wochen vor der geplanten Verhandlung des Doppelmordes wurde der Fall abgewiesen, weil die Geschichte des Ganoven zu viele Ungereimtheiten aufwies. So hatte der Typ etwa behauptet, mein Vater habe einen weißen ’72er Lincoln gefahren, doch mein Vater kaufte sich diesen Wagen erst Jahre nach den Morden. Obwohl mein Vater nun von allen Vorwürfen freigesprochen war, gab es für ihn kein Zurück mehr aus seinem kriminellen Dasein. Durch die Anwaltsgebühren hatte er sich verschuldet. Wenn er sich schon für das Berufsverbrechertum entschied, wollte er dies aber auch zu hundertprozentig tun. So war mein Vater eben: Was immer er auch tat, machte er hundertprozentig, ob als Krimineller, als Vater oder jemand, der mit den Behörden kooperierte. Wenn er sich einmal für etwas entschieden hatte, zog er es durch, ohne sich noch einmal umzublicken.

Bald »verdiente« er genügend Geld, um sich eine eigene Wohnung leisten zu können, und wir zogen aus der Wohnung meiner Großeltern in ein Apartment an der 61. Straße.

Meine Mutter war eine jener loyalen Ehefrauen, die mit ihrem Mann durch Dick und Dünn gingen und keine Fragen stellten. Sie zweifelte nie wirklich an meinem Vater, weil sie tief im Herzen fest daran glaubte, dass er es gut meinte. Ich weiß, dass sie wünschte, sie hätten Long Island und ihren Traum vom einfachen Leben nie hinter sich gelassen. Als die Mutter seiner Kinder trug sie alle seine Entscheidungen mit, wofür auch immer er sich entschied.

Ich bin sicher, dass sie bisweilen wünschte, alles wäre anders gelaufen, doch sie begriff eines: Wenn die Ernährer nach Hause kamen, erzählten sie den Frauen nicht, was sie taten, und die Frauen stellten keine Fragen. Also umgab sie sich mit ihren Kindern, ihrer Schwester, ihren Eltern und einigen Ehefrauen von Männern aus der Clique meines Vaters, die diesen Lebensstil verstanden.

 

Alle meine Großeltern hatten nie etwas mit der Mafia zu tun gehabt. Meine Großmutter und mein Großvater mütterlicherseits arbeiteten beide, um ihre Familie zu ernähren. Mein Großvater arbeitete nachts bei der Western Electric Telephone Company, wo er Schaltplatten zusammensetzte, und meine Mutter hatte einen Job in einer chemischen Reinigung. Es gelang ihnen, genug Geld für ein Sommerhäuschen in Pennsylvania zusammenzusparen, wo sie der Stadt entfliehen konnten.

Die Eltern meines Vaters waren aus Italien nach Amerika gekommen. Die Familie war sehr arm. Als erste hatten die Männer die Überfahrt unternommen, dann wurden die Frauen und Kinder nachgeholt. Mein Großvater – »Giorlando« in Italien, aber »Gerry« in den USA – war der jüngste Junge und der Letzte, der nach Amerika gelangte. Er war noch ein Teenager, als er ganz allein mit dem Frachter von Sizilien nach Kanada reiste. Als das Schiff in Kanada anlegte, ging er von Bord und musste nur anhand einer Telefonnummer seinen Weg nach New York finden. Weil er illegal in die Vereinigten Staaten einwanderte, blieb ihm eine Einbürgerung für immer versagt. Er war sehr italienisch, geleitet von seinen strengen italienischen Traditionen, und sprach entweder Italienisch oder sehr gebrochen Englisch mit starkem italienischen Akzent.

Die Mutter meines Vaters hieß eigentlich Caterina, wurde aber von allen Kay genannt. Sie war in den Vereinigten Staaten zur Welt gekommen und zog ihre drei Kinder englischsprachig auf, weil sie wusste, dass sie es nur so zu etwas bringen würden. Ich erinnere mich, dass ich als Kind dachte, wie seltsam es war, dass meine Großmutter, meine Tanten und mein Vater gut Englisch sprachen, mein Großvater hingegen nicht.

Als Großvater Gravano einst nach New York gekommen war, hatte er eine Arbeit als Anstreicher gefunden. Ich weiß nicht, wie er meine Großmutter kennen lernte, doch als sie heirateten, arbeitete sie als Näherin.

Durch den ständigen Kontakt mit Farbe holte sich mein Großvater eine Bleivergiftung, also musste meine Großmutter, eine ehrgeizige und hart arbeitende Frau, die Familie durchbringen. Der Boss meiner Großmutter half ihr, eine Kleiderfabrik in Bensonhurst zu eröffnen, und mein Großvater half ihr bei den Geschäften. Ich erinnere mich, dass meine Großmutter immer hübsche Kleider trug. Sie ging viel zu Fuß, sodass sie ihre gute Figur behielt.

Meine Großeltern bekamen erst relativ spät Kinder, was durch eine Reihe von Fehlgeburten bedingt war. Schließlich zeugten sie drei Kinder, zunächst die beiden Töchter Jeannie und Fran, dann einen Sohn, Salvatore. Papas Eltern nannten ihn »Sammy«, weil er seinem Onkel Sammy so stark ähnelte. Den Namen behielt er. Er war das »Baby« meiner Großmutter.

Meine Großeltern hatten zwar keine Verbindungen zur Mafia, in direkter Nachbarschaft lebten aber viele Mitglieder der Organisation. In Sizilien, wo die Cosa Nostra gegründet worden war, beschützen die Mafiosi ihr jeweiliges Viertel. Als sie aus Italien nach Amerika kamen, fanden sie, sie sollten dort dasselbe tun. Deshalb wurden sie in den Gemeinden geachtet. Großvater Gravano war mit der Kultur der Mafia vertraut und begegnete ihren Mitgliedern stets mit dem notwendigen Respekt.

Wenn mein Großvater und mein Papa auf dem Weg zur Kleiderfabrik waren, saßen die Mafiosi immer vor den Gesellschaftsvereinen. Sie kannten meinen Großvater mit Namen und begrüßten ihn stets freudig auf der Straße. Mein Vater war neugierig, woher mein Großvater sie kannte. Mein Großvater erklärte, dass sie keine hart arbeitenden, netten Leute seien. »Es sind schlechte Leute, aber es sind unsere schlechten Leute«, pflegte er zu sagen.

Er erklärte meinem Vater, dass sie diejenigen seien, an die sich die italienische Gemeinde wandte, wenn es Probleme zu lösen gebe. Den Italienern gegenüber bestünden große Vorurteile, daher fänden es die Italiener besser, sich um ihre Angelegenheiten so zu kümmern, wie sie es in der alten Heimat getan hätten. Er machte ihm unmissverständlich klar, dass man die Mafiosi zwar respektieren, ihnen aber besser aus dem Weg gehen solle.

Mein Vater sagte, er sei eines jener Kinder gewesen, die auf dem Spielplatz der Schule ständig in eine Schlägerei geraten seien. Er war ein lausiger Schüler und deshalb gnadenlos gehänselt und gedemütigt worden. Die einzige Möglichkeit, sich Respekt zu verschaffen, habe darin bestanden, etwas draußen zu regeln, vor der Tür. Dort ließen ihn die Tyrannen in Ruhe. Als mein Papa in der vierten Klasse war, blieb er sitzen, weil er angeblich eine Lernschwäche hatte. Er war ein starker Legastheniker, doch seine Lehrer hielten ihn für geistig zurückgeblieben. Er versuchte, es mit einem Lachen abzutun, indem er den Klassenclown spielte. Die Fäuste zu gebrauchen und Stänkerer zu Boden zu schlagen, war jedoch leichter und befriedigender, also wurde jeder, der ihn hänselte, nach der Schule verprügelt.

Zu Sammys zehntem Geburtstag kauften ihm meine Großeltern ein neues Fahrrad. Es wurde von ein paar Jugendlichen gestohlen, doch Sammy entdeckte es eine Woche später auf der Straße gegenüber vom Gesellschaftsverein. Als er es sich wieder holen wollte, nahm er es mit den beiden Jungs auf, die die Herausgabe verweigerten. Er schlug sich tapfer, was ihm von einigen Mafiosi, die das Ganze beobachteten, den Namen »Little Bull« – kleiner Stier einbrachte.

Als mein Vater dreizehn war, bekam er einen Eindruck von der Macht der Mafia. Eines Tages war er in der Kleiderfabrik und half meinem Großvater bei der Lohnabrechnung, als zwei irisch aussehende Schlägertypen das Büro betraten. Sie behaupteten, sie kämen von der Gewerkschaft und bedrohten meinen Großvater. Sie sagten, er müsse entweder Schmiergeld zahlen oder den Laden gewerkschaftlich organisieren, ansonsten werde man ihm die Beine brechen. Mein Vater war entsetzt, wie respektlos sie mit ihm umsprangen. Sein Vater aber sagte, alles sei in Ordnung, Zuvito werde sich darum kümmern.

Sammy wusste, dass Zuvito ein alter, gebrechlicher Mann aus der Nachbarschaft war. Er konnte gegen zwei wütende irische Bullenbeißer gewiss nichts ausrichten. Seine Kumpel von den Rampers gaben ihm eine Pistole und rieten ihm, die beiden Typen umzupusten. Am Montagmorgen kamen die beiden Männer wie angekündigt in die Kleiderfabrik. Diesmal jedoch waren sie äußerst freundlich und entschuldigten sich sogar. Sie sagten, sie hätten nicht gewusst, dass Zuvito Gerrys compadre sei. Alles war gut, und alle schüttelten sich die Hände.

Sammy war verblüfft. Sein Vater sagte ihm abermals, dass er sich keine Sorgen machen müsse. Zuvito sei ein mächtiger Mann, ein schlechter Kerl, aber »unser schlechter Kerl«.

Als Sammy seinem Vater die Pistole zeigte, geriet Gerry in Wut. Zornig blickte er seinen Sohn an, nahm die Waffe an sich und sagte, die Gravanos seien ehrliche, gesetzestreue Leute. Er sagte, wenn sie Probleme hätten, dann gingen sie zu Leuten wie Zuvito und bäten um Hilfe. Mein Großvater schlug ihn zwar nicht, aber mein Vater sagte, es habe nicht mehr viel gefehlt.

Schließlich erfuhr Sammy die Wahrheit: Zuvito und die anderen Typen, die vor den Gesellschaftsvereinen herumlungerten, waren Gangster. Er beschloss, ebenfalls diesen Lebensstil zu wählen. Die Kämpfe auf dem Spielplatz eskalierten. Schulisch war er ein Totalversager. Als er sechzehn war, mussten ihn seine Eltern von der Schule nehmen. Seine formale Bildung war damit beendet.

Mein Vater zog ohnehin das Leben mit den Rampers vor. Das Leben in einer Straßenbande war aufregend und brachte den wagemutigen Mitgliedern eine Menge Geld ein. Viele Rampers träumten davon, sich der Mafia anzuschließen. Mein Vater war ein »Gutverdiener«, was bedeutete, dass er das Zeug zum Gangster hatte. Er war loyal, machte einen Haufen Geld, war eine Führernatur und konnte anderen, wenn nötig, eine Abreibung verpassen.

Bald schon fiel er Joe Colombo auf, dem Haupt der Familie Colombo. Colombo erinnerte sich daran, dass mein Vater ein paar Jahre zuvor seine beiden Söhne in einem Kino zusammengeschlagen hatte. Colombo hegte deshalb keinen Groll gegen ihn. Im Gegenteil: Es gefiel ihm, dass er von ihnen abgelassen und sie nicht krankenhausreif geschlagen hatte. Colombo machte Sammy und seinen Rampers-Kumpel Tommy Spero zu »Mitarbeitern« seiner Organisation. Als Mitarbeiter unterstanden beide den »gemachten« Mitgliedern der Mafia. Um »gemacht« zu werden, musste ein Mitarbeiter von einem »gemachten« Mann vorgeschlagen werden. Damals waren die »Bücher« der Mafiafamilien seit über elf Jahren geschlossen. Die beiden jungen Männer hofften, aufgenommen zu werden, wenn man sie wieder aufschlug.

Mein Vater wurde der Bande von Thomas »Shorty« Spero, Tommys Onkel, zugeteilt. Sein erster Job war ein Raub in einem Bekleidungsgeschäft, seine zweite Aufgabe bereits eine Bank. Nach diesen beiden Überfällen wurde er festgenommen, entging jedoch einer Verurteilung, weil die Augenzeugen ihre Aussagen widerriefen.

Als mein Vater bereits seit zwei Jahren Mitarbeiter der Familie Colombo war, verlangte man zum ersten Mal von ihm, jemanden umzubringen. Mit fünfundzwanzig Jahren schoss er seinem ersten Opfer Joe Colucci zwei Mal in den Hinterkopf, während im Hintergrund ein Stück von den Beatles lief. Es hieß, Colucci, ebenfalls ein Mitarbeiter der Familie, wolle Sammy töten, also erhielt Sammy vom Colombo-Capo Carmine Persico die Erlaubnis, ihm zuvorzukommen. Um vier Uhr morgens, nachdem sie die ganze Nacht lang durch die Clubs gezogen waren, stiegen Joe, Sammy, Tommy Spero und ein Typ namens Frankie in ein Auto. Sammy saß hinten, und Joe saß vor ihm auf dem Beifahrersitz. Mit hoher Geschwindigkeit rasten sie den Belt Parkway in Brooklyn hinab, und Sammy feuerte aus dem fahrenden Wagen zwei Kugeln in Joes Kopf. Dann wies er den Fahrer an, in einem Wohngebiet zu halten, wo er Joe mit dem Gesicht nach unten auf die Straße warf. Er feuerte weitere drei Schüsse auf die Leiche ab, um ganz sicher zu gehen, dass Joe auch wirklich tot war.

Anschließend wurde Sammy viel mehr respektiert. In gewissen Kreisen hatte er nun einen Ruf und ein Prestige. Er musste nicht länger Schlange stehen, um in Clubs oder Discos zu gelangen, und die Bosse mochten ihn. Er war auf dem besten Wege, ein Mafioso zu werden.

Sammy blieb nicht lange bei der Familie Colombo. Ralph und Shorty Spero waren ein bisschen eifersüchtig über die Aufmerksamkeit, die er genoss, und sorgten sich, er könnte noch vor Shortys Neffen, dem jungen Tommy, »gemacht« werden. Mit dem Segen aller wurde mein Vater der Familie Gambino anempfohlen, wo Onkel Toddo sein Mentor wurde. Kurz darauf wurde er ein »gemachter« Mann, jemand mit voller Mitgliedschaft in der Bruderschaft der Cosa Nostra.

Bei einer geheimen Aufnahmezeremonie im Wohnhauskeller eines der Bosse schwor er der Gambino-Organisation seine Loyalität. Einer der Männer fragte ihn, welchen Finger er gebrauche, um den Abzug einer Pistole zu bedienen. Als er seinen Zeigefinger hob, stach ihn der Mann hinein und schmierte etwas Blut auf ein Heiligenbild. Sammy hielt das Bildnis auf den Handflächen, und es wurde entzündet. Er vernahm die Warnung, dass er wie dieses Heiligenbild in der Hölle brennen werde, wenn er jemals seinen Schwur breche. Außerdem schwor er, die Omertà zu wahren, den Kodex des Stillschweigens. Als die Zeremonie vorüber war, genoss er sämtliche Privilegien und den Schutz eines »gemachten« Mannes. Er hatte aber auch die Pflicht, für die Bruderschaft zu töten. Er beschrieb die Aufnahme als einen der stolzesten Momente seines Lebens, wenngleich die Verbrennung des Heiligenbildes schmerzhafte weiße Brandblasen auf seinen Handflächen zurückließ.