Neuroanatomie

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Kapitel 2

Allgemeiner Aufbau des Nervensystems

Unterteilungsmöglichkeiten des Nervensystems

Graue und weiße Substanz des Nervensystems

Peripheres und zentrales Nervensystem

Somatisches und vegetatives Nervensystem

Afferenzen und Efferenzen

Zusammenfassendes Funktionsprinzip des Nervensystems

Topographische Betrachtung des Nervensystems

Apikale Ansicht

Medio-sagittale Ansicht

Laterale Ansicht

Basale Ansicht

Lagebeschreibungen im Zentralnervensystem: Meynert- und Forel-Achse

Systematik der Verbindungen des Nervensystems

Assoziationsbahnen

Kommissurenbahnen

Projektionsbahnen

Zusammenfassung

Was das IMPP wissen möchte

Index

Weiterführende Literatur

Allgemeiner Aufbau des Nervensystems

Das Nervensystem besteht nicht nur, wie wir im vorangegangen Kapitel erfahren haben, aus verschiedenen Zelltypen, sondern kann auch funktionell und makroskopisch in verschiedene Anteile untergliedert werden. Diesen verschiedenen Anteilen des Nervensystems lassen sich oft ganz bestimmte Funktionen zuordnen, so dass schon im Rahmen der klinischen Untersuchung ein erster Verdacht geäußert werden kann, an welcher Stelle das Nervensystem bei einer gegebenen Symptomkonstellation vermutlich beschädigt ist. In diesem Kapitel werden die verschiedenen Unterteilungsmöglichkeiten des Nervensystems erläutert sowie auf grundlegende Funktionen der einzelnen Abschnitte eingegangen.

Unterteilungsmöglichkeiten des Nervensystems

Das Nervensystem lässt sich nach verschiedenen Gesichtspunkten unterteilen. Diese sind (1) graue und weiße Substanz, (2) peripheres und zentrales Nervensystem, (3) somatisches und vegetatives Nervensystem sowie (4) Afferenzen und Efferenzen (eigentlich afferentes und efferentes Nervensystem). Die ersten beiden Unterteilungen sind eher morphologischer, die letzten beiden sind funktioneller Natur.

Graue und weiße Substanz des Nervensystems

Als die alten Anatomen die ersten Gehirne inspizierten, begnügten sie sich natürlich nicht mit der Untersuchung des Gehirns von außen. Sie entschlossen sich dazu, das Gehirn zu sezieren um Informationen darüber zu erhalten, wie dieses faszinierende Organ von innen aussieht.

Abb. 2.1 zeigt ein Gehirn, welches von vorne angeschnitten worden ist. Diese Schnittführung wird sowohl in der Anatomie als auch in der Radiologie als frontale bzw. koronare Schnittführung bezeichnet. Dargestellt ist, wie ein solches Gehirn makroskopisch aussieht. Neben den beiden zentralen Hohlräumen, die wir später noch als innere Liquorräume kennenlernen werden, fällt auf, dass manche Gebiete grau, andere weiß erscheinen. Die grau erscheinenden Bereiche nennt man graue Substanz (Substantia grisea), diejenigen, die heller erscheinen, nennt man weiße Substanz (Substantia alba). Bei genauerer Betrachtung kann man erkennen, dass das Gehirn vollständig von einem grauen Streifen umgeben ist. Diesen Streifen grauer Substanz nennt man aufgrund seiner oberflächlichen Lage Großhirnrinde bzw. Cortex cerebri (kurz auch einfach Kortex genannt; Pfeil in Abb. 2.1). Im Kortex liegen die Zellkörper der Nervenzellen. Je nach ihrem Platz in der Großhirnrinde haben sie ganz unterschiedliche Aufgaben. Manche steuern Bewegung, manche registrieren sensible Impulse, wieder andere sind für die Sprache verantwortlich. Die meisten Nervenzellen kommunizieren über Axone mit anderen Gehirnarealen. Deren Axone verlaufen im sogenannte Marklager unterhalb der Großhirnrinde, man spricht auch von subkortikaler weißer Substanz (E in Abb. 2.1). Der Teilbegriff „Mark“ im Wort Marklager bezieht sich auf die durch Myelin oder „Mark“ ummantelten markhaltigen Nervenfasern, die heller gefärbt sind als die Zellkerne der Nervenzellen. Das Marklager beider Seiten scheint über eine Gewebebrücke miteinander verbunden zu sein. Hierbei handelt es sich um den Balken (Corpus callosum; B in Abb. 2.1), der Teil der weißen Substanz ist. Die Substantia alba enthält also im Wesentlichen Nervenfasern, die der Kommunikation der grauen Nervenzellen untereinander dienen.


Abb. 2.1

Frontalschnitt durch das Gehirn im Bereich der Corpora mammillaria

Die Blickrichtung ist von vorne nach hinten. In dieser Sichtweise sehen wir die Fissura longitudinalis cerebri (A), welche das Großhirn in eine linke und eine rechte Hemisphäre unterteilt. Am unteren Ende der Fissura longitudinalis cerebri liegt der Balken (B), der die rechte mit der linken Hemisphäre verbindet. In der Tiefe um die inneren Hohlräume des Gehirns angeordnet (Ventrikel; C und D) findet man die tiefe graue Substanz, die auch subkortikale graue Substanz genannt wird (J). Wichtige Vertreter sind der Nucleus caudatus (blau), das Putamen (grün) und der Globus pallidus (rot). Nach außen folgt ein breiter Bereich weißer Substanz, das sogenannte Marklager (E). Um den dritten Ventrikel (D) befindet sich der Thalamus (Stern). Dieser allgemeine Aufbau (innen graue Substanz, außen weiße Substanz) ist vergleichbar mit dem des Rückenmarks. Auch dort finden wir – wie dargestellt – innen graue Substanz, an die sich von außen her weiße Substanz anlagert (F). Die graue Substanz des Rückenmarks hat annährend die Form eines Schmetterlings, es lassen sich Vorderhorn, Seitenhorn und Hinterhorn voneinander abgrenzen. Als Zeichen der evolutionären Entwicklung des Menschen lagert sich um das Marklager im Bereich des Großhirns jedoch ein weiteres Gebiet graue Substanz an, der streifenartige Kortex (Pfeil). In der grauen Substanz befinden sich die Zellkörper und Dendriten der Nervenzellen, in der weißen Substanz die mit Myelinscheiden umgebenen Axone. Der Kortex mit seinen Gyri (G) und Sulci (H) ist demnach das morphologische Korrelat einer Vermehrung von Nervenzellen im Zuge der Evolution. Diesen wichtigen evolutionären Schritt findet man bei weniger weit entwickelten Tieren, wie etwa der Maus, nicht. Die Oberfläche des Großhirns ist dort flach, man spricht von einer Lysenzephalie.

In der Tiefe, vor allem um die inneren Liquorräume formiert, stößt man wieder auf Gebiete, die graue Substanz enthalten. Da diese Bereiche unterhalb des Kortex liegen, spricht man auch von subkortikaler grauer Substanz (J in Abb. 2.1). Wie wir später noch sehen werden, greifen diese Gebiete subkortikaler grauer Substanz unter anderem regulatorisch in Bewegungsimpulse ein. Dies trifft vor allem für folgende zwei Abschnitte der subkortikalen grauen Substanz zu: den Nucleus caudatus (in Abb. 2.1 blau hinterlegt) und das Putamen (in Abb. 2.1 grün hinterlegt). Auch der Globus pallidus (in Abb. 2.1 rot hinterlegt) spielt eine wichtige Rolle in der Regulation motorischer Impulse. Ein weiteres Gebiet tief gelegener grauer Substanz befindet sich unmittelbar um den dritten Ventrikel (D in Abb. 2.1), welcher in der gezeigten Abbildung mittig gelegen ist. Es handelt sich um den Thalamus (Stern in Abb. 2.1), dessen wichtigste Funktion darin besteht, darüber zu entscheiden, welche sensiblen Informationen an den Kortex weitergeleitet und uns dadurch bewusst werden. Wie wir später bei der Besprechung der Regulation der Motorik noch sehen werden, verschaltet der Thalamus jedoch nicht nur sensible, sondern auch motorische Impulse.*

 

Nachdem wir nun wichtige Komponenten der grauen und weißen Substanz kennengelernt haben, wollen wir uns damit beschäftigen, wie es zu diesem Farbunterschied kommt. Hierfür können wir darauf zurückgreifen, was wir bereits in der Neurohistologie besprochen haben. In Kapitel 1 haben wir gelernt, dass eine Nervenzelle aus Dendriten, einem Perikaryon (Nervenzellkörper) und einem Axon besteht. Axone werden im Gehirn von Oligodendrozyten mit einer schützenden Myelinscheide umgeben. Diese Myelinscheide besteht biochemisch zu einem nicht unbeträchtlichen Anteil aus Lipiden, welche sich makroskopisch weißlich-gelb darstellen. Dendriten und Nervenzellkörper sind im Gegensatz dazu nicht von einer fettreichen Myelinscheide umgeben und erscheinen deswegen im makroskopischen Schnittpräparat nicht weiß, sondern grau. Nun wird klar, welche Anteile einer Nervenzelle in der grauen und welche Anteile in der weißen Substanz zu finden sind. Im Rahmen einer histologischen Untersuchung der Substantia grisea treffen wir hinsichtlich der Neurone vor allem auf deren Zellkörper und die nicht-myelinisierten Dendriten. In der Substantia alba hingegen finden wir vor allem myelinisierte Axone. Man sollte jedoch nicht vergessen, dass neben den Nervenzellen auch Gliazellen am Aufbau des Gehirns beteiligt sind. Diese findet man sowohl in der grauen als auch in der weißen Substanz, wenngleich doch regionale Unterschiede bestehen (z. B. gibt es in der weißen Substanz natürlich viel mehr Oligodendrozyten als in der grauen Substanz).1, 2

Betrachten wir im Vergleich einen Schnitt durch das Rückenmark (F in Abb. 2.1), so finden wir auch dort graue und weiße Substanz. Im Rückenmark liegt die graue Substanz zentral (mit ein wenig Vorstellungskraft kann man einen Schmetterling erkennen, weswegen auch von einer Schmetterlingsfigur gesprochen wird). Die zentral gelegene graue Substanz des Rückenmarks wird allseits umgeben von weißer Substanz, die wiederum in die Hinterstränge, Seitenstränge und Vorderstränge unterteilt werden kann. Im Prinzip entspricht dieser Aufbau des Rückenmarks mit innen grauer und außen weißer Substanz dem Aufbau des Großhirns. Auch dort finden wir innen Gebiete grauer Substanz umgeben von weißer Substanz. Im Großhirn lagert sich jedoch zusätzlich noch der bereits genannte Streifen grauer Substanz, die Großhirnrinde, von außen an. Diese Anlagerung zusätzlicher grauer Substanz von außen an das Großhirn stellt einen wichtigen evolutionären Schritt dar. Wie wir später noch sehen werden, ist die Großhirnrinde mit vielen hoch kognitiven Funktionen vergesellschaftet, das Rückenmark hingegen führt eher primitive Aufgaben aus (beispielsweise Reflexe). Eine zusätzliche Schicht grauer Substanz ist hierfür nicht notwendig. Entsprechend ist der makroskopische Aufbau des Rückenmarks bei verschiedenen Wirbeltieren (z. B. Mensch und Maus) nur geringfügig unterschiedlich ausgeprägt. Auch bei der Maus findet man einen vergleichbaren prinzipiellen Aufbau des Rückenmarks wie beim Menschen. Im Bereich des Großhirns, insbesondere im Bereich der Großhirnrinde, sind die Unterschiede jedoch viel deutlicher ausgeprägt. Im Gegensatz zu dem Gehirn des Menschen hat die Oberfläche eines Mäusegehirns keine Furchen und Windungen (Sulci und Gyri). Man spricht hierbei von einer Lysenzephalie. Ein solches Gehirn wäre beim Menschen nicht mit dem Leben vereinbar.

Kerne und Ganglien: Definition

Wie bereits erwähnt, befinden sich die neuronalen Zellkörper vor allem in der grauen, die myelinisierten Axone in der weißen Substanz. Die Ansammlung neuronaler Zellkörper an der Oberfläche des Großhirns bezeichnet man als Kortex. Sämtliche weiteren Ansammlungen von Zell-körpern im Gehirn werden bis auf wenige Ausnahmen als Kern (Nucleus) bezeichnet. Beispielhaft sei hier der Nucleus caudatus genannt (in Abb. 2.1 blau hinterlegt). Auch außerhalb des Gehirns und des Rückenmarks, also im peripheren Nervensystem, befinden sich Ansammlungen von Nervenzellkörpern. Diese werden jedoch nicht als Nucleus, sondern als Ganglion (im Plural Ganglien) bezeichnet. Später werden wir sehen, dass man funktionell und anatomisch zwischen vegetativen Kopfganglien, Spinalganglien und Grenzstrangganglien strikt unterscheiden muss. Hier sei schon einmal erwähnt, dass Kopfganglien in die Funktion des Parasympathikus, Spinalganglien in das sensible System und die Grenzstrangganglien in die Funktion des Sympathikus eingebettet sind.

Abweichend von der Regel, Ansammlungen von Nervenzellkörpern im peripheren Nervensystem als Ganglien, im zentralen Nervensystem aber als Kerngebiete zu bezeichnen, wird traditionell für bestimmte Kerne im Gehirn die Bezeichnung Basalganglien (Stammganglien) verwendet. Dieser Begriff ist etwas irreführend, denn bei den Basalganglien handelt es sich um Ansammlungen von Nervenzellkörpern innerhalb des Zentralnervensystems, nicht des peripheren Nervensystems. Eigentlich sollte man sie auch als Nucleus bezeichnen.

Während im Gehirn die einzelnen Kerngebiete meist gut voneinander abgrenzbar sind, scheinen diese aus funktionell zusammengehörenden Zellkörpern gebildeten Gruppen im Rückenmark miteinander zu verschmelzen. Gemeinsam bilden sie die typische Schmetterlingsform des Rückenmarkquerschnitts. Da Kerne sich über längere Rückenmarksabschnitte erstrecken können, bezeichnet man sie auch als Kernsäulen.

Peripheres und zentrales Nervensystem

Es lässt sich ein peripheres- von einem zentralen Nervensystem (besser Zentralnervensystem) abgrenzen (siehe auch Abb. 2.2). Diese Unterteilung bezieht sich auf die topographische Lage der einzelnen Abschnitte des Nervensystems. Zum Zentralnervensystem zählt man alle Strukturen, die knöchern umgeben sind.


Abb. 2.2

Übersicht über die verschiedenen Anteile des Nervensystems

Das Gehirn und das Rückenmark sind Elemente des Zentralnervensystems.

Spinalnerven, Spinalganglien, periphere Nervengeflechte und Hirnnerven (hier nicht gezeigt) werden dem peripheren Nervensystem zugerechnet.

Dementsprechend sind das Rückenmark (Medulla spinalis; A in Abb. 2.3), das verlängerte Mark (Medulla oblongata, B in Abb. 2.3), die Brücke (Pons; C in Abb. 2.3), das Mittelhirn (Mesencephalon; D in Abb. 2.3), das Zwischenhirn (Diencephalon; E in Abb. 2.3), das Großhirn (Cerebrum bzw. Telencephalon; F in Abb. 2.3), und das Kleinhirn (Cerebellum; G in Abb. 2.3) Teile des Zentralnervensystems. Wir werden diese einzelnen Abschnitte gleich noch genauer betrachten. Das Rückenmark ist knöchern von den Wirbeln, der Rest des Zentralnervensystems vom knöchernen Schädel umgeben. Alle Anteile, die sich außerhalb dieser schützenden knöchernen Umhüllung befinden, werden dem peripheren Nervensystem zugerechnet. Im Wesentlichen handelt es sich hierbei um die peripheren Nerven, die im Rahmen des makroskopischen Präparierkurses des Bewegungsapparates abgehandelt werden. Wichtige Vertreter sind beispielsweise der Nervus femoralis, der motorisch den vierköpfigen Oberschenkelmuskel innerviert oder aber der Nervus radialis, welcher unter anderem für die Streckung im Handgelenk verantwortlich ist. Auch die Hirnnerven werden größtenteils dem peripheren Nervensystem zugerechnet. Sie sind aber im Gegensatz zu den peripheren Nerven der Extremitäten Lehrstoff der Neuroanatomie. Ihnen wird ein eigenes Kapitel in diesem Lehrbuch gewidmet.


Abb. 2.3

Übersicht über die verschiedenen Anteile des Zentralnervensystems

Ansicht von medio-sagittal

Weite Teile des Gehirns werden vom Endhirn mit seinen Wucherungen überlagert. Eine Erhebung wird Gyrus (Stern), eine Einsenkung Sulcus (Pfeil) genannt. Die verschiedenen Etagen des Gehirns sind in der medio-sagittalen Ansicht gut zu erkennen und hier farblich hervorgehoben. Dargestellt sind die Medulla spinalis (A), die Medulla oblongata (B), der Pons (C), das Mesencephalon (D), das Diencephalon (E), und Teile des Telencephalons (F). Das Cerebellum (G) ist dem Hirnstamm nach hinten aufgelagert.

Impulse, welche im Zentralnervensystem ihren Ursprung nehmen und in die Peripherie ziehen, nennt man Efferenzen. Steuern solche Impulse die Skelettmuskulatur, spricht man von Somato-Efferenzen; werden hingegen glatte (unwillkürliche) Muskelzellen und Drüsen angesteuert, spricht man von Viszero-Efferenzen. Bei Impulsleitung in die entgegengesetzte Richtung spricht man von Afferenzen. Auch hier können Somato-Afferenzen von Viszero-Afferenzen abgegrenzt werden. Viszero-efferente Signale werden noch weiter in Sympathikus und Parasympathikus untergliedert. Beides sind funktionelle Gegenspieler.

Unterschiedliches Regenerationspotenzial von Nervenzellfortsätzen des ZNS und PNS

Im Unterschied zu Nervenzellfortsätzen in Gehirn und Rückenmark (Zentralnervensystem) können sich Neuriten der Nervenzellen, die außerhalb davon liegen (peripheres Nervensystem), nach Schädigungen bis zu einem gewissen Grad komplett regenerieren. Wer schon einmal eine Schnittwunde erlitten hat, konnte das womöglich am eigenen Körper erleben. Kommt es im Rahmen der Schnittverletzung zur Durchtrennung von peripheren, sensiblen Nervenendigungen, fühlt sich das entsprechende Hautgebiet taub an. Dieses Taubheitsgefühl bildet sich in aller Regel mit der Zeit wieder zurück. Morphologisch liegt diesem Prozess eine Regeneration der geschädigten Nervenendigungen zugrunde. Die Nervenregeneration beginnt dabei jeweils an der Stelle, an der das Axon durchtrennt oder beschädigt wurde. Axonreste hinter der Bruchstelle zerfallen, die verbliebenen Zellreste werden von den Fresszellen des Körpers (Makrophagen) entfernt. Vom nun blind endenden, proximalen Axonstumpf aus bilden die verbliebenen Schwann-Zellen eine Art Leitschiene und geben zusammen mit anderen Zellen Eiweiße ab, die als Wachstumsfaktor fungieren. Die Eiweiße dienen dann als Lockstoff für das nachwachsende Axon. Der Axonstumpf beginnt neu auszusprossen und wächst in Richtung der Leitschiene nach.3

Forschung

Das Rückenmark verläuft im Wirbelkanal der Wirbelsäule. Es transportiert elektrische Informationen zwischen dem Gehirn und bestimmten Bereichen des Körpers. Bewegungsnerven (motorische Nerven) leiten elektrische Impulse vom Gehirn zu den Muskeln, Empfindungsnerven (sensible Nerven) übermitteln Information wie Schmerz, Druck oder Temperatur aus dem Körper zum Gehirn. Wird das Rückenmark an einer Stelle beschädigt, kann es die elektrischen Impulse nicht mehr weiterleiten. Die Körperregionen, die von Rückenmarksabschnitten unterhalb der beschädigten Stelle kontrolliert werden, können nicht mehr durch das Gehirn beeinflusst werden. Leitsymptom ist eine Lähmung der betroffenen Gliedmaßen. Selbst wenn in der Klinik von einer kompletten Querschnittslähmung die Rede ist, bleiben oft Brücken von Axonen bestehen, die den Gewebedefekt überqueren. Die Reaktivierung der noch intakten Axone ist momentan Gegenstand der Forschung. Strategien umfassen unter anderem die epidurale Rückenmarkstimulation (Reizung des Gewebes mittels elektrischer Ströme oder lokal verabreichter Neurotransmitter), die Beeinflussung der lokalen Ausschüttung von Wachstumsfaktoren oder aber Zelltransplantation.4

 

Somatisches und vegetatives Nervensystem

Eine weitere Unterscheidungsmöglichkeit besteht darin, das Nervensystem in einen somatischen und einen vegetativen Anteil aufzugliedern (vergleiche auch Abb. 2.3). Somatisch bedeutet so viel wie „körperhaft“ oder „physisch“ und meint den Teil des Nervensystems, der für eine willkürliche Bewegung, bzw. das bewusste Wahrnehmen von Empfindungen verantwortlich ist. Dem entgegengestellt übernimmt das vegetative Nervensystem eine Vielzahl von Aufgaben, die nur bedingt willkürlich beeinflussbar sind und in der Regel nicht bewusst werden. Dies soll anhand eines kurzen Beispiels aus der Welt des Sports veranschaulicht werden.

Beim Fußballspielen entscheidet der Sportler durchaus bewusst, welche Bewegungen ausgeführt werden müssen, um ein Tor zu erzielen. Um einen Gegenspieler zu umkreisen, schlägt er einen scharfen Haken nach links, bevor er zum Schuss ausholt und den Ball neben den linken Pfosten, am Torwart vorbei ins Tor platziert. Bei einem Foulspiel des Gegners wird der Sportler Schmerzen haben, die er auch im Nachhinein sehr genau mit Hinblick auf Schmerzlokalisation und Schmerzintensität beschreiben kann. Beides sind Funktionen (motorische und sensible) des somatischen Nervensystems, denn die motorischen Bewegungen werden (mehr oder weniger zumindest) willkürlich gesteuert, die sensiblen Informationen bewusst wahrgenommen. Während eines Fußballspiels laufen jedoch eine Vielzahl von unbewussten, quasi automatischen körperlichen Reaktionen ab. So muss zum Beispiel sichergestellt werden, dass beim Sprint aufs Tor das Herz schneller schlägt, sich die Kapazitätsgefäße verengen und der Blutdruck dadurch erhöht wird. Nur so ist die für den Sprint erforderliche vorübergehende Leistungssteigerung möglich. Um dies zu gewährleisten, wird dem Nervensystem kontinuierlich eine Vielzahl von Informationen zugeleitet; beispielsweise der momentane Blutdruck, um ihn gegebenenfalls anpassen zu können oder aber die Sauerstoffsättigung im Blut (Sauerstoffpartialdruck), um gegebenenfalls die Atemfrequenz und Atemtiefe zu steigern. Diese unwillkürlichen und unbewussten Körperfunktionen werden durch das vegetative Nervensystem reguliert. Der Begriff vegetatives Nervensystem bezieht sich darauf, dass dieser Teil des Nervensystems viele Vorgänge der Verdauung und des Wachstums reguliert (mittellateinisch vegetativus – „das Wachstum der Pflanze fördernd“). Gleichbedeutend sind die Begriffe autonomes Nervensystem („unabhängig, weisungsfrei, eigenstaatlich, selbstbestimmt, der Kontrolle entzogen“) und viszerales Nervensystem („die Eingeweide betreffend“). Das somatische Nervensystem reguliert also die Willkürmotorik und verarbeitet den Teil der Sensibilität, der einem bewusst wird. Das vegetative/autonome/viszerale Nervensystem steuert im Gegensatz dazu motorische Funktionen, die unwillkürlich ablaufen und verarbeitet sensible Informationen, die einem nicht bewusst werden.

Weite Teile der inneren Organe, vor allem der Gastrointestinaltrakt, verfügen über ein eigenes Nervensystem. Aufbau und Funktion dieses enterischen Nervensystems werden im Rahmen des Histologieunterrichts im Detail abgehandelt. Es handelt sich um ein in der Darmwand lokalisiertes Nervengeflecht, das sich entlang des gesamten Magen-Darmtraktes – vom Ösophagus bis zum Anus – zieht. Es besteht im Wesentlichen aus zwei verflochtenen Strukturen, dem Plexus myentericus (Auerbach-Plexus), der zwischen den beiden äußeren Muskelschichten gelegen ist und dem Plexus submucosus (Meissner-Plexus), der der Mucosa innen direkt anliegt. Es wurde sehr früh erkannt, dass das enterische Nervensystem einen eigenständigen Teil des vegetativen Nervensystems darstellt. Es ist wesentlich an der Regulation lebenswichtiger Magen-Darm-Funktionen wie der Motilität, Sekretion, lokalen Durchblutung (Mikrozirkulation) und an Abwehrmechanismen beteiligt. Da es sich außerhalb der Schädelkalotte bzw. des knöchernen Rückgrats befindet, ist es ganz eindeutig dem peripheren Nervensystem zuzurechnen. Funktionell ist es eng mit dem viszeralen Nervensystem verbunden, denn dieses wirkt quasi regulierend auf die Funktion des enterischen Nervensystems.

Klinik

Als Reizdarmsyndrom, oder kurz Reizdarm, bezeichnet man eine relativ häufige Funktionsstörung des Darms. Die Betroffenen – etwa doppelt so viele Frauen wie Männer – leiden unter Darmbeschwerden, für die sich trotz gründlicher ärztlicher Untersuchungen keine körperliche Ursache findet. Früher wurde der Reizdarm daher schlichtweg als psychisch bedingt angesehen. Heute weiß man, dass viele Faktoren an seiner Entstehung beteiligt sein können. Zu den Symptomen eines Reizdarms zählen unter anderem wiederkehrende Bauchschmerzen, Durchfall, Verstopfung sowie Blähungen. Inwiefern dem Reizdarmsyndrom eine fehlerhafte Kommunikation zwischen Gehirn und enterischem Nervensystem zugrunde liegt, wird momentan untersucht.5

Afferenzen und Efferenzen

Eine weitere Betrachtungsweise des Nervensystems bezieht sich darauf, ob Informationen dem Zentralnervensystem zugeleitet werden oder ob Informationen vom Zentralnervensystem in die Peripherie geleitet werden. Informationen, die vom Zentralnervensystem in die Peripherie ziehen, nennt man Efferenzen (Abb. 2.3, blau hervorgehoben). Informationen, die von der Peripherie in das Zentralnervensystem geleitet werden, nennt man Afferenzen (Abb. 2.3, rot hervorgehoben). Auf das somatische Nervensystem bezogen bedeutet das: Beim Ausführen einer Bewegung werden Teile der Großhirnrinde, u. a. der Gyrus praecentralis, aktiv und leiten über das Rückenmark die motorischen Impulse in die Peripherie zum jeweiligen Muskel. Da diese Information ihren Weg aus dem Zentralnervensystem in die Peripherie nimmt, handelt es sich um eine Somato-Efferenz. Bei der Leitung eines sensiblen Impulses (zum Beispiel Schmerzen) entsteht das Signal in der Peripherie und wird dem Gehirn über Spinalnerven, Rückenmark und weitere, an dieser Stelle nicht genauer bezeichnete Bahnen der Großhirnrinde, dem Gyrus postcentralis, zugeleitet. Da diese Information ihren Weg aus der Peripherie in das Zentralnervensystem nimmt, handelt es sich um eine Somato-Afferenz.

Merke

Afferenz = ankommend

Efferenz = wegführend

Ganz ähnlich wie im somatischen Nervensystem lassen sich auch im vegetativen Nervensystem Afferenzen und Efferenzen voneinander abgrenzen. Informationen aus dem Zentralnervensystem zur Steigerung der Herzaktivität, Verdauungsaktivität oder der Atmung sind demnach Viszero-Efferenzen, Informationen über den Sauerstoffpartialdruck, den Blutdruck oder aber der Magenaktivität nennt man hingegen Viszero-Afferenzen. Wie wir später noch sehen werden, wird die motorische Komponente des vegetativen Nervensystems noch einmal in den sogenannten Sympathikus und den Parasympathikus untergliedert. Vereinfacht kann man sich vorstellen, dass der Sympathikus im Wesentlichen alle Funktionen, die bei Gefahrensituationen vonnöten sind, reguliert (fight-or-flight; sogenannte ergotrope Wirkung). Der Parasympathikus beeinflusst als funktioneller Gegenspieler des Sympathikus im Gegensatz dazu die Verdauung. Er wird deswegen auch als „Ruhenerv“ bezeichnet, da er dem Stoffwechsel, der Erholung und dem Aufbau körpereigener Reserven dient (rest-and-digest; sogenannte trophotrope Wirkung).

Zusammenfassendes Funktionsprinzip des Nervensystems

Wir haben bisher das Nervensystem histologisch in graue und weiße Substanz unterteilt, topographisch in peripheres und zentrales Nervensystem, funktionell in somatische und vegetative Komponenten sowie bezogen auf die Leitung der Aktionspotenziale in afferente und efferente Anteile. Viele der bisher angesprochenen Bestandteile des Nervensystems lassen sich mit der Organisationseinheit und der Funktionsweise eines großen Krankenhauses vergleichen. Vor dem operativen Eingriff bei einem Patienten gibt es eine Vielzahl von Konferenzen und Besprechungen. Verschiedene Befunde wie Blutwerte, Ultraschall und MRT-Ergebnisse werden verglichen und in die Entscheidung für oder gegen einen operativen Eingriff einbezogen. Diese Entscheidungsfindung ist oft ein sehr komplizierter Prozess, Pros und Contras müssen mitunter genau gegeneinander abgewogen werden. In der Regel sind verschiedene Fachdisziplinen an einem solchen Prozess beteiligt. Nachdem eine Entscheidung zum operativen Eingriff getroffen wurde, wird dieser vom Chirurgen durchgeführt. Oft ist die Entscheidung für oder gegen eine Operation weitaus komplizierter und langwieriger als der eigentliche operative Eingriff selbst. Ganz ähnlich funktioniert auch das Nervensystem: Bewegungsmuster werden beispielsweise, wie wir später in diesem Lehrbuch noch sehen werden, im Zentralnervensystem entworfen und von verschiedenen Gehirnregionen auf ihre Sinnigkeit und Genauigkeit hin moduliert. Sehr viele verschiedene Strukturen, wie etwa das Kleinhirn oder die Basalganglien, sind an solch einer recht komplexen Modulation von Bewegungsimpulsen beteiligt. Die Funktion des peripheren Nervensystems ist demgegenüber relativ einfach zu verstehen: Entworfene und angeglichene Programme werden dem Erfolgsorgan (in diesem Fall der Skelettmuskulatur) nur noch übermittelt.

Die richtige Entscheidung für oder gegen eine Operation bedarf der kontinuierlichen Rückmeldung über den Zustand des Patienten. Hat man sich zum Beispiel für eine Operation entschlossen, der Patient erleidet jedoch einen Kreislaufkollaps, würde die Operation sogar im letzten Moment noch abgesagt und die Entscheidung neu überdacht werden. Auch das Nervensystem benötigt zu einer regelhaften Funktion die kontinuierliche Rückmeldung aus der Peripherie. Vergleichbar dazu werden bei einer Bewegungsausführung dem Zentralnervensystem kontinuierlich durch periphere Rezeptororgane Informationen über die Muskelspannung sowie die Lage und Stellung der Gelenke zugeleitet. Diese Rückmeldung wird in die Modulation von Bewegungsimpulsen quasi eingearbeitet.

In diesem Zusammenhang stellt sich eine nicht ganz einfache Frage: Wer ist nun wichtiger – das somatische oder das vegetative Nervensystem? Vergleichen wir hier wieder mit der Organisationseinheit eines Krankenhauses. Dort gibt es verschiedene klinische Abteilungen wie etwa die Chirurgie, die Innere Medizin, oder aber die Radiologie. Zweifelsohne ist das harmonische Zusammenspiel dieser einzelnen klinischen Abteilungen unabdingbar für die erfolgreiche Behandlung eines Patienten. Wenn in der Chirurgie ein Fehler passiert, ist dieser mitunter schnell offensichtlich und wird als Malus wahrgenommen. Auch eine falsche Behandlung der Internisten kann oft direkt vom Patienten oder seinen Angehörigen wahrgenommen werden. Leistungen dieser Fachdisziplinen werden einem tagtäglich bewusst, sie können demnach als somatischer Teil des Krankenhauses angesehen werden. Es arbeiten jedoch viele verschiedene Organisationseinheiten im Hintergrund, ohne dass deren Leistung direkt wahrgenommen wird. Vertreter solcher Organisationseinheiten sind zum Beispiel der Bettendienst, die Küche oder die Techniker, die für die Instandhaltung des Krankenhauses verantwortlich sind. Auch wenn deren Aufgaben einem nicht immer direkt bewusst werden, so werden Sie sicher zustimmen, dass bei einer Fehlfunktion dieser Organisationseinheiten eine regelhafte Behandlung der Patienten nicht mehr möglich wäre. Der Bettendienst, das Küchenpersonal, die Techniker – all diese Abteilungen können als vegetativer Teil des Krankenhauses angesehen werden. Entscheiden Sie selber, ob nun das somatische oder das vegetative Nervensystem wichtiger für unser Leben ist. Ich denke, auch Ihnen wird eine Entscheidung schwer fallen.